Ludwig Thoma
Der Jagerloisl
Ludwig Thoma

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Fehses hatten nachmittags Gäste gehabt, Frau Geheimrätin Calmon, Herrn Stresow, Bankier Redantz und seine Frau und einen alten Freund der Familie, Justizrat Friedmann aus Köln.

Man blieb nach dem Kaffee im Garten sitzen, da die Gäste erst mit dem letzten Motorboote nach Tegernsee übersetzen wollten. Stresow saß abseits bei Henny, die in einer Hängematte lag, und übte sich im Flirten. Er schien darin einige Gewandtheit zu haben, denn häufig tönte fröhliches Lachen zu der übrigen Gesellschaft herüber, die unter breitästigen Linden saß, und Frau Calmon schickte wohlwollende Blicke zu den jungen Leuten hin, wobei sie sagte: »Man unterhält sich ja vortrefflich...«

»Sagen Sie mal«, wandte sich Redantz an Fehse... »wohnt nicht hier in der Nähe ein Baron Fries?«

»Kenn ich nich...«

»Doch, Heinrich, das ist der Herr, dem die hübsche Villa gehört.«

»So? Was ist mit dem? Sind Sie bekannt mit ihm?«

»Nee«, antwortete Redantz. »Er fiel mir nur auf, gestern in Tegernsee. Das heißt, nicht er, sondern die Dame, die bei ihm war. Theater, – was?«

»Ich bin nich im Bilde...«

»Mia Albo aus München«, berichtete Justizrat Friedmann. »Müßten Sie eigentlich kennen, Fehse.«

»Albo?« antwortete Frau Fehse. »Natürlich, die sahen wir doch im Traumulus. Erinnerst du dich nicht, Heinrich?«

»Ach, die mit dem bewegten Leben? Die auf der Polizei vernommen wird? Machte sie übrigens famos. So, die is hier? Muß ich mir mal auf ihre Rolle hin ansehen. Die Echtheit war Natur.«

»Sie hat so was«, pflichtete Redantz bei. »In dem Milieu fiel es natürlich besonders auf.«

»Na, so ungewöhnlich ist die Erscheinung nicht«, sagte Friedmann. »Nach keiner Richtung hin. Das Mimenreich ist hier sehr zahlreich vertreten. Das bayrische Ischl...«

»Hoffentlich entwickelt sich hier nicht der richtige Betrieb«, erwiderte Fehse. »Wär eigentlich schade.«

»Dem kann man ja aus dem Wege gehen.«

»Ich meine, wegen der Bevölkerung. Die verliert doch das Unberührte...«

»Das sie jetzt hat, glauben Sie?« fragte Redantz. »Ich weiß nich, ich bin mißtrauisch.«

»Wie alle Berliner.«

»Rechnen Sie sich nicht mehr dazu?«

»Also wie wir Berliner. Wir haben uns das ein bißchen sehr angewöhnt.«

»Was ich immer sage«, rief Friedmann. »Ihr seid eine zufällig zusammengewürfelte Gesellschaft, traut euch nicht, beriecht euch...«

»Daß wir nicht, wie ihr Kleinstädter, einer den andern kennen...«

»Falsch, lieber Redantz! Sie können meinetwegen Köln für 'ne Kleinstadt nehmen, aber im ganzen falsch! Darum handelt's sich nich. In Wien zum Beispiel haben wir das Zusammengewohnte, Zusammengewachsene, mit der bestimmten Tradition.«

»Nu schon wieder Tradition...«

»Jawoll ja«, unterbrach ihn Fehse. »Davon kommt es, von dem Mangel an Tradition. Aber nich bloß davon. Es liegt schon so in unserer Natur, das Skeptische. Wir lassen Eigenart nich gelten, glauben nicht daran, nehmen sie für Absicht, für 'n Trick, oder das abschließende Urteil ist: der Mensch is nich normal...«

»Normal sein ist alles...« zitierte Friedmann.

»Wenn wir skeptisch sind«, unterbrach ihn Redantz, »so sind wir's ganz gewiß am meisten gegen uns selbst. Was uns fehlt, ist die Zufriedenheit mit uns selbst...«

»Ganz natürlich!«

»Wieso natürlich, bester Justizrat? Bei den andern is auch nicht alles Gold. Aber jeder Münchner spricht von seiner Gemütlichkeit, jeder Wiener von seiner alten Kultur, jeder Hamburger von seiner guten Küche, bloß wir werfen uns immer Mängel vor...«

»Diesmal waren Sie skeptisch gegen diese bescheidenen Dorfbewohner.«

»Ich sage nur, was so mein Eindruck ist. Die Leute haben so 'n Unterton, als wollten sie das unterstreichen: ›Du, ich bin fein ungemoan treuherzi...‹«

Herr Redantz ahmte den komischen Dialekt nach.

»Ich will Ihnen was sagen«, entgegnete Friedmann. »Sie sind durchs Bauerntheater beeinflußt.«

»Wieso bin ich beeinflußt?«

»Die Stimmung klingt nach. Ich weiß das von mir selbst. Wenn man so 'n verlogenes Zeug sieht, und es gerade von solchen Leuten dargestellt sieht, die dabei so reden und sich so bewegen, wie eben die Leute hier auch, dann bleibt das Mißfallen an einem hängen. Man hört zu leicht 'n falschen Ton heraus, den man noch im Ohr hat.«

»Möglich, aber vielleicht werden umgekehrt die Leute durch das Theater beeinflußt. Sie sehen sich so gespielt und spielen es nach. Es ist doch auffallend, daß die Leute hier herum alle so 'n bißchen Talent zum Schauspielern haben, und daß sie sich mit einer merkwürdigen Fixigkeit in den falschen Ton finden...«

Herr Fehse zog an seiner Zigarre.

»Zunächst haben sie mal Talent«, sagte er.

»Das sagen sie ja selbst, und das ist 'n Vorwurf, den sich die Leute gefallen lassen können. Wahrscheinlich finden sie sich eben in den Ton, den das Stück hat. Auch in den schlichten, und in den vielleicht noch besser. Wenn sie verlogenes Zeug reden müssen, na ja...«

»Aber die Anpassungsfähigkeit ist mal da, und der Brustton, und der macht mich mißtrauisch...«

»Eines müssen Sie gelten lassen. Das ist das Aussehen von den Kerls.«

»Mein Mann sieht in jedem Bauernburschen einen Adonis...« sagte Frau Fehse.

»Seh ich eben nich... Adonis is gar nicht mein Fall. Ist mir viel zu geschleckt. Was mir an den Kerls gefällt, ist gerade die derbe Kraft, die sich mit einer eigenartigen Grazie verbindet...«

»Grazie?«

»Doch!« sagte die Geheimrätin Calmon. »Das ist nicht zu viel gesagt, Herr Redantz, und wenn Sie sich davon überzeugen wollen, kommen Sie Sonntag mit zum Enterrottacher Fest.«

»Ich bin ein bißchen gegen das Juhu...«

»Nein! Nein! Kommen Sie nur, es wird Sie nicht reuen. Ich war noch jedes Jahr dort und freue mich immer wieder.«

»Ausgemacht!« rief Fehse. »Wir werden alle hinkommen, und Herr Redantz soll uns das erstemal in seinem Leben rechtgeben...«

»Schön. Jedenfalls ist es ein Ausflug in angenehmster Gesellschaft...«

»Darf ich die Herrschaften zum Aufbruch mahnen? Es ist höchste Zeit zum Motor.«

Stresow war herangetreten, und es war ein schönes Zeichen militärischer Zucht, daß er beim Flirt pflichtbewußter geblieben war als die älteren Herren bei ihren Streitfragen.

Fehses begleiteten die Gäste ein Stück Weg.

»Da! Nu geben Sie mal acht!« Fehse stieß Redantz an.

Fries und Loisl mit dem Rehbock im Rucksack kamen ihnen entgegen.

Loisl trat auf die Seite und blieb stehen, um die Gesellschaft vorüber zu lassen.

»Ein Reh!« rief Henny. »Wie hübsch!«

»Ein kapitaler Sechser«, sagte Stresow. »Allerdings, in Schlesien habe ich...«

»Darf man sehen?« Henny lächelte süß, als sie es fragte.

»Warum net?«

Loisl stand mit abgezogenem Hute vor ihr, und sie streichelte den Rehgrind, der aus dem Rucksacke hing.

Durch den Äser waren ein paar kleine Fichtenzweige gesteckt. »Hat er das eben noch gefressen?« fragte Redantz.

Stresow belehrte ihn, daß es Weidmannsbrauch sei, den Bock so zu schmücken.

»Selbst geschossen?« fragte Fehse.

»Na. Da Herr Baron...«

Der freundliche Kommerzienrat wollte Loisl ein Geldstück in die Hand drücken.

»Na... Dank schö...«

»Nehmen Sie nur!«

»I dank schö. I nimm's net.«

»Aber ne Zigarre? Was?«

»Dös ehnder.«

Loisl nahm aus dem vorgehaltenen Etui eine Zigarre.

»I sag gelts Gott...«

»Sie sind von hier?«

»Ja.«

»Wahrscheinlich alte Jägerrasse? War Ihr Vater auch dabei?«

»Na. Der hat a kloans Sachl g'habt.«

»Sachl?«

»A kloans Anwesen... am Berg vorn...«

»Wir müssen eilen«, mahnte Stresow, und die Gesellschaft trennte sich von Loisl, der seinem Herrn nachging.

Unter den fremden Leuten hatte er sich nicht getraut, das hübsche Mädel richtig anzuschauen.

Aber ihr Lächeln hatte er nicht übersehen.


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