Ludwig Thoma
Der Jagerloisl
Ludwig Thoma

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»Gehst du net ummi zu dera Herrschaft?« fragte die Heißin. »Solltst di do sehg'n lassen dabei. Gestern is der Herr dag'wesen und hat eigens g'sagt, du solltst'n b'suacha, und seine Weiberleut han i heut vormittag g'sehg'n...«

»Heut geht's net, Muatta«, erwiderte Loisl. »I muaß am Berg.«

»Bist d' ja erst hoam kemma; was muaßt d' denn glei wieder aufi? Gar so gnädi werd's na do net sei?«

»I hab an guat'n Hirsch g'spürt, den muaß i ausmacha.«

»Da Baron is ja gar net da...«

»Der werd scho wiederkemma.«

»Aber ummi schaug'n muaßt dennascht; soviel Zeit hast leicht.«

»Na; de kunnt'n mi aufhalt'n, und mir pressiert's.«

»Jetzt muaß i dir scho sag'n, mit dir kennt ma si gar it aus. Z'erscht bist selm allbot ummi g'rennt und hast allaweil an Ausred g'habt, und jetza gang's dir auf de Viertelstund z'samm. Hast di z'kriagt damit?«

»Mit wem?«

»Werst as scho wissen...«

»Nix woaß i.«

»Mit dem Fräulein halt.«

»Geh, Muatta, was red'st denn allaweil de alt'n Weiber eahna dumm's Zeug nach? So a Stadtfräulein werd si wahrscheinli mit mir z'kriag'n!«

»Wischi – waschi, mei Liaba! I hab aa meine Aug'n, und i hab scho g'sehg'n, wia di de G'schicht umanander trieb'n hat.«

»Vielleicht is dös von dem Schuß kemma, daß i a weng hirndappet war.«

»Und sie nacha? Von was is denn sie dappet wor'n?«

Loisl lachte.

»Du werst viel wiss'n von dem Fräulein ihran Zuastand!«

»Hat ma's Gneidlin scho g'sagt. Ganz bocknarrisch is sie g'wen, und is vielleicht net wahr, daß sie Schifferl g'fahr'n is mit dir?«

»Herrschaftsakra, ös bringt's oan schö ins G'red. Muaßt du mit dera Ratschen an Dischkurs hamm?«

»Von dera derfragt ma do was; du sagst mir wohl nix.«

»Weil nix zum Sag'n is.«

»Und z'weng was is nacha der Herr zu ins her kemma und hat si unser Sach o'g'schaugt? I hob freili net dergleichen to, aber kennt hab i's guat, daß er grad deratwegen dag'wen is. Und die Gneidlin sagt aa, bald da Loisl an Verstand hat, na laßt er dös Madel nimmer aus, und Heißin, hat s' g'sagt, du derfst as g'wiß glaab'n, de Leut hamm narrisch viel Geld...«

»Geh, dös is do lauter Schmarr'n...«

»Dös is amal wahr, und dir kann's gar nit fehl'n... sagt d' Gneidlin, denn de Jung hat dös erst und dös letzt Wort, sagt sie, und de Alt'n müass'n tanzen, hat s' g'sagt, wia de Jung pfeift.«

»Und mir pfeift sie aa was.«

»Geh, g'stell di net a so! Bal ma'r amal mit oan Schifferl fahrt bei da Nacht...«

»Dös mag i gar nimmer hör'n...«

»Du werst wohl koa solchane Dummheit net macha, Loisl, und dös geldige Madel auslassen?«

»Laß 's guat sei, Muatta. I geh ins Revier, und du laß di net so für 'n Narr'n halten von de Leut! De hätt'n bloß eahna Freud dro.«

»De Gneidlin moant's it schlecht, und sie sagt oanmal fürs andersmal...«

»Red'n ma von was andern. I sollt dir an Gruaß ausricht'n.«

»Vo wem nacha?«

»Aa von an Madel, von der Grabner Resei...«

»Da is mir nix bekannt...«

»Von Lenggrias.«

»Grabner? Ah so, de han verwandt mit'n Urtlmüller?«

»Und mit ins.«

»Da woaß i nix... Jetz paß auf, ziag de guat Jopp'n o und geh ummi...«

»D' Urtlmüllerin is do a Stiafschwesta von dir...«

»Ja, aber von seiner Verwandtschaft is mir neamd bekannt.«

»Vielleicht lernst as amal kenna...«

»Sei koa sellana Lattierl, Loisl. Geh ummi, sei g'scheit!«

»I bin g'scheit und geh net ummi. Es is a so höchste Zeit, daß i mi auf'n Weg mach...«

»Du bist scho so müahsam...«

Loisl nahm seinen Rucksack, Gewehr und Wettermantel und hielt lachend der Mutter die Hand zum Abschied hin.

»Muaßt as scho verschmerzen, dös viele Berliner Geld...«

»Du brauchst mi no föppeln...«

»Bleibe im Land, hoaßt's, und nähre dich redlich...«

»Wia ko ma sei Glück so mit Füaß'n treten?«

»Des sell tua i g'wiß net. Hab i dir den Gruaß scho ausg'richt' vom Grabner Resei?«

»Laß mir do mit dera mein Ruah! Was geht mi de o?«

»Ko ma net wissen. Adjes!«

Er ging, und die Alte brummelte ihm ärgerlich nach; dann fiel ihr ein, daß sie selber zur Gneidlin hinübergehen könnte.

»A weng hoamgart'n... vielleicht, daß i was derfrag...«

 

Loisl saß eingehüllt in seinen Wettermantel unter Fichtenboschen, dicht beim Wechsel; der Kerl sollte ihm nicht auskommen, und wenn es noch so lange dauerte.

Es fröstelte ihn. Der Regen hatte aufgehört, und wo sich der Nebel verzog, schimmerte es weiß von den Bergen herunter.

Der Hirschberg war angeschneit, der Roßstein und der Kampen.

Allerhand Gedanken gingen ihm durch den Kopf, er hatte Zeit dazu.

Resei, die schönen Tage auf der Alm, Freude aufs Wiedersehen. Das andere aber, das lag so weit hinter ihm, daß er das Gerede der Mutter unbegreiflich fand.

Wie sich die alte Frau so was einbilden konnte und die andere dazu, die Gneidlin!

Er streckte sich. Stundenlang so dahocken machte steif.

Er überlegte, ob er sich nicht in einen Rindenkobel legen sollte, der kaum hundert Schritte weit weg war; da konnte er auf Daxen ausrasten und ein wenig schlafen.

Aber so oft er aufstehen wollte, hielt ihn ein ungewisses Gefühl zurück. Wenn der Kerl doch noch kam? Er blieb und horchte in den Wald hinunter; ein Käuzchen schrie in weiter Entfernung; wenn sich der Wind erhob, ging ein Regenschauer von den Bäumen nieder, und dann klatschten die Tropfen wieder einzeln auf.

Er wollte noch bis hundert zählen und dann gehen; je weiter er kam, desto langsamer zählte er.

Nein, das war erst recht langweilig, lieber an was Nettes denken, an eine freundliche Almhütte und an einen Platz am offenen Feuer. Da müßte es jetzt behaglich sein.

Bst!

Es war wie ein Lichtschein gewesen, wie ein leichtes Aufblitzen. Nichts mehr; es war eine Täuschung.

Doch! Wieder; diesmal konnte er sich nicht geirrt haben.

Loisl beugte sich vor und starrte angestrengt in die Dunkelheit hinunter.

Da! Ein Knacken von dürren Zweigen und wieder ein Lichtstrahl, diesmal breiter; er irrte auf dem Boden hin und her.

Der Lump hatte eine Fahrradlaterne bei sich und suchte nach der Eingangsstelle des Wechsels.

Immer näher.

Jetzt war er bis auf wenige Schritte heran...

Wart, Hundling!

Loisl war leise aufgestanden und schlug den Kerl mit dem Bergstock wuchtig über Genick und Schulter, daß er mit einem Schrei niederfiel.

Und schon kniete er auf ihm; der andere wollte sich aufrichten; strampelte mit den Beinen, keuchte, wollte sich mit den Händen einstemmen, aber Loisl hielt ihn fest und drückte ihm das Knie ins Kreuz.

»Heb di staad, Kerl, oder i druck dir d' Gurgel z'samm...«

»Auslassen... Herrgott... Bluat... Himmiherrgott... laß aus, sag i...«

»I laß di scho aus, di! Jetzt g'hörst mei, Bazi hundshäuterner...«

Er drückte ihm den Kopf auf den Boden.

»Bild dir no koane Schwachheiten ei!«

»I tua ja nix... i hab ja nix to...«

Loisl fuhr ihm in die Joppentaschen und fand einen Revolver.

»Da schau her... guat hast di herg'richt!...«

Er nahm ihm seinen Knicker weg und fühlte am Rucksack herum.

»Steh auf, Kerl, aber koan Rührer, sunst...«

Der Kreillinger erhob sich langsam; er hatte jeden Widerstand aufgegeben.

Loisl riß ihm den Rucksack herunter und untersuchte ihn; ein Abschraubstutzen und Schlingen waren darin.

»Guate Lust hätt' i und hauet den Lauf in Fetzen in deiner Spitzbuab'nvisaschl... Und jetzt hamm mir no a Rechnung mitanand, für den Schuß neuli...«

»I hab net g'schossen...«

»Net?«

Kreillinger taumelte zurück; eine Maulschelle brannte ihm auf dem Backen, ein paar Faustschläge folgten.

»Hör auf... sag' i... hör' auf... Herrgott... ich hab do...«

Noch ein paar Schläge, dann faßte Loisl den feigherzigen Burschen, der die Hand schützend vorhielt, an der Brust und warf ihn zurück.

Er torkelte den steilen Abhang hinunter, fiel, richtete sich auf und sprang in wilden Sätzen abwärts.

Äste knackten, und dann schrie von unten eine wutheisere Stimme herauf: »Dös zahl' ich dir hoam... du... du Hund, du greana...!«

Loisl lachte verächtlich.

»Zahl' no... Lump... trauriger!«

Er packte alles zusammen, suchte mit der Laterne, die am Boden lag und weiterbrannte, den Wechsel ab, nahm die Schlingen und steckte sie in seinen Rucksack.

Dann ging er durchs Hochholz zu einer Waldwiese und auf ihr abwärts bis zum Bauern in der Au.

Eine halbe Stunde später war er daheim und ging leise über die Stiege, um seine Mutter nicht zu wecken.

Die Alte hörte ihn, aber sie rief ihm nicht, wie sonst.

Es hatte sie allerhand verdrossen.

Am Abend war die Heißin bei der Gneidlin gewesen; als sie hinüberging, nahm sie eine Viehsalbe mit, damit der Besuch nicht nach Neugierde schmeckte.

Die Gneidlin ließ die hilfreiche Nachbarin nicht fortgehen, sondern setzte ihr eine Schale Kaffee vor.

»Mir san heut alloa«, sagte sie; »d' Köchin von der Herrschaft hilft droben mit beim Einpacken.«

»Gengan de schon furt?«

»Morg'n namittag roasen s'...«

»So...«

»Heißin, i sag' dir's, net leicht hat mi was so verdrossen als wia dös, daß dei Loisl auf oamal ausblieben is.«

»Ja, schau, er hat halt sein Deanst.«

»Den brauchet er wohl nimma, wann er a weng g'scheit g'wen waar. De Jung hat von nix andern mehr g'redt als wia von eahm. Grad Loisl hinum und Loisl herum, und i sag' dir's, heut wann er herkam und fraget, Madel, was is mit uns? sie saget Ja und Amen...«

»Woaßt, Gneidlin, selle Leut moanen's oft net a so und san grad freundli am Land herausd...«

»Hättst d'as nur amal g'sehg'n, wenn s' bei eahm hibei g'hockt is in da Stub'n. Grad g'lanzete Aug'n hat s' g'habt und grad g'lacht und g'scherzt...«

»Geh?«

»Und amal is s' mit eahm bis zu da Gartentür, und da hamm s' g'wischpert mitanand, daß i zu da Leni g'sagt hab... i moan allweil, hab i g'sagt, da hat 's was, sag i.«

»Ja, warum...«

»Han?«

»Warum daß nacha dös auf oamal gar g'wen is?«

»Dös wann i wissat! Frag' halt dein Loisl!«

»Von dem derfrag i nix...«

»Bei dem sell'n Schifferlfahr'n müassen s' no ganz valiabt g'wesen sei, und beim Hoamgeh hat sie si bei eahm ei'g'hackelt g'habt...«

»Geh?«

»Wann i dir's sag. I hab's wohl g'sehg'n von mein Kammafenschta aus, weil's so Mondliacht g'wen is. Jetzt haut er ihr gen a Bussel aufi, han i mir denkt. Aber des sell is nacha do it g'wen; grad, daß s' recht lang von anand Abschied gnumma hamm, und dei Loisl hat si no a zwoa- a dreimal umdraht...«

»Na kenn i mi net aus, Gneidlin.«

»I mi aa net; den andern Tag is er nimma zuawa ganga; i wart und wart, es geht a Woch' umma und mehra... und koa Loisl laßt si net sehg'n...«

»Glaabst du...«

»Was moanst?«

»Daß de Herrschaft deratweg'n furt roast?«

»Mir kam's bald a so für. Sie gengan no net hoam, weil mir's d' Köchin b'stand'n hat; sie roasen no in a Bad...«

»Aus lauter Gift, moanst d'?«

»Dös laßt si leicht denk'n. Bal de Jung vielleicht g'wart' hat, und dei Loisl bleibt aus...«

»Jessas na!«

»Bscht! Da kimmt s' grad über d' Stiag'n oba...«

»Aber sie singt ja ganz luschti...«

»Sie werd's ihr do net o'kenna lass'n...«

Die Küchentüre wurde halb geöffnet, und Henny sah herein.

»Frau Gneidel, wir brauchten eine gute Schnur... ach, das ist ja Frau Heiß...«

Sie ging auf die Alte zu und gab ihr die Hand.

»Guten Abend, wie geht es Ihnen?«

»Net recht g'machti... wia's halt alte Leut geht.«

»Ihr Sohn ist jetzt immer auf der Jagd?«

»Leider Gott's...«

»Warum... leider?«

»Er kunnt'a amal dahoam bleib'n aa; heut is er scho wieder am Berg...«

»Er wird eben zu tun haben. Grüßen Sie ihn, wenn ich ihn nicht mehr sehen sollte. – Eine Schnur... Frau Gneidel, nicht wahr?«

Henny ging.

»Hoscht as g'hört?« fragte die Gneidlin eindringlich.

»Was nacha?«

»Wia s' dir dös hi'g'rieb'n hat. Krießen Sie ihn, wann ich ihn nicht mehr sä-he.«

»Mir is net fürkemma, als wann s' traurig waar.«

»Heißin, de Leut hamm an Stolz, de lassen si nix o'kenna...«

»I woaß net...«

Die Türe ging wieder auf, und Herr Fehse kam in die Küche.

»Ich wollte mal fragen, ob Sie nich was Spitziges haben, ich muß 'n Loch in den Lederriemen bohren... da ist ja die Frau Heiß?«

»Grüaß Good, Herr...«

»'n Tag! Sagen Sie mal, Verehrteste, hat Ihr Sohn nich schon wieder 'ne Schußwunde erhalten?«

»A...?«

»Schußwunde... das kommt doch wohl öfter vor? Gewöhnlich an Feiertagen, was?«

»Er is no nia net aufi g'schossen wor'n...«

»Überhaupt nich... das glaube ich Ihnen...«

Herr Fehse lachte herzhaft.

»Als wia selbigsmal, wo S' ihn g'sehg'n hamm...«

»Ich habe nischt gesehen, und was ich nich sehe, glaube ich nicht, genau so wie der alte Gemsenmörder in dem kleinen Hause da drüben...«

Die Heißin sah ihn verständnislos an.

»Tja – ja, gute Frau, Ihr Sohn versteht die Sache, aber mir kann er nich mehr, sagen Sie ihm, und wenn ich mir mal 'n Loch in den Kopf falle, dann erfinde ich auch 'n Roman. 'n Abend!«

Er nickte herablassend und ging.

»Jetzt werst als selm glaab'n, daß er spinngiftig is.«

»Den han i fei gar it verstand'n... was hat er g'sagt, von an Loch im Kopf...?«

»Fuchsteufelswild is er...«

»Und daß da Loisl alle Feiertäg aufi g'schossen werd?«

»Er hat di halt dableckt...«

»Was braucht mi denn der dablecken? Jetzt mag i scho gar nix mehr hör'n.«

Und die Heißin schlug die Küchentüre hinter sich zu.


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