Ludwig Thoma
Der Jagerloisl
Ludwig Thoma

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Herr von Fries ließ sich durch Loisls Brief erweichen und nahm sich vor, den armen Kerl nicht vergeblich warten zu lassen.

Allerdings mußte er noch Muckis Einwilligung erhalten.

Da sie ihren Besuch auf vormittag angesagt hatte, konnte er sie ja mündlich umstimmen und ihr begreiflich machen, daß er auf die Jagd gehen müsse, daß er nicht immer absagen könne.

Eigentlich komisch, daß man sich ein Vergnügen als Pflicht gefallen ließ.

Er liebte diese anstrengenden Reviergänge nicht, und er unterzog sich ihnen bloß, weil es ihm ein gewisses Ansehen gab, oder weil er sich nun einmal darauf eingelassen hatte, die Jagd zu pachten.

Dabei hatte er aber stets das Gefühl, unter einem Zwange zu handeln.

Warum lief er sich müde, übernachtete in schlechten Betten, stand vor Tag auf?

Sicherlich hätte er das alles bleiben lassen, wenn nicht der Loisl gewesen wäre.

Der junge Kerl war von ihm abhängig und war sein Angestellter, aber er setzte seinen stärkeren Willen durch und zog ihn, den Herrn von Fries, mit.

Er mußte sich Seitenstechen herlaufen, in verrußten Hütten übernachten, oft in Nässe und Kälte aushalten.

Warum eigentlich? Weil er sich scheute, die Wahrheit zu sagen, daß er viel lieber in seinem komfortablen Hause bleiben wolle.

Schon oft hatte er sich darüber Vorwürfe gemacht, wenn er schwitzend hinter seinem Jäger herlief und manchmal war er zornig über sich selber und über Loisl geworden, und war sich als willenloses Opfer vorgekommen.

Er konnte sich darüber ertappen, daß er erlöst aufatmete, wenn ihm ein aufsteigendes Gewitter eine gute Ausrede vor dem Jäger bot. Und alles das hieß man dann Vergnügen.

Herr von Fries sog den Rauch seiner Zigarette ein und stieß ihn durch die Nasenlöcher aus, indes er sich diesen tiefen Gedanken hingab.

Trotzdem wollte er, nein, mußte er Loisl wieder einmal nachgeben, denn der Brief hatte etwas so Eindringliches.

Er wäre viel lieber in angenehmer Gesellschaft spazieren gefahren, als bei der Hitze herumgeklettert.

Eine helle Stimme vor dem Gartentore.

»Schnucki!«

»Mucki! Du da?«

Sie war es. Fräulein Mia Albo, ehdem Poldi Weiß genannt als Tochter eines k. k. Finanzwachrespizienten in Salzburg, nunmehr Star an einem Münchner Theater.

Aber sie kam nicht allein.

Ein Herr mit aufleuchtenden, bedeutend blickenden Augen, mit glattrasiertem Gesichte, mit zurückgeworfenem Haupte war bei ihr.

Schauspieler und Regisseur Morton, ehedem – ja wie hatte er ehedem geheißen? Er hatte irgendeinen Namen geführt, den ein boshafter Feldwebel und Steuerbeamter seinem galizischen Großvater aufgehängt hatte, und der Geheimnis bleiben mußte.

Fräulein Mia hüpfte wie ein Kind, das Reifen springt, auf Fries los.

Sie fiel stets ins kindlich Naive, wenn sie ein schlechtes Gewissen hatte, aber der gutmütige Fries merkte es nicht.

Das Kindliche entzückte ihn.

»Schnucki-Bucki!«

»Na, du Wildfang?«

»Hier stell ich dir meinen bitterbösen Regisseur vor... Herr Morton.«

Der Schauspieler lächelte herablassend. So als wollte er sagen: »Ja, ich bin es. Nun haben Sie den berühmten Gegenstand Ihrer Bewunderung vor sich...«

Er kam dem ehrerbietigen Baron entgegen und gab sich menschlich jovial.

»Aber Sie wohnen hier ganz reizend. Dieser Goarten, diese Fontäne, diese Blumenbeete, dieses Haus, ein Schlupfwinkel des Glickes, ein Idille...«

Er schüttelte ihm aufmunternd die Hand.

»Denk dir nur, Schnucki«, erzählte Mia, »wie ich heute frühstücke und ein bißchen an dich denke, läutet es. Wer kommt? Mein gestrenger Regisseur. Ich erschreck förmlich. Was ist los? Hat es im Theater was gegeben?«

»Bin ich denn ein solcher Wauwau?«

»Aber ja! Wann man an gar nichts denkt, bloß im Genusse der Natur schwelgt, und dann stehen Sie, wie eine Mahnung, plötzlich vor mir...«

»Das ist schmerzlich, so als Tyrann zu erscheinen. Ich wollte auch einmal die freie Luft der Berge atmen...«

Nun kam Herr von Fries zum Worte.

Er lud seine Gäste ein, Platz zu nehmen, doch Morton bat, vorher telefonieren zu dürfen.

Fries wollte ihn führen.

»Nein, bidde, keine Störung! Das Mädchen wird mir zeigen... bidde, zu bleiben...«

»Schnucki«, sagte Mia, als sie mit dem Freunde allein war, »Schmucki, es ist schauderhaft! Dieser gräßliche Mensch verdirbt uns ein paar Tage.«

»Wenn er nicht länger bleibt... das ist nicht so schlimm.«

»Wie gleichgültig du bist! Zwei reizende Tage mit dir allein, ist das nichts? Aber weißt du was, ich versetz' ihn einfach...«

»Fahren wir weg!«

»Himmlisch!« Mia jauchzte auf, doch gleich versank sie wieder in ernste Stimmung.

»Er wird mir dann allerdings die Rhodope nehmen, weißt du, im Gyges...«

»Mach dir keine Unannehmlichkeiten, Mucki. Die paar Tage sind bald vorbei...«

Mia seufzte.

»So gefreut habe ich mich, mit dir allein zu sein, und da kommt der gräßliche Mensch daher! Mir is er zuwider, ich kann dir gar nicht sagen, wie...«

Er tätschelte ihre Wange.

»Armes Hascherl...«

»Mir is es auch wegen dir. Ich weiß, du hast die Art Leute nicht gern...«

»Ich will dir was sagen, Mucki, es trifft sich zufällig ganz gut. Ich muß wohl oder übel einmal auf die Jagd.«

»Dann strengst du dich wieder so an...«

»Ich kann's dem Loisl nicht abschlagen...«

»Ich werd ihm sagen, er soll ja auf dich acht geben...«

»So schlimm wird's nicht. Ich gehe heut nachmittag mit ihm...«

»Aber abends bist du zurück?«

»Wahrscheinlich...«

»Nein... sicher! Bitte, bitte! Sonst darfst du nicht weg.«

»Schön... Ich komm bestimmt heim...«

»Dann fahre ich Nachmittag mit dem gräßlichen Menschen nach Kaltenbrunn...«

Der gräßliche Mensch kam eben eilig aus dem Hause. »Ich war in Ihrem Studio, Herr Baron. Ein Kleinod! Ich bewundere Ihren Geschmack. Alles ist hier entziggend... dieser Goarten, diese Fontäne, diese himmlische Ruhe!«

Fries machte im Laufe des Gespräches den Vorschlag, nach Tegernsee überzusetzen, im Hotelgarten zu essen und...

»Und dann«, fiel Mia ein, »muß mein armer Schnucki auf die Jagd gehen. Aber nicht wahr, du wirst dich nicht echauffieren?«

»Ich werde mich meiner Familie zu erhalten suchen.« Ein frischer Wind kräuselte kleine Wellen auf, als sie über den See fuhren.

Alle Bergwiesen leuchteten im hellen Grün; manchmal zogen Wolkenschatten darüber weg.

»Es ist zauberhaft. Es ist... es ist über alle Beschreibung härrlich!« schluchzte Morton. »Hier versteht man den Segen, den die reine Natua auf ein menschliches Gemieth ausiebt...«

Er riß seine Augen überweit auf, um all die Schönheit zu trinken.

»Sie sind ein beneidenswerter Sterblicher«, wandte er sich an Fries. »In einem solchen Paradiese leben zu dierfen. Mit Engeln...«, setzte er schelmisch lächelnd hinzu.

Man aß im Hotelgarten.

Nach dem Kaffee wollte sich Fries verabschieden. »Ich begleite dich«, sagte Mia. »Herr Morton bleibt hier und inspiziert die Damenwelt. Ich hole Sie dann zum Motor ab.« Sie ging mit Fries zum See hinunter.

»Warum fahren wir jetzt nicht zusammen zu dir hinüber? In Ruhe und Schönheit?«

Sie seufzte.

Er dachte an Hitze und Klettern und seufzte auch.

Ja, warum machte man sich selber Ungelegenheiten?

Am Ufer nahmen sie herzlichen Abschied voneinander.

Mia stand lange auf dem Landungsstege und winkte mit dem Taschentuche.

»Adiö! Adiö! Heute abend!«

Sie ging wieder zurück zu Morton, der sie lächelnd empfing.

»Hast du deine Wurzen glücklich an'bracht?« fragte er.


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