Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Zwölftes Kapitel

»Ich muß mir darüber klar sein«, sagte Tobias Bünzli, der in der Unterhose vorm Spiegel stand und sich im Selbstgespräch ernsthaft ins Auge faßte, »es kann eigentlich kein Zweifel darüber obwalten, daß ich bloß als Dichter bei dieser Familie Aussichten habe ...«

- – »wenn von reellen Aussichten überhaupt die Rede sein kann ...« fügte er hinzu und betrachtete etwas mißtrauisch sein Spiegelbild.

Mit raschem Entschlusse ging er zum Waschtische, tauchte ein Handtuch in die Schüssel und fuhr sich mit dem nassen Zipfel übers Gesicht. Das hatte ihm stets genügt; oft hatte er sogar darauf verzichtet. Gleich stellte er sich wieder vor den Spiegel und zog sich einen Scheitel. Eine Haarwelle, mit dem angenetzten Kamme in die Stirne gelegt, wirkte so ansprechend, daß sich Bünzli anlächelte.

... »Warum sollten auch reele Aussichten gänzlich fehlen?« Man hatte doch schon öfter gehört, daß vermögliche Leute ihre Töchter an geistige Kapazitäten sehr gerne hingegeben hatten. Im Bekanntenkreise der Bünzlis von Winterthur allerdings nicht.

Im Kreise der Bünzlis war man eher geneigt, das Gewerbe der Schriftstellerei für verlumpende Zeitvertuerei zu halten. Aber in Berlin sollte doch die Dichtkunst im höchsten Ansehen stehen, wie man vernahm. Einige ihrer Jünger sollten sich dort sogar mit sehr reichen Mädchen verheiratet und ihre Existenz auf die allersolideste Basis gestellt haben. Ja, man hörte von Leuten, die es wissen mußten, daß reich gewordene Familien im Westen der Großstadt eine förmliche Jagd auf Berühmheiten machten.

Und bestätigte nicht das Benehmen dieser Frau eigentlich dieses Gerücht?

Gleich nach der Verkündung seines Ruhmes im Piebinger Blatte überschüttete sie ihn mit Aufmerksamkeiten.

Er mußte an ihrem Tische Platz nehmen und dem lebhaftesten Interesse an seinem Schaffen begegnen.

Sie war ihm beinahe lästig geworden, und er hatte sie für eine entsetzliche Schneegans erkannt, als sie ihm empfohlen hatte, auch einen Roman wie Teddy Nabob zu schreiben.

Aber der Bünzlische Familiensinn für Kapital und Zinsen hielt ihn ab, ungeduldig zu werden, und ließ in ihm den Entschluß reifen, aus den Schwächen dieser dummen Person Vorteile fürs Leben zu ziehen.

Mit dem Mädchen kannte er sich noch nicht so recht aus. Es hatte ein schnippisches Wesen an sich und war mit den gewöhnlichen Mitteln nicht sogleich zu betören.

Tobias strich die Haarwelle etwas tiefer in die Stirne und probierte einen schwermütigen Blick, der zu den gewöhnlichen Mitteln zu gehören schien.

Diese junge Person machte zuweilen vorlaute Bemerkungen, die einen erheblichen Mangel an Ehrerbietung verrieten.

Aber sie hatte auch wieder andere Zustände.

Sie war doch verändert, seit er ihr die Seufzer des Entzündeten geschickt hatte, und sie lächelte manchmal herausfordernd, wenn er ihr seine Blicke ins Gesicht pflanzte.

Wer weiß?

»Jedenfalls ist es klar«, wiederholte Bünzli im Selbstgespräche, »jedenfalls kann kein Zweifel darüber obwalten, daß ich den Versuch machen muß, solange ich noch ... hm ...«

»Solange ich noch Dichter bin«, wollte er sagen.

Der letzte Bericht der Handelsbank, bei der er sein kleines Erbteil hinterlegt hatte, war betrübend gewesen und hatte ihm die Rückkehr in die Gemischtwarenbranche vor Augen gestellt. »Jetzt wäre der Zeitpunkt ...« sagte Bünzli nachdenklich und schaute in den Spiegel.

Er zog die Mundwinkel abwärts und ließ die halbgeschlossenen Augen in die Ferne schweifen, – Träumerei.

Er kniff die Lippen zusammen und öffnete die Augen sehr weit, – Sehnsucht.

Er spitzte den Mund und setzte zu einem lieblichen Lächeln an . . . da klopfte es zweimal ziemlich laut.

Herein!

Die Türe wurde beinahe ungestüm aufgerissen, und da – als hätten ihn die so stark auf seine Familie gerichteten Gedanken hergezogen – stand Herr Schnaase im Zimmer.

Mit einem raschen Blicke umfaßte er die Gestalt und Erscheinung des Dichters. Unterhose von vorvoriger Woche, Hemd ähnlichen Datums, außerdem ohne Manschetten. Mit einem zweiten Blicke überflog er die kleine Stube, Waschschüssel, nasses Handtuch, verknüllten Anzug auf dem Sofa, Bücher auf einem Stuhl, Papier auf dem andern, Hemdkragen und Krawatte auf dem Tisch, daneben ein Kamm.

»Schmierfinke«, dachte sich Schnaase und sagte zugleich herzlich und wohlwollend: »Lassen Sie sich ja nicht stören und machen Sie sich ungeniert fertig. Ich bin etwas zu früh gekommen, wie ich sehe ...«

»Mit was kann ich dienen?« fragte Bünzli etwas beklommen, denn auch die freie Dichterseele fühlt sich befangen in einer alten Unterhose vor einem Manne, der als Schwiegervater ins Auge gefaßt ist.

»Mit was Sie mir dienen können?« fragte Schnaase zurück.

»Tja ... das läßt sich nich so einfach sagen. Das müssen wir schon eingehender besprechen. Aber wie gesagt, erst ziehen Se sich mal in Gemütsruhe an.«

»Darf ich Sie einladen, Platz zu nehmen?«

»Gerne, aber wo?«

Bünzli stürzte sich auf einen Stuhl, warf die Papiere herunter und bot ihn Herrn Schnaase an, der nun mitten in derStube saß und mit Neugierde allerlei Intimes beobachtete.

»Es tut mir leid, daß ich mich in diesem Aufzuge vor Ihnen präsentiere.«

»Präsentieren Se sich ruhig, junger Mann. Ich bin nich schenierlich.«

Bünzli schloff in die Hose und knöpfte hastig die Hosenträger ein; der rechte war sehr schadhaft und ausgefranst. Den Hemdkragen, der auch nicht mehr blütenweiß war, hatte er bald an, und die Krawatte schlang er lieblos, wie einen Strick, zu. Nanu?

Bünzli nahm Weste und Rock, aber er war immer noch barfuß. Und richtig, da lief er zur Türe und holte von draußen Stiefeletten mit Gummibezügen und steckte die Pedale hinein, wie sie Gott geschaffen hatte.

»Hören Sie mal und nehmen Sie mir die Frage nicht übel. Is das so 'ne Art Naturmethode von Ihnen?«

»Wie meinen Sie?«

»Ich meine, weil Sie Ihre Gebrüder Beeneke so ohne Strümpfe lassen?«

»Es ist bedeutend kühler so ...«

»Sehen Se mal, – kühler. Ich dachte gleich, es is so was wie Kneippkur ... natürlich, Jeschmäcker sind verschieden ... und nu zu meinem Anliejen. Aber nich wahr, selbstmurmelnd bleibt die Sache in de Familie?«

»Es liegt nicht in meiner Natur, ein Vertrauen zu mißbrauchen ...«

»Bong! Denn lobe ich die Natur. Aber wenn ich sage, in de Familie, so meine ich unter uns beide. Meine Frau bringt Ihnen als Dichter das gewohnte grenzenlose Interesse entgegen und da könnten Sie ganz zufällig in den vielen Gesprächen über Poesie auf mein Anliegen zu sprechen kommen. Das darf natürlich nicht passieren ...«

»Ihr Vertrauen ist mir heilig«, sagte Bünzli.

»Heilig is jut. Die Sache is ja harmlos, aber jeder Mensch hat nu mal seine Geheimnisse und muß se haben, denn wenn alles rauskommt, wird die Ehe verrungeniert. Das können Se sich für Ihr späteres Leben merken, junger Mann, und nu sagen Se mal, Sie machen so hübsche Verse, wie ich höre?«

Über Tobias kam eine leichte Verlegenheit.

Sollte der Vater Kenntnis haben von den entzündeten Zeilen? Er räusperte sich.

»Es ist naturgemäß«, sagte er, »daß man für stärkere Empfindungen gewagte Bilder sucht, und das ergibt sich eigentlich von selbst. Man ist gewissermaßen der Vollstrecker einer höheren Gewalt ...«

»Jawollja ... Sie machen also Verse, und zwar so 'n bißchen pikant, was? So fürs Jemüt?«

Schnaase drückte das linke Auge zu und lächelte vielsagend.

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen ...«

»Na, Sie unschuldsvoller Engel ... ich meine so'n bißchen stark dekolletiert.«

»Ich kann mich nicht erinnern, daß ich etwas Derartiges geschrieben habe ...«

»Hören Se mal, Sie sin doch der gewaltige Erotiker!«

Bünzli atmete auf. Er wurde also doch nicht zur Rede gestellt von einem entrüsteten Vater.

Übrigens sah Herr Schnaase auch so vergnügt und lebensfroh aus, daß man ihn nicht für einen strafenden Richter halten konnte.

Und Tobias lächelte geschmeichelt.

»Ich bin allerdings in einem Blatte als Erotiker der Zukunft bezeichnet worden ...«

»Habe ich gelesen, und sagte mir sofort, dann sind Sie auch der Erotiker der Gegenwart, und Sie werden sich den ehrenvollen Titel wohl richtig verdient haben ...«

»Es bezieht sich auf eine größere Dichtung von mir, das violette Chaos ...«

»Na ebend! Und daneben machen Sie wohl so gepfefferte Schansongs? Was?«

»Nicht im entferntesten! Ich bin offenbar bei Ihnen verleumdet worden ...«

»I wo! Das is doch gerade das, was ich will ...«

»Es ist eine böswillige Verleumdung ...«

»Was heißt Verleumdung? Kein Mensch hat 'n Ton zu mir gesagt. Das is doch nur die einfache, logische Schlußfolgerung aus Ihrer anerkannten Eigenschaft als Erotiker ...«

»Ich verstehe aber nicht ...«

»Passen Se mal Obacht! Haben Se schon die kleine Bummsdiva gesehen, die sich hier aufhält?«

»Die Tochter vom Schlossermeister?«

»Jawollja ... Sie sind im Bilde. Na also, ich protegiere die Krabbe 'n bißchen. Sie brauchen sich nichts dabei zu denken; in allen Ehren und als der geborene Theateronkel. Nu hört die junge Dame, daß wir nächstens 'n Feez veranstalten, sonne venezianische Nacht am See, und da kam sie auf die Idee, daß sie sich bei der Gelegenheit mal den Altaichern zeigen könnte. Verstehen Se, ne Art Rehabilitation, damit die Banausen, sagt se, doch mal sehen und begreifen, wer und was se is. Na, Sie wissen ja, wenn sich mal 'n Frauenzimmer was in Kopp setzt. Und nu die Hauptsache. Sie will etwas vortragen, verstehen Se, was die Situation beleuchtet, was eigens dafür gedichtet is. Ne Satire auf muffige Spießbürger und 'n Sang an die goldene Freiheit, und das Ganze orntlich gesalzen und gepfeffert ... Na also, wollen Se das machen?«

»Ich?«

»Jawollja. Ich sagte mir, Sie sind der Mann dazu ...«

»Ich soll ein Gedicht machen ...«

»Das war meine Idee. Ich kann es nicht anders leujnen. Ich habe sofort zu dem Mächen gesagt: wissen Se was, hier is zufällig der berühmteste Erotiker als Kurgast anwesend. Das trifft sich ausgezeichnet! Der macht Ihnen das, sagte ich, mit 'n Wuppdich. Wenn Se bereit sind, junger Mann, mein Vertrauen zu rechtfertigen, so sprechen Se: ja! ...«

»Ich bin doch überhaupt nicht in der Lage, eine solche Aufgabe zu übernehmen ...«

»Sie sin nich in der Lage? Erlauben Se mir die Randbemerkung, daß ich mich natürlich erkenntlich zeigen werde ...«

»Ich denke nicht an die pekuniäre Seite der Angelegenheit. Aber es ist nicht mein Genre ...«

»Na, hören Se mal, wenn Se schon Dichter und Erotiker sind, dann kann Ihnen doch so was nich schwer fallen. Das Mächen legt nur Wert darauf, daß der Kontrast rauskommt, verstehen Se, zwischen das Schwerfällige und das Leichtbeschwingte ...«

»Ich kann Ihnen da wirklich nicht dienen ...«

»Machen Se keene Menkenke, Verehrtester! Ich komme ja in die allergrößte Verlegenheit. Ich habe nämlich der jungen Dame die Sache bestimmt versprochen, weil ich mich auf Ihr bewährtes Talent verließ ...«

»Ich kann es nicht übernehmen ...«

»So versuchen Se's wenigstens! Den Gefallen können Se mir tun, und wenn's auch nicht eins a wird, das schadt doch nischt. Für die hiesige Bevölkerung wird's wohl noch langen ...«

»Ich muß Ihnen sagen, Herr Schnaase, daß ich in einer solchen Aufgabe eine Entweihung erblicke ...«

»Is 's doch de Menschenmöglichkeit! Entweihung! Nu will ich Ihnen aber doch was sagen, Verehrtester! Entweder es is eener 'n Dichter, denn soll er dichten, oder es is eener keen Dichter, denn soll sich nich dicke tun als Erotiker ...«

Herr Schnaase sah sehr verärgert aus, als er sich bei den Worten vom Stuhle erhob, und Bünzli verstand, daß man erhoffte Schwiegerväter nicht zu erbitterten Feinden machen dürfe.

»Wenn Sie es absolut wünschen«, sagte er, »dann könnte man die Sache noch in Erwägung ziehen.«

»Ziehen Se! Was is denn schon dabei? Ich sage Ihnen ja, es braucht nicht eins a zu sein, und Se mit Pegasussen nich zurecht kommen, denn rufen Se mich. Ich habe zwar im Leben nich gedichtet und bin keen Erotiker, wenigstens keen schriftlicher, aber 'n paar Ideen können Se immer von mir haben ...«

»Ich will es versuchen ...«

»Wie lange brauchen Se dazu?«

»Ich muß erst abwarten, ob die Stimmung über mich kommt.«

»Verdudeln Se nicht die Zeit! In acht Tagen is der Feez, und das Mädchen muß Ihre Verse erst noch auswendig lernen. Zu was brauchen Se denn Stimmung? Machen Se Hopsassa, Trallala und 'n bißchen was drum rum!«

»Es ist mir so ungewohnt ...«

Schnaase fürchtete neue Bedenken und verabschiedete sich rasch.

Vor dem Hause blieb er stehen und bohrte den Stock in den Boden.

»Haste Worte for sonne Sorte? Entweihung sagt der bocksdemliche Bouillonkopp! Was der macht, das wird Murks. Aber meinetwegen, gut oder schlecht, denn hat doch das Mächen seinen Willen ...«

Oben am Fenster stand Tobias Bünzli, in Nachdenken versunken.

»Eigentlich ist er ein frivoler Lumpenhund«, sagte er.

Denn die Winterthurer lieben starke Worte.

Herr von Wlazeck stand vor der verschlossenen Stalltüre und klopfte heftig mit dem Spazierstocke an.

»Sie, ich mach Sie aufmerksam, daß sich dieser Widerstand gegen Ihren Brotherrn richtet. Wenn Sie nicht sofort öffnen und die Befehle ausführ'n werden, können Sie sich auf das Schlimmste gefaßt machen. Was fällt Ihnen ein? Was erlauben Sie sich denn? Einfach die Stalltüre schließen!«

Hansgirgl saß drinnen auf der Haberkiste und ließ den Oberleutnant klopfen und schimpfen.

»Sie, ich mach' Sie aufmerksam, treiben Sie die Sache nicht auf die Spitze! Man wird Sie mit Brachialgewalt deloschieren, wenn Sie die Autorität Ihres Dienstherrn verhöhnen!«

Wlazeck horchte.

Es blieb zuerst still, und dann hörte er die leisen Töne eines Posthorns. Hansgirgl probierte einen Schleifer. Allmählich schwollen die Töne an, und zuletzt schmetterte es lustig und altbayrisch im Stalle, daß die Gäule munter wurden und in ihren Ständen scharrten.

»Also das ist der Gipfelpunkt der Unverschämtheit!«

Herr von Wlazeck eilte in grimmiger Entschlossenheit über den Hof, ins Haus, in die Gaststube.

»Wo ist der Herr Posthalter?«

Die Kellnerin wußte es nicht.

Er stürzte in die Küche.

»Ich bidde, wo is der Herr Posthalter?«

»Ich weiß wirkli net. Aber was hamm S' denn, Herr Baron?«

»Was ich habe?«

»Sie san so aufg'regt ...«

»Bin ich auch! Ich bin wietend. Ich bin außer mir!«

»Ja, was waar denn net dös? So a gmüatlicher Herr!«

»Es gibt Dinge, liebes Freilein Josefa, die mich in einen wahren Taumel der Wut versetzen; die ich einfach nicht ertrage. Und dazu gehört die Flegelhaftigkeit eines untergeordneten Subjektes. Aber wo kann ich den Posthalter finden? Ich muß ihn sofort sprechen ...«

»Vielleicht is er beim Dings drüben, beim Bader Möhrl . . .«

»Das ist nebenan? Also ich danke bestens. Ein andermal komm' ich schon zum Plauschen in Ihre Kuchel ...«

Wlazeck eilte hinaus und prallte im Hausgang auf den Blenninger Michel.

»Herr Posthalter, ich appelliere an Ihre Autorität. Ich lege Beschwerde ein bei Ihnen, und ich verlange die unnachsichtige Bestrafung dieses Menschen, der Ihren Befehlen Hohn spricht ...«

»O – hö – hö! Was is denn?«

»Was is? Bidde, kommen Sie! Gehen Sie mit zum Stall! Sie werden die Türe versperrt finden trotz Ihrer ausdriecklichen Anweisung, daß ich heute morgen Ihren Gaul ausreiten soll ...«

»Herrschaftseit'n! Hat der Malafiz Hansgirgl ...«

»Zug'sperrt hat hat er. Posthorn blast er. Pfeif'n tut er. Auf Sie verehrter Herr Posthalter, und auf Ihre Befehle.«

Blenninger schob seine Hauben nach vorne und kratzte sich hinter den Ohren.

»Jetzt, da schau' her! Es is aber scho wirkli a Kreiz mit de bockboanig'n Luada! ... Zuagsperrt hat a? Ja, was tean ma'r jetzt da?«

Die treuherzige Frage erregte bei Wlazeck neue Entrüstung.

»Was wir tun? Bedauere, darüber keine Auskunft geben zu können.Wann Sie überhaupt noch im Zweifel sind, als dann bin ich nicht in der Lage, Ihnen Direktiven geben zu können. Was ich täte, wenn ich Dienstherr wäre, das weiß ich. Ich möchte diesen obstinaten Flegel mit Brachialgewalt über den Hof herüberbefordern und bei jener Öffnung hinausscheißen. Sie scheinen aber duldsamer zu sein.«

»Ja no, dös san so Sach'n ...«

»Gewiß. Aber jedenfalls darf ich annehmen, daß sie mir die versprochene Benützung des Pferdes ermöglichen. Was Sie sonst für Maßnahmen gegen die eklatante Verhöhnung Ihrer Autorität ergreifen, und ob Sie überhaupt die Verpflichtung fühlen, in Ihrem Hause die Gesetze der Disziplin aufrechtzuerhalten, das ist Ihre Sache. Mich geht das Gott sei Dank, nichts an.«

»Jessas na! Solchene Zwidrigkeit'n in aller Fruah! Ja, was sagt er denn eigentli, warum er net mag?«

»Nix sagt er. Posthorn blast er. Hohnsprechen tut er Ihnen.«

»Passen S' auf. I geh amal num und red damit. Na wer' ma's scho sehg'n ...«

»Ich möchte Sie begleiten. Ich finde, daß Sie ihn in meiner Gegenwart zur Abbitte zwingen müssen.«

»Na ... na! Dös is nix. Da machet 'n mir an Krach bloß irga. I geh num dazua, und Sie wart'n daweil. Na wer'n Sie 's Roß scho kriag'n. Gar so pressiert's ja net.!«

»Wie Sie meinen. Am Ende haben Sie recht. Es ist wirklich besser, wann ich bei dieser Art von Auseinandersetzung nicht präsent bin. Mir mangelt das Verständnis für diese Art des Umgangs mit obstinaten Untergebenen ...«

Wlazeck wollte noch einiges sagen, aber der Blenninger schritt schon gemächlich zum Stalle hinüber.

Vor der Türe pfiff er.

»Hansgirgl!«

»Was is?«

»Mach amal auf! I hätt' mit dir was z'red'n ...«

Der Schlüssel kreischte im Schloß, und die Türe ging langsam auf.

Blenninger tratt ein und schaute kopfschüttelnd seinen rauhhaarigen Hansgirgl an.

»Was machst d' ma denn für a Gaudi her?«

»I mach koa Gaudi.«

»Net? Wenn ma der ander den größt'n Krach hermacht!«

»Von dem lasset i mir scho nix sag'n ...«

»Ja no, i hab's eahm halt amal vasprocha, schau! Was liegt denn dro? Laß den spinnat'n Deifi reit'n, wann er scho reit'n muaß.«

»Und an Stutz hab i nacha krummb im Stall.«

»Von oamal werd a net krumm, und a zwoatsmal kriagt er 'n nimma. Dös vasprich i dir.«

Der grimmige Hansgirgl schaute noch immer finster vor sich hin.

»Für mi waar's a Blamaschi ...« bat der Posthalter.

»Na soll er'n halt nehma, der Hanswurscht, der dappige! Aber dös is ausg'macht: I sattel eahm an Stutz net. Vo mir aus wer mag!«

»Hast wenigstens 's Sach herg'richt?«

»Da hint' flackt's«

»No also«, sagte der Blenninger aufatmend. »Nacha is ja all's recht. Da Polizeideana hat g'sgt, er sattelt 'n scho.«

»Da Muckenschnabl? Der werd was vasteh'!«

»No, er war do lang gnua bei de schwar'n Reita.«

»M-hm. Weil 's de so guat kinnan! Na ... da satt'l i an Stutz liaba selm. Aba da herin im Stall, und bal er firti is, führt 'n der Sepp außi. Sehg'n mag i's net, wia der Gschwollkopf aufsitzt.«

Der Posthalter lächelte, aber verstohlen.

Denn sehen durfte es der Hansgirgl nicht, sonst hätte er die Haare wieder aufgestellt.

»I woaß ja, du bist ganz recht«, lobte ihn der Blenninger. »Mit dir muaß ma bloß richti dischkrier'n. Der ander werd di halt in d' Höh trieb'n hamm?«

»Der? Ja! In da Fruah waar er alle halbe Stund daher kemma, befehl'n hätt' er mög'n, mit 'n Stecka hätt' er an d' Tür hi' g'schlag'n. Schlag no zua, hon a ma denkt, du damischa Ritta, du gschwollkopfata! Moanst d' vielleicht, du bist in da Kasern. Erst recht net, hon a ma denkt ...«

Der Posthalter nickte beistimmend mit dem Kopfe.

»Was si so a Mensch ei'bild't?« sagte er. »Du bist do net für eahm do! Waar scho guat! Aba jetza, gel tuast d' mir den G'falln und machst de G'schicht firti ...«

Hansgirgl knurrte was vor sich hin, und der Blenninger ging erleichtert ins Haus zurück und sagte zu dem ungeduldig wartenden Wlazeck:

»No also! Es feit si ja nix! Sie kriag'n an Gaul, und de G'schicht hat si g'hob'n. Wenn i amal was sag, nacha g'schiecht's aa; da hätten S' koan Zweifi net z' hamm braucht ...«

»Wirklich? Da darf man also gratulieren, daß Sie dieses Entgegenkommen doch noch erreicht haben.«

»Da hat's gar nix braucht. I kenn an Hansgirgl, und da Hansgirgl kennt mi ...«

»Sehr schön, aber in Ihrem eigenen Interesse wäre es, daß sich dieser unverschämte Kerl bei mir entschuldigen mießte ...«

»Na ... na! De G'schicht'n mag i net. I möcht jetzt mei Ruah, und Sie kriag'n an Gaul ...«

Damit drehte sich der Posthalter gleichmütig um und ging ins Gastzimmer.

Nach einer Viertelstunde führte der Stallbub den Stutz in den Hof. Hansgirgl ließ sich nicht sehen. Er stand hinter der Türe und schaute durch einen Spalt zu, wie der Gschwollkopfete aufsaß, und wie der Stutz unwillig seine Ohrwaschel zurücklegte. Bäumen mochte er sich nicht; dazu war er viel zu faul, aber er wieherte laut und klapperte langsam durch den Torweg. Draußen blieb er wieder stehen.

Herr von Wlazeck preßte die Oberschenkel an, aber auf solche Geschichten ließ sich der Stutz nicht ein. Erst wie ihm der Posthalter mit der Hand eins hinten drauf klatschte, ging er weiter.

Der Plan des Herrn Oberleutnants war, bis zur Einmündung der Sassauer Straße zu reiten, dort umzukehren und dann den Platz in vornehmer Haltung zu überqueren. Vor der Post wollte er die Schnaaseschen Damen ritterlich grüßen und in schlankem Trab nach links abreiten.

Der Plan war gut, und das Geschick war günstig, denn die Schnaaseschen Damen standen oben am offenen Fenster.

Aber am Stutz fehlte es.

Er war als bayrischer Postschimmel rauh und kratzbürstig geworden, und wie alle älteren Staatsdiener beherrschte ihn die Einbildung, daß er übers Gewohnte und Hergebrachte hinaus zu nichts verpflichtet sei.

Als er an die Sassauer Straße kam, auf der er seit sechs Jahren Tag für Tag den Postwagen zog, mußte er glauben, daß er als Reitpferd den gleichen Weg zu gehen habe.

Herr von Wlazeck, der umkehren wollte, faßte die Zügel kürzer und zog.

Es half nichts.

»Dummer Kerl«, dachte der Stutz. »Ich muß doch besser wissen, wo es nach Sassau hinausgeht.«

»Bästie!« murmelte der Oberleutnant, der ahnte, daß viele Augen auf ihn gerichtet waren. Oben waren die Damen, untern Tore stand der Blenninger, drüben ließ sich Herr Natterer sehen, an verschiedenen Fenstern zeigten sch Leute.

»Schinderviech!«

Hätter er gewußt, daß hinterm Blenninger der Martl und der Hansgirgl standen und grinsend alles beobachteten, wäre sein Unwille noch gewachsen.

Der Seppl lief herbei.

»An schönen Gruaß vom Posthalter, ob Sie umkehren möcht'n?«

»Aber ja! Ich wäre schon umgekehrt, wann dieses Vieh nicht eine Haut hätte wie ein Rhinozeros ... Dreh den Heiter um!«

Seppl tat es.

»Gegen zwei kann man nix mach'n«, dachte der Stutz. »Wenn er net nach Sassau will, was will er dann nachher?«

Quer über den Platz zur Fensterpromenade wollte Herr von Wlazeck; ritterlich grüßen wollte er und links abreiten.

Der Stutz ging mürrisch etliche Schritte vorwärts. Die Geschichte gefiel ihm gar nicht. Was waren denn das für neumodische Sachen? Überhaupt gehörte der Hansgirgl zu ihm. Der verstand ihn und blies ihm auf dem Posthorn schöne Lieder vor, bei denen sich's gemütlich traben ließ.

Und jetzt saß ein fremder Mensch auf ihm, der einmal riß und einmal zog und ihm die Beine an die Rippen preßte, und der in umbekannte Gegenden reiten wollte.

»Das ist nichts«, dachte der Stutz, und er versuchte es einmal mit seinem probaten Mittel, das er immer anwandte, wenn der Hansgirgl zu lange Trab haben wollte.

Er blieb stehen und schützte eine Notwendigkeit vor, die man achten muß. Als alter Schimmel hatte er das so los, daß man ihn nicht leicht als Betrüger entlarven konnte.

Der Hansgirgl war dabei immer voller Rücksicht und pfiff für ihn eine anregende Weise.

Herr von Wlazeck pfiff aber nicht, sondern wollte zornig das Geschehnis verhindern.

»Bästie elende!« fluchte er und riß am Zügel und schaute verstohlen zum Fenster hinauf.

Er mußte den Schinder an seinem Vorhaben verhindern.

Aber das gab es beim Stutz nicht.

Erst recht nicht, weil man ihm den Absatz in die Seite stieß.

Er streckte sich in die Länge und auf einmal hörte er die anregende Weise.

Der Hansgirgl pfiff sie unterm Tore.

Martl lachte. Der Posthalter schmunzelte.

Oben am Fenster tauchte Herr Schnaase auf.

»Sieh mal, Karline«, sagte er, »was man dir für ne pompöse Fensterpromenade abhält ...«

»Du bist taktvoll, wie immer«, erwiderte sie und zog sich unmutig zurück. Auch Henny verschwand. Sie warf sich auf einen Stuhl und lachte so laut, daß man sie auf dem Platze unten hören mußte.

Es war eine infame Situation.

Bog nicht der Stutz den Kopf zurück und lächelte zum Hansgirgl hinüber?

Und Herr von Wlazeck saß unbeweglich hoch zu Roß wie ein Denkmal auf dem Altaicher Marktplatze.


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