Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Sechstes Kapitel

Auf der Nord- und Westseite des Sassauer Sees treten große Fichtenwälder ans Ufer heran, gegen Süden und Osten hemmen rasch ansteigende Hügel den Blick. Etliche Höfe liegen oben, deren Dächer über den Kamm herüber lugen.

Hie und da tönt von droben Hundegebell oder der Klang einer Glocke, die zur Mittagszeit die Ehhalten heimruft.

Aber wenn sich der Schall im Walde verliert, verstärkt er das Gefühl der Einsamkeit für einen, der am Ufer sitzend ins klare Wasser schaut.

Auf einer Halbinsel, deren Raum es beinahe ausfüllt, liegt das alte Benediktinerkloster Sassau.

Es stimmt eigen, wenn man ein mächtiges Gebäude, einstmals der Mittelpunkt eines nach allen Seiten hin wirksamen Lebens, verlassen und unbenützt sieht. Man sträubt sich dagegen, daß alles, was man hier als Ergebnis der Arbeit, des Fleißes und der Kunstfertigkeit vieler Menschen erblickt, nur zum Verfalle dienen solle.

Daß hinter Marmorportalen in gewölbten Gängen und Sälen, in Werkstätten und Zellen alles Leben erloschen bleiben müsse. Die Zierate über den hohen Fenstern zeigen, daß wenige Jahrzehnte vor der Säkularisation kunstreiche Hände das Kloster noch für eine ferne Zukunft geschmückt hatten, aber die Leere, die hinter den Scheiben gähnt, das Gras, das im gepflasterten Hofe wuchert, da und dort abfallender Mörtel zeigen auch, daß hier keine Sorgsamkeit mehr waltet.

Besonders an der Außenseite, gegen den See hin, sind arge Spuren des Verfalls sichtbar, und was hier als Gebüsch zur Zierde gepflanzt worden war, ist wild in die Höhe geschossen.

Dereinst war das Kloster reich an Landbesitz gewesen.

Die Grundstücke wurden aufgeteilt, und die alten Leibgedinger kamen zu Wohlstand.

Für das große Gebäude fand sich kein Käufer.

Der Staat wollte es zu allerlei Zwecken verwenden, stand aber jedesmal von seinem Vorhaben ab, weil die Unterhaltungskosten zu hoch gekommen wären. Das Kloster war zu abgelegen, und die Zerstückelung des Besitzes hatte einen Zustand geschaffen, der hinterher für die wohlwollenden Absichten ein unübersteigliches Hindernis bildete.

So wie das Kloster nun da lag, zwecklos mitten in die Einsamkeit hinein gestellt und in Hoffnungslosigkeit begraben, tot und doch lebendiger Zeuge vergangener Tage, konnte es freilich ernste und auch mit dem Ernste spielende Gedanken wachrufen.

Es war romantisch, wie Natterer sagte, an den man wieder einmal erinnert wurde, weil Konrad malend am Ufer saß.

Er ließ die Mauern düsterer über dem Wasser emporragen und gab dem See ein bedeutenderes Aussehen, weil es ihm für ein Plakat richtig erschien und ... »Bravo!« rief jemand, und als er sich umwandte, stand der rüstige Kaufmann vor ihm.

Aber nicht allein.

Zwei Damen, eine ältere und eine jüngere und ein dicker Herr, der seinen Kahlkopf mit einem Taschentuch abtrocknete, waren mit Natterer auf dem Waldwege unbemerkt herangekommen.

»Das is großartig, Herr Oßwald, daß ich Ihnen an dieser pittoresken Stelle triff ...«

»Wollense uns nich bekannt machen?« unterbrach Schnaase, und weil Natterer dazu nicht die rechte Gewandtheit zeigte, übernahm er es selbst.

»Rentier Schnaase aus Preußisch-Berlin; meine Frau, meine Tochter.«

Konrad verbeugte sich und Natterer sagte:

»Die Herrschaft'n erlaub'n, das is der Herr akademische Kunstmaler Oßwald, unsere künstlerische Attraktion, wie man zu sag'n pflegt ...« Schnaase schüttelte dem jungen Mann jovial die Hand.

»Freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen. Zu Hause verkehren wir auch viel in Künstlerkreisen. Meine Frau hat 'n Faible dafür und ich auch ... Also Sie halten diese hübsche Stelle hier fest?«

Schnaase war einen prüfenden Blick auf das Bild.

»Wirklich sehr niedlich! Sieh mal, Karline, wie sich allens im Wasser spiegelt. Famos! Das is wohl pläng är?«

Konrad sagte in seiner bescheidenen Art, daß er für ein Plakat einige schöne Punkte der Umgebung male ...

»Für unseren Fremdenverkehrsverein nämlich«, unterbrach ihn Natterer. »Ich habe diese Anregung gegeben, weil ich glaube, daß durch die Bekanntgabe von pittoresken Punkten das Publikum angezogen wird ...«

»Das kommt dann so in die Wartesäle, nicht wahr?«

»Natürlich. Ich sehe, daß Herr Schnaase gut Bescheid wissen.«

Henny hatte ihre Aufmerksamkeit von der Pläng-är-Skizze weg auf Konrad gerichtet, der, jung und schlank und von der Sonne gebräunt, das Anschauen wert war. Und Mädchen wissen es schon einzurichten, daß ihr Gefallen nicht unbeachtet bleibt.

Es gibt ein Nervenfluidum, eine durchs Od übertragene Sympathie, und daher kommt es, daß Jünglinge merken, was ihnen nicht verborgen bleiben soll.

Auch Konrad fand Gefallen an dem Mädchen, das eine biegsame Figur hatte und ein frisches Gesicht mit lebhaften Augen und kecker Nase.

Er fragte, ob die Herrschaften das Kloster sehen wollten, und bot sich als Führer an.

Die Damen gingen freudig darauf ein, und es fügte sich, daß der junge Mann mit ihnen voraus ging, während Schnaase und Natterer nachfolgten.

»Sagen Sie mal, Sie wollen also Plakate mit den Altaicher Ansichten veröffentlichen?«

»Jawoll, Herr Schnaase; in die Hotels, wissen Sie, und in die Bahnhöf' ...«

»M-hm ...«

»Daß halt das reisende Publikum überall aufmerksam g'macht wird ...«

»So? Hören Se mal, ich halte Sie für ne Art von Reklamegenie, ich habe Ihnen das schon mal gesagt ...«

Natterer verbeugte sich geschmeichelt.

»Sie haben die Sache in Ihrer Art 'raus, aber diesmal sind Se auf dem falschen Wege.«

»Wie meinen Herr Schnaase?«

Der Berliner Rentner blieb stehen und schaute seinen Begleiter durchbohrend an.

»Sehen Sie mich mal an! Warum bin ich hier?«

»Wie mei-«

»Warum bin ich nich in Zoppot? In Ischl? Im Berner Oberland?«

Natterer wußte nicht, was der bedeutende Mann wollte, aber Schnaase klärte ihn gleich auf.

»Ich will's Ihnen sagen. Von wejen der Phantasie bin ich hier. Wie meine teure Gattin Ihr Inserat gelesen hatte, kriegte sie's mit der Phantasie. Der erfinderische weibliche Geist spiegelte ihr einen Höhenluftkurort mit allen Reizen vor. Und denn war nischt mehr zu machen, wir mußten einfach.«

»Hoffentlich haben die Herrschaft'n ihre Erwartungen erfüllt ... ah ... gesehen ...«

»Nee, Verehrtester! Absolut nich. Ich hatte sofort den starken Eindruck, daß Sie uns gehörig geblaßmeiert haben. Wo sind denn nu Ihre Voralpen und Ihre Höhenluft un Ihre Kuranstalten? Nich zu vergessen die großartigen Moor-Heilbäder! Nee, mein lieber Natterer, gemogelt haben Sie, daß es ne Art hat!«

»Entschuldigen Herr Schnaase, es tut mir sehr leid ...«

»Das braucht Ihnen gar nicht leid zu tun. Wir sind nu mal hier, un das is für Sie die Hauptsache und is der Erfolg Ihres Inserates. Aber nu wollen Se n' Panorama von Ihrem Höhenluftkurort in die Welt schicken? Menschenskind, damit ruinieren Se ja das ganze Phantasiegebilde durch die nackte Wirklichkeit! Das soll so'n ausgekochter Reklamechef wie Sie nich machen!«

Natterer schritt nachdenklich neben dem Berliner Gaste her. Der Mann hatte Weltkenntnis und hatte Menschenkenntnis, ja, er war eigentlich der erste, der seinen vollen Wert erkannt hatte.

Man mußte seine Warnung beachten.

»Hören Se mal«, sagte Schnaase wohlwollend, denn er sah den Eindruck seiner Worte, »hören Se mal, ich könnte Ihnen überhaupt 'n bißchen unter die Arme greifen. Wir könnten zusammen arbeiten, verstehen Se, und Erfahrung habe ich, darauf können Se sich verlassen ...«

Natterer ging freudig darauf ein, und der Herr Rentier, der ein ausgesprochenes Talent zum Müßiggänger und Projektemacher hatte, erhoffte sich angenehmen Zeitvertreib.

»Die Sache muß ins Lot gebracht werden«, sagte er, »und vor allem muß der moderne Mensch hier seine Befriedigung finden. Wir leben nun mal im zwanzigsten Jahrhundert, da ist nischt gegen zu machen, und danach müssen wir uns eben richten. Lassen Se nur uns beide die Sache dirigieren, Natterer, denn erleben wir noch Altaich mit Kurhaus und Kurgarten und Kurkapelle ... ja, da sind wir ja!«

Die Bringer der Neuzeit betraten den Klosterhof, wo Konrad gerade dabei war, den Bau des Klosters zu erklären.

Hier waren Kapitelsaal und Refektorium, dort die Wohnung des Abtes, Bibliothek und die Zellen der Mönche; im andern Flügel Werkstätten, Bäckerei und Brauerei.

Die Damen hörten aufmerksam zu; ein Menschenkenner hätte bemerkt, daß sie den seltsamen Eifer des jungen Mannes und seiner Art, sich auszudrücken, mehr Beachtung schenkten als seinen Worten.

Henny rief:

»Nein, wie süß! Horch doch, Mama! Die Mönche mußten alles selbst machen; waschen, putzen, kochen. Und da gab es nie eine weibliche Hilfe?«

»Das war gegen die Ordensregel«, sagte Konrad.

»Aber Henny, das weiß man doch! Allerdings ihr mit euren französischen Romanen und mit Russen und Dänen und Gott weiß was erfahrt so was nich mehr. Aber zu meiner Zeit hat man Ekkehard von Scheffel gelesen und da ist man doch mehr im Bilde. Nich wahr Herr Oßwald?«

»Gewiß, gnädige Frau, und ich glaube, es waren auch Benediktiner.«

»Wie hier? Siehst du, Henny! Und das war doch so – nich wahr? – daß nich mal die Herzogin über die Torschwelle gehen durfte, und deswegen nahm sie doch der Mönch und trug sie ins Kloster. Is es nicht so?«

Konrad bejahte, und Henny fand die Idee reizend, einfach so getragen zu werden.

»Aber das Gefühl, ganz allein mitten unter Männern, die uns hassen! Brr!«

»Das war nich so schlimm, wie du meinst«, erklärte Frau Schnaase. »Im Gegenteil. Man weiß doch, daß sehr viele Männer aus unglücklicher Liebe ins Kloster gingen. Ich finde es wunder-, wundervoll, wenn ein Mann so stark empfindet, daß er über 'ne Enttäuschung nich wegkommt und sich mit seinem Schmerze zurückzieht ...«

»Is das wahr?« fragte Henny mit einem sehr schelmischen Blick auf Konrad.

»Es kann schon vorgekommen sein ...«

»Es ist sehr häufig vorgekommen«, sagte die Mama. »Ich erinnere mich an Verschiedenes, was ich gelesen habe, und die Dichter müssen doch ihre Stoffe der Wirklichkeit entnehmen, und wenn solche Ereignisse immer wieder poetisch behandelt werden, können sie nich aus der Luft gegriffen sein. Wie ... ?« fragte sie etwas gereizt, da Herr Schnaase neben ihr eine Bemerkung gemacht hatte.

»Ich sage, daß einer 'n Schlummerkopp is, wenn er sich nich trösten kann. Es gibt so viele nette Meechens ...«

»Bitte laß das! Ja? Man muß doch nich immer und überall so prosaisch sein!«

»Ich bin nu mal nich für die alten Schmökergeschichten. Is ja doch allens nich wahr!«

»Du weißt, Gustav, daß ich darüber nicht mir dir streite. Jedenfalls hat es für einen gebildeten Menschen einen eigenartigen Reiz, wenn er ein altes Gebäude oder eine Ruine mit seiner Phantasie zu beleben vermag. Deshalb besucht man gerade solche Stätten.«

»Und stell dir vor, Papa«, fiel Henny ein, »wie das gewesen sein muß. Da oben am Fenster 'n bleicher Mönch mit dunkeln, traurigen Augen, weißt du, und ...«

»Uff den Keese fliege ich nich. Der Mensch soll sich nicht selbst betimpeln; das is mein oberster Grundsatz. Und was ich sehe, das sehe ich, und das hier« – Herr Schnaase deutete mit dem Stocke aufs Kloster –, »das hier is ne Klamottenkiste, und aus den Fenstern sieht überhaupt nischt mehr 'raus, weil nischt drin is, und nu frage ich einen vernünftigen Menschen, was soll mir daran gefallen, und was hilft mir die Phantasie, wenn so 'n Riesenkasten leer steht und pöh a pöh kaputt geht? Nee, Kinner? Wir leben für heute un nich für gestern, und ich bin mal fürs Praktische. Wenn ich die Kommode am Kurfürstendamm stehen hätte oder meinswejen auch in der Hedemannstraße, dann allerhand Achtung! Aber hier und leer und umsonst, das kann mir nu gar nich imponieren.«

Als Schnaase ausgesprochen hatte, traf ihn ein Blick, der den Schmerz einer edlen Natur über ihre Verbindung mit häßlicher Nüchternheit deutlich ausdrückte, aber in seiner langen Ehe war er gegen diese Augensprache unempfindlich geworden.

»Wie du meinst«, sagte Frau Karoline, »aber du wirst gestatten, daß ich anderer Ansicht bin. Ich wenigstens bin Herrn Oßwald sehr, sehr dankbar für seine interessanten Mitteilungen.«

Konrad war gleich bereit, den Damen noch mehr zu zeigen.

Ein schönes, schmiedeeisernes Gitter, das eine Hauskapelle vom Kreuzgang trennte, eine frühgotische Statue des heiligen Benedikt, etliche Barockvasen, kurz, so vieles, mannigfaltiges und unberlinisches, daß Frau Schnaase Mühe hatte, ein waches Interesse vorzutäuschen und daß Henny unwillkürlich gähnte.

Sie wußte aber diesen Verstoß reizend zu gestalten, indem sie erschrockene Augen machte und das angenehmste Lächeln hinterdrein folgen ließ.

Schnaase blieb mit seinem praktischen Standpunkte im Klosterhofe stehen und sagte zu Natterer:

»Sehen Se, das war wieder mal echt weiblich.«

»Wie meinen Herr Schnaase?«

»Ich sage, da zeigt sich wieder mal die weibliche Natur im wahren Lichte. Wenn unsereiner so was sieht, was ihm Mus wie Miene is, denn sagt er's ehrlich und macht kein Theater. Was geht uns das finstere Mittelalter an? Nischt. Aber die weibliche Natur ergreift die Gelegenheit und macht sich interessant. Immer großartig! Na, die Strafe bleibt nich aus. Der junge Mann nimmt das Bildungsbedürfnis der Damenwelt ernst und läßt nich locker, und meine Olle muß Mittelalter schlucken, bis se nicht mehr japsen kann. Sagen Sie mal, kann man sich hier nirgends 'n Glas Bier genehmigen?«

»Leider nicht, Herr Schnaase. Früher soll es hier ein gutes Klosterbier gegeben haben.«

»Früher! Daß die Brüder bong gelebt haben, will ich gerne glauben, aber was habe ich davon? Sehen Se, das wäre nu gleich was! Hier müßte wieder 'n Betrieb her! So 'n Restorang ›Zum Klosterbräu‹ oder ›Zum Alten Mönch‹ mit ner Terrasse am See und innen mit 'n paar altdeutschen Räumen. Kommen Se mal mit rein! Hier links, da können wir ja sehen ...«

Schnaase eilte voran und kam in das schön gewölbte Refektorium.

Natterer, dem diese Art, Pläne zu schmieden, ungemein zusagte, lief geschäftig hinter ihm her, und war gleich Feuer und Flamme für das Projekt.

»Nu sehen Se mal!« rief Schnaase triumphierend, »das ist ja die geborene altdeutsche Bierstube! Hier lang muß alles vertäfelt werden, dazwischen kommen 'n paar Holzwände, dann haben wir lauschige Plätze. Da vorne 's Büfett, hier in der Mitte 'n großen Lüster ... ach so, Elektrisches haben Se nich?«

»Nein, leider. Kein Elektrisches haben wir noch nicht.«

»Macht nischt. Dann nehmen wir ganz einfach Hängelampen, das paßt famos zum Stil, und runde Tische stellen wir rein, und dort beim Ofen machen wir die richtige gemütliche Ecke. Geben Sie mal acht, das wird großartig!«

»Ja«, sagte Natterer, »und durch die Wand könnt ma eine Tür durchbrech'n betreff die Terrasse ...«

»Natürlich! Ne Tür mit Glasfenstern, und die Terrasse möglichst groß. Da lassen wir an schönen Sommerabenden die Musik spielen, und auf dem See veranstalten wir mal ne venetianische Nacht mit Lampiongs und geschmückten Gondeln und mit Feuerwerk ... Natterer, ich sehe die Sache schon ganz lebhaft vor mir.«

»In dem kleinen Saal daneben sollt man die Küch einricht'n, daß ma die Gäst' auch warme Speisen bieten kann ...«

»Un Kaffee un Tee un Kakao nachmittags, nich wahr? Denn is es der richtige Ausflugsort, und denn können Se mal wirklich loslegen mit der Reklame. Lassen Se nur uns beide die Sache deichseln!«

»Herr Schnaase meinen, daß es eine Attraktion is als früheres Kloster?«

»Natürlich! So was sucht doch das Publikum! Das hat 'n prickelnden Reiz. Donnerwetter ja! Da fällt mir was ein!«

Schnaase schlug sich auf die Stirne und schaute Natterer mit glückstrahlenden Augen an.

»Wissen Se was?«

Er machte eine Pause.

»Wir lassen die Kellner im richtig gehenden Mönchskostum servieren! Was? Das gibt Stimmung! Denken Sie sich mal das ganze Miliöh! Der gewölbte Gang, der Saal und dann kommen die Kellner rein, ganz wie die ollen Mönche ...«

»Ja«, sagte Natterer zögernd, »romantisch wär' das freilich, und sozusagen ein Unikum, aber ...«

»Wissen Sie, mir hamm halt Kellnerinnen ...«

»I wo ... »

»Es ist so der Brauch hier, und die männliche Bedienung hat ma hier überhaupts nicht.«

»Na denn nich! Aber schade is es, das kann ich Ihnen sagen. Der Trick hätte kolossal gezogen. Denken Sie mal, wenn wir das Restorang zum ›Fidelen Mönch‹ getauft hätten .... was? Glauben Sie wirklich, daß es sich partout nich machen läßt?«

»Es geht wirlich net ...«

»Na, also nehmen wir Abschied von der Idee. Vielleicht läßt sich mit der weiblichen Bedienung was Nettes arrangschieren . . . Sagen Sie mal, wem gehört die Kommode?«

»Wie meinen Herr Schnaase?«

»Wem das Kloster gehört?«

»Ah so! Ja, ich glaub, dem Staat g'hört's.«

»So? Wissen Se was, denn setzen wir uns heute noch – nee, heute geht's nich mehr, aber morgen setzen wir uns auf die Hose und machen mal ne Bombeneingabe an das Ministerium. Wir machen ihm klar, daß es im Interesse der Hebung und der gesunden Entwicklung des Fremdenverkehrs liegt, daß hier 'n Etablissemang aufgemacht wird, verstehen Se? Und wir schreiben, daß die ganze Gegend emporblühen wird et cetera pp... Na wollen wir sehen, ob die Behörde nich zieht.«

Der Vorschlag war recht nach dem Herzen Natterers.

Ein Gesuch ans Ministerium richten, vielleicht gar in Audienz empfangen werden, und dann schildern, was geleistet worden war und noch geleistet werden sollte und geleistet werden wollte, das konnte ihm gefallen.

Der Gedanke beschäftigte ihn so, daß er nur mehr zerstreut zuhörte, als Schnaase beim Anblick des langen, gewölbten Kreuzganges erklärte, es müsse hier unbedingt eine Kegelbahn eingebaut werden, damit die Kurgäste auch bei schlechtem Wetter eine Unterhaltung finden könnten. Der Herr Rentier führte die Idee weitläufig aus und sprach noch, als er mir seinem Begleiter wieder ins Freie kam und seine Damen mit Herrn Oßwald antraf.

Frau Schnaase schwärmte.

»Es war wunder-wundervoll. Die Kirche mit ihren Rokokoornamenten und mit ihrer feierlichen Stille hat mir so recht gezeigt, daß man hier wirklich von den Stürmen der Welt und ihren Leidenschaften ausruhen konnte ...«

Diese Sprache des Herzens richtete sie nicht an den Gatten, sondern an Konrad, der achtungsvoll zuhörte. So erhielt er auf dem Rückwege nach Altaich einen tiefen Einblick in das Gemüt einer Frau, die sich in der Großstadtwüste ein schönes Empfinden bewahrt hatte, dessen Reichtum sie vor ihm ausbreitete.

Hinter ihnen schritt der unzarte Gatte und summte einen Vers:

»Ach Ernst! Ach Ernst

Was du mir alles lernst!«

Stine langweilte sich, als ihre Herrschaft nach Sassau ausgeflogen war und sie allein zurückgelassen hatte.

Sie setzte sich ans Fenster und schaute auf den Marktplatz hinunter, der im grellen Sonnenscheine wie ausgestorben war. In der Brunnenhalle, auf der ein heiliger Florian stand, waren vier Röhren, aus denen sich dünne Wasserstrahlen in das Becken ergossen. Das trübselige Plätschern wirkte einschläfernd, und wahrscheinlich lagen auch in allen Häusern ringsum die Menschen im Nachmittagsschlummer.

Um den Brunnen herum standen vier Kugelakazien, die zu dieser Stunde kurze Schatten warfen und die Langeweile noch erhöhten.

Einmal lief ein zottiger kleiner Hund aus einem Hause und versuchte über den Rand des Brunnens zum Wasser zu kommen; er lechzte mit heraushängender Zunge, aber er konnte nicht hinaufreichen und schlich mit eingezogenem Schweife zurück.

Dann war der Platz wieder leer.

Stine seufzte.

Was war das für ein abscheuliches S ... städtchen, in das sie die Laune der gnädgen Frau geführt hatte! War es der Mühe wert, solange mit der Bahn zu fahren, um in einen solchen Ort zu kommen?

Wenn es nach dem grändigen Herrn gegangen wäre oder nach Fräulein Henny, dann wäre man nach Zoppot gefahren, wo sich's auf dem Strande so hübsch promenierte, wenn die Musik spielte und ein Danziger Husar seine Begleitung anbot.

Ochott!

Sie hörte Stimmen vor ihrer Tür und sah auf den Gang hinaus. Das unfreundliche Zimmermädchen stand am Fenster und rief etwas in den Hof hinunter, aber man konnte es nicht verstehen, denn die S ... prache war zu gräßlich.

Da ließ sich auch nicht an eine Unterhaltung denken, selbst wenn das Mädchen umgänglicher gewesen wäre und nicht eine solche Feindseligkeit gegen die herrschaftliche Zofe zur Schau getragen hatte. Stine zog sich wieder ins Zimmer zurück, und als Frauenzimmer, das mit der Zeit nichts anzufangen wußte, stellte sie sich vor den Spiegel und bewunderte ihre feingeschnittenen Züge.

Sie lächelte sich an, spitzte das Mäulchen und schloß zu dreiviertel die Augen, dann zeigte sie sich wieder lachend die Zähne und schlug die Augen schmachtend auf. Als das Spiel eine Weile gewährt hatte, ging sie zu ihrem Koffer, öffnete ihn und holte aus einer Schachtel eine blaßrote Korallenkette. Die schlang sie sich um den Hals, und wieder vor dem Spiegel stehend wandte sie den Kopf bald rechts, bald links und lächelte das holde Fräulein Stine Jeep aus Klein-Kummerfelde liebreich an. Nachdem sie das so oft wiederholt hatte, als es sich wiederholen ließ, legte Stine das Korallenkettlein in die Schachtel zurück und klappte den Koffer zu.

Sogleich merkte sie, daß sie in ihren Träumen von Schönheit, Liebe und Husaren den Schlüssel hineingelegt und mit verschlossen hatte.

Das Schloß war zugeklappt, und so traf sie nun gleich die zeitvertreibende Sorge, einen Schlosser herbeiholen zu lassen. Sie mußte Fanny um den Gefallen ersuchen, und Fanny rief den Martl, und Martl rief den Sepp, und nach einer halben Stunde trat der Schlossergeselle Xaver Gneidel ins Zimmer. Der war ein fescher Mensch, mit einem guten Mundwerk versehen, gedienter Piganier vom Münchner Bataillon, und also nicht verlegen, sondern wohlvertraut damit, wie man einem Frauenzimmer begegnen muß.

Hinter dem Eisenruß blitzten seine weißen Zähne und lachten seine Augen, daß es ein Staat war, und seine Kappe hatte er verwegen zu hinterst auf dem Kopfe sitzen.

»Servus, schönes Fräulein!« sagte er beim Eintreten und war gleich angenehm berührt von dem Weiblichen, das er vor sich hatte.

Hochgewachsen, aber voll, wo es sich gehörte, schnurgerade und auch wieder rund, das Gesicht ein bissel langweilig, aber nett, die Augen gutmütig und ein bissel dumm, so wie es der Kenner mag.

»Sackeradi!« dachte sich Xaverl und fragte:

»Wo fehlt's? Aufsperrn soll i was?«

Und das mußte einen lustigen Nebensinn haben, weil er lachte.

Stine fand, daß die bayrische Auss ... sprache nicht mehr so gräßlich klang, da sie aus seinem Munde kam, über dem ein kecker Schnurrbart saß, und mit einem wohlwollenden Blicke auf ihren Helfer klagte sie ihm ihren Unfall.

Wie sie den Schlüssel hatte binnen liegen lassen, und wie – ach neun! – das Schloß zugeklappt sei.

»Ja, was waar denn jetzt dös!« rief Xaverl. »Da kinna ma scho helf'n. Überhaupts, wenn's was zum Aufsperr'n gibt ...« Er lachte wieder und drückte das linke Auge zu und begann seine sachverständige Prüfung.

»Auweh, Muckerl! Dös is ein sogenanntes amerikanisches Patentschloß. Wenn i da net zuafälli an passend'n Schlüssel hab', muaß i 's Schloß auslös'n. Machet aber aa nix, i tat's scho wieder richt'n ...«

er probierte drei und vier Schlüssel; der fünfte paßte, und mit Siegermiene klappte Xaverl den Deckel zurück.

Da lagen aber so nette, blühweiße Sachen obenauf, daß Stine rasch nach dem Schlüssel griff und den Koffer wieder schloß.

»Derf i so was Saubers net sehg'n?«

»Ach neun! Es ist doch Unterwäsche ...«

»Grad desweg'n! Daß ma'r a bissel an Begriff kriaget, du Gschmacherl, du liabs!«

Das war von einer derben, südlich der Donau üblichen Liebkosung begleitet.

»Ochott! Was glauben Sie?«

»Was i glaab? Daß du a nudelsaubers Madel bist ...«

»Nun sagt er du zu mir!«

»Freili! Was denn?«

Xaverl wiederholte seine Liebkosung.

»Ochott!«

»Herrschaftseit'n! Du kunntst liab sei, wannst grad a bissel mög'st ...«

»Ach neun! Sie dürfen nich keck sein!«

»Sag halt Xaverl zu mir, du G'schoserl, du saubers ...«

»Das geht doch nich!«

»Leicht geht's. Probier's nur amal! Sackeradi, dös hätt i net glaabt, daß bei de Breiß'n so was herwachst!«

Wieder überzeugte sich Xaverl, daß Fleisch am Bein war, und Stine rief nicht zu laut und nicht zu unwillig:

»Ochott ... Xaveer!«

»Jetza is ganga ... Du Christkindl, du mollets!«

»Ach neun! Nun hast du mir die Nase ganz schwarz gemacht!«

»Dös geht all's wieda weg ... Da hast no a Bussel ...«

»Xa-veer!«

»Paß auf, G'schmacherl, heunt nach'n Feierabend genga mir a weng spazier'n mitanand ...«

»Aber das geht doch nicht! ...«

»Warum denn net? Is ja 's schönst Weda ... Paß auf!«

Er führte sie ans Fenster.

»Siehgst da links, wo der Platz aufhört, is a Gass'n ... Da gehst außi, da kemma drei Baam, da wart i auf di. Um achti ... gel?«

»Aber ...«

»Sag no ja! Es reut di net ...«

»Vielleicht ...«

Der Blick, den sie auf Xaverl warf, wandelte die unsichere Zusage in die allerbestimmteste um.

Soviel verstand ein alter Münchner Piganier auch noch von den Sachen.

Und er ging fröhlich fort und setzte die Kappe um ein paar Linien schiefer auf.

Im Hausgang unterm Tor stand Fanny, der er aus Erbarmnis und Menschenliebe zulächelte.

Sie wandte sich hastig ab und sagte naserümpfend und sehr verächtlich:

»Allerweltsschmierer ... greislicher!«

Xaverl ging unbekümmert weiter über den Marktplatz und summte vor sich hin:

»Mei Deandl is kloa,
Wia'r a Muskatnussei,
Uns so oft als i 's bussel,
Lacht's a bissei.«

Oben stand Fräulein Stine Jeep am Fenster und schaute nach links, dorthin, wo die kleine Gasse einmündete, und das Örtchen kam ihr nicht mehr so langweilig vor, seit der unges ... stüme Mensch dagewesen war.

Auf den warmen Tag folgte ein schöner, langsam verglühender Abend, der sich gut auskosten ließ in der Ertlmühle, wo Martin neben der Frau Margaret vor dem Hause saß und die gewohnte Maß Bier trank.

Der letzte Vogel hatte sein Lied ausgepfiffen, und es war nichts mehr zu hören als ein leises Rauschen in den Baumkronen und das Murmeln des Baches.

Auch Konrad saß auf der Bank. Er lehnte den Kopf an die Mauer und schaute zu dem sich langsam verdunkelnden Himmel hinauf.

Der Abendstern blitzte auf, flimmerte ein wenig und brannte dann ruhig als feierliches Licht.

»Hast du heut was g'schafft?« fragte die Mutter.

»Ja ... Das heißt eigentlich net viel.«

»Du warst doch den ganzen Tag drauß'n?«

Konrad setzte sich auf.

»In Sassau drüben. Ich hab' für den Natterer was ang'fangen.«

Er wollte wieder träumen und sich ein glockenhelles Lachen ins Gedächtnis zurückrufen, aber Mütter sind hartnäckig, wenn ihnen was auffällt.

Und der Frau Margaret fiel die Schweigsamkeit ihres Sohnes auf. Nach einigen Fragen, an die sich wieder Fragen reihten, wußte sie, daß Konrad in Sassau nicht allein gewesen war.

Eine Familie aus Berlin, die in der Post wohnte, war auch dort gewesen.

Ein Rentier mit seiner Frau und seiner Tochter. Die Frau hatte viel Interesse für das Kloster gezeigt, und Konrad hatte sie herumgeführt.

Die Frau?

Die Frau und die Tochter; die Mutter werde sie schon kennen lernen, weil sie gesagt hatten, daß sie einmal in die Ertlmühle kommen wollten, um Skizzen anzusehen und Bilder. Die Tochter wäre eigentlich gut zu malen.

Gut zu malen?

Ja. Sie habe hellblonde Haare und überhaupt so was Rassiges, was einen interessiere, so ein Rokokogesicht. Die Augen fast kornblumenblau.

Martin saß daneben und dachte sich nichts. Hie und da nahm er einen Schluck, was man in der Dunkelheit bloß am Klappern des Deckels merkte. Aber Frau Margaret dachte sich etwas.

Schau ... schau ... der Konrad! Jedes Wort muß man ihm 'rausquetschen, und auf einmal läuft das Rad, wenn er von der Tochter anfangt. Stroh in Schuhen und Liebe im Herzen gucken überall raus. Sollte das stimmen? Auf jeden Fall geh' ich morgen zum Natterer und hol' mir ein paar Schürzenbänder, und bei der G'legenheit geh' ich an der Post vorbei und probier's, ob ich die Familie nicht sehen kann, b'sonders das Mädel mit den kornblumenblauen Augen ...

Der Wind rauschte stärker in den Baumkronen, und Konrad, der sich wieder zurückgelehnt hatte, schaute zu dem Sterne empor, den man Venus nennt.

Durch die Stille klang laut und deutlich fröhliches Lachen den Bach herüber. Ein helleres und ein tieferes.

»Da drüben sin noch Leut' ...« sagte Frau Margaret.

»Ach neun! Xa-veer!« tönte es herüber. Dann wieder Lachen, das sich entfernte. Von weitem her ein Aufschrei, und dann war es still.

»Das war auch kei hiesige ...«, sagte Frau Margaret. »Aber jetzt komm ins Haus! Es wird kühl.«

Zur gleichen Zeit, als am Himmel die Sterne aufblitzten und der Bergwind von weitem her über die Ebene eilte und die schläfrigen Baumwipfel schüttelte, gingen drei Männer über den Marktplatz und schlugen den Weg ein, der um den Hügel herum aus dem Orte führte.

Obschon sie erdenschwere Absichten hatten und keine schwärmerischen Gedanken hegten, weil sie ihre Verdauung fördern wollten, erregte doch der Abend ihr Wohlgefallen, und von Zeit zu Zeit blieben sie stehen und schauten zum Nachthimmel auf.

»Ich bidde ...«, sagte Wlazeck und deutete auf den leuchtenden Hesperus. »Kennen die Herren den Namen dieses Gestirnes?«

Der Kanzleirat meinte etwas unsicher, daß es vielleicht der Abendstern sein dürfte.

»Fä-nus!« rief der Oberleutnant mit starker Betonung. »Wann ich den Stern erblicke, ergreift mich jedesmal die wähmietige Erinnerung an die Jugendzeit, an die ersten Leitnantsjahre in Agram mit ihrer tollen, verrickten Seligkeit. Er heißt nach Fänus, der Spenderin der Freide!«

»Geh, hör'n S' auf«, sagte Dierl.

»Wieso, Herr Kamerad?«

»San ma froh, daß ma unser Ruh hamm und nix mehr wiss'n von de fad'n G'schicht'n ...«

»Aber bidde, wer kann froh sein, wann die Freiden einmal wirklich schwinden möchten?«

»Dös waar'n aa no Freid'n!«

»Herr Kamerad, das is ja ein Sakrilegium! Wann wir im Altertum wär'n, möchte sich sofort ein Faun aus dem Gebiesche auf Sie stierzen, um die Schmähung der holden Göttin an Ihnen schwerstens zu rächen. Außerdem, gestatten Sie mir diesen Vorwurf, verleignen Sie Ihre zartesten Gefiehle ...«

»Mit de zart'n G'fühl san mir Gott sei Dank fertig ...«

»Verzeihen, Herr Kamerad, wann Sie wirklich bereits resigniert haben sollten, bidde ich, mich nicht einzubeziehen. Ich stehe hoffentlich noch sehr lange nicht auf diesem schmärzlichen Standpunkte. Was sagen Sie, Herr von Schitzinger?«

Der Kanzleirat räusperte sich und lachte.

»Ich? Ja no ... im Staatsdienst ... die Herren verstehen mich schon ... im Bürodienst hat man nicht soviel Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln. Die Herren als Offiziere haben da natürlich schönere Erinnerungen. Übrigens fällt mir da eine Geschichte ein, das heißt, es ist eigentlich mehr eine Anekdote, die unser Ministerialrat Kletzenbauer auf der Kegelbahn zum besten gegeben hat. Der Regierungsdirektor Zierngiebl hat sich sehr darüber amüsiert. Die Anekdote steht in gewisser Beziehung zu diesem Thema betreff Verzicht. Nämlich ein älterer Herr, das heißt also ein Mann, der über gewisse Anfechtungen hinaus ist, begegnet einem Bekannten auf der Straße oder im Kaffee, kurz und gut, er trifft ihn also, und der Bekannte macht pikante Anspielungen. Da fragt der ältere Herr, ob sich vielleicht jemand aus dem Bekanntenkreis des anderen beschwert habe. Er meinte natürlich, ob sich eine Dame beschwert habe. Ich finde den Witz ausgezeichnet ...«

»Scheinbar«, dagte Dierl. »Sie erzähl'n ihn ziemlich oft.«

»Hab' ich ihn schon einmal erzählt?«

»Einmal net ...«

»Da bitt' ich wirklich um Entschuldigung; mir war das nicht erinnerlich. Ich hab' nur g'meint, daß er sich auf dieses Thema bezieht und ...«

»Von mir aus können S' ihn noch a paarmal erzähl'n . . . aber die Herren entschuldigen ... es wird mir allmählich zu kühl.«

Dierl grüßte und ging.

»Ich hab' ihn doch hoffentlich nicht beleidigt?« fragte Schützinger betroffen. »Oder glauben Herr Oberleutnant?«

»Nicht die Spur! Was heißt denn beleidigen? Sie haben eine Anekdote erzählt ...«

»Die doch ganz harmlos ist! Das heißt, sie ist ja etwas pikanter Natur, aber unter Herren ...«

»Sie können vollkommen beruhigt sein. Ich würde diesen Witz sogar in einem Damenpensionat zum besten geben. Aber wissen Sie, unser gemeinschaftlicher Freund Dierl ist keine zartbesaitete Natur ...«

»Ich tät' mich selbstverständlich entschuldigen ...«

»Aber nein, Herr Kanzleirat! Sie haben nicht die geringste Ursache dazu. Wann jemand ein Recht haben möchte, gekränkt zu sein, dann bin ich das. Dieser infernalische Haß gegen das zarte Geschlecht verlätzt mich ... Ich versteh' so was nicht.«

»Glauben Herr Oberleutnant, daß er wirklich der Damenwelt so ... ah ... abgeneigt ist?«

»Ich bidde ... rekapitulieren wir doch seine Eißerungen! Und das macht er bei jeder Gelegenheit so ... nicht bloß heite ... Wie gesagt, mir ist das unfaßlich. Ich finde, daß jede zarte Erinnerung in uns das Gefiehl einer unausleschlichen Dankbarkeit wachrufen muß. Das verlange ich sogar von einem Aschanti. Aber ich muß allerdings gestehen – Sie entschuldigen meine Offenheit, Herr Kanzleirat! –, ich habe in Bayern schon öfter derartige robuste Naturen beobachtet. Mir is das eine Späzies Homo, für die ich nicht das geringste Verständnis habe ...«

Die beiden schritten in der lauen Sommernacht weiter.

Plötzlich blieb Wlazeck stehen und rief fast heftig:

»Wie kann man eine gewisse Genugtuung eißern, daß man fertig is mit seinen Gefiehlen? Das is doch der Abschied vom Leben! Was bietet mir denn das Dasein fier einen Reiz, wann ich wirklich schon apathisch werden möchte?«

»Herr Oberleutnant sind noch sehr jugendlich ...«

»Bin ich auch! Und wann ich schon einmal der hilflose Greis werden sollte, dann bidde, nehmen Sie eine Reiterpistole und schießen mir ein Loch durch den Schädel! Aber sofort! Ich werde doch nicht den alten Hatscher spül'n! Ibrigens« – er hing sich vertraulich in Schützingers Arm ein ein – »haben Herr Kanzleirat die junge Dame bemerkt? Die Berlinerin? Ist sie nicht entziggend?«

»Sie is sehr nett ...«

»Nett! Aber Verehrtester, das ist doch kein Wort für einen derartigen Liebreiz! Dieses pikante G'sichtl! Diese Figur! Fausse maigre, Herr Kanzleirat! Verlassen sich auf das Auge des Kenners! Und die Erscheinung! Das is Charme, das is Musik!«

»Herr Oberleutnant sind ganz weg ...«

»Hingerissen bin ich, verschossen, enthusiasmiert. Meine Gefiehle sind noch nicht erloschen. Ich richte meinen Kurs noch immer nach diesem Sterne ...« Wlazeck deutete mit dem Spazierstocke auf die Venus.

Schützinger bewunderte seine Lebhaftigkeit und schlug vor, nunmehr auch zum Abendtrunke heimzukehren.


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