Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Viertes Kapitel

Zweimal ging Natterer in die Ertlmühle, ohne Konrad treffen zu können. Es war sonderbar, wie gleichgültig sich der junge Mensch gegen die wichtige Sache verhielt.

Auch die Eltern zeigten nicht den rechten Eifer.

Das erste Mal lief er sich warm und erzählte der Ertlmüllerin keuchend, daß er dem Sohne die allerwichtigste Mitteilung machen müsse, von der sehr viel abhinge für seine künftige Laufbahn.

Frau Margarete sagte lächelnd, große Worte und Federn gingen viel auf ein Pfund, und er solle erst richtig ausschnaufen.

Dann kam der Ertlmüller und hörte Natterer mit Ruhe an und meinte, der Herr Natterer solle ihm das Nähere mitteilen, er werde es dann gelegentlich seinem Konrad ausrichten.

So viel Wasser auf sein Feuer gab einen beizenden Rauch, und der Kaufmann erwiderte, das lasse sich nicht wie eine Botschaft bestellen, das müsse er mit Konrad selbst besprechen.

Den ganzen Vormittag wartete Natterer auf den jungen Menschen. Er durfte doch annehmen, daß er gleich zu dem geschätzten Auftraggeber eilen und daß er sich umtun werde.

Konrad kam aber nicht.

No ja! Künstler sind amal keine G'schäftsleut. Sie leben in den Tag hinein wie die Spatzen; man muß ihnen den eigenen Vorteil aufzwingen.

Nach dem Essen machte sich Natterer wieder auf den Weg zur Ertlmühle. Diesmal ohne Hast, gravitätisch, ein wenig beleidigt oder sonderbar berührt von den Sorglosigkeiten der Ertlmüllerischen.

»Gut'n Tag, Frau Oßwald!« sagte er in gedehntem Tone.

»Also was is jetzt?«

»Grüß Gott, Herr Natterer! Was meinen S'?«

»Wo Ihr Herr Sohn is?«

»Der Kunrad? Ja, du lieber Gott, wo werd der sei? Im Wald drauß mit sein Malkast'n ...«

»Hm! Das is ja sehr schön, daß er so fleißig is, aber ... Frau Oßwald, hamm Sie ihm eigentlich g'sagt, daß i was Wichtigs mit ihm reden muß?«

»Jessas na! Dös hab i ganz vergess'n. Aber vielleicht hat's ihm mei Martin ausg'richt. Lassen S' Ihnen nur Zeit, er kommt scho amal ...«

»Zeit?« fragte Natterer. »Ja, ich hab Ihnen doch g'sagt, daß die Sach äußerst pressant is. Net für mich, sondern für'n Herrn Konrad. Mir kann's am End gleich sei, aber i mein, wenn i zweimal extra runter lauf ...«

Frau Margaret rief zur Mühle hinüber: »Martin!«

Der Ertlmüller stand unterm Tor und schaute einem Tauberer zu, der sich verliebt im Kreise drehte.

»I komm glei«, rief er zurück, beeilte sich aber nicht, sondern ging gemächlich auf die beiden zu. Unterwegs blieb er gar noch stehen und drehte sich nach dem Tauberer um.

»Du Martin«, sagte Frau Margaret, »der Herr Natterer fragt, ob du unserm Konrad nix g'sagt hast, weil die Sach pressiert?«

»Ja ... I weiß net, hab i 's ihm scho g'sagt oder net . . .«

»Jetzt weiß i aber wirklich nimmer, was i sag'n soll«, fiel Natterer ein. »I hab's do dringend g'nug g'macht, und d'Frau meint, es pressiert net, und Sie tun net dergleich'n ... Ja, meine lieb'n Leut, nehmen S' ma's net übel, aber ich hab mei Zeit doch auch net g'stohl'n, und i ko net jed'n Tag in d' Ertlmühl runterlauf'n vom G'schäft weg ...«

»Der Konrad kommt scho amal nauf«, sagte Martin gelassen.

»So? Amal? No ja ... da muß i scho sag'n ...«

Natterer sagte nichts mehr, denn er war ernstlich aufgebracht. Er schüttelte den Kopf und grüßte und ging.

Daheim verlangte er von seiner Frau, sie solle ihm das Benehmen der Ertlmüllerischen erklären.

Wally meinte, der alte Oßwald sei immer so ...

Aber das ließ Natterer nicht gelten.

»Entweder die Leut hamm kein Verständnis für de Sach, oder sie leg'n überhaupts koan Wert drauf. Schön! Von mir aus. Jetzt kenn i koa Rücksicht nimmer und übergib die Sach einfach an andern.«

»Karl! Schau, ma muß doch mit de Leut leb'n ...«

»Nix! Aus is ...« Natterer strich mit der Hand über die Ladenbuddel ... »Jawohl, ma müßt eigentli mit die Leut leb'n, aber diese Rücksicht'n gengan bloß bis zu einem gewissen Grad. Und jetzt tua ma den G'falln und red nimmer davo!«

Er war ein gefälliger Mensch und mit kaufmännischer Höflichkeit gefüllt, aber er blieb bei seinem Entschlusse, einen anderen Maler zu protegieren, und er versteifte sich noch mehr darauf, weil Konrad auch während der nächsten Tage nicht kam. Das bedrückte ihn, und dazu kam die schwierige Frage, wohin er sich denn nun wenden solle.

Er ging mit finsterem Gesichte im Hause herum, und sein erfinderischer Geist zeigte ihm keinen Ausweg.

»Jessas, Karl! Jetzt fallt mir was ein ...« rief die Frau Wally beim Mittagessen, und sie war so ergriffen von ihrer Eingebung, daß sie den Löffel im Mund behielt.

»Was fallt dir ei?«

»Du ... is net unsa Summafrischla a Kunstprofessor? Der woaß do g'wiß solchene Maler, dena wo du dös geb'n kunntst . . .«

»Hm! ...«

Ganz so dumm, wie man's hätte vermuten sollen, war der Einfall nicht.

»Hm! Der Herr Hobbe? Kunstprofessor is er allerdings, aber net in Bayern. Und bis von Hannover ko i do net an Maler herb'stelln ... Aber frag'n wer i 'n do ...«

Natterer bedachte, daß er dabei eine schöne Gelegenheit habe, dem Herrn Kunstprofessor sein Interesse für Bildung zu zeigen.

Nach dem Mittagsschläfchen ging er ins erste Stockwerk hinauf und klopfte an der Tür der Studierstube an. Als sich nichts hören ließ, klinkte er das Schloß auf und trat ein.

Horstmar Hobbe saß zurückgelehnt in seinem Stuhle und schaute unverwandt zum Fenster hinaus.

Er war bei der Frage angelangt, ob der Intellekt die Form nur bilde, oder ob er sie erzwinge, und wenn ihn auch seine alte Blutleere im Gehirn nicht befiel, so schien doch in den Assoziationszentren der Hirnrinde eine Störung der Gehörseindrücke vorzuliegen.

Herr Natterer hustete ein paarmal ohne Erfolg, dann sagte er laut:

»Entschuldingen schon, Herr Professa ...«

Hobbe fuhr zusammen und starrte den Besucher erschrocken an.

Natterer verstand die Situation und redete möglichst laut, um den Gelehrten wach zu erhalten.

»Entschuldingen schon, Herr Professa, daß ich quasi unangemeldet bei Ihnen vorspreche, aba ich möchte mit Ihnen betreff einer Kunstsache konferieren, weil Sie betreff einer solchen Frage quasi eine Autorität sind ...«

In Hobbes Augen blitzte kein Verständnis auf, aber der Kaufmann fuhr herzhaft und unbekümmert weiter:

»Indem es sich nämlich um die Anfertigung oder beziehungsweise um die Herstellung von einem künstlerischen Panorama unseres Kurortes handelt, weil man diese betreffenden Panorama jetzt öfter sieht, zum Beispiel in diverse Bahnhöf. In der Mitten nämlich eine Totalansicht und drum herum die Nebenansichten von reizvollen Ausflugsorten und idyllischen Plätzen, und rum herum etwas Malerisches, zum Bespiel Embleme mit Alpenrosen, sozusagen einen Rahmen ...«

Hobbe hatte sich soweit gefaßt, daß er fragen konnte: »Wovon s ... sprechen Sie eigentlich?«

Natterer verstand, daß er lauter reden müsse und strengte seine Stimme an.

»Es soll also quasi von Künstlerhand ein Panorama von Altaich geliefert werden, wodurch das reisende Publikum auf die Schönheiten unserer Gegend hingelenkt wird ...«

Der Gelehrte hatte den Sinn der Worte begriffen.

»Warum bes ... sprechen Sie die Angelegenheit nicht mit einem Photographen?« fragte er.

»Es soll ja von Künstlerhand geliefert werden, respektive gemalen«, brüllte Natterer. »Und indem da Herr Professa in diesem Fache sozusagen eine Autorität bilden, möchte ich die Frage an Ihnen richten, ob Sie net jemand wiss'n, respektive rekommandier'n können?«

Hobbe war langsam aus den Höhen des Intellektes auf den Erdboden niedergeschwebt und stand nun darauf.

»Sie sind im Irrtum, Herr ... Herr ...«

»Natterer«, ergänzte der Hausherr.

»Herr Natterer, Sie sind in einem verhängnisvollen Irrtum begriffen. Die Kunst als Seiendes, als Realität exis ... stiert nicht für mich. Ich beschäftige mich nur mit den Begriffen ihrer Gesetzmäßigkeit, mit den Verhältnissen der Massenverteilung zum Rhythmus der Linien einerseits und anderseits zur Dynamik der Farbe. Ich beschäftige mich mit dem Irrationalen, mit dem Uns ... sprechbaren, nicht mit der mehr oder mindern rohen Äußerlichkeit des Produktes. Die naturalistischen Dinge perhorresziere ich, und ich behandle nur abs ... strakte Form, indem ich den latenten Rhythmus von Linien und Raumeinheiten zergliedere. Ich weiß nicht, ob Sie mich genau vers ... standen haben?«

Natterer war unverschämt genug, ja zu sagen.

»Jawoi, Herr Professa. Ich habe Ihnen durchaus verstanden.«

»Dann müssen Sie sich selbst sagen, daß ich über derartige imitative Wiedergaben der äußeren Natur keine Auskunft geben kann, wenn und weil mich nur das latente Gesetz der Natur in seinen Beziehungen zur Kunst interessiert ...«

»Jawoi, Herr Professa. Das heißt also quasi, daß Sie neamd rekommandier'n können?«

Natterer merkte, daß Hobbe sich wieder von der Erde erhob und in die kristallklare Region der Erkenntnis entschwebte.

Respektive er merkte, daß der Gelehrte sozusagen das Spinnen wieder anfing.

Darum ging er mit einem freundlichen Gruße, der nicht mehr gehört und nicht erwidert wurde.

Als er an die Treppe kam, wurde eine Tür leise geöffnet, und Frau Mathilde Hobbe rief ihn mit gedämpfter Stimme an.

»Herr Natterer ... einen Augenblick!«

»Gut'n Tag, Frau ...«

»Bs ... s ... s ... st! Nicht so laut! Wo waren Sie eben, Herr Natterer?«

»Beim ... bei ... Ihrem Herrn Gemahl ...«

»Bei Hors ... stmar?! Um Gottes willen! Aber wie konnten Sie?«

»Entschuldingen Frau Professa, aber in betreff einer Kunstfrage . . .«

»Bs ... s ... s ... st! Gott, wenn ich denke, jetzt in den Nachmittagss ... stunden!«

Frau Hobbe warf einen schmerzlich erschrockenen Blick zur Decke hinauf, als sähe sie die Genien des Intellektes herum flattern, aufgescheucht durch den banalen Besucher.

»Ja no ...« sagte Natterer, »ich hab mir natürlich denkt, als Kunstprofessa ...«

»Nie mehr!« flehte Frau Mathilde. »Nie ... nie mehr!«

Sie legte den Finger an den Mund und zog sich zurück.

Natterer stieg die Treppe hinunter.

Die letzte Mahnung war überflüssig, denn er hatte selber die Einsicht gewonnen, daß mit dem papierenen Deppen nichts anzufangen sei.

Es fiel ihm nicht leicht, auch nur innerlich seinen Mieter und Kunden so zu heißen, denn er war Kaufmann und schätzte eine Familie, die seine zurückgesetzten Kieler Sprotten vertilgte.

Er war bereit, einem Manne, der aus dem hohen Norden bis nach Altaich gekommen war, Ehrerbietung zu erweisen.

Aber die Wahrheit drängte sich ihm so ungestüm auf.

»Weiberred'n, armes Red'n«, sagte Natterer zu seiner Frau.

»Mit deine Einfäll derfst dahoam bleib'n Schickt s' mi zu dem Uhu nauf mit seine ledern' Augendeckel. Der schlaft ja, wenn man mit eahm red't! Und an Rat soll man si von dem geb'n lass'n! Mei Liabi, wenn dir nix G'scheiters net eifallt ...«

»Was woaß denn i?« erwiderte Wally. »Auf seiner Visitenkart'n steht amal, daß er Professa is von der Kunst. Mehra hab i net g'sagt.«

»Is scho recht. Aber mit deine Einfäll laßt mir mei Ruah!

Leider ließen den Herrn Natterer auch seine eigenen Einfälle in Ruhe; er konnte sich besinnen, so viel er wollte, er fand keinen Ersatz für Konrad, und er dachte schon daran, nach Piebing zu fahren und dem Verleger des Vilsboten sein Anliegen vorzutragen, als eines Nachmittags der leichtsinnige junge Mensch aus der Ertlmühle ohne Schuldbewußtsein seinen Laden betrat.

»Ah ... da Herr Oßwald!«

»Grüß Gott, Herr Natterer! Ich muß mich doch amal erkundigen, was eigentlich los ist. Mein Vater hat mir erzählt ...«

Natterer rieb sich freudig erregt die Hände und verbeugte sich immer wieder.

»Ich hab ja g'sagt, der Herr Oßwald kommt scho. Natierlich, a Künstler is kein G'schäftsmann, obwohl a bissel lang ... aber no, ich hab ja g'wußt, daß Sie uns net im Stick lass'n ...«

»Natürlich net. Wenn ich Ihnen behilflich sei kann. Um was handelt sich's denn?«

»Ja. Da muß ich etwas weiter aushol'n sozusag'n ... Aber, Herr Oßwald, im Lad'n könna mir net ungeniert dischkriern ... Darf ich bitt'n?« Er öffnete die Tür zur Stube nebenan, bot aber noch geschwind dem Besucher eine Hammonia Superfina an.

Konrad saß nun dem Herrn Natterer gegenüber, der sich räusperte und zu reden begann.

»Ja also, Herr Oßwald, Sie wissen – net wahr – beziehungsweise Sie hamm selber den Aufschwung verfolgt, den wo unser Altaich genommen hat, wenn auch der Kulminationspunkt sozusag'n noch nicht erreicht ist ...«

»Sie meinen als Sommerfrische?«

»Als Luftkurort, jawohl. Sehen S', Herr Oßwald, ich will mich net selber lob'n, das is überhaupts net meine Art und Weise, aber Sie glaub'n net, was für Schwierigkeiten daß ich überwinden hab müssen, damit daß dieses Resultat erzielt worden is. Die Leute hier, wissen Sie, die hamm keinen Weitblick, die kennen die Neuzeit net, und natürli, zuerst hab i da mei liebe Not g'habt. Jetzt is ja die Konstellation besser, seitdem daß unsere Kurgäst eingetroffen sind. Bis jetzt hamm wir fünf ... i weiß net, ob Sie unterrichtet sind?«

»Ich hab schon g'hört davon.«

»Fünf sind's. Lauter bessere Leut, die natürlich den Ort in ihren diversen Zirkeln wieder empfehl'n. Mir hamm sogar einen Dichter, der wo in der Lage ist, in der Zeitung für uns einzutreten. Er wohnt beim Schwarzenbeck. Und bei mir wohnt ein Professor von der Kunstgeschichte ...«

»So?« fragte Konrad etwas aufmerksamer.

»Ja ... von der Kunst. Natürlich, ob er hinsichtlich einer Propaganda zu brauch'n is, möcht ich bezweifeln, indem er den ganz'n Tag studiert ... no ja ... und in der Post is ein Oberleutnant und ein Kanzleirat, also lauter Leute von einer besseren Gesellschaftsschichte. Das is bloß der Anfang, und mir müss'n jetzt erst recht mit der Reklame beginnen. Net wahr?«

»Ja ... ja ... und was soll ich?«

»Gleich san ma soweit, Herr Oßwald. Sehg'n S', in der Reklame muß ma vo de andern lernen. Sie hamm doch gewiß schon öfter in die Bahnhöf diese Ansichtspanorama g'sehg'n, die wo eigentli von alle bedeitenden Kurort existier'n. Zum Beispiel in der Mitt' die Totalansicht des betreffenden Platzes und drum herum die idyllischen Punkte. Ich weiß net, ob ...«

»Ich kenn's scho, Herr Natterer, und wahrscheinlich möchten Sie, daß ich ...«

»Freilich! daß Sie mit Ihrer Künstlerhand die Sache arraschier'n. Mir versteh'n uns scho, net wahr, Herr Oßwald? Sie müss'n halt a bissel idealisier'n, daß ma zum Beispiel das Waldgelände a bissel größer rauskommen laßt, und daß ma 's Gebirg näher herzieht ...«

»Schön. Ich will's amal versuch'n ...«

»Und recht romantisch, gel'n S', Herr Oßwald? Zum Beispiel die Bilder so arraschier'n, daß so eines hinter dem andern vorschaugt . . .«

»Was für Plätze aus der Umgebung wollen Sie haben?«

»Den Sassauer See amal ganz g'wiß«, rief Natterer eifrig. »Zu dem passat halt a Mondnacht, Herr Oßwald, und a Schiff und vielleicht a Mönch drin? Waar dös net romantisch?«

»Je nachdem«, sagte Konrad lächelnd und stand auf.

»Ich weiß jetzt, was Sie wollen, Herr Natterer, und will Ihnen gern behilflich sein ...«

»Bleiben S' noch an Augenblick! Nämlich, mir brauch'n do aa was Weibliches auf dem Panorama. Könnte man da nicht ein Madel in der Tracht anbringen?«

»In welcher Tracht?«

»Im Gebirgskostüm, wissen S', und mit einem Busch Almrosen in der Hand ... dös gebet ein Meisterwerk. Und bis wann meinen S' ... ?«

»Das kann ich net so bestimmt sag'n, aber wahrscheinlich können Sie 's in ein paar Tagen haben ...«

»In ein paar Tag?« fragte Natterer unsicher.

»Schneller geht's nicht ...«

»Net schneller ... ich mein' net schneller ... wissen Sie, Herr Oßwald, Sie derfen mi net falsch versteh'n. I weiß schon, daß der Künstler a gewisse Freiheit haben muß, aber weil's eine Reklame is, soll's halt an Publikum auch g'fallen. Desweg'n mein' ich, Herr Oßwald, Sie sollen 's net modern machen ...«

»So wie ich's halt kann, Herr Natterer. Wenn's fertig is, sehen Sie 's ja, und ich nehm's Ihnen net übel, wenn Sie mir sag'n, daß's Ihnen net g'fallt ...«

»Nein, nein, Herr Oßwald, Sie müss'n mich net falsch versteh'n. Ich red' net vom G'fallen und von mir. Ich mein' bloß wegen dem Publikum, und weil Sie sag'n, daß Sie bloß a paar Tag brauch'n, erlaub' ich mir die Bemerkung, daß Sie quasi net modern ...«

Konrad gab dem besorgten Mann lächelnd die Hand.

»Hoffen wir's Beste, und wenn's fertig is, kommen Sie vielleicht zu mir runter ...«

»Gern; überhaupts, wenn Sie irgend an Rat brauch'n ... also vielen Dank, Herr Oßwald ... habe die Ehre, guten Nachmittag zu wünschen ... nochmals besten Dank ...«

Unter der Türe fiel es Natterer ein, daß er einen Punkt vergessen hatte.

»Entschuldigen, Herr Oßwald ... ich mein' bloß . . . unser Fremdenverkehrsverein is natürlich noch net so ... mit Mitteln . . .«

Konrad lachte.

»Das hab ich mir schon denken können. Also einstweilen grüß Gott!«

Hm ja. Das war ja sehr nett und entgegenkommend von dem jungen Menschen. Überhaupt mußte man sagen, daß er durchaus liebenswürdig auf die Sache eingegangen war, aber ... hm!

Ob er sich auch über die Idee ganz klar war? Und nicht am Ende so hudri wudri was machen wollte?

In ein paar Tagen?

Natterer trat in den Laden zurück.

»No, was is jetzt?« fragte Wally neugierig.

Genau, wie ich g'sagt hab«, erwiderte Natterer. »Der junge Mensch freut si, daß man ihm soviel Vertrauen schenkt ...«

»Macht er's?«

»Macht er's! Natürli macht er's. Zweg'n was berat' i mi denn mit eahm? Da brauch i koan Kunstprofessa dazua. Auf de Idee hast übrigens bloß du kumma kinna ...«

Vor Wally ihrem Manne hinausgeben konnte, trat Tobias Bünzli ein. Ein guter Beobachter hätte bemerkt, daß in dem Dichter etwas vorging, als er im Laden stand.

In seine Augen trat ein freundlicher Glanz, und seine Nase sog wohlgefällig den Duft der Spezereiwaren ein.

»Mit was kann ich Herrn Doktor dienen?« fragte Natterer.

Der Doktor gefiel Bünzli. Er lächelte freundlich und wüschte Zigarren.

Man legte ihm Hamburger vor und erkundigte sich, wie dem Herrn Doktor das Klima bekomme.

»Das Klima ischt mir ganz egal ...«

»Und können der Herr Doktor hier angenehm dichten?«

»Ich brauche eben absolute Ruhe«, erwiderte Bünzli.

»In dieser Beziehung hätten der Herr Doktor keinen besseren Platz wie Altaich finden können.«

Der Dichter zuckte die Achseln.

»Der Fremdenzufluß scheint eben doch in erschreckendem Maße zu steigen ...«

Das klang zu angenehm, als daß Natterer widersprechen wollte. Er meinte aber, es gäbe noch lauschige Plätzchen für Inspirationen.

Tobias horchte kaum zu.

Er befühlte einen Ballen Hemdenstoff, der auf der Ladenbuddel lag, und sagte: »Baumwolle mit Leinenappret ...«

Natterer wunderte sich über die Sachkenntnis, lenkte aber das Gespräch wieder auf den Fremdenverkehr.

»Bis jetzt ist es nicht so schlimm«, sagte er. »Die Saison hat nicht so lebhaft eingesetzt ...«

»Es ist aber schon wieder eine Familie eingetroffen«, entgegnete Bünzli.

»Eine Fa-?«

»Ein Rentier aus Berlin mit seiner Frau und Tochter und mit einer Zofe.«

Rentier – Berlin – Zofe –

Die Ahnung von einer bedeutungsvollen Noblesse überkam Natterer, und er fühlte sich in seinem Triebe, ins Freie zu stürzen, durch den Dichter gehemmt.

Bünzli befühlte einen andern Hemdenstoff und sagte träumerisch: »Gingan«. Das stimmte wieder.

Natterer achtete nicht darauf.

»Eine Familie? Wann? Wo?« fragte er dringlich.

Bünzli gab Auskunft. Vor einer halben Stunde habe er die Nachricht von der Kellnerin in der Post erfahren.

Ein Rentier aus Berlin und Frau und Tochter und eine Zofe. Nun hielt es den Kaufmann nicht mehr.

»Sie entschuldigen, Herr Doktor ... Wally! Mein Huat, mein Spazierstecken! ... Sie entschuldigen, Herr Doktor ...«

Bünzli verabschiedete sich, und gleich darauf stürmte Natterer aus dem Laden und eilte über den Marktplatz weg zur Post.


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