Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Zweites Kapitel

Am Fuße des von Norden her sanft ansteigenden, gegen Süden ziemlich steil abfallenden Hügels lag unweit vor der Einmündung des Schleifbaches in die Vils die Ertlmühle.

Um das zwei Stockwerke hohe Gebäude lag ein Duft von Mehlstaub, der aus Fenstern und Türen drang und sich auf die Blätter der nächsten Bäume, wie auf die Grashalme der bis an den Hof hin reichenden Wiese legte.

Neben der Einfahrt lehnte an der Hausmauer ein beschädigter Mühlstein, in den die Jahreszahl 1724 eingemeißelt war, und der sich als Invalide die Sonne auf die alten Furchen scheinen ließ.

Er war ein braver, alter Sandstein von deutscher Art und hatte in der Neuzeit einem modischen Süßwasserquarz, einem Franzosen, Platz machen müssen, und das durfte ihn verdrießen, denn er war in seiner langen Dienstzeit ein flinker Läufer gewesen, der sich emsig gedreht hatte, nicht ein fauler Bodenstein, der unten liegt und geschehen läßt, was geschieht.

Aber das war nun so mit der Ausländerei, die bei den jüngeren Müllern aufgekommen war. Sie holten Franzosen her und stellten die abgerackerten deutschen Steine vor die Türe hinaus, wo hinter ihnen Brennesseln in die Höhe wuchsen und sich durch die Löcher drängten.

Wenn man schon Anno 1724 gedient hat, war man am Ende vornehmer wie die ganze Mühle, die erst 1875 von dem aus dem Fränkischen zugereisten Michael Oßwald an Stelle der uralten Ertlmühle neu gebaut worden war.

Michael Oßwald war der Vater des jetzigen Eigentümers Martin Oßwald gewesen, der in dem sauberen Häuschen auf der anderen Seite des Hofes wohnte und ein stiller Mensch war, der auch im Äußeren nichts an sich hatte von den früheren Ertlmüllern, die lustige Altbayern mit ordentlichen Bäuchen gewesen waren.

Martin Oßwald war ein schmächtiger, zarter Mensch. Aus seinem schmalen Gesichte schauten ein Paar verträumte Augen in die Welt und eigentlich nie scharf auf einen Gegenstand, sondern daneben hin und in die Luft und ins Unbestimmte, wo sie etwas fröhliches zu finden schienen, denn häufig flog ein Lächeln um den fein geschnittenen Mund, das sogleich verschwand, wenn jemand den Meister anredete, oder wenn ihn eine recht bestimmt klingende weibliche Stimme beim Namen rief.

Dann veränderte sich der Ausdruck seiner Augen so, daß man merkte, wie er aus seinem Traume erwachte oder seine Gedanken von der weiten Reise zurückholte.

Die Stimme kam von seiner Ehefrau Margaret her, die in ihrem Wesen eine unverkennbare Klarheit des Willens zeigte. Ihr dunkles Haar war duch einen geradlinigen Scheitel geteilt, von dem aus es sich nach rechts und links in gleichen Teilen straff an den Kopf preßte.

Die blauen Augen blickten ruhig, die Nase war wohl etwas scharf, aber um den Mund lag wieder ein gutmütiger Zug, der Wohlwollen und hie und da ein wenig Staunen über die sich ins Blaue verlierenden Gedanken ihres Eheherrn verriet.

Man konnte wohl glauben, daß in dem ansehnlichen, einige Schärfe erfordernden Geschäfte die Leitung eher der Frau Margaret zukam als ihrem Martin.

Wer es aber in landläufiger Weise so ausgelegt hätte, daß sie das Regiment führte, der wäre der klugen Frau nicht gerecht geworden.

Sie leitete durch ihren Einfluß auf ihren Mann das Ganze, aber sie wahrte nicht bloß den Schein, sondern sie brachte ihn sorgsam dazu, seine Rechte zu zeigen und auszuüben.

Niemals tadelte sie einen Müllerburschen, auch wenn sie was Unrechtes sah. Sie trug die Beschwerde ihrem Martin vor in einer längeren Rede, die alles enthielt, was er dem Burschen vorhalten mußte; wenn Kunden sie um etwas ersuchten, gab sie keine Zusage. Sie versprach, daß sie es dem Herrn sagen wollte, und ließ nie die Meinung gelten, daß sie zu entscheiden habe.

Die Frau soll nicht das Meisterlied singen, sagte sie, und wenn jemand meinte, der Martin sei doch gar zu still, dann antwortete sie, Reden komme von Natur, Schweigen aber vom Verstand.

Sie freute sich innerlich darüber, daß er nichts Grobes leiden mochte, des Abends gerne in einem Buche las oder auf seiner Geige spielte.

Sie dachte, daß sie es besser getroffen habe wie andere Frauen, deren Männer ihre Freude im Wirtshause suchten und meinen, Weib und Ofen könnten ruhig daheim bleiben.

Auch war ihr Martin nicht etwa gleichgültig, und in wichtigen Dingen zeigte er festen Willen und tüchtigen Verstand.

Er ging seinen Pflichten nicht aus dem Wege. Wenn ihm das Geschäft nicht über alles ging, so durfte sie sich darüber nicht grämen, denn sie wußte, daß er sich in seiner Jugend einen anderen Beruf vorgesetzt hatte, und daß er schon sechzehn Jahre alt gewesen war, als man ihn aus dem Lehrerseminar ins väterliche Geschäft geholt hatte.

Dafür war sein nur anderthalb Jahre älterer Bruder Michael bestimmt gewesen, der seine Lehrzeit in einer Nürnberger Kunstmühle zugebracht hatte und darin auch noch als Gehilfe tätig geblieben war.

Aber eines Tages war er auf und davon gegangen und hatte aus Bremen an die Eltern geschrieben, daß er auf einem Segler Dienst genommen habe.

Erst etliche Monate später hatte der alte Oßwald erfahren, daß sein Michel vom Geschäftsführer verhöhnt und schwer gekränkt worden war, weil er der Tochter der Besitzerin in unbeholfener Art Zuneigung gezeigt hatte.

Das Mädchen hatte sich über den jungen Menschen lustig gemacht und die Sache weiter gegeben.

Der Spott der Angestellten und der Schmerz über diese Art der Zurückweisung hatten den frischen Burschen zur Flucht veranlaßt.

Es hätte auch Schlimmeres geschehen können. Zehn Jahre später, noch zu Lebzeiten der Eltern, kehrte Michel als vierschrötiger Untersteuermann auf Urlaub heim.

Er war der Heimat und dem seßhaften Wesen so sichtbar fremd geworden, daß nicht einmal die alte Mutter Oßwald hoffte, ihn halten zu können.

Er zeigte fröhliche Laune und den allerbesten Appetit und lachte gutmütig zu den Vorschlägen seines Bruders Martin, den der Gedanke plagte, daß er geborgen in der Ertlmühle sitzen sollte, indes der Michel ein hartes Leben führte.

Als etliche Wochen um waren, stand eines Morgens der Untersteuermann Oßwald mit seinem Koffer mitten in der Stube und sagte, daß er nun fort müsse, und es klang nicht anders, als wolle er nur geschwind nach Piebing hinüber gehen.

Und das war auch wieder gut, denn langer Abschied schmerzt alte Leute, besonders eine Mutter, die sich nicht große Hoffnungen auf ein Wiedersehen machen kann.

»Bhüt Gott«, sagte Michel, »und bleibts gesund bis aufs nächste Mal!«

Und ging.

Der Mutter schlug das Herz bis zur Kehle hinauf, als sie ihren Ältesten breitbeinig über den Hof gehen sah. Auf der Brücke blieb er stehen und schaute zurück und versuchte gutmütig zu lachen, als er die Mutter am Fenster stehen sah.

Es gelang ihm nicht recht, und er machte schnell kehrt, um nicht zu zeigen, wie hart ihm der letzte Gruß zusetzte.

Bhüt Gott, Michel!

Es ist kein weiter Weg über die Hügel, von denen herunter man noch einen Blick auf die Ertlmühle werfen kann, aber dann dehnen sich die Straßen und führen von kleinen Städten in große. Fremde Menschen schauen gleichgültig an einem vorbei, und fremde Glocken läuten den Morgen- und Abendgruß.

Bhüt Gott, Michel!

Es liegen Länder und Meere zwischen Altaich und Finschhafen oder Matupi, aber starke, unzerreißbare Fäden laufen mit und halten das Herz an die Heimat gebunden, wenn auch ein Seemann in polynesischen Stürmen nicht viel Zeit hat, von Deutschland zu träumen. Und wenn sich die Mutter Oßwald zum Sterben legt, läßt sie sich die Himmelsrichtung zeigen, in der ihr Michel auf fernen Meeren segelt, und ihre müde Hand macht das heilige Zeichen des Kreuzes gegen Osten hin.

Ihre welken Lippen murmeln den letzten Segen für den starken Mann, der einstmals als Kind sich an ihren Rock geklammert hatte.

Bhüt Gott, Michel!

Soweit du gehst, die Fäden laufen mit, die leise an deinem Herzen ziehen, und immer wieder kommt ein Tag, an dem du den Schleifbach um die Räder der Ertlmühle rauschen hörst, die Wassertropfen in der Sonne glitzern siehst und weißt, daß uns alle Dinge fremd bleiben, und daß uns nichts so gehört, wie die Heimat und die Erinnerung an die Kinderzeit.

In Martin blieb der Gedanke haften, daß er an Stelle eines andern in Wohlstand und Behaglichkeit sitze, und diese Vorstellung bedrückte ihn oft mehr, als die Gewißheit, daß er Pflichten übernommen hatte, die seinem Wesen fremd waren.

Er hatte, um den Wunsch der Eltern zu erfüllen, schon früh die Tochter Margaret des Kronacher Sägewerkbesitzers Wächter geheiratet, der von Mutters Seite mit den Oßwalds verwandt war.

Er liebte seine Frau und schätzte ihre altfränkische Tüchtigkeit; er war glücklich über die Geburt eines Sohnes, den ihm Margaret schon im ersten Jahre schenkte, und dem zwei Jahre später ein zweiter folgte.

Aber in Arbeit und Sorge und Freude war es ihm manchmal, als sähe er seinen Bruder breitbeinig über den Hof und die Brücke schreiten und zum letzten Male auf die Heimat zurückschauen.

Er war schon etliche Jahre Ehemann und Vater gewesen, als Michel damals heimkehrte und wieder Abschied nahm, aber er hätte ohne Bedenken und Reue mit ihm sein Anrecht geteilt und nicht gedacht, daß er ärmer geworden wäre.

Es war anders gekommen.

In den ersten zehn Jahren nach seiner Abreise hatte Michel zuweilen geschrieben. Aus Afrika, aus Indien, von Samoa her, dann einmal wieder von Hamburg, und dorthin hatte ihm Martin auch die Nachricht geschickt, daß die Mutter gestorben und der Vater nach zwei Monaten ihr nachgefolgt war.

Darauf kam nach dreiviertel Jahren eine Antwort aus Apia. In unbeholfenen Sätzen gab Michel seinem Schmerze darüber Ausdruck, daß er die Eltern nicht mehr gesehen habe. Einige Mal sei ihm Gelegenheit geboten gewesen, aber er habe die Heimkehr verschoben in der Hoffnung, bald auf längere Zeit nach Altaich zu kommen. Nun müsse er erfahren, daß die Eltern von der Welt geschieden seien.

Der Brief war sichtlich nicht in einem hin, sondern in mehreren Absätzen geschrieben. Man sah es ihm an, daß er lange in der Tasche herumgetragen war.

Seitdem ließ Michel nichts mehr von sich hören. Martin schrieb nach Umlauf etlicher Jahre an den Lloyd und erfuhr, daß sein Bruder in Neu-Guinea geblieben war. Sein Aufenthalt in Australien konnte noch festgestellt werden. Von da ab verloren sich alle Spuren.

Als Jahr um Jahr verging, ohne daß eine Nachricht kam, mußte Martin glauben, daß sein Bruder den Tod gefunden habe.

In der Ertlmühle gab es wie überall gute und schlimme Stunden. Im ganzen ging alles seinen ruhigen Gang.

Tag ging um Tag, brachte Arbeit und zuweilen Sorgen und als das Gewisseste das Älterwerden.

Frau Margarete hatte, als sie zum dritten Male in gesegneten Umständen war, einen bösen Fall getan und mußte sich damit abfinden, daß ihr ferneres Mutterglück versagt blieb.

So vereinigten sich alle Hoffnungen und Sorgen auf die zwei Söhne Konrad und Michel.

Der ältere war ein kräftiger Junge, aber still und in sich gekehrt, wie der Vater. Der jüngere war lebhaft, ein wenig vorwitzig und saß nicht gerne über den Büchern. Frau Margaret sah in ihm das Ebenbild ihres Vaters, der lebenstüchtig und etwas nüchtern seinen Sinn auf Arbeit und Erwerb gerichtet hatte.

Sie bemerkte fast ein wenig eifersüchtig, daß ihr Konrad anschmiegsamer an den Vater war.

Er wußte freilich dem Knaben Besseres und mehr zu erzählen als sie, und die beiden konnten wie Kameraden hinter der Mühle am Wasser sitzen und miteinander plaudern.

Ihr Michel tat sich dafür lieber in der Küche um und verstand es, sich für kleine Leistungen Vorteile zu verschaffen.

Frau Margaret dachte nichts anderes, als daß ihr Ältester zur rechten Zeit das Handwerk erlernen und in das elterliche Geschäft eintreten werden; sie malte sich die Zeit, da sie neben ihrem Konrad noch tüchtig schalten würde, mit angenehmen Farben aus.

Aber da erlebte sie eine große Enttäuschung.

Der stille Junge, dem sie kaum eigenen Willen zugetraut hätte, gestand ihr eines Tages, als er von München, wo er die Realschule besuchte, in den Ferien heimgekehrt war, daß er nichts anderes werden könne und wolle, als ein Maler.

Das ging so sehr über ihr Verständnis, daß sie sich über den Wunsch wie eine unreife Torheit hinwegsetzen wollte.

Ihr Martin kam dem Jungen zu Hilfe und zeigte eine Festigkeit, über die sie erst recht in Erstaunen geriet.

Es ist etwas Merkwürdiges um ein Mannsbild, das sich jahrelang behüten läßt und auf einmal seine Überlegenheit zeigt, wie etwas Selbstverständliches, so daß die Frau betroffen merkt, daß ihr die eingebildete Macht in den Händen zerronnen ist.

Und so kam es im Hause des stillen Martin Oßwald, daß der hausbackene Verstand der Frau Margaret unterliegen mußte. Sie sagte oft und nachdrücklich, daß alter Sitz der beste sei, und daß, wer wohl sitze, nicht rücken solle, aber Martin gab nicht nach.

So wurde Konrad ein Maler, und seine Mutter seufzte manches Jahr darüber und wollte nicht verstehen, wie ihr Bub eine sichere Zukunft gering achten konnte.

Sie tröstete sich, da ihr Michel mehr Sinn fürs Geschäftliche zeigte und wohl damit zufrieden war, daß er frühzeitig in die Lehre nach Kronach kam.

In Altaich aber schüttelte jedermann den Kopf darüber, daß der Älteste vom Ertlmüller einen so unnützen Beruf ergreifen mochte, und noch mehr darüber, daß die kluge und resche Frau Oßwald ihre Einwilligung gegeben hatte.

Freilich, das bringen auch Gescheitere nicht heraus, was einem fünfzehnjährigen Buben die Gewißheit gibt, daß er ein Künstler werden müsse.

Es sind Geißhirten jahrelang auf den Almen herumgelegen, haben in den Himmel hineingeschaut und sich aus der blauen Luft eine Sehnsucht geholt, die sie hinunter in die Städte trieb und zu großen Künstlern werden ließ.

Wer aufmerksam dieses Wachstum betrachtet, wird verstehen, daß auch hier ein ins Ungefähr getragener Same in Licht und Luft besser aufgeht als einer, der künstlich in der Enge gepflanzt wird.

Selten wird aus einem Knäblein der Reichen, das man mit Kunsterlebnissen aufzieht, was Rechtes; immer wieder lauft dem Herrlein ein barfüßiger Bauernbub den Rand ab; einer, der in Regen und Sonnenschein aufgewachsen ist und mit geschärften Sinnen Farben und Formen aufgenommen hat.

Vielleicht war Konrad in den Stunden, da er unter der Weide am Mühlbache saß, ein Künstler geworden, denn Wasser, das so geheimnisvoll fließt, sich ein bißchen dreht und ein bißchen murmelt und in die Ferne zieht, kann einen Buben wohl zum Bilden und Träumen anregen.

Jede Stimmung aber, die in Kinderherzen geweckt wird, gewinnt geheimnisvolle Kräfte, wenn sie sich nicht in Worte verliert.

Wir wollen den Heimlichkeiten nicht nachforschen, aus denen sich die Sehnsucht des Knaben formte; tröstete sich doch auch Frau Margaret mit dem Gedanken, daß Konrad eben ihres Martins Sohn sei.

Doch darf man erwähnen, daß ein Bild, das Deckengemälde in der Altaicher Kirche, nicht ohne Einfluß auf den Knaben geblieben war.

Es stellte die Schlacht bei Lepanto dar und war von einem Benediktinerpater aus dem Kloster Sassau um die Mitte des 18. Jahrhunderts gemalt worden. Es gab auf dem Bilde, das die ganze Decke der Kirche einnahm, unendlich viel zu sehen.

Fechtende Ritter, säbelschwingende Türken, schreiende Menschen, die im Wasser schwammen, Pulverrauch, lodernde Flammen, Engel, die um den Herrn Don Juan d'Austria schwebten und ihn mit Lorbeer krönten, sinkende Galeeren und oben in den Wolken der dreieinigen Gott, der auf den Christensieg herniederschaute. Wenn Weihrauch zur Decke emporwallte oder wenn heller Sonnenschein durch die hohen Fenster auf einen Teil des Bildes fiel, indes ein anderer umso dunkler erschien, gewannen Personen und Dinge ein seltsames Leben, und der Orgelklang, der durch die Kirche brauste, verstärkte den Eindruck. Konrad weilte am liebsten auf dem Chore, wo sein Vater an Sonntagen die Geige spielte und dirigierte. Er bewunderte ihn, wenn er mit dem Fiedelbogen den Takt schlug und wiederum voll und kräftig die Saiten strich, daß sich der Lehrer auf seinem Sitz an der Orgel umdrehte und ihm beifällig zunickte.

Dann schien Herr Don Juan d'Austria sein Haupt noch stolzer zu erheben, und die Engel senkten sich tiefer herab, um ihm den Kranz um die Stirne zu winden.

Vielleicht faßte der Knabe in einem solchen weihevollen Augenblick den Entschluß, auch einmal herrliche Bilder zu malen.

Nun waren alle Wünsche in Erfüllung gegangen, als er in die Akademie eintreten durfte. Er machte als Lernender alle Freuden und Leiden durch, die zwischen Wollen und Können liegen, und er war voll Eifer und Hingabe und getraute sich nicht, irgend etwas in der Kunst für nebensächlich oder überflüssig zu halten.

Er bewunderte seine Lehrer und die Genies, die in keiner Klasse fehlten, von denen man frühzeitig das Höchste erwartet und später nie mehr etwas vernimmt.

Ihn selber hielt man für guten Durchschnitt, für brav oder für recht brav, was bekanntlich keine Steigerung bedeutet.

Es fehlte ihm alles Frühreife, das Professoren, so oft sie auch enttäuscht werden, immer wieder überschätzen. Er war von guter Art, wie ein deutscher Apfelbaum, der Zeit haben muß zum Anwurzeln und zum Wachsen, bevor er Früchte trägt.

Darüber konnte er als junger Mensch keine Klarheit haben, und wenn er schon den Glauben an sich nicht verlor, so blieben ihm doch Zweifel nicht erspart, wenn neben ihm mancher üppig ins Geniale emporschoß. Je früher reif, je früher faul, ist eine Wahrheit, die man nur allmählich kennen lernt.

Es lag nicht im Wesen Konrads, daß er sich vorlaut über seine Vorbilder stellte und sich befreit fühlte, wenn ihn ein Fortschreiten von ihnen entfernte. Er suchte fast ängstlich mit einem Gefühle von Heimweh den alten Glauben und merkte mit Unbehagen, daß er ihn nicht mehr fand. Es war ein Gefühl, ähnlich dem, das ihn daheim überkam, als er nach längerer Abwesenheit zurückkehrte und das elterliche Haus kleiner, den Garten weniger schmuckreich und das Deckengemälde in der Kirche unbedeutender fand, als er es sich in liebevoller Erinnerung bewahrt hatte.

Aber, ob einer will oder nicht, sich losreißen von dem, was er verehrte, bleibt keinem erspart, der vorwärts geht, und es wiederholt sich so lange, bis einer sich selber gefunden hat.

Das kann ein langer Weg sein, der nicht schnureben läuft.

Auch Konrad suchte sein Ziel bald hier, bald dort.

Das lag in seiner Bereitwilligkeit, sich dem Ansehen der Führenden zu unterwerfen, begründet; wohl auch in der Art der Ausbildung, die heute mehr zur Nachahmung führt als ehedem.

Auch früher eignete sich der Schüler die Handschrift und handwerkliche Hilfen des Meisters an, aber in der Gegenwart ist der Lehrer zugleich Führer einer Richtung, die im betonten Gegensatze zu andern steht. So muß sich der Lernende viel mehr mit Haut und Haaren dem Meister, seinen Mitstreitern und Vorbildern verschreiben als in besseren Zeiten, wo sich das gedruckte Wort noch nicht die Herrschaft angemaßt hatte.

So setzte Konrad die seltsamsten Fabelwesen, die seinem Empfinden nichts bedeuteten, mitten in Waldwiesen und versuchte dies und das und nahm den Wortbrei der Mauschler viel zu ernst, bis er, dem recht elend zumute war, in der Heimat gesund wurde, indem er das suchte und fand, was seiner Natur gemäß war.

Jetzt erkannte er, daß er nichts Bedeutendes in die Dinge hineinlegen konnte, daß viel Schöneres in ihnen war, wenn er die heimlichen Zusammenhänge fand, die ihn mit allem, auch mit dem Unscheinbarsten, verbunden hielten, das dem gleichen Boden entstammte.

Das Kleine gewann Bedeutung, das Große wurde ihm durch Rückerinnerung vertrauter und beglückt fühlte er, wie sein klares Erkennen an die Ahnungen der Kinderzeit anknüpfte.

Er mußte nicht mehr nach Ausdruckmitteln suchen. Sie gaben sich natürlich und selbstverständlich, seit er wußte, daß jedes Kornfeld, das sich den Hügel hinaufzog, daß ein blauer Himmel, in dem eine Wolke verrann, nirgends in der Welt so war wie gerade hier, daß tausend Heimlichkeiten ihn zu einem Stück Heimat machten, wie den Rauch, der kerzengerade aus dem Kamin eines windschiefen Hauses aufstieg und sich als blauer Duft in maiengrünen Buchen verlor.

Jetzt konnte er über die Schriftgelehrten und ihre Rezepte lächeln, seit er wußte, daß wir von dieser Erde nur ein kleines Stück mit Herz und Sinnen besitzen und nur von da aus ins Weite schauen können.

Konrad veränderte sich in seinem Wesen, als er sah, wohinaus er wollte. Er war von einer inneren Fröhlichkeit, die den Eltern nicht entging, und der Frau Margaret, die sich oftmals über seine Niedergeschlagenheit bekümmert hatte, fiel ein schwerer Stein vom Herzen.

Martin hatte auch mit Sorge die gedrückte Stimmung an seinem Konrad bemerkt, aber jede Frage vermieden, denn er dachte, daß jeder mit sich selber fertig werden müsse.

In der Zeit war sein Sohn auch gegen ihn zurückhaltend und einsilbig gewesen, aber nunmehr sprach er wieder von Plänen und Hoffnungen, und eines Tages erklärte er zur Freude der beiden Alten, daß er auch im Winter daheim bleiben wolle.

Als er die frohe Stimmung behielt, merkte sein Vater recht gut, daß er nach innerlichen Kämpfen mit sich ins reine gekommen war.

Und an einem stillen Sonntagvormittag, als sie nebeneinander auf der Brücke standen und dem fließenden Wasser nachschauten, begann Konrad zu reden.

Er schilderte dem Vater, was er lange gesucht und jetzt gefunden habe.

Martin hörte ernsthaft zu.

Es war nicht seine Art, lange Sätze und gebräuchliche Worte zu reden.

Er sagte bloß: »Jetzt wird's wohl gehen, Konrad ...« und sah ihm mit einem kurzen, freundlichen Blick in die Augen und schaute wieder weg, denn er war von schamhafter Natur und wies seine Gefühle nicht gerne her.

Und wohl ging es.

Konrad streifte mit seinem Malkasten in der Gegend herum und war erstaunt, wie ihn liebevolles Verstehen von einem zum andern führte, und er lachte darüber, daß er ehedem Eindrücke gesucht hatte.

Die Altaicher Bürger jedoch hatten sich eine ungünstige Meinung über das Künstlertum Konrads gebildet. Sie kannten die Welt, so weit sie auch von ihr weg waren, und wußten, daß zum vollen Werte eines Künstlers die Anerkennung der Zeitungen gehört.

Weil man aber nichts las über Konrad Oßwald, war der Rückschluß bald gemacht.

So urteilte Natterer junior, der sich gewissenhaft fragte, ob er dem jungen Menschen Vertrauen in einer wichtigen Angelegenheit schenken dürfe. Es handelte sich darum, Ansichten vom Höhenluftkurorte Altaich und der Umgebung herzustellen, die man als Plakate in Bahnhöfen und Hotels aufhängen würde.

Die große Idee war eines Nachts über Natterer gekommen, so daß er mit beiden Füßen zugleich aus dem Bette sprang und den Plan niederschrieb.

Am andern Morgen eilte er fast atemlos vor innerer Bewegung zum Posthalter, um ihm den wichtigen Einfall mitzuteilen.

Blenninger öffnete schon den Mund zur Frage: »Was hast denn wieda für an Schmarrn?«, aber er schloß ihn und schwieg.

Seine Zurückhaltung hatte ihren guten Grund.

Es waren im Verlaufe zweier Wochen wirklich fünf Sommerfrischler, darunter einer mit Weib und Kind, eingetroffen und das mußte man doch anerkennen.

Deswegen tat sich der Blenninger Michel einen Zwang an und ließ den Kramer zu Ende reden und sagte weiter nichts als:

»Von mir aus tuast, was d' magst.«

Herr Natterer war nun verpflichtet, sich über die Qualitäten des Malers Konrad Oßwald klar zu werden, und er bedachte, daß vielleicht die Anhänglichkeit an den Heimatort das Können heben würde. Da er zudem für den Grundsatz: »Kauft am Platze!« eingenommen war, faßte er noch während des Gespräches mit dem Posthalter den Entschluß, dem jungen Manne die Ehre des Auftrags zukommen zu lassen.

»Meinst d' nicht auch?« fragte er den Blenninger. »Er ist zwar koin anerkannter Künstler, aber ma kann ihn als Altaicher net auf d' Seit setz'n. Und übrigens bin ich ja da; ich überwach die Sache schon. Meinst d' net auch?«

Der Posthalter steckte die Hände in die Hosentaschen und pfiff seinem Tiras, der auf dem Marktplatz eine Bekanntschaft erneuern wollte, und dann sagte er: »Ja ... ja ... von mir aus tuast d', was d' magst.«

Natterer, der einen Entschluß immer auf der Stelle ausführen wollte, eilte mit fliegenden Rockschößen weg, am Martl vorbei, der ihm feindselig nachschaute und vor sich hinbrummte:

»Spinnata Kramalippl ... hundshäuterner!«


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