Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Elftes Kapitel

Es traf sich an diesem Abend, daß der Ertlmüller mit dem Bäckermeister Staudacher ein Geschäft abzumachen hatte. Darnach verhielt er sich noch etwas unter der Ladentüre, weil gerade etliche Leute von der Bahnstation hereinkamen, unter ihnen der Schlosser Hallberger, der stehen blieb und mit ihm ein paar freundliche Worte tauschte.

Martin redete noch mit ihm, als ganz zuletzt ein sonderbarer Mensch daher kam, den man wegen seines schwankenden Ganges für betrunken halten konnte.

Er blieb zuweilen stehen und drehte sich schwerfällig nach allen Seiten um, als kämen ihm in seinem Zustande die gewöhnlichsten Dinge seltsam vor.

Mit der rechten Hand trug er einen mit Ölflecken beschmierten Koffer, über den drohend ein großes Harpuneneisen hinausragte, das mit derben Stricken darauf verschnürt war. In der linken trug er ein mit Wachsleinwand umwickeltes Paket, an dem zwei riesige Boxerfäustlinge baumelten. Der Mann war hochgewachsen, hager und hatte fast übermäßig breite Schultern; aus seinem verwitterten Gesicht blitzten ein paar scharfe Augen den Schlosser Hallberger an und blieben auf dem Ertlmüller haften.

Dabei verzog sich sein Mund, in den eine Stummelpfeife geklemmt war, zu einem verlegenen, gutmütigen Lachen, und Martin fühlte sich bei dem Anblick sonderbar bewegt.

Der Fremde stellte den Koffer auf die Straße und lüftete seinen Schlapphut.

»Hallo!« sagte er mit einer Baßstimme, die auch im leisen Anschlag dröhnte ... »Ist das nicht der Martin Oßwald?«

Der Ertlmüller trat näher und wußte nicht, warum sein Herz schneller klopfte. »Der Oßwald bin ich«, sagte er.

»Kennst du deinen Bruder Michel nicht mehr?«

»Den ...«

Aber da lag er schon an seiner Brust und schlang den Arm um seinen Hals.

Michel ließ das Paket und die Boxerhandschuhe fallen und nahm den Stummel aus dem Mund, denn er mußte dem alten Kerl einen Kuß geben.

Wie's geschehen war, nahm er die Pfeife wieder zwischen die Zähne und faßte den Bruder an den Schultern und hielt ihn vor sich hin, um ihn richtig anzuschauen.

Da fand er Zug um Zug den Vater, und doch wieder den schmächtigen jungen Mann, von dem er Abschied genommen hatte. Das Gesicht treuherzig wie je, und doch wieder verändert, ein Zeichen, daß auch in der Heimat die Jahre ihre Arbeit getan hatten.

Michel mußte eine starke Rührung niederkämpfen, denn sie zu zeigen, stand einer alten Blaujacke nicht an.

Er ließ seinen Bruder los und rief ein paarmal mit heiserer Stimme »Hallo!« und spuckte kunstgerecht im weiten Bogen aus. Dabei zog er bald das eine und bald das andere Bein in die Höhe, schob seinen Hut zurück und rieb sich heftig die Stirne. Martin war von tiefer Erregung blaß geworden.

Er wiederholte immer die Worte: »Der Michel! Wie kann's sein?«

Jetzt trat Hallberger heran.

»Kennst d' dein alt'n Schulkameraden nimmer? An Schlosser Karl?«

»Der Karl? Der in Mühlbach g'fallen is?«

»Und den du rauszog'n hast ... freili ...«

»Und der dem alten Lehrer Sitzberger das Fenster ...«

»Eing'schmissen hat. Jawoi, dös bin i ...«

Da kam der Michel über seine weiche Stimmung weg. Er lachte laut und schüttelte Hallberger die Hand; und so hart die Finger des Schlossers waren, dem Michel seine waren härter.

»Als wenn ma d' Hand in an Schlageis'n drinna hätt'«, erzählte der Hallberger hinterher.

»Komm jetzt heim ...« sagte Martin.

Und das Wort ging Michel an wie eine Liebkosung!

Heim!

Er hatte sich's oft gesagt in schlechten Tagen, er war damit eingeschlafen und war damit aufgewacht.

Es war ein Wort, das Schmerzen linderte und wieder alle Freuden in der Welt draußen leer erscheinen ließ. Es tat einem so wohl, als striche einem Mutterhand die Haare aus der heißen Stirne, und als verspräche einem die liebste Stimme auf Erden Ruhe und Sicherheit.

Michel nahm Koffer und Paket auf; er litt es nicht, daß ihm der Bruder half.

Sie gingen weg, und der Hallberger und der neugierige Bäck schauten ihnen nach.

»A Bruder vom Ertlmüller?« fragte Staudacher. »Ja, was sagst da? Vo dem hab' i no nia nix g'hört ...«

»Du bist aa no net lang hier ...«

»No, allawei schon neun Jahr; aber daß koa Mensch davo g'red't hat?«

»Is halt d' Sprach net drauf kemma ... und glaabt hamm ma so schon lang, daß da Michel tot und begrab'n is.«

»So was! Und daß so oana, der wo do in guate Verhältnis war, weggeht? Auf a Schiff! Und wia 'r a ausschaugt!«

»Älter halt ...«

»Na ... na! Der hat was an eahm, was zum Fürcht'n is ... wia 'r a Seeräuber oder a Gschlafenhandler ...«

»Da Michi? Du red'st scho g'scheit daher!«

»I sag' ja grad, wie 'r a mir vorkimmt. I hab' a Büachi, da san so G'schicht'n drin von Gschlafenhandler, de wo de Schwarzen g'fangt hamm und hamm s' auf Amerika übri bracht ... und Bilder san dabei. De schaug'n g'rad so aus ...«

»Laß da sag'n, bessa woaß 's koana wia 'r i, was dös für a braver Kamerad is. Von selbigs mal her, wia 'r i als Bua in Mühlbach einig'fall'n bi. Koa Mensch umadum, bloß da Michi. Aba der spring nach, dawischt mi bei de Haar, und koane zwoa Zimmerläng' vom Rad weg kimmt er a Staud'n z' packa und ziaght mi raus. Und wia mei Vata mit mir in d' Mühl' abi is zum Bedank'n ... hat da Michel gar net dergleich'n to. A weng g'lacht hat a in da Verlegenheit, und wia 'r i 'n voring g'sehg'n hab, da hat er aa a so g'schmunzt, genau so ... daß mir d' Erinnerung kemma is an die selbige Stund' ...«

»No freili ... Du woaßt ja da mehra, aber unseroans hat bloß den Eindruck a so ... Wild schaugt er scho aus, mei Liaba!«

Auch auf dem Markplatz staunten die Leute, als sie neben dem Ertlmüller den breitspurig schreitenden Mann erblickten, und dazu die hin und her baumelnden Boxerhandschuhe und die drohende Harpune.

Natterer, der vor seinem Laden stand, vergaß vor Überraschung zu grüßen.

Er ging den beiden etliche Schritte nach.

»... Herr Oßwald! Entschuldigen an Aug'nblick, Herr Oßwald!«

Martin hörte ihn nicht.

Er schaute seinen Bruder an, der mächtige Rauchwolken links und rechts hinausbließ und die alten Häuser musterte, die genau so behäbig aussahen, wie vor vielen Jahren, unbekümmert um Zeit und Geschehen und um die Menschen, die als Kinder Schusser an ihre Mauern warfen und später mit Gepränge herein kamen, neue Möbel aufstellten und wiederum Kinder kriegten. Die einen kamen, die anderen gingen, und so oft auch ein Sarg hinausgetragen wurde, es waren immer wieder Leute da, und alles war immer das gleiche.

Einmal lag Schnee auf den Fenstergesimsen und auf den steinernen Kugeln der Treppensäulen; ein andermal zerging er, und das Wasser schoß gurgelnd aus den Dachrinnen, und wieder einmal wirbelte der Wind dürre Blätter von den Bäumen am Marktbrunnen herüber.

Wenn man das lange genug gesehen hat, weiß man, daß sich nichts ändert. Bloß die Menschen glauben, es komme und gehe und wachse und zerfalle alles mit ihnen.

Aber der Michel war doch so froh um diese Dauerhaftigkeit!

Wenn man große Inseln, auf denen man war, hinterdrein nicht mehr gefunden hat, weil sie im Meer versunken waren, wenn der Erdboden unter einem ins Wanken gekommen ist, dann sieht man mit Wohlgefühl, daß der Prellstein am Sattler Scheuerlhause noch genau dort ist, wo er war, und daß in der Auslage beim Konditor Noichl immer noch die bunten Schachteln mit Mandeln und Feigen liegen und die Apfelkuchen auf zierlich geränderten Papiere.

Das läßt einem glauben, daß man nur geträumt habe und daß man nun aufgewacht sei im weichen Federbette der Heimat.

Als sie den Berg hinuntergingen und das Wasser rauschen hörten, blieb Michel stehen.

Sein Gesicht, in das scharfe Falten wie mit dem Messer geschnitten waren, wurde ernst, als er sagte: »... Unser Bach!« Es setzte sich aufs Geländer und horchte die Musik, die sein Singen in Kindertagen begleitet hatte.

Aus dem Brüllen der Brandung, aus den Tierstimmen im Tropenwald hatte er sie herausgehört, aus weiter Ferne herüberklingend. Nun war sie da; so nah wie in der glücklichen Zeit. Martin stand schweigend neben ihm.

Nach einer Weile gingen sie weiter. Es war dunkel geworden, und als sie zur Brücke kamen, blinkte ihnen ein Licht entgegen.

»Unser Wohnstuben«, sagte Martin.

Da blieb Michel stehen und setzte den Koffer nieder.

»Ich hab' zwei Meinungen«, sagte er. »Es ist scho Nacht, und dei Frau weiß nix ... es wär g'scheiter, wenn i erst morg'n in der Früh' ...«

»Was fallt dir denn ei? D' Margaret freut sich g'rad so wie ich . . .«

»Wenn i beim Tag komm und sag grüß Gott und so ... aber in der Nacht ...«

»Komm!« sagte Martin und wollte den Seemann,, der es mit der Angst kriegte, vorwärts drängen.

Aber der Michel war nicht leicht von seinem Platz wegzurücken.

»I hab zwei Meinungen«, sagte er. »Jetzt bei der Nacht ...«

»Was soll denn d'Margaret denk'n, wenn du wegen ihr wegbleibst?«

»Ich komm ja morg'n früh ...«

»Geh, Michel! Sie is herzensgut und brav ...«

»Grad die Braven ... schau! Die wollen Ordnung hamm ... Was is denn dabei? I hab viele Jahr lang in kein Bett g'schlaf'n ...«

»Komm!« drängte Martin.

Michel schob den Hut zurück und rieb sich die Stirne.

»Mit den Frauenzimmern«, sagte er, »muß man Obacht geb'n. Wie ich in Australien war, bei Cooktown herum, ich hab's auf den Goldfeldern probiert, aber es war nix, und da bin ich so noch im Land blieb'n zum Wallabieschieß'n und so, aber dös g'hört net daher ... Und da war der Tom Scanlan, ein Irischer. Mit dem war ich drauß'n, und mir jag'n da auf die Skrub Wallabies, die sin so wie kleine Känguruh, aber das g'hört net daher. Und der Scanlan sagt zu mir, daß ein Freund von ihm, der Tom Duffie, in der Näh' sein Camp hat, und wir können hingehen, sagt er, und so. Und wir geh'n hin, und Duffie sagt zu seiner Frau, sie soll noch zwei Gäns abtun, und sie tut sie ab und war alles recht. Aber in der Nacht wach ich auf und hör, wie die Alte über den Tom Duffie hergeht und ein langes Garn spinnt, ob das eine Manier ist, wenn zwei bei der Nacht daherkommen ...«

Michel redete nicht fließend in einem hin; er saugte an seiner Pfeife und stieß Rauchwolken aus, und wenn er sagte, daß es nicht her gehöre, ging seine Stimme in undeutliches Murmeln über, und er spuckte in weitem Bogen aus.

Wie er fertig war, legte er seine Hand auf Martins Schulter, um durch festen Druck seine zwei Meinungen zu bekräftigen.

Martin war es beim Zuhören eigen zumute.

Er horchte mehr auf die Stimme wie auf die Worte; und weckte manches mit seiner Treuherzigkeit die Erinnerung an vergangene Zeit, dann kam wieder Ungewohntes dazwischen, und diese Mischung von vertraut und fremd sein griff ihm seltsam ans Herz.

Nun sagte er:

»Michel, glaubst du denn, ich könnt' am Tisch sitzen unterm Bild von der Mutter, wenn ich denken müßt, daß du vor der Tür draußen bist?«

»Jo ... die Mutter ...«

Michel räusperte sich, als er die Worte sagte.

Sein Entschluß war nicht mehr so fest, und nach etlichem Hin- und Widerreden gab er nach.

Aber Martin mußte versprechen, daß er ihm ein Zeichen geben wolle, wenn eine Bö einfalle.

Als auf dem Kieswege ihre Schritte vernehmlicher wurden, rief eine helle Stimme vom Hause her:

»Martin, bist du's?«

»Jawohl ...«

»Wo bleibst d' denn? Ich hätt' beinah Angst kriegt ...«

»Ach – geh ...«

»Is wer bei dir?«

»Ein B'such, Margaret ...«

»B'such?«

Die Frage klang so erstaunt, daß Michel beinahe wieder stehen geblieben wäre. Aber da war schon eine weibliche Gestalt dicht an ihn herangetreten.

»Ein B'such?«

»Ja ... Margaret ...«, sagte Martin, und in seiner Aufregung fiel er der erstaunten Ertlmüllerin um den Hals. »Mein Bruder – der Michel ...«

»Der Michel? Wie geht das zu? So kommt doch rein!«

Das war freilich zum Erstaunen, und wie sich nun die Türe auftat und ein heller Schein über den Ankömmling fiel und über den Koffer mit der Harpune und über das Paket mit den Boxerfäustlingen, da gab es erst recht was zum Wundern. Aber die Ertlmüllerin erschrak nicht über den riesigen Mann, den sie nicht mehr erkannt hätte.

Und wild kam er ihr auch nicht vor. Sie sah, wie sich aus dem verwitterten Gesicht ein paar gutmütige Kinderaugen in seltsamer Verlegenheit auf sie richteten.

An ihrem Händedruck konnte Michel merken, daß bestes Wetter war, und daß die Ertlmüllerin keine Ähnlichkeit mit Sara Duffie hatte.

Wie haben es aber die Mannsbilder leicht in Freude und Schmerz! Sie geben sich ihren Gefühlen hin oder beherrschen sie, und sie wissen es nicht anders, als daß auf heftige Gemütsbewegungen ein gutes Mahl zu folgen habe.

Sie überlassen es den Frauen, für die kleinen Sorgen des Lebens Kraft zu behalten.

So traf es auch jetzt Frau Margaret, an das Nächste zu denken, und sie lief aus der Küche in die Speisekammer und aus der Speisekammer in den Keller, sie holte Eier und Mehl und ein Stück Geräuchertes und besann sich darauf, daß es zu wenig sei, und holte noch eins.

Bald zischte das Schmalz in der Pfanne, und ein lieblicher Duft zog den Hausgang entlang und zwängte sich durchs Schlüsselloch in die Stube.

Drinnen saß Michel auf dem Kanapee, auf dem alten Ehrenplatze des Vaters; und Tisch und Stuhl, die Bilder an den Wänden, der Ofen in der Ecke stellten sich seiner Erinnerung so eindringlich dar, daß ihm zuletzt auf die wunderlichste Art ein Jahrzehnt ums andere in Unwirklichkeit versank.

Er redete nichts.

Aber wenn sein Blick auf einen Gegenstand fiel, mit dem er ein frohes Wiedersehen feierte, brummte er paar Worte vor sich hin.

»Die alte Kommod'! Der alte Of'n!«

Dann streckte Martin die Hand über den Tisch und legte sie auf die Hand des Bruders.

Konrad saß dabei und freute sich über den Prachtmenschen, der trotz allem, was in seinem Äußern an einen kantigen Eichenklotz erinnerte, wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum da hockte.

Als Frau Margaret ihre Gaben auftrug, wurde es lebhafter, und Michel wandte sich der Gegenwart zu und zeigte, wie tauglich der Seewind einem Mann zum Essen macht.

Alle redeten ihm zu, bald im Chor, bald einzeln, und als die andern schon lange fertig waren, schnitt Michel immer noch mit Ruhe, ohne unschöne Hast, Stück für Stück ab.

»No, Gott g'segn' dir dir Mahlzeit! G'schmeckt hat's dir!« sagte Frau Margaret fröhlich, als Michel Messer und Gabel weglegte und sich mit dem Handrücken den Mund abwischte.

Ob's ihm geschmeckt hatte!

So gut wie daheim war es nirgends, und dem Besten, was man draußen kriegte, fehlte das Eigentliche und die Hauptsache.

Und damit kam Michel ins Erzählen.

Er berichtete nicht von großen Reisen und Abenteuern oder Gefahren.

Er hatte viel bessere Geschichten auf Lager, mit denen er seine Zuhörer erfreuen konnte.

Wie George Downie und Patick Sgean und Fim Walker, der bei Nymagie einen guten Platz hatte mit ziemlich viel Schafen und der von einem Deportierten abstammte, nämlich von einem englischen Sträfling, aber das gehörte nicht daher, und wie also George Downie und Fim Walker und Patrik Sgean, der ein Irländer war und mit Harry Dan einmal eine harte Sache hatte, aber das gehörte nicht daher, also wie sie vor einem Kaninchenbau standen, und jeder hatte einen Prügel in der Hand, einen guten Prügel aus Hartholz, und sie paßten auf Kaninchen, weil der Hund im Bau war, und auf einmal sauste ein Kaninchen heraus, und Patrik Sgean schlug zu und traf den George Downie und gab ihm eins über den Kopf, daß ihm die Sterne vor den Augen tanzten.

Die Erinnerung an dieses prachtvolle Erlebnis packte Michel so, daß ihm über seinem herzlichen Lachen die Pfeife ausging. Und dann gab es eine Geschichte, wie er in der Lavender Bai lag auf einem Hamburger Schiff, auf der »Berta Schmitz«, und sie hatten Häute geladen, und da war ein Kerl aus Queensland, der verdammt frech war, und Michel kriegte einen Handel mit ihm und gab ihm einen guten Schlag zwischen die Augen.

Und andere Geschichten gab es von Haifischen und von Wallabies und Känguruhs und von Eingeborenen, die den Korroborri tanzten, und zwischenhinein kamen immer Dinge, die nicht hergehörten.

Martin horchte aufmerksam zu, aber viel merkwürdiger als jedes Geschehnis kam ihm der Umstand vor, daß sie sein Bruder erlebt hatte, der aus der Ertlmühle einen Weg in den australischen Busch gefunden hatte.

Immer wieder mußte er ihn anschauen und daran denken, wie leise ihm die Zeit verronnen war, indessen der andere Sohn seiner Mutter, unbehütet auf sich gestellt, in harten Umständen ein Mann geworden war.

Frau Margaret gab lange nach Mitternacht das Zeichen zum Aufbruch, und sie führte den Michel über die Stiege hinauf in ein kleines Zimmer.

Ja, wirklich in das gleiche Zimmer, aus dem er vierzig Jahre vorher als frischer Bub in die Welt hinausgegangen war.

Noch immer senkte sich die Decke schief über das Bett, das sich in die Ecke hineinschmiegte; auf dem Fensterbrette standen noch immer Blumentöpfe, und an der Wand hing das gleiche Bild, die Schlacht bei Wörth. Der Kronprinz Friedrich deutete mit der Tabakspfeife vorwärts, und die bayrischen Soldaten schwenkten die Helme. Etliche Turkos standen links in der Ecke und schauten stumpfsinnig vor sich hin. Wenn Michel als Bub aufgewacht war, hatte er mit verschlafenen Augen zu dem Bild hinübergeblinzelt und die Schrapnells angestaunt, die in der Luft platzten. Alles war, wie vor vielen Jahren. Nichts hatte sich geändert.

Der Kronprinz deutete vorwärts mit der Pfeife, und die Soldaten schwenkten die Helme.

Grüß Gott, Michel!

Aber damals stand kein Koffer mit einer Harpune darauf neben dem Waschtisch, und keine Boxerfäustlinge hingen vom Stuhle herunter.

Es lag doch allerlei zwischen damals und heute.

Alle schüttelten Michel die Hand und wünschten ihm gute Nacht. Er legte sich aber nicht nieder, als er nun allein war.

Er setzte sich auf den Bettrand und rauchte und dachte über viele Dinge nach.

Gerade so wie Martin, dem es auch nicht ums Schlafen war.

Margaret verstand sein Schweigen, und sie sagte zu ihm:

»Wer reist, weiß wohl, wie er ausfahrt, aber nicht, wie er heimkommt. Der Michel ist ehrlich und brav blieben, das kennt man ihm an, und das ist die Hauptsach', und alles andere wird recht wer'n. Ich weiß, was du denkst, Martin. Aber du mußt 's jetzt net anders anschauen. Du hast ihm nix g'nommen und hast ihn nicht vertrieb'n. Er ist gangen, weil er gehen hat wollen. Drum denk nicht, was sein hätt' können, und freu' dich, daß er wieder daheim is ...«

Und dann kam der Morgen nach der unruhigen Nacht.

Ein Sonnenstrahl schlich zwischen den Geranienstöcken durch und huschte dem Michel neugierig übers Gesicht.

Bist du wieder da?

Und drunten krähte ein Hahn; er hielt den Ton genau so wie sein Urahne, der einst den Buben aufgeweckt hatte. Er krähte auf gut Deutsch und ganz anders wie die Gockel in der Fremde.

Grüß Gott, Michel!


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