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45. Kapitel

Zwischen Hampshire und London

Sir Pitt Crawley hatte für das Gut Queen's Crawley mehr getan, als Zäune geflickt und verfallene Pförtnerhäuschen wiederhergestellt. Als kluger Mann hatte er sich ans Werk gemacht, um die geschwundene Beliebtheit seines Hauses wieder zu gewinnen und die Löcher und brüchigen Stellen wieder auszubessern, mit denen sein verrufener, verschwenderischer alter Vorgänger den Namen hinterlassen hatte. Er wurde bald nach dem Tode seines Vaters für den Wahlflecken ins Parlament gewählt, und als Friedensrichter, Parlamentsabgeordneter einer vornehmen Grafschaft und Repräsentant einer alten Familie machte er es sich zur Pflicht, sich vor dem Hampshire-Publikum zu zeigen, reichliche Beiträge für die Wohltätigkeitsveranstaltungen der Grafschaft zu zeichnen, fleißig seine Nachbarn zu besuchen und, mit einem Wort, es darauf anzulegen, in Hampshire und später im ganzen Reich die Stellung zu erringen, für die ihn seiner Ansicht nach seine ungewöhnlichen Talente bestimmten. Lady Jane war angehalten, sich freundlich gegen die Fuddlestons, die Wapshots und die anderen bekannten Baronets der Nachbarschaft zu benehmen. Deren Kutschen konnte man jetzt häufig in der Allee von Queen's Crawley erblicken, sie speisten recht oft im Schloß (wo die Küche so gut war, daß Lady Jane offenbar nur selten die Hand im Spiel hatte), und Sir Pitt und seine Frau wiederum ließen sich weder durch Wetter noch Entfernungen abhalten, auswärts zu speisen. Wenn sich Pitt auch selbst nichts aus Gesellschaften machte, da er ein steifer Mensch von schlechter Gesundheit und geringem Appetit war, so meinte er doch, daß es in seiner Stellung unumgänglich nötig sei, gastfreundlich und leutselig aufzutreten, und jedesmal, wenn er vom langen Sitzen nach Tisch Kopfschmerzen bekommen hatte, fühlte er sich als Märtyrer seiner Pflicht. Er unterhielt sich mit den größten Landedelleuten über Ernten, Korngesetze und Politik. Er (der früher in diesen Fragen ein arger Freidenker gewesen war) sprach jetzt mit Feuereifer über Wilddieberei und Wildgehege. Er selbst jagte nicht, er war kein Jäger, sondern ein Mann der Bücher und friedlichen Gewohnheiten, aber er glaubte, daß man sich um die Pferdezucht auf dem Lande kümmern müsse und daß daher auch die Fuchszucht entwickelt werden müsse. Wenn sein Freund, Sir Huddleston Fuddleston, gern auf seinem Grund und Boden Fuchsjagden veranstalten wolle und Queen's Crawley wie in alten Zeiten Sammelplatz von Jägern und Meute sein solle, so schätzte er sich glücklich, ihn und seine Jagdgesellschaft dort zu begrüßen. Zu Lady Southdowns Entsetzen wurde er täglich orthodoxer. Er gab das öffentliche Predigen und den Besuch von religiösen Versammlungen auf, ging fleißig in die Kirche, besuchte den Bischof und die Geistlichkeit in Winchester und erhob keinen Einwand, wenn ihn der ehrwürdige Archidiakon Trumper zu einer Partie Whist einlud. Was für Qualen empfand wohl Lady Southdown und wie mag sie ihren Schwiegersohn als Verworfenen betrachtet haben, da er einer so gottlosen Zerstreuung frönte! Als der Baronet bei der Rückkehr der Familie von einem Oratorium in Winchester den jungen Damen ankündigte, daß er sie wahrscheinlich nächstes Jahr zu den Grafschaftsbällen mitnehmen werde, vergötterten sie ihn wegen seiner Güte. Lady Jane war nur zu gehorsam und vielleicht selbst froh, daß sie gehen durfte. Die verwitwete Gräfin sandte ihrer Tochter im Kapland, der Verfasserin der »Apfelfrau von Finchley«, die entsetzlichsten Schilderungen vom weltlichen Benehmen ihrer Tochter, und da ihr Haus in Brighton zu dieser Zeit leer stand, kehrte sie in den Badeort zurück, ohne daß ihre Kinder ihre Abwesenheit sehr bedauert hätten. Wir dürfen auch annehmen, daß Rebekka bei ihrem zweiten Besuch in Queen's Crawley nicht sonderlich bekümmert war, die Dame mit dem Arzneikasten nicht anzutreffen, obgleich sie der Lady einen Weihnachtsbrief schrieb, in dem sie sich Lady Southdown ehrerbietig ins Gedächtnis zurückrief, dankbar von der Freude sprach, die ihr die Unterhaltung mit der Lady bei ihrem letzten Besuch bereitet habe, sich über die Güte verbreitete, mit der die Lady sie im Krankenbett überschüttet habe, und erklärte, alles in Queen's Crawley erinnere sie an ihre abwesende Freundin.

Zu einem großen Teil war das veränderte Benehmen und die Beliebtheit Sir Pitt Crawleys auf die Ratschläge der schlauen kleinen Dame von der Curzon Street zurückzuführen. »Sie und Baronet, bloßer Landedelmann bleiben!« hatte sie ihm erklärt, als er in London bei ihr zu Gast war. »Nein, Sir Pitt Crawley, ich kenne Sie besser; ich kenne Ihre Talente und Ihren Ehrgeiz; Sie glauben, daß Sie sie verbergen können, mir gegenüber gelingt Ihnen das aber nicht. Ich habe Lord Steyne Ihre Broschüre über das Malz gezeigt, er kannte sie schon und sagte, sie sei nach Ansicht des ganzen Kabinetts das Beste, was auf diesem Gebiet erschienen sei. Das Ministerium ist auf Sie aufmerksam geworden, und ich kenne Ihr Ziel. Sie wollen sich im Parlament auszeichnen; jeder sagt, Sie seien der fähigste Redner Englands (man erinnert sich nämlich noch Ihrer Reden in Oxford). Sie wollen Parlamentsabgeordneter für die Grafschaft werden, und dann können Sie mit Ihrer eigenen Stimme und Ihrem Wahlflecken hinter sich alles erreichen. Und Sie wollen Baron Crawley von Queen's Crawley werden, und das werden Sie auch, bevor Sie sterben. Ich weiß alles, ich habe es in Ihrem Herzen gelesen, Sir Pitt. Wenn ich einen Mann hätte, der neben Ihrem Namen auch noch Ihren Verstand besäße, dann, denke ich zuweilen, würde ich seiner nicht unwürdig sein – aber – aber jetzt bin ich Ihre Verwandte«, fügte sie lachend hinzu, »und wenn ich auch nur ein kleiner Habenichts bin, so besitze ich doch einigen Einfluß, und wer weiß – vielleicht kann eines Tages die Maus dem Löwen nützlich sein.« Pitt Crawley war über ihre Worte erstaunt und völlig hingerissen. »Wie mich diese Frau versteht«, sagte er, »ich habe Jane niemals dazu bewegen können, auch nur drei Seiten in der Malzbroschüre zu lesen. Sie hat keine Ahnung davon, daß ich außerordentliche Talente und geheimen Ehrgeiz besitze. So erinnern sie sich also meiner Reden in Oxford, diese Schufte? Jetzt, wo ich meinen Wahlflecken vertrete und den Parlamentssitz für die ganze Grafschaft erhalten kann, fangen sie an, sich meiner zu entsinnen. Lord Steyne hat mich voriges Jahr beim Empfang ganz einfach geschnitten. Jetzt kommen sie aber endlich langsam darauf, daß Pitt Crawley doch jemand ist. Der Mann, den diese Leute vernachlässigten, ist niemals anders gewesen. Es fehlte nur die günstige Gelegenheit, aber ich will ihnen zeigen, daß ich ebenso gut reden und handeln wie schreiben kann. Achilles offenbarte erst sein wahres Wesen, als man ihm das Schwert gab. Ich halte es jetzt, und die Welt soll noch von Pitt Crawley hören.«

Deshalb war also der schlaue Diplomat so gastfreundlich geworden, so freigebig gegen Oratorien und Spitäler, so freundlich gegen Dekane und Geistliche, so großzügig im Geben und Besuchen von Diners, so ungemein gnädig gegen die Landleute an Markttagen und so interessiert an Grafschaftsangelegenheiten, und deshalb war das Weihnachtsfest im Schloß das fröhlichste, das man seit langem dort erlebt hatte.

Am ersten Feiertag fand ein großes Familientreffen statt. Alle Crawleys aus dem Pfarrhaus kamen zum Essen. Rebekka war gegenüber Mrs. Bute so freundlich und offen, als ob diese nie ihre Feindin gewesen wäre. Sie zeigte liebevolles Interesse für die Mädchen, war überrascht über die Fortschritte in der Musik, die sie inzwischen gemacht hatten, und bestand darauf, daß eins der Duette aus den großen Liederbüchern, die James brummend aus dem Pfarrhaus hatte mitschleppen müssen, wiederholt wurde. Mrs. Bute mußte also wohl oder übel gegenüber der kleinen Abenteuerin Anstand bewahren, was sie nicht davon abhielt, später mit ihren Töchtern über die unangebrachte Achtung zu sprechen, die Sir Pitt seiner Schwägerin erwies. James jedoch, der bei Tisch neben ihr gesessen hatte, erklärte, sie sei ein Prachtweib. Aber die ganze Pfarrersfamilie war sich einig, daß der kleine Rawdon ein netter Junge sei. Sie respektierten in dem Knaben den möglichen Baronet, denn zwischen ihm und dem Titel stand nur der kleine, kränkliche, blasse Pitt Binkie.

Die Kinder waren sehr gute Freunde. Pitt Binkie war ein zu kleines Hündchen, als daß ein so großer Hund wie Rawdon mit ihm gespielt hätte, und Matilda, die ja nur ein Mädchen war, gab natürlich keinen passenden Spielgefährten für einen jungen Mann von fast acht Jahren ab, der bald einen Anzug tragen würde. Er übernahm sofort das Kommando über die winzige Abteilung, und der kleine Knabe und das kleine Mädchen folgten ihm ehrerbietig, wenn er sich herabließ, mit ihnen zu spielen. Das Leben auf dem Lande bereitete ihm Glück und Freude. Der Küchengarten gefiel ihm sehr, die Blumen weniger, aber die Tauben und das Geflügel und die Ställe entzückten ihn ungemein, wenn er sie aufsuchen durfte. Von den beiden Miss Crawley ließ er sich nicht küssen, er erlaubte aber Lady Jane zuweilen, ihn zu umarmen. Wenn das Signal für den Salon gegeben war und die Damen die Herren beim Rotwein zurückließen, setzte er sich lieber neben sie als neben seine Mutter. Rebekka, die bemerkt hatte, daß Zärtlichkeit hier Mode war, hatte Rawdon eines Abends zu sich gerufen, sich zu ihm gebeugt und ihn in Gegenwart aller Damen geküßt.

Nach dieser Tat zitterte er, wurde rot, wie stets, wenn er erregt war, und blickte ihr gerade ins Gesicht. »Zu Hause küßt du mich nie, Mama!« sagte er, worauf ein allgemeines bestürztes Schweigen entstand und Rebekkas Blick einen keineswegs angenehmen Ausdruck bekam.

Rawdon liebte seine Schwägerin wegen ihrer Zuneigung zu seinem Sohn. Lady Jane und Becky vertrugen sich bei diesem Besuch nicht ganz so gut wie bei dem vorherigen, wo es die Frau des Obersten darauf angelegt hatte zu gefallen. Die Bemerkungen des Kindes hatten sie etwas entfremdet. Vielleicht war Sir Pitt auch etwas zu aufmerksam gegenüber der Schwägerin.

Rawdon war entsprechend seinem Alter und seiner Größe lieber in Männergesellschaft als unter Frauen. Er wurde es nie müde, seinen Vater zu den Ställen zu begleiten, wohin sich der Oberst zurückzog, um seine Zigarre zu rauchen. James, der Pfarrerssohn, schloß sich bei diesen und anderen Vergnügungen zuweilen seinem Vetter an. Er und der Wildhüter des Baronets waren dicke Freunde. Ihre gemeinsame Vorliebe für Hunde hatte sie zusammengebracht. An einem Tag gingen Mr. James, der Oberst und Horn, der Wildhüter, auf die Fasanenjagd und nahmen den kleinen Rawdon mit. An einem anderen schönen Morgen vergnügten sich die vier Herren mit einer Rattenjagd in einer Scheune, und das war die herrlichste Belustigung, die Rawdon je gesehen hatte. Sie verstopften die Ausgänge gewisser Abzugslöcher in der Scheune und steckten in die Öffnungen auf der anderen Seite Frettchen. Dann warteten sie etwas abseits schweigend mit erhobenen Stöcken, während ein eifriger kleiner Terrier (Mr. James' berühmter Hund »Zange«), atemlos vor Aufregung, unbeweglich auf drei Beinen auf das schwache Quieken der Ratten unten lauschte. Mit dem Mut der Verzweiflung stürzten endlich die verfolgten Tiere aus ihren Löchern hervor, der Terrier erledigte eine, der Wildhüter eine andere, Rawdon verfehlte in der Aufregung seine Ratte, tötete dafür aber beinahe ein Frettchen.

Der größte Tag aber war der, an dem Sir Huddleston Fuddlestons Hunde auf dem Rasen in Queen's Crawley zusammenkamen.

Dies war ein packender Anblick für den kleinen Rawdon. Um halb elf sieht man Tom Moody, Sir Huddleston Fuddlestons Jäger, die Allee heraufgaloppieren, hinter ihm die Meute edler Hunde. Den Nachtrab kommandieren zwei Piköre in gefleckten scharlachroten Röcken – leichte Burschen mit harten Gesichtern auf schlanken rassigen Pferden. Sie besitzen eine Geschicklichkeit, mit den Enden ihrer langen schweren Peitschen die dünnste Stelle der Haut eines Hundes zu erreichen, der es wagt, sich von den anderen zu entfernen oder die geringste Notiz, sei es auch nur mit einem Augenzwinkern, von den Hasen und Kaninchen zu nehmen, die vor seiner Nase aufspringen.

Als nächster folgt der kleine Jack, Tom Moodys Sohn, der fünfundsechzig Pfund wiegt und einen Meter und zwanzig mißt und nie größer werden wird. Er thront auf einem großen, grobknochigen Jagdpferd, das von einem mächtigen Sattel beinahe bedeckt wird. Dieses Tier ist Sir Huddleston Fuddlestons Lieblingspferd »Nobel«. Andere Pferde, von anderen kleinen Jungen geritten, kommen nach und nach an und erwarten ihre Herren, die bald heransprengen werden.

Tom Moody reitet an die Schloßpforte und wird dort vom Butler begrüßt, der ihm einen Trunk anbietet. Er lehnt jedoch ab. Er zieht sich sodann mit der Meute zu einer geschützten Ecke des Rasens zurück, wo sich die Hunde auf dem Grase wälzen, spielen oder einander zornig anknurren. Ab und zu entsteht ein wütender Kampf, den Tom mit seiner beim Schelten unvergleichlichen Stimme oder mit der geschmeidigen Peitsche schnell schlichtet.

Nach und nach erscheinen die Jäger, gefolgt von Jungen der Gattung Jack. Die jungen Herren traben auf reinrassigen Gäulen heran, mit Gamaschen bis zu den Knien. Einige treten ins Haus, um einen Cherry Brandy zu trinken oder den Damen ihre Aufwartung zu machen, andere, bescheidener und sportlicher, entledigen sich ihrer Wasserstiefel, wechseln ihre Gäule gegen ihre Jagdpferde aus und machen sie durch einen kleinen vorläufigen Galopp rund um den Rasen warm. Dann versammeln sie sich um die Meute in der Ecke und unterhalten sich mit Tom Moody über frühere Jagden und die Vorzüge von »Schnüffler« und »Diamant« und die Lage im Lande und die elende Fuchszucht.

Bald kommt auch Sir Huddleston auf einem kleinen, kräftigen beweglichen Pferd zum Schloß geritten, tritt ein und begrüßt die Damen höflich. Dann geht er, ein Mann von wenig Worten, zum Geschäftlichen über. Die Hunde werden vor das Schloßtor gebracht, und der kleine Rawdon mischt sich darunter, aufgeregt und etwas ängstlich wegen der Liebkosungen, die sie ihm erweisen, ihrer um ihn herumwedelnden Schwänze und ihrer Hundestreitereien, die Tom Moody mit Zunge und Peitsche kaum eindämmen kann.

Mittlerweile ist Sir Huddleston schwerfällig auf den »Nobel« geklettert. »Wir wollen mal in Sowsters Buschwerk probieren, Tom«, sagt der Baronet, »Pächter Mangle hat mir gesagt, daß da zwei Füchse drin sind.« Tom stößt ins Horn und trabt ab, gefolgt von der Meute, den Pikören, den jungen Herren aus Winchester, den Pächtern aus der Nachbarschaft und den Tagelöhnern der Gemeinde zu Fuße, für die es ein großer Festtag ist. Die Nachhut bilden Sir Huddleston und Oberst Crawley, und die ganze cortège verschwindet durch die Allee.

Ehrwürden Bute Crawley ist zu bescheiden, sich bei dem öffentlichen Treffen unter den Fenstern seines Neffen zu zeigen (Tom Moody erinnert sich noch seiner vor vierzig Jahren, als er ein dünner Theologe war, der die wildesten Pferde ritt, die breitesten Bäche und die neuesten Tore im Lande übersprang). Ehrwürden reitet aber auf seinem mächtigen Rappen zufällig aus dem Weg heraus, der zum Pfarrhaus führt, gerade als Sir Huddleston vorbeikommt, und schließt sich dem würdigen Baronet an. Hunde und Reiter verschwinden, und der kleine Rawdon bleibt staunend und glücklich auf der Türschwelle zurück.

Im Verlauf dieser denkwürdigen Ferien hat der kleine Rawdon die Zuneigung seiner verheirateten und unverheirateten Tanten, der beiden Kleinen im Schloß und die von James aus dem Pfarrershaus gewonnen, wenn er auch keine besondere Vorliebe für seinen furchterregenden kühlen Onkel gefaßt hat, der sich, in Rechtsgeschäfte vertieft oder von Gerichtsdienern und Pächtern umgeben, in seinem Studierzimmer einschloß. Sir Pitt ermuntert James, um eine der beiden jungen Damen zu werben, zweifellos unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß er die Pfründe erhalten solle, sobald sie der alte Fuchsjäger, sein Vater, aufgeben werde. James selbst hat sich von diesem Sport zurückgezogen und begnügt sich während der Weihnachtsfeiertage mit der harmlosen Enten- und Schnepfenjagd oder dieser ruhigen Rattenangelegenheit. Danach will er wieder auf die Universität zurückkehren, um erneut einen Versuch zu machen, nicht durchs Examen zu fallen. Er vermeidet bereits die grünen Röcke und roten Halstücher und anderen weltlichen Schmuck und bereitet sich auf eine Veränderung in seinen Verhältnissen vor. Auf diese billige und sparsame Weise versucht Sir Pitt, seine Schulden an die Familie zu begleichen.

Ehe noch diese fröhliche Weihnachtszeit vorüber war, hatte der Baronet auch Mut gefaßt, seinem Bruder einen zweiten Scheck zu geben, und zwar auf die nicht geringe Summe von hundert Pfund. Diese Tat bereitete ihm anfangs entsetzliche Qualen, später aber glühte er bei dem Gedanken, daß er sich nun als einen der großmütigsten Menschen betrachten konnte. Rawdon und sein Sohn schieden schweren Herzens. Der Abschied zwischen Becky und den Damen verlief jedoch ganz munter. Unsere Freundin kehrte nach London zurück, um die Beschäftigungen wiederaufzunehmen, bei der wir sie am Anfang dieses Kapitels antrafen. Unter ihrer Aufsicht war das Haus der Crawleys in der Great Gaunt Street direkt wieder jung geworden und zur Aufnahme Sir Pitts und seiner Familie bereit. Dann kam der Baronet nach London, um seinen Parlamentspflichten zu genügen und die Stellung im Vaterlande einzunehmen, für die ihn sein großer Genius befähigte.

Während der ersten Sitzungsperiode verhehlte der alte Heuchler seine Pläne und machte den Mund nur auf, um eine Petition von Mudbury vorzubringen. Aber er besuchte fleißig die Sitzungen und machte sich mit den Sitten und dem Geschäftsgang des Hauses vertraut. Daheim widmete er sich ganz und gar dem Studium der Blaubücher – sehr zum Schrecken und zur Bewunderung von Lady Jane, die befürchtete, er –werde sich durch späte Schlafengehen und seinen ungeheuren Fleiß noch umbringen. Er machte sich mit den Ministern und Häuptern seiner Partei bekannt und war fest entschlossen, ehe ein paar Jahre ins Land gegangen waren, einer von ihnen zu sein.

Lady Janes Freundlichkeit und Milde hatten in Rebekka solche Verachtung gegenüber der Lady erweckt, daß es der kleinen Frau direkt schwer wurde, sie zu verbergen. Die gütige und einfache Art von Lady Jane ärgerte unsere Freundin Becky, und zeitweise war es ihr unmöglich, die andere ihre Verachtung nicht wenigstens ahnen zu lassen. Auch Lady Jane war Rebekkas Gegenwart unbehaglich. Ihr Gatte sprach beständig nur mit Becky, sie schienen Zeichen des Einverständnisses auszutauschen, und Pitt besprach mit ihr Themen, die er gegenüber seiner Frau nie auch nur erwähnte. Sie verstand zwar nichts davon, aber es war kränkend, still sein zu müssen, noch kränkender, zu wissen, daß man nichts sagen konnte, und zuzuhören, wie die kecke kleine Mrs. Rawdon von einem Gegenstand zum anderen flatterte, stets Worte fand und einen Scherz zur Hand hatte, und dabei im eigenen Haus allein am Kamin zu sitzen und mit ansehen zu müssen, wie sich alle Männer um die Rivalin drängten.

Wenn Lady Jane in Queen's Crawley den Kindern, die sich um ihre Knie scharten, Märchen erzählte (auch der kleine Rawdon war dabei, der sie sehr liebte) und Becky mit verächtlichem Lächeln und Hohn in den grünen Augen ins Zimmer trat, verstummte die arme Lady Jane sogleich. Ihre einfachen kleinen Phantasiegebilde entwichen zitternd wie die Fee im Märchenbuch vor einem mächtigen bösen Engel. Sie konnte nicht weitererzählen, obwohl Rebekka mit fast unmerklichem Spott in der Stimme bat, doch in der bezaubernden Geschichte fortzufahren. Mrs. Rawdon widerten milde Gedanken und einfache Freuden an, sie stimmten nicht mit ihrem Wesen überein. Sie haßte die Menschen, die Gefallen daran fanden. Kinder und Kinderfreunde wies sie verächtlich von sich. »Ich finde keinen Geschmack an Butterbrot«, pflegte sie zu sagen, wenn sie Lady Jane und ihre Art vor Lord Steyne karikierte.

»Ebensowenig wie eine gewisse Person am Weihwasser«, entgegnete der Lord und verbeugte sich grinsend. Dann lachte er mißtönend auf.

Die beiden Damen sahen also einander nicht oft, abgesehen von den Gelegenheiten, wo die Frau des jüngeren Bruders von der anderen etwas wollte und sie deshalb besuchte. Sie nannten sich weiterhin fleißig »meine Liebe« und »meine Teure«, gingen sich aber gewöhnlich aus dem Wege, während Sir Pitt, trotz seiner vielfältigen Beschäftigungen, doch Zeit fand, seine Schwägerin zu sehen.

Das erste Diner des Unterhauspräsidenten nahm Sir Pitt zum Anlaß, um sich seiner Schwägerin in Uniform vorzustellen  – in dem alten Diplomatenanzug, den er als Attache bei der Gesandtschaft in Pumpernickel getragen hatte.

Becky machte ihm viele Komplimente über diese Kleidung und bewunderte ihn fast ebenso wie seine Frau und die Kinder, denen er sich vor dem. Weggang gezeigt hatte. Sie erklärte, nur reiner Adel könne das Hofkleid mit Vorteil tragen und nur denen aus altem Geschlecht stehe die culotte court. Pitt blickte selbstgefällig auf seine Beine, die in Wirklichkeit nicht mehr Symmetrie oder Rundungen besaßen als der dünne Hofdegen an seiner Seite; er blickte auf seine Beine und glaubte im Innern, er sei unwiderstehlich.

Als er fort war, zeichnete Mrs. Becky eine Karikatur von ihm und zeigte sie Lord Steyne, als dieser am Abend kam. Der Lord, begeistert von der Ähnlichkeit, nahm die Skizze mit. Er hatte Sir Pitt Crawley die Ehre erwiesen, ihn bei Mrs. Rawdon zu treffen, und war außerordentlich gnädig gegenüber dem neuen Baronet und Parlamentsmitglied gewesen. Pitt war betroffen, wie unterwürfig dieser hohe Adlige seine Schwägerin behandelte, wie leicht und geistvoll sie die Unterhaltung zu führen wußte und wie entzückt die anderen Männer der Gesellschaft ihrem Geplauder lauschten. Lord Steyne zweifelte nicht daran, daß der Baronet erst am Anfang seiner Laufbahn im öffentlichen Leben stehe, und war ungeduldig, ihn als Redner zu hören. Da sie Nachbarn waren (die Great Gaunt Street mündet doch auf den Gaunt Square, und Gaunt-Haus bildet bekanntlich eine Seite davon), so hoffte der Lord, daß Lady Steyne, sobald sie in London ankäme, die Ehre haben werde, Lady Crawleys Bekanntschaft zu machen. Er gab nach ein paar Tagen sogar eine Karte bei seinem Nachbarn ab, diesem Nachbarn, von dem weder er noch seine Vorgänger je Notiz genommen hatten, obgleich sie schon ein Jahrhundert lang nebeneinander gelebt hatten.

Inmitten dieser Intrigen und feinen Gesellschaften und klugen und glänzenden Persönlichkeiten fühlte sich Rawdon täglich einsamer. Er durfte öfter in den Klub gehen, mit befreundeten Junggesellen auswärts speisen und kommen und gehen, wann er wollte, ohne daß jemals eine Frage gestellt wurde. Oft ging er mit dem kleinen Rawdon zur Gaunt Street und besuchte die Lady und die Kinder, während Sir Pitt unterwegs zum Parlament oder auf dem Rückweg bei Rebekka vorsprach.

Der ehemalige Oberst saß oft stundenlang schweigend im Hause seines Bruders und dachte und tat sowenig wie möglich. Er war froh, wenn man ihm etwas zu erledigen gab, zum Beispiel Erkundigungen über ein Pferd oder einen Dienstboten einzuholen oder beim Essen den Kindern den Hammelbraten vorzuschneiden. Er war zur Trägheit und Unterwürfigkeit verschüchtert worden. Delila hatte ihn gefangen und ihm das Haar abgeschnitten. Das kühne und sorglose junge Blut von vor zehn Jahren war unterjocht und in einen trägen, unterwürfigen, beleibten Herrn mittleren Alters verwandelt worden.

Die arme Lady Jane wußte, daß Rebekka ihr den Mann weggefangen hatte, obwohl sie und Mrs. Rawdon immer, wenn sie sich trafen, einander mit »meine Liebe« und »meine Teure« anredeten.


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