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41. Kapitel

In dem Becky die Hallen ihrer Väter wieder besucht

Sobald die Trauerkleidung fertig war und Sir Pitt Crawley von ihrem Kommen Kenntnis erhalten hatte, belegten Oberst Crawley und seine Frau zwei Plätze in derselben prachtvollen alten Postkutsche, worin Rebekka in Gesellschaft des seligen Baronets vor nunmehr fast neun Jahren ihre erste Reise in die Welt angetreten hatte. Wie deutlich erinnerte sie sich des Gasthofs und des Stallknechts, dem sie kein Trinkgeld gegeben hatte, und des einschmeichelnden Studenten, der sie während der Fahrt in seinen Überrock gehüllt hatte! Rawdon wählte seinen Platz außen und hätte am liebsten selbst kutschiert, aber dies verbot seine Trauer. Er saß neben dem Kutscher und unterhielt sich mit ihm während der ganzen Fahrt über Pferde und die Straße, und wer der Besitzer der einzelnen Gasthäuser war, und wem die Pferde der Postkutsche gehörten, mit der er und Pitt als Jungen so oft nach Eton gefahren waren. In Mudbury erwartete sie ein Wagen mit zwei Pferden und einem schwarzgekleideten Kutscher. »Es ist das alte Vehikel, Rawdon«, sagte Rebekka, als sie einstiegen, »Der Stoff ist ganz wurmzerfressen – und da ist auch der Fleck, um den Sir Pitt – ha! Dawson, der Eisenhändler, hat seine Fenster ja auch verhängt –, um den Sir Pitt solchen Lärm gemacht hat. Er stammt von einer Flasche Kirschbranntwein, die er zerbrochen hat. Wir hatten sie für deine Tante aus Southampton geholt. Wie die Zeit vergeht, das kann doch wohl nicht Polly Talboys sein, das ausgewachsene Mädchen, das dort bei ihrer Mutter vor dem Häuschen steht. Ich habe sie noch als kleine Rotznase gekannt, die im Garten Unkraut jätete.«

»Hübsches Mädchen«, sagte Rawdon und erwiderte den Gruß von dem Häuschen, indem er zwei Finger an den Trauerflor seines Hutes legte. Becky verneigte sich und grüßte die Leute hier und da gnädig. Dieses Grüßen war ihr äußerst angenehm. Es schien ihr, daß sie keine Schwindlerin mehr sei, sondern in die Heimat ihrer Väter zurückkehrte. Rawdon dagegen war ziemlich beschämt und niedergeschlagen. Was für Erinnerungen an Jugend und Unschuld mochten ihm durch den Kopf gehen? Welche Gefühle von Zweifel, unbestimmter Reue und Scham mochte er empfinden?

»Deine Schwestern müssen jetzt erwachsen sein«, sagte Rebekka, die vielleicht zum erstenmal, seit sie die Mädchen verlassen hatte, an sie dachte.

»Weiß wirklich nicht«, erwiderte der Oberst. »Hallo, da ist ja die alte Mutter Lock. Wie geht's, Mrs. Lock. Kennen Sie mich nicht mehr? Master Rawdon, he? Verdammt, was die alten Weiber für ein zähes Leben haben; sie war hundert, als ich noch ein Junge war.«

Sie fuhren durch das Parktor, das von der alten Mrs. Lock bewacht wurde. Rebekka mußte ihr unbedingt die Hand schütteln, als sie das kreischende alte Eisentor aufriß, und der Wagen fuhr zwischen den beiden moosbewachsenen Eisenpfeilern mit der Taube und der Schlange hindurch.

»Der Alte hat aber die Bäume gehauen«, sagte Rawdon und sah sich um. Dann verstummte er, und auch Becky schwieg. Beide waren erregt und dachten an alte Zeiten. Er an Eton und seine Mutter, die ihm als kalte, ehrbare Frau in Erinnerung geblieben war, und an eine früh verstorbene Schwester, die er leidenschaftlich geliebt hatte, und daran, wie er Pitt verdroschen hatte, und an den kleinen Rawdy daheim. Und Rebekka an ihre eigene Jugend und die dunklen Geheimnisse jener frühen vergifteten Tage und ihren Eintritt ins Leben durch die Pforte da, und an Miss Pinkerton und Joseph und Amelia.

Der Kiesweg und die Terrassen waren gesäubert worden. Über dem Haupteingang hing bereits ein großes gemaltes Trauerwappen, und zwei sehr feierliche, hochgewachsene Gestalten in Schwarz rissen jeder einen Türflügel auf, als der Wagen an der wohlbekannten Treppe vorfuhr. Rawdon wurde rot und Becky etwas bleich, als sie Arm in Arm durch die alte Halle gingen. Sie kniff ihren Mann in den Arm, als sie in das eichengetäfelte Zimmer traten, wo Sir Pitt und seine Frau standen, sie zu empfangen: Sir Pitt in Schwarz, Lady Jane in Schwarz und Lady Southdown mit einem großen schwarzen Kopfputz von Glasperlen und Federn, der auf dem Kopf der Dame wippte wie der Püschel auf einem Leichenwagen.

Sir Pitt hatte richtig vermutet, daß sie das Haus nicht verlassen würde. Sie begnügte sich in Gegenwart von Pitt und seiner rebellischen Frau mit einem feierlichen, frostigen Schweigen und damit, die Kleinen im Kinderzimmer durch ihre gespenstisch düstere Miene zu erschrecken. Nur ein schwaches Nicken mit dem Federbusch begrüßte Rawdon und seine Frau, als diese ungeratenen Kinder in den Schoß der Familie zurückkehrten.

Um die Wahrheit zu sagen, sie ließen sich von dieser Kälte nicht sehr beeindrucken. Seltsamerweise war Lady Southdown in diesem Augenblick nur von zweitrangiger Bedeutung für sie – ihre Aufmerksamkeit richtete sich mehr auf den Empfang, den ihnen der regierende Bruder und die Schwägerin bereiten würden.

Pitt kam mit etwas gerötetem Gesicht seinem Bruder entgegen und schüttelte ihm die Hand. Rebekka begrüßte er mit einem Händedruck und einer sehr tiefen Verbeugung. Lady Jane ergriff jedoch ihre Schwägerin bei den Händen und küßte sie liebevoll. Die Umarmung trieb der kleinen Abenteuerin irgendwie Tränen in die Augen – einen Schmuck, den sie nur selten trug. Dieses arglose Zeichen von Güte und Vertrauen rührte und erfreute sie; und Rawdon, von dieser Demonstration seiner Schwägerin ermutigt, zwirbelte seinen Schnurrbart und erlaubte sich, Lady Jane mit einem Kuß zu begrüßen, wobei die Lady über und über errötete.

»Verteufelt nettes Frauchen, diese Lady Jane«, war sein Urteil, als er mit seiner Frau wieder allein war. »Pitt ist fett geworden und nimmt sich gut aus.« Er kann es sich auch leisten«, sagte Rebekka; sie stimmte aber ihrem Gemahl bei, daß die Schwiegermutter eine schreckliche alte Vogelscheuche sei und die Schwestern ganz hübsch aussähen.

Man hatte auch die beiden aus dem Pensionat kommen lassen, damit sie den Beerdigungsfeierlichkeiten beiwohnen könnten. Es schien, als ob Sir Pitt Crawley es um der Würde des Hauses und der Familie willen für angemessen gehalten hätte, so viele Menschen in Schwarz, wie nur aufzubringen waren, in Queen's Crawley zu versammeln. Alle männlichen und weiblichen Dienstboten des Hauses, die alten Frauen im Armenhaus, die Sir Pitt der Ältere um den größten Teil von ihrem Hab und Gut betrogen hatte, die Familie des Küsters und viele andere, die mit dem Schloß oder dem Pfarrhaus zu tun hatten, waren schwarz gekleidet; dazu kamen noch mindestens zwanzig Leute des Beerdigungsunternehmers mit Trauerflor und schwarzem Hutband, die bei dem großen Begräbnisschauspiel einen guten Hintergrund abgaben; aber sie sind stumme Darsteller in unserem Drama, und da sie nichts zu tun oder zu sagen haben, brauchen sie hier nur einen geringen Platz einzunehmen.

Ihren Schwägerinnen gegenüber machte Rebekka keinen Versuch, ihre frühere Stellung als Gouvernante in Vergessenheit zu bringen, sondern sie sprach offenherzig und freundlich mit ihnen darüber, erkundigte sich ernsthaft nach ihren Studien und erzählte ihnen, daß sie oft und oft an sie gedacht habe und sehr begierig gewesen sei, zu erfahren, wie es ihnen ginge. Man hätte tatsächlich glauben können, sie habe seit ihrer Trennung nie aufgehört, stets und ständig an sie zu denken und den zärtlichsten Anteil an ihrem Wohlergehen zu nehmen. So wenigstens glaubten Lady Crawley und ihre jungen Schwägerinnen.

»Sie hat sich in den acht Jahren kaum verändert«, bemerkte Miss Rosalind zu Miss Violet, als sie sich fürs Essen umkleideten.

»Diese rothaarigen Frauen sehen erstaunlich gut aus«, entgegnete die andere.

»Ihr Haar ist jetzt viel dunkler, als es früher war; ich glaube, sie färbt es; sie ist auch stärker geworden und hat in jeder Hinsicht gewonnen«, fügte Miss Rosalind hinzu, die Anlage hatte, sehr dick zu werden.

»Wenigstens ist sie nicht eingebildet und hat nicht vergessen, daß sie einmal unsere Gouvernante gewesen ist«, sagte Miss Violet und deutete damit an, daß es für Gouvernanten angemessen sei, sich in Schranken zu halten. Dabei übersah sie ganz, daß sie nicht nur die Enkelin von Sir Walpole Crawley, sondern auch von Mr. Dawson aus Mudbury war und daher eine Kohlenschaufel im Wappen führte. Es gibt viele wohlmeinende Leute, die man täglich auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit trifft und die ebenso vergeßlich sind.

»Es kann doch wohl nicht wahr sein, was die Mädchen im Pfarrhaus gesagt haben, daß ihre Mutter eine Ballettänzerin war...«

»Kein Mensch kann für seine Geburt«, entgegnete Rosalind sehr freisinnig. »Ich für mein Teil stimme unserem Bruder bei, daß wir sie natürlich auch beachten müssen, da sie nun einmal in der Familie ist. Tante Bute soll ganz still sein; sie will Kate an den jungen Hooper, den Weinhändler, verheiraten und hat ihn sogar aufgefordert, ins Pfarrhaus zu kommen und Bestellungen entgegenzunehmen.«

»Ich möchte wissen, ob Lady Southdown das Haus verläßt; sie hat Mrs. Rawdon sehr finster angesehen«, sagte die andere.

»Ich wünschte, sie täte es. Ich will die ›Apfelfrau von Finchley‹ nicht lesen«, beteuerte Violet, und mit diesen Worten gingen die beiden Mädchen zum Familienmahl, zu dem die Glocke wie gewöhnlich ertönte. Dabei vermieden sie einen Gang, an dessen Ende ein gewisser Sarg stand, von zwei Wächtern bewacht und beleuchtet von Kerzen, die in dem verschlossenen Zimmer ständig brannten.

Vor dem Essen jedoch führte Lady Jane Rebekka in die für sie bestimmten Gemächer, die wie das ganze übrige Haus unter Pitts Regierung viel ordentlicher und behaglicher geworden waren. Als sie sah, daß Mrs. Rawdons bescheidene Köfferchen angekommen und ins Schlafzimmer und den angrenzenden Ankleideraum gebracht worden waren, half sie ihr, den netten schwarzen Hut und den Mantel abzulegen, und fragte ihre Schwägerin, womit sie ihr sonst dienen könnte.

»Am liebsten«, sagte Rebekka, »möchte ich ins Kinderzimmer gehen und Ihre lieben Kinderchen sehen.« Daraufhin blickten sich beide Damen sehr freundlich an und gingen Hand in Hand dorthin.

Becky bewunderte die kleine Matilda, die noch nicht ganz vier Jahre alt war, als den bezauberndsten kleinen Engel der Welt und den Knaben, einen kleinen bleichen Burschen von zwei Jahren, mit schweren Augenlidern und großem Kopf, als ein wahres Wunder an Größe, Verstand und Schönheit.

»Ich wünschte nur, Mama wollte ihm nicht unbedingt immer so viel Medizin geben«, sagte Lady Jane mit einem Seufzer. »Ich denke oft, ohne ginge es uns allen viel besser.« Dann führten Lady Jane und ihre neue Freundin eines jener vertraulichen Gespräche über Medizin und Kinder, an denen alle Mütter und, wie ich höre, die meisten Frauen das größte Vergnügen finden. Der Verfasser dieser Geschichte erinnert sich noch gut der Zeit vor fünfzig Jahren, als er ein interessanter kleiner Knabe war und nach dem Essen mit den Damen das Zimmer verlassen mußte. Dabei drehten sich deren Gespräche hauptsächlich um ihre Krankheiten, und als er später ein paar von ihnen direkt fragte, wurde ihm bestätigt, daß sich die Zeiten nicht geändert hätten. Meine schönen Leserinnen mögen noch heute abend selbst ihre Beobachtungen anstellen, wenn sie nach dem Dessert die Tafel verlassen und sich versammeln, um den Salondienst abzuhalten. Nun, nach einer halben Stunde jedenfalls waren Becky und Lady Jane vertraute Freundinnen – und im Laufe des Abends äußerte die Lady gegenüber Sir Pitt, daß sie ihre neue Schwägerin für eine freundliche, offene, unaffektierte und liebevolle junge Frau halte.

Nachdem die unermüdliche kleine Frau leicht Lady Janes Zuneigung erworben hatte, machte sie sich daran, die erlauchte Mutter zu gewinnen. Sobald Rebekka Lady Southdown allein traf, überfiel sie sie sofort mit Fragen des Kinderzimmers und erklärte, daß ihr eigener kleiner Knabe durch den reichlichen Gebrauch von Kalomel gerettet, im wahrsten Sinne gerettet worden sei, als alle Pariser Ärzte das liebe Kind schon aufgegeben hatten. Sodann erwähnte sie, wie oft sie durch Ehrwürden Lawrence Grills von Lady Southdown gehört hatte. Dieser vortreffliche Mann sei doch der Prediger der Kapelle in Mayfair, die sie häufig besuchte. Ihre Ansichten hätten sich durch die Verhältnisse und Unglücksfälle sehr geändert, und sie hoffte, daß ihr früheres Leben in Weltlichkeit und Irren sie nicht unfähig gemacht habe, in Zukunft ernsthaftere Gedanken zu hegen. Sie erzählte, wie sie Sir Pitt Crawley für seine einstmaligen religiösen Unterweisungen zu Dank verpflichtet sei, und erwähnte die »Apfelfrau von Finchley«, die sie mit dem größten Nutzen gelesen habe, und erkundigte sich nach Lady Emily, der genialen Verfasserin, jetzt Lady Emily Hornblower in Kapstadt, wo ihr Gemahl beste Aussichten hatte, Bischof von Kaffraria zu werden.

Sie krönte jedoch ihre Bemühungen und sicherte sich Lady Southdowns Gunst dadurch, daß sie sich nach der Beerdigung sehr aufgeregt und unwohl fühlte und den medizinischen Rat der Lady erbat. Die verwitwete Gräfin erteilte ihr nicht nur diesen, sondern kam in der Nacht, in ein Schlafgewand gehüllt, mehr denn je Lady Macbeth gleichend, höchstpersönlich in Rebekkas Schlafzimmer mit einem Paket ihrer Lieblingstraktate und einer eigenhändig zusammengebrauten Medizin, die Mrs. Rawdon unbedingt einnehmen müßte.

Becky nahm zuerst die Traktate, begann sie mit großem Interesse durchzusehen. Dabei verwickelte sie die verwitwete Gräfin in ein Gespräch über die Schriften und ihr eigenes Seelenheil, wodurch sie hoffte, ihren Körper vor der Medizin zu bewahren. Nachdem jedoch das religiöse Thema erschöpft war, wollte Lady Macbeth Beckys Zimmer nicht verlassen, ehe sie nicht auch das Glas mit ihrem Nachttrunk geleert hatte. Die arme Mrs. Rawdon mußte also tatsächlich einen dankbaren Blick zeigen und die Medizin unter der Nase der unerbittlichen alten Gräfin hinunterschlucken, die dann endlich ihr Opfer mit einem Segenswunsch verließ.

Der Trank hatte Mrs. Rawdon nicht sonderlich erquickt. Sie sah recht unwohl aus, als Rawdon eintrat und hörte, was geschehen war; seine Lachsalve ertönte so laut wie gewöhnlich, als Becky mit dem ihr angeborenen Humor, wenn auch auf ihre eigenen Kosten, davon berichtete, wie sie Lady Southdown zum Opfer gefallen war. Lord Steyne und der Sohn der Lady in London lachten noch oft über die Geschichte, nachdem Rawdon und seine Frau zu ihrer Wohnung in Mayfair zurückgekehrt waren. Becky spielte ihnen die ganze Szene vor, sie setzte eine Nachthaube auf und zog ein Nachthemd an, hielt eine lange Predigt in echt pietistischer Manier und ließ sich über die Vortrefflichkeit der Arznei aus, die sie scheinbar verordnete, mit einem so gut nachgeahmten Ernst, daß man wirklich hätte glauben können, es sei die römische Nase der Gräfin, durch die sie schnüffelte. »Spielen Sie doch bitte Gräfin Southdown und das Abführmittel«, war der ewige Schlachtruf der Gesellschaft in Beckys kleinem Salon in Mayfair, und zum erstenmal in ihrem Leben trug die verwitwete Gräfin Southdown etwas zur Unterhaltung bei.

Sir Pitt, der die Achtung und Ehrerbietung, die ihm Rebekka in früherer Zeit entgegenbrachte, nicht vergessen hatte, war ihr ganz wohlgesinnt. Die Heirat, so unbesonnen sie auch war, hatte auf Rawdon doch einen guten Einfluß ausgeübt. Das merkte man deutlich an dem veränderten Benehmen und der neuen Lebensweise des Obersten – und hatte die Verbindung nicht letzten Endes Pitts Glück bewirkt? Der schlaue Diplomat lächelte in sich hinein, wenn er sich gestand, daß er ihr sein Vermögen verdankte und daß er eigentlich nichts dagegen sagen dürfte. Seine Befriedigung wurde weder durch Rebekkas Bemerkungen noch durch ihr Benehmen oder ihre Unterhaltung beeinträchtigt.

Sie verdoppelte die Ehrerbietung, die ihn früher bezaubert hatte, und stellte seine Redegabe in ein so günstiges Licht, daß Pitt selbst darüber erstaunt war. Stets geneigt, seine eigenen Talente wertzuschätzen, bewunderte er sie um so mehr, wenn Rebekka ihn darauf aufmerksam machte. Ihrer Schwägerin konnte Rebekka sehr leicht beweisen, daß Mrs. Bute Crawley die Heirat zustande gebracht hatte, die sie später so sehr verleumdete, und daß Mrs. Butes Habsucht alle die gottlosen Gerüchte über Rebekka erfand, weil sie hoffte, damit Miss Crawleys gesamtes Vermögen zu erhalten und Rawdon der Gunst seiner Tante zu berauben. »Es ist ihr gelungen, uns arm zu machen«, sagte Rebekka mit einer Miene engelhafter Ergebung, »wie könnte ich aber einer Frau böse sein, die mir einen der besten Männer der Welt verschafft hat? Und ist nicht ihre Habgier genügend bestraft worden durch das Scheitern ihrer eigenen Hoffnungen und den Verlust des Vermögens, worauf sie so großen Wert legte? Arm!« rief sie. »Teuerste Lady Jane, was kümmert uns die Armut! Ich bin von Kindheit auf daran gewöhnt und bin dankbar, daß Miss Crawleys Geld dazu verwendet wurde, den Glanz der edlen alten Familie wiederherzustellen, zu der zu gehören ich so stolz bin. Ich bin überzeugt, daß Sir Pitt einen viel besseren Gebrauch davon machen wird, als Rawdon es getan hätte.«

All diese Reden wurden Pitt von der treuesten aller Gemahlinnen hinterbracht und erhöhten noch den günstigen Eindruck, den Rebekka gemacht hatte. Es ging sogar so gut, daß Sir Pitt drei Tage nach dem Begräbnis, als die Familie beim Essen saß und er als Oberhaupt das Geflügel zerlegte, zu Mrs. Rawdon sagte: »E-hm! Rebekka, darf ich Ihnen einen Flügel geben?« – Worte, die die Augen der kleinen Frau vor Freude funkeln ließen.

Während Rebekka die obenerwähnten Pläne und Hoffnungen verfolgte und Pitt Crawley die Begräbnisfeierlichkeiten, und andere Angelegenheiten seiner künftigen Größe und Würde ordnete, während Lady Jane im Kinderzimmer beschäftigt war, soweit es ihre Mutter zuließ, während die Sonne, auf- und unterging und die Turmglocke des Schlosses wie gewöhnlich zum Essen und Beten rief, lag der Leichnam des ehemaligen Besitzers von Queen's Crawley in dem Zimmer, das er bewohnt hatte, und bei ihm wachten ständig die zu diesem Zweck gemieteten Leute. Ein oder zwei Frauen und ein paar Männer des Beerdigungsunternehmers – die, die man in Southampton auftreiben konnte –, ganz in Schwarz und mit der angemessenen geräuschlosen und tragischen Haltung, versahen diese Pflicht, abwechselnd an den sterblichen Überresten des Baronets zu wachen, und wenn sie abgelöst wurden, versammelten sie sich im Zimmer der Haushälterin, wo sie ungestört Karten spielten und ihr Bier tranken.

Die Familienmitglieder und die Dienerschaft des Hauses mieden den düsteren Ort, wo die Gebeine des Abkömmlings einer langen Reihe von Rittern und Edelleuten ihrer endgültigen Übersiedelung in die Familiengruft harrten. Niemand betrauerte den alten Mann außer der armen Frau, die gehofft hatte, Sir Pitts Gemahlin und Witwe zu werden, und die in Schande aus dem Schloß geflohen war, das sie fast schon regiert hatte. Außer ihr und einem alten Jagdhund, dessen Zuneigung er sich in der Zeit seines Schwachsinns erworben hatte, besaß der Alte keinen einzigen Freund, der ihn betrauert hätte. Er hatte sich aber auch in seinem ganzen Leben nie die geringste Mühe gegeben, einen Freund zu erringen. Hätten die Besten und Gütigsten von uns nach ihrem Scheiden von der Erde die Möglichkeit, sie wieder zu besuchen, so würden sie, wenn es in den Sphären, wohin wir reisen, überhaupt noch die Gefühle des Jahrmarkts der Eitelkeit gibt, sicherlich tief betrübt sein, zu sehen, wie bald sich die Überlebenden getröstet haben. So war also Sir Pitt vergessen – wie die Besten und Gütigsten von uns – nur ein paar Wochen früher.

Diejenigen, die Lust dazu verspüren, mögen seinen sterblichen Überresten zum Grabe folgen, wohin sie am festgesetzten Tag in geziemender Weise gebracht wurden. Die Familie begleitete sie in schwarzen Kutschen, mit den Taschentüchern vor der Nase, bereit für die Tränen, die nicht kamen; der Begräbnisunternehmer und seine Leute waren sehr betrübt. Die größeren Pächter trauerten aus Rücksicht auf ihren neuen Herrn. Die Kutschen der benachbarten Gutsbesitzer kamen aus drei Meilen im Umkreis leer in tiefer Trauer. Der Pfarrer sagte seine Formel über »unseren lieben verschiedenen Bruder« her. Solange wir noch im Besitz eines menschlichen Körpers sind, machen wir ihn zum Spielball unserer Eitelkeit, veranstalten um ihn hohle Zeremonien, bahren ihn auf, umgeben ihn mit vergoldeten Nägeln und Samt und beenden unsere Pflichten gegen ihn dadurch, daß wir einen Stein, vollgeschrieben mit Lügen, darüberlegen. Butes Unterpfarrer, ein eleganter Bursche von Oxford, und Sir Pitt Crawley verfaßten gemeinsam eine passende lateinische Grabinschrift für den seligen Baronet, und der Unterpfarrer hielt eine klassische Predigt, in der er die Überlebenden ermahnte, sich nicht vom Kummer überwältigen zu lassen, und sie ehrerbietig darauf hinwies, daß man auch sie eines Tages auffordern würde, durch die düstere und geheimnisvolle Pforte zu gehen, die sich hinter den sterblichen Überresten ihres vielbeweinten Bruders geschlossen habe. Dann stiegen die Pächter wieder aufs Pferd oder blieben und erquickten sich bei einem Trank im »Wappen Crawleys«. Nach einem Frühstück in der Gesindestube von Queen's Crawley rollten die Kutschen der Gutsbesitzer wieder in die verschiedensten Richtungen davon; dann packten die Leute des Begräbnisunternehmers die Seile, die Bahrtücher, Samtbehänge, Straußenfedern und anderen Begräbnisrequisiten wieder ein, kletterten auf das Dach des Leichenwagens und fuhren ab nach Southampton. Ihre Gesichter entspannten sich wieder zu einem natürlichen Ausdruck, als die Pferde das Parktor hinter sich gelassen hatten und auf der offenen Straße in einen lebhaften Trab fielen, und man hätte dann sehen können, wie der ganze Haufen die Wirtshaustüren verdunkelte, und dazwischen Zinnkrüge, die im Sonnenschein blitzten. Sir Pitts Krankenstuhl wurde in einen Geräteschuppen im Garten gerollt; der alte Jagdhund heulte in der ersten Zeit ein paarmal, aber das waren auch die einzigen kummervollen Laute, die man in dem Schloß hörte, dessen Besitzer Sir Pitt Crawley, Baronet, mehr als sechzig Jahre lang gewesen war.

Da es Rebhühner in Massen gab und die Jagd gewissermaßen zu den Pflichten eines englischen Gentlemans gehört, der eine Neigung zum Staatsdienst hat, so nahm Sir Pitt, nachdem die erste schmerzliche Erschütterung vorüber war, in einem weißen Hut mit Trauerflor ein wenig an dieser Zerstreuung teil. Der Anblick dieser Stoppel- und Rübenfelder, die jetzt ihm gehörten, bereitete ihm eine geheime Freude. Zuweilen nahm er mit ausgesuchter Demut keine Flinte, sondern nur einen friedlichen Bambusstock mit, während sein großer Bruder Rawdon und die Wildhüter neben ihm drauflosfeuerten. Pitts Geld und Landbesitz machten auf seinen Bruder einen tiefen Eindruck. Der mittellose Oberst wurde direkt unterwürfig und ehrerbietig gegenüber dem Oberhaupt des Hauses und verachtete den Milchbart Pitt nicht mehr. Rawdon lauschte interessiert den Pflanzungs- und Bewässerungsplänen seines älteren Bruders, gab seine Ratschläge über die Ställe und das Vieh, ritt nach Mudbury, um eine Stute anzusehen, die ihm als Reitpferd für Lady Jane geeignet schien, und erbot sich, sie zuzureiten. Der rebellische Dragoner war jetzt ganz bescheiden und demütig und ein höchst verständiger jüngerer Bruder geworden. Er erhielt laufend Berichte von Miss Briggs aus London über den kleinen Rawdon, der dort zurückgeblieben war. Mitunter schrieb der Junge auch selbst. »Mir geht es gut«, schrieb er. »Ich hoffe, Dir geht es sehr gut. Ich hoffe, der Mama geht es sehr gut. Dem Pony geht es sehr gut. Grey nimmt mich zum Reiten mit in den Park. Ich kann Trab reiten. Ich habe den kleinen Jungen wiedergetroffen, der schon einmal geritten ist. Er hat geweint, als er Trab geritten ist. Ich weine nicht.« Rawdon las diese Briefe seinem Bruder und Lady Jane vor, die davon entzückt war; der Baronet versprach, für die Ausbildung des Knaben zu sorgen, und seine gutherzige Frau gab Rebekka eine Banknote und bat sie, dafür ein Geschenk für ihren kleinen Neffen zu kaufen.

Ein Tag folgte dem anderen, und die Damen des Hauses verbrachten ihre Zeit mit jenen ruhigen Beschäftigungen und Unterhaltungen, mit denen sich die Damen vom Lande zufriedengeben. Die Glocke rief zum Essen und zum Beten. Die jungen Damen übten täglich nach dem Frühstück auf dem Klavier, wobei Rebekka so gütig war, sie zu unterweisen; dann zogen sie derbe Schuhe an und streiften durch den Park oder die Büsche oder gingen jenseits der Parkumfassung in die Dörfer und fielen mit Lady Southdowns Arzneien und Traktaten in die Hütten ein, wo sich Kranke befanden. Lady Southdown fuhr in einem Ponywagen aus und hatte dabei oft Rebekka neben sich, die mit dem größten Interesse den feierlichen Reden der verwitweten Gräfin zuhörte. Abends sang Mrs. Rawdon der Familie Stücke von Händel und Haydn vor und begann mit einer großen Strickarbeit, als ob sie dazu geboren wäre und diese Lebensweise fortsetzen sollte, bis sie in glänzendem hohem Alter ins Grab sinken und Trauer und eine große Menge Staatspapiere hinterlassen würde – als ob keine Sorgen und Gläubiger, keine Pläne, Ausflüchte und Armut außerhalb des Parktores auf sie warteten, um sich auf sie zu stürzen, sobald sie wieder in die Welt hinaustrat.

Es ist nicht schwer, die Frau eines Landedelmannes zu sein, dachte Rebekka. Ich glaube, ich könnte mit fünftausend Pfund jährlich auch eine gute Frau werden. Ich könnte meine Zeit im Kinderzimmer totschlagen und die Aprikosen am Spalier zählen. Ich könnte die Pflanzen im Gewächshaus begießen und die abgestorbenen Blätter von den Geranien abknipsen. Ich könnte mich bei alten Frauen nach ihrem Rheumatismus erkundigen und den Armen für eine halbe Krone Suppe kochen lassen. Bei fünftausend pro Jahr würde ich das kaum merken. Ich könnte sogar zehn Meilen weit zu einem Nachbarn zum Essen fahren und mich nach der Mode des vorletzten Jahres kleiden. Ich könnte zur Kirche gehen und mich in dem großen Familienstuhl wach halten oder hinter den Vorhängen bei herabgelassenem Schleier schlafen, wenn ich erst ein bißchen Übung hätte. Ich könnte alle bezahlen, wenn ich nur das Geld hätte. Dies ist es, worauf die Taschenspieler hier so stolz sind. Sie blicken mitleidig auf uns arme Sünder herab, die keins haben. Sie halten sich für großzügig, wenn sie unseren Kindern eine Fünfpfundnote schenken, und verachten uns, weil wir nichts haben. Wer weiß, vielleicht hatte Rebekka mit ihren Gedanken recht, und es war bloß eine Geld- und Vermögensfrage, die den Unterschied zwischen ihr und einer ehrbaren Frau ausmachte. Wer kann behaupten, er sei besser als sein Nachbar, wenn er die Versuchung in Betracht zieht? Wenn bequemes Wohlleben den Menschen nicht ehrlich macht, so hält es ihn doch wenigstens auf der Bahn des Rechts. Ein vom Schildkrötenmahl kommender Alderman wird nicht aus der Kutsche steigen, um eine Hammelkeule zu stehlen; aber man lasse ihn hungern und warte ab, ob er nicht einen Laib Brot mitgehen heißt. Becky tröstete sich damit, daß sie auf diese Weise die Glücksfälle gegeneinander abwog und die Verteilung des Guten und Bösen in der Welt ausglich.

Sie suchte die alten Spazierwege, die alten Felder und Wälder, die Wäldchen, Teiche und Gärten und die Zimmer des alten Hauses, wo sie vor sieben Jahren viele Monate zugebracht hatte, alle wieder auf. Sie war damals jung gewesen oder doch vergleichsweise, denn sie konnte sich keiner Zeit entsinnen, wo sie richtig jung gewesen war – aber sie gedachte ihrer Gefühle und Gedanken vor sieben Jahren und verglich sie mit ihren jetzigen, nun, da sie die Welt gesehen hatte und mit vornehmen Leuten lebte und weit über ihre ursprüngliche bescheidene Stellung hinausgewachsen war.

Ich habe mich hochgearbeitet, weil ich Verstand besitze und fast die ganze Welt sonst aus Narren besteht, dachte Rebekka. Jetzt könnte ich gar nicht mehr zurück zu jenen Leuten, die ich in meines Vaters Atelier traf. Jetzt erscheinen Lords mit Orden und Sternen an meiner Tür statt armer Künstler mit Tabakspäckchen in der Tasche. Ich habe einen Gentleman zum Mann und eine Grafentochter zur Schwägerin in demselben Haus, wo ich noch vor ein paar Jahren kaum etwas Höheres als ein Dienstbote war. Stehe ich aber jetzt besser in der Welt als damals, da ich die Tochter des armen Malers war und den Krämer an der Ecke um Zucker und Tee beschwatzte? Angenommen, ich hätte Francis geheiratet, der mich so liebte, wäre ich dann ärmer gewesen als jetzt? Ich wollte, ich könnte meine Stellung in der Welt und alle meine Verwandten gegen eine hübsche Summe in dreiprozentigen Staatspapieren vertauschen. Becky empfand die Eitelkeit aller menschlichen Beziehungen so stark, daß sie ihren Anker lieber in diesen sicheren Gründen ausgeworfen hätte.

Es mag ihr vielleicht auch einmal durch den Kopf gegangen sein, daß Ehrlichkeit, Bescheidenheit und Pflichterfüllung auf geradem Wege sie dem Glück wohl ebenso nahe gebracht hätten wie der Pfad, den sie beschritt, um es zu erreichen. Aber es ging ihr wie den Kindern in Queen's Crawley, die einen Bogen um das Zimmer machten, worin der Leichnam ihres Vaters lag. Wenn Becky überhaupt jemals diese Gedanken gekommen waren, so ging sie stets darum herum und blickte nicht hin. Sie wich ihnen aus und verachtete sie – oder wandelte wenigstens schon auf dem anderen Pfad, auf dem es kein Zurück mehr gab. Ich für mein Teil glaube, daß die Reue die untätigste menschliche Moralempfindung ist und daher am leichtesten unterdrückt werden kann, wenn sie schon einmal erwacht, aber in den meisten Fällen erwacht sie gar nicht erst. Uns bekümmert das Entdecktwerden und die Vorstellung von Schande und Strafe, aber das Bewußtsein des Unrechts allein macht sehr wenige Menschen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit unglücklich.

Rebekka verschaffte sich also während ihres Aufenthaltes in Queen's Crawley so viele Freunde unter den Anhängern des ungerechten Mammons, als sie nur zusammenbringen konnte. Lady Jane und ihr Mann nahmen mit den wärmsten Freundschaftsbeteuerungen von ihr Abschied. Sie freuten sich schon auf die Zeit, wo das Familienhaus in der Gaunt Street überholt und verschönert sein würde und sie sich in London treffen könnten. Lady Southdown machte ihr ein Paket voll Medizin zurecht und gab ihr einen Brief an Ehrwürden Lawrence Grills mit, worin sie diesen beschwor, den »Brand«, der das Schreiben überbrachte, »aus dem Feuer zu reißen«. Pitt brachte sie vierspännig bis Mudbury. Dorthin hatte er schon ihr Gepäck nebst einer wahren Wagenladung von Wildbret vorausgeschickt.

»Wie glücklich wirst du sein, wenn du deinen lieben kleinen Jungen wiedersiehst«, sagte Lady Crawley beim Abschied zu ihrer Verwandten.

»Oh, so glücklich!« erwiderte Rebekka und schlug ihre grünen Augen zum Himmel auf. Sie war ungeheuer froh, den Ort zu verlassen, und ging doch ungern. Queen's Crawley war zwar entsetzlich langweilig, aber die Luft war doch etwas reiner als die, die sie sonst atmete. Alle waren zwar fade, aber in ihrer Art doch freundlich gewesen. »Das ist alles nur die Folge eines jahrelangen Besitzes von Dreiprozentigen«, sagte sich Becky und hatte damit wahrscheinlich recht.

Die Londoner Lampen strahlten aber doch fröhlich, als die Postkutsche in Piccadilly einfuhr, die Briggs hatte in der Curzon Street ein schönes Feuer angezündet, und der kleine Rawdon war noch wach, um seinen Papa und seine Mama zu begrüßen,


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