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36. Kapitel

Wie man von nichts gut leben kann

Ich nehme an, auf unserem Jahrmarkt der Eitelkeit gibt es keinen, der nicht aufmerksam genug ist, sich zuweilen über die weltlichen Angelegenheiten seiner Bekannten den Kopf zu zerbrechen; auch wird wohl keiner so nachsichtig sein und sich nicht zuweilen wundern, wie sein Nachbar Jones oder sein Nachbar Smith bis zum Jahresende mit seinem Geld auskommt. Ich muß zum Beispiel bei aller Achtung für die Jenkins (denn ich speise ein paarmal in jeder Saison bei ihnen) zugeben, daß mich das Auftreten der Familie im Park in der großen Kutsche mit den stattlichen Lakaien bis an mein Lebensende verwundern und täuschen wird; denn obwohl ich weiß, daß die Equipage nur gemietet ist und sämtliche Dienstboten auf Kostgeld stehen, so müssen doch diese drei Menschen und der Wagen wenigstens sechshundert Pfund pro Jahr kosten – und dazu kommen dann noch die glänzenden Diners, die beiden Jungen in Eton, die hervorragende Gouvernante und die Lehrer für die Mädchen, die Reise ins Ausland oder nach Eastbourne oder Worthing im Herbst, der jährliche Ball mit dem Souper aus Günthers Restaurant (aus dem, beiläufig erwähnt, die Speisen meistens dann geliefert werden, wenn Jenkins vornehme Gäste bewirtet. Das weiß ich sehr gut, da ich einmal dazu eingeladen war, um einen leeren Platz zu füllen. Ich sah sogleich, daß diese Mahlzeiten bedeutend besser sind als die gewöhnlichen, zu denen Jenkins seinen weniger vornehmen Bekannten Einladungskarten schickt). Wer wundert sich also nicht, wie Jenkins wohl auskommen mag. Was ist Jenkins eigentlich? Wir wissen es alle, er ist Geheimrat im Schnur- und Siegellackamt mit einem Einkommen von zwölfhundert Pfund pro Jahr. Hatte seine Frau Privatvermögen? Pah! Miss Flint, eins von elf Kindern eines kleinen Gutsbesitzers in Buckinghamshire. Alles, was sie von ihrer Familie erhält, ist ein Truthahn zu Weihnachten, und dafür muß sie ein paar von ihren Schwestern in der toten Saison ernähren und ihre Brüder aufnehmen und verpflegen, wenn sie in die Stadt kommen. Wie reicht also Jenkins mit seinen Einkünften? Ich frage mit jedem seiner Freunde: Warum ist er nicht längst gerichtlich belangt und warum ist er im vergangenen Jahr zu jedermanns Erstaunen von Boulogne wieder zurückgekommen?

»Ich«, das ist hier die Welt im allgemeinen, die Mrs. Grundy aus jedes Lesers Privatkreis, denn jeder von uns kann auf einige Familien seiner Bekanntschaft deuten, bei denen niemand weiß, wovon sie eigentlich leben. Jeder von uns hat schon mit seinem freundlichen Gastgeber angestoßen und sich gewundert, wovon, zum Teufel, dieser das Glas Wein bezahlt hat.

Als sich Rawdon Crawley drei bis vier Jahre nach seinem Pariser Aufenthalt mit seiner Frau in einem kleinen, aber hübschen Haus in der Curzon Street in Mayfair eingerichtet hatte, gab es kaum einen unter den zahlreichen Freunden, die sie darin bewirteten, der sich nicht die obige Frage vorgelegt hätte. Der Romanschreiber weiß, wie schon gesagt, alles. Und da ich in der Lage bin, dem Publikum erzählen zu können, wie Crawley und seine Frau ohne Einkommen lebten, so bitte ich nur die Zeitschriften, die die Angewohnheit haben, Auszüge aus den verschiedenen, gerade erschienenen Werken zu veröffentlichen, die folgende genaue Darstellung und Berechnung nicht abzudrucken, da mir als dem Entdecker der Sache (noch dazu mit einigen Kosten) auch die alleinige Nutznießung davon gebührt. Mein Sohn  – würde ich sagen, wenn ich mit einem Kind gesegnet wäre  –, du kannst durch eifrige Forschung und beständigen Verkehr mit ihm lernen, wie ein Mensch bequem von nichts leben kann. Am besten ist es aber, dich nicht zu sehr mit Leuten dieses Gewerbes einzulassen, sondern die Berechnungen aus zweiter Hand zu entnehmen, wie etwa Logarithmen, da die eigne Berechnung, das kannst du glauben, dir bedeutende Geldkosten verursachen wird.

Crawley und Frau lebten also ein paar Jahre, die wir nur ganz kurz streifen können, von nichts sehr glücklich und bequem in Paris. In dieser Zeit verließ er die Leibgarde und verkaufte sein Offizierspatent. Wenn wir ihn wiedertreffen, sind der Schnurrbart und der Titel Oberst auf seiner Karte die einzigen Überbleibsel seines Militärberufs.

Es ist bereits erwähnt worden, daß Rebekka bald nach ihrer Ankunft in Paris eine führende Stellung in der Pariser Gesellschaft einnahm und in den ersten Häusern des restaurierten französischen Adels empfangen wurde. Die Engländer von Welt, die sich in Paris aufhielten, machten ihr ebenfalls den Hof, sehr zum Ärger ihrer Gemahlinnen, die den Emporkömmling nicht ausstehen konnten. Einige Monate lang war Mrs. Crawley von den Salons des Faubourg Saint-Germain, wo sie eine gesicherte Stellung hatte, und dem Glanz des neuen Hofes, wo sie mit großer Auszeichnung empfangen wurde, entzückt und vielleicht auch ein bißchen berauscht. Während dieser Zeit der Triumphe vernachlässigte sie wahrscheinlich die Leute, mit denen ihr Mann hauptsächlich verkehrte – meist ehrliche junge Militärs.

Der Oberst gähnte gelangweilt unter den Herzoginnen und vornehmen Damen bei Hofe. Die alten Frauen, die Ecarté spielten, veranstalteten so einen Lärm um ein Fünffrancsstück, daß es sich für Oberst Crawley nicht lohnte, sich an einen Spieltisch zu setzen. Den Witz ihrer Unterhaltung konnte er nicht erfassen, da er die Sprache nicht verstand. Was nützte es seiner Frau, fragte er sich, wenn sie jeden Abend vor einem ganzen Kreis von Prinzessinnen knickste? Er ließ seine Frau bald allein zu diesen Gesellschaften gehen und nahm seine früheren, einfachen Beschäftigungen und Vergnügungen unter den liebenswürdigen Freunden seiner eigenen Wahl wieder auf.

Wenn wir sagen, ein Mann lebt elegant von nichts, so gebrauchen wir das Wort »nichts«, um eine unbekannte Größe zu bezeichnen, und meinen damit einfach, daß wir nicht wissen, wie der fragliche Mensch die Kosten seines Haushalts bestreitet. Unser Freund, der Oberst, besaß ein großes Talent für alle Arten von Glücksspiel; und da er sich beständig mit den Karten, dem Würfelbecher und dem Billardqueue übte, so kann man sich natürlich vorstellen, daß er in der Anwendung dieser Gegenstände eine größere Geschicklichkeit erlangte als Menschen, die sie nur gelegentlich gebrauchen. Der Umgang mit einem Billardqueue gleicht dem mit einem Bleistift, einer Flöte und einem Degen – man meistert diese Instrumente nicht auf Anhieb und bringt es nur durch Ausdauer und fortwährendes Studium, verbunden mit einem natürlichen Talent, dahin, sich darin auszuzeichnen. Crawley nun hatte sich von einem glänzenden Dilettanten zu einem unübertrefflichen Meister des Billardspiels entwickelt. Wie bei einem großen General pflegte sein Genie erst in der Gefahr hervorzutreten, und wenn ihm das Glück während des ganzen Spiels nicht hold war und die Wetten gegen ihn standen, so machte er mit nicht zu überbietender Geschicklichkeit und Kühnheit einige wundervolle Vorstöße, die das Gleichgewicht der Schlacht wiederherstellten, und am Ende wurde er Sieger zum Erstaunen aller – das heißt aller, die sein Spiel nicht kannten. Diejenigen, die daran gewöhnt waren, hüteten sich, ihr Geld gegen einen Mann zu setzen, der plötzlich so reich an Fähigkeiten und an so glänzender und überwältigender Geschicklichkeit war.

Im Kartenspiel war er ebenso geschickt, denn obgleich er am Anfang des Abends ständig Geld verlor, so gleichgültig und fehlerhaft spielte, daß Neulinge oft geneigt waren, sein Talent gering einzuschätzen, so bemerkte man doch, daß Crawleys Spiel ganz anders wurde, sobald wiederholte kleine Verluste ihn zur Vorsicht gemahnten, und daß er noch vor Ende der Nacht seinen Gegner völlig schlagen würde. Es konnten in der Tat nur sehr wenige Menschen behaupten, ihn besiegt zu haben. Seine Triumphe wiederholten sich so häufig, daß man sich nicht zu wundern braucht, wenn seine Neider und Verlierer zuweilen mit Bitterkeit davon sprachen. Wie die Franzosen meinten, der Herzog von Wellington habe nur deshalb nie eine Schlacht verloren, weil er durch eine erstaunliche Reihe glücklicher Zufälle stets Sieger geblieben sei, und bei Waterloo habe er nur durch Betrug den letzten großen Stich gemacht, so deutete man auch im englischen Hauptquartier an, daß nur Falschspiel die ständigen Erfolge von Oberst Crawley erklären könnte.

Obwohl zu jener Zeit Frascati und der »Salon« in Paris geöffnet waren, hatte doch die Spielleidenschaft so um sich gegriffen, daß die öffentlichen Spiellokale für das allgemeine Bedürfnis nicht ausreichten. Deshalb wurde in den Privathäusern so eifrig gespielt, als ob es keine öffentlichen Einrichtungen zur Befriedigung dieser Leidenschaft gäbe. Bei Crawleys bezaubernden kleinen abendlichen réunions ging man diesen verhängnisvollen Vergnügungen nach – zum großen Verdruß der gutmütigen kleinen Mrs. Crawley. Tief bekümmert sprach Rebekka über die Leidenschaft ihres Gatten für die Würfel und klagte gegenüber allen, die ihr Haus betraten. Sie beschwor die jungen Leute, nie, niemals einen Würfelbecher anzufassen, und als der junge Green von den Schützen einst eine beträchtliche Summe verloren hatte, hatte Rebekka eine tränenreiche Nacht, wie der Diener dem unglücklichen jungen Herrn erzählte, und sie fiel sogar vor ihrem Gatten auf die Knie und bat ihn, die Schuld zu erlassen und den Schuldschein zu verbrennen. Aber wie konnte er das! Er selbst hatte ebensoviel an Blackstone von den Husaren und Graf Punter von der Hannoverschen Kavallerie verloren. Green konnte sich einigermaßen Zeit lassen ; aber bezahlen? – natürlich, bezahlen mußte er. Es war kindisch, zu verlangen, daß er einen Schuldschein verbrennen sollte.

Andere Offiziere, hauptsächlich junge – denn die jungen Leute drängten sich um Mrs. Crawley –, kamen mit langen Gesichtern von ihren Gesellschaften, wo sie stets mehr oder weniger Geld an ihren verhängnisvollen Spieltischen zurückgelassen hatten. Ihr Haus kam langsam in einen schlechten Ruf. Die alten Hasen warnten die weniger Erfahrenen vor der Gefahr. Oberst O'Dowd vom ...ten Regiment, einem von denen, die damals in Paris standen, warnte Leutnant Spooney von seinem Korps. Ein lauter, heftiger Streit entbrannte zwischen dem Infanterieoberst und seiner Gemahlin, die im Café de Paris speisten, und Oberst und Mrs. Crawley, die ebenfalls dort aßen. Die Damen auf beiden Seiten griffen ein. Mrs. O'Dowd schnippte mit den Fingern Mrs. Crawley ins Gesicht und nannte deren Mann »nichts Besseres als einen Schwindler«. Oberst Crawley forderte Oberst O'Dowd; aber als der Oberbefehlshaber von dem Streit hörte, ließ er Oberst Crawley kommen, der gerade die Pistolen, »mit denen er Hauptmann Marker erschossen hatte«, bereitmachte, und seine Unterredung mit ihm bewirkte, daß kein Duell stattfand. Wäre Rebekka nicht vor General Tufto auf die Knie gefallen, hätte man Crawley nach England zurückgeschickt. Von da an spielte Rawdon ein paar Wochen nur mit Zivilisten.

Trotz Rawdons zweifelloser Geschicklichkeit und seines steten Erfolges wurde es seiner Frau bei Betrachtung dieser Dinge doch bald klar, daß ihre Lage recht unsicher war, und wenn sie auch selten etwas bezahlten, so würde ihr kleines Kapital doch eines Tages gleich Null werden. »Das Spiel, Liebster«, pflegte sie zu sagen, »ist gut, das Einkommen etwas aufzubessern, aber es taugt nicht als alleinige Einkommensquelle. Eines Tages haben die Menschen es satt zu spielen, und wo bleiben wir dann?« Rawdon meinte, daß ihre Bemerkung berechtigt sei, hatte er doch selbst bemerkt, daß die Leute nach einigen Abendveranstaltungen bei ihm wirklich des Spiels müde waren und sich trotz der Reize Rebekkas selten sehen ließen.

So angenehm und leicht ihr Leben in Paris auch war, so war es doch letzten Endes nur Zeitvergeudung und liebenswürdige Spielerei, und Rebekka sah ein, daß sie Rawdons Glück im eigenen Lande erreichen müsse. Sie mußte ihm eine Stellung oder ein Amt in England oder in den Kolonien verschaffen, und sie beschloß, nach England zu gehen, sobald der Weg dahin für sie geebnet war. Als ersten Schritt hatte sie Crawley veranlaßt, sein Patent in der Garde zu verkaufen und sich auf halben Sold setzen zu lassen. Sein Dienst als Adjutant bei General Tufto hatte schon früher aufgehört. Rebekka machte sich in allen Gesellschaften über diesen Offizier lustig, lachte über sein Toupet (das er sich hatte machen lassen, als er nach Paris kam), seinen Hosenbund, seine falschen Zähne und vor allem über seine anmaßende Einbildung, als Herzensbrecher zu gelten und eitel zu glauben, jede Dame, mit der er zusammentraf, sei in ihn verliebt. Der General hatte nun seine Aufmerksamkeit Mrs. Brent, der Frau von Kommissar Brent, die so buschige Augenbrauen hatte, zugewendet. Sie kam nun in den Genuß seiner Bukette, seiner Diners im Restaurant, seiner Opernlogen und seiner Nippsachen. Die arme Mrs. Tufto war nicht glücklicher als zuvor und mußte noch immer lange Abende allein mit ihren Töchtern verbringen, während sie wußte, daß ihr General parfümiert und frisiert fortgegangen war, um im Theater hinter Mrs. Brents Stuhl zu stehen. Becky hatte statt seiner zwar ein Dutzend anderer Bewunderer, und sie konnte ihre Rivalin mit ihrem Witz in Stücke reißen, aber wie gesagt, begann sie dieses untätigen geselligen Lebens müde zu werden; Opernlogen und Diners im Restaurant hatten ihren Reiz für sie verloren; die Blumensträuße ließen sich nicht als Reserve für später aufbewahren, und von allerlei Tand, Spitzentüchlein und Glacehandschuhen konnte sie nicht leben. Sie fühlte die Leichtfertigkeit all dieser Vergnügungen und sehnte sich nach inhaltsreicheren Genüssen.

Zu dieser Zeit traf eine Nachricht ein, die sich unter den zahlreichen Gläubigern vom Oberst in Paris schnell herumsprach und sie mit Befriedigung erfüllte. Miss Crawley, die reiche Tante, von der er eine riesige Erbschaft erwartete, lag im Sterben, und der Oberst mußte an ihr Bett eilen. Mrs. Crawley sollte mit dem Kind zurückbleiben, bis er kam, sie zu holen. Er reiste nach Calais ab, und dort sicher angekommen, hätte er eigentlich nach Dover gehen müssen; statt dessen bestieg er jedoch die Postkutsche nach Dünkirchen und reiste von da nach Brüssel, für das er von früher her eine Vorliebe hatte. Er hatte nämlich in London mehr Schulden als in Paris und zog daher die kleine ruhige belgische Stadt den beiden geräuschvolleren Hauptstädten vor.

Die Tante war tot. Mrs. Crawley bestellte für sich und den kleinen Rawdon Trauerkleidung. Der Oberst war mit dem Ordnen der Erbschaftsangelegenheiten beschäftigt. Sie konnten nun im Hotel den ersten Stock nehmen statt des kleinen Zwischenstockwerks, das sie bewohnten. Mrs. Crawley hatte mit dem Hauswirt eine Besprechung über neue Vorhänge, einen freundschaftlichen Wortwechsel über die Teppiche, kam aber schließlich zu einer Einigung über alles, mit Ausnahme der Rechnung. Sie fuhr in einem seiner Wagen ab, an ihrer Seite die französische Bonne mit dem Kind, während ihr der freundliche Wirt und seine Frau vom Tore aus zum Abschied nachlächelten. General Tufto war wütend, als er hörte, sie sei fort, und Mrs. Brent war wütend auf ihn, weil er wütend war. Leutnant Spooney war tief ins Herz getroffen, und der Wirt bereitete seine besten Zimmer für die Rückkehr der bezaubernden kleinen Frau und ihres Mannes vor. Er hütete die Koffer, die sie zurückgelassen hatten, wie seinen Augapfel. Madame Crawley hatte sie ihm besonders ans Herz gelegt. Als man sie jedoch nach geraumer Zeit öffnete, erwies sich ihr Inhalt als nicht besonders wertvoll.

Bevor Mrs. Crawley sich jedoch zu ihrem Mann in die belgische Hauptstadt begab, machte sie einen Abstecher nach England. Ihren kleinen Sohn ließ sie unter der Obhut ihres französischen Mädchens auf dem Kontinent zurück. Der Abschied zwischen Rebekka und dem kleinen Rawdon bereitete keinem von beiden großen Schmerz. Um die Wahrheit zu gestehen, hatte sie von dem jungen Herrn seit seiner Geburt nicht viel zu Gesicht bekommen.

Nach der liebreichen Sitte französischer Mütter hatte sie ihn zu einer Amme in einem Dorf nahe Paris gegeben, wo der kleine Rawdon die ersten Monate seines Lebens nicht unglücklich mit einer zahlreichen Familie von Pflegebrüdern in Holzschuhen zugebracht hatte. Der Vater ritt oft hinaus, um ihn zu besuchen, und sein Herz erglühte, wenn er den rosigen, schmutzigen kleinen Kerl lustig kreischen hörte und zusah, wie er unter der Aufsicht der Gärtnersfrau, seiner Pflegemutter, glückstrahlend im Schlamm saß und Kuchen fabrizierte.

Rebekka zeigte nie große Lust, ihren Sohn und Erben zu besuchen. Er hatte ihr einmal einen neuen taubenblauen Umhang verdorben. Die Liebkosungen seiner Amme zog er denen seiner Mutter vor, und als er die lustige Wärterin, die beinahe seine Mutter war, schließlich verließ, brüllte er stundenlang. Er ließ sich erst durch das Versprechen seiner Mutter beruhigen, daß er am nächsten Tag zu seiner Amme zurück dürfe. Auch der Amme, die sich sonst wahrscheinlich über sein Scheiden gegrämt hätte, erzählte man, daß ihr das Kind bald zurückgebracht werde, und eine Zeitlang wartete sie ängstlich auf seine Rückkehr.

Unsere Freunde gehörten wirklich zu den ersten jenes Geschlechtes kühner englischer Abenteurer, die später den Kontinent überschwemmten und in allen europäischen Hauptstädten ihre Schwindeleien vollbrachten. Die Achtung vor dem Reichtum und der Ehre der Engländer war in jenen glücklichen Tagen von 1817/18 noch sehr groß. Sie hatten, wie man erzählt, damals noch nicht gelernt, mit der Hartnäckigkeit, die sie jetzt auszeichnet, zu feilschen. Europas große Städte waren damals noch nicht dem Unternehmungsgeist englischer Schurken geöffnet; während es jetzt kaum eine Stadt in Frankreich oder Italien gibt, wo nicht einige unserer edlen Landsleute mit ihrem protzigen, anmaßenden Benehmen, das wir überall zur Schau stellen, Gastwirte beschwindeln, leichtgläubige Bankiers mit gefälschten Wechseln betrügen und Wagenbauer um ihre Wagen, Goldschmiede um ihre Juwelen, unvorsichtige Reisende um ihr Geld und sogar öffentliche Bibliotheken um ihre Bücher bringen. Vor dreißig Jahren dagegen brauchte man nur der gnädige Herr aus England zu sein und in einem eigenen Wagen zu reisen, um überall Kredit zu bekommen, wo man ihn suchte. Damals betrogen die Gentlemen nicht, sondern wurden betrogen. Erst ein paar Wochen nach der Abreise der Crawleys bemerkte der Wirt des Hotels, worin sie während ihres Pariser Aufenthalts gewohnt hatten, seinen Verlust, nämlich erst nachdem Madame Marabou, die Putzmacherin, wiederholt mit einer kleinen Rechnung für Sachen, die sie Madame Crawley geliefert hatte, aufgetaucht war und erst als Monsieur Didelot von der Boule d'Or im Palais-Royal ein halbes dutzendmal gefragt hatte, ob cette charmante Milady, die Uhren und Armbänder bei ihm gekauft hatte, de retour sei. Tatsächlich war nicht einmal die arme Gärtnersfrau, die Madames Kind gestillt hatte, nach den ersten sechs Monaten für die Milch der Menschenfreundlichkeit, die sie dem lebhaften und gesunden kleinen Rawdon gespendet hatte, bezahlt worden. Nein, nicht einmal die Amme war bezahlt worden – die Crawleys hatten zu große Eile gehabt, um an diese unbedeutende Schuld zu denken. Der Hotelwirt fluchte bis an sein Ende auf die englische Nation. Er fragte jeden Reisenden, ob er einen gewissen Oberst Lord Crawley kenne – avec sa femme – une petite dame, très spirituelle. »Ah, Monsieur«, setzte er dann stets hinzu, »ils m'ont affreusement vole.« Es war traurig, seine Stimme zu hören, wenn er von dieser Katastrophe sprach.

Rebekkas Ziel bei ihrer Reise nach London war, eine Art Vergleich mit den zahlreichen Gläubigern ihres Mannes zu treffen, um ihnen einen Anteil von neun Pence bis zu einem Shilling pro Pfund zu bieten und damit ihrem Mann die Rückkehr in sein Vaterland zu sichern. Es ziemt uns nicht, alle ihre Schritte bei diesen schwierigen Verhandlungen zu verfolgen; als sie die Leute jedoch zu ihrer Zufriedenheit darauf aufmerksam machte, daß die Summe, die sie ihnen hier bieten könne, das gesamte verfügbare Kapital ihres Mannes sei, und sie überzeugt hatte, daß Oberst Crawley lieber auf dem Kontinent bleiben als nach England zu seinen unbezahlten Schulden zurückkehren würde, als sie ihnen bewiesen hatte, daß ihm unmöglich von anderer Seite Geld zufallen würde und daß sie auf Erden keine Aussicht mehr hätten, einen größeren Teil zu erhalten, als sie jetzt bieten konnte, brachte sie die Gläubiger des Obersten dahin, ihre Vorschläge einmütig anzunehmen, und sie kaufte mit fünfzehnhundert Pfund bar mehr als den zehnfachen Schuldbetrag.

Mrs. Crawley nahm bei diesem Geschäft keinen Rechtsanwalt. Die Sache war so einfach, »tun oder es bleibenlassen«, wie sie ganz treffend bemerkte, daß sie die Gläubiger veranlaßte, durch ihre Anwälte den Handel abzuschließen. Mr. Lewis, der Mr. Davids vom Lion Square vertrat, und Mr. Moss, der für Mr. Manasseh von der Cursitor Street arbeitete (beides waren Hauptgläubiger des Obersten), machten der Dame Komplimente darüber, wie glänzend sie ihr Geschäft betrieb, und beteuerten, daß keiner ihrer Berufskollegen sie übertreffen könnte.

Rebekka nahm die Gratulationen mit der größten Bescheidenheit entgegen. Sie ließ eine Flasche Sherry und ein Kuchenbrot in die schmutzige kleine Wohnung kommen, in der sie während ihrer Geschäfte wohnte, und bewirtete damit die Rechtsanwälte ihrer Gegner. Sie drückte ihnen beim Scheiden gutgelaunt die Hand und kehrte direkt nach dem Kontinent zu Mann und Sohn zurück, um dem älteren Rawdon die frohe Botschaft von seiner völligen Freiheit zu bringen. Der jüngere Rawdon war während der Abwesenheit seiner Mutter von Mademoiselle Geneviève, ihrem französischen Mädchen, stark vernachlässigt worden. Das junge Ding hatte eine Liebschaft mit einem Soldaten der Garnison von Calais angefangen und ihren Schützling in der Gesellschaft dieses Militärs vergessen. Der kleine Rawdon war um ein Haar dem Ertrinken entgangen, als ihn die zerstreute Genevieve am Strand von Calais verlassen und verloren hatte.

So kamen also Oberst Crawley und Frau nach London, und in ihrem Haus in der Curzon Street in Mayfair zeigten sie, welche Geschicklichkeit diejenigen besitzen müssen, die von den obenerwähnten Mitteln leben wollen.


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