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4.

Karl hatte sich selbst Wort gehalten: er war seit dem Morgen, wo er seinen Gast aus dem Huthause abgeholt hatte, nicht wieder über dessen Schwelle oder auch nur in seine Nähe gekommen. Aber er hatte seinen Jägerburschen täglich hinüber geschickt und sich nach dem Befinden der Kranken erkundigen lassen. Dieses war inzwischen besser geworden, aber an dem Morgen, wo er sich von Diana verabschiedet hatte, kam der Bursche mit der Meldung, das vierzehnjährige Minchen sei schwer erkrankt und verlange sehr nach dem Herrn Oberförster. Da konnte er nicht anders, er mußte hinüber. Uebrigens war ja auch nun der Grund, der sein Gelübde veranlaßt, hinweggefallen – er war frei! Freilich war diese Freiheit ihm jetzt kein Trost; es jammerte ihn doch, daß er den Altar zertrümmern mußte, den er der schönen Braut in seinem Innern erbaut hatte. Sein Herz blutete, aber sein Gewissen war rein. Er ging.

Da lag das zarte, herzige Wesen, das ihn so oft freundlich bewillkommt hatte, in seinem dürftigen Bette neben dem Krankenlager der Mutter. Ihr zarter Körper war den Anstrengungen der letzten Zeit erlegen. Käthchen reichte ihr eben Thee, als Karl eintrat. Minchen streckte ihm ihre Hand so freundlich entgegen wie immer; ja, ihr Antlitz strahlte wie verklärt. Er erkannte mit Wehmuth die Spuren der Verwüstung, die seit wenig Tagen in der kleinen Engelsgestalt vorgegangen waren.

»O weil Sie nur wieder gekommen sind, Herr Oberförster!« sagte sie, seine Hand an ihren Mund pressend. »Siehst Du, Käthchen, er ist wieder gekommen und wird nun recht oft wieder kommen – nicht wahr, Sie werden, Herr Oberförster?«

Karl versicherte, daß er nun alle Tage wieder bei ihnen einkehren werde.

»O!« jubelte Minchen, »das wird hübsch sein; wir wollen Sie auch recht lieb haben – so lieb, wie ich und Käthchen und Vater und Mutter und wir Alle uns lieben. Ich werde jetzt freilich nicht mehr Wasser für Sie holen, oder Forellen und Kartoffeln kochen – aber dafür ist mein Käthchen da, die wird's so gern thun wie ich, und weit besser als ich. Und dann werden Sie das Käthchen auch gern haben.«

Käthchen schloß ihr mit einem Kuß den Mund. »Du mußt Deine Brust nicht so anstrengen. Minchen!« sagte sie von Purpurröthe übergossen.

»Zum Frühjahr, Käthchen,« begann indeß nach kurzem Schweigen die kleine Kranke wieder, »da gehen wir miteinander und suchen schöne Blumen zu Sträußen und Kränzen für den guten Herrn Oberförster – ach! das wird schön sein! – Aber – –« Hier hielt sie plötzlich inne – ihr Gedankengang nahm eine andere Richtung – ihr Gesicht wurde ernst, bekümmert – endlich klärte es sich wieder – sie schüttelte mit dem Kopfe und rief: »Nein – nein – »das kann nicht sein!« Sie wendete sich und barg ihr Gesicht in den Pfühl.

Karl hielt, wie erst seinem Gewissen, jetzt dem kranken Kinde Wort: er ging täglich ins Huthaus. Ins Forsthaus kam die Nachricht, Fräulein Diana sei nach der Residenz gereist, sich zu zerstreuen. Für Karl war der einzige Ort, wo er die Wunde, welche ihm in dem großen Herrenhause zu Schönthal geschlagen worden, vergessen konnte, das kleine dürftige Huthaus, wo er, an Minchens Bette sitzend, sah, wie Käthchen als Mutter, Schwester und Schutzgeist waltete. Was für ein Schatz von Liebe mußte in dieser jungfräulichen Brust wohnen, daß sie alle diese großen und schweren Pflichten so leicht, so spielend übte! Von diesem Gedanken erfüllt, schaute er einst dem Treiben der Jungfrau mit inniger Bewunderung zu. Mit Freuden gewahrte dies Minchens beobachtender Blick. Auf einmal ergriff sie seine Hand und rief ihn leise. Er beugte sich nieder und fragte, was sie wollte.

»Mir hat einmal etwas Schönes geträumt,« antwortete sie, ohne ihre Stimme zu heben; – »ich war oben im Himmel und sah nieder auf die Erde; da ging eine goldene Brücke vom Forsthause herüber nach dem Huthause. Darauf sprangen meine kleinen Geschwister lustig hin und her und der Herr Oberförster kam vom Forsthause herüber von Jemand begleitet, aber nicht von der stolzen Dame aus dem Schönthaler Hofe. Und im Huthause war's auch nicht mehr so still und traurig, da fuhren die Bergleute wieder ein und aus, das Glöckchen klang und mein Vater brachte eine große reiche Erzstufe aus dem Schacht, die trug er über die goldene Brücke Ihnen entgegen und sagte: »Nun ist der arme Lazarus zum reichen Mann geworden, und nun sind wir Alle glücklich« – und die an Ihrer Seite ging, umschlang Sie und weinte vor Freuden.«

»Wer ging denn an meiner Seite?« fragte Karl verwundert und gerührt. »Du vielleicht, mein Engel?«

»Ja ein Engel war ich eben, und darum im Himmel – so konnte ich doch nicht neben Ihnen gehen – aber soll ich's Ihnen sagen?«

Er bejahete lächelnd. Sie schlang ihren Arm um seinen Hals, zog ihn nieder und flüsterte ihm ins Ohr: »Mein Käthchen.«

Der Herbst verging und der Winter kam; da wurden alle Wege um Schönthal tief unter Schnee begraben. Aber wenn alle Pfade verschneit, verweht und ungangbar waren, einer blieb immer offen: das war der Weg vom Forsthause nach dem Huthause. Der Hutmann genas, die Frau that es ihm bald nach – nur Minchen verließ ihr Bett nicht mehr. Karl wußte, daß sie eine Beute des Wurmes war, der seine Opfer langsam, aber sicher zerstört. Weihnachten war vor der Thür, das Fest der Elternwonne, der höchsten Kinderfreude. Karl und sein Gast Sigismund sorgten dafür, daß es auch für das Huthaus ein solches wurde.

Im Forsthause sah man am heiligen Christabend keinen Kronleuchter, keinen flimmernden Tannenbaum – Karl hatte seine Hausgenossen mit hinüber genommen ins Huthaus. Da strahlte die helle Christfreude von fünfzig Lichtern, und schöner noch aus vielen, vielen Augen – aus keinem schöner, als aus denen der Festgeber. Ihre Hauptbescheerung war die Ankündigung an den Hutmann, daß mit dem neuen Jahre die Lazarus-Grube wieder aufgenommen und auf Kosten der Festgeber fortgebaut werden solle; der Hutmann sei zum Obersteiger ernannt und solle sofort 50 Bergleute anlegen. Ein schön gearbeitetes kostbares Steigerhäckchen und das erste Monatsgehalt besiegelten die Bescheerung. Der neue Obersteiger und seine Frau konnten nur mit Thränen für diese hochherzige, ihre ganze Zukunft sicher stellende Gabe danken. Karl fühlte wie nie vorher die Seligkeit des Wohlthuns.

Aber im Bette dort lag eine bleiche, welkende Blüthenknospe – an diesem Bette brachen sich seine Freudenwogen. Sie lag so ergeben da – sie nahm so stillvergnügt Theil an der allgemeinen Freude – ach wie gern hätte Karl ihr die größte Freude von allen bereitet! Da leuchtete ein Gedanke in seiner Seele auf. Eben trat Käthchen zu ihm, um ihn an den zum Mahle bereiteten Tisch zu führen – er ergriff ihre Hand und hielt sie an Minchens Lager fest. »Nicht wahr, mein kleiner Engel,« sagte er zu dem Kinde, »das wäre Dir der liebste Heiligechrist, wenn Dein schöner Traum in Erfüllung ginge?« Sie lächelte selig und nickte. »So frage Dein Käthchen, ob sie meine Braut sein will!« Verklärungsglanz übergoß das Antlitz der kleinen Dulderin – sie ergriff seine Hand, dann die der Schwester und legte beide ineinander – »sie hat Sie ja schon lange lieb,« sagte sie. – »Ist es wahr, Käthchen?« fragte er. – Sprachlos sank die Gefragte in seine Arme. »So ist es gut,« sagte Minchen, »und nun seid Alle recht, recht fröhlich, denn glaubet mir, ich bin es auch!«

Die Frühlingsblumen blühten – aber die Kränze, welche Minchen dem Oberförster hatte daraus winden wollen, schmückten ihren Sarg. Ihr Traum ging in Erfüllung: wie sie ein Engel der andern Welt war, hatte die Liebe eine goldene Brücke von dem Forsthause nach dem Huthause erbaut, das liebliche Huthaus-Käthchen waltete als Herrin im Forsthause. Der alte Komödiant war hinüber gezogen auf das Huthaus und lebte dort ganz dem Bergbau. Es hatte der edlen Lazarusgrube bisher nichts gefehlt als die rechten Betriebsmittel; sie zeigte sich bald gar höflich – an dem Tage, wo Karl sein Käthchen aus ihren ersten Wochen führte, brachte ihm sein Schwiegervater eine schwere Stufe gediegenen Silbers als ersten reichen Anbruch entgegen. Eine zweite von gleichem Werthe überreichte Sigismund, der ihren Erstgeborenen aus der Taufe gehoben hatte, der jungen Mutter – »als Eingebinde für mein Pathchen,« sagte er.

Der Segen der Lazarus-Grube erwies sich als ein dauernder und brachte das Forsthaus wie das Huthaus zu immer höherm Wohlstand. Die reiche Erbin von Schönthal verheirathete sich in der Residenz mit einem Lieutenant, dessen von einer Zeit zur andern zu tilgende Schulden den Kammerrath zur Verzweiflung brachten. Jetzt gehört der große schöne Lehnhof dem »Vagabunden« Sigismund, der ihn im Concurs erstand. Die Kammerräthin ist vor Gram gestorben und der Kammerrath ißt das Gnadenbrod seines Schwagers.


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