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I. Eine Häuerfamilie.

1.

Wer jene kalte sumpfige Hochebene jenseits der Grenze nicht gesehen, die Jahr aus Jahr ein nur selten einmal der Strahl der Sonne begrüßt, wer nie zur Winterzeit dort gewesen, wann die Stürme durch die schneebeladenen Tannen heulen, das ausgehungerte Wildpret nach Aesung umherirrt und weit, weithin die Natur allein die Farbe und Oede des Todes darbietet der kennt das erzgebirgische Sibirien nicht. Dorthin, lieber Leser, will ich dich führen.

Mitten in jener traurigen, fast rings von dunkelm Fichtenwald umgebenen Fläche liegen einzelne zerstreute Gebäude – Häuser von den Bewohnern genannt, in der That aber nur Hütten, so klein und so ärmlich, wie du deren schwerlich je gesehen hast. In dieses sogenannte Dorf sollst du mir folgen und dann zur allerschlechtesten Hütte. Du sollst mit mir hineingehen durch die niedrige Thür in die enge Stube; es wird dir zwar ein wenig den Athem versetzen, denn die Stube ist dumpf und voll Rauch – aber ich kann dir nicht helfen, du mußt dich mit mir an den alten wackeligen Tisch setzen, gegenüber dem Weibe, das, in garstige Lumpen gehüllt, am Ofen sitzt, vor dem Greise, dessen brauner Rücken von dem schmutzigen Reste eines groben Hemdes nur halb bedeckt ist, und den beiden zerlumpten Knaben, die ihre Kartoffeln sammt der Schale mit heißer Gier verschlingen. Die Hütte ist ein gebirgisches »Gemeindehaus« (Armenhaus), und die Elenden, die ich dir beschreibe, hat die öffentliche »Wohlthätigkeit« darin »versorgt«. Vor wenig Jahren aber gehörte sie noch einem Berghäuer, Namens Rümmler, im Orte schlechthin auch »der Schütz« geheißen, weil er ehedem unter den Scharfschützen gedient hatte.

Der »Schütz« war ein fleißiger Häuer und ein guter Mann, dabei arm wie seine Kameraden, nur reicher mit Kindern gesegnet als sie. Sieben hatte er taufen lassen und das achte hatte seine Marthe ihm eben unter Schmerzen geboren. Acht Kinder und eine Frau im Wochenbette von dem geringen Häuerlohn und den wenigen »Klöppelpfennigen« erhalten und pflegen, das ist wahrlich keine Kleinigkeit; aber doch hätte der ehrliche Schütz diesmal nicht gar so kläglich neben der Wöchnerin gesessen, wäre nicht vor vierzehn Tage die Grube, wo er anfuhr, »ersoffen«, wodurch er »feierig« wurde; und wäre nicht der letzte Sparpfennig seiner ältesten Tochter fortgewesen, und hätte er mit den Seinen am Mittag nicht das letzte Brod aufgegessen. Und es fehlte am Nothwendigsten für die Mutter und das neugeborne Kind, und der Winter war da mit all seinen Schrecken und jede Gelegenheit zum Verdienst dem armen Manne abgeschnitten.

Martha war ein wenig eingeschlummert; da erhob sich Rümmler leise, ging auf den Zehen ans Fenster und spähte hinaus, als erwarte er, daß Jemand die Straße daherkommen müsse. Unbefriedigt wandte er sich indessen bald wieder zurück; er wollte eben seinen Platz wieder einnehmen, als seine vier Knaben vor Frost klappernd in die Stube traten.

»Was?« fuhr Rümmler erschrocken auf, »Ihr bringt kein Brod?«

»Nein,« antwortete der älteste der Knaben, »der Müller war ganz bös, Ihr solltet erst die alte Schuld bezahlen, sagte er, eher kriegtet Ihr kein Pfund Brod wieder geborgt. Ihr solltet nur arbeiten.«

»Sagte er? Wirklich sagte er das?«

Die Kinder bestätigten es.

»O über den harten und ungerechten Mann! Er weiß, daß ich ohne Verschulden um Arbeit und Verdienst gekommen bin und wirft mir dennoch Faulheit vor. O Gott!«

»Ach Vater! Vater!« wimmerten die Kleinen, »uns hungert recht, recht sehr.«

»Ach! ich glaub's ja. Da, setzt Euch um den Ofen und wärmt Euch; ich will frisch anlegen, daß es recht warm wird. Inzwischen kommt vielleicht Eure Schwester, die bringt schon Geld und zu leben. Geduldet Euch nur so lange!«

Die Kleinen setzten sich folgsam um den Ofen herum. Vater Rümmler, nachdem er das Feuer darin erneuert, suchte seinen alten Platz und stützte sein sorgenschweres Haupt in die Hand. Aber nicht lange hatte er so Ruhe; bald trat er wieder ans Fenster und blickte hinaus. Er erspähte jedoch den Gegenstand seines Harrens, seine Tochter, wiederum nicht. Diese war nämlich am Morgen nach der nächsten sächsischen Grenzstadt gegangen, um Spitzen, die sie geklöppelt, zu verkaufen, und sie konnte nun längst wieder da sein, denn der Abend brach schon herein. Rümmler wurde über ihr langes Ausbleiben mit jeder Sekunde unruhiger; es war doch sonst ihre Gewohnheit nicht, sich also zu verspäten.

»Geh,« sagte er daher zu dem ältesten Knaben, »geh schnell zur Gevatterin Beate und bitte sie, auf kurze Weile herumzukommen und bei der Mutter zu bleiben; ich muß der Christel entgegengehen.«

Der Knabe gehorchte. In demselben Augenblick erwachte Marthe und fragte mit matter Stimme, ob die Christel noch nicht zurück sei.

»Noch nicht, liebe Marthe.«

»Mein Gott! wo bleibt sie nur? Es wird ihr doch nichts begegnet sein?«

»Sei nur ruhig, Mutter! Sie wird recht lange haben warten müssen, denn den reichen Leuten ist's nicht immer gefällig, den Armen aufzuwarten. Auch ist der Weg sehr schlecht, man sinkt bis an die Kniee in den Schnee.«

»Das arme Kind! Ach, sie hätte diese Plackerei nicht nöthig, wenn sie gescheidt sein wollte. Sie könnte es so gut haben, könnte so warm sitzen.«

»Du meinst beim Waldmüller?« fiel Rümmler ihr etwas hastig in die Rede, fand aber schnell seinen ruhigen Ton wieder.

»Laß das!« fuhr er fort. »Unser Mädel ist brav und taugt nicht dahin. Du weißt ja, was der Waldmüller für ein Vogel ist. Nein, nein! Der Christel giebt's ein Engel ein, daß sie seinen Lockungen nicht Gehör schenkt. Dem lieben Kinde – ach! denkst Du noch daran, wie glücklich uns seine Ankunft gemacht? Ihr ist gewiß ein besseres Loos aufgehoben, als des Müllers – – Haushälterin zu werden. Gott wird ihr einen redlichen und braven Mann geben, der sie liebt und ernähren kann.«

»Ach, Gottlieb! Wer soll sich zu der armen, blutarmen Dirne finden! Es wird ihr nicht besser gehen wie ihrer Mutter. Ein armer Schlucker, wie der Geigenfranz, wird kommen und sie freien und zur Mutter von Hungerleidern machen, wie ich eine bin.«

»Weib! o Weib! – doch still! ich höre die Thür gehen – die Gevatterin wird kommen, dann kann ich dem Mädel entgegengehen.«

Die eben Eintretende war jedoch die Ersehnte selbst. Ihr Kopf war in einige baumwollene Tücher eingehüllt; ein Paar große Stiefel, dem Vater gehörig, bekleideten ihre Füße, denen sie »um eine Welt zu weit« waren. Ungeachtet sie der Frost schüttelte, erschien die Gestalt, die sich allmälig aus der Tücherhülle schälte, von engelhafter Schönheit. Sie zu beschreiben, kommt mir nicht in den Sinn; denn erhielte wohl Jemand ein sprechendes Bild des reizenden Geschöpfes, wenn ich ihm die glänzenden Locken und den Zopf, der, als er auffuhr, bis auf den Boden herabfiel, ferner die schön gewölbte Stirn, das sonnenklare Auge und den schwellenden Mund, das sanfte Kinn, den schlanken Hals, den feinen Nacken und gar den wundersam knospenden Busen schilderte? Nur so viel will ich noch sagen, daß über den ganzen, für ihren Stand fast zu feinen Körper die Frische der Gesundheit und der Zauber durch keinen Gedanken entweihter Unschuld ausgegossen war. Aber eine Wolke tiefen Kummers lag auf dem schönen Gesichte und die Augen waren vom Weinen geröthet. Bei ihrem Eintritt waren die hungrigen Knaben von der Ofenbank aufgesprungen und umringten sie mit Fragen, ob sie nichts zu essen mitbrächte.

»Ich bringe nichts mit, ihr Kinder,« antwortete sie betrübt. »Ich bin auch hungrig; habt ihr denn kein Brod?«

»Es ist diesen Mittag Alles aufgegangen,« sagte der Vater, »und der Müller hat sich geweigert, mir welches zu borgen. Aber – Du hast doch Geld?«

»Auch nicht, lieber Vater! Die Grenzjäger haben meine Spitzen contreband gemacht.«

»Barmherziger Gott! Und wir haben nichts zu leben – und die Mutter liegt da und ist krank und schwach – und die Kleinen hungern – ich und Du auch – o Gott im Himmel! warum muß es uns so gehen! – Doch, Kind! wie war es möglich, daß Du den »Aufschauern« in die Hände geriethest? Sie konnten doch die Spitzen nicht sehen.«

»Ich trug sie wohl verborgen unter dem Brusttuche; auch hatte ich die Grenze und die Einnahme glücklich passirt und hielt mich schon für ganz sicher. Da kam der dicke Aufschauer, Du weißt schon, der sah mir scharf ins Gesicht, kniff mich in die Backen und fragte, ob ich nichts Zollbares bei mir führe. Etwas verlegen und erschrocken antwortete ich: nein, und wollte weitergehen. Allein er hielt mich am Arme fest. »Warte, du kleine Spitzbübin,« sagte er, »du hast Spitzen bei dir, ich sehe dir's gleich an. Komm nur, ich will sie schon finden.« Und damit führte er mich in die Einnahme zurück. Hier mußte ich in Gegenwart drei anderer Aufschauer erst meine Tücher abnehmen, dann die Stiefel ausziehen, und als sie auch darin nichts fanden, verlangten sie, ich sollte mein Kleid ausziehen. Ihr wißt, daß ich unter dem Kleide nur noch einen wollenen Rock ohne Leibchen trage und oben das kleine Tüchelchen; ich fiel daher vor den Männern nieder und bat, sie sollten mir nur das nicht anthun. Ach! ich hätte mich ja zu Tode geschämt, hätte ich das Kleid ausziehen müssen. Aber mein Bitten war vergebens; der dicke Mann schickte die Uebrigen hinaus und machte Anstalt, mir das Kleid aufzumachen. Da riß ich mich los, sprang in eine Ecke des Zimmers, zog schnell die Spitzen hervor und warf sie auf den Tisch.«

»Das hast Du recht gemacht, meine Tochter! O, der schändliche Mann!«

»Er nahm und besah die Spitzen mit garstigem Lächeln. »Siehst du,« sprach er, »du kleine Schmugglerin, was für schöne theure Spitzen du hast! Ich sollte dich eigentlich einsperren lassen; aber weil du so –« und dabei wollte er mich wieder in die Backen kneipen; ich entschlüpfte ihm jedoch und entfloh. So war ich denn um meine Spitzen, worüber ich mir so viel Mühe gegeben hatte. Ich wußte anfangs nicht, sollte ich umkehren oder in die Stadt hineingehen. Da dachte ich, wie es zu Hause stände und daß ich in der Handlung vielleicht einen kleinen Vorschuß bekommen könnte. So ging ich denn hinein. Als ich in die Handlung kam, war der Herr nicht zu Hause, und die Diener sagten, sie könnten mir ohne seine Genehmigung nichts geben. So wartete ich mehre Stunden. Endlich kam der Herr; ich brachte meine Bitte ganz bescheiden vor, aber – ach, die reichen Leute haben doch recht harte Herzen! er hörte mich kaum an. Ich sollte Spitzen bringen – sagte er barsch – ohne die setze es kein Geld, und so ging er zur Thür hinaus. Da mußte ich bitterlich weinen und wußte nicht, ob ich mich noch einmal aufs Bitten legen sollte. Ich faßte mir ein Herz und wendete mich an einen Diener, der fern von den übrigen stand, ihm unsere Noth zu schildern. Er ließ mich nicht ausreden, sondern sagte gleich zu mir, er wolle mir einen Thaler geben, wenn ich die Nacht über in der Stadt bleiben möchte, und dabei wollte er mich um den Leib fassen. Da zog ich mich schnell zurück und entfloh ihm. Er aber schrie sogleich, ich sollte mich packen und ihm nicht wieder die Ohren voll winseln. Darauf kam der Markthelfer und führte mich aus dem Laden. Vor der Thür sagte der Mann sanft: das sind Kieselsteine, armes Mädchen! dann drückte er mir ein Zweigroschenstück in die Hand und verschwand, eh' ich mich bedanken konnte. Für die zwei Groschen habe ich etwas Kaffee und Seife gekauft.«

Die Wöchnerin schluchzte laut, dem armen Rümmler aber rannen die hellen Thränen aus den Augen.

»Armes, braves Kind!« sprach er, sie an sein Herz drückend. – »O, was muß die Armuth dulden von den Reichen und Sorglosen!« Und wie er so von Schmerz durchdrungen dastand und zum Himmel aufblickte, brachen die vier Knaben in lautes Weinen aus. Herzzerreißend für den armen Vater wurde die Scene aber vollends, als gar noch seine kleineren Mädchen, die bis dahin in der sogenannten Hölle geschlafen hatten, hervorkrochen und sich in den allgemeinen Jammer des Schreiens nach Brod mischten.

»Gott im Himmel!« sprach Rümmler mit gebrochenem Blick, »das ist zu viel für das Vaterherz! Es steht in Deinem Buche geschrieben, Du legest keinem Menschen mehr auf, als er könne ertragen; doch das ist mehr, als ich ertragen kann. Vergieb mir, wenn ich frevle – aber ich muß Brod schaffen für die hungrigen Kinder. – – Seid still, meine Kleinen, ich gehe jetzt Brod zu holen.« Sprach's und riß seinen alten Mantel von der Wand, hüllte sich hinein und ging der Thür zu.

»Ach Gottlieb!« rief die angsterfüllte Marthe, »wo willst Du hin? Willst Du mich in meiner Noth verlassen?«

»Vater,« ließ sich Christel vernehmen, »bleib bei der Mutter! Ich will in die Mühle gehen – Ihr wißt, der Müller hat mich gern – ich bringe gewiß Brod.«

»Ja,« flehten die Kinder, »Vater! laß Christel nach Brod gehen, nach Brod!«

»Nein, das soll sie nicht – sie nicht,« erwiederte Rümmler bestimmt, »nimmermehr laß ich sie zum Waldmüller gehen, und sollte ich – – – still, Christel! – Bleib Du bei der Mutter, ich weiß mir auch ohne den Müller Brod zu verschaffen.«

Weinend gehorchte das Mädchen. Rümmler schritt, die Bitten seines Weibes nicht achtend, zur Thür hinaus. Schnell war sein Tritt im Sturme verhallt.


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