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3.

Der Morgen war da. Der wilde Sturm der Nacht hatte ausgetobt. Vom reinsten Himmel nieder glänzte die Sonne und spiegelte sich, millionenfach wiedergestrahlt, in den blendenden Schneematten. In dem Thale, worin die »Waldmühle« liegt, regte sich kein Lüftchen. Am Waldsaume, der dieses Thal begrenzt, zieht sich die Straße hin, die von der erwähnten Grenzstadt nach dem Dorfe Schmiedefeld führt, wohin »der Holzhau« – Rümmler's Heimath – eingepfarrt ist. Auf der andern Seite des Thales schlängelt sich der Weg herab, welcher von letztgenanntem Orte nach der Waldmühle führt.

Auf diesen Pfaden fand die achte Morgenstunde gleichzeitig zwei Wanderer, drüben ein tiefverhülltes Frauenzimmer, hüben einen jungen Burschen, der, einen Geigenkasten auf dem Rücken, gen Schmiedefeld hinpilgerte. Das Frauenzimmer drüben aber bewegte sich eilenden Schrittes nach der Mühle herab. Als es noch ein paar hundert Schritte davon entfernt war, wurde der Bursch oben desselben ansichtig; er blieb stehen und strengte sein Auge an, das Gesicht zu erkennen. – »An Gang und Statur,« sprach er, »ist das keine Andere, als meine Christel. Aber es könnte auch die Fuchs-Anne-Marie sein. Die verwünschten Fetzen verstecken ja das ganze Gesicht! – Nein, sie kann es nicht sein; sie geht ja gar nicht mehr in die Mühle.« – Und er wendete sich zum Weitergehen; gleichwohl blieb er wiederum stehen und blickte hinunter. – »Aber ich will ein Spitzbub sein, wenn das Weibsbild meiner Christel nicht mehr gleicht, als der Anne-Marie. Wie, wenn sie nach Schmiedefeld ginge, um zu sehen, ob ich noch nicht wieder eingewandert. Der obere Weg wird zugeschneit sein und nun muß sie diesen durch die Waldmühle nehmen. Das wäre eine prächtige Ueberraschung, wenn wir hier so zusammenträfen! Ich werde mich hinter dem Busche da verstecken und auf sie warten.« – Und er watete durch den tiefen Schnee hinter das Fichtendickicht, das zunächst dem Wege stand. Bald war das Frauenzimmer in dem weitläufigen Mühlengehöfte verschwunden. Der gute Geigenfranz – denn kein Anderer war der Wanderbursch – harrte lange, lange auf sein Mädchen. Es kam aber keins zum Vorschein. Nach einer Viertelstunde vergeblichen Harrens kroch er endlich wieder aus seinem Versteck hervor. – »Sie ist's nicht gewesen,« sagte er betrübt und ging der Heimath zu, aber nicht ohne manchmal sich umzusehen.

Allerdings war die Wallerin unten Niemand anders gewesen, als die Tochter des Häuers im Holzhau, der gestern ein Wildschütz geworden war aus Noth. Um diesen vom Zuchthause zu retten, war sie früh am Morgen, ohne ein Wort zu sagen, aus der heimathlichen Hütte gegangen. Der unglückliche, von schlimmeren als Todesqualen gefolterte Vater hatte keinen Augenblick dem Gedanken Raum gegeben, daß sein schuldloses Kind seine Rettung erkaufen sollte und als seine jammernde Frau darauf hingedeutet, ihr wüthend zu schweigen befohlen. Währenddem hatte das Mädchen, in Einem fort weinend, in der Hölle gesessen und sich endlich unbemerkt hinausgeschlichen.

Sobald Rümmler ihre Abwesenheit wahrnahm, fuhr er aus seinem dumpfen Jammer auf. – »Christel!« rief er im Hausflur, daß die Hütte dröhnte, – »Christel!« den Keller hinab, – »Christel!« in den Dachboden hinauf. Er rannte suchend durch alle Kammern und Winkel. »Sie ist fort – sie ist gegangen, sich zu opfern« – schrie er außer sich, als er sie nirgends fand. – »Aber sie soll das Opfer nicht sein.« Rasch fuhr er in den Mantel; da sprang das kranke Weib aus dem Bette.

»Was willst Du thun?« schrie sie, ihm in die Arme fallend, »willst Du Dich ins Zuchthaus liefern? Willst Du mich und die acht elenden Würmer verderben lassen? Was soll aus ihnen werden? Haben diese Unglücklichen nicht so viel Rechte an Dich wie jene? Und schweben sie nicht in weit ärgerer Gefahr? Ohne väterliche Zucht und Sorge, was steht ihnen bevor, als der Bettelsack, die Unzucht und der Galgen? Und ist denn Jene schon entehrt, kann sie den Müller, der sie bis zur Raserei liebt, nicht durch kluge List hinhalten, bis er das Aeußerste thut und sie heirathet? Ach Gottlieb, Gottlieb! Sieh diese Kleine hier, sie lechzt nach Nahrung und meine Brust ist trocken – sie wird darauf gehen, wenn Du nicht Nahrung schaffst.«

Rümmler's Herz brach bei diesen Worten – seine Kniee schlotterten. – – »Marthe, Marthe,« stammelte er, »ich muß wohl bleiben. Komm, kniee nieder mit mir, laß uns beten, daß der Herr unser Kind nicht lasse zu Schanden werden.«

Als sie gebetet hatten, wollte es gleichwohl den armen Schützen nicht in der Hütte leiden. Es drängte ihn hinaus, nicht nur das Wild, dessen Erlegung so namenloses Wehe über ihn gebracht, fortzuschaffen (und zwar nicht, wie es bestimmt gewesen, zum Rösselwirth in Preßnitz, sondern in den verfallenen Schacht hinter seinem Hause), sondern auch, um sich ehrlichen Verdienst zu suchen, denn er mochte des Müllers nun in Aussicht stehendes Brod nicht essen. Aber er mußte bleiben, denn seine Frau wurde nach der vorigen Anstrengung kränker als zuvor. – Nach einer Stunde genossen seine Kinder schon von des Müllers Brod und der Mittag fand ihn mitten unter denselben sitzen und sich mit dessen Kartoffeln und Milch sättigen. Marthe aber hatte eine nahrhafte und gesunde Suppe aus der Mühle bekommen, die ihr trefflich mundete. Im Vergleich zu gestern schien heute der Segen in die Hütte des Häuers eingekehrt zu sein.

So vergingen der Tage drei. Rümmler's Kinder hatten jeden Tag genug zu essen und die Mutter konnte sich recht stärken mit nährenden Suppen, so daß ihre Brust schnell wieder eine reiche Quelle köstlicher Nahrung wurde für den kleinen Säugling.

Und unser guter Rümmler? Nun, der aß und trank auch, wenn's seinen Kindern schmeckte, aber wer da meint, er habe sich dabei gefreut, der irrt sich sehr. Sein innerer Zustand war dumpfe, fast bewußtlose Ergebenheit in ein unabwendbares Geschick.


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