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5.

Am Montag ging es in der Hütte des Häuers sehr geschäftig zu. Da scheuerte Vater Rümmler, statt seiner Tochter, die Stube, und zwei Knaben putzten die zinnerne Lampe und die Kaffeekanne von gleichem Metall, während die andern in die Nachbarschaft gegangen waren, Kaffeetassen zusammen zu borgen, denn morgen sollte das kleine Nesthäckchen getauft werden, das unter so viel Jammer die Welt erblickt hatte. Da mußte doch den Pathen ein Kaffee gegeben werden, und es durfte nicht so schmutzig in der Stube aussehen. Du guter Rümmler, wie viel lag noch zwischen diesem »morgen« und Deinen heutigen kleinen Sorgen!

Der besorgte Vater hatte am frühen Morgen gleich nach der Waldmühle geschickt und Erkundigung eingezogen, was Christel mache und ob etwa der Geigenfranz dort gewesen sei, denn er fürchtete, dieser könne sich zu einer unbesonnenen That haben hinreißen lassen. Der Bote aber hatte die beruhigendsten Nachrichten gebracht; darum that der gute Mann jetzt Alles mit leichtem Muthe. – Die Familie war eben vom Mittagsessen aufgestanden und hatte jenes rührende Dankgebet zum Himmel aufsteigen lassen, das so häufig in den Hütten der Armuth – gleichsam wie eine Ironie auf das Schicksal – ertönt, da stürzte plötzlich der Geigenfranz bleich und athemlos herein.

»Wo ist Eure Tochter, Vater?« fragte er. »Ich bitt' Euch um aller Heiligen willen, wo ist Eure Tochter?«

»Franz! Franz! Was ist Euch? Wie seht Ihr aus? – Ihr wißt doch bereits, daß sie in der Mühle ist.«

»Von dort komme ich; dort ist sie schon seit drei Stunden nicht mehr gesehen worden.«

»Da hat man Euch getäuscht.«

»Nein, nein, der Knappe ist mein Freund; dem hat sie vor ihrem Verschwinden ein Briefchen an mich übergeben, und der sagte mir, kurz vor Neun habe er sie noch einmal in der Backstube gesehen, dann nicht wieder. Der Müller sei schon vor sechs Uhr weggeritten und noch nicht zurückgekehrt. Alles war in Bestürzung der Christel wegen, doch vermuthete man, sie sei hier.«

»Wir haben sie nicht gesehen.«

»O so ahnet mir Schreckliches! Dieser Brief – da lest einmal!«

»Lest selbst, ich kann Geschriebenes nicht lesen.«

Und der Geigenfranz las:

» Ewiggeliebter Franz!
Ich bin für Dich verloren. Weine über mich, denn ich bin – der Waldmüller – ich widerstand ihm standhaft – vorgestern – ich war erschöpft eingeschlafen und träumte so süß von Dir. – – – Ich hatte mich in mein Geschick ergeben, und einmal für Dich verloren, wollt' ich den Müller (denn er machte mir am Sonnabend den Antrag) heirathen. Da sah ich Dich – und es war aus mit mir. Ich habe nicht die Kraft, Dir zu entsagen – Du würdest mir vergeben, ich weiß es – aber ich habe auch nicht die Frechheit, die Deine zu werden. Ich bin so arm, so arm, ich habe nichts mehr Dir zu bieten, nichts mehr als ein gebrochenes Herz; aber ich kann und will nicht länger leben ohne Dich. Darum lebe wohl! Sei glücklich, ewig glücklich und verzeihe

Deiner armen Christiane

Der Häuer zitterte am ganzen Leibe und war keines Wortes mächtig. Aber Marthe schrie in ihrem Bette:

»Um Gotteswillen! mein Kind wird sich doch kein Leid angethan haben?«

»Nein, nein,« fiel Rümmler ein, »das hat mein frommes Kind gewiß nicht gethan. Auf, Franz! Was steht Ihr hier? Kommt, laßt uns sie suchen! Wer weiß, wo sie umherirrt, ihren Jammer auszuweinen – kommt!«

Franz aber stand wie angewurzelt und starrte zum Fenster hinaus.

»Alter! Alter! seht doch einmal dort hinüber! Ein ganzer Trupp Menschen kommt daher gezogen. Seh' ich recht, so ziehen zwei einen Handschlitten, worauf ein Frauenzimmer liegt. – – – Beim Allmächtigen! sie ist's,« rief er und stürzte mit dem Alten hinaus.

Wohl war es Niemand anders, als die schönste Rose, die jemals in einer Hütte geblüht, des Häuers neunzehnjährige Tochter, die zwei Waldarbeiter, von Leuten aus dem Dorfe begleitet, auf einem Handschlitten daher fuhren. Nein – sie war es nicht – es war nur ihre Hülle, welche der Jammer des Vaters und der tobende Schmerz des Geliebten, die Beide sich auf sie warfen, nicht wieder zu beseelen vermochte. In tiefer Waldeinsamkeit hatte sie mit einem scharfen Messer das schöne, aber besudelte Gefäß ihrer reinen Seele vernichtet.

Die Leser erlassen mir gewiß gern, das volle Maß des Jammers zu schildern, der nun die Hütte erfüllte. Wir wollen nach Verlauf einer Stunde die stille Kammer öffnen, wohin sie die Todte gebracht haben. Es ist die nämliche Kammer, wo sie im Leben so oft zu ihrer Heiligen um Schutz in den Anfechtungen des Lebens, so oft um Glück für ihren Franz und eine baldige Vereinigung mit ihm gebetet hatte; dieselbe Kammer, die ihr Brautgemach hatte werden sollen. Da waren sie nun vereint: sie, die Braut, lag entseelt am Boden – und der Bräutigam? – In halb liegender Stellung hingestreckt und fast athemlos über sie gebeugt, verlor er Alles um sich her aus dem Sinne – seine Seele rollte allgemach ganz in ihren Schmerz hinab.

Eine Stunde war verflossen und noch immer saß der arme Bräutigam da, starr und stumm, die kalte Hand der Braut in seiner glühenden Rechten haltend. – Da dringt eine rauhgellende Stimme an sein Ohr. »Christel! Christel!« ruft sie. »Ich will sie sehen – wo ist sie?« Das ist des Waldmüllers Stimme! Wie ein Tiger springt Franz auf und stürzt zur Kammer hinaus. – Den Teufel sollst Du sehen und nicht meine Braut! – Und mit zwei Sätzen ist er unten. Wuthschäumend packt er den bestürzten Müller, schleppt ihn mit Riesengewalt zur Hinterthür hinaus und schleudert ihn in den tiefen Schnee, dann kniet er ihm auf den wohlgenährten Bauch und – – –.

Der Häuer war in der Stube mit seinem halbtodten Weibe beschäftigt und die Kinder standen jammernd um ihn her. Ihm war des Waldmüllers Ankunft nicht entgangen, allein er hatte auf den Ruf desselben nicht von seinem Weibe hinwegeilen können, ebensowenig konnte er es dann verlassen, als er hinter dem Hause hervor einen gellenden Jammerton vernahm. Wenige Augenblicke später stürzte Franz mit fürchterlich stierem Blick herein, riß aus seinem Rock eine Brieftasche – nahm ein Päckchen Banknoten daraus – warf sie auf den Tisch – sprach: »Die sind Euer, Gott mit Euch!« und eilte fort.

Er hatte den Waldmüller erwürgt.


Dies ist die Geschichte einer Woche in der Hütte des armen Häuers. – Und überlebte der Unglückliche so vielen und so jäh über ihn hereingebrochenen Jammer? O, man glaubt nicht, wie viel Unheil die, welche das Elend aufgesäugt hat, ertragen können! Rümmler hielt all den Gram aus, wie ein – armer Mann. Sein Weib genaß auch wieder, und wie der Frühling kam, schenkte er seine Hütte der Gemeinde, die kein Armenhaus hatte (wenn nicht alle Häuser des Ortes im eigentlichen Sinne des Wortes Armenhäuser waren), und zog mit sechshundert Gulden, die er von Franz bekommen hatte, nach Siebenbürgen. Da lebt er nun seit sechs Jahren und Niemand dächte in der Heimath mehr an ihn, wenn nicht der kleine Hügel wäre hinter der Kirchhofmauer in Schmiedefeld und das darüber angemalte Kreuz. Dort nämlich liegen die Gebeine der armen Christiane Rümmler, die nicht in geweihter Erde unter ehrlichen Christenmenschen begraben werden durfte, weil die Unglückliche sich selbst das Leben genommen. Des Waldmüllers Leiche aber bekam eine geweihte Grabstätte und auch ein prächtiges Denkmal von Marmor, worauf seine christlichen Tugenden gar zierlich eingegraben stehen.

Von dem Geigenfranz hat in seiner Gegend kein Menschenkind jemals wieder eine Kunde erlangt. Bin aber einmal zu Prag auf der Brücke einem Fiedler begegnet, der spielte mit traurigem Gesicht eine traurige, traurige Weise, und als ich ihn fragte, was für ein Stücklein das wäre, sang er dazu:

»Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie ewig neu,
Und wem es just passirte,
Dem bricht's das Herz entzwei.«


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