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2.

Der Rector A. war ein Greis von kleiner Statur, aber in seinem ganzen Wesen Würde und Energie. Er imponirte Allen, denen er imponiren wollte, und um so mehr, als Jeder, dem er Achtung abnöthigte, ihm das herzliche Wohlwollen anfühlte, das im Grunde seiner Seele stets lebendig war. Wie er allen seinen Schülern ein Vater war, für deren Fortkommen er nach Möglichkeit sorgte, so auch unserm Friedrich; ja für diesen hatte er immer ganz besonders gesorgt, so daß er schon seit Jahren der Beihülfe seiner Mutter zu dem Unterhalt auf der Schule ganz entbehren konnte. Unter solchen Umständen mußte sein Wort bei der guten Frau viel gelten, ja er wußte, daß es Alles bei ihr galt, aber er hütete sich wohl, eine zwingende Sprache mit ihr zu reden – er hoffte ihre Wünsche mit denen ihres Sohnes durch Ueberzeugung in Einklang zu bringen.

Bei einer »Semmelmilch«, die der wackere Schulmann nicht verschmähte, wenn er zur Sommerszeit einmal in die ländliche Heimath eines seiner Schüler kam, begann er sein Werk mit den Worten: »Das wird wohl die letzte Semmelmilch sein, die ich bei Ihr esse, Frau Rost.«

»Das will ich nicht fürchten,« erwiederte diese, »ich müßte denn bald sterben.«

»Das will ich nicht fürchten,« sagte der Rector; »Sie muß erst noch viel Freude an Ihrem Sohne erleben – und das wird Sie – wird Sie in Kurzem schon – Sie weiß doch schon halb und halb, welch' ein Glück ihm bevorsteht – he?«

»So ist es also wahr, was mein Fritz mir gestern gesagt hat? Er soll eine Stelle bei Hofe erhalten mit tausend Thalern Gehalt?«

»Ihr Sohn hat Sie nicht belogen – aber er hat Ihr noch nicht gesagt, was es für eine Stelle ist – er hat mir das überlassen. Setze Sie sich zu mir, liebe Frau – stelle Sie Ihr Spinnrad auf die Seite – so – ich kann Ihr nicht so mit einem Worte klar machen, um was es sich handelt. Ihr auf Euerm Dorfe da kennt die große Welt nicht und habt gar kuriose Begriffe von dem Leben in ihr. Da muß ich nun erst ein wenig in Ihrem Kopfe aufräumen, gute Frau Rost. Daß der Friedrich ein Sänger ist, wie's weit und breit keinen giebt, hat Sie lange gewußt, ehe der Dresdener Hofrath, mein guter Freund, diese Entdeckung gemacht; auch ist Sie vernünftig genug, um einzusehen, daß das Talent des Gesanges, so Ihr Sohn besitzt, eine große Gabe von Gott ist – he?«

»Ach ja, Herr Rector!« bekannte Frau Rost; »und ich danke dem Himmel allezeit dafür.«

»Recht so, Frau Rost,« fuhr der Scholarch fort, »nun giebt uns der liebt Gott solche Gaben nicht, daß wir sie müssig liegen lassen, wie jener Knecht im Evangelium das ihm anvertraute Pfund – als eine christliche Frau kennt Sie doch das Gleichniß?«

»Gewiß, Herr Rector,« versicherte sie; »und weil mein seliger Gottfried dessen eingedenk war, hat er trotz unserer Armuth den Fritzen zu Ihnen auf die Schule gethan, damit er in den Stand komme, mit seinem Pfunde, den ihm von Gott verliehenen Gaben, zu wuchern.«

»Das war wohl gethan, Frau Rost,« erklärte der Rektor. »Ihr Seliger war ein wackerer, einsichtsvoller Mann. Nun habt ihr guten Leute aber nicht weiter gedacht, als aus dem begabten Sohne einen Dorfcantor zu machen – das ist aber noch lange nicht die höchste Stufe, zu der ihn sein Talent befähigt. Obgleich er überhaupt einen guten Kopf hat, so ist seine bedeutendste Gabe doch die des Gesanges, zu einem Sänger hat ihn der liebe Gott eigens geschaffen, und ein Sänger soll er werden. Was aber ein Sänger, ein großer Sänger ist und zu bedeuten hat, das weiß Sie nicht, gute Frau – wenn Sie einen rechten Begriff davon erhalten wollte, so müßte Sie eigentlich nach Dresden gehen in das königliche Theater, da würde Sie zum erstenmal hören, was man einen großen Sänger nennt. Ein solcher Sänger singt in einem glänzenden Theater, das größer und prächtiger ist als eure Dorfkirche, vor allerhöchsten, höchsten und hohen Herrschaften und vor einem großen feinen Publikum gar wunderbare Sachen in großen herrlichen Singspielen, die man Opern nennt. Selbst bei uns, in Marienberg, bekommt man dergleichen nie zu sehen und zu hören. Und ein solcher Sänger, ein königlicher Hoftheatersänger soll Ihr Sohn werden, Sie glückliche Mutter!«

»Ein Hof-thea-ter-sänger?« stammelte die Frau erbleichend, – »also ein Ko-mö-diant –«

»Pah – Komödiant!« erwiederte der alte Herr. »Hör' Sie mich ruhig an, Frau Rost! Nicht so ein Komödiant, wie Sie deren etwa zu Zeiten in Ihrer Dorfschenke hat ihr Lumpentheater aufschlagen sehen, nicht ein solcher gaukelnder Sohn des Unglücks soll und wird mein Chorpräfect und Primus Friedrich Rost werden, nein, ein hochgeachteter Künstler, ein Mann, der mit Geheimräthen, Edelleuten und großen Gelehrten verkehrt, ein Mann, der seinen Namen weit über die Grenzen unsers Sachsenlandes hinaus berühmt macht, ein solcher, ein Roscius cantans wird Ihr Sohn sein, wenn er dem ehrenvollen Rufe meines Freundes, des Herrn Hofraths, folgt. – Komödiant! Was für einen Mißbrauch Ihr mit diesem Worte treibt! Zu was für einem Kloake von Abscheu, Verachtung und erbärmlichen Vorurtheil Ihr das unschuldige Wort gemacht habt! Da werft Ihr nun ebenso wahrhafte große Künstler hinein, wie elende Seilgaukler und Bajazzo's. Weiß Sie denn nicht, gute Frau, daß vor Alters Königstöchter Komödie gespielt haben? Daß ein römischer Consul, das will so viel sagen als ein Beherrscher der halben Welt, einen Schauspieler zum Freunde hatte und sich nicht scheute, ihn öffentlich vor allem Volke zu vertheidigen, als er eines Verbrechens angeklagt war? Daß vor mehr als zweitausend Jahren Komödien in griechischer Sprache geschrieben worden sind, die ich noch heute mit meinen Schülern lese? Bin ich etwa ein Lumpenkerl, weil ich mit meinen Schülern griechische Komödien lese – he?«

»Davor behüte mich Gott, daß ich Sie anders als mit Respect ansehe, Herr Rector!« sprach die Bäuerin.

»Nun, wenn ich ein ehrlicher Schulmann bin, indem ich Komödien lese und lesen lasse, so wird es wohl auch nicht entehrend sein, Komödie zu spielen. Daher haben auch in früheren, aber schon christlichen Zeiten, wo es in Deutschland noch kein Theater gab, die Geistlichen wacker Komödie gespielt, ja meine Vorfahren auf der Marienberger Schule haben mit ihren Schülern oft Komödie aufgeführt, und ich wollte, ich könnte das heute noch thun. Liebe Frau! die Schauspielkunst ist – wie alle Kunst – auch dazu da, Gott zu dienen, nur muß man wissen, was Gott dienen heißt. Gott dienen heißt: Gottes Namen verherrlichen durch die treue Anwendung seiner Gaben zu Nutz und Frommen, Glück und Trost unserer Mitmenschen. Man kann Gott auf mancherlei Weise dienen, und wahrlich! es ist nicht die schlechteste Weise, ihm zu dienen, wenn man das Ebenbild Gottes, den innern Menschen, nach seinen mannigfaltigen Beziehungen, in seiner höchsten Verklärung wie in seiner tiefsten Entwürdigung zur Erscheinung bringt, wenn man durch das Eine Nacheiferung zu hoher Tugend, durch das Andere Abscheu vor dem Bösen erweckt, durch Beides die Leidenschaften reinigt, die Seelen erhebt und veredelt. Und wenn Einer auch nichts weiter als seinen Mitmenschen nach des Tages Last und Mühe ein edles Ergötzen schafft, so ist das schon ein Gottesdienst, denn auch die Freude schuf der liebe Gott, und er will, daß wir uns freuen; die Freude gehört zum Leben, wie Essen und Trinken. Nur wenn das Schauspiel eine gotteslästerliche Tendenz annimmt oder zur gemeinen, sinnenkitzelnden Gaukelei herabsinkt, ist es, wie jede Entartung, dem Herrn ein Gräuel. Sie muß also nicht glauben, werthe Frau, Ihr Sohn mache einen schlimmen Tausch, wenn er statt ein Dorfschulmeister ein Bühnensänger wird; Sie muß nicht glauben, daß er als dieser Gott weniger angenehm sein müsse, als er in jener Laufbahn geworden wäre. Auch Sie, liebe Frau, hat Ihr Lebenlang Gott gedient nach Ihrer Gabe durch treue Beschickung Ihres Hauses, Ackers und Viehes wie durch fromme Kinderzucht, und so dient Jeder Gott durch treue Verwendung seiner Gaben im Dienste seiner Mitmenschen mit liebendem Herzen, in dem Streben, es immer wohnlicher, immer traulicher zu machen auf Gottes Erde.«

»Lieber Herr Rector!« nahm die Frau mit feuchten Augen das Wort, »Sie müssen einer alten einfältigen Frau 'was zu gute halten. Ich glaube gern, was Sie mir sagen, und will meinem Sohne nicht entgegen sein, wenn er lieber Theatersänger wird als Schulmeister – aber – sehen Sie – es fällt Unsereinem so schwer, ein Kind einen andern Weg einschlagen zu sehen, als worauf man es von Jugend auf und mit solcher Herzensfreude erblickt hat, wie es bei mir mit meinem Fritzen der Fall war, seit er die lateinische Schule besucht. Und so ging es auch meinem seligen Mann: »Wie stolz bin ich,« sagte er oft, »daß ich der Vater eines künftigen Schulmeisters bin! Giebt es denn auf der ganzen Erde einen nützlicheren, ehrenwertheren Stand, als den eines Volkslehrers? Wie froh bin ich, daß mein Sohn keine andere Gräten im Kopfe führt, daß er nicht denkt, ein Schreiber, Jäger, Kaufmann oder dergleichen zu werden!« Mit solchen Gedanken ist mein Gottfried auch schlafen gegangen – ach! was würde er wohl sagen, wenn er noch lebte?«

»Lassen wir die Todten ruhen, Frau Rost,« entgegnete der Rector, »ehren wir ihr Andenken, aber lassen wir sie nicht mehr mit ihren Wünschen ins Leben herübergreifen! Uebrigens bin ich überzeugt, daß der Selige, wenn er noch lebte, mit Freuden in den Schritt Ihres Sohnes willigen würde. Er war ja ein so verständiger Mann!«

»Ja – aber er konnte das Theatervolk nicht leiden,« wendete die Bäuerin ein, »wenn in der Schenke Komödianten waren, kam er gewiß nie hin, und wir hätten es uns keines unterstehen dürfen, in die Komödie zu gehen.«

»Schweig' Sie mir doch ums Himmelswillen von Ihrer miserablen Dorfkomödie!« fuhr der Schulherr ungeduldig aus. »Die läßt sich doch nicht mit einem Hoftheater in Vergleich bringen! Indessen will ich Ihr weiter nicht zureden, Frau Rost – thue Sie, was Sie will. In Ihrer Hand liegt jetzt das Geschick Ihres Sohnes. Sie hat zu bestimmen, ob er sich zeitlebens als armer Dorfschulmeister – möglicherweise mit hundert Thalern Einkommen – kümmerlich abmartern, oder ob er ein hochangesehener, gefeierter Künstler mit mehreren Tausend Thalern jährlicher Besoldung werden soll. Wäre es mein Sohn, so würde ich zu dem Jungen sagen: »Sei kein Esel, greif zu! das Glück, das man mit Füßen von sich stößt, kommt nie wieder.«

»Ach!« sagte die Frau, »ich will ja meinem Fritz an seinem Glücke gar nicht hinderlich sein – ich bin eine einfältige, ungelehrte Frau, wie könnt' ich mich unterstehen, besser wissen zu wollen, denn ein so gelehrter Herr wie Sie, was meinem Sohne gut ist! Wenn Sie meinen, daß er den Schritt thun soll, so geh' er ihn in Gottes Namen ich geb' ihm meinen vollen Segen dazu.«

»Topp!« sprach der alte Herr, in ihre Hand einschlagend – »das ist wacker, das ist vernünftig – und Sie wird's nie bereuen: Ihr Fritz ist ein frommer, treuer Sohn, er wird seiner Mutter reichlich zu vergelten suchen, was sie an ihm gethan, er wird ihr gute Tage die Fülle schaffen, wie er es als Schulmeister nie könnte. So hab' ich also Ihre Einwilligung – aber Frau Rost! Sie muß hinterher nicht lamentiren, muß dem wackern Jungen nicht das Herz wieder schwer machen – so wie Sie sich etwas merken läßt, daß Ihr der Schritt nicht recht ist, so springt er um!«

»Nein, nein!« versicherte Frau Rost, »ich werd' ihn bestimmt nur ermuntern, sein Glück zu verfolgen.«


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