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3.

Friedrich tanzte vor Freuden, als er am andern Morgen noch vor Eröffnung des Unterrichts aus dem Munde des Rectors vernahm, daß seine Mutter in den Wechsel seiner Laufbahn mit ganzem Herzen willige. »Ach, das gute, liebe Mutterherz!« rief er, als er die Treppe herunterstieg, »sie soll es aber auch recht gut haben – auf den Händen will ich sie tragen und Honigsemmel und Marzipan darf ihr nicht ausgehen.« Die ganze Prima und Secunda – denn beide Klassen waren gerade vereinigt – wunderten sich über die heitern Sprünge, die ihr Primus und Präfect durch das Auditorium machte. Endlich stieg er auf das Katheder und rief: » Silentium! Ad publicandum! Sintemal und alldieweil ich binnen hier und vierzehn Tagen aus Eurer Mitte scheiden werde, liebe Commilitonen, so denke ich nach altem löblichen Brauch einen Valetschmaus zu geben, und lade Euch daher ein. Euch künftigen Sonnabend bei mir in Lauterbach vollzählig mit viel Durst und tüchtigem Hunger einzufinden.«

Mit ungeheurem Jubel wurde diese Eröffnung aufgenommen – der gute Rector stand wohl fünf Minuten unter der offenen Thür und hörte und sah dem Treiben der muntern Jugend zu, ehe von der ganzen Versammlung Einer ihn bemerkte. Endlich wurde ihn der Usurpator seines Thrones gewahr. »St! ad loca!« ließ derselbe vernehmen, eilte von dem hohen Standorte herab, und die Wogen der jugendlichen Lust legten sich so schnell, wie sie aufgeschäumt waren.

»Wißt Ihr schon,« fragte der würdige Greis, »was für ein Glück Euerm Mitschüler Rost bevorsteht?«

»Ich wollte es ihnen eben mittheilen, als Sie eintraten,« sagte das Glückskind.

»So vernehmt es von mir!« sprach der Rector und theilte ihnen nun mit, was alle zu wissen begierig waren.

Von der Schule aus verbreitete sich natürlich die Kunde von dem Ereigniß bald durch die ganze Stadt. Die Bürgerschaft nahm an allen Begebenheiten ihrer Schule den lebhaftesten Antheil und so auch an dem plötzlichen Schicksalswechsel ihres Chorpräfecten. Diese Thatsache wurde für die nächste Zeit das Thema aller Unterhaltungen, und es darf nicht Wunder nehmen, wenn Frau Fama ihre Erfindungsgabe auch hier bewies, indem es ehrliche Leute genug gab, welche behaupteten, der Ruf von dem Wunderbaß ihres Präfecten sei bis an den Hof, vor die Ohren Sr. Majestät gedrungen, und dieser habe den Hofrath abgesendet, um sich von der Wahrheit des Gerüchtes zu überzeugen und nach Befinden den Bassisten sogleich zu engagiren. Es gab wohl Niemanden, der demselben sein Glück nicht von Herzen gegönnt hätte, wenn man schon den Verlust eines Sängers, »den man auf dem Markte hörte, wenn er in der Kirche ein Solo sang,« lebhaft bedauerte, ja, wenn es gleich auch im schlichten Handwerkerstande Leute gab, die es doch lieber gesehen hätten, er wäre bei seinem ursprünglichen Lebensplane geblieben. Einer dieses Standes, ein vielgereister, erfahrener und intelligenter Mann, bei dem ein Schüler einen Freitisch hatte, äußerte gegen diesen sogar: »Und wenn ein solcher Opernsänger gleich in den Himmel erhoben wird, wenn man ihm das Gold in Haufen zuwirft und die größten Herren um seine Freundschaft buhlen, so steht er doch dem ärmsten Schulmeister an wahrer Würde nach. Uebrigens halt' ich unsern Rost für das Theaterleben wenig geeignet, er müßte denn eben von Gott berufen sein, ihm einen neuen Geist einzuhauchen. Ich habe in Berlin und Hannover, in Wien und Stuttgart Gelegenheit gehabt, das Treiben der Bühnenkünstler zu beobachten, und es ist mir überall ein Grauen angekommen vor der höfischen Aufgeblasenheit, Eitelkeit und Ichsucht dieser Menschendarsteller. Möglich, daß ein so unverdorbener und dabei charaktervoller Naturmensch wie unser guter Präfect, durch sein Beispiel einen gediegeneren, menschenwürdigeren Sinn in das Thalienpriesterthum bringt. Ich will es wünschen, denn ich glaube wohl, daß das Theater zu einer Volksbildungsanstalt gemacht werden kann – aber eine Schwalbe macht keinen Sommer.«

Frau Rost hielt Wort. Als Friedrich zu ihr kam, um die dem Rector zugesicherte Einwilligung zu seinem Berufswechsel aus ihrem Munde zu vernehmen, gab sie dieselbe mit Freuden, und als er ihr die fünfzig Thaler zeigte, welche der Rector ihm von dem Hofrath ausgehändigt hatte, da schlug sie die Hände zusammen über solchen Reichthum, den sie noch nie beisammen gesehen. »Hier, Mutterle,« sagte Friedrich, »da hast du fünfundzwanzig Thaler, davon kaufst Du eine Tonne Bier, Schinken, Wurst, Häringe, saure Gurken und Brot, daß sich dreißig bis vierzig Mann ordentlich satt essen können, denn künftigen Sonnabend halt' ich meinen Valetschmaus. Da wird es ein wenig bunt in Deiner stillen Wohnung hergehen – es hilft aber nichts, und einmal ist nicht oft. Was von dem Gelde übrig bleibt, das behältst Du für Dich; mit den fünfundzwanzig Thalern, die ich noch habe, equipir' ich mich und bestreite die Reisekosten.«

Am Tage vor dem Valetschmause fand Friedrich, der jetzt öfter bei der Mutter aus- und einging, diese ungewöhnlich blaß, ja es schien ihm, als habe sie geweint gehabt. »Fehlt Dir etwas, Mutter?« fragte er besorgt.

Sie verneinte und drückte seine Hand.

»Oder ist es Dir nicht recht, daß ich die Sängerstelle annehme?« fragte er weiter.

»Du hast meinen Segen dazu, Fritz!« erwiederte sie, »kümmere Dich weiter nicht um mich!«

Fritz fragte hinterher seine kleine Schwester in Abwesenheit der Mutter, ob diese gegen sie etwas habe verlauten lassen, daß sie mit seiner Wahl nicht zufrieden wäre. Christel versicherte das Gegentheil, und so empfing er am folgenden Tage seine Gäste, unter denen sich auch seine Lehrer befanden, in der frohesten Laune. Wenn sein Dresdener Gönner ihn jetzt gesehen hätte, wie er die Honneurs machte, er würde über den seinen Anstand, die Gewandtheit und Elasticität in dem ganzen Wesen des jungen Mannes in Entzücken gerathen sein.

Der Valetschmaus war vorüber, der Tag der Abreise vor der Thür, Friedrichs Koffer gepackt – morgen sollte ihn die Post den Mauern Marienbergs und den heimathlichen Fluren für immer entführen. Begleitet von seinen vertrautesten Schulfreunden wanderte er am Abend vor der Abfahrt zum Freiberger Thore hinaus, um noch eine Nacht unter dem heimathlichen Dache zuzubringen und morgen in aller Frühe von seinem Mütterlein Abschied zu nehmen. Zum letzten Male konnte jetzt Marienberg die Stimme hören, die Alt und Jung so oft in Verwunderung gesetzt hatte; denn noch bevor es das Thor erreichte, stimmte das kleine Comitat das Lied an: »Bemooster Bursche zieh' ich aus – Ade!« An allen Häusern der Freibergergasse öffneten sich die Fenster und manches herzliche Lebewohl hallte dem scheidenden Sänger nach. Bei dem kleinen Zechenhause auf der Mitte des Weges, welches von seiner damaligen schönen Wirthin das »Donauweibchen« heißt bis auf den heutigen Tag, trieb Friedrich die Gefährten zurück. »Besorgt mir Alles wohl,« bat er; »schafft meinen Koffer gleich auf die Post, laßt mich einschreiben und sagt es dem Postillon, daß ich mich in Lauterbach aufsetzen werde. Nun lebt wohl, ihr trauten Jungen! Vergeßt mein nicht! behaltet mich immer lieb! grüßt mir unsern guten Rector, unsern wackern Cantor und die ganze Schule noch einmal und helft mir unsern Chor stets tüchtig erhalten!« Hierauf schluchzendes Umarmen – Kuß um Kuß – und Lebewohl! Dann zog jeder Theil seines Weges.

Die Sonne vergoldete mit ihrem letzten Strahle die Kirchthurmspitze seiner Heimath, als Friedrich dieselbe aus dem Thale auftauchen sah. Er war diesmal nicht seinen gewöhnlichen Weg gewandelt, sondern hatte die Fahrstraße eingeschlagen. Er wollte von seinem ersten Jugendlehrer und dem Pfarrer, der ihn getauft und confirmirt hatte, Abschied nehmen, und Beide wohnten an der Straße zunächst der Kirche. Und bei dieser Kirche war noch eine theure Stätte, zu der es ihn mit Macht zog: das Grab seines Vaters. Eben ging er an einem – nun längst verschwundenen – Tannenhorst vorüber, der wenig Schritte von der Straße entfernt einen kleinen Hügel krönte. Auch diese Stelle zog ihn an: er erinnerte sich, wie er am Tage seiner Konfirmation einsam dahin gegangen und ungesehen von eines Menschen Auge niedergekniet war und Gott angerufen hatte, es doch möglich zu machen, daß er »bei der Schule bleiben« könne. Und dieses Gebet hatte Erhörung gefunden; bald nach ihm war sein Vater von der Schule heimgekommen und hatte dem lernbegierigen Knaben angekündigt, daß er nach reiflicher Besprechung mit dem Herrn Cantor zu dem Entschlusse gekommen sei, ihn nach Marienberg auf die lateinische Schule zu thun. Friedrich gedachte des Entzückens, mit dem diese Eröffnung ihn durchdrungen hatte – er mußte wieder niederknieen an jener Stelle, wo vor acht Jahren das kindliche Gebet seinen Lippen entstiegen war – aber jetzt war es ein Dankgebet, das er brachte, und ein Gelübde, die Gaben, die ihm Gott verliehen, allezeit treulich in seinem Dienste zu gebrauchen und nie sie zu schnödem Zwecke zu entweihen. Er hoffte, auch als Künstler berufen zu sein, die Herrlichkeit Gottes zu offenbaren und auf seine Mitmenschen erhebend und veredelnd einzuwirken – wenn er sich aber hierin täusche, so wolle Gott ihn erleuchten und seinen Fuß bewahren vor einem Fehltritt. Dann schritt er wohlgemuth weiter – in seiner Brust war vollkommener Friede – keine Stimme in und um ihn erhob sich wider seinen Lebensplan – mit Begeisterung gedachte er seines Wirkens durch ihn.

So nahte er sich dem Friedhofe, über welchen der Weg zur Schule führte. Die Dämmerung breitete schon ihre Schleier über die stille Wohnstätte der Entschlafenen. Friedrich wollte stracks nach der Schule hinübergehen, mußte aber doch einen Blick nach dem Kreuze hin werfen, das in einiger Entfernung zu seiner Linken die väterliche Gruft bezeichnete. Da sah er eine Gestalt sich auf derselben regen – es schien seine Mutter zu sein. Ihr Gesicht hatte sie in die Schürze gehüllt und als er sich leise und langsam ihr im Rücken näherte, fand er, daß sie weinte. Er wußte nicht, sollte er sie anreden, oder sich unbemerkt zurückziehen. Eine unerklärliche krampfhafte Empfindung in seiner Brust hielt ihn stumm und fest am Boden gewurzelt. Nach einer Weile brach die Weinende unter heftigem Schluchzen in die Worte aus: »Ach Gott! vergieb, wenn das schwache Mutterherz eine Sünde that, indem es seine Einwilligung zu einem so gefährlichen Schritte seines Kindes gab, und erleuchte Du selbst seinen Geist, weil es noch Zeit ist umzukehren. O lieber Herr Gott! ich hab' ihn ja mit Schmerzen geboren – wie könnt' ich es überleben, wenn er verloren ginge! – Gottfried! wie wirst Du böse sein über mich, daß ich Deinen Sohn von der Bahn weichen ließ, die Du ihm ausersehen, auf der Du ihn mit solcher Freude erblicktest! O, daß ich ihm das nicht vorgehalten habe – nun nicht vorhalten darf! – O Gott, nimm diese Centnerlast von meinem Herzen.«

Ein Todesschauer rieselte durch Friedrichs Gebein – einen Augenblick noch stand er regungslos – dann zog er sich leise zurück und ging nicht in die Schule, nicht in die Pfarrei, zu Niemand, um Abschied zu nehmen – er ging hinab ins Mutterhaus zu seiner Schwester. Auch die saß weinend unter der Thür. »Guten Abend, Christel!« redete er sie an, »weine nicht, es giebt keinen Abschied – ich bleibe bei Euch – wo ist die Mutter?«

»Sie wollte auf die Schule gehen,« war die Antwort.

»Geh, sag' ihr, ich habe mich anders besonnen – ich gehe nicht nach Dresden – werde kein Theatersänger, sondern was ich immer werden wollte, ein Schulmeister – sag' ihr das. Morgen komm' ich wieder heraus – gute Nacht!«

Es war zehn Uhr. Der Postmeister kehrte eben aus einer Abendgesellschaft heim, als eine Mannsperson vor seiner Hausthür auf- und abwandelte. Es war der Präfect Rost. Mit höflichem Gruße trat derselbe dem Kommenden entgegen und bat ihn, seinen Koffer nicht abgehen zu lassen, da er nicht nach Dresden fahre.

»Sind Sie krank geworden?« fragte der Postmeister.

»Nein – ich habe mir die Sache anders überlegt,« erwiederte Friedrich, »ich will bei der Schule bleiben.«

»Da muß ein Donnerwetter drein schlagen!« rief der Postmeister, »so eben noch haben wir in der Gesellschaft von Ihnen gesprochen und uns Alle über Ihr Glück gefreut; ja, wir haben uns Mehrere das Wort gegeben, das erste Mal, wenn Sie in Dresden öffentlich auftreten würden, dahin zu fahren, und nun soll nichts daraus werden!«

»Es war der Wille meines seligen Vaters, daß ich ein Schulmeister werde, und es ist Gottes Stimme, die durch den Mund frommer Eltern redet. Seien Sie so gütig und lassen Sie mir meinen Koffer wieder zukommen.«

»Den sollen Sie haben und auch Ihr Fahrgeld,« sagte der Postbeamte, »aber ich wollte Ihnen lieber noch zehn Thaler Reisegeld geben, als daß ich Sie aus der Passagierliste streichen soll. Ei! was spukt das Vorurtheil noch so arg in den Köpfen der Leute! Na, kommen Sie nur!«

Friedrich nahm seinen Koffer und das Geld in Empfang und ging damit nach seiner alten Wohnung. Sein Wirth war nicht wenig erstaunt über dies unerwartete Erscheinen seines Hausgenossen, und noch weit mehr, als er erfuhr, daß er es wieder sein wolle. »Aber heute bleib' ich nicht da,« sagte Friedrich, »ich muß noch nach Lauterbach.« Und hastig sich verabschiedend stürzte er wieder hinaus in die sternenhelle Sommernacht, aber nicht nach Lauterbach, nicht ins Mutterhaus, sondern in das freie Feld. Da irrte er umher bis an den Morgen. Als die Sonne über die östlichen Wälder heraufstieg, fiel ihr Strahl auf eine blasse Jünglingsgestalt mit trüben, trockenen Augen. Ihr faustisches Feuer war erloschen wie ein ölloser Docht. Zusammengeknickt, mit schleppendem Gange wandelte sie der Stadt zu. Was sie in dieser Nacht gelitten, hat kein Mensch erfahren.

Am folgenden Donnerstage – denn das war auch ein Singetag – wandelte Friedrich wieder vor seinem Chor auf und ab. Viele Leute in der Stadt hatten nicht glauben wollen, daß er ein solcher Thor gewesen, sein Glück mit Füßen von sich zu stoßen – jetzt konnten sich Alle mit eigenen Augen überzeugen. Da wurden der mißbilligenden Bemerkungen viele gemacht, freilich so, daß Rost sie nicht hörte – aber als der Chor vor dem Hause jenes vielgereisten Handwerkers gesungen hatte, rief dieser den Präfecten in sein Haus.

»Sie sind ein wackerer Sohn, Mosjö Rost,« redete ihn der Bürger an. »Sie lassen sich nicht vom Schimmer des Goldes blenden – Gott wird Sie segnen. Sie haben schon eine Ausgabe auf die Sängerstelle hin gemacht –«

»Ja, leider,« fiel ihm Friedrich ins Wort, »diese Ausgabe macht mir viel Sorge, denn natürlich muß ich dem Dresdener Herrn sein Geld wieder schicken, aber woher nehmen?«

»Mein Schüler,« antwortete der Bürger, »hat mir Alles gesagt. Da haben Sie die fünfzig Thaler – wenn Sie sie einmal übrig haben, geben Sie sie mir zurück.« Damit schob er dem Ueberraschten eine Anzahl Kassenbillets in die Partitur und entzog sich eiligst allen Einwendungen oder Dankesbezeigungen.

»Da hilft mir ja der liebe Gott unverhofft aus meiner größten Verlegenheit – und das soll mir ein Zeichen sein, daß mein Thun seinen Beifall hat.« Mit diesem Gedanken eilte Friedrich seinem Chore nach.

Er konnte nun dem Rector den Vorschuß des Hofrathes zurückerstatten. Obgleich der würdige Schulmann ihm anfangs zürnte, so schenkte er ihm doch bald die alte Liebe wieder. »Er scheint eben auch wie ich zur Plage geboren zu sein,« sagte er nach einiger Zeit zu ihm, »so wollen wir denn unser Kreuz in Geduld tragen. Im Grunde sind wir Schulleute, wenn auch die schlechtest belohnten, doch die verdientesten Männer im Staate, damit wollen wir uns trösten.« Seiner Mutter verschwieg Friedrich, was ihn zur Aenderung seines Entschlusses bewogen – er versicherte ihr, daß er nur der plötzlich erwachten Mahnung seiner innern Stimme gefolgt sei. Ruhig, als ob ihm nie eine glänzende Aussicht offen gestanden hätte, fügte er sich in sein bescheidenes Loos – aber Alle, die ihn kannten, machten die Bemerkung, daß er ein anderer Mensch war als sonst; der Zug der Entsagung, der schon früher für den tieferen Menschenkenner an ihm erkennbar war, hatte jetzt den Schleier, der ihn verhüllte, abgeworfen: seine Gestalt war ohne Spannkraft, sein Auge ohne Feuer, seine Wange erblaßt. Manchmal zwar geschah es, daß diese sich röthete, daß ein Funke der alten Gluth aus seinen dunkeln Augen schoß, daß sein Körper sich wie vormals aufrichtete und belebte – das war, wenn es galt, die Würde und hohe Bedeutung des Lehrerstandes zu vertheidigen; da konnte er mit flammender Begeisterung reden und sich glücklich preisen, diesem Stande anzugehören.

Er sang nicht lange mehr in den Straßen Marienbergs. Es fand sich bald eine Schulstelle im höhern Gebirge, zwar in einer seiner schönsten Gegenden, aber mit nicht mehr als 180 Thalern Einkommen. »Es ist nur der Anfang,« sagte der Rector, als er ihm die Nachricht von seiner Erwählung überbrachte. Friedrich sagte nicht, daß er mehr begehre oder verschmähe, er trat sein Amt an wie Einer, der an das Glück keine Ansprüche mehr macht, der nichts nehmen, nur geben mag. Und er gab seine ganze Seele an seinen Beruf hin; aber wiewohl er ein trefflicher Lehrer war, so erscholl sein Ruf doch nicht über die Berge hinaus, die seinen kleinen Wohnort rings umschließen. Er lebte sich in seinen kleinen Wirkungskreis und in seine Gemeinde ein, nahm ein Weib aus ihrer Mitte und blieb in ihr sein Leben lang. So tief war die Resignation, die er in jener Nacht dem Himmel abgerungen hatte, daß sie allen Ehrgeiz, alles Streben in die Breite völlig in ihm verzehrte – er hatte keine Wünsche für seinen Geist mehr, und die Wünsche seines Herzens fanden Befriedigung in der Familie. Seiner Mutter blieb er immer der treue, ehrerbietige Sohn, der er von Jugend auf gewesen; als seine Schwester sich verheirathete, bewog er jene, dieser die Wirthschaft zu übergeben und zu ihm zu ziehen.

Die Welt, die er nahe daran gewesen, als Künstler in Verwunderung und Entzücken zu setzen, hat nie von ihm erfahren. Er hat ihr unter Sorgen und Entbehrungen zehn Kinder gegeben und außerdem eine Menge guter Bürger gebildet – sie weiß es nicht; aber der Herr der Welt hat's in sein Buch geschrieben neben all den stillen, unbelohnten Verdiensten unbekannter Menschen, neben all den Leiden derer, die für Andere lebten und duldeten.


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