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III. Pater Joseph.

Eine simple und schlichte Geschichte. Was sollen auch für hochwichtige und große Dinge dort oben in der entlegenen stillen Niederung geschehen, die rings der menschenleere Hochwald säumt und worin die beiden kleinen Städtchen wie zwei Aschenbrödel unter den Städten des Landes liegen. Was für ein paar unansehnliche Nester das sind! Nur eine Grille konnte sie in die Reihe der Städte versetzen, ja, überhaupt nur eine Grille den Gedanken fassen, hier oben ein paar menschliche Wohnsitze und vollends gar Städte anzulegen.

Eine Grille? Wollte Gott, es wäre nichts Schlimmeres gewesen! Die Chronik berichtet von andern Entstehungsursachen dieser Städte. Durst nach kaltem Erz, mühsam und unter Gefahren aus der Tiefe zu fördern, bewog die Gründer der einen, ihre blühenden Thalgründe zu verlassen und sich in dieser rauhen Wildniß anzusiedeln; die Erbauer der andern aber trieb religiöse Verfolgung über den Bach herüber, um hier frei einem neuen Glauben anhängen zu dürfen. Denn der Bach ist ebenso die Grenze zwei verschiedener Länder, wie zwei verschiedener Kirchen – er scheidet das katholische Böhmen von dem protestantischen Sachsen. Zu ersterem gehört daß ältere, zu dem letzteren das jüngere der beiden Städtchen, die äußerlich eine einzige Stadt zu sein scheinen, wie sie auch nur einen Namen führen – Fichtelsrode wollen wir ihn nennen, so lange Rücksichten uns den wahren Namen zu verschweigen gebieten. Merkwürdiges Geschlecht, das so schroffe Gegensätze Jahrhunderte lang dicht neben einander hegen kann, unter welchem gewaltige geistige Strömungen plötzlich still stehen können, wie ein im Moment erstarrter Lavastrom, und nichts vermag die entgegengesetzten in einander in Fluß zu bringen! Wie zwischen zwei ehernen Vesten rinnt das kleine Bächlein hier zwischen zwei einander feindlichen Bekenntnissen hin; es könnte Einen fast melancholisch machen, daß das klare, friedliche, lachende Gewässer eine solche Bestimmung haben muß.

Die Bewohner von Sächsisch- und Böhmisch-Fichtelsrode können einander aus den Fenstern den Morgengruß bieten, ja sie können einander über den Bach die Hand zu Freundesgruß und brüderlicher That reichen, so nahe sind sich beide Ufer, so unmittelbar berühren sich beide Städtchen. Und wirklich war das Verhältniß der durch die Kirche getrennten Grenznachbarn ein so freundliches und einträchtiges, seit der gute Pater Joseph in Böhmisch-Fichtelsrode Kaplan war.

Vorher hatte seit Menschengedenken die Zwietracht geherrscht, und der Grenzbach hätte von mancher Schlacht erzählen können, welche die lutherische und katholische Jugend an seinen Ufern einander geliefert – um des Glaubens willen, dessen höchstes Gebot die Liebe ist. Die Fichtelsroder waren leider! eben nur gläubig gewesen, jene als Lutheraner, diese als Katholiken: viele Menschenalter hindurch hatten die Priester auf beiden Seiten nichts verabsäumt, um ihre Kirchkinder recht glaubensstolz zu machen und recht glaubenseifrig, der Liebe aber hatten sie vergessen und sie in Vergessenheit gebracht, als ob sie gar nicht zum Christenthum gehörte.

Wie war dies nun so ganz anders geworden, seit der gute Pater Joseph in Böhmisch-Fichtelsrode beredt und feurig wie ein Seher den wahren Inhalt des Christenthums, die Liebe, verkündete! Seitdem nannte der Bürgermeister von Sächsisch-Fichtelsrode den Bürgermeister von Böhmisch-Fichtelsrode seinen »lieben Collegen«, der ehrsame Bürger von hüben redete den von drüben mit »lieber Nachbar« an, Lutherische nahmen Katholische zu Gevattern und die sächsischen Bursche gingen zu den schmucken böhmischen »Madeln« auf die »Frei't«, selbst die beiden Nachtwächter schüttelten einander des Nachts über den Grenzbach die Hände, halfen einander mit Taback und Tabacksfeuer aus und titulirten einander, nach dem Beispiele ihrer Bürgermeister: »lieber College«, ja einer rief für den andern die Stunde ab, wenn der gerade einer unbezwinglichen Neigung zum Schlafen verfiel. Es war sogar vor Kurzem der vordem unerhörte Fall vorgekommen, daß ein Sächsisch-Fichtelsroder eine Böhmisch-Fichtelsroderin zur Frau genommen, sich mit ihr in der Kirche zu Böhmisch-Fichtelsrode von dem Kaplan hatte trauen lassen. Nach dem Verlaufe von wenig Jahren war die alte Scheidewand zwischen den beiden Fichtelsrode so gut wie gefallen, nur die Zoll- und Mauth-Schlagbäume, hüben grün und weiß, drüben schwarz und gelb, erinnerten an die Trennung, und die Zoll- und Mauthbeamten waren die Einzigen von allen Bewohnern der Nachbarorte, welche sich gegenseitig, trotz der Farbe ihrer Röcke, nicht »grün« waren.

Des Sonntags, wenn der Pater Joseph predigte, strömten die Sächsisch-Fichtelsroder nach Böhmisch-Fichtelsrode in die Kirche, so daß ihr alter orthodoxer Pastor nur den leeren Wänden vorzudogmatisiren hatte. Wie einfach, herzlich und rührend war aber auch die Rede, die von den Lippen des guten Kaplans floß! Da war nichts von dogmatischen Spitzfindigkeiten zu hören, noch von trübseliger Leichengeruch-Moral. Der Kaplan erschloß seinen Zuhörern die Paradiese des Lebens, des äußeren, wie des inneren; die Liebe war der Erzengel, der sie weihete, heiligte, pflegte, und die Freude stand ihr als Seraph zur Seite. Wie Christus gelebt und seine Menschen geliebt, das war ihm das Reich Gottes auf Erden, das er mit wunderbarer Meisterschaft anschaulich zu machen wußte, und wenn ihm die Vorschrift gebot, den Ruhm eines Heiligen zu feiern, so that er es nur, inwiefern der Heilige in dieser Hinsicht Christus ähnlich gewesen war. Seine schönen und rührenden Schilderungen des Reiches Gottes, wie er es auffaßte, erweckten in den einfachen Gemüthern der guten Gebirgsbewohner eine solche Sehnsucht danach, daß sie oft nach der Kirche aus dem Kirchhofe stundenlang truppweise beisammenstanden, sich gegenseitig hülfreich zu sein, und Alles zu thun gelobten, was das gepredigte Reich Gottes unter ihnen zu verwirklichen beitragen könnte.

Aber nicht die Predigten des Kaplans allein waren es, die das große Wunder wirkten, über die weite Kluft der kirchlichen Trennung die goldene Brücke der Liebe zu bauen, und in wenig Jahren den Drachen der Zwietracht, der den Frieden des Thales so lange gemordet, zu bezwingen und zu bannen, sondern mehr wohl noch half dabei sein lebendiges Beispiel. Durch sein Leben bethätigte er seine schönen Lehren. Er freute sich mit den Fröhlichen und weinte mit den Traurigen, und wo er trösten, rathen, helfen konnte, war er bei der Hand. Und er wartete nicht erst ab, bis ein Trost-, Rath- oder Hülfebedürftiger zu ihm kam, sondern er wußte sie selbst zu finden, und that es immer so fein, daß Niemand seine Absicht merkte. Ob der Bedürftige diesseits oder jenseits der Grenze wohnte, das war ihm einerlei, der kleine Bach war nicht die Scheidewand seines Wirkens, er war das Silberband, welches das Gebiet seiner Liebesthaten umgürtete und einte. O wie viel arme Bewohner von Sächsisch-Fichtelsrode denken noch mit Rührung an den guten böhmischen Kaplan, wie er in Stunden großer Bekümmerniß plötzlich unerwartet in ihre ärmliche Stube trat, und spendete, was eben am brünstigsten begehrt wurde! Der Pater Joseph hat manchem Erdensohn den Eintritt in die Welt erleichtert, manchen Verzweifelnden dem Leben erhalten, manchen müden Waller sanft in das unbekannte Land hinübergeleitet; genug Familien von Fichtelsrode werden es mir bezeugen.

Es wäre für den Kaplan wohl ziemlich unmöglich gewesen, in solcher Weise zu wirken, wie es eben geschah, hätte er nicht glücklicherweise einen Pfarrer gehabt, der bereits hochbejahrt und fast für alles Andere, als das Geld, todt war. Der war zufrieden, wenn der Decem und die Stolgebühren richtig eingingen, auch war ja der sanfte Kaplan so gefällig und liebreich gegen den alten Mann, daß dieser ihm nicht aufsässig sein konnte; und im Uebrigen fiel es dem Alten gar nicht ein, daß der Kaplan, als geweihter Priester, ein »Freigeist« sein könne. So hatte dieser ziemlich freies Schalten und Walten unter der Seelenherde des Pfarrers, und im andern Städtchen fragten die Leute nichts danach, ob der Pastor es gern sähe oder nicht, daß sie in die böhmische Kirche zu dem Pater Joseph gingen. Den Pastor aber wurmte es nicht wenig, als er seine Kirche von Sonntag zu Sonntag leerer werden sah, und der böhmische Kaplan wurde ihm allgemach ein rechter Dorn im Auge. »Und ich will doch einmal dem Vicar in Seligenstadt schreiben, was für ein Freigeist der Kaplan da drüben ist« – so hatte der Schulmeister und Kirchner den alten Herrn zu seiner Ehehälfte beim Zählen des Klingelbeutel-Ertrages sagen hören.

Des Kaplans Gesicht hatte ein leichtes Wölkchen überflogen, als ihm diese Aeußerung zu Ohren gekommen war, aber eben nur ein leichtes, das im nächsten Augenblicke wieder verschwand. »Der Herr Pastor wird sich nicht zum falschen Denuncianten herabwürdigen,« hatte er ruhig gesagt und war dann still lächelnd in das Haus des Schichtmeisters gegangen.

Das Haus des Schichtmeisters ... warum ging nur der Kaplan so oft in das Haus des Schichtmeisters? Das war doch bekanntermaßen das bigotteste Haus im Städtchen, nämlich dem böhmischen, und der Kaplan hielt es doch sonst nicht mit den wenigen Bigotten daselbst. Und Armen zu helfen und Leidtragende zu trösten gab es darin auch nicht, denn die Schichtmeister-Familie war die wohlhabendste im Orte, und der Kummer schien über das ganze Haus gar keine Macht zu haben. Wie – sollte er vielleicht gar? ... wäre es wohl möglich? ... Sollte er so schwach sein?

Daß die böse Welt doch gleich so Arges denkt, wenn ein unverheiratheter Mann, und noch dazu ein Priester, oft in ein Haus geht, wo ein junges hübsches Mädchen wohnt! Es gab in Fichtelsrode wirklich zwei Leute, die glaubten, der junge Priester gehe lediglich wegen der achtzehnjährigen Resi so oft zu Schichtmeisters. Eine Sünde war es freilich nicht, auf solchen Gedanken zu kommen, denn Resi war schön wie ein Engel, und, was nicht immer dabei ist, gut wie ein Engel, und Priester sind Menschen. Raths Peppi und ihre Mutter, die Frau Räthin, schworen Stein und Bein, sie hätten den Kaplan mit Schichtmeisters Resi mehr wie einmal stundenlang hinter den Fenstergardinen sitzen sehen, und einmal habe er sogar seinen Arm um ihren Leib geschlungen gehabt – sie wollten weiter gar nichts sagen u. s. w. u. s. w. Die Räthin und ihre Peppi waren aber anerkannte Klatschmäuler, und es gab im ganzen Orte Niemand etwas auf ihre Reden, mochten sie dieselben auch mit zehntausend Eidschwüren garniren.

Wird es mir bei dem geneigten Leser besser ergehen, wenn ich ihm versichere, daß zwar an dem stundenlangen Beisammensein und dem Umschlingen kein wahres Wort gewesen, daß aber nichtsdestoweniger der Kaplan Schichtmeisters Resi mit dem Feuer Abälards liebte? Nein, der Leser wird mich für keinen müssigen Lügner halten, der darauf ausgehe, dem heiligen Priesterstande Eins anzuhängen, er wird mir aufs Wort glauben und mit mir ganz einig sein, daß auch unter dem Priestergewande ein menschlich-fühlendes Herz schlagen und nichts den Priester weniger entehren könne, als die Liebe zu einem reinen holdseligen Weibe. Aber Joseph hatte ja das Gelübde der Keuschheit abgelegt, und wozu konnte eine Neigung zu dem jungen Mädchen führen, als zur Verletzung seines Schwures, zur Sünde.

Das hatte der Kaplan auch bereits gefühlt und eingesehen, und darum wollte er das Haus des Schichtmeisters für immer meiden. Auch hielt er seinen Vorsatz zwei, drei, vier Tage, dann kam der Sonntag, wo er predigte, da saß Resi gerade der Kanzel gegenüber, und hing stumm und andachtsvoll an seinem Munde, und der ganze Ausdruck ihres Gesichtes schien zu fragen, warum er sich ihr so lange habe entziehen können? Da konnte er es am Sonntag Nachmittag doch nicht übers Herz bringen, wieder einmal zu Schichtmeisters hinunter zu gehen. So trieb er es manche Woche lang, endlich nahm er sich fest vor, durch keinen, noch so holdseligen oder bittenden Blick wieder zu einer Untreue gegen seinen Vorsatz sich verlocken zu lassen. Vierzehn Tage ging er nicht hinunter, vierzehn lange Tage sah er den Engel nur zweimal von der Kanzel aus, und das Herz brach ihm fast unter den Kämpfen, die er zu bestehen hatte. Am dritten Sonntage erwartete ihn Resi auf dem Kirchhofe und fragte den ganz Erschrockenen, warum er so lange nicht zu ihr gekommen, und ob ihm etwas fehle, weil er so schrecklich blaß aussehe.

Die wirklich seit einigen Tagen auffallende Blässe des Priesters wich plötzlich einem brennenden Rothe. Er stammelte verlegen einige Worte und rannte dann in Verwirrung der Pfarre zu. »Was ist ihm denn?« sagte Resi, ihm betroffen nachblickend, »er ist ja wie von Sinnen, der gute Herr Pater!«

Das liebe Kind ahnte nicht, daß, wenn der Herr Pater wirklich von Sinnen, sie allein die Ursache davon war. Sie verehrte in ihm den Lehrer, den Beichtvater und väterlichen Freund mit kindlicher Einfalt, und es kam ihr nicht in den Sinn, daß der gottgeweihte Priester irgend ein irdisches Verlangen nach ihr empfinden könne. Sie wußte sich daher das seltsame Benehmen des geistlichen Herrn nicht zu deuten und zerbrach sich noch am andern Tage den Kopf darüber, als ihr ein Billet des Kaplans überbracht wurde, welches ihr anzeigte, daß er in der Frühe abgereist sei, um seine zerrüttete Gesundheit wieder herzustellen.

»Der gute Herr Pater! Er hat immer so viel gearbeitet, der armen Leute wegen, und dadurch ist seine Gesundheit zerstört worden. Ach, lieber Gott! erhalte doch das Leben des edlen Mannes, schenk' ihm recht bald seine Gesundheit wieder und laß ihn noch recht lange leben.

So betete Resi für den so plötzlich Abgereisten, und noch oft in den nächsten Tagen flüsterten ihre rosigen Lippen dieses schmucklose, aber aufrichtige Gebet. O hätte Joseph ahnen können, daß diesen Lippen dieses Gebet für ihn entquoll!

Wo war er denn? Er lag am Busen seines Franz, seines theuren, bewährten Jugendfreundes: er hoffte bei der Freundschaft Heilung für die große Wunde der Liebe zu finden, und die reizende Natur der Gegend, worin Franzens kleine Pfarrei lag, sollte dabei helfen. Gewiß, bessere Aerzte konnte er nicht wählen, und ich rathe jedem Leser, im gleichen Falle (wovor ihn jedoch der Himmel bewahren möge) eine gleiche Wahl zu treffen. Doch muß ich ihm da auch einen Freund wünschen, wie Franz war, und die Nähe eines so äußerst lieblichen Thales, wie das der Biela ist, des kleinen sanften Flusses, der bei Aussig in die Elbe geht.

Schon der erste Anblick der lachenden, segensreichen Fluren des Thales sammt den malerischen Höhen zu dessen Seite, linderte das Weh im Busen des armen Kaplans, und das Wiedersehen des geliebten Freundes, die lange, sprachlose Umarmung, das Brust- an Brustschlagen war echter Wunder- und Wundenbalsam für sein Herz. Die Wunde war tiefer, als ein Mensch auf dem Erdenrund nur ahnen konnte; Franz erschrak, wie sie sich in ihrer ganzen Weite vor seinen liebenden Augen öffnete. Da that schnelle Hülfe noth, wenn der Freund nicht zu Grunde gehen sollte. »Warte nur,« dachte Franz, »ich will Dich schon pflegen, ich will Dich wie ein krankes Kind an die Brust der Natur legen, da sollst Du mir schon wieder gesund werden.« Und fort aus der engen Stube ging es in die freie Schöpfung, in die luftigen Berge, die sich wie Inseln aus dem See erheben, der einst dieses Land bedeckte. Wer das herrliche Böhmenland kennt, weiß, daß ich das Mittelgebirge mit seinen erhabenen Kuppen meine.

Franz wußte die Wanderung zwischen diesen Kuppen zu einer wahrhaft romantischen Irrfahrt zu machen. Er kannte jedes Fleckchen, das die Natur so recht zum Entzücken der Menschen angelegt zu haben schien, und wußte die stillsten Gründe, die geheimnißvollsten Gehölze, die einsamsten Höhen mit guten Geistern der Vorzeit zu bevölkern. Der Priester war in der Pfarrei zurückgelassen worden, und der Mensch allein, der warm- und vollblütige, lebensfrohe und menschenselige Mensch wandelte neben dem Freunde und streckte seine Fühlhörner weit hinaus in das Leben, tief hinein in das geheimste Regen der Natur. Er führte seinen Patienten nicht blos in einsame Gegenden, er ging mit ihm auch zu guten, harmlosen Menschen. Hier war es eine entlegene Mühle, dort ein kleines Forsthaus, an einem andern Orte ein stilles Dörfchen, wo er mit ihm einkehrte, und es war ja kein Dörflein und keine Hütte so klein, wo es nicht eine Menschenfreude mit zu empfinden, oder auch ein Leid zu theilen gab. So ging das Heilungswerk schon recht hübsch von statten. Joseph lebte sichtbar auf, und als sie nach langem Umherstreifen gegen Abend am Fuße des Mileschauer anlangten, da sagte Joseph, sich auf den Rasen werfend: Ich bin zwar müde, aber mir ist so wohl, daß ich die Welt umarmen möchte.

»Ist Dir?« erwiederte Franz, ihn an sein Herz ziehend. »Nun, so wollen wir hier ein Viertelstündchen ausruhen, und dann noch den Berg besteigen, um dieses Wohlsein am Anblick des Sonnenuntergangs recht voll zu machen.«

Ach! der verrätherische Lug-ins-Land, der Mileschauer! Hätten sie ihn doch nicht bestiegen! Da mußte dem vermeintlichen Reconvalescenten ja das Erzgebirge und vor Allem der steile Bergrücken, an welchem Fichtelsrode lag, gerade ins Auge fallen. Joseph hatte sich kaum rechts und links umgesehen nach den Elb- und Moldauhügeln und nach der Saazer Ebene hinab, so blieb sein Blick wie versteinert an den schwarzblauen Bergwänden hängen, die im Nordwesten den Gesichtskreis schlossen. Und mit schmerzlicher Sehnsucht breitete er die Arme aus und rief:

»Dort – dort – dicht hinter jenem Berge weilt sie, und – nein – ich kann sie ewig nicht vergessen!«

Da stand nun der gute Heilkünstler mit der hartnäckigen Krankheit wieder auf dem alten Flecke. Obgleich der Rückfall ganz natürlich, so war Franz doch ganz verblüfft über den Zustand, worein er den Freund so plötzlich wieder verfallen sah. Endlich faßte er sich, ergriff ihn am Arme und sagte:

»Komm, Bruderherz! laß uns hinabsteigen!«

»Nimmer!« erwiederte Joseph, »ich will hier bleiben, hier oben, wo ich wenigstens den Berg sehe, an dessen Abhang ihre Wohnung liegt.«

»Das wirst Du nicht lange mehr können, die Sonne ist bereits hinab, und die Nacht wird Dir Alles, auch Deinen Berg verhüllen.«

»Mein Auge ist scharf, und die Sterne gehen auf, und ich will den Berg schon herausfinden sammt dem Stern, der über Fichtelsrode steht.«

»Du bist erschöpft, die Nacht wird kühl und feucht, komm, in Kostenblatt finden wir ein trefflich Nachtquartier.«

»Mich friert nicht, noch bedarf ich der Ruhe; ich bleibe hier. Geh' Du nur allein hinab.«

»Ich allein? ohne Dich? Das laß ich wohl bleiben. Wenn Du nicht anders willst, bleiben wir bis zum Sonnenaufgang und richten uns ein, so gut es geht.«

Und sie blieben mit einander auf dem Mileschauer die ganze Nacht. Welch' eine Nacht! Als die Sonne glühroth über dem Riesengebirge ausging, saß Franz auf dem Berge und weinte auf Josephs Haupt herab, der, von übermäßigen Schmerzen zu Boden gestreckt, in seinem Schooße lag. So fanden Badegäste aus Teplitz sie, die um diese frühe Stunde den herrlichen Berg zu besteigen pflegen. Mit ihrer Hülfe brachte Franz den nun auch am Körper Schwerkranken ins Dorf hinab, von da zu Wagen in seine Pfarre.


Zwei Tage nach diesem Vorfall ging durch beide Fichtelsrode, in Folge eines von Franz an Josephs Pfarrer gesandten Briefes, die traurige Kunde, der Pater Joseph sei an einem gastrischen Fieber erkrankt, daß seine baldige Auflösung so gut wie gewiß sei. Da zeigte es sich, wie geliebt der gute Pater fast von allen Menschen in beiden Städtchen war. Wie eine Familie, welcher der Vater im Sterben liegt, wehklagte Alt und Jung um ihn, und reichlich flossen die Thränen in allen Häusern. Auch im Hause des Schichtmeisters rötheten sich zwei Augen, die unvergleichlich schönen Augen Resi's, die nicht wußte, daß sie selbst die Ursache ihrer Thränen war. Und das gute Herz wollte sich aufmachen, den Kranken zu besuchen und ihn zu pflegen. Aber die Eltern ließen es nicht zu, weil es sich nach ihrer Meinung nicht schickte und den bösen Zungen der »Rathsleute« Stoff zu schlimmem Leumund geben würde. So mußte Resi auf Erfüllung einer schönen Liebesthat verzichten, doch hatte sie wenigstens den Trost, daß die arme Babi aus dem Orte, welche sich aus Dankbarkeit freiwillig dazu entschloß, durch ähnliche Rücksichten nicht verhindert ward, schon am nächsten Morgen ihrem dankbaren Herzen Genüge zu thun. Resi stattete die arme Frau mit Zehrgeld aus, empfahl ihr die treueste Sorgfalt und viele tausend Grüße an den guten Lehrer, dem sie so viel schuldete.

Während die gute Resi, während ganz Fichtelsrode in banger Besorgniß um den »todtkranken« Kaplan schwebte, war dieser indeß schon wieder auf dem besten Wege zu seiner Genesung. Die arme Babi, die zu seiner Pflege ins Bielathal eilte, fand ihn, Dank seiner unentweihten Jugend, schon wieder außer dem Bette, und sie konnte nach zwei Tagen die Nachricht mit heimnehmen, daß die Fichtelsroder ihren Kaplan spätestens in acht Tagen, als am Samstage vor dem sechsten Trinitatis-Sonntage, frisch und gesund in ihren Mauern würden einziehen sehen.

Frisch und gesund – so hatte er selbst gesagt, er hätte aber blos sagen sollen: resignirt, denn gesund, gesund an Leib und Seele war er nach Franzens Meinung durchaus nicht. Bekümmert weilte der Blick des treuen Freundes und Seelenarztes oft auf den blassen, melancholischen Zügen des Kaplans, eine Bekümmerniß, die um so schmerzlicher, je mehr er die Willenskraft bewundern mußte, womit der Genesende seine glühende Leidenschaft jetzt zu unterdrücken bemüht war. Der arme Entsagende! Vielleicht wäre ihm dieser Unterdrückungskampf nicht so schwer gefallen, hätte Babi ihm nicht die »vielen tausend Grüße« von ihr gebracht, und hätte sie ihm nicht gesagt, wie das gute Kind sich bald die Augen um ihn ausgeweint. War das nicht ein Beweis, daß sie ihn liebte? Nun kam die Erinnerung dazu an die tausend kleinen Züge herzlicher Zuneigung, die er seit Jahr und Tag von ihr empfangen hatte. O daß auch die Schmeichlerin Hoffnung noch kommen und ihm den Kampf gegen seine Leidenschaft unendlich erschweren mußte!


Und wie eitel war diese Hoffnung! Resi liebte – einen Andern, ohne daß es der Kaplan, ohne daß es sonst Jemand in ganz Fichtelsrode diesseits und jenseits der Grenze wußte, ausgenommen Rosalie Müller, die Tochter des Bürgermeisters in Sächsisch-Fichtelsrode, ihre vertraute Freundin. Und auch die hätte nicht um das Geheimniß gewußt, wäre nicht Resi's Geliebter ihr eigener Bruder, der Leipziger Baccalaureus der Medicin, Rudolf Müller, gewesen, zwischen welchem und Resi sie den postillon d'amour machte.

An dem Tage, an welchem Babi die Nachricht von dem Kaplan brachte, daß er den Sonntag vor dem sechsten Trinitatis zu seiner Gemeinde zurückkehren wollte, kam auch Rosalie mit hocherfreutem Gesicht zu ihrer Freundin Resi, und theilte ihr mit, der Doctor wäre nun fertig und den nächsten Freitag werde er bestimmt in Fichtelsrode eintreffen. Das war ja nun eine recht frühe, doppelt und dreifach schöne Adventszeit für die glückliche Resi, die in der ersten Freude über Rosaliens Botschaft beinahe zu ihrer Mutter hinausgeeilt wäre und derselben das zwei ganze Jahre lang bewahrte Geheimniß ihres Herzens verrathen hätte.

Die Böhmisch-Fichtelsroder entwickelten die ganze Woche über eine rührende Geschäftigkeit, um ihren Ankömmling so festlich als möglich zu empfangen. Da wurden Blumen stundenweit herbeigeholt, grünes Reisig aus dem Walde hereingeschleppt, Kränze und Guirlanden gewunden, Ehrenpforten gebaut, als sollte der heilige Vater in Fichtelsrode einziehen. Als man im vorigen Jahre den Bischof von Leitmeritz erwartete, wurden lange nicht so viel Empfangszurüstungen gemacht. Damals waren aber auch die Feierlichkeiten nur angeordnet, jetzt das Ergebniß freier Liebe.

Resi saß eben mit Rosalien mitten in einem chaotischen Blumenhaufen, und Beide wanden an einer großmächtigen Guirlande zum Empfang des Kaplans, als auf einmal schwere Tritte die Treppe heraufpolterten, nach zwei Augenblicken an die Thür geklopft und auf Resi's »Herein« dieselbe aufgerissen wurde. Wer beschreibt die Ueberraschung der Blumenwinderinnen! Es war doch erst Donnerstag, und gleichwohl war der Eintretende kein Anderer, als der Doctor Rudolf Müller, wie er jetzt hieß. Rosalie eilte dem geliebten Bruder mit einem Freudenschrei entgegen und schloß ihn in ihre Arme; Resi aber blieb in wunderholder Verwirrung mitten unter ihren Blumen stehen, selbst eine purpurn glühende Blume, schöner als alle Blumen der Schöpfung. Der arme, arme Kaplan! Nun kam er auch fast noch um seine schöne Blumen-Guirlande!

Denn denkt euch nur, wie Resi so dasteht und nicht weiß, was sie vor Freude und Verwirrung machen soll, reißt der neubackene Doctor sich von seiner Schwester los, fliegt auf Resi zu, schließt die liebliche Gestalt in seine Arme und drückt ihr einen langen, langen flammenden Kuß, den ersten, den Weihekuß der Liebe, auf die blumenknospengleichen Lippen. Rosalie, der lose Schalk, ergreift schnell das fertige Stück Guirlande und schlingt es um die selige Gruppe, als ob sie nicht mehr auseinander sollte. Da klappt die Klinke an der Alkoventhür, die Gruppe prallt erschrocken auseinander, und da liegt nun die schöne Guirlande in Stücken am Boden.

Was hatte nur aber das alte Möbel, die vorsündfluthliche Magd im Schichtmeisterschen Hause, gerade in diesem Augenblicke im Zimmer zu suchen? Nichts, als zu sehen, wer wohl der Besuch sei, der mit solchem Gepolter die Treppe heraufgesprungen war, daß der Boden gewackelt hatte. Als sie ihre Neugierde befriedigt, verschwand sie wieder, woher sie gekommen. Rosalie schickte ihr eine komische Geste nach und lachte, Resi aber war inzwischen an das Fenster getreten und – wahrhaftig! sie weinte.

»Um Gotteswillen! Resi, was weinen Sie denn?« fragte Rudolf bestürzt, »Sie sind mir doch nicht böse? Ich war freilich recht kühn und ungestüm, aber die Freude ...«

»Ich bin gar nicht böse,« fiel Resi ein, »aber die Trude kann es gesehen haben und der Mutter wiedersagen.«

»O, wenn es weiter nichts ist, das mag sie thun. Ich werde ihr gleich zuvorkommen und bei der Mutter um Ihre Hand werben.«

Resi erschrak über diese Worte, sie wußte nicht warum; fast krampfhaft umfaßte sie Rudolfs Rechte.

»Was ist Ihnen denn?« rief Rudolf aus. »Lieben Sie mich denn nicht mehr? Ist es nicht Ihr Wille, die Meinige zu werden?«

Statt aller Antwort sank Resi an seine Brust, und ihre Augen sagten ihm, wie sehr ihre innigsten Wünsche mit den seinigen übereinstimmten.

»Nun, wenn es Dein Wille ist,« sprach Rudolf überglücklich, »so laß uns nicht säumen, komm zur Mutter und laß uns um ihren Segen bitten.«

»Warum denn so eilig, Bruder Doctor?« fiel jetzt Rosalie ein. »Es kann doch nicht Alles mit Dampf gehen. Du bist ja hier noch gar nicht warm geworden, warte doch erst noch ein paar Tage.«

»Warten! warten! Ich weiß nicht, wie Du von Warten reden kannst, Schwester!«

»Resi's Mutter kennt Dich ja noch gar nicht ordentlich; Du mußt doch zeigen, was Du für ein Patron bist.«

»Ei was! langweilige Geschichten das! Philistersteige! Ich mag sie nicht; wer das Herz hat, um Resi zu freien, muß schon ein ganzer Kerl sein, und wen sie liebt ... nun den kann keine Mutter auf dem ganzen Erdenrund verwerfen. Nicht wahr, Resi, wir gehen heute noch zur Mutter?«

Resi wußte nicht, was sie sagen sollte, sie glühte vor Lust und zitterte doch auch vor unerklärlicher Furcht. Endlich bat sie um Aufschub des wichtigen Schrittes bis zum Sonntag. Darein mußte sich Rudolf schon fügen, und so blieb es bei dem Sonntag.


»Sage nicht, Du habest den Schmerz überwunden und Dein Herz sei geheilt. Wenn Du hinaufkommst und sie wieder siehst, so wird die Wunde wieder aufbrechen, die Du geschlossen wähnst. Ich kenne Dich und täusche mich nicht: Du wirst an dieser Leidenschaft zu Grunde gehen, wenn sie unbefriedigt bleibt.«

Joseph sah seinen Franz, der diese Worte am Vorabend vor seiner Abreise zu ihm sprach, mit einem großen flammenden Blicke an, der Franzens Meinung nur allzusehr zu bestätigen schien.

»Nur ein entscheidender Schritt kann dich retten,« fuhr Franz fort; »entweder ins Kloster zu gehen, oder – wenn das Mädchen Dich liebt, dich so liebt, wie Du sie – aus dem geistlichen Stande, aus der Kirche zu scheiden und mit ihr an einen Ort zu fliehen, wo ihr in Sicherheit Euer Glück in ewiger Vereinigung genießen könnt. Im letzteren Falle kannst Du auf die nöthigen Mittel von meiner Seite rechnen.«

Joseph erschrak über den kecken Gedanken des sanguinischen Franz und war keines Wortes darauf fähig.

»Du scheinst Dich vor dem letzten Gedanken zu entsetzen,« nahm Franz das Wort wieder. »Wie kommt das? Wir waren doch seit Langem darin mit einander einig, daß der Mensch größere und ältere Rechte habe, als der Priester, wie kannst Du also davor zurückbeben, diese älteren Rechte zur Geltung kommen zu lassen?«

»Still! still! laß mich allein!« rief Joseph plötzlich aufspringend und eilte hinaus, durch den Garten, unter die hohen Eichen, welche das Ufer der Biela beschatteten.

Nach einer Stunde kehrte er zurück und sprach gefaßt zu dem Freunde: »Du hast Recht, Bruder, eins von beiden muß geschehen: entweder ich muß sie fortan meiden, darf sie gar nicht wiedersehen, oder – ich muß das Aeußerste wagen.«


»Ich habe nichts dawider, mein Sohn; die Resi ist ein vortreffliches Mädchen und wird Dich gewiß glücklich machen;« – mit dieser Antwort beglückte Vater Müller seinen Rudolf auf dessen Eröffnung, daß er gesonnen sei, Schichtmeisters Resi von Böhmisch-Fichtelsrode als Schwiegertochter ins Haus zu führen. – »Ja,« fügte der gute Alte hinzu, »Jedermann muß sagen, die Resi ist ein liebes kreuzbraves Mädchen.«

»Wenn nur die Religion nicht –«

»Ei was! mit Deiner Religion!« fiel der Bürgermeister seiner Ehehälfte ins Wort. Nur bei unvernünftigen Leuten kann der Unterschied der Confession ein Hinderniß des herzlichen Einverständnisses und somit des häuslichen Glückes sein. Mein Sohn ist, Gott sei Dank, ein vernünftiger Mann und ein gelehrter Mann, dem kein Pfaff 'was weiß machen kann, und der Resi hat der brave Pater Joseph schon den Kopf zurecht gesetzt, daß sie nicht an hirnverrückenden Hokuspokus glaubt.«

»Aber ihre Eltern, die alten Schichtmeistersleut', sind doch gar zu bigottisch, die werden es nicht zugeben, daß ihre einzige Tochter einen Ketzer heirathen thut.«

Der Bürgermeister kratzte sich am Kopf und sagte: »Da sollte doch ein Millionen-Donnerwetter 'neinschlagen!«

»Nein, ich ertrüg' es nicht,« fiel die Ehehälfte ein, »ich ertrüg' es weiß Gott im Himmel! nicht, wenn mein Sohn von den böhmischen Leuten einen Korb kriegen thäte.«

»Einen Korb?« rief der Alte wüthend aus; »mein Junge da? mein doctor medicinae

»Nein! nimmermehr! einen Korb lass' ich meinen Sohn sich nicht holen,« intonirte die Mutter, indem sie dazu energisch auf den Tisch schlug, daß die Kaffeetassen (denn die ganze Verhandlung wurde, wie alle wichtigen Familien-Angelegenheiten im Gebirge, beim Kaffeetrinken abgemacht) auf dem Tische klirrten.

»Gott bewahre! das fehlte mir noch, daß sich der Junge einen Korb holte,« pflichtete der Vater bei und schlug seinerseits ebenfalls entrüstet mit der Faust auf den Tisch, daß die schöngeblumte meißner Porzellantasse neben ihm in die Höhe und hinab auf den Boden sprang, wo sie in unkittbare Trümmer zerborst.

Die Bürgermeisterin kreischte hell auf, der Bürgermeister erblaßte, Rudolf und Rosalie aber brachen in ein Lachduett aus, das zu dem vorhergegangenen Recitativ prachtvoll contrastirte. Das Duett klang zwar ein wenig nach Schadenfreude, hatte aber doch sein Gutes, denn es rettete den Vater vor der Bravour-Arie der Mutter ob der zertrümmerten Tasse, ein Gesangsstück, das gewiß der schroffe Gegensatz einer Gnaden-Arie geworden wäre, hätte es vor dem Lachduett der überaus geliebten Kinder zum Ausbruch kommen können.

Als Rudolf endlich seinem Zwergfell Genüge gethan, sprach er zu den Eltern, die zuletzt aus dem Lachduett ein Quartett gemacht hatten:

»Da habt Ihr Euch nun wieder einmal ereifert ohne Grund. Von einem Korb kann ja gar nicht die Rede sein. Resi liebt mich, sie läßt nicht von mir; was wollen da die Eltern machen? Laßt mich nur machen, ich will sie schon herumkriegen. Ich hab' schon ein Mittelchen in Händen: der Papa Schichtmeister leidet an einem alten Uebel, von dem ihn zeither kein Arzt hat befreien können. Ich werde ihn in die Kur nehmen, und verweigert er mir jetzt das Jawort, so soll er es nach vier Wochen gewiß nicht mehr thun. Verlaßt euch darauf!«

»Ja, ja! Verlassen wir uns auf den Rudolf, Alte!« sagte der Bürgermeister. Er wird seine Sache schon ausführen. Was wir für Schafsköpfe waren, uns umsonst, um nichts zu ereifern, daß die schöne Tasse da flöten gehen mußte! Brrr! komm, Alte, gieb mir einen Kuß! von der nächsten Messe bring ich Dir ein Paar weit schönere solche Dinger mit. – – Weißt Du aber 'was, mein Sohn,« fügte er zu Rudolf gewendet hinzu, »es könnte durchaus nichts schaden, wenn Du den Pater Joseph nach seiner Rückkehr zu Rathe zögest, oder ihn um seine Vermittelung bei den Schichtmeistersleuten angingest.«

»Ja, das ist ein wahres Glück,« fiel die Mutter bei, »daß der wieder kommt; der ist ohne Vorurtheil, der hat gewiß nichts dagegen, daß eine Katholische einen Lutherischen freien thut, und wird es auch mit dem Revers wegen der Kinder nicht so genau nehmen. Ja, Dolfchen, thu' das, wende Dich an den Pater Joseph, er wird Dir gewiß gern behülflich sein.«

»Wenn es nothwendig sein sollte, so werde ich seinen Rath und seine Mitwirkung nicht verschmähen, vor der Hand aber hoffe ich schon allein zum Ziele zu kommen.«

»Das walte Gott! und, Alter, daß Du mir zur Michaeli-Messe ein Paar schöne neue Tassen mitbringen thust, das will ich Dir gesagt haben!« – So schloß Frau Müller die wichtige Sitzung, denn im Hause hatte sie das Präsidium, insofern demselben das letzte Wort bei allen Sessionen zukommt.

Auf Freudenschwingen flog Rosalie jetzt über den Grenzbach hinüber nach dem Schichtmeisterschen Hause, der Freundin und Schwägerin in spe die Kunde zu bringen, daß sächsischerseits der Heirath kein Hinderniß im Wege stehe, und daß dieselbe in vier Wochen vor sich gehen könne, wenn böhmischerseits ebensowenig Anstand genommen würde.

Die gute Resi hatte aber verweinte Augen, als Rosalie bei ihr eintrat. Und warum? Die alte Trude hatte richtig gestern die Umarmung der Liebenden durch das Schlüsselloch der Alkoventhür belauert und der Schichtmeisterin die »schöne Bescheerung« brühheiß zugetragen. Da hatte es denn heute Seiten der Frau Mama eine strenge Strafpredigt gegeben, in welcher die Strafen des ewigen Gerichtes nicht die kleinste Rolle spielten, und worin der Passus, ein katholisches Christenkind weihe sich der Verdammniß, so es einen verdammten ... doch das Wort konnte Resi gar nicht aussprechen.

Es war auch nicht nöthig; Rosalie konnte sich schon denken, daß es der Ehrentitel Ketzer wäre, der nicht über Resi's Lippen wollte. »Die alte bigotte Hexe,« dachte Rosalie bei sich und fragte dann die tiefbetrübte Jugendgespielin, ob denn auch der Vater etwas um die Geschichte wisse.

Der aber wußte noch nichts, und – nun sei es schon gut) meinte Rosalie. Der Vater (der bei allem Poltern doch ein herzensguter Mann) habe doch das erste Wort zu sprechen, und den werde ihr Rudolf schon herumkriegen, indem er ihm seine Gicht kurire. Und das muntere Ding wußte der Betrübten so wacker Muth einzusprechen, daß bald alle Wolken aus dem lieblichen Gesicht schwanden, und dasselbe wie lauter Hoffnungsmorgenroth und Freudensonnenschein glänzte.


Vorerzähltes geschah am Freitag, und diesem folgte, wie seit undenklichen Zeiten, der Samstag. Aber noch nie war in Fichtelsrode einem Samstag mit solcher Sehnsucht entgegengesehen worden, wie jenem vor dem sechsten Sonntage post Trinitatis, wo der gute Pater Joseph als glücklich Genesener wieder einziehen sollte. Schon vom frühen Morgen ab war Leben auf den sonst so stillen Gassen. Um sechs Uhr fuhr die Rathskutsche mit dem Bürgermeister und den Rathsbeisitzern von Böhmisch-Fichtelsrode von der Wohnung des Bürgermeisters ab und dem Ersehnten entgegen, eine Begebenheit, die der Rathskanzellist, als Chronist von Fichtelsrode, in der Chronik vermerken mußte, denn eine außerordentliche Begebenheit war es, wenn die rothe Rathskutsche, und noch dazu bekränzt, in Bewegung gesetzt wurde, d. h. mit Pferden und aus dem Stadtweichbilde hinaus, denn sonst wurde sie alle Jahre einmal, nämlich zur Feuerspritzenprobe, von Menschenhänden aus der Remise herausgeschoben, um die Spritze, die dahinter stand, heraus- und wieder hineinschaffen zu können. Kein Wunder, daß bei dem wichtigen Ereigniß außer ermeldetem Chronisten auch ein großer Theil der Fichtelsroder Jugend als staunende Zuschauerschaft vor dem Bürgermeisterhause versammelt war, und es that dem Herzen des alten Bürgermeisters, dem die Stadt eigentlich die Anschaffung der rothen Rathskutsche verdankte, gewiß recht wohl, als ein paar bausbäckige Buben einen dicht am Kutschenschlage gaffend stehenden Sächsisch-Fichtelsroder Jungen mit den Worten auf die Seite schoben: »Weg da! das ist unsere Rathskutsch'; Ihr habt halt gar ka Rathskutsch'.«

Der Kirchenvorsteher und Roßkamm Nikel Strunz, welcher die Function eines Vorreiters bei der Einholung des Kaplans übernommen hatte, kam auf seinem Schimmel, den schon die Sonne von Austerlitz beschienen hatte, herangetrabt, und nun setzte sich die Kutsche in Bewegung. Um sieben Uhr tranken die Fichtelsroder Kaffee mit »Zöppel«, was sonst nur an Sonn- und Festtagen geschah) um Acht hatte der Nachtwächter ausgeschlafen und sagte das Gassenkehren an; um Neun wurden die weißen Kleider der Mädchen geplättet, welche dem Pater entgegengehen sollten; um Zehn setzten sich die Musikanten von beiden Fichtelsrode in Bewegung; um Elf wurden die Böller auf dem Vorberge, welcher die Stadt wie eine Citadelle beherrscht, aufgepflanzt; um Zwölf waren sämmtliche Ehrenpforten in der Pfarre, vor der Pfarre, auf dem Kirchhofe und am Eingange des Städtchens fertig; um Eins zeigten sich einzelne weißgekleidete Mädchen mit Kränzen aus der Gasse; um Zwei versammelten sich die Schulkinder, um Drei zog die Schule dem Ankömmling bis zum »Hirsch« entgegen. Um Vier war kein gesundes böhmisch-fichtelsroder Menschenkind mehr in seinen vier Pfählen und um Fünf war auch halb Sächsisch-Fichtelsrode wie ausgestorben. Um ein Viertel auf Sechs steckte der böhmisch-fichtelsroder Pfarrer sein schneeweißes Haupt zum Giebelfenster seines Hauses heraus, um halb Sechs waren die Musikanten, die im Hirsch-Wirthshause auf den Pater warteten, bereits betrunken, um Dreiviertel donnerten die Böller, und um Sechs fuhr die rothe Rathskutsche mit dem Gefeierten durch die grüne Ehrenpforte am Eingange des Städtchens.

So wenigstens lautet die Beschreibung der Feierlichkeit in der böhmisch-fichtelsroder Chronik.

Der Gefeierte, wie sah er so blaß aus! Und doch strahlte auf seinem Antlitz die reinste Freude, die je ein Mensch empfinden kann. Wie mußte er die guten Leute, die er von jeher geliebt, jetzt um so mehr lieben, da sie ihm eine Ehre erwiesen, wie sie kein Bischof größer beanspruchen konnte! Gewiß, er war recht gerührt von der Ehre, die man ihm anthat, denn er konnte sich der hellen Zähren nicht erwehren, von dem schmetternden Tusch an, womit ihn die Musikanten beim Hirsch begrüßten, bis zu dem tausendstimmigen Vivat, das ihn vor der Pfarre bewillkommte, und bis zu der Umarmung, womit ihn sogar sein Pfarrer empfing. Die Fichtelsroder von beiden Seiten hatten sich auf eine schöne und rührende Rede aus dem Munde des Vielgeliebten gespitzt; sie harrten aber bis um zehn Uhr vergebens auf sein Wiedererscheinen zu diesem Zwecke. Er konnte vor Bewegung nicht sprechen. »Nun, so müssen wir uns schon gedulden bis morgen,« sprachen die Getäuschten, und gingen, zur großen Genugthuung des den ganzen Tag in großer Uniform mit Pickelhaube und Pallasch auf den Beinen befindlichen Polizeidieners, ruhig und friedsam heim, wie es guten Bürgern, selbst nach den bitterst getäuschten Erwartungen, geziemt.

Die guten Fichtelsroder wurden durch die Sonntagspredigt reichlich entschädigt. Es ist mir nicht gelungen, in den Papieren des Kaplans das Concept derselben aufzufinden, auch war kein einziger Fichtelsroder, den ich befragte, im Stande, mir das Thema davon wiederzugeben, sonst würde ich meinen Lesern den Inhalt der Predigt kurz mittheilen. Darin stimmen alle Leute, die sie mit angehört (und das waren wenigstens fünf Sechstel aller erwachsenen Böhmisch- und Sächsisch-Fichtelsroder) überein, daß eine so schöne und rührende Predigt in beiden Fichtelsrode noch nicht gehört worden. »Es war Alles gerührt,« versicherte mir der Strunz-Nikel, »ich selbst hab' greinen müssen, wie 'ne alte Frau, und das will was heißen.« Und war der Schichtmeister mit seiner Frau auch in der Kirche, unter den Gerührten? – »Drin waren sie und geflennt haben sie auch, das weiß ich,« antwortete mir der Roßkamm.

Da fällt mir eine Stelle aus dem Tagebuche des Kaplans ein, die gerade hierher paßt, und die ich dem Leser nicht vorenthalten kann. Sie war am erwähnten sechsten Trinitatis-Sonntage geschrieben und lautet:

»Ich habe sie gesehen – o Gott! wie schön war sie! als sie die Augen, diese himmlisch schönen Augen zu mir aufschlug in kindlicher Andacht, da war es um den Frieden, den die Freude über so viel Liebe und Achtung in mir hervorgezaubert hatte, geschehen. Es war mir, als wiche der Boden der Kanzel unter meinen Füßen und sänke mit mir zu den Todten hinab, die in den Katakomben der Kirche schlafen. Es sind lauter Priester, die da unten liegen – hu! wie mich noch immer schaudert! Ich nahm alle meine Kraft zusammen, und durch ungeheure Anstrengung gelang es mir, mich aufrecht zu erhalten. Nun kam plötzlich ein ungeahnter Geist über mich, die Worte flossen wie ein Flammenstrom von meinen Lippen. Ich weiß ihren Inhalt nicht, aber sie müssen wohl gewaltig gewesen sein, denn ich sah auf einmal die ganze Versammlung in Thränen ausbrechen, und lautes Schluchzen mischte sich in meine Predigt. Es war kein Auge thränenleer, sie aber weinte am meisten. Da regte es sich in meiner Seele wie lauter Triumphgesang, und ich hätte jauchzen mögen über die Thränen, welche die lieblichen Augen trübten. So selbstsüchtig ist die Liebe ... Ich weiß nicht, wie lange ich gepredigt haben würde (denn der Strom der Begeisterung riß mich gewaltsam mit sich fort), hätte nicht der Pfarrer hinter dem Altare hervor mir zugewinkt, daß ich schließen solle.«

»Ich mußte die Kanzel verlassen und die theure Gestalt aus den Augen verlieren. Ich weiß nicht, wie ich über den Altarplatz hinweg in die Sacristei gekommen bin, so war ich von Sinnen. Und jetzt, wo ich mein volles Bewußtsein wieder habe, erkenne ich klar, daß ich ohne sie nicht leben kann, daß ich thun muß, was mein Franz mir rieth. Und ich will es, bei meiner Seele Seligkeit! ich will es, und tauschte ich eine Ewigkeit Verdammniß für jede Minute Entzücken ein, das mir in ihren Armen winkt! Es gilt, der Würfel ist gefallen.«

Am Nachmittag, in der Sonntagsschule, war der Pater Joseph so heiter, so seelenvergnügt, wie ihn die Schüler selbst in früherer Zeit nicht gesehen. Selbst den faulsten, lernunlustigsten Burschen gefiel es heute, denn der Kaplan kürzte durch muntern Scherz den dreistündigen Unterricht. Und Leute, die ihn später den Wiesenpfad längs dem Grenzbache lustwandeln sahen, wunderten sich ordentlich über sein lustiges Aussehen, insbesondere über das Lachen, womit er oft seine unvernehmlichen Selbstgespräche begleitete. Und der alten blinden Wirtes-Nanny unter der obern Mühle kam es ganz sonderbar vor, daß er ihr lustig eine Hand voll Kupfermünze mit den Worten in die Schürze warf: »Da, Nanny, das ist das Letzte, was Ihr von mir beschaut, ich brauche nun mein Geld selber.«

Während der Kaplan so unter kühnen Entwürfen und kecker Hoffnung das Thal entlang schritt, gab es im Schichtmeisterhause unten eine rund abgewiesene Bewerbung und Thränen der Verzweiflung. Trotz dem »Flennen« bei der Predigt des Kaplans waren die Herzen der Schichtmeistersleute doch nicht gerührt, im Gegentheil, sie wiesen sich härter als das Erz, das unter des Schichtmeisters Aufsicht aus dem Schacht der Bescheert-Glück-Fundgrube täglich heraufgefördert wurde. Was vermag aber auch der warme Frühlingsthau und Sonnenschein der Liebe über Gemüther, welche der (so lange er nicht in Scheiterhaufenflammen bläst) eiskalte Hauch des Fanatismus hat erstarren machen? Doctor Rudolf Müller, der schmucke einzige Sohn des reichen Kauf- und Handelsherrn wie auch Bürgermeisters in Sächsisch-Fichtelsrode, wurde von beiden Eltern Resi's mit seiner Bewerbung rund abgewiesen. Vergebens fiel ihnen Resi um den Hals, vergebens weinte und schluchzte sie, vergebens flehte der Doctor so brünstig, als er dieses Geschäft in seinem ganzen 25jährigen Leben nicht getrieben (denn zum Supplikanten war er weder geboren, noch erzogen worden); vergebens vermaß er sich hoch und theuer, dem Papa Schichtmeister den alten Gichtteufel radikal auszutreiben, vergebens klammerte sich Resi an den Geliebten, zum Zeichen, daß sie durchaus nicht von ihm lassen könne und wolle, vergebens schwor Rudolf, es geschähe ein Unglück, wenn er seine Resi nicht bekäme, vergebens – doch kurz: mit dem Jawort war und blieb es nichts, und weil Rudolf zuletzt ganz außer sich gerieth, alle Grenzen der Höflichkeit vergaß und Dies und Jenes von Dummheit, Aberglaube, religiösem Wahnsinn und dergleichen fallen ließ, wurde ihm sogar die Thür gewiesen und Resi bedeutet, sich ja nicht einmal auf dem Wege hinüber betreten zu lassen, noch selbst einen Besuch von ihrer Jugendfreundin, der »Kupplerin«, anzunehmen.

Rudolf rannte wie ein Wahnsinniger quer über die Pfarrwiese dem Grenzbache zu. Wäre dieser nicht gar so ein lumpigtes, seichtes Wasser gewesen, ich glaube, der arme Doctor hätte sich in der ersten Hitze der Verzweiflung ertränkt. Statt über den Steg und nach Hause zu gehen, machte Rudolf am Bache Linksum und rannte am Wasser aufwärts, immer, immer gerad' aus, bis er aus dem Weichbilde beider Städtchen hinaus war. Da, in dem kleinen, heimlich-dunkeln Fichtenhorst, machte er Halt, setzte sich auf einen Stein, und weinte wie ein geschlagenes Kind.

»Ei! Sie da, Herr Müller? Was fehlt Ihnen denn?«

Rudolf hatte in seinem Schmerze nicht gemerkt, daß sich ihm Jemand genähert und schon eine ganze Minute dicht neben ihm gestanden hatte. Bei obigen Worten fuhr er in die Höhe, und sah den Pater Joseph vor sich stehen.

Hätte ein Anderer als der Kaplan die Frage an Rudolf gerichtet, so würde dieser sich wahrscheinlich seiner Thränen geschämt und Niemand Rede gestanden, sondern sich dem Zudringlichen entzogen haben. Aber Rudolf achtete den »großen Menschen« in dem kleinen Kaplan, dem seine Thaten ein unabsprechbares Recht zu solcher Frage an jeden Menschen verliehen. Der Weinende trocknete seine Thränen, reichte dem Kaplan die Hand, zog ihn neben sich nieder und machte ihn zum Vertrauten seines Kummers.

»Aber ... mein Gott! was ist Ihnen denn, Herr Pater? Was stieren Sie mich so an?«

Der Kaplan packte den über die unerklärliche Veränderung in dem ganzen Aeußern desselben betroffenen Doctor krampfhaft an der Schulter und rief, ihn schüttelnd:

»Sie liebt Dich? Du lügst!«

»Ich lügen? – Herr – ich lügen? Das ist Beleidigung!«

Der Kaplan ließ die Hand von Rudolfs Schulter matt herabsinken und sprach mit weicher Stimme:

»Verzeihen Sie! – Ich wußte nicht – daß sie Sie – liebt.«

»Ja, sie liebt mich, wohl mir, daß ich das sagen kann! Sie liebt mich und wird mich ewig lieben.«

Noch einmal flammten hier des Kaplans dunkle Augen auf, aber mit Riesenkraft bemeisterte er den rasenden Sturm in seinem Innern und, das leichenblasse Haupt an die Fichte lehnend, die hinter dem Steine stand, sprach er zu Rudolf:

»Entschuldigen Sie, Herr Doctor! Ein Rückfall meiner Krankheit macht mich unfähig, den Antheil an Ihrer Angelegenheit zu nehmen, den Sie sonst von mir erwarten können.«

Nun glaubte Rudolf, die Reihe des Beistandleistens wäre an ihm. Besorgt fragte er den Kaplan, was ihm fehle, und wollte ihm nach dem Puls fühlen. Er ließ es aber nicht zu, und als Rudolf sich erbot, ihn nach Hause zu führen, lehnte er es mit Entschiedenheit ab. So mußte Rudolf allein mit seiner Qual den Heimweg antreten.

Hierein paßt, wie ich glaube, ein zweites Blatt aus dem Tagebuche des Kaplans, des Inhalts:

»Und wenn es wahr ist, wenn sie ihn wirklich liebt? O! so ist es auch noch nicht aus – ein Geliebter läßt sich verdrängen, zumal so eine erste Jugendbekanntschaft. – Wohlan! mein lieber Doctor, es gilt! kämpfen wir um den Preis; Du warst im Vortheil, ich werde es sein – Du mußt sie meiden, ich kann sie täglich ungehindert sehen und ihr Herz – umstricken? Welch ein häßliches Wort! – ich finde keinen besseren Ausdruck – es ist der Fluch meines Standes, daß so abscheulichen Namen führt, was sonst nur redliches Werben wäre. – Gut! ich will es umstricken, dieses arglose, jugendliche, unverdorbene Herz. Leute meines Standes, sagt man, haben von jeher etwas in dieser Kunst geleistet – ich werde kein Stümper sein. – Aber ist es auch recht? Ist es nicht schnöder Raub, auf den ich ausgehe? – Raub – was ist nicht Alles Raub auf dieser Welt, und geschieht doch, und wird gepriesen obendrein. – Ich will sie ihm entreißen – alle Kräfte meines Geistes, alle Vortheile meines Wesens will ich an diesen Raub setzen. – Aber er würde sie glücklich machen – kann ich das? Müßte ich sie nicht in ein Leben voll Gefahr und Sorge hineinreißen? – Wenn sie mich liebt, mehr liebt als jenen, wird sie mir willig folgen ans Ende der Welt, denn es wird keine Alltagsliebe sein, mit der sie mich liebt. Soll ich mich bedenken, sie vom Busen der Heimath zu reißen und über Länder und Meere mitzunehmen? Es ist das Recht der Liebe, jedes Opfer anzunehmen, was die Liebe frei gewährt! Und wenn sie mir folgt, muß sie mich über Alles lieben, und liebt sie mich so, mit heißer, unendlicher Liebe, so gehört sie eben mir, und ich habe sie Niemand geraubt.«

»Aber meine schöne Saat hier? Was soll aus dieser werden? Die ich so liebevoll gesäet, so sorgsam gepflegt, die Saat reiner Menschlichkeit, sie wird nun verwaist sein – und verderben. – Wie, Joseph – erst gestern erntetest Du einen so hohen, so beseligenden Lohn von Deiner wuchernden Liebespflanzung, und heute willst Du sie treulos verlassen? Willst Du Deine schöne, heilige Sendung aufgeben, wie eine schnöde Spielpartie? – Ein Miethling wird an Deiner Stelle Deine Heerde übernehmen, und der Hauch des Fanatismus wird alle Blumen der Liebe verdorren machen, die Du so mühevoll großgezogen.«

»Je mehr ein Mensch das Eine, das Allen noththut, erkannt hat, je reicher seine Gaben, um die Menschen zum Frieden und zur Liebe, also zur Seligkeit, zu leiten, ein desto größeres Recht hat Gott, hat die Menschheit an ihn. – Aber die Empfindung in meiner Brust hat auch ihr Recht, ein uralt heiliges Recht. Welches Recht soll dem andern zum Opfer fallen? – Wie? stehen beide Rechte einander so feindlich gegenüber, daß eines nothwendig das andere vernichtet? Können sie nicht friedlich neben einander bestehen? Können sie nicht? – Sie können wohl – sie können sich sogar gegenseitig unterstützen – nur bei mir nicht – nur bei mir – dem Priester – nicht.«

So weit ging die Stelle. Es war noch leerer Raum auf dem Blatte, was vermuthen läßt, daß der Schreiber plötzlich unterbrochen worden war. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß die Ankunft des hier folgenden Briefes von Franz die Ursache solcher Unterbrechung war. Franz schrieb:

» Mein Bruder!
Beeile Dich mit Deiner Angelegenheit! Dir droht eine Disciplinaruntersuchung. In diesem Augenblick ist dem Seligenstädter Vicar vielleicht die Instruction dazu ertheilt worden. Ein Wink, den ich direkt aus dem Ordinariat erhalte, flößt mir die ernsteste Besorgniß ein. Sei auf Deiner Hut! Ich fürchte, Du siehst die Freiheit nicht wieder, wenn Du einmal vor das geistliche Gericht kommst. Beifolgende Note macht Dir eine sofortige Flucht möglich, ein Sprung über die Grenze bringt Dich in Sicherheit. Aus Deiner ersten Zufluchtsstätte gieb Nachricht

Deinem Franz

Welche Wirkung diese Schreckensnachricht auf den Kaplan unmittelbar hervorgebracht, ist mir nicht bekannt. Die sichere und feste Haltung, welche der Rector Seidel einige Stunden nach der Ankunft des expressen Boten von Franz, an dem bei der Schule vorübergehenden, ihm freundlichen Gruß zunickenden Pater bemerkt haben will, läßt schließen, daß der Eindruck kein so furchtbarer gewesen sein könne, als ihn hervorzubringen der Brief wohl geeignet war. Doch erwägt man, daß energische Naturen, wie die Josephs ohne Zweifel war, in Situationen, worin derselbe sich eben befand, nicht leicht durch Etwas erschreckt werden mögen, was schnell zur Entscheidung hindrängt, so kann man annehmen, daß dieser Brief, statt ihn bestürzt zu machen, ihm eine willkommene Botschaft gewesen sei. Nun blieb ihm auf der einen Seite kein Ausweg übrig, also durfte, ja mußte er sich mit ungetheilter Energie auf die andere Seite hinwerfen. Und so sah ihn Resi stolz und groß in ihr Zimmer treten. Er kam ganz wie Einer, der sich eines kühnen Entschlusses und der vollsten Kraft dazu bewußt ist. Und daß er schön war, wußte er vielleicht so gut wie andere Leute.

Resi war blaß, verweint, zusammengeknickt. Aber sie lebte sichtbar auf, als der Pater zur Thür hereintrat. Warum sollte sie auch nicht? Er war ja immer ihr bester Freund gewesen, und von ihm allein war Hülfe zu hoffen. An ihn hatte sie schon gestern, schon heute den ganzen Tag gedacht, und sie hätte längst zu ihm ihre Zuflucht genommen, wäre ihr das Ausgehen nicht streng untersagt gewesen. Der Kaplan setzte sich an ihre Seite und vermied es, die ihm so herbe Veranlassung zu der schmerzlichen Stimmung zu berühren, in welcher sein Idol dasaß. Aber bevor er noch die Einleitung zu einem andern Gespräche gefunden, kam sie selbst mit der Erzählung des gestrigen Auftrittes, den er bereits aus dem Munde seines Nebenbuhlers wußte.

Daß die Erzählung häufig durch lange Wein- und Schluchzpausen unterbrochen war, brauche ich nicht erst zu sagen, und wie der Kaplan die Seelenfolter ertrug, die das Anhören derselben für ihn sein mußte, das weiß der Himmel. Resi, aus deren Munde ich diese und andere Scenen der vorliegenden Geschichte habe, war nicht in dem Zustande, ihren Beichtvater zu beobachten. Als sie nach beendigter Erzählung ihn angesehen, und die Frage, was nun zu thun? an ihn gerichtet, will sie durchaus keine Veränderung in seinem Gesicht wahrgenommen, ebensowenig aber eine Antwort auf diese Frage erhalten haben. Erst als sie seine Hand umklammert und ihn flehend um seinen Rath und seine Hülfe gebeten, sei er plötzlich wie aus einem Traum aufgefahren und habe sie gefragt:

»Meine liebe Resi, sagt Ihnen denn Ihr Herz nicht, was Sie thun sollen? Fordert Sie das nicht zum Widerstande auf?«

Als sie ihn hierauf etwas verdutzt angesehen und geantwortet: daran habe sie noch nicht gedacht, und den Eltern müsse man doch gehorsam sein; da wäre er in ein lautes Gelächter ausgebrochen, worauf die Mutter den Kopf zur Stubenthür hereingesteckt und zum Kaplan gesagt hätte:

»So recht, ehrwürdiger Herr, setzen Sie dem ungerathenen Ding den Kopf zurecht.«

Darauf habe der Pater der Mutter versichert, er werde Alles thun, was in seinen Kräften stehe, um die Seele seines Beichtkindes zu salviren, sie sollte ihn nur mit ihr allein lassen, worauf Mama wieder verschwunden wäre.

Nach diesem Intermezzo hat (um in directer Rede fortzufahren) der Kaplan Resi's kleine wunderniedliche Hand ergriffen, sich zu ihr geneigt, und zu ihr mit sanfter Stimme gesagt:

»Meine gute Resi, täuschen Sie sich auch nicht? Lieben Sie den Doctor wirklich?«

Da hat ihn das Mädchen mit ihren großen Augen ganz eigen angeblickt, ist purpurroth geworden und hat kein Wort gesagt. Darauf hat der Pater wieder begonnen:

»Mein theures Kind, wenn Sie den Doctor wirklich liebten, so würden Sie ...«

Da hat der Kaplan gestockt und erst nach einer langen Pause hat er weiter gesprochen:

»Sie würden nichts nach Vater und Mutter fragen.«

Da hat es Resi ganz sonderbar durchschauert, und nichts als ein halblauter Schrei ist ihren Lippen entfahren.

»Ja, Sie würden Vater und Mutter verlassen, liebten Sie den Doctor wahrhaft.«

Nun ist Resi ganz ängstlich zu Muthe geworden, und kaum hat sie können die Worte hervorbringen:

»Aber, Herr Pater, wenn sie mich nun verfluchen?«

Da schrie der Pater: »Was Vaterfluch! Was Mutterfluch! Kann solcher Fluch die Paradiese der Liebe zur Wüste machen? An der Liebe zerschellt seine Macht.«

»Und die Kirche?«

»Die Kirche? Zwei in Liebe vereinigte Herzen, mein Kind, bilden die göttlichste, die heiligste Kirchengemeinschaft! Fort mit dem Wahn! Fort mit dem Trug! Vater, Mutter, Bruder, Glauben, Kirche – ich sage Dir, Du liebst nicht mein Kind, wenn Du das nicht Alles der Liebe opfern kannst.«

Da hat Resi wie ein Espenlaub gebebt, und sie ist fast von Sinnen gekommen; aber der Kaplan hat immer fortgefahren:

»Nein, bei Gott! Du liebst nicht, wenn Du das nicht kannst. Sieh! meine theure, liebe Resi! Ich bin ein Priester, ich habe Gott geschworen, nie ein Weib zu lieben; doch ich werfe Alles mit Freuden hin, wie ein altes Kleid: Priesterthum, Kirche, Seligkeit, Vater und Mutter – Alles, Alles werfe ich hin und weihe Dir, Dir, Heißgeliebte mein ganzes Leben.«

Bei diesen Worten ist der Kaplan auf seine Kniee gesunken, und als die Schichtmeisterin, durch einen gellen Schrei herbeigelockt, ins Zimmer getreten, hat Resi ohnmächtig in des Priesters Armen gelegen.

»Ei, ehrwürdiger Herr! Sie haben dem Mädel die Hölle ein wenig zu heiß gemacht. Nun, es wird sich schon wieder geben, und vielleicht hat's geholfen.«

So hat die Alte gesagt, doch der Kaplan hat's nicht gehört, sondern sein ganzes Sinnen ist bei Resi gewesen, bis ihr die Mutter Todtenwecker, d. i. Salmiakgeist, vor den Mund gehalten, und sie die Augen wieder aufgeschlagen hat. Da hat sie die Mutter erst ganz stier angeblickt, dann den Kaplan, endlich hat sie sich aufgerichtet, ist in helle Thränen ausgebrochen und, die Hände erhebend, hat sie ausgerufen:

»Macht, was Ihr wollt mit mir; ich werde doch nur meinen Rudolf lieben, und ewig, ewig, niemals von ihm lassen. Verstoß mich, Mutter, sammt dem Vater, mir einerlei: ich bin Rudolfs Braut ... Ja, Herr Pater, ich liebe meinen Rudolf und habe Muth, um seinetwillen Vater und Mutter und Heimath und Kirche zu verlassen; so wahr ein Gott im Himmel lebt!«

Bei dieser gottlosen Rede ist der Schichtmeisterin grün, gelb und jämmerlich vor den Augen geworden und ihr's immer eiskalt den Rücken hinabgelaufen. Und der Kaplan? Ach! der hat dagestanden wie der ärmste Sünder, mit schlotternden Knieen und todtenbleichen Wangen.

»Aber ich will hinein, und Du, Alte, sollst es mir nicht wehren!« Diese mehr geschrieenen als gesprochenen Worte drangen plötzlich an die Ohren der Gruppe, und fast im nämlichen Moment riß Jemand die Stubenthür auf, und herein stürzte Rudolf in Resi's ausgebreitete Arme, die mit dem Ausrufe: »Mein Rudolf!« an seine Brust sank.

Da jagte die Schichtmeisterin wie besessen zur Thür hinaus, um stracks ihren Mann vom Rathskeller, wo er eben seine täglichen zehn Halben trank, herbeizuholen, daß er dem Skandal mit Anwendung des Hausrechtes ein Ende mache.

In den Armen lagen sich Beide,
Und weinten vor Schmerzen und Freude.

Still und regungslos, wie ein Bild von Stein, stand der Kaplan von fern, und man weiß nicht, ob er's gehört, wie die Liebenden einmal um das andere ausgerufen: »Meine Resi!« – »mein Rudolf!« – und dann abwechselnd sich gelobt: »ich bin Dein!« – »Dein auf ewig! – wir trennen uns nimmer!« – »kein Mensch soll uns scheiden!« – »kein Mensch, kein Gott, kein Pfaffe!« – »Du folgst mir!« – »bis an das Ende der Welt!« – Dabei umschlangen sie einander fester und fester, sie vergaßen sich, die Welt, sammt dem armen Kaplan, der nur sechs Schritte von ihnen entfernt stand. Daher wußte auch Niemand etwas zu erzählen, wie der Sturm der heftigsten Leidenschaft, das Toben der heißesten Seelenkämpfe sich in seinem Aeußern abgemalt und kundgegeben habe.

Desto vernehmlicher gab sich dem Pärchen auf einmal das Toben des Vaters kund, der laut schreiend mit seiner Ehehälfte zur Thür hereinstürzte und ohne Weiteres seine Tochter anpackte, um sie aus den Klauen des verdammten Ketzers zu reißen. Aber das war nicht so leicht, denn Resi klammerte sich fest an Rudolf, dessen stämmige Gestalt einem Paar solcher alten Schichtmeister trotzte, zumal jetzt, wo die Liebe seine Kräfte verzehnfachte. Der Schichtmeister zerrte und fluchte hier, die Schichtmeisterin zerrte und heulte da, umsonst, die beiden jungen Leute waren wie aneinander geschmiedet. Zuletzt kam gar noch die alte Trude herbeigelaufen und heulte und zerrte mit am Rockschoße des Doctors herum; aber auch diese Verstärkung fruchtete nichts, den Liebenden war zu Muthe, wie den drei Männern im feurigen Ofen, die da sangen und den Herrn lobten mitten aus der brennenden Lohe heraus. Endlich schleuderte Rudolf den Alten mit Riesengewalt wider die Wand, daß es krachte, da ließ auch die Schichtmeisterin einen Moment vom Zerren ab und wendete sich zu dem Kaplan mit der Aufforderung, doch nicht so müssig dazustehen, sondern ihnen zu helfen, es gälte ja dem Seelenheil seines Beichtkindes.

Da richtete sich der Kaplan auf einmal in seiner ganzen Gestalt hoch auf, schritt feierlich auf die Gruppe der Liebenden zu, und sich neben sie stellend, sprach er ernst, mit dem ergreifendsten Ton seiner herzüberwältigenden Stimme:

»Ich, der Diener des liebreichen Jesus, soll helfen, wo Haß und Wahn gegen die Liebe wüthen? Thörichtes, sündhaftes Verlangen! Und seine Hände über die Häupter des jungen Paares ausbreitend, sprach er mit hocherhabenem Ausdruck:

»Im Namen Gottes, im Namen der Kirche, im Namen der gebenedeiten Jungfrau segne ich den Bund dieser Zwei, und Fluch, dreifacher Fluch über die, welche in unheiliger Verblendung, in unchristlichem Wahn das Glück dieser reinen Herzen stören wollen! Amen!«

Ein großer Blick strahlte aus seinem Auge, und ehe der eine Theil der Anwesenden von seiner Ueberraschung, der andere von seiner Betäubung sich erholte, war der Pater verschwunden. Dafür war aber eine andere Person in die Stube getreten, stand dicht vor dem sich noch immer umschlungen haltenden Paare, und breitete seine Hände über es: Rudolfs Vater, der Bürgermeister von Sächsisch-Fichtelsrode.

Die Schichtmeisterin war auf die Kniee gesunken und betete am Rosenkranz und ihr Eheherr erholte sich von seinem unfreiwilligen Sturze. Als ihn der Bürgermeister so hinkend auftreten sah, glaubte dieser, der alte bekannte Gichtteufel wäre wieder einmal los, er tröstete den Alten mitleidig und rieth ihm, sich nur um Gottes willen seinem künftigen Eidam anzuvertrauen, der verstehe sein Fach, er habe ja die erste Censur im Staats-Examen erhalten, und werde den Teufel schon austreiben.

Der so Angeredete machte noch immer kein angenehmes Gesicht. Da faßte ihn der Bürgermeister treuherzig bei der Hand und sagte:

»So sei doch nicht so hart, wie Dein Erz, Schichtmeisterchen! Zeig' einmal einen Silberblick und mach' die beiden Kinder da glücklich! Millionenschockschwerenoth, ich weiß nicht, wie Du mir vorkommst! wir waren doch immer gute Freunde und Nachbarn, und haben in unserer Jugend manchen lustigen Streich mit einander ausgeführt, wobei wir keinen Pfaffen vorher gefragt haben. Komm, sei vernünftig, altes Haus! wir glauben ja All' an einen Gott. Sieh da, ein Zährlein auf der Wimper! Geschwind fallt ihm um den Hals, Kinder! Er ist schon gut, mein alter guter Schichtmeister-Papa.«

Und die Kinder fielen ihm beide um den Hals, da brach das letzte Stück Glaubens-Bleiglanz ab, und hell schimmerte das reine Silber der Liebe hervor. »Seid glücklich!« schluchzte der Schichtmeister; da brach auch bei der Schichtmeisterin die lichte Liebesflamme durch den Rauch der Bigotterie hindurch; sie sprang auf, umschlang die Gruppe, und – nun könnte der Vorhang fallen, wenn's eine Komödie wäre. Weil es aber blos eine simple Geschichte ist, kommt es nicht auf einen wirksamen, rührenden Schluß an. Und so will ich in aller Kürze noch erzählen, wie es mit dem guten Pater Joseph weiter ging.

Er war von Schichtmeisters stracks zu seinem Pfarrer gegangen und hatte den auf die beredteste und rührendste Art gebeten, mit seinem ganzen Ansehen dahin zu wirken, daß der Verheirathung des von ihm bereits eingesegneten Paares kein Hinderniß in den Weg gestellt würde, wobei er nicht unterließ, auf die Erkenntlichkeit des reichen Bürgermeisters anzuspielen. Und der Pfarrer, der dem in allen Stücken verträglichen und anspruchslosen Kaplan wohlwollte, hatte ihm die befriedigendsten Zusicherungen gegeben. Dann war der Edle auf sein Zimmer gegangen und hatte sich eingeschlossen.

Vergebens ließen ihn am folgenden Tage Schichtmeisters zum Kaffee einladen, umsonst beehrten ihn auch Bürgermeisters drüben mit einer dringend-freundlichen Einladung. Er ließ Beiden absagen. Erst nach einigen Tagen gelang es dem glücklichen Rudolf, Zutritt zu dem Gründer seines Glücks zu erhalten, und ihm in seinem und im Namen seiner Braut zu danken. Der junge Priester zog den Doctor neben sich auf die hölzerne Bank, welche die Stelle des Sopha's in seinem Stübchen vertrat, und beschwor ihn sanft und feierlich, so viel an ihm wäre, sich seiner Liebespflanzung in den Fichtelsroder Gemeinden anzunehmen, falls ihm selbst etwas Menschliches begegnen sollte. Insbesondere empfahl er die Armen- und Sonntagsschule nebst der Lesebibliothek, und vornehmlich die Nothleidenden seiner ernstesten Fürsorge. Vergebens forschte Rudolf nach dem Grunde dieser förmlichen Hausbestellung, doch gelobte er auch ohne ihn zu erfahren, alle Wünsche des Kaplans zu erfüllen, so weit es nur irgend in seinen Kräften stehe.

»Sie können viel wirken,« erwiederte der räthselhafte Testator, »Sie können Großes vollbringen für die Menschheit im Sinne der Freiheit und Liebe. Sie sind aufgeklärt, reich, voll Kraft und Jugendfeuer, dazu Arzt, und Ihnen zur Seite wird ein Engel stehen. Sie werden dieses Engels würdig sein, inwiefern Sie ihn, und gleich ihm die Menschheit lieben.«


Es waren kaum acht Tage nach dieser Unterredung, der keine zweite folgte, als der Kaplan abermals durch Expressen folgenden Brief bekam:

»Was hast Du gethan? Unbegreiflicher, großer und doch unglückseliger Mensch! Du hast Dein Beichtkind (Deine Geliebte) dem Protestanten (Deinem Nebenbuhler) verlobt. Die Kirchenbehörde weiß Alles, ein Spion muß Dich umlauern und alle Deine Schritte verrathen. Ich beschwöre Dich um des Himmels willen – flieh eiligst! sonst bist Du verloren!«

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Der Kaplan floh nicht.

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Am Samstage vor dem neunten Sonntage post Trinitatis, in der Dämmerstunde, kam eine große schwarze Kutsche vor die Böhmisch-Fichtelsroder Pfarre gefahren. Daraus sah der Rector von seiner Wohnung aus, die der Pfarre gegenüber auf der andern Seite des Kirchhofes lag, zwei schwarzgekleidete Männer steigen und in die Pfarre gehen. Nach einer Viertelstunde kamen sie mit dem Pater Joseph wieder heraus, stiegen mit demselben in den Wagen, und fort fuhr dieser.

Es hat den vielbeweinten Kaplan kein Mensch in Fichtelsrode wieder gesehen.

Die arme Babi und die alte blinde Wirtes-Nanny, denen er ein sorgsamer Bruder gewesen, sind vor Gram um ihn gestorben.

Lange hat Niemand gewußt, wohin er gekommen, obschon es die Meisten ahnten. Endlich, nachdem die Heirath zwischen Rudolf und Resi lange vollzogen gewesen, hat Ersterer sich einmal aufgemacht und ist ins Bielathal zu dem Pater Franz gereist. Als er den gefragt, wo der gute Pater Joseph sei, hat der treue Freund desselben mit nassen Augen gen Himmel gedeutet.

Also in den Himmel war er gegangen. Die alte Geschichte: es stehen Engel unter den Menschen auf, um ihnen das verscherzte Paradies der Liebe wieder einmal im hellsten Glanze zu zeigen, und wenn sie ihre Sendung mit einem heiligen Liebesopfer beschlossen, fliehen sie mit ihrer Liebe in den Himmel zurück, und da unten bleibt der alte Haß und die alte Zwietracht. Zwar, in Fichtelsrode waltet der Genius des Kaplans noch immer segensreich fort, und einst wird eine Zeit kommen, da wird der Himmel auf der Erde sein, und die Engel der Menschheit werden nicht mehr von der Erde und ihren lieben Menschen in ferne Höhen zu flüchten brauchen.


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