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Die Pilger

Wer ist eure Liebeherrin, die singend ihr
Vorübergeht?    Und singt ihr so traurig hier
    Um einst'ges, oder träumt ihr von künft'ger Zeit?
        Denn froh zugleich und traurig scheint ihr zu singen.
– Unsre Liebeherrin schauet ihr nicht.    Denn Hände,
Augen und Lippen hat sie nicht, noch Gebände
    Goldenen Haars, noch Antlitz und Leiblichkeit.
        Doch Liebe weiß sie schön über allen Dingen.

– Ist sie Fürstin mit großen Gaben zu vergeben?
– Ja so; daß, wer sie sah, nicht anders kann leben,
    Als daß er ihr dient in Kummer, mit seltsamer Qual,
        Mühsal, vergossnem Blut und bittreren Tränen.
Und heißt sie ihn sterben, stirbt er, und was da besteht
Unter dem Himmel, alles verläßt er und geht
    Nackt unter Regen hin und Sonnenstrahl
        Und müht sich all seine Jahre in Warten und Wähnen.

– Hat sie auf Erden keine Stätte, sagt?
– Jahrhundert ruft dem Jahrhundert, und Volk fragt
    Das Volk: Wo ist sie? Doch niemand allerwärts
        Weiß es. Denn hat sie der Menschen Geist nicht durchdrungen,
Und wohnt sie in der innern Seele nicht,
Ruft man umsonst sie und sucht ihr Angesicht,
    Preist sie umsonst der Mund; und bis das Herz
        Nicht wieder lebt, ruft man mit eiteln Zungen.

– O der ihr folgt, bereust du es nicht, denn wir sehn
Tödliche Schrift auf deiner Stirne stehn,
    Einen Leidhieroglyphen, ein feuriges
        Zeichen, daß du stets wandern und irren mußt,
Die süße, sichre Liebe der andern nie hast,
Noch Freunde, Muße, Freude und sanfte Rast.
    – Dies nicht, doch eins: des Glaubens göttliches
        Antlitz und helle Augen und fruchtbare Brust.

– Doch sterbt ihr, bevor ihr eure Throne gewonnen.
– Ja, und die neue Welt und die freien Sonnen
    Rollen und leuchten ohne uns, und wir
        Sind tot. Doch wissen wir sie auf Erden leben
Und die alte Welt, die ihr altes Band zerschlug,
Lachen und danken, wär' das uns nicht genug?
    Nein, nimmer sterben, leben werden wir hier,
        Wo das Leben so wenig und Tod zu gut, ihn zu geben.

– Und die vergessen euch. – Ja; doch wir sind dann
Ein Teil der Erde, des alten Meers fortan,
    Des mächt'gen Feuers, der Luft, der himmelhochhehren,
        Und alles Guten; und kein Herz dann schlägt,
Das etwas von unserm vergossnen Blut nicht durchquillt
Und erquickt, wie in uns das tote Blut erschwillt
    Der Erschlagnen und gleichen alten Lebens Begehren
        Unsern frischen Fuß auf ihre Feuerspur trägt.

– Doch die ihr in alles Schöne euch kleiden dürft,
Ihr wäret törig, wenn ihr es von euch würft,
    Damit der Zukunft kalte Luft euch umfließt,
        Wann Mutter und Vater und Bruder und Schwester mild
Und die alte lebend'ge Liebe in Staub versenkt
Wie ihr, keine Frucht das liebende Leben mehr schenkt.
         Sie bleibt, die mehr als alles, was ihr uns wiest,
        Als Schwester, Weib und Vater und Mutter uns gilt.

– Ist das wert des Lebens, wert, es als Sold zu erstreiten?
– Sieh, die toten Monde hehrer grauer Zeiten,
    Ehrwürd'ger, in der Vergangenheit Haft und Banden,
        Im Grab, das niemals birst, in der äußersten Nacht,
Lachen, gut wissend, wie viele wie ihr gesprochen,
Wie viele, die alle tot nun sind und zerbrochen:
    Wollt ihr vom Tod erstehn, wo die nicht erstanden?
        – Nicht wir, doch sie, die zu retten schnell ist und sacht.

– Seid ihr nicht matt und müde, wie ihr so geht,
Wie ihr Nacht auf Nacht von den Tagen verschlungen seht,
    Stunde auf Stunde verzehrt von schlaflosem Brand?
        Schlaflos: und ihr auch, wann wird euch Schlummer winken?
– Wir sind müde in Herzen und Haupt, in Händen und Füßen
Und das süßeste sicher ist Schlaf von allem Süßen,
    Bis auf die Sehnsucht, die den, der sie erkannt,
        Die zwingende, nicht mehr weinen läßt und sinken.

– Ist er so süß, daß man folgen möchte, und wohl
So gewiß, wo aller Menschen Hoffnungen hohl,
    Euer Traum, gebeugten Nacken Gradheit zu geben,
        Wunde Herzen zu heilen, in Mühe ruhelos.
– Unser Leben sei blind, unser Tod ohne Furcht, doch hält
Fest in den Wurzeln die hohe Hoffnung der Welt;
    Mensch kehrt zum Menschen, Volk zu Volk, das Leben,
        Das alte, lebt, und das alte Wort bleibt groß.

– Geht denn und geht uns vorbei und laßt uns sein.
Denn was soll nach dem Leben euch Licht verleihn?
    Und wißt ihr, ob die Welt dann besser wird stehen
        Und, siegt die Menschheit, noch einer euch nennen mag?
– Für eines Lebens Spanne ist dies gnug Licht:
Daß alle Menschen sterblich, die Menschheit nicht.
    Unser Leben so bringen dem Tod wir, zur Nacht es zu säen,
        Daß die Menschheit ernt' und esse und lebe am Tag.


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