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Messidor

Setzt ein die Sicheln und mäht,
    Denn der Morgen der Ernte ist rot,
        Und das Korn in den langen Reihn,
        Gelb wie der Morgenschein,
Steht dicht, so weit ihr nur späht,
    Für aller Hungernden Not.
Die ihr weinet, kommet und seht,
    Und die ihr rufet nach Brot,
Setzt ein die Sicheln und mäht!

Gelb wie der Morgenschein,
    Wird röter das Korn als Gold,
        Und da glänzt auch die Sonne hervor
        Aus dem weißen Dämmerungflor,
Und wie sich strahlenrein
    Unsers Glaubens Banner entrollt,
Fliehn die Schlangen der Nacht und vergeht
    Der Mond wie ein Spukkobold.
Setzt ein die Sicheln und mäht!

Aus dem weißen Dämmerungflor,
    Der den Morgenstern umwallt,
        Ist breit die Flamme entloht,
        Bis die Erntereihen goldrot
Voll sind von Licht wie ein Chor
    Von Starken, der weithin schallt:
Wer schläft, da der Tag ersteht,
    Wer noch gebietet ihm Halt?
Setzt ein die Sicheln und mäht!

Bis die Erntereihen goldrot,
    Die in Lichtschauern meilenweit reichen,
        Sonnengenährt, im Wind
        Tausend Speerspitzen sind,
Gesenkt, wie, bereit zum Tod,
    Doch nimmer zum Wanken und Weichen,
Heer wohl an Heer gerät;
    Und jede Hand auf ein Zeichen
Setzt ein die Sicheln und mäht.

Tausend Speerspitzen sind
    Wie ein wogendes Meer vor dir,
        Wenn die Hochflut zum höchsten schwillt,
        Da es Schlacht oder Ernte gilt,
Und wer verliert, wer gewinnt,
    Unter der Sonne Panier,
Verborgen beim Schicksal noch steht,
    Das die Lose rüttelt; doch ihr
Setzt ein die Sicheln und mäht!

Da es Schlacht oder Ernte gilt,
    Trägt die Stunde so rotes Kleid;
        Die an andern so schwer ihr tragt,
        Ist diese nicht unser, sagt,
Zur Ernte im reifen Gefild?
    Wage keiner sein Haupt, so weit
Der blinkende Sensenschnitt geht:
    Das Volk, wie tot lange Zeit,
Setzt ein die Sicheln und mäht.

Ist diese nicht unser, sagt,
    Nun wie Totengebein das Tote
        Zermorscht und niederbricht
        Vor der Könige bleichem Gesicht,
Die zum Schutz ihres Throns verzagt
    Scharen die Aufgebote
Wie Vieh, das zur Schlachtbank geht?
    Denn die Schlacht, die blinde, rote,
Setzt ein die Sicheln und mäht.

Vor der Könige bleichem Gesicht
    Ersteht das Volk, das mit Hohn
        Sie getreten einst und bespien;
        Das dumpfe Volk, das auf Knien
Vor ihnen lag, es zerbricht
    Mit Gott an der Hand den Fron,
Und die Throne werden verweht
    Und der starke, des Landes Sohn,
Setzt ein die Sicheln und mäht.

Das dumpfe Volk, das auf Knien
    Nachts lag ohne Schutz vor der Nacht
        Tags ohne Brot für den Tag,
        Seine Ernte ist sein und es mag
Einst essen, was ihm gediehn,
    Einst schauen, was es gedacht:
Und wie steil auch der Pfad, es geht
    Empor, wo das Licht ihm lacht.
Setzt ein die Sicheln und mäht!


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