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Da die Nacht dem Gipfel genaht,
      
     Wo die Hochflut der Zeit sich bricht
      
 Wo sich wendet der Stunden Pfad,
      
 Die Reiche der Erde da tat
      
     Und die Mächte mir kund ein Gesicht.
Mit lichtlosen Augen gewahrt'
      
     Ich der Erdenkinder Zug,
      
 Nationen und Rassen geschart,
      
 Deren jede nach ihrer Art
      
     An sich ihr Geburtzeichen trug.
Ihr Schritt war lautlos, kein Blut
      
     In den Angesichten zu schaun,
      
 In den Lippen nicht Hauch, noch Glut,
      
 Nur wie wildferner Quelle Geflut
      
     Ein leises, süßes Geraun.
Blaß wie von Jahren voll Sehnen,
      
     Voll niegestilltem Brand,
      
 Sangen sie mir ihr Wähnen,
      
 Gekrönt mit Juwelen von Tränen,
      
     Von Flammengürteln umspannt.
Ein Lied, gebrochen und bang,
      
     Wie von Toten und Totengebein,
      
 Wie dürstender Schatten Sang,
      
 Wie unsagbarer Worte Klang,
      
     Wie untragbarer Tränen Pein.
 Aus den fernen verschwimmenden Wellen
      
     Der Stimmen so vielerlei
      
 Hört' ich nur einen grellen
      
 Ton durch die Nacht her gellen:
      
     Des gequälten Weltherzens Schrei.
Wie das Meer in engender Kluft
      
     Kam seltsam und stöhnend der Schall,
      
 Wie das Krachen berstender Gruft,
      
 Wie Brandungbraus durch die Luft,
      
     Wie der Laut von Tod und Fall:
»Daß ein Wort von Gott, ein Wink
      
     Uns werde, harrten wir lange,
      
 Ein Abglanz vom Tag zu uns dring',
      
 Ein Hall vom Kampfe, ein Blink
      
     Von des Todes Sonnaufgange!
»Wir beteten nicht um die Macht,
      
     Unsrer Augen Wunsch zu erfüllen.
      
 Wie lang auch gewährt ihre Wacht,
      
 Wie schwer sie bedrückt die Nacht,
      
     Wird je sich der Tag enthüllen?
»Ob vor Alter furchtsam und blind,
      
     Nicht zweifeln am Tage sie doch;
      
 Ob getrübt sie von Tränen sind,
      
 Ob Fieber der Furcht sie durchrinnt,
      
     Ein wenig sehen sie noch.
»Wir flehn um die Palme nicht mehr,
      
     Um das Pfropfreis des Kampfes nicht,
      
 Das die Blüte des Friedens gewähr',
      
 Den Triumph des Rechtes, der
      
     Kronen und Waffen zerbricht.
 »Wir flehn nicht, das Auferstehn
      
     Das jüngste, hehre Neu-werden,
      
 Das Purpur- und Goldaufgehn
      
 Des jungen Tages zu sehn,
      
     Des Sonnengotts Freiheit auf Erden.
»Friede, Weltehre, Lob,
      
     Wir suchten keins; kein Leben,
      
 Das wie ein Brand sich erhob,
      
 Den Sturm eines Namens, darob
      
     Die Festen der Könige beben;
»Noch das Feuer- und Ätherlicht, wie's
      
     Je dessen Haupt verklärte,
      
 Der einst der größeste hieß,
      
 Dessen Atem Paläste leer blies,
      
 Dessen Blick Zwingtume verzehrte;
»All das, unsre Söhne, seht ihr
      
     In euerm Tag und erhaltet
      
 Es gewiß; doch im Zwielicht hier,
      
 Um eins nur dann flehen wir,
      
     Ist auch unser Gedächtnis erkaltet.
»Zu fühlen den Hauch, den empor
      
     Der Morgen euch sendet, ein Wehn
      
 Von den Quellen des Ostens, vom Tor,
      
 Draus Freiheit und Schicksal hervor,
      
     Leid, Sieg und Tod hervor gehn:
»Von Gefild, nicht berührt von der Zeit,
      
     Wo der Geist erlöst vom Robott
      
 Und die Welt von den Zügeln befreit
      
 Und gebetlos er Anbetung weiht
      
     Der Menschenseele, die Gott:
 »Denn Huld nimmt und gibt sie allein
      
     Aus sich und ihrer Gewalt,
      
 Und der Dinge Farbe und Sein
      
 Schwindet hin in dem weißen Schein,
      
     Der endlos den Raum durchwallt.
»Und der Menschheit Blüte bricht,
      
     Überlebend, hervor aus dem Grab,
      
 Und die Schatten all werden zu nicht
      
 In dem Kelch von lebendigem Licht,
      
     Das all unser Leben ihm gab.
»Jedes Leben ja ist ein Blatt
      
     In der Blüte, so vielfach von Art,
      
 Das geringste wie höchste; so hat
      
 Im rotreifen Bund seine Statt
      
     Jeder Halm, der zur Ernte gespart.
»O Menschengeist, hoch benedeit,
      
     Du Maß und Wurzel der Dinge,
      
 Unsrer Sommer- und Winterzeit
      
 Saat, draus in Herrlichkeit
      
     Deine Blüte und Frucht entspringe!
»In deinem heiligen Jahr
      
     Wird die Seele, die in Beschwerden
      
 Und Leben hier Teil von dir war,
      
 Lichtstrahl von deinem Klar,
      
     Quell deines Aufstiegs werden.
»Da ist Feuer das Mannesstreben,
      
     Liebe das Licht, das da loht,
      
 Die Hoffnung der Knechte ein Weben,
      
 Wind das vormalige Leben
      
     Und neue Geburt der Tod.
 »Da ist jeder, der Licht in sich trug
      
     Und der Menschheit Sache es weihte,
      
 Zu den Feinden der Nacht sich schlug
      
 Und zu fallen und retten genug
      
     Bereit sich erfand im Streite;
»Von unserer Stürme Wut,
      
     Unsern Lockungen frei; wer je
      
 Uns Verzückung erweckte und Glut:
      
 Brutus' Glanz, rot wie Blut,
      
     Christi Glanz, weiß wie Schnee.
»Keine Kette, die da nicht zerreißt;
      
     Tag ist wie Nacht da; nicht
      
 Zwiespältig sind Leib mehr und Geist,
      
 Wo nicht Sonne noch Stern ergleißt:
      
     Freiheit ist da das Licht;
»Sie, stärker, denn Kampf und Pein,
      
     Uns zur einzigen Mutter gegeben,
      
 Nicht tot, schlingt der Tod auch sie ein,
      
 Treu, mag man untreu ihr sein,
      
     Geist und Heiland und Leben.«