Jonathan Swift
Gullivers Reisen
Jonathan Swift

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Kapitel VI.

Mehrere Erfindungen des Verfassers, durch die er dem König und der Königin Vergnügen macht. Er zeigt seine Geschicklichkeit in der Musik. Der König erkundigt sich nach den Verhältnissen in Europa, über die der Verfasser ihm berichtet. Des Königs Anmerkungen dazu.

Ich pflegte ein oder zweimal die Woche zu des Königs Lever zu erscheinen, und oft hatte ich ihn unter der Hand des Barbiers gesehn, was zunächst ein geradezu furchtbarer Anblick war; denn das Rasiermesser war fast zweimal so lang wie eine gewöhnliche Sense. Seine Majestät liess sich nach der Sitte des Landes nur zweimal die Woche rasieren. Einmal überredete ich den Barbier, mir ein wenig von dem Schaum zu geben, aus dem ich vierzig oder fünfzig der stärksten Haarstümpfe heraussuchte. Dann nahm ich ein Stück feinen Holzes, schnitt es zurecht, wie den Rücken eines Kamms, und bohrte in gleichen Abständen mit der kleinsten Nadel, die Glumdalklitsch mir geben konnte, Löcher hinein. Dann befestigte ich die Haarstümpfe, die ich mit meinem Messer an den Enden zuspitzte und schärfte, so kunstvoll darin, dass ich einen recht brauchbaren Kamm daraus machte. Dieser Ersatz kam zur rechten Zeit, denn mein eigner war in den Zähnen so zerbrochen, dass er fast unbrauchbar geworden war; auch kannte ich keinen Handwerker im Lande, der sauber und genau genug gearbeitet hätte, um mir einen neuen machen zu können.

Und das erinnert mich an eine Unterhaltung, mit der ich viele meiner Mussestunden hinbrachte. Ich bat die Jungfer der Königin, mir das ausgekämmte Haar Ihrer Majestät aufzubewahren, von dem ich mit der Zeit eine beträchtliche Menge sammelte; dann zog ich meinen Freund, den Kunsttischler, zu Rate, der den allgemeinen Auftrag erhalten hatte, kleine Arbeiten für mich zu übernehmen, und wies ihn an, mir zwei Stuhlrahmen zu machen, doch nicht grösser als die in meiner Schachtel waren, und dann da, wo ich ihm die Stellen für Sitz und Rückenpolster bezeichnete, mit einem feinen Pfriembohrer kleine Löcher zu bohren; durch diese Löcher flocht ich genau nach Art der Rohrstühle in England die stärksten Haare, die ich finden konnte. Als sie fertig waren, machte ich sie Ihrer Majestät zum Geschenk, und sie bewahrte sie in ihrem Zimmer auf und zeigte sie hinfort als Kuriositäten, wie sie denn auch das Staunen jedes waren, der sie sah. Die Königin wollte, dass ich einen dieser Stühle zum Sitzen benutzte, aber ich weigerte mich hartnäckig, ihr zu gehorchen, indem ich beteuerte, ich würde lieber tausendfachen Todes sterben, als einen unrühmlichen Teil meines Körpers auf die kostbaren Haare setzen, die einst das Haupt Ihrer Majestät geziert hätten. Aus diesem Haar (denn ich war von jeher technisch begabt) machte ich ferner eine hübsche kleine Geldbörse von fünf Fuss Länge mit dem Namen Ihrer Majestät in goldnen Lettern; die schenkte ich mit Einwilligung der Königin Glumdalklitsch. Die Wahrheit zu sagen, so war sie mehr zum Ansehn als für den Gebrauch bestimmt, denn sie war nicht stark genug, um das Gewicht der grössern Münzen zu tragen; und deshalb bewahrte sie nichts darin auf, als ein paar Kleinigkeiten, wie Mädchen sie lieben.

Der König, der die Musik sehr liebte, gab häufig im Palast Konzerte, in die man auch mich bisweilen trug; man setzte mich dann in meiner Schachtel auf einen Tisch, damit ich zuhörte, aber der Lärm war so gross, dass ich die Melodie kaum unterscheiden konnte. Ich bin überzeugt, dass alle Trommeln und Trompeten einer königlichen Armee ihm nicht gleichkommen könnten, wenn man sie auch unmittelbar vor unsern Ohren schlüge und bliese. Es war mein Brauch, meine Schachtel so weit wie nur möglich von der Stelle entfernen zu lassen, an der die Musiker sassen, und dann die Türen und Fenster zu schliessen und die Gardinen herunterzulassen; so fand ich ihre Musik nicht unangenehm.

Ich hatte in meiner Jugend ein wenig Spinett spielen gelernt. Glumdalklitsch hatte eins in ihrem Zimmer, und zweimal die Woche kam ein Lehrer, um sie zu unterrichten: ich nenne es ein Spinett, weil es diesem Instrument nicht unähnlich war und ebenso gespielt wurde. Nun kam mir der Gedanke, den König und die Königin mit einer englischen Weise, gespielt auf diesem Instrument, zu unterhalten. Aber das schien äusserst schwierig zu sein; denn das Spinett war fast sechzig Fuss lang und jede Taste fast einen Fuss breit; selbst mit ausgestreckten Armen konnte ich nicht mehr als fünf Tasten überspannen, und um sie hinunterzudrücken, musste ich kräftig mit der Faust zuschlagen: das wäre eine zu schwere Arbeit gewesen und obendrein nutzlos. Ich ersann mir folgende Methode. Ich stellte mir zwei runde Schlägel von der Grösse gewöhnlicher Knittel her; sie waren an einem Ende dicker als am andern, und ich überzog die dickern Enden mit einem Stück Mausefell, damit ich durch die Schläge mit ihnen weder die Oberfläche der Tasten beschädigte noch den Klang unterbräche. Vor das Spinett wurde eine Bank gestellt, die etwa vier Fuss unter den Tasten blieb, und mich hob man auf diese Bank. Ich lief, so schnell ich konnte, seitlich darauf hin und her, indem ich mit meinen beiden Schlägeln auf die passenden Tasten schlug, und so gelang es mir, zur grossen Zufriedenheit Ihrer Majestäten, eine Gigue zu spielen: aber es war die gewaltsamste Leibesübung, die ich je durchgemacht hatte, und doch konnte ich nicht mehr als sechzehn Tasten beherrschen und also nie Bass und Diskant zugleich spielen, wie andre Künstler es tun, was mein Spiel sehr beeinträchtigte.

Der König, der, wie ich schon bemerkt habe, ein Fürst von ausgezeichnetem Verstande war, befahl oft, dass man mich in meiner Schachtel herbeiholte und in seinem Gemach auf den Tisch stellte. Dann liess er mich mit einem meiner Stühle aus der Schachtel hervorkommen und mich in einem Abstand von drei Ellen oben auf den Schrank setzen, so dass ich mit seinem Gesicht fast in gleicher Höhe war. Auf diese Weise hatte ich mehrere Unterhaltungen mit ihm. Eines Tags nahm ich mir die Freiheit, ihm zu sagen, dass die Verachtung, die er Europa und dem Rest der Welt gegenüber an den Tag legte, mit den trefflichen Geistesgaben, die er besitze, nicht zu vereinbaren sei. Die Vernunft wachse nicht mit dem Umfang des Leibes: wir könnten im Gegenteil in unserm Lande beobachten, dass die grössten Leute am wenigsten von ihr besässen. Unter andern Tieren hätten gerade Bienen und Ameisen den Ruf höhern Fleisses, höherer Kunstfertigkeit und tiefern Scharfsinns als viele der grössern Arten. Und wenn er mich auch für noch so unbedeutend hielte, so hoffte ich es doch noch zu erleben, dass ich Seiner Majestät irgend einen hervorragenden Dienst leisten könnte. Der König hörte mich aufmerksam an und begann eine weit bessere Meinung von mir zu fassen, als er je zuvor gehabt hatte. Er bat mich, ich möchte ihm einen so genauen Bericht über die Regierung von England geben, wie ich nur könnte: denn so sehr Fürsten gemeinhin auch ihre eignen Sitten liebten (er nahm das nach meinen frühern Reden von andern Monarchen an), so würde er sich doch freuen, von etwas zu hören, was nachgeahmt zu werden verdiente.

Stelle dir in deinem Geiste vor, höflicher Leser, wie oft ich mir in diesem Augenblick die Zunge des Demosthenes oder des Cicero wünschte, da sie mich hätte instand setzen können, mein eignes, teures Heimatland in einem Stil zu feiern, der seinen Verdiensten und seiner Glückseligkeit entsprochen hätte.

Ich begann meine Rede damit, dass ich Seiner Majestät mitteilte, unser Reich bestehe aus zwei Inseln, die, abgesehn von unsern Kolonien in Amerika, drei gewaltige Königreiche unter einem Herrscher bildeten. Ich verweilte lange auf der Fruchtbarkeit unsres Bodens und der Milde unsres Klimas. Dann sprach ich ausführlich über die Zusammensetzung eines englischen Parlaments. Es bestehe zum einen Teil aus einer erlauchten Körperschaft, die man das Haus der Pairs nenne; das seien Sprossen des edelsten Bluts und des ältesten und ausgedehntesten Besitzes. Ich schilderte ihm, welche Sorgfalt auf ihre Unterweisung in den Künsten und den Waffen verwendet wird, um sie instand zu setzen, dass sie die gebornen Ratgeber des Königs und des Reiches werden, dass sie an der Gesetzgebung mitwirken und Mitglieder des höchsten Gerichtshofes werden, gegen den es eine Berufung nicht gibt, und dass sie sich als Helden erweisen, stets bereit, durch ihre Tapferkeit, ihre Haltung und Treue ihren Fürsten und ihr Land zu verteidigen. Sie seien die Zierde und das Bollwerk des Königreichs und würdige Nachfolger ihrer höchst berühmten Vorfahren, deren Ehrung der Lohn ihrer Tugenden gewesen sei; und nie habe man erfahren, dass ihre Nachkommenschaft von ihnen abgewichen sei. Ihnen schlössen sich als ein Teil jener Versammlung mehrere heilige Männer an, die den Titel eines Bischofs führten; es sei ihre besondre Aufgabe, auf die Religion zu achten und auf jene, die unser Volk in ihr unterrichten. Sie suche und lese aus der ganzen Nation der Fürst mit seinen weisesten Ratgebern aus, und zwar unter all denen in der Geistlichkeit, die sich am verdienstvollsten auszeichneten durch die Heiligkeit ihres Lebens und die Tiefe ihrer Gelehrsamkeit; und sie seien in Wahrheit die geistlichen Väter der Geistlichkeit und des Volkes.

Der andre Teil des Parlaments aber bestehe aus einer Versammlung, die man das Unterhaus nenne; es setze sich zusammen aus den hervorragendsten Herrn, die das Volk selber wegen ihrer grossen Gaben und wegen der Liebe zu ihrem Lande unbehindert auswähle und aussuche, damit sie die Weisheit der ganzen Nation verträten. Und diese beiden Körperschaften stellten die erlauchteste Versammlung Europas dar, und ihr sei gemeinsam mit dem Fürsten die gesamte Gesetzgebung übertragen.

Dann ging ich über zu den Gerichtshöfen, denen die Richter, jene ehrwürdigen Weisen und Deuter des Gesetzes, vorsässen, um die strittigen Rechte und Besitzansprüche der Menschen entscheidend festzustellen, sowie auch um das Laster zu bestrafen und die Unschuld zu schützen. Ich erwähnte auch die kluge Verwaltung unsres Schatzes, und ferner die Tapferkeit und die Leistungen unsrer Streitkräfte zur See und zu Lande. Ich berechnete die Zahl unsrer Einwohner, indem ich aufzählte, wieviele Millionen jede religiöse Sekte oder jede politische Partei bei uns umfassen mochte. Ich vergass selbst unsern Sport und unsern Zeitverteib nicht, ja, keine kleinste Einzelheit, von der ich glaubte, sie könnte zur Ehre meines Landes ausschlagen. Und ich schloss all das ab mit einem kurzen, historischen Bericht über die englischen Verhältnisse und Ereignisse seit mehr als hundert Jahren.

Diese Unterhaltung nahm erst nach fünf Sitzungen, deren jede mehrere Stunden gedauert hatte, ihr Ende, und der König hörte das Ganze mit grosser Aufmerksamkeit an, indem er sich häufig über das, was ich sagte, Notizen machte, sowie auch Fragen aufschrieb, die er mir zu stellen gedachte.

Als ich diese langen Vorträge abgeschlossen hatte, trug Seine Majestät in einer sechsten Sitzung, während derer er seine Notizen zu Rate zog, zu jedem Punkt viele Zweifel, Fragen und Einwände vor. Er erkundigte sich, welche Methoden angewendet würden, um bei unserm jungen Adel Geist und Körper zu pflegen, und mit was für Beschäftigungen er in der Regel den ersten, gelehrigsten Teil seines Lebens verbrächte. Welchen Weg man wähle, um jene Versammlung zu ergänzen, wenn irgend eine vornehme Familie erlösche. Welche Voraussetzungen man von denen verlange, die man neu adelte: ob die Laune eines Fürsten, eine einer Hofdame oder einem Minister gezahlte Summe Geldes oder auch die Absicht, eine dem öffentlichen Interesse feindliche Partei zu kräftigen, je bei solchen Beförderungen eine Rolle spiele. Welche Kenntnisse diese grossen Herrn in den Gesetzen ihres Landes besässen, und wie sie sie erlangten, so dass sie sie instand setzten, in letzter Instanz über die Besitzansprüche ihrer Mituntertanen zu entscheiden. Ob sie stets von Habgier, Parteilichkeit und Mangel so frei seien, dass keine Bestechung, keine verwerfliche Absicht je unter ihnen Eingang fände. Ob jene heiligen Herrn, von denen ich gesprochen hätte, stets auf Grund ihres Wissens in religiösen Dingen und der Heiligkeit ihres Lebens zu jenem Range erhoben würden; ob sie niemals die Fahne nach dem Winde hingen, so lange sie noch gewöhnliche Priester seien oder sklavisch demütige Kaplane irgend eines Edelmanns spielten, dessen Ansichten sie noch knechtisch folgten, wenn sie schon in jene Versammlung aufgenommen worden seien.

Dann wünschte er zu wissen, welche Kunstgriffe bei der Wahl derer angewandt würden, die ich Mitglieder des Unterhauses nannte; ob nicht ein Fremder mit einem starken Geldbeutel die gemeinen Wähler so beeinflussen könnte, dass sie lieber ihn wählten statt ihren Gutsherrn oder den angesehensten Herrn der Gegend. Wie es käme, dass die Leute so heftig darauf erpicht seien, in diese Versammlung zu kommen, obwohl ich zugäbe, dass es mit viel Unruhe und Kosten verbunden sei, oft zum Verderben ihrer Familien, und ohne dass sie irgend ein Gehalt oder Jahrgeld bekämen. Das erschien Seiner Majestät als eine solche Höhe der Tugend und des Gemeinsinns, dass er zu glauben schien, es sei vielleicht nicht ganz aufrichtig: und er wünschte zu wissen, ob so eifrige Herrn nicht die Absicht haben könnten, sich für die Ausgaben und die gehabte Mühe schadlos zu halten, indem sie das öffentliche Wohl den Plänen eines schwachen und lasterhaften Fürsten in Verbindung mit einem verderbten Ministerium opferten. Er stellte immer mehr Fragen und forschte mich über jede Einzelheit dieses Punktes aufs genaueste aus, indem er zahllose Erkundigungen einzog und Einwände erhob, die zu wiederholen ich weder für geraten noch für geboten halte.

In bezug auf das, was ich über unsre Gerichte sagte, wünschte Seine Majestät in verschiednen Punkten Aufklärung: und die konnte ich ihm um so besser geben, als ich früher einmal durch einen langen Prozess am Kanzleigericht dessen Kosten mir auferlegt wurden, fast ruiniert worden war. Er fragte, wie lange es in der Regel daure, bis zwischen Recht und Unrecht entschieden sei, und wieviel es koste. Ob es Advokaten und Rednern freistehe, auch für Sachen einzutreten, die handgreiflich als unrecht, ärgerlich und tyrannisch bekannt seien. Ob man beobachten könne, dass die Partei in der Religion oder der Politik in der Wagschale der Gerechtigkeit irgendwie von Gewicht sei. Ob jene Redner, die eine Sache führten, in der allgemeinen Kenntnis der Gerechtigkeit unterrichtet würden oder nur in provinziellen, nationalen und sonstwie lokal begrenzten Bräuchen. Ob sie oder die Richter an der Abfassung der Gesetze teilhätten, die nach Belieben auszulegen oder zu glossieren sie sich herausnähmen. Ob sie je zu verschiedenen Zeiten einmal für und wider dieselbe Sache geredet und Präzedenzfälle angeführt hätten, um gegenteilige Ansichten zu erweisen. Ob sie eine reiche oder arme Körperschaft bildeten. Ob sie irgend einen pekuniären Lohn dafür erhielten, dass sie jemanden verträten oder ihre Meinung abgäben. Und vor allem, ob sie als Mitglieder in die untere Ratsversammlung aufgenommen würden.

Dann kam er auf die Verwaltung unsres Schatzes und sagte, ihm schiene, als habe mir mein Gedächtnis einen Streich gespielt; ich hätte unsre Steuern auf jährlich etwa fünf bis sechs Millionen berechnet, und als ich die Ausgaben erwähnte, hätte er entdeckt, dass sie sich bisweilen auf mehr als das Doppelte beliefen. Die Notizen, die er sich gemacht hatte, waren in diesem Punkt ganz besonders genau, weil er hoffte, wie er mir sagte, dass die Kenntnis, wie wir uns darin verhielten, ihm nützlich sein könnte; in seinen Berechnungen aber könne er sich nicht geirrt haben. Wenn aber, was ich ihm gesagt hätte, wahr sei, so wisse er immer noch nicht, wie ein Königreich über seine Verhältnisse leben könne, einem Privatmann gleich. Er fragte mich, wer unsre Gläubiger wären und wo wir das Geld fänden, sie zu bezahlen. Er wunderte sich, dass er mich von so verwerflichen und kostspieligen Kriegen reden hörte; wir müssten doch sicherlich ein zanksüchtiges Volk sein oder unter sehr schlimmen Nachbarn leben; und unsre Generale müssten reicher sein als unsre Könige. Er fragte, was wir ausserhalb unsrer eignen Inseln zu suchen hätten, es sei denn, dass es sich um unsern Handel oder um Verträge handelte oder um die Verteidigung unsrer Küsten durch unsre Flotte. Vor allem aber hörte er mich mit der grössten Verwunderung von einem stehenden Söldnerheer mitten im Frieden und unter einem freien Volke reden. Er sagte, wenn wir mit unsrer eignen Einwilligung, gegeben durch die Person unsrer Volksvertreter, regiert würden, so könne er nicht begreifen, vor wem wir uns fürchteten oder gegen wen wir kämpfen sollten; und er wollte meine Ansicht darüber hören, ob nicht das Haus eines Privatmanns besser von ihm selbst, seinen Kindern und seiner Familie zu verteidigen sei, als von einem Dutzend Halunken, die aufs geratewohl gegen kargen Lohn in den Strassen aufgelesen würden, während sie doch hundertmal mehr verdienen könnten, wenn sie ihm den Hals abschnitten.

Er lachte über meine wunderliche Arithmetik (so geruhte er es zu nennen), wenn ich die Zahl unsrer Einwohner ausrechnete nach den verschiedenen Sekten in der Religion und der Politik. Er sagte, er kenne keinen Grund, weshalb jene, die dem Gemeinwesen schädliche Anschauungen unterhielten, gezwungen werden sollten, sie zu ändern, oder nicht gezwungen werden, sie zu verbergen. Wie es Tyrannei sei, wenn irgend eine Regierung jenes verlange, so sei es Schwäche, das zweite nicht durchzusetzen; denn man könne einem Menschen wohl erlauben, in seiner Kammer Gifte zu bewahren, aber er dürfe sie nicht als Stärkungsmittel verkaufen.

Er bemerkte, dass ich unter den Unterhaltungen unsres hohen und niedern Adels auch das Spiel erwähnt hätte. Er wünschte zu wissen, mit welchem Alter diese Vergnügung in der Regel beginne und wann sie wieder aufhöre; welchen Bruchteil ihrer Zeit es in Anspruch nehme; ob je so hoch gespielt würde, dass es das Vermögen der Spieler beeinflusste; ob nicht gemeine, lasterhafte Personen durch ihre Gewandtheit in dieser Kunst zu grossem Reichtum gelangen und bisweilen selbst unsre Adligen in Abhängigkeit halten, sie an verworfne Gesellschaft gewöhnen, sie der Pflege ihres Geistes völlig entreissen und sie durch die Verluste, die sie erlitten, zwingen könnten, jene schmähliche Gewandtheit selbst zu erwerben und gegen andre zu kehren.

Im höchsten Grade erstaunt war er über den historischen Bericht, den ich ihm von unsern Verhältnissen während des letzten Jahrhunderts gab, indem ich versicherte, es sei nichts als ein Haufe von Verschwörungen, Rebellionen, Morden, Blutbädern, Revolutionen, Verbannungen, den schlimmsten Wirkungen, die Habgier, Parteigeist, Verräterei, Grausamkeit, Raserei, Wahnsinn, Hass, Neid, Wollust, Tücke oder Ehrgeiz nur haben könnten.

Seine Majestät machte sich in einer weitern Sitzung die Mühe, alles, was ich gesagt hatte, zusammenzufassen; er verglich die Fragen, die er gestellt, mit den Antworten, die ich gegeben hatte; dann nahm er mich in die Hände, streichelte mich sanft und äusserte sich in diesen Worten, die ich niemals vergessen werde, ebensowenig wie den Ton, in dem er sie aussprach: »Mein kleiner Freund Grildrig, du hast mir einen wundervollen Panegyrikus auf deine Heimat gehalten; du hast klärlich bewiesen, dass Unwissenheit, Faulheit und Laster die geeigneten Eigenschaften sind, um einen Gesetzgeber zu schaffen, und dass die Gesetze am besten erklärt, gedeutet und angewandt werden von denen, deren Interesse und deren Begabung darin besteht, sie zu verfälschen, zu verwirren und zu umgehn. Ich erkenne bei euch einige Spuren einer Einrichtung, die in ihren Anfängen erträglich gewesen sein mag, deren Spuren jedoch zur Hälfte getilgt sind; und der Rest ist völlig verwischt und verlöscht durch die Korruption. Es erhellt aus allem, was du gesagt hast, nicht, dass auch nur eine einzige Tugend erforderlich wäre, um sich unter euch auch nur eine einzige Stellung zu sichern; viel weniger aber noch, dass die Menschen wegen ihrer Tugend geadelt, die Priester wegen ihrer Frömmigkeit oder Gelehrsamkeit befördert, die Soldaten wegen ihrer Tapferkeit oder ihrer Taten, die Richter wegen ihrer Unbestechlichkeit, die Senatoren wegen ihrer Liebe zum Lande oder die Ratgeber wegen ihrer Weisheit erhöht würden. Was dich selbst angeht (so fuhr der König fort), der du den grössern Teil deines Lebens auf Reisen verbracht hast, so will ich gern glauben, dass du bisher vielen Lastern deines Landes entgangen bist. Aber aus dem, was ich deinem Bericht entnommen, und aus den Antworten, die ich dir mit vieler Mühe abgerungen und ausgepresst habe, kann ich nichts andres schliessen, als dass die grosse Masse eurer Eingebornen das verderblichste Geschlecht scheusslicher kleiner Würmer ist, dem die Natur jemals gestattete, auf der Oberfläche der Erde herumzukriechen.«


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