Jonathan Swift
Gullivers Reisen
Jonathan Swift

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Kapitel II.

Der Kaiser von Lilliput kommt, begleitet von mehreren Adligen, um den Verfasser in seiner Haft zu sehen. Schilderung der Erscheinung und Kleidung des Kaisers. Gelehrte werden beauftragt, den Verfasser ihre Sprache zu lehren. Er erwirkt sich durch seine milde Charakteranlage Beliebtheit. Man durchsucht seine Taschen und nimmt ihm sein Schwert und seine Pistolen.

Als ich auf meinen Füssen stand, sah ich mich um; und ich muss gestehn, dass ich nie ein unterhaltenderes Schauspiel gesehn habe. Das Land rings glich einem einzigen zusammenhängenden Garten, und die von ihnen umschlossenen Felder, die im allgemeinen vierzig Fuss im Geviert hatten, sahen aus wie Blumenbeete. Die Felder wechselten ab mit Wäldern von einer halben Stange im Geviert, und die höchsten Bäume waren, soweit ich es beurteilen konnte, sieben Fuss, hoch. Ich sah mir auch die Stadt zu meiner Linken an, und sie glich der gemalten Stadtszenerie in einem Theater.

Schon seit einigen Stunden hatten mich die Bedürfnisse der Natur schwer bedrängt, und das war auch kein Wunder, denn es war fast zwei Tage her, seit ich mich zum letztenmal entleert hatte. Ich schwankte in grosser Verlegenheit zwischen der Not und meiner Scham. Der beste Ausweg, der mir einfiel, war der, in mein Haus zu kriechen; ich tat es, schloss das Tor hinter mir und ging soweit hinein, wie die Kette es mir gestattete, um mich dort der unbehaglichen Last zu entledigen. Aber dies war das einzige Mal, dass ich mich einer so unsaubern Handlungsweise schuldig machte; ich hoffe hierin auch auf des freundlichen Lesers Nachsicht, wenn er sich meine Lage und die Not, in der ich mich befand, reiflich und unparteiisch überlegt. Hinfort machte ich es mir zur Regel, diese Geschäfte, sowie ich aufstand, in der freien Luft abzumachen und zwar von meinem Tor soweit entfernt, wie die Kette es zuliess; und jeden Morgen wurde, ehe Leute kamen, dafür gesorgt, dass die anstössigen Massen auf Schubkarren beseitigt wurden; denn es wurden eigens zu diesem Zweck zwei Diener angestellt. Ich hätte nicht solange auf einem Umstand verweilt, der auf den ersten Blick vielleicht nicht gar so wichtig zu sein scheint, wenn ich es nicht für nötig gehalten hätte, mich vor der Welt von dem Vorwurf der Unsauberkeit zu reinigen, denn ich habe gehört, dass einige meiner böswilligen Verleumder meine Sauberkeit bei dieser wie bei andern Gelegenheiten in Zweifel gezogen haben.

Als dieses Abenteuer bestanden war, kam ich wieder aus meinem Hause hervor, denn ich hatte das Bedürfnis nach frischer Luft. Der Kaiser war bereits von dem Turm herabgestiegen und ritt zu Pferde auf mich zu; das hätte ihn teuer zu stehn kommen können, denn obwohl das Tier sehr gut gezogen war, war es doch an einen solchen Anblick nicht gewöhnt, und da es aussah, als bewegte sich vor ihm ein Berg, so bäumte es sich auf den Hinterbeinen empor. Doch der Fürst, der ein vortrefflicher Reiter ist, hielt sich im Sattel, bis seine Begleiter herbeieilten und den Zügel ergriffen, worauf Seine Majestät Zeit hatte, abzusitzen. Als er auf dem Boden stand, sah er mich mit grosser Bewunderung von allen Seiten an, doch hielt er sich ausserhalb des Bereichs meiner Kette. Er befahl seinen Köchen und Kellermeistern, die schon bereit standen, mir Speise und Trank zu geben, und sie schoben mir beides in einer Art Räderwagen soweit heran, dass ich es fassen konnte. Ich ergriff die Wagen und leerte sie alle in Kürze; zwanzig Wagen waren mit Speisen gefüllt, und zehn mit Getränken; von jenen lieferte mir jeder zwei bis drei gute Bissen; und den Wein aus zehn Gefässen, es waren irdene Krüge, goss ich in einen Wagen, den ich auf einen Zug austrank; und ebenso machte ich es mit dem Rest. Die Kaiserin und die jungen kaiserlichen Prinzen und Prinzessinnen sassen, begleitet von vielen Damen, in einiger Entfernung in ihren Sänften; doch als der Unfall mit dem Pferd des Kaisers stattfand, stiegen sie aus und näherten sich ihm, dessen Erscheinung ich jetzt schildern will. Er ist um etwa die Breite meines Nagels grösser als irgend ein Mitglied seines Hofstaats; und das allein genügt, um den Zuschauern Ehrfurcht einzuflössen. Seine Züge sind kräftig und männlich; er hat eine österreichische Lippe und eine gebogene Nase; seine Haut ist olivfarben, seine Haltung aufrecht, sein Körper und seine Glieder zeigen gute Verhältnisse, all seine Bewegungen sind anmutig und sein Benehmen ist majestätisch. Er war damals über seine erste Blüte hinaus, denn er war achtundzwanzig und dreiviertel Jahre alt, von denen er sieben Jahre lang in grossem Glück und fast immer siegreich regiert hatte. Um ihn besser sehn zu können, legte ich mich auf die Seite, so dass mein Gesicht dem seinen parallel zu stehn kam, und er hielt sich in einer Entfernung von drei Ellen. Ich habe ihn jedoch seither viele Male in der Hand gehabt und kann mich also in der Schilderung nicht täuschen. Seine Kleidung war sehr schmucklos und einfach, ihr Stil stand zwischen dem asiatischen und dem europäischen: auf dem Kopf aber trug er einen leichten Helm aus juwelenbesetztem Golde mit einer Feder auf der Spitze. Er hielt sein Schwert gezogen in der Hand, um sich zu verteidigen, wenn ich mich etwa losreissen sollte; es war fast drei Zoll lang, und Heft und Scheide waren aus Gold und mit Diamanten verziert. Seine Stimme war schrill, aber sehr klar und deutlich, und ich konnte sie noch gut verstehn, wenn ich auch aufstand. Die Damen und Höflinge waren alle sehr prunkvoll gekleidet, so dass der Fleck, auf dem sie standen, aussah, als hätte man einen mit goldnen und silbernen Figuren bestickten Frauenrock auf den Boden gebreitet. Seine Kaiserliche Majestät sprach viel mit mir, und ich gab ihm Antwort, aber wir beide konnten keine Silbe verstehn. Es waren mehrere seiner Priester und Rechtsgelehrten anwesend (ich schloss aus ihrer Kleidung auf ihren Stand), die Befehl erhielten, mich anzureden, und ich sprach in allen Sprachen zu ihnen, von denen ich nur die geringste Ahnung hatte: es waren Hoch- und Niederdeutsch, Lateinisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und die Lingua Franca; aber alles war vergeblich. Nach etwa zwei Stunden zog sich der Hof zurück, und man liess mich mit einer starken Bedeckung allein, denn man wollte durch die Wachen die Unverschämtheit und vielleicht auch die Bosheit des Pöbels in Schranken halten, der sich in grosser Ungeduld herandrängte, so weit sie es nur wagten; einige waren auch schamlos genug, ihre Pfeile nach mir zu schiessen, als ich neben der Tür meines Hauses auf dem Boden sass, und einer dieser Pfeile wäre mir fast ins linke Auge gedrungen. Aber der Oberst befahl, sechs der Rädelsführer zu ergreifen, und er hielt keine Strafe für so angemessen wie die, sie in meine Hände zu liefern; das also taten seine Soldaten, indem sie sie mit den Schäften ihrer Piken vorwärtstrieben, bis ich sie fassen konnte. Ich nahm sie alle mit der rechten Hand auf, steckte fünf von ihnen in meine Rocktasche und tat, als wollte ich den sechsten lebendig verzehren. Der arme Kerl schrie fürchterlich, und der Oberst und seine Offiziere waren in grosser Besorgnis, zumal sie sahen, dass ich mein Taschenmesser zog: ich aber benahm ihnen ihre Angst gar bald; denn mit einem milden Blick zerschnitt ich die Stricke, mit denen er gebunden war, und setzte ihn vorsichtig auf den Boden, wo er davonlief. Den Rest nahm ich Mann für Mann aus der Tasche und behandelte sie ebenso; und ich konnte beobachten, dass sowohl die Soldaten wie auch das Volk über dieses Zeichen meiner Milde, das auch bei Hofe sehr zu meinem Vorteil dargestellt wurde, höchst erfreut waren.

Gegen Abend kroch ich nicht ohne Schwierigkeiten in mein Haus, wo ich mich auf dem Boden niederlegte. So lebte ich nun etwa vierzehn Tage lang, während welcher Zeit der Kaiser Befehl gab, mir ein Bett zu machen. Sechshundert Betten der gewöhnlichen Grösse wurden auf Wagen herbeigefahren und in meinem Hause zusammengesetzt. Einhundertundfünfzig ihrer Betten ergaben zusammengenäht die Länge und Breite, und sie legten vier übereinander; trotzdem aber schützten sie mich nur wenig vor der Härte des Bodens, der aus glattem Stein bestand. Nach der gleichen Berechnung versahen sie mich mit Laken, Decken und Tüchern; und das ganze war recht erträglich für einen Menschen, der solange an Mühsal und Beschwerden gewöhnt war wie ich.

Da sich die Nachricht von meiner Landung durch das ganze Königreich verbreitete, lockte sie fabelhafte Mengen reicher, müssiger und neugieriger Leute herbei, die mich sehn wollten; die Dörfer entvölkerten sich fast, und es hätte eine grosse Vernachlässigung der Feld- und Ackerwirtschaft eintreten müssen, wenn nicht Seine Kaiserliche Majestät durch mehrere Erlasse und Staatsbefehle Vorkehrungen gegen diesen Missstand getroffen hätte. Er gab Anweisung, dass alle, die mich schon gesehn hätten, nach Hause zurückkehren und sich nicht vermessen sollten, noch einmal ohne ausdrückliche Erlaubnis des Hofes meinem Hause auf fünfzig Ellen zu nahen. Das trug den Staatssekretären beträchtliche Bestechungen ein.

Mittlerweile hielt der Kaiser oft einen Kronrat ab, um zu überlegen, was mit mir geschehn sollte; und mir versicherte später ein vertrauter Freund, ein Mann von sehr hohem Stande, der für so gut unterrichtet galt wie nur irgend einer, dass ich dem Hof beträchtliche Schwierigkeiten bereitete. Man befürchtete, ich würde mich losreissen oder meine Ernährung würde sehr kostspielig werden und eine Hungersnot zur Folge haben. Einigemale beschlossen sie, mich verhungern zu lassen oder mir wenigstens vergiftete Pfeile ins Gesicht und auf die Hände zu schiessen, denn das würde mich gar bald hinüberbefördern. Anderseits aber erwogen sie, dass der Gestank eines solchen Leichnams in der Hauptstadt eine Pest hervorrufen könnte, die sich wahrscheinlich über das ganze Königreich ausbreiten würde. Man stand gerade mitten in diesen Beratungen, als mehrere Heeresoffiziere an der Tür des grossen Ratszimmers erschienen; zwei von ihnen wurden vorgelassen und erstatteten Bericht über mein Verhalten den sechs Verbrechern gegenüber; und das rief in der Brust Seiner Majestät und aller seiner Ratgeber einen so günstigen Eindruck hervor, dass eine Kaiserliche Kommission entsandt wurde, die alle Dörfer im Umkreise von neunhundert Ellen rings um die Stadt anweisen sollte, jeden Morgen sechs Rinder, vierzig Schafe und andre Lebensmittel für meinen Unterhalt zu liefern; ferner eine entsprechende Menge von Brot und Wein und andern Getränken, für deren Bezahlung Seine Majestät Anweisungen auf seinen Schatz ausgab. Denn dieser Fürst lebt hauptsächlich von den Einkünften seiner eignen Domänen, und selten erhebt er, es sei denn aus ganz besonderem Anlass, Steuern von seinen Untertanen, die verpflichtet sind, ihm in seinen Kriegen auf ihre eignen Kosten Heeresfolge zu leisten. Auch wurden sechshundert Leute zu meiner Bedienung ernannt, denen man für ihren Unterhalt grosse Tagegelder auswarf und als Wohnung in bequemer Lage neben der Tür meines Hauses zu beiden Seiten Zelte errichtete. Es wurde ferner Befehl erteilt, dass mir dreihundert Schneider ein Gewand nach der Mode des Landes anfertigen sollten; und sechs der grössten Gelehrten Seiner Majestät sollten mich in ihrer Sprache unterrichten; schliesslich aber sollten des Kaisers Pferde und die der hohen Adligen oft in meiner Nähe geritten werden, damit sie sich an meinen Anblick gewöhnten. All diese Befehle wurden gebührend ausgeführt, und in etwa drei Wochen machte ich grosse Fortschritte in ihrer Sprache. Während dieser Zeit beehrte mich der Kaiser oft mit seinen Besuchen, und es machte ihm Vergnügen, meinen Lehrern beim Unterricht zu helfen. Wir begannen bereits, uns ein wenig zu unterhalten; und die ersten Worte, die ich lernte, gaben meinem Wunsch Ausdruck, dass es ihm belieben möge, mir meine Freiheit zurückzugeben; diesen Wunsch wiederholte ich jeden Tag auf meinen Knien. Seine Antwort lautete, soweit ich sie verstehn konnte, das müsse ein Werk der Zeit sein, und ohne Zustimmung seines Rats könne er nicht daran denken; vor allem aber müsse ich zuvor »Lumos kelmin pesso desmar lon Emposo«, das heisst: einen Frieden mit ihm und seinem Königreich beschwören. Ich sollte jedoch mit aller Güte behandelt werden; und er riet mir, mir durch Geduld und kluges Verhalten seine und seiner Untertanen gute Meinung zu erwerben. Er wünschte, ich möge es nicht übelnehmen, wenn er mich durch gewisse dafür geeignete Beamte durchsuchen liesse; denn wahrscheinlich hätte ich doch mehrere Waffen bei mir, die gefährlich sein müssten, wenn sie der Grösse eines so fabelhaften Wesens entsprächen. Ich sagte, Seine Majestät solle zufriedengestellt werden, denn ich sei bereit, mich in seiner Gegenwart auszuziehn und meine Taschen umzuwenden. Ich sagte das zum Teil in Worten, zum Teil durch Zeichen. Er erwiderte, dass ich mich nach den Gesetzen des Königreichs von zweien seiner Beamten müsste durchsuchen lassen; er wisse wohl, dass das ohne meine Einwilligung und Hilfe unmöglich sei, aber er habe von meiner Grossmut und Gerechtigkeit eine so gute Meinung, dass er die beiden Beamten meinen Händen anvertraue; was sie mir abnähmen, solle mir beim Verlassen des Landes zurückerstattet oder zu dem Preise, den ich ihnen abverlangen würde, bezahlt werden. Ich nahm die beiden Beamten mit den Händen auf, steckte sie zunächst in meine Rocktaschen und dann in alle andern Taschen, die ich hatte, ausgenommen nur meine beiden Uhrtaschen und eine dritte geheime Tasche, die ich nicht mochte durchsuchen lassen, da sie nichts enthielten als ein paar Bedarfsgegenstände, die für niemanden als für mich von irgendwelcher Bedeutung waren. In der einen Uhrtasche hatte ich eine silberne Taschenuhr, und in der andern eine Geldbörse mit ein wenig Gold. Da diese Herrn Feder, Tinte und Papier bei sich hatten, setzten sie ein genaues Inventar von allem auf, was sie sahen; und als sie fertig waren, begehrten sie niedergesetzt zu werden, damit sie es dem Kaiser überreichen könnten. Dieses Inventar habe ich später ins Englische übersetzt, und es lautete Wort für Wort wie folgt:

Imprimis: In der rechten Rocktasche des grossen Menschberges (denn so lege ich die Worte »Quinbus Flestrin« aus) fanden wir trotz genauester Suche nur ein grosses Stück groben Tuchs, gross genug, um für Euer Majestät erstes Prunkgemach als Teppich zu dienen. In der linken Tasche sahen wir eine grosse Silbertruhe mit einem Deckel aus gleichem Metall, den wir, die Sucher, zu heben nicht imstande waren. Wir verlangten, dass sie uns geöffnet werde, und als einer von uns hineinstieg, stand er bis zur Mitte des Beins herauf in einer Art Staub, von dem uns ein Teil ins Gesicht emporwirbelte, worauf wir mehrmals hintereinander niesen mussten. In seiner rechten Westentasche fanden wir ein ungeheures Bündel von dünnen, weissen Stoffen, die ineinander gefaltet sind; sie sind so gross wie etwa drei Menschen mit einem starken Tau verschnürt und mit schwarzen Figuren bedeckt. Wir halten dies in aller Demut für Schriftzeichen, und jeder Buchstabe ist etwa halb so gross wie unsre Handfläche. In der linken befand sich eine Art Maschine, von deren Rücken zwanzig lange Pfähle aufsteigen, ähnlich den Pallisaden vor dem Hof Eurer Majestät; damit, so vermuten wir, kämmt der Menschberg sich das Haar, denn wir mochten ihn nicht immer mit Fragen belästigen, da es sich als sehr schwierig herausstellte, uns ihm verständlich zu machen. In der grossen Tasche auf der rechten Seite seines mittleren Überzugs (so übersetze ich das Wort »ranfu-lo«, womit sie meine Hose meinten) sahen wir einen hohlen Eisenpfeiler von etwa Manneshöhe, der an einem starken Stück Holz befestigt ist; dieses Holz ist dicker als der Pfeiler; und aus der einen Seite des Rohrs ragen riesige Eisenstücke hervor, die in wunderliche Figuren gebracht sind; was wir davon halten sollen, wissen wir nicht. In der linken Tasche steckte eine zweite Maschine derselben Art. In der kleineren Tasche auf der rechten Seite lagen mehrere runde, flache Stücke weissen und roten Metalls von verschiedener Grösse; einige der weissen Stücke, die aus Silber zu sein schienen, waren so gross und schwer, dass mein Gefährte und ich sie kaum heben konnten. In der linken Tasche staken zwei schwarze, unregelmässig geformte Pfeiler: wir konnten, als wir auf dem Boden seiner Tasche standen, ihre Spitze nur mit Mühe erreichen. Einer von ihnen stak in einer Hülle und schien aus einem Stück zu sein; doch am obern Ende des andern zeigte sich eine weisse, runde Substanz von etwa dem doppelten Umfang unsrer Köpfe. In beiden befand sich je eine ungeheure Stahlplatte. Wir veranlassten ihn nach unserm Befehl, sie uns zu zeigen, weil wir befürchteten, es möchten gefährliche Maschinen sein. Er nahm sie aus ihren Hüllen und sagte uns, es sei in seiner Heimat Brauch, sich mit dem einen den Bart zu rasieren und mit dem andern das Fleisch zu schneiden. Zwei Taschen waren vorhanden, in die wir nicht eindringen konnten; er nannte sie seine Uhrtaschen; es sind zwei breite Schlitze, die in den obern Rand seines mittlern Überzugs geschnitten sind und die der Druck seines Bauchs fest schliesst. Aus der rechten Uhrtasche hing eine grosse silberne Kette herab, an deren unterm Ende sich eine wunderbare Maschine befindet. Wir wiesen ihn an, herauszuziehn, was an der Kette befestigt wäre; und es stellte sich heraus, dass es ein runder Gegenstand war, der halb aus Silber bestand und halb aus einem durchsichtigen Metall; denn auf der durchsichtigen Seite sahen wir in kreisförmiger Anordnung wunderliche Figuren, die wir berühren zu können vermeinten, bis unsern Fingern jene durchsichtige Masse halt gebot. Er hielt uns diese Maschine an die Ohren, und sie machte ein unaufhörliches Geräusch, ähnlich dem einer Wassermühle. Wir vermuteten darin entweder ein unbekanntes Tier oder den Gott, den er anbetet; wir neigen freilich mehr zu der letztern Ansicht, denn er versicherte uns (wenn wir ihn recht verstanden er drückte sich sehr unvollkommen aus), dass er selten etwas täte, ohne diese Maschine zu Rate zu ziehn. Er nannte sie sein Orakel und sagte, sie gäbe ihm für jede Handlung seines Lebens die Zeit an. Aus der linken Uhrtasche zog er ein Netz, das fast für einen Fischer gross genug ist, aber eingerichtet, um es wie eine Börse zu öffnen und zu schliessen; und als solche dient es ihm auch: wir fanden mehrere massive Stücke gelben Metalls darin und wenn sie aus echtem Golde bestehn, müssen sie von ungeheurem Wert sein.

Als wir so, den Befehlen Eurer Majestät gemäss, all seine Taschen durchsucht hatten, bemerkten wir über seinen Hüften einen Gürtel, der aus dem Fell irgendeines fabelhaften Tiers gemacht ist; darin hing auf der linken Seite ein Schwert von der Länge von fünf Menschen und rechts ein Beutel oder eine Tasche, die in zwei Kammern geteilt ist, deren jede drei der Untertanen Eurer Majestät fasst. In einer dieser Kammern lagen viele Bälle oder Kugeln aus einem sehr schweren Metall; sie sind etwa so gross wie unsre Köpfe und verlangen eine starke Hand, um sie zu heben; die andre Kammer enthielt einen Haufen schwarzer Körner von nicht sehr grossem Umfang oder Gewicht, denn wir konnten etwa fünfzig davon in der hohlen Hand halten.

Dies ist ein genaues Inventar von dem, was wir bei dem Menschberg fanden; er behandelte uns sehr höflich und mit derjenigen Achtung, die der Kommission Eurer Majestät gebührte.

Unterzeichnet und gesiegelt am vierten Tage des neunundachtzigsten Mondes der glückseligen Regierung Eurer Majestät.

Clefrin Frelock, Marsi Frelock.

Als dem Kaiser dieses Inventar vorgelesen wurde, wies er mich, wenn auch in sehr sanften Worten, an, die verschiedenen Gegenstände auszuliefern. Zunächst verlangte er meinen Krummsäbel, den ich mit der Scheide herausnahm. Inzwischen befahl er, dass dreitausend Mann aus seinen ausgewählten Truppen, die ihn begleiteten, in gebührendem Abstand einen Kreis bildeten und ihre Pfeile und Bögen schussbereit hielten; ich freilich bemerkte das nicht, denn ich hielt den Blick fest auf Seine Majestät gerichtet. Dann begehrte er, dass ich den Säbel zöge; und obwohl er durch das Seewasser ein wenig Rost angesetzt hatte, war er grösstenteils noch äusserst blank. Ich zog ihn, und im selben Augenblick erhoben all die Truppen zwischen Angst und Staunen ein Geschrei, denn die Sonne schien hell, und der Widerschein blendete ihre Augen, als ich die Waffe in der Hand hin und her schwang. Seine Majestät ist ein höchst beherzter Fürst, und er war weniger entsetzt, als ich erwarten konnte; er befahl mir, den Säbel wieder in die Scheide zu tun und ihn, so sanft ich nur konnte, sechs Fuss vom Ende meiner Kette entfernt zu Boden zu werfen. Das nächste, was er verlangte, war einer der hohlen Eisenpfeiler, mit denen er meine Pistolen meinte. Ich zog eine hervor und setzte ihm auf seinen Wunsch, so gut ich es vermochte, ihren Gebrauch auseinander; und indem ich sie nur mit Pulver lud (denn vermöge der Dichtigkeit des Lederbeutels war es im Wasser der Durchnässung entgangen: einer Schädigung, gegen die alle vorsichtigen Seefahrer besondre Vorkehrungen treffen), warnte ich den Kaiser, nicht zu erschrecken und entlud sie in der Luft. Das Entsetzen war jetzt weit grösser als beim Anblick meines Säbels. Hunderte fielen wie tot zu Boden; und selbst der Kaiser konnte sich, obwohl er auf den Füssen blieb, eine Weile hindurch nicht wieder erholen. Ich lieferte meine beiden Pistolen in der gleichen Weise aus, wie ich es mit meinem Säbel getan hatte und dann auch den Beutel mit dem Pulver und den Kugeln; ich bat, dass man jenes vor Feuer bewahrte, da es sich durch den kleinsten Funken entzünden und den kaiserlichen Palast in die Luft sprengen würde. Ich lieferte auch meine Taschenuhr aus, die zu sehn der Kaiser sehr begierig war; er befahl zweien seiner grössten Leibgardisten, sie mit Hilfe eines Pfahls auf die Schultern zu nehmen wie die Rollkutscher in England ein Fass Bier zu tragen pflegen. Er hörte das beständige Geräusch, das sie machte, mit grossem Staunen und beobachtete auch die Bewegung des Minutenzeigers, die er leicht erkennen konnte, da sie weit schärfer sehn als wir. Er fragte die Gelehrten, die ihn umgaben, was sie davon hielten, und ihre Ansichten waren, wie der Leser es sich denken kann, ohne dass ich sie ihm wiederhole, schwankend und trafen weit vom Ziel; freilich konnte ich sie auch nicht sehr genau verstehn. Dann lieferte ich mein Silber- und Kupfergeld, meine Börse mit neun grossen und einigen kleinen Goldstücken, mein Taschen- und mein Rasiermesser, meinen Kamm, meine silberne Schnupftabakdose, mein Sacktuch und mein Tagebuch aus. Mein Säbel, meine Pistolen und der Beutel wurden auf Wagen in Seiner Majestät Vorratshäuser überführt; der Rest meiner Sachen aber wurde mir zurückgegeben.

Ich hatte, wie ich zuvor schon bemerkte, eine Geheimtasche, die ihnen bei ihrer Suche entging; in ihr befanden sich eine Brille (die ich bisweilen nötig habe, weil meine Augen schwach werden), ein Taschenfernrohr und mehrere andre kleine Gegenstände; da sie für den Kaiser von keiner Bedeutung sein konnten, so hielt ich mich nicht für in Ehren verpflichtet, sie preiszugeben, und ich fürchtete, sie könnten verloren gehn oder verdorben werden, wenn ich mich von ihnen trennte.


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