Jonathan Swift
Gullivers Reisen
Jonathan Swift

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Kapitel V.

Mehrere Abenteuer, die dem Verfasser begegneten. Die Hinrichtung eines Verbrechers. Der Verfasser zeigt seine Gewandtheit in der Seefahrt.

Ich hätte in jenem Lande recht glücklich sein können, wenn mich meine Kleinheit nicht mehreren lächerlichen und unangenehmen Unfällen ausgesetzt hätte, von denen ich einige berichten möchte. Glumdalklitsch trug mich oft in meiner kleinern Schachtel in die Gärten des Palastes; und bisweilen nahm sie mich heraus und hielt mich in der Hand oder setzte mich auf den Boden, damit ich spazieren gehn könnte. Ich entsinne mich, wie der Zwerg, ehe er die Königin verliess, uns eines Tages in diese Gärten folgte; und als meine Amme mich niedergesetzt hatte, konnte ich, da wir in der Nähe einiger Zwergapfelbäume dicht bei einander standen, durchaus meinen Witz nicht unterdrücken und musste einen albernen Vergleich zwischen ihm und den Bäumen ziehn, der zufällig in ihrer Sprache ebenso schlagend wirkt wie in unsrer. Da lauerte nun der boshafte kleine Schlingel auf den günstigen Augenblick, in dem ich gerade unter einem der Bäume stand, und schüttelte ihn über meinem Kopf, so dass mir ein Dutzend Äpfel, deren jeder so gross war wie ein Fass, um die Ohren schlugen; einer von ihnen traf mich, als ich mich eben bückte, im Rücken und schlug mich flach mit meinem Gesicht zu Boden; doch erlitt ich weiter keinen Schaden, und man verzieh dem Zwerg auf meinen Wunsch, da ich ihn herausgefordert hatte.

An einem andern Tage liess Glumdalklitsch mich auf einer glatten Wiese, wo ich mich ergehn sollte, während sie mit ihrer Gouvernante in einiger Entfernung auf und ab ging. Inzwischen fiel plötzlich ein so heftiger Hagelschauer, dass ich durch seine Gewalt auf der Stelle zu Boden geschleudert wurde: und als ich lag, versetzten mir die Hagelkörner über den ganzen Körper hin so grausame Stösse, als bombardierte man mich mit Tennisbällen; es gelang mir freilich, auf allen Vieren davonzukriechen und mich zu retten, indem ich mich auf der Windschutzseite hinter einem Quendelbeet flach aufs Gesicht legte; doch war ich von Kopf bis zu Füssen so zerstossen, dass ich zehn Tage lang nicht ausgehn konnte. Und das kann auch nicht wundernehmen, da die Natur sich in jenem Lande in all ihren Werken in den gleichen Verhältnissen hält, und also ein Hagelkorn fast achtzehnhundertmal so gross ist wie ein europäisches; ich kann das auf Grund meiner Erfahrung versichern, denn ich war wissbegierig genug, sie zu wägen und zu messen.

Ein gefährlicherer Unfall begegnete mir in demselben Garten, als meine kleine Amme, im Glauben, sie hätte mich an einem sichern Ort versteckt, denn ich bat sie oft, das zu tun, damit ich meinen Gedanken nachhängen könnte, zumal wir, um nicht die Mühe des Tragens zu haben, meine Schachtel zu Hause gelassen hatten, mit ihrer Gouvernante und einigen andern, ihr bekannten Damen in einen andern Teil des Gartens gegangen war. Als sie nun fort war und sich ausser Hörweite befand, kam ein kleiner, weisser Wachtelhund, der einem der Obergärtner gehörte und durch einen Zufall in den Garten gelangt war, auf seinem Streifzug in die Nähe der Stelle, wo ich lag. Der Hund folgte der Witterung, kam geradenwegs auf mich zu, nahm mich ins Maul und lief stracks zu seinem Herrn zurück, vor dem er mich schweifwedelnd und sanft auf den Boden legte. Zum Glück war er so gut gezogen, dass er mich zwischen den Zähnen trug, ohne mich im geringsten zu verletzen, ja, ohne auch nur meine Kleider zu zerreissen. Der arme Gärtner aber, der mich genau kannte und grosse Freundschaft für mich hegte, war in furchtbarer Angst. Er nahm mich sanft mit beiden Händen auf und fragte mich, wie es mir ginge; ich aber war so beängstigt und ausser Atem, dass ich kein Wort hervorbringen konnte. Nach wenigen Minuten freilich kam ich schon wieder zu mir, und er brachte mich wohlbehalten zu meiner kleinen Amme, die mittlerweile an die Stelle zurückgekehrt war, wo sie mich verlassen hatte, und in grausamen Ängsten schwebte, als ich auf ihren Ruf weder erschien noch Antwort gab; sie gab dem Gärtner wegen seines Hundes einen strengen Verweis. Die Sache wurde aber vertuscht, und man erfuhr bei Hofe niemals etwas davon; das Mädchen fürchtete sich vor dem Zorn der Königin, und ich selber glaubte, dass es schwerlich zum Vorteil meines Rufs sein würde, wenn eine solche Geschichte bekannt wurde.

Dieser Unfall hatte zur Folge, dass Glumdalklitsch mich in Zukunft draussen nie mehr aus den Augen lassen wollte. Ich hatte einen solchen Entschluss schon lange befürchtet und ihr deshalb ein paar unglückliche Abenteuer verhehlt, die mir begegnet waren, während sie mich allein liess. Einmal schoss ein Habicht, der über dem Garten schwebte, auf mich herab, und hätte ich nicht, während ich unter ein Spalier lief, entschlossen meinen Hirschfänger gezogen, so hätte er mich sicher in seinen Fängen entführt. Ein andermal, als ich einen frischen Maulwurfshügel bestieg, fiel ich bis an den Hals in das Loch, durch das jenes Tier die Erde aufgeworfen hatte, und ich ersann irgend eine Lüge, die der Erwähnung nicht wert ist, um zu erklären, wie ich mir die Kleider beschmutzt hatte. Ferner brach ich mir einmal das Bein am Haus einer Schnecke, über das ich stolperte, als ich allein spazieren ging und an mein armes England dachte.

Ich weiss nicht, ob es mir mehr Vergnügen machte oder mich mehr demütigte, als ich auf diesen einsamen Spaziergängen merkte, dass die kleineren Vögel sich keineswegs vor mir zu fürchten schienen, sondern mich, wenn sie nach Würmern und andrer Nahrung suchten, im Umkreis von einer Elle so gleichgültig und sicher umhüpften, als wäre überhaupt kein Geschöpf in ihrer Nähe. Ich entsinne mich, wie eine Amsel die Frechheit besass, mir mit dem Schnabel ein Stück Kuchen aus der Hand zu picken, das Glumdalklitsch mir gerade zum Frühstück gegeben hatte. Wenn ich versuchte, einen dieser Vögel zu fangen, wandten sie sich kühn gegen mich und versuchten nach meinen Fingern zu beissen, die ich ihnen nicht zu nähern wagte; und dann hüpften sie unbekümmert davon, um wieder wie zuvor nach Würmern oder Schnecken zu jagen. Eines Tags aber nahm ich mir einen dicken Knittel und warf ihn mit aller Kraft so glücklich nach einem Hänfling, dass ich ihn zu Boden schlug; ich packte ihn mit beiden Händen um den Hals und lief im Triumph mit ihm zu meiner Amme. Da aber der Vogel nur betäubt gewesen war, versetze er mir, als er sich erholte, mit seinen Flügeln so viele Schläge auf beide Seiten meines Kopfes und Leibes, obwohl ich ihn mit ausgestreckten Armen von mir abhielt und er mich mit seinen Krallen nicht packen konnte, dass ich wohl zwanzigmal daran dachte, ihn loszulassen. Bald jedoch wurde ich von einem unsrer Diener befreit, der dem Vogel den Hals umdrehte, und ich erhielt ihn auf Befehl der Königin am nächsten Tage zum Mittagessen. Dieser Hänfling schien, so weit ich mich entsinnen kann, ein wenig grösser zu sein, als ein englischer Schwan.

Die Ehrendamen luden Glumdalklitsch oft in ihre Gemächer ein und baten sie, mich mitzubringen, und zwar eigens, um das Vergnügen zu geniessen, dass sie mich sehn und berühren konnten. Sie zogen mich oft vom Scheitel bis zur Sohle nackt aus und legten mich in voller Länge zwischen ihre Brüste, wovor ich mich sehr ekelte. Denn, um die Wahrheit zu sagen, ihrer Haut entstieg ein sehr unangenehmer Geruch. Ich sage das nicht, um diesen ausgezeichneten Damen, vor denen ich jede Achtung hege, etwas anzuhängen; ich denke mir nur, dass mein Geruchssinn entsprechend meiner Kleinheit um so schärfer war, und dass diese erlauchten Personen ihren Liebhabern oder einander ebenso wenig unangenehm waren, wie Leute gleichen Standes es bei uns in England sind. Und schliesslich fand ich ihren natürlichen Körpergeruch bei weitem erträglicher als den ihrer Parfüme, unter dem ich auf der Stelle ohnmächtig wurde. Ich kann auch nicht vergessen, dass sich einer meiner vertrauten Freunde in Lilliput an einem warmen Tage, als ich mir ziemlich viel Bewegung gemacht hatte, die Freiheit nahm, sich über einen strengen Geruch zu beklagen, der mich umgab, obwohl ich in der Hinsicht nicht schlimmer begabt bin als die meisten meines Geschlechts: doch nehme ich an, dass sein Geruchssinn mir gegenüber ebenso so empfindlich war, wie meiner diesem Volk gegenüber. In diesem Punkt kann ich mich nicht enthalten, der Königin, meiner Herrin, und meiner Amme Glumdalklitsch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, denn beide waren so geruchlos, wie nur irgend eine Dame in England.

Am meisten beunruhigte es mich bei diesen Ehrendamen (wenn meine Amme mich mitnahm, um sie zu besuchen), dass sie mich ganz ohne Förmlichkeiten als ein Geschöpf behandelten, das in keiner Weise in betracht kam. Sie zogen sich in meiner Gegenwart splitternackt aus und zogen sich ihre Hemden an, während ich genau vor ihren nackten Leibern auf ihrem Toilettetisch stand; und freilich war das für mich keineswegs ein verführerischer Anblick, und es löste in mir keinerlei andre Erregungen aus, als die des Grauens und des Abscheus. Ihre Haut erschien mir als so rauh und uneben und als so scheckig, wenn ich sie aus der Nähe sah; und überall lag hier und dort ein tellergrosses Mal, und Haare hingen daraus hervor, die waren dicker als Bindfäden; nicht zu reden erst von dem Rest ihrer Gestalten. Sie besannen sich auch keineswegs, in meiner Gegenwart zu entleeren, was sie getrunken hatten; und oft war es eine Menge von wenigstens zwei Oxhoften; und das Gefäss fasste mehr als drei Stückfässer. Die hübscheste unter diesen Ehrendamen, ein angenehmes, lustiges Mädchen von sechzehn Jahren, setzte mich zuweilen rittlings auf eine ihrer Brustwarzen; und so machte sie noch viele andre Scherze, die ich nicht allzu sehr im einzelnen schildern will, worin der Leser mich gewiss entschuldigt. Mir missfiel das alles so sehr, dass ich Glumdalklitsch anflehte, irgend eine Entschuldigung zu ersinnen, damit ich jene junge Dame nicht mehr zu sehn brauchte.

Eines Tages kam ein junger Herr, ein Neffe der Gouvernante meiner Amme, und drängte sie beide, sich eine Hinrichtung anzusehn. Sie wurde an einem Manne vollstreckt, der einen intimen Bekannten jenes Herrn ermordet hatte. Glumdalclitsch liess sich überreden, mitzukommen, obwohl es sehr gegen ihre Neigung ging, denn sie war von Natur weichherzig; mich selber aber führte, obwohl ich solche Schauspiele verabscheue, meine Neugier in Versuchung, mir etwas anzusehn, was, wie ich glaubte, ganz ausserordentlich sein musste. Der Missetäter wurde auf einem Stuhl festgebunden, der auf einem eigens errichteten Gerüst stand; und mit einem etwa vierzig Fuss langen Schwert wurde ihm auf einen einzigen Hieb der Kopf abgeschlagen. Die Adern und Arterien spien eine so ungeheure Menge Blutes so hoch in die Luft empor, dass das grosse »jet d'eau« zu Versailles, so lange der Strahl dauerte, ihm nicht gleichkam; und der Kopf machte, als er auf den Boden des Gerüstes fiel, einen solchen Sprung, dass ich in die Höhe fuhr, obwohl ich wenigstens eine halbe englische Meile davon entfernt sass.

Die Königin, die mich oft von meinen Seereisen reden hörte und jede Gelegenheit ergriff, um mich, wenn ich melancholisch war, aufzuheitern, fragte mich, ob ich ein Segel oder ein Ruder zu handhaben wüsste, und ob nicht die Bewegung des Ruderns vielleicht meiner Gesundheit zuträglich sein würde. Ich erwiderte, ich verstände beides recht gut, obwohl ich in meinem eigentlichen Amt Arzt oder Doktor der Schiffe gewesen sei; doch habe ich oft in der Not wie ein gewöhnlicher Matrose arbeiten müssen. Dagegen könne ich nicht einsehn, wie das in ihrem Lande möglich sein sollte, da doch der kleinste Fährkahn schon einem unsrer erstklassigen Schlachtschiffe gleichkäme und ein Boot, wie ich es lenken könnte, auf all ihren Flüssen nimmermehr zu finden sei. Ihre Majestät erwiderte, wenn ich ein Boot entwerfen wollte, so sollte ihr eigner Zimmermann es herstellen, und sie würde schon für ein Wasser sorgen, auf dem ich segeln könnte. Der Bursche war ein scharfsinniger Handwerker, und nach meinen Anweisungen vollendete er in zehn Tagen ein Lustboot mit all seinen Takelagen, das bequem acht Europäer hätte fassen können. Als es fertig war, zeigte sich die Königin so entzückt, dass sie es sofort in den Schoss nahm und damit zum Könige lief, der befahl, es versuchsweise mit mir darin auf eine Zisterne voll Wasser zu setzen; ich konnte dort jedoch aus Mangel an Raum mit meinen beiden kleinen Rudern nichts anfangen. Aber die Königin hatte schon vorher einen andern Plan ersonnen. Sie befahl dem Zimmermann, einen hölzernen Trog von dreihundert Fuss Länge, fünfzig Breite und acht Tiefe herzustellen; und nachdem man den gut verpicht hatte, damit er nicht leckte, setzte man ihn in einem äusseren Zimmer des Palastes an der Wand entlang auf den Boden. Der Trog hatte an seinem unteren Teil einen Hahn, durch den man das Wasser ablassen konnte, wenn es faulig zu werden begann; und dann konnten zwei Diener ihn in einer halben Stunde leicht wieder füllen. Hier pflegte ich oft zu meiner eignen Unterhaltung sowie auch zu der der Königin und ihrer Damen zu rudern, denn sie fanden, dass ihnen meine Gewandtheit und Behendigkeit viel Vergnügen machten. Bisweilen setzte ich auch mein Segel, und dann hatte ich nur zu steuern, während die Damen mir mit ihren Fächern Wind machten; und wenn sie müde wurden, mussten ein paar der Pagen mich mit ihrem Atem vorwärtsblasen, während ich meine Kunst zeigte, indem ich nach Belieben bald auf Steuerbord und bald auf Backbord steuerte. Wenn ich genug hatte, trug Glumdalklitsch stets mein Boot in ihre Kammer, wo sie es zum Trocknen an einen Nagel hing.

Bei dieser Leibesübung begegnete mir einmal ein Unfall, der mich fast das Leben gekostet hätte. Denn als einer der Pagen mein Boot in den Trog gesetzt hatte, hob die Gouvernante, die Glumdalklitsch begleitete, mich dienstbereit auf, um mich ins Boot zu setzen; ich aber glitt ihr durch die Finger und wäre unfehlbar vierzig Fuss tief auf den Boden gestürzt, wenn mich nicht durch den glücklichsten Zufall von der Welt eine Stecknadel, die im Mieder der guten Dame stak, aufgehalten hätte; der Knopf der Nadel nämlich schob sich mir zwischen Hemd und Gürtelband meiner Hose und hielt mich so in der Luft fest, bis Glumdalklitsch mir zu Hilfe kam.

Ein andermal war einer der Diener, deren Amt es war, den Trog jeden dritten Tag mit frischem Wasser zu füllen, so unvorsichtig, dass er, ohne es zu merken, einen ungeheuren Frosch aus seinem Eimer mit hineinschlüpfen liess. Der Frosch blieb verborgen, bis ich in meinem Boot sass; doch da er alsbald einen Ruheplatz entdeckte, so kletterte er hinauf, und das Boot legte sich so stark auf die eine Seite, dass ich es auf der andern mit meiner ganzen Last im Gleichgewicht halten musste, um nicht umzuschlagen. Kaum aber war der Frosch drinnen, als er sofort durch die halbe Länge des Bootes hüpfte und dann über meinen Kopf hinweg hin und her, wobei er mir Gesicht und Kleider mit seinem scheusslichen Schleim beschmierte. Die Grösse seiner Züge liess ihn als das ungeschlachteste Tier erscheinen, das man sich nur denken kann. Trotzdem bat ich Glumdalklitsch, mich allein mit ihm fertig werden zu lassen. Ich schlug eine gute Weile mit einem meiner Ruder auf ihn ein, und schliesslich zwang ich ihn, zum Boot hinauszuspringen.

Die grösste Gefahr jedoch, in die ich in jenem Reiche je geriet, drohte mir von einem Affen, der einem der Küchenbeamten gehörte. Glumdalklitsch hatte mich in ihrer Kammer eingeschlossen, während sie irgendwohin ging, sei es, um etwas zu besorgen oder um einen Besuch zu machen. Da es sehr warmes Wetter war, so blieben sowohl das Kammerfenster wie auch die Fenster und die Tür meiner grösseren Schachtel, in der ich für gewöhnlich wohnte, weil sie so gross und bequem war, offen stehn. Als ich nun ruhig und nachdenklich an meinem Tisch sass, hörte ich etwas zum Kammerfenster hereinspringen und hin und her hüpfen; obwohl ich nun sehr erschrak, so wagte ich es doch, hinauszublicken, ohne mich freilich von meinem Sitz zu rühren; und da sah ich denn dieses spasshafte Tier hin und her und auf und niederspringen, bis es schliesslich zu meiner Schachtel kam, die es mit grossem Vergnügen und grosser Neugier zu betrachten schien, denn es spähte zur Tür und zu allen Fenstern hinein. Ich zog mich in den entferntesten Winkel meines Zimmers oder meiner Schachtel zurück, aber da der Affe von allen Seiten hereinspähte, so jagte er mir eine solche Angst ein, dass es mir an der Geistesgegenwart fehlte, mich, wie ich es leicht hätte tun können, unterm Bett zu verstecken. Nachdem er dann eine Weile gespäht und gegrinst und geplappert hatte, sah er mich schliesslich, und alsbald streckte er eine seiner Hände zur Tür herein, wie es eine Katze tut, wenn sie mit einer Maus spielt; und obwohl ich oft den Platz wechselte, um ihm zu entgehn, fasste er mich schliesslich doch an einem Zipfel meines Rocks (und der war sehr dick und stark, da er aus der Seide jenes Landes hergestellt war), an dem er mich hinauszog. Er nahm mich in die rechte Vorderhand und hielt mich so, wie eine Amme ein Kind hält, wenn sie ihm die Brust geben will; ich habe dasselbe Geschöpf genau das Gleiche in Europa mit einer jungen Katze tun sehn; und als ich Miene machte, mich zu wehren, drückte er mich so kräftig, dass ich es für geratener hielt, mich zu fügen. Ich habe guten Grund, zu glauben, dass er mich für ein Junges seiner eignen Gattung hielt, denn er streichelte mir mit der andern Hand das Gesicht gar oft und sehr sanft. In dieser Unterhaltung wurde er durch ein Geräusch an der Kammertür, als wolle jemand sie öffnen, unterbrochen; da sprang er plötzlich zum Fenster hinaus, durch das er hereingekommen war, und von dort aus auf die Dächer und in die Dachrinnen; er lief immer auf drei Händen, während er mich in der vierten hielt, bis er ein Dach erreichte, das unserm zunächst lag. Ich hörte, wie Glumdalklitsch in dem Augenblick, als er mich hinaustrug, aufschrie. Das arme Mädchen war fast von Sinnen: der ganze Flügel des Palasts geriet in Aufruhr; die Diener liefen nach Leitern; hunderte von Menschen sahen den Affen vom Palast aus, wie er auf dem First eines Bauwerks sass und mich wie einen Säugling in der einen seiner Vorderhände hielt, während er mich mit der andern fütterte, indem er mir ein paar Speisereste in den Mund stopfte, die er aus einer seiner Backentaschen zog, und mich, wenn ich nicht essen wollte, klopfte. Viele Leute aus dem Pöbel unten konnten sich nicht enthalten, darüber zu lachen; und mir scheint, man kann sie eigentlich nicht tadeln, denn ohne Zweifel war der Anblick lächerlich genug für jeden andern ausser mir. Manche warfen auch Steine herauf, weil sie hofften, den Affen hinunterjagen zu können; aber das wurde streng verboten; sonst wäre wohl mein Schädel in Stücke gegangen.

Jetzt wurden die Leitern angelegt, und mehrere Leute kamen heraufgestiegen; als aber der Affe sie bemerkte und sich fast eingeschlossen sah, liess er mich, da er auf drei Beinen nicht schnell genug vorwärts kommen konnte, einfach auf einen Firstziegel fallen und entfloh. Da sass ich denn eine Weile dreihundert Ellen über dem Boden und erwartete jeden Augenblick, vom Wind hinabgeweht zu werden oder zu stürzen, weil mich der Schwindel ergriff, um dann, mich auf den Ziegeln immer überschlagend, bis in die Dachrinne zu rollen; aber ein ehrlicher Bursche, einer der Lakaien meiner Amme, kletterte herauf, steckte mich in seine Hosentasche und brachte mich wohlbehalten nach unten.

Ich war fast erstickt von dem schmutzigen Zeug, das mir der Affe den Hals hinuntergestopft hatte; aber meine liebe kleine Amme nahm es mir mit einer kleinen Nadel aus dem Mund, und dann begann ich, mich zu übergeben, was mir grosse Erleichterung verschaffte. Trotzdem war ich so schwach und meine Seiten waren so zerdrückt von den Stössen, die mir das scheussliche Tier versetzt hatte, dass ich gezwungen war, vierzehn Tage lang das Bett zu hüten. Der König, die Königin und der ganze Hof schickten jeden Tag, um sich nach meinem Ergehn zu erkundigen, und Ihre Majestät machte mir während meiner Krankheit mehrere Besuche. Der Affe wurde getötet, und es wurde Befehl erteilt, dass kein solches Tier mehr im Palast gehalten werden dürfte.

Als ich nach meiner Wiederherstellung dem König meine Aufwartung machte, um ihm für seine Gunstbezeigungen zu danken, geruhte er, mich wegen dieses Abenteuers kräftig aufzuziehn. Er fragte mich, welches meine Gedanken und Überlegungen gewesen seien, während ich in der Hand des Affen lag; wie mir die Speisen geschmeckt hätten, die er mir gab; wie er mich gefüttert und ob mir die frische Dachluft nicht den Appetit geschärft hätte. Er wünschte zu wissen, was ich in meiner Heimat in der gleichen Lage begonnen hätte. Ich sagte Seiner Majestät, in Europa hätten wir keine Affen, es sei denn solche, die als Kuriositäten aus andern Ländern mitgebracht würden; und die seien so klein, dass ich es zugleich mit einem Dutzend aufnehmen könnte, wenn sie sich erkühnten, mich anzufallen. Und was jenes Ungeheuer anginge, mit dem ich es jetzt zu tun gehabt hätte (es war wirklich so gross gewesen wie ein Elefant), so hätte ich ihm vielleicht, wenn nur meine Furcht mir soviel Besinnung gelassen hätte, um von meinem Hirschfänger Gebrauch zu machen (und dabei setzte ich eine wilde Miene auf und schlug auf das Heft), als er die Hand in mein Zimmer streckte, eine solche Wunde beibringen können, dass es froh gewesen wäre, sie schneller wieder herausziehn zu können als es sie hineingesteckt hatte. Das sprach ich in entschlossenem Ton und wie jemand, der eifersüchtig darüber wacht, dass man nicht etwa seinen Mut in Zweifel zieht. Meine Worte hatten jedoch nichts andres zur Folge, als ein lautes Gelächter von Seiten derer, die den König umgaben, denn all die Achtung vor Seiner Majestät vermochte es nicht zu unterdrücken. Da musste ich darüber nachdenken, wie eitel jede Anstrengung ist, wenn ein Mensch versucht, sich unter solchen, die mit ihm keinerlei Ähnlichkeit haben, noch mit ihm in Vergleich treten können, Ansehn zu verschaffen. Und doch habe ich die Moral meines eignen Verhaltens seit meiner Heimkehr noch oft in England beobachten können, wo ein kleiner, verächtlicher Kerl, der nicht den geringsten Anspruch auf Geburt, persönlichen Wert, Witz oder Verstand erheben kann, die Anmassung besitzt, wichtig dreinzuschaun und sich mit den grössten Persönlichkeiten des Königreichs auf den gleichen Fuss zu stellen.

Ich versah den Hof von Tag zu Tag mit irgend einer lächerlichen Geschichte, und obwohl Glumdalklitsch mich über die Massen liebte, war sie doch schelmisch genug, um der Königin Mitteilung davon zu machen, wenn ich irgend eine Torheit beging, die Ihre Majestät ihrer Meinung nach amüsieren würde. Einmal wurde das Mädchen, das unpässlich gewesen war, von ihrer Gouvernante etwa eine Stunde weit oder um dreissig Meilen vor die Stadt geführt, damit sie dort die frische Luft genösse. Sie stiegen in der Nähe eines schmalen Fusspfads, der ein Feld durchquerte, aus der Kutsche, und nachdem Glumdalklitsch meine Reiseschachtel niedergesetzt hatte, kam ich heraus, um spazieren zu gehn. Auf dem Pfad lag ein Kuhfladen, und ich musste durchaus meine Behendigkeit erproben, indem ich versuchte, hinüberzuspringen. Ich nahm einen Anlauf, sprang aber unglücklicherweise zu kurz und bis an die Knie genau in die Mitte hinein. Ich watete nicht ohne Mühe hindurch, und einer der Lakaien säuberte mich, so gut er es konnte, mit seinem Taschentuch; denn ich war scheusslich beschmutzt, und meine Amme sperrte mich, bis wir nach Hause kamen, in meiner Schachtel ein. Dort aber hörte die Königin gar bald, was geschehn war, und die Lakaien verbreiteten den Bericht im ganzen Palast, so dass ein paar Tage lang alles Lachen auf meine Kosten ging.


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