Auguste Supper
Der schwarze Doktor
Auguste Supper

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13. Kapitel.

Als ich aus meinem Schlaf erwachte, war es dunkel in der Stube. Ich lag in meinen Kleidern auf dem Bette. Durch die Ritzen am Laden drang der bleiche Mondschein. Es schien mir, als wäre ich wochenlang so gelegen. Danach erinnerte ich mich wieder an alles, und es schrie in mir auf: »Warum, 127 warum habe ich wieder erwachen müssen!« Dieweil ich so das Leid über mich zusammenschlagen ließ wie Wasserswogen, fand meine Seele nicht den Weg zu Gott, der ein ewiger Fels ist, darauf man sich retten mag aus dieser elenden Welt Schlamm und Bedrängnis. Da ich lange gelegen hatte in meiner erbärmlichen Starrheit, vernahm ich murmelnde Stimmen aus der Kammer. Ich richtete mich auf, zu hören, wer dorten sprach; aber ich kannte weder den Klang, noch verstand ich die Worte. Ich glitt nieder auf den Boden, und der Hund, der vor meinem Bette schlief, sprang mit einem erschrockenen Winseln in die Höhe. Alsbald ward die Türe geöffnet und ich sahe meinen Vater hereinleuchten mit seinem Öllämplein. Als er mich aufrecht fand, rief er mich freundlich zu sich, und ich trat über die Schwelle.

Der erste, der auf mich zuging, war der Magister. Er lachte mich an und sprach: »Ei, Jungfer, Ihr schliefet wie der Dachs im Bau. Wisset Ihr, daß Ihr beinahe sechsunddreißig Stunden also gelegen habt? Und da singen die Leute: Zu Würzburg geht es übel zu, man findet weder Schlaf noch Ruh!«

Ich war sehr verwirrt und konnte nichts sagen, denn am Tisch saß der Domherr und neben ihm ein Mann in der Kleidung der Jesuiten, mit einem noch jungen, aber hageren und ernsten Antlitz und großen, forschenden Augen, die unter einem Kranz von stark ergrauten Haaren zu mir herüberblickten. Ich erkannte in ihm denselbigen Jesuiten wieder, der beim Verhör unter den Richtern in der Kanzlei gewesen war. Es kam mich ein großer Schrecken an, als ich diesen Mann in unserer Kammer sahe, und ich gedachte nicht anders, denn die Häscher seien vor der Tür.

Mein Vater sah meine Angst und er deutete hinüber zu den beiden Priestern, indes er sprach: »Fürchte nichts, Renata! Es ist ein Freund Sr. Hochehrwürden, den ich im Hof Bibra traf, da ich den Domherrn heimlich wollte aufsuchen, ihm von unserer Rückkehr und deren Grund zu berichten.«

Über des Jesuiten Gesicht lief ein leises Rot, da er begann: »Ihr, Jungfrau, möget Euch wohl verwundern, mich hier zu sehen; doch sollet Ihr wissen, daß es nicht zuletzt Eure 128 tapferen Worte vor dem Tribunal waren, die mich antrieben, Eures Vaters Sache mit besonderem Fleiß zu studieren.«

Wolf Dieter sprach: »Wisset, Jungfrau Renata, dieser hier, Friedrich Spee, ist mein ältester Freund und mit mir zu Köln aufgewachsen. Daß sein Haar grau ist, wie das eines bejahrten Mannes, mag Euch dartun, wie er es schwer nimmt mit dem, was er in seines Ordens Auftrag zu tun hat, nämlich die Hexen und Unholde zum reuigen Tod zu bereiten und zu geleiten.«

Ich sahe voll scheuer Frage in das Antlitz des Jesuiten, und ich merkete wieder den Zug von verhaltenem Gram, der mir schon dazumal war darin aufgefallen. Mein Vater hieß mich neben seiner Lade niedersitzen und die Männer fuhren wieder fort in ihrer leisen Rede, daraus mein Kommen sie aufgestört hatte. Ich merkete, daß mein Vater voll Eifers auf den Jesuiten einsprach, indes dieser seine schmale, weiße Hand auf unseres Rupprechts Kopf geleget hatte. Meinen Vater verstund ich nicht; aber was der Jesuit erwiderte, konnte ich hören. Er sagte: »Gewißlich ist es so, Herr! Ob's auch etliche katholische Gelehrte in Zweifel gezogen haben und mutmaßen wollen, daß man's in der katholischen Kirche nicht allezeit geglaubt habe, daß die Hexen und Unholde ihre leiblichen Zusammenkünfte hielten, ob auch wohl endlich ich selbst, als ich mit unterschiedlichen, dieses Lasters schuldtätigen in ihren Gefängnissen viel und oft umgegangen, und der Sache nicht allein fleißig und genau, sondern fast vorwitzig nachgeforschet, mich nicht ein-, sondern etlichemal so betreten gefunden habe, daß ich fast nicht gewußt, was ich diesfalls glauben sollte. Nichtsdestoweniger halte ich's gänzlich davor, daß in der Welt wahrhaftig etliche Zauberer und Unholden seien, und daß dasselbige von niemanden ohne Leichtfertigkeit und groben Unverstand geleugnet werden könne. – Daß aber deren so viel oder auch, daß die alle miteinander, welche bisher unterm Prätext dieses Lasters in die Luft geflogen, Zauberer oder Hexen seien oder gewesen sein sollen, das glaube ich nicht, und glauben's auch andere gottesfürchtige Leute mit mir nicht.«

Mein Vater schüttelte den Kopf, und des Magisters dünne Stimme fragte vom Fenster her: »So sind diese 129 gottesfürchtigen Leute wohl samt und sonders nicht unter den Richtern und Inquirenten, denn es gehet flott voran mit Brennen und Torquieren.«

Der Jesuit schaute nach dem Magister, und es kam ihm bitter und rasch von den Lippen: »Da soll Gott helfen! Ich habe einen Inquirenten darum angesprochen, und er hat mir gesagt, er wisse wohl, daß in diesem Wesen auch einige Unschuldige mit unterlaufen; aber er machte sich deshalb kein Gewissen, sintemal ein Fürst, der ein frommer und fürsichtiger Herr sei, ihn treibe, in seinem Lande fortzufahren mit den peinlichen Prozessen.«

Der Magister lachte und erwiderte: »Ist das nicht, Gott erbarm's, eine lustige Sach? Fürsten und Herren legen die Sorge auf ihrer Amtleute und Räte Gewissen, diese aber werfen's auf ihrer Herren Gewissen! Der Fürst sagt: Unsere Räte mögen sehen, was sie zu tun haben, und die Räte sagen: Der Fürst möge sehen, daß er's verantworte. Ist das nicht ein schöner Zirkul? Welcher aber wird vor Gott verantworten müssen?«

Der Jesuit zog seine Hand von des Hundes Kopf, griff in sein Gewand und nahm ein Päcklein beschriebenen Papieres hervor, das er erregt in seinen Fingern rollte. Der Domherr schob seinen Schemel zurück, und indes er neben den Magister trat, sagte er leis: »Ihr sprechet ein streng Wort aus; und scheint nicht zu wissen, daß es leichter wäre, gegen die Pest zu kämpfen denn gegen das jetzige Verfahren mit den Hexen.«

Mein Vater sprach scharf: »Oft hat bei einem Brand das Löschwasser mehr verdorben, denn das Feuer, und solches werden die Herren in der Soutane zu spät einsehen. Wie konnte es nur also kommen!«

»Ist es nicht also,« rief der Jesuit mit blitzenden Augen, »daß bei uns Deutschen und insonderheit (dessen man sich schämen sollte) bei den Katholischen der Aberglaube, die Mißgunst, Lästern, Afterreden, Schänden, Schmähen und hinterlistiges Ohrenblasen unglaublich tief eingewurzelt sind? Und solches wird weder von der Obrigkeit nach Gebühr gestraft, noch von der Kanzel der Notdurft nach widerlegt und die Leute davor gewarnt und abgemahnet; und eben daher 130 entstehet der erste Verdacht der Zauberei, daher kommt's, daß alle Strafen Gottes, so er in seinem heiligen Worte den Ungehorsamen gedrohet, von Zauberern und Hexen geschehen sein sollen. Da muß weder Gott oder die Natur etwas mehr gelten, sondern die Hexen müssen alles getan haben. Danach erfolgt dann, daß jedermann mit Unvernunft ruft und schreit: Die Obrigkeit soll auf Zauberer und Hexen inquirieren – und der Anfang ohne Ende ist da, ehe ein einziger in der Soutane einen Finger dazu gerührt hat.«

Der Magister am Fenster pfiff vor sich hin; dann summte er halblaut:

»Mach ein Beetlein fein bereit,
Säe dann zur rechten Zeit,
Wachsen wird es selber!«

Mein Vater aber lachte bitter auf und sprach: »Das wenigstens werden Euer Hochehrwürden mir zugeben, daß die Feinheit im Hexenwesen und das System in der Sache von geistlichen Herren ist aufgedeckt und dargetan worden!«

Es blieb eine gute Zeit still in der Runde, und die Männer sahen finster vor sich nieder, dann begann mein Vater wieder zu dem Jesuiten: »Ihr saget wohl, Herr, daß Euer Haar sei weiß worden vom Jammer der Gerichteten und vom Ekel am ganzen Verfahren. Auch ich habe schon tausend ekle Geschwüre an Menschenleibern gesehen, doch nie erlebt, daß von meinem Ekel oder Jammer ein einziges wäre geheilt worden. Dagegen haben klares Wasser, Salben oder zuweilen auch der ätzende Höllenstein oftmals geholfen. Also auch werdet Ihr selbst mit blutigen Tränen nichts ausrichten, ehe Ihr nicht einen gewaltigen Strich macht unter das Alte, ehe es nicht von allen Kanzeln erschallet: Gott ist der Größeste, der Einzige, und ihr sollt keine Götter neben ihm haben, auch die nicht, die ihr Teufel nennt. Lehret nicht Christus: du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen und deinen Nächsten als dich selbst? Und lehren nicht tausend seiner Priester: du sollst eifern für Gott, deinen Herrn, und deinen Nächsten unbarmherzig richten? Muß es nicht ein blutig Unding heißen, wenn das Geschöpf seinen Schöpfer will schützen, wenn der Mensch 131 Gottes Ehre für verloren erachtet ohne menschliche Hilfe! Ihr schreiet Euch tot vom Glauben; aber ihr vergesset der Liebe und kennet selbst ihren hehren Namen nicht mehr. Ihr wisset nicht, daß es heißen müßte: du darfst glauben; aber du sollst lieben! Wer keinen Glauben hat, der verabsäumet ein herrlich Glück: wer aber nicht Liebe kennt und übet, der lädt schwerste Schuld auf sich. Es hallt die Welt wider vom Eifer der Glaubensrichter, und schon dieser Name ist unsinnig, aber was sie verrichten, ist Greuel vor Gott, denn sie machen das Wort der Schrift zuschanden: Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese dreie; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen. Diese größeste ist ihnen die geringste, sie zerren sie herunter in Blut und Staub und machen die Königin zur Metze.« Mein Vater schwieg und seine tiefen Augen blitzten auf den Jesuiten, da rief der Magister, indes er herzutrat: »Ja! Aber sie lassen sich daran nicht genügen, sondern auch den Glauben, um dessentwillen sie hundertfach die Liebe mit Füßen treten, schänden sie. Es trägt jeder ein Stücklein zu oder reißet eines ab, und zuletzt sind sie wie die Hunde, die um Knochen balgen, indes das Fleisch im Winkel fault. Statt sich über des Erlösers Kommen zu freuen, streiten sie über die unbefleckte Empfängnis, und statt des Heilandes Wort und Geist zu erfassen, zanken sie sich um seinen Breinapf. Es bringt ein jedes Jahr ein neu Flickwerk an den alten Glauben und reicht eines Menschen Kraft nicht aus, zuletzt die ganze Last zu tragen. Derenthalben muß man die selig preisen, die vor Jahrhunderten leben durften, und für arme Kreaturen achte ich die, die in späteren Jahrhunderten den Wust sollen auf sich nehmen; und ist kein wahrer Wort denn das von dem Gezüchte, das den Menschen unerträgliche Lasten auflegt und selbst mit keinem Finger daran rührt.« Dem Jesuiten zitterte die Rolle in der Hand; der Domherr aber klopfte auf des zornigen Männleins Schulter und sagte ruhig: »Herr, wenn Glaube und Liebe in der Welt siech und dahin wären, so muß doch noch die Hoffnung gedeihen. Sie ist wie der Hauswurz, den man Sempervivum nennet, dieweil er leben bleibt und seine Nahrung findet in Hitze und Kälte, Sonnenglut und Schatten. Und wir Männer, die wir uns zusammengefunden haben in dieser Nacht um so 132 schreckensvoller Dinge willen, wir haben kein ander Panier denn die Hoffnung.«

Mein Vater sprach ernst: »Ihr saget recht, Hochehrwürden! Doch auch um der Hoffnung willen tut es not, daß wir nicht länger still zusehen.« Des Jesuiten hageres Antlitz sahe ich von hellem Rot überflutet, da er hastig meinem Vater die Rolle, die er vordem hatte aus seinem Gewand genommen, hinreichte mit den Worten: »Leset, Herr, was an diesen Blättern obenan stehet!«

Mein Vater hielt das Heft gegen das Licht und las laut: »Cautio criminalis seu de processibus contra sagas liber ad magistratus Germaniae hoc tempore necessarius. Auctore incerto Theologo othodoxo.« Danach blätterte mein Vater eine lange Zeit in den Papieren und sein gramvoll Gesicht ward immer heller, seine Hände sahe ich zittern, wie sie die Blätter umwandten.

Wolf Dieter aber sprach halblaut zu dem Jesuiten, indes er herzutrat und ihm die Hand auf die Schulter legte: »Friedrich, singt die Trutz-Nachtigall jetzo von solchen Dingen?« Da huschte über des Mannes Gesicht ein flüchtig, wehmütig Lächeln, und er erwiderte: »Die Nachtigall ist zum Kauz worden und die Lieder zum Krächzen.« Mein Vater stund auf und gab die Blätter dem Jesuiten zurück und er sagte mit einer bewegten Stimme: »Wahrlich, es wird eine tapfere Tat werden, so die Blätter in die Welt gehen. Und daß Ihr in dieser Nacht den schwarzen Doktor aufsuchtet, das möge Euch fördern bei Eurem Werk, einen andern Dank weiß ich Euch nicht.«

Wolf Dieter sahe mich an und danach meinen Vater und er sprach: »Auch ich gedachte nach meinen Kräften eine Tat zu tun, da ich Euch die Mittel zutrug, Euren Wächter berauscht zu machen, da ich den Schiffsmann am Kronentor dazu brachte, mir seinen Nachen zu leihen, da ich den Burkharder Viertelsmeister, die Söldlinge der Stadt und des Bischofs hintereinanderhetzen ließ, und da ich vor dem Burkhardertor mit eigener Hand sechs hochgetürmte Wagen alt Rebholz anzündete, also, daß beim Hexenbrand vorgestern Se. Gnaden Scheiterholz vom eigenen Vorrat ablassen mußte; aber Ihr habt mir einen Strich durch die Rechnung gemacht mit Eurer Rückkehr, und 133 meine Tat blieb ein klein Zwischenspiel, darob vielleicht morgen die Henker von Würzburg lachen werden.« Mein Vater reichte dem Domherrn die Hand hin: »Verzeihet, Herr, und nehmet meinen Dank unverkürzt! Nicht allemal ist der Erfolg der Maßstab für die Tat, und die Eure wird nicht kleiner durch meine Rückkehr.«

Der Magister trommelte an die Scheiben und sprach: »Zwei Taten hätten wir also gegen das Unwesen mit den Hexen; die eine soll zwar erst vollführet werden, und die andere ist fehlgeschlagen; aber desto kühnlicher mag sich die dritte anreihen, denn sie lebt vorderhand noch in einem verschrumpften Magistershirn und wartet auf die Zeit zum Ausschlüpfen. Und nun saget, was gedenket Ihr zu vollbringen, Doktor?«

Mein Vater lächelte trüb und erwiderte: »Nichts weiter als nur ein einzigesmal nicht der Gefahr zu entlaufen und Sr. Gnaden zu zeigen, wie die Erzketzer und Teufelsbuhlen sterben.«

Der Domherr kehrte sich zu meinem Vater und sprach: »Herr, Ihr hasset den Bischof und es kann Euch niemand solches verdenken; so aber Euer Haß nur der des lutherischen Mannes gegen den katholischen Bischof ist, so lasset Euch sagen« – aber mein Vater ließ Wolf Dieter nicht ausreden, sondern er fuhr zornig auf: »Ich habe einen Bischof gekannt, der war katholischer denn drei von der Sorte Eures Philipp Adolf, und zu diesem Bischof habe ich in Bewunderung aufgeschaut. Ich sahe unter ihm manchen wackeren lutherischen Mann seine Heimat verlassen; aber es war Würde in solcher Härte, Würde und Wahrheit. Der Bischof war der Herr, ein harter Herr, und er sagte mit gebietender Hand: Fort, hinaus! Ihr möget wackere Männer sein; aber mein Bistum müsset Ihr räumen, dieweil ich hier herrsche, ich und mein katholischer Glaube. Dieser Philipp Adolf aber ist nicht der Herr, sondern der Henker, und sein Weg der krumme Weg der Lüge. Jener ging geradeaus auf sein Ziel zu, und was ihm dazwischen kam, das zertrat er um des Zieles willen; ein starrer, aber ein ganzer Mann. Dieser taumelt dahin, bald seiner Gelüste, bald seines Gewissens Beute, und das Zertreten betreibt er als Zweck und Lebensarbeit.« 134

Der Domherr stützte sich auf den Tisch und entgegnete: »Ich kenne Se. Gnaden, seitdem ich das Jesuitengymnasium zu Köln verließ; das sind nun fünfzehn Jahre her. Er war dazumal ein junger Kapitular, aber schon ein hochgeschätzter Lehrer am Kollegium der Jesuiten hier zu Würzburg.« Mein Vater lachte: »Es vermag mancher vortrefflich zu lehren, insonderheit so er Moraltheologie dozieret, und dabei ist sein Leben ein Hohn auf seine Lehre.« Der Domherr schüttelte den Kopf und erwiderte: »So Ihr nicht der schwarze Doktor wäret, so wollte ich denken, Ihr treibet Scherz oder übet böse Verleumdung.«

Mein Vater wollte jäh auffahren; aber Wolf Dieter fuhr lauter fort: »Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß es mir grauet, wie er es in diesen letzten Jahren treibt; aber das sage ich Euch, er will nur mit Zittern seine Pflicht tun, und er sitzt oft Nächte lang über dem Hexenhammer und den anderen Büchern, so von der greulichen Sache handeln; also, daß er zuweilen blaß und entsetzt erst am Morgen zur Ruhe geht.« Mein Vater sahe dem Domherrn ins Gesicht voll Hohns und sprach: »Ihr seid jünger als Eure Jahre und harmloser als Euer Kleid!«

Wolf Dieter wandte sich um und ich las den Unwillen aus seinem geröteten Antlitz; doch sagte er ruhig: »Herr, ich bin jung und harmlos genug, zu sehen, daß Philipp Adolf nur mit Grauen auf seinem Posten steht, und daß er ohne Ansehen der Person richtet, sonst hätte der junge Ernst von Ehrenberg nicht bluten müssen!«

Mein Vater strich sich über die Stirn und sprach danach: »Zu jung und zu harmlos habe ich Euch genannt, dieweil Ihr als Entschuldigung vorbrachtet, was doch Anklage ist.«

Da rief der Magister zornig herüber: »Jawohl, Hochehrwürden! Schlimmeres könnet Ihr kaum über Euren Bischof sagen, als daß er nächtelang in jenen vermaledeiten Büchern das Recht sucht. Ein stinkend Recht muß aus solch stinkendem Grunde wachsen; und wer drin wühlt, ist nichts anderes denn ein Schwein, das sich in der Pfütze wälzt. Aber er tut's, Herr, dieweil er sich nächtlicherweile den Rausch antrinken muß, den er am Morgen braucht, um die Urteile des geistlichen Gerichts 135 zu unterzeichnen, die weißen Zettel, die vor dem Sandertor die schwarze Asche geben. Würde Euer Bischof die Nächte durchschlafen und so er erwacht, mit seinem Herrn und Gott, statt mit des Teufels Zucht oder eher Unzuchtmeistern reden, so müßtet Ihr Euch nicht so viel Mühe geben, uns zu überzeugen, daß er in solcher Sache bona fide handelt.«

Mein Vater sahe auf mit trübem Blick und sprach zu dem Domherrn: »Glaubet Ihr immerhin an Philipp Adolf! Ich aber habe den Mann einmal als würgenden Wolf gesehen, und es galt damals meinem einzigen und liebsten Schäflein!«

Die beiden Priester sahen dem Sprechenden in das erloschene Antlitz, und keiner sagte ein Wort, also ergriff die leise Rede die Männer. Da es ganz still ward in der Stube, hörete man deutlich von St. Burkhard herüber die Glocke fünf Uhr schlagen. Der Magister öffnete den Laden gegen den Main zu ein weniges. Die Nacht lag jetzt schwarz über dem Wasser und dem Damm, denn der Mond war hinunter. Das Rauschen der Fluten und das dröhnende Brausen vom Wehr drang laut herüber und der Wind fuhr um unser Öllämplein, daß die Flamme sich qualmend duckte. Mir ward sehr unheimlich bei dem Wassersbrausen, und es entfuhr mir voll Angst: »Herr Vater, höret nur den Main!«

Alsbald ging der Domherr hin und schloß den Laden und er trat ganz nahe zu mir her und flüsterte mir zu: »Gedenket, Renata, daß des Wassers Wildheit, die Euch jetzt schrecket, unsern Kahn hat schnell talab in Sicherheit getragen. Also soll mit Gottes Hilfe uns auch diese jetzige schwere Zeit nur desto schneller zum guten Ziel verhelfen, so Ihr nur Mut und Willen habt, sie uns zunutzen zu machen.«

Danach ging er zu meinem Vater hin und sagte laut: »Herr, ich wüßte keine bessere Zeit als diese Nacht, und keine besseren Zuhörer als diese Männer, Euch und Renata den guten Schluß zu erzählen von des Friedrich Fischer und des Johann Appel Geschichte.«

Mein Vater nickte, der Jesuit sahe starr zu meinem Liebsten und zu mir her, und der Magister sagte: »Der Schluß ist mir bekannt, er lautet im Liede also: 136

So hat die Doktoren der Teufel geholet
Und hat ihnen gröblich das Leder versohlet,
Dieweil sie, statt klüglich sich Dirnen zu halten,
Die eigenen Liebsten Eheweiber schalten!« –

Wolf Dieter ergriff meine Hand, und in seinen hellen Augen leuchtete es auf, da er erwiderte: »So ist der Schluß im Würzburger Lied; aber im Leben war er also: Die zweie haben ihre Pfründen und Ämter dahinten gelassen. Der Fischer wurde als Rat bei dem Hochmeister, oder, wie man ihn jetzt nennt, Herzog in Preußen, angestellt; Doktor Appel aber kam als Rat in den Dienst der Reichsstadt Nürnberg. Und allda haben sie gelebt mit ihren Eheliebsten, die um ihretwillen Angst, Schmach, Spott und Leid willig getragen und ausgeharret hatten bei den geprüften Männern. Und was ich Euch vermelde, ist mir von meiner Mutter vertraut, die eine Enkelin des Doktor Fischer und eine großdenkende Frau war.«

Der Jesuit stand auf, legte meinem Liebsten die Hand schwer auf die Achsel und sagte: »Wolf Dieter, Amt und Pfründe verlassen ist oft leichter als sein Fleisch zur Ruhe zwingen, und gerade die Großdenkenden hörte ich verächtlich von meineidigen Priestern sprechen.«

Ich zitterte bei des Mannes leisen Worten; aber Wolf Dieter erwiderte ruhig: »Ei wohl, Friedrich Spee; aber da meinten die Großdenkenden sicherlich die Priester, die in ihres Fleisches Lust dahinleben, Amt und Pfründe öffentlich und Weiber und Kinder heimlich haben.«

»Solche Priester,« rief der Jesuit, »sind verworfene und ungeheure Frevler; aber auch die, die um ein ehrlich Weib zu haben, ihr Amt lassen, sind meineidig!«

Wolf Dieter streckte die Hand aus und sprach rauh: »Solange ich sehe, wie die, die du soeben verworfene und ungeheure Frevler nanntest, in allen Ehren der Welt dahinleben, solange soll es mich nicht kümmern, ein Meineidiger zu heißen! Mein Meineid soll auf die fallen, die gesunde und starke Männer zu einem unnatürlichen Gelöbnis zwingen, der Heiligen Schrift und den Gesetzen dieser Erdenwelt und ihres Schöpfers zuwider.« 137

Der Jesuit schüttelte den Kopf, und ich vermeinte einen leisen Spott aus seiner Rede zu hören, da er sprach: »Die dich, den Priester, zum Gelöbnis zwangen, die zwangen dich nicht, Priester zu werden.«

Wolf Dieter stampfte voll Zorns mit dem Fuß: »Du sprichst wahr; aber wer hat ein Recht, die zu schelten, die als blinde Knaben ein Gelübde tun, und es als sehende Männer nicht zu halten vermögen. Wer hat ein Recht, diese Männer zu schelten, wenn sie ehrlich sagen: Es war ein Irrtum! Es ist doch sonst nicht Sünde noch Schande in der Welt, einen Irrtum zu erkennen und gutzumachen, warum denn hier? Das Weib zum Manne, das ist Gottes Satzung, und die Ehe ist ein Sakrament unserer Kirche, wie kann sie da dem Priester Sünde sein! Warum ein Gezeter und Geschrei, wenn sich eine Menschensatzung als Pfuschwerk erweist, sobald sie ein Gesetz des Ewigen durchkreuzt. Und von allen Gottesgesetzen, die dieser Erde gelten, ist das stärkste, von der Liebe des Mannes zum Weibe, denn darauf ruhet der Bestand der natürlichen Welt.«

Der Jesuit lächelte fein bei meines Herzliebsten ungestümen Eifer und sprach ruhig: »Wolf Dieter, eine schwache Sache braucht starke Worte, und uns Priester weist unser Amt zuerst auf die andere, nicht auf die natürliche Welt.« Da zog mich der traute Mann fest an sich und entgegnete: »Ob unsere Sache schwach oder stark sei, das entscheiden nicht Worte, sondern das will ich mit diesem Mägdlein, so Gott will, in einem langen Leben erproben.«

Der Magister aber sagte zornig zu dem Jesuiten: »Redet nicht von einer andern und von einer natürlichen Welt, als ob jedes eine Sache für sich wäre, davon den Priestern das bessere Teil zukäme. So wenig der Knauf auf dem Dom von sich allein stehet, sondern er ruhet auf den unteren Steinen, so wenig kann ein Mensch, und wenn er ein Jesuit oder ein Domherr wäre, die ewigen Dinge erreichen, ohne daß er zuvor auf den zeitlichen sicheren Fuß gefasset hätte. Ich sag Euch, wir müssen zuerst ganze Menschen werden, ehe wir etwas anderes werden können, denn es ruhet eins auf dem andern, und es ist nicht etwas Großes, sondern etwas Lächerliches, solches zu vergessen. Ich alt Magisterlein sage Euch, 138 ehrwürdigster Vater: auch wenn es in einer Kirche kracht und knistert als von brechendem Gebälke, ist's nicht, dieweil die Hallen und Türme zu wenig in die Höhe weisen, sondern dieweil sie nicht sicher auf der Erde gegründet sind.«

Spee sahe finster herüber und entgegnete voll Härte: »Sagt das den Ketzern, nicht einem Katholiken.«

Der Magister lachte: »Ich sag's beiden, und keiner höret darauf.« Wolf Dieter nahm seinen Arm von meiner Schulter und er kehrete sich ganz gegen seinen Gefährten, da er sprach: »Sahest du jemals Gutes sprießen aus Zwang, Lüge und Unnatur? So du alles auf dieser Welt straflos knechten magst, so doch niemals die Wahrheit. Darum sage ich, Wolf Dieter von Schaumberg: Ich liebe dies Mägdlein, und es wird mir viel tausendmal leichter, mein Amt zu lassen, denn sie. Ob dies heilig ist oder unheilig, ob mein Blut, mein Hirn, mein Körper oder mein Geist aus mir reden, ich weiß es nicht und will's nicht wissen; aber ich weiß, daß ohne Renata mein Leben zerstöret wäre und mein Amt als Fluch auf mir läge.«

Der Jesuit hob seine ernsten Augen zu meinem Liebsten und erwiderte kalt: »Du bist nicht der Erste und nicht der Letzte, der seines Herzens Gelüst für die allein heilige Wahrheit und Stimme Gottes hält, und die wenigsten Rosse lieben die Zäume. Es ist aber selten einer ein Kämpfer für Freiheit und Würde, der für sein heiß Begehren keinen Zügel hat.«

Mir bebte das Herz bei solchem Wort; aber mein Herzliebster entgegnete fest: »Nicht jeder, Friedrich, da hast du recht; aber ich, Wolf Dieter, ich will es sein! So ich meines Herzens Gelüst allein hätte hören wollen, wäre mir Renatens Vater im Gefängnis genehmer gewesen denn in der Freiheit.«

Und Wolf Dieter nahm mich bei der Hand und zog mich nahe hin vor den Jesuiten, und er sprach mit zitternder Stimme: »Friedrich, du mein ältester Freund, tue, was ich dich bitte: Gib mich in dieser Stunde mit dem Mägdlein zusammen! Wenn der Tag anbricht, kann uns allen der brennende Stoß winken; ringsum ist schwere Gefahr, und der müßte ein vernunftlos Tier sein, der jetzund in meiner Lage an sündhafte Lust oder ungestüm Begehren dächte! Friedrich, siehe, wie schwer Elend und Herzeleid auf Renaten und mir lasten, und 139 glaube, daß in solchem Feuer wohl alles verzehret wird, was nicht eitel Gold ist.«

Der Jesuit schrak zusammen wie vor etwas Ungeheuerlichem und streckte seine Hände aus, als sei es zur Abwehr. Ich sahe Wolf Dieters helle Augen flehentlich an dem Manne hängen; aber da er dessen Gebärden wahrnahm, ließ er meine Hände los und fuhr fast drohend fort: »Du hast beschriebene Blätter dem Doktor gewiesen, die viel mehr eine rebellische Tat sind gegen der Kirche Satzung, denn das, was ich von dir heische, nicht um meinetwillen, sondern um eines gehetzten, verlassenen, bedrohten Mägdleins willen.«

Friedrich Spee zog die Handschrift wieder aus seinem Gewand und hielt sie Dieter hin, indes er heiser sprach: »Siehe, ich gäbe Jahre meines Lebens hin, so ich dieses dürfte in Stücke reißen und meine Tat ungeschehen machen, dieweil es nichts Treuloseres gibt, denn einen Priester, der gegen der heiligen Kirche Satzungen kämpfet. So nur mein Wohl oder das eines Freundes daran hinge, wollte ich mir lieber die Hände abhacken, als diese Schrift in die Welt gehen lassen. Aber zu viel des Martervollen habe ich gesehen, zu vieler Unseligen Jammerschreie gellen mir in den Ohren, zu viel blinden Haß und entsetzliche Blödigkeit sahe ich würgen in der Gerechtigkeit Namen. Darum muß ich den Kampf aufnehmen mit unserer großen Mutter, der heiligen Kirche. Aber, Wolf Dieter, nur in einem Stück, nur in diesem einen unseligen Stück!« Dabei schlug er in Erregung auf die beschriebenen Blätter und seine Augen blickten fast angstvoll. Mein Vater sagte mit verhaltener und trauriger Stimme dagegen: »Treulos, Herr, nanntet Ihr den Priester, der gegen der Kirche Satzungen ankämpfet. Wie nennet Ihr aber eine Kirche, die ihren eigenen Herrn und Meister nur noch dem Namen nach kennt? Die herrscht, knechtet und tyrannisiert, wo jener gedienet, befreiet und erlöset hat! Die um Macht, Rang, Reichtum und Ehren dieser Erde blutig zerret und listig buhlet, wo der Heiland sprach: Mein Reich ist nicht von dieser Welt! Und des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege. Das Kind hat seine Mutter erwürget; das Christentum ist gemordet und die Kirche dominieret.« 140

Der Magister war sehr ernst, da er sprach: »Es ist ein Geschrei, als könne kein Jesuit aus seiner Haut hinaus; aber ich kenne nun einen, der kommt niemals in die Jesuitenhaut völlig hinein. Das aber hat auch an ihm schon der schwarze Hut zustande gebracht, daß er nicht mehr zu denken vermag, wie freie Männer denken. Und es soll dies des schwarzen Hutes größtes und gefährlichstes Kunststück sein.«

Der Jesuit sahe unsicher auf und entgegnete kurz: »Frei sein heißet nicht, keinen Zaum haben.«

Lamprecht lachte: »So der alte Magister erfahren will, was frei sein heißet, so fragt er den Rat eines Fürsten, den Günstling eines Weibes oder den Diener der römischen Kirche; am liebsten aber einen Jesuiten.« Wolf Dieter nahm mich bei der Hand und sagte voll Trauer: »Sahet Ihr, Renata, wie er sich entsetzete, da ich ihn bat, uns zum Bund der Ehe zusammenzugeben? Grauet Euch nicht, Mägdlein, so Ihr noch öfters erleben müßtet, daß auch die Guten sich von uns wenden? Habet Ihr Mut für dies alles?« Ich schämte mich, vor dem Vater und den andern Männern zu sagen, daß mich die ganze Welt nicht kümmere, so nur der Liebste mir bliebe; darum wußte ich nichts zu tun, als mein Gesicht an Wolf Dieters Schulter zu bergen. Er strich mir eine lange Zeit über das Haar wie einem kleinen Kind, da ward alles in mir ruhig und getrost.

Der Jesuit stund jetzt auf und raffte sein Gewand zusammen, denn es nahete der Morgen. Er trat zu meinem Vater hin und sprach eindringlich auf ihn ein.

Ich verstand ihn nicht; doch sahe ich, daß mein Vater bleichen Gesichts seinen Kopf schüttelte und fast unwillig entgegnete: »Nein, nein, ich bleibe! Ist's nicht auch dies, daß meine Flucht, die das Kollegium der Richter dem Teufel, meinem Kumpan, zuschreibt, eine neue böse Belastung wird für das blinde Dirnlein, dem sie den Umgang mit mir als höchste Schuld anrechnen! Bedenket doch, ehrwürdiger Vater, daß ein Mann, der vermittelst Schneckenpastete und Wein fliehet, ein ungefährlicherer Genoß ist, denn einer, dem der Teufel zur Freiheit hilft. Ihr sagtet, Ihr könnet nichts tun für die 141 Unselige, und auch der Domherr ist machtlos, so lasset mich wenigstens das Letzte aufbieten, dieweil sie mir vertrauet hat.«

Der Jesuit sagte tonlos: »Es ist umsonst! Ich habe das zarte und schwache Dirnlein gesehen und habe für sie kein ander Wort gefunden denn das: ›Unglückliche, warum hast du nicht bei dem ersten Schritt über die Schwelle dich schuldig bekannt!‹ Ihr werdet nichts erreichen, Herr, mit Eurer Rückkehr, denn das, daß Wolf Dieter, Euer Kind und dieser Magister mit Euch einen Weg gehen müssen!«

Der Domherr zog seinen Mantel empor und sprach: »Doktor, mir stünde es übel an, gegen Eure Treue für die Blinde zu reden, da ich doch will und weiß, daß Euer einzig Kind auf nichts anderes bauen soll, denn auf meine Treue. So kann ich Euch nichts Besseres geloben denn dies: Wie Ihr für Ursula Beckin tut, so will ich allezeit für Renata tun: nämlich sie nicht lassen in Not und Tod, noch in Spott und Unehre, sondern bei ihr aushalten bis ans Ende.«

Da ich weinend zwischen den Männern stund, sprach mein Vater hart und fast heiser: »Herr, nehmet mein Kind; sie sei Euer! Kehret dieser verruchten Stadt den Rücken in aller Eile. So Ihr nach solchem Wort des Vaters noch eines Pfaffen Segen braucht, sucht ihn da, wo Ihr nicht blutige Henker unter den Soutanen treffet.«

Der alte Lamprecht rief mit blitzenden Augen: »Sucht nicht, sucht nicht, Wolf Dieter von Schaumberg! Es ist umsonst, oder suchet wenigstens weit weg vom Hochstift, denn dafür trifft zu, was Hosea spricht: Gilead ist eine Stadt voll Abgötterei und Blutschuld. Und die Priester samt ihren Haufen sind wie die Räuber, so da lauern auf die Leute, und würgen auf dem Wege, der gen Sichem gehet; denn sie tun, was sie wollen.« Der Domherr schaute fest in des Magisters erregt Antlitz und erwiderte langsam: »Ich würde mich selbst verachten, so ich nicht suchte, und ich würde mein bisherig Leben verfluchen, so ich nicht fände!« Dann kehrete er sich zu meinem Vater und fuhr fort: »Der Morgen ist nahe, wir müssen eilen. Noch ist Eure Rückkehr nicht ruchbar geworden, und der kommende Tag gehöret noch uns.«

Der Jesuit aber stieß den Fensterladen halb auf und man 142 sahe die Nacht einem fahlen Grau weichen. »Es ist zu spät, Wolf Dieter,« sprach er leise, »dein Kleid und der Tag sind wider dich.«

Der Domherr schaute hinaus mit hellem Blick und erwiderte: »Du sagst es; doch kann ich warten. Wenn wieder ein Tag aufgehet, muß er für mich sein, und auch mein Kleid soll mich nicht hemmen. Bis dahin mag Gott mein Mägdlein behüten.«

Der Magister streichelte des Hundes Kopf und sagte laut: »Wie ist es doch gut und heilsam, daß im letzten Mond der entwichene Stolzenberger ist eingefangen und zusamt seinem achtlosen Wächter verbrannt worden. Ich achte, dieserhalb wird der Pastetenfresser dem hohen Tribunal erst tunlich spät vermelden, daß der schwarze Doktor ausgekniffen ist. Besser ist besser, ob auch alle Schuld offenkundig dem leidigen Teufel zusteht.«

Der Domherr lächelte und erwiderte: »Darauf wollen wir vertrauen bis zur nächsten Nacht, und derselbige leidige Teufel wird indessen nicht müßig sein.« Danach gingen die beiden Priester und der Magister verrammelte die Tür. Alsdann stieg er hinauf in seine Behausung und rief nach Samuel, als hätte er Eile.



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