Auguste Supper
Der schwarze Doktor
Auguste Supper

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8. Kapitel.

Mein Vater schwieg jetzt und ich hörete sein lautes Atmen. Mich quälete es, das weitere zu vernehmen, und ich fragte voll Bangens: »Und dann?« Da blickte er auf und sagte hastig: »Dann spie mir der Bischof ins Gesicht und stieß mich von sich weg und sprach einen Bannspruch wider den Teufel und die bösen Geister. Er nannte mich einen Sohn des Erzschelmen, einen Lügner, einen Verlorenen und Verdammten. Darnach wurde er ganz still, lehnte sich wider das Fensterkreuz und schluchzete. Und wieder danach packte er mich in wildem Zorn an meinem Amtskleide, das ich am Feste trug, riß es mir vom Leibe und streute die Fetzen auf die Menge hinab. Ich weiß nicht, wie ich in jener Nacht nach Hause kam; ich weiß nur, daß ich laut lachte und nichts zu denken vermochte, da ich aus dem Gemach schritt.

Am anderen Tag war ein böser Tumult im Spital. Als 59 ich hinüberkam, waren auf des Bischofs Befehl sämtliche lutherischen Kranken ausgewiesen worden, und es war ein groß Elend, denn wir hatten viele zugewanderte und Würzburger Lutheraner gehabt.

Ich mußte mich am Türpfosten halten vor Jammer, daß solcher Fleck auf mein Idol sollte gefallen sein, und es war mir, als seien nun auch seine Fehler meine Schuld.

Ich getrauete mich nicht heim zu meinem Weib, sondern irrete in der Stadt umher, und auf einmal fiel mir Hans Bütthard ein, mein ehemaliger Genoß, den ich nun mit mir ins Verderben gezogen und von dem ich lange nichts mehr vernommen hatte. Ich suchte ihn auf, er wohnete dazumal bei St. Agneten gegen die Hauben und war einer der ersten Juristen der Stadt, der auf des Bischofs Befehl die neue Centgerichtsordnung verfasset hatte. Ich traf ihn zu Hause und berichtete ihm ohne Umschweife, weshalb ich gekommen.

Er sagte voll Verachtung: ›Meineidiger und Schwächling! Ich habe es kommen sehen und bin längst salvieret. Hier in diesem Schrein liegt seit drei Jahren mein Taufzeugnis, vom Domkapitularen von Ehrenberg ausgestellt.‹

Ich sagte höhnend: ›So warst du nicht umsonst der Saufgenoß derer vom Jesuitenkollegium!‹

Er aber sprach in einer Entrüstung, die mich fast lachen machte: ›Wahret Eure giftige Zunge, Doktor Burkhard! Ich bin wirklich und wahrhaftig und aus reiner Überzeugung zur allein seligmachenden Kirche übergetreten, und der hochehrwürdige Herr hat mich in der Marienkapelle vor Zeugen getauft aus keinen anderen, denn reinen und inneren Gründen, wie er auch Euch oder jeden taufen würde, der wahrhaftig und mit wahrem Glauben danach verlangete.‹

Mein Haß quoll in mir über und ich schrie dem Heuchler zu: ›An deines Hochehrwürdigen reinen und inneren Gründen ist mir mein Knabe gestorben, und ich wollt eher auf meiner Seele Seeligkeit verzichten, denn von jener Hand getauft sein! Dir aber, Hans Bütthard, dir wünsch ich das Glück, das deinesgleichen gebührt!‹

Der einstige Genoß trat ganz nah an mich heran, und aus seinem pockennarbigen Gesicht blitzten die kleinen Augen 60 voll giftigen Hohnes hervor, als er sagte: ›Römisch Recht und römischer Glaube, Doktor Burkhard, das ist mein Motto! Denkt daran, wie des Rektors Buch Euch an den harten Kopf flog, dazumal, da Ihr wissen wolltet, ob römisch Recht in deutschen Landen nötig sei! Ich sag Euch aber: so Ihr das gleiche vom römischen Glauben fragt, wird es Euch noch mehr Blut und bösere Schrammen kosten, denn dazumal! Und nun geht, Ihr seid ein Mensch, der nichts gelernt hat und nichts lernen wird!‹

Da ging ich denn von dannen und mußte lachen, daß ich mich um diesen Mann gesorget hatte.

Am Nachmittag, als ich an meines Weibes Bette saß, kam der lange Rupprecht und entbot mich in den Rötelsenhof. Ich ging allsofort zum Bischof und ward in dasselbige Gemach geführt, wie gestern. Am Boden, nahe am Fenster, lag noch ein Fetzen des zerrissenen Kleides. Julius saß in einem Stuhl aus Rohrgeflecht und lehnte sein Haupt zurück wie ein müder, alter Mann. Sein Gesicht schien mir fahl und krank, sein Haar grauer denn zuvor und seine Gestalt fast zerfallen.

Nachdem ich eingetreten war, schaute er auf, und schnell spannten sich seine Züge und seine Augen blickten schärfer. Er stand auf und trat wieder ans Fenster und begann, ohne mich anzusehen, mit einer harten Stimme: ›Daß Ihr mich seit Jahren also betrogen und hintergangen habt, wäre wohl einer härteren Strafe wert, denn ich sie Euch zugedacht habe. Ich lege Euch auf, Euer Geheimnis auch fürder zu bewahren, so wie Ihr es bisher bewahret habt. Doch nicht länger dürft Ihr das Amt versehen, das Euch befohlen war. Ihr möget im Hochstift oder auch in der Stadt wohnen bleiben, doch keinen Fuß sollt Ihr mehr in mein Spital setzen, daß nicht ein Betrüger es fürder schände!‹

Ich fuhr auf in Zorn und Schmerz: ›So sagen Euer Gnaden doch, wann und wie ich in meinem Amte im Spital betrogen! Etwan, da ich Tage und Nächte lang Wunden verband, Schmerzen heilete, ekele Schäden entfernte und Fiebersgluten bezwang? Oder etwan, da ich den Geheilten von meinem Geld, von meiner Speise, von meinem Trank mit auf den Weg gab? Oder etwan, da ich mit Schweiß und herber Mühe Eure 61 Bücherei durchforschete, neues zu lernen, den Siechen zum Heile?‹

So sprach ich, und immer heißer quoll in mir tiefe Bitterkeit hervor, daß ich fortfuhr: ›Gewandelt, Herr, gelebet habe ich untadelig, wer will mir's streiten? Dem Gott der Wahrheit habe ich wohl ins Angesicht geschlagen, aber an Menschen habe ich nicht gesündigt, denn nur ich selbst war gemartert! Wenn ein Baum aber Feigen trägt, sollt Ihr ihn keinen Dornenstrauch schelten, sondern an den Früchten sollt Ihr ihn erkennen!‹

Da sahe mich der Bischof an mit blitzenden Augen und er schrie noch lauter denn ich: ›Ja, an den Früchten erkennen wir sie, die scheußlichen Ketzer, die Abtrünnigen, die Undankbaren! Was hat Eure Lehre bis heut gestiftet? Zank, Haß, Zwiespalt allerorten! Eine Freiheit denen, die ein Gängelband brauchen, so daß sie jetzt gleiten und fallen und andere mit sich reißen! Die Mauern eines sicheren Stalles hat sie eingerissen und die Schafe gehen in der Irre; die Zügel hat sie abgenommen den ungebändigten Rossen; ein Loch hat sie gegraben durch mächtige Schutzdämme und kann jetzt den Wassern nicht wehren! Wie möget Ihr doch Pfeile verschießen, die sich gegen Euch selber zurückwenden! Hat Euch etwa Eure Lehre bewahret vor einer Lüge gegen Euer Weib, gegen mich, gegen Hunderte? Macht sie nicht Eure Obersten zu Zänkern, Euer Volk zu Spöttern? Hat sie nicht, wo es vielleicht ein Unkräutlein zu jäten gab, eines schattigen Baumes Wurzel angefressen? Ja, ja, an den Früchten erkennen wir sie! Fluch den Ketzern, Fluch den Abtrünnigen!‹

Auf des Bischofs Lippen stund Schaum, seine Fäuste balleten sich, seine Augen sprüheten und seine hohe Gestalt wankte vor Zorn.

Da er so gar nicht mehr dem hoheitsvollen, gehaltenen Manne glich, den ich wie meinen Abgott verehret hatte, hielt auch mich keine Scheu mehr; ich reckte mich auf und trat ihm näher: ›Was wisset Ihr, einer siechen Kirche blind Werkzeug, von meiner Lehre! Was habe ich davon gewußt bis dahin, da mich ein entsetzlich Leid hinzwang an der Wahrheit Quelle! Wie könnet Ihr schelten über das, was Ihr schon deshalb nicht 62 kennet, weil Euch der Haß die Binde vor die Augen leget, daß Ihr nur nebelhaft Gebilde sehet! Ja, ich sage Euch, Bischof, ich, ein leidgewohnter und geprüfter Mann: Sie reißet wohl Mauern nieder, die neue Lehre von dem Gott, zu dem man ohne Pfaffen kommen darf; aber nicht Mauern, erbauet zu Frieden und Schutz, sondern zur elendesten Sklaverei! Und so viele die neue Freiheit mißbrauchen, so leben doch die anderen in ihr auf zur Würde der Kinder Gottes, wie sie es nimmermehr hinter den Mauern vermochten. Ja, Bischof, unerträgliche Lasten nimmt sie ab von gequälten, gemarterten, geknechteten Herzen, Dämme zerstöret sie, welche die lebendigen Wasser allzulang fern hielten von einem lechzenden und halbverdorreten Land. Und so die Wasser vielleicht zu stürmisch kamen, oder so nicht jeder des Zaumes entbehren kann – – wer wollte darum die neue Lehre schelten!

Saget mir nicht, Herr, daß zuvor die Welt stiller war und des Zwistes weniger – – sobald der Sauerteig hineinkommt, wird der ganze Teig durchsäuert und beginnt zu gären, und ist niemand, der darob den Sauerteig schelten würde, und nicht der Frieden ist die Hauptsache, sondern das Recht und die Wahrheit, denn auch Jesus Christus hat auf dieser Erde einen Tag geschaut, da er seine Jünger hieß ein Schwert kaufen.‹

Der Bischof trat zurück und lachte auf voll Verachtung: ›Es stehet Euch gut an, so zu reden für Eure Ketzerei, nachdem Ihr seit langen Jahren Euch ängstlich gehütet habt, sie zu bekennen. Worte sind die Taten des Feiglings.‹

Dies ungerecht, hart und unedel Wort des zornmütigen Bischofs nahm mir den letzten Zaum ab. Ich hob die Rechte in wildem Zorn und schrie ihm noch zu: ›Ihr wisset nicht, was Ihr redet! Laßt mich nun martern, ihr Ketzerfresser, laßt mich foltern, laßt mich brennen; noch ist's nicht zu spät, noch habt Ihr den Feigling in Eurer harten Hand, die heute früh die lutherischen Kranken aus den Betten trieb. Wann habe ich Euch leere Worte gegeben, Bischof? Habe ich nicht anderes vor Euch aufzuweisen? Nicht herandrängen wollte ich mich, nein, Euch mein Bestes darbieten und wirken ohne Unterlaß unter Euern Augen; und jetzt, jetzt, jetzt erst war ich der Narr, der 63 in unsinnigen Reden auch das noch anbot, was er in maßlosem Leiden gelernt und errungen hat. Heute erst kam Euch der Feigling mit Worten, dieweil es ihm schien, daß sie die Blüte seien von allem, was er Euch zu geben hatte, und nun stoßet Ihr alles mit dem Fuße weg, das von heute zusamt dem andern! – Wohlan, so will ich meine Feigheit heut noch gutmachen, und will es hinausschreien: Ich bin ein Lutheraner, mehr als alle Ketzer der heiligen Stadt Würzburg zusammen! Und ich will jauchzen dazu, Bischof, jauchzen, daß die Fessel gefallen!‹

Danach, als ich dies fast gellend geschrien, stund der Fürst lange reglos vor mir und sah mich an, als wolle er mich durchbohren. Er mochte wohl merken, daß die Saiten nun straff zum Zerreißen seien, denn mein ganzer Leib bebte vor Erbitterung und Schmerz, also, daß ich mich festhielt am Gesimse.

Plötzlich ließ sich der Bischof schwer in seinen Stuhl fallen, auch wich die Zornesröte aus seinem Gesicht und er sagte ruhig, fast leis: ›Es bleibt bei meinem Spruch, Dr. Johann Friedrich Burkhard! Ihr schweiget fürder und geht vom Amt!‹

Wie Julius so ruhig zu mir sprach, legte sich auch mein wallend Blut, und ich begann: ›Ich danke Euer Gnaden für das Urteil, damit Ihr meinet, mir Milde zu erweisen; doch habe ich solches nicht gewollt, noch werd ich's annehmen. Die Fessel liegt am Boden und soll sich nie wieder um mich legen!‹

Da streckte der Bischof seine Hand gegen mich aus, und in seiner Stimme klang es wieder grollend. ›Wer sagt, daß ich mild sein will, so ich Euch fürder heiße, den Fluch tragen, der auf und in der Lüge liegt! Für Euer Weib müßt Ihr's tun und für Euer Kind!‹

Ich aber wehrete ab voll Grauen und sprach: ›Niemals, Euer Gnaden!‹

Der Bischof stund wieder auf, stampfte mit dem Fuß auf den Boden und sprach: ›Nun denn, nicht für Euer Weib und Kind heisch ich von Euch Gehorsam, sondern für mich! Es soll keiner lachen über Julius von Mespelbrun, der 91 lutherische Pfarrer aus seinen Landen vertrieben, und sich dafür an seiner liebsten Stiftung einen lutherischen Spitalmeister 64 gehalten hat; und es soll auch nicht von ihm heißen, er habe einem, der sich jahrelang aufrieb im Dienste der Elendesten, mit Hetzern, Schreiern und Empörern zusammengeworfen.‹

Dieweil ich nicht entgegnete in übergroßer Bitterkeit, trat der Bischof mir noch näher und über seine Stirne lief ein heißes Rot: ›Und noch eines, Doktor. Ich weiß genau, wenn es heut im Hochstift heißt: Der Spitalmeister am Judenkirchhof ist ein Ketzer, so schadet dies mehr, denn wenn fünfzig Eurer zänkischen Pfarrer ihre Weisheit von den Kanzeln schreien. Ja, ich will's, ich muß es Euch zugestehen: für Euch spricht Euer Leben; aber Bischof Julius sagt es: Euer Leben lebtet Ihr nicht dank Eurer Lehre, sondern trotz Eurer Lehre! Jedoch mancher möchte solches nicht glauben oder verstehen zum Schaden der heiligen Kirche.‹

Ich wollte entgegnen, aber er fuhr hastig und zornig fort: ›Es ist, wie ich sage, Doktor! Und so Ihr anders behauptet, so nennt Ihr mich einen Schuft, denn ich hätte dann verfolgt und gehaßt, was keinen Haß verdiente. Darum befehl ich Euch, nein, darum bitt ich Euch: Schweigt fürder und geht vom Amt! Tut es für Euern Bischof!‹

Wie Julius also zu mir sprach, ging es mir durch den Sinn, daß in solchem Fall der Wittenberger Professor, der über Christi Erlösungswerk so tiefsinnig schrieb, wahrscheinlich den Kopf geschüttelt und gesagt hätte: ›Nein, Bischof, das ist kein Abkommen! Ich will den Leuten jetzt zeigen, was ein Ketzer leidet für seinen Glauben.‹

Bei diesem Gedanken lag auf einmal der Weg breit vor mir. Ich sahe dem Fürsten, der fast ängstlich zu mir herblickte, in die hellen Augen und sprach: ›So nehme ich sie denn wieder auf, die Fessel, wie Ihr mich bittet. Doch soll Euer Gnaden von heute an glauben, daß ich nicht trotz meiner Lehre, sondern daß ich nach meiner Lehre und aus meiner Lehre tue, was ich tue, und lebe wie ich lebe. Dies sei meine Rechtfertigung vor Euch!‹

Da schaute der Bischof seitwärts durchs Fenster, durch welches des Abends Röte breit hereinflutete, und er nickte nach einer langen Zeit mit dem Kopf und winkete mir, zu gehen.

Mit einem übervollen Herzen trat ich hinaus; doch wandte 65 ich mich nicht heimwärts, sondern ich ging bis in die Nacht hinein am Main entlang und scheuete mich, einen Menschen zu sehen oder zu hören.

Wie ich danach gegen die Wallgasse kam, sah ich den Kapitularen Ehrenberg aus meinem Hause treten und der lange Rupprecht ging vor ihm her und trug ihm die Leuchte, und ich wußte allsofort, daß ich verraten war.

Ich ging in die Kammer, wo deine Mutter lag, und fand sie daliegen mit großen, entsetzten Augen und schneeweißem Gesicht. Als sie mich gewahrte, stieß sie einen gellenden Schrei aus und verfiel darauf in einen bösen Krampf, der vom Herzen ausging. Mit heißer Mühe brachte ich sie wieder zurecht, doch fing sie danach ein maßloses Weinen an.

Ich stund ratlos an ihrem Bette, da begannst du in deiner Wiege zu wimmern. Alsbald richtete sie sich auf und riß dich an sich, und wie du an ihrer Brust lagest, ward sie plötzlich ruhig. Wie von schwerem Traum erwacht, sah sie mich an und fragte: ›Nicht wahr, mein Johann, du bist kein Ketzer, er hat mich nur prüfen wollen?‹ Es befiel mich fast ein Lächeln über die schnelle und kurze Art, wie ich meine Fessel wieder aufnehmen und das dem Bischof gegebene Wort einlösen mußte. Deiner Mutter Kopf nahm ich in meine beiden Hände und indes ich ihr in die angsterfüllten Augen sahe, sprach ich: ›Du und ich, meine Isabel, wir sind Kinder eines Vaters, und so uns doch die gleiche Sehnsucht zu ihm ziehet, so ist's gewißlich, daß wir auch beide bei ihm anlangen.‹ Da hob mein Weib das Kindlein von der Brust und hielt mir's hin mit nassen Augen, und sie sprach leis und glücklich: ›Du, Johann, und ich, und dieses da!‹ Wie ich sie also sahe, vertrauend und ohne Arg, kniete ich hin an ihrem Lager und verbarg meinen Kopf in herber Qual. In derselbigen Nacht schlief mein Weib ruhig und fest, es kam ihr nicht in den Sinn, daß meine Worte seien eine Ausflucht gewesen, denn der frommen Katholikin war es ein Unding, daß, wer zu Gott hinstrebte, könnte eines andern denn katholischen Glaubens sein.

Ich aber lag wach neben ihr, und es war die einzige Linderung für mein Elend, daß ich mir zurief: ›Trag es weiter um ihretwillen und um des Bischofs willen!‹ 66

Des andern Tages, in aller Frühe, da noch die Riegel am Haustor verschlossen waren, klopfte es ungestüm. Ich vermeinte, daß ein Kranker Hilfe heischte, und eilte selbst, zu öffnen.

Aber das Blut stieg mir ins Hirn, wie ich den langen Rupprecht außen stehen sahe, den elenden Horcher. Er starrete mich eine kleine Zeit an mit seinen unruhigen Augen, dann begann er: ›Se. Hochwürden, der Domkapitular von Ehrenberg, senden mich, zu sagen, daß es an der Zeit wäre, daß das jüngst geborene Kind in den heiligen Taufbund aufgenommen werde.‹ Schon wollte mich der Zorn überkommen über solch aufdringlich Gebaren, jedoch des Burschen höhnisch Gesicht gab mir meine Ruhe wieder. Ich sprach: ›Ich bitte Se. Hochehrwürden, die heilige Handlung heut vornehmen zu lassen.‹

Der Knecht sah mich eine Weile verwundert an und entgegnete: ›Seine Hochehrwürden werden sie, wie das erstemal, selbst vornehmen.‹ Ich schlug die Tür zu und ließ den Frechen stehen.

Am selbigen Tage wardst du getauft auf die Namen Renata Isabel. Es war eine stille und gedrückte Feier, und ich biß auf meine Zähne, als ich den verhaßten Priester sahe vor meinem Kind stehen; doch duldete ich auch dies um meines Weibes willen.

Wie die nächste Zeit hinging, weiß ich nicht. Es waren böse Tage, die ich verlebte in der Angst um deine Mutter, die sich nicht erholen wollte, und in aufgezwungenem Müßiggang. Ich sahe oft zum Spital hinüber, und das Herz zog sich mir zusammen in Bitterkeit, Schmerz und Scham. Mehr denn sonst lief ich in der Stadt umher und sahe nach den Kranken, und als ich einmal über den Domplatz schritt, begegnete mir Bütthard, und ich mußte lachen, wie er mir weit aus dem Weg bog und nicht herübersah.

Im September starb dein Großvater, der Messerschmied Ochsenhausen. Ich scheuete mich, es deiner Mutter kund zu tun, denn ich wußte, daß danach wieder ein Herzkrampf kommen würde; auch verbot ich der Frankenres, es der Kranken zu sagen.

Wie ich heimkam von dem Begräbnis des wackeren Männleins, fand ich Isabel in heißen Tränen, sie hatte dich auf 67 ihrem Bette liegen und sagte schluchzend: ›Nun sind wir ganz verlassen, du unselig Kindlein!‹ Ich eilete zu ihr hin, doch streckte sie die Hände abwehrend vor und rief: ›Laß mich, laß mich!‹

Ich ging hinaus und die Frankenres sagte mir, daß der Kapitular dagewesen sei, daß er alle Tage komme, und daß er die Trauerbotschaft der Kranken selbst mitgeteilt habe.

In der Nacht darauf wiederholte sich denn auch der Herzkrampf. Sie litt schwere Qualen, wollte aber dennoch reden. Wie sie dalag mit dem schmerzgekrümmten Leib, sahe ich wohl, daß sie dahingehen müsse.

Unten an ihr Bette stellete ich mich, und nun zwang endlich der Tod die lange Lüge nieder, denn der Tod ist die Wahrheit.

Wie sie still lag in völliger Erschöpfung, hub ich an zu sprechen; und so mir schon der Schweiß auf die Stirn trat, sagte ich doch alles, denn ich wußte, daß es eilete.

Deine Mutter konnte nichts sprechen; aber einmal hub sie die müde Hand zum Kreuzeszeichen. Wohl kam mich das Erbarmen an mit diesem Weib, das ein Leben voll so tiefer, blinder, bigotter Frömmigkeit geführet und in der Todesstunde nun erfuhr, daß sie Leib und Seel dahingegeben hatte an einen Ketzer; aber ich konnte nicht innehalten; denn ich wollte frei werden, jetzt, da sie hinübergehen durfte zur Freiheit. Auch war eine sehnsüchtige Gier in mir, aus ihren Augen zum Schluß noch zu lesen, daß nichts uns trennen könne, selbst dies Bekenntnis nicht.

Als ich geendet hatte, blickte sie starr auf das Kruzifix an der Wand: ich aber stund und wartete wie ein Verdammter auf meinen Losspruch. In meinem Herzen war es ein völliger Wahn, daß, so mir dies Weib nicht vergebe, ich auch ewiglich ein Verdammter sei und mein Leben zusamt meinem Glauben verloren, verpfuscht und ohne Sinn.

Lang blieb sie stumm und starr. Zuletzt verlangte sie nach ihrem Beichtvater.

Ich ging selbst, den gehaßten Mann zu holen, und war kein Gedanke in mir, denn nur der: Wie wird sie hinübergehen? 68

Der Priester ging hinein an meines Weibes Lager, indes ich außen stehen mußte.

Da kam es über mich, wie ich dies Weib geliebt, und ich legte den Kopf an den Pfosten der Tür und würgte an einem bitteren Schluchzen.

Auf einmal hörete ich deine Mutter meinen Namen rufen. Ich eilte an ihr Bett, des Priesters nicht achtend.

Ihr schneebleich Gesicht mit den übergroßen Augen lächelte mir zu in leuchtender Schönheit, ihr aufgelöst Haar, das Wunder der Stadt Würzburg, floß über die Kissen bis auf den Boden. Ich kniete hin und drückte ihren Kopf an mich in verzweifeltem Schmerz, und ich bedeckte ihren bleichen Mund mit Küssen und meine Tränen badeten ihr Gesicht.

Der Priester, dessen ich ganz vergessen, stund auf. Ich sahe sein Gesicht verzerrt und blaß, indes er rief: ›Lasset, Ihr gottvergessener Betrüger, dies Weib in Frieden sterben! Und Ihr, Isabel Ochsenhausin, erwehret Euch des Ketzers!‹

Aber deiner Mutter Arme löseten sich nicht von meinem Hals. Inniger schmiegte sie sich an mich an, als suche sie Hilfe bei mir.

Da kehrte sich der Kapitular zur Tür und sprach voll Zornes: ›So sterbet denn ohne den Trost der heiligen Kirche, Isabel Ochsenhausin, aber Euer Verführer möge sich hüten!‹

Des Wütenden Beschimpfung und Drohung glitt an mir ab; auch deine Mutter zuckte nicht, sondern ließ noch lange ihren müden Kopf an meiner Schulter ruhen, als schon der Priester gegangen war.

Gegen den Morgen kam ein neuer Krampf, doch war er schnell vorüber, dann verlangte sie nach dir. Ich legte dich in ihren Arm, und sie weinte laut, indes sie das Zeichen des Kreuzes vielmal über dich machte. Ich verstand sie und tat das Letzte, das Schwerste, das mir zu tun blieb für das gemarterte und betrogene Weib: ich ergriff ihre Hand und sagte: ›Es soll in deinem Glauben aufwachsen, meine Isabel!‹ Da schlossen sich ihre Finger fest um meine Rechte, sie nickte mir zu und ließ mich nicht los bis zuletzt. Nach einem Priester verlangte sie nicht mehr. Ich aber stund und faltete meine Hände über mein einzig Kind, und es schrie in meinem Herzen: 69 ›Herr, Herr, hilf ihm und mir zur Freiheit und zur Wahrheit, ich kann nicht mehr und hab den Weg verloren.‹

Eine Woche danach zog ich aus dem Haus in der Wallgasse hinaus. Das öde Stück Land auf dem Käppelesberg mit dem Häuslein darauf hatte deiner Mutter Vater hinterlassen. Er war oft im Sommer einige Wochen dort oben gewesen, wenn ihm die Luft in den engen Gassen zu dick und staubig für seine kranken Lungen geworden war.

Dort hinauf zog ich, denn ich hatte ein Verlangen, die Türme und Dächer der Stadt, darin ich so glücklich und so elend gewesen war, sehen zu können; auch wollte ich dem Bischof Julius nicht aus den Augen entschwinden; es war dies wie ein trotziger Stolz in mir.

Lange Zeit lebte ich in Angst, der Ehrenberg, der immer mehr für den größesten Eiferer im Kapitel galt, möchte seine Drohung an mir wahr machen, und mich bangte zumeist, man könnte dich mir entreißen; doch war es wohl des Bischofs starke Hand, die mich im stillen schützte, und ein anderes, das ich erst später begriff. Wie wir danach lebten, Renata, und wie ich mich mühete, zu halten, was ich deiner Mutter versprochen, das weißt du selbst. Leicht war es nicht, und oft sank mir der Mut, und ist kein mühseliger Ding auf Erden, denn lehren mit widerstrebendem Herzen und ohne Freudigkeit.«

Mein Vater schwieg jetzt eine gute Zeit still, und mir stieg herbe Scham im Herzen auf, daß ich so gleichgültig und flatterhaft gelernet, wo er mit so heißem Mühen und vielem Kampf gelehret hatte.

Dann hub er wieder an: »Am eilften Tage im September des Jahres 1617, zwei Tage nach der Doppelhochzeit der Bruderskinder des Bischofs, die mit großem Gepränge und vielen Festspielen gefeiert ward, klopfte es am späten Abend noch an den Laden meiner Kammer. Als ich öffnete, sahe ich den langen Rupprecht außen stehen im hellen Mondlicht. Ich fuhr ihn barsch an, was er begehre; da sagte er, Se. Gnaden der Bischof sei schwer erkrankt und lasse mich zu sich entbieten.

Bei solcher Botschaft besann ich mich nicht lange, sondern eilte mit dem Knecht dem Marienberg zu. 70

Unterwegs fragte ich, welcher Art des Bischofs Krankheit wäre. Der Mensch verzog sein widerlich Gesicht zu einem Lächeln, indes er sagte: ›Se. Gnaden haben sich bei den Festmählern der letzten Tage den Magen überladen mit Melonen und Spickaal.‹ Ich hätte mögen dem Langen in sein frech Gesicht schlagen für diese Antwort.

Auf dem Schloß fand ich ein ängstlich Gelaufe und aufgeregt Treiben. Ich ließ mich ohne Aufenthalt zum kranken Bischof führen. Er lag in demselben Gemach, darin Bütthard und ich uns dazumal nach dem Brande die Hände gewaschen und zum erstenmal unseren lutherischen Glauben weggeleugnet hatten.

Da ich eintrat, erkannte mich der Fürst nicht, denn es war ein schwach Licht in dem Raum, auch stund der Domdechant Konrad von Thüngen und die beiden Domherren Ehrhard von Lichtenstein und Wolf Adolf von der Than ganz nahe am Lager. Die Männer wandten sich mir zu mit bleichen, verstörten Gesichtern, die nicht aufgehellt wurden, als sie mich erblickten, denn es ist nicht die Art hoher Herren, für einen gefallenen Günstling, wofür ich beim Domkapitel galt, Freundschaft übrig zu haben.

Der dicke Konrad von Thüngen, dem ich früher oft beigestanden, wenn seine Atemnot überhand nahm, trat mir entgegen, als wollte er mich wieder aus der Tür weisen, doch sagte jetzt der Bischof: ›Ist es Burkhard? Er soll sich noch eine kleine Zeit gedulden!‹ Es schnitt mir der Klang dieser Stimme ins Herz, und ich trat abseits an das Fenster. Ich hörete, wie der Fürst den Herren alle seine weltlichen und Regierungsangelegenheiten übergab, indem er nunmehr bloß mit Gott sich beschäftigen wolle. Es währete lang, bis er aufhörete zu sprechen; die Domglocke in der Stadt drunten schlug Mitternacht, als die Herren endlich zur Tür hinausgingen, ohne daß mich einer gegrüßt hätte.

Das Licht flackerte düster im Gemach und der Bischof lag erschöpft auf seinem Lager; es hatte ihn das viele Sprechen hart angefaßt. Ich hielt mich ruhig in meiner Fensterecke, wähnend, der alte Mann habe meiner vergessen oder sei in Schlaf verfallen. 71

Nach einer kleinen Zeit richtete er sich halb auf und rief mich zu sich. Ich konnte nicht reden, denn der Anblick des Mannes störete so vieles wieder in mir auf, was in den langen, einsamen Jahren auf dem Käppelesberg nach und nach eingeschlafen war; auch ward es mir ganz wehe, wie ich den greisen Fürsten mit allen Zeichen des baldigen Endes so liegen sahe. Des Bischofs Augen wichen nicht von mir, als wolle er mich durch und durch schauen. Endlich begann er leis zu reden: ›Burkhard, ich hab Euch rufen lassen, dieweil ich Euch etwas schuldig bin.‹ – Danach schwieg er und wartete auf meine Rede. Doch mochte ich nicht antworten, denn es wollte sich mir mit aller Gewalt ein bitteres ›Ja‹ auf die Lippen drängen.

Wieder begann er: ›Ich will nicht sterben, ohne daß ich zuvor meine Schulden in dieser Welt nach meinem Vermögen bezahlt hätte.‹

Ich blieb immer noch stumm, da winkte er mich näher, legte sich zurück auf seine Kissen und sprach: ›Ich habe in meinem Leben, das nun mehr denn 74  Jahre währet, und davon ich 44 Jahre im Amt eines Bischofs von Würzburg stund, manches getan, darüber mich nachher, so ich mit mir zu Rat ging, die Reue geplagt hat. Doch so ich danach meinen Fehler nach Kräften gebessert hatte, bin ich wieder zur Ruh kommen.

Aber nun, Doktor, quälet mich eine Reue an die zehn Jahre, und ich fand keinen Weg, es zu ändern. Ich hab' einem Mann, der sich aufrieb im Dienste meiner Siechen, einem Mann, dessen abgezehrter, frühgealterter Leib von rastloser Arbeit und schweren, ehrlichen Kämpfen sprach, ins Angesicht gespien und hab ihn einen Betrüger gescholten.‹

Ich hielt den Atem an, Renata, bei des Bischofs Worten, denn mir erzitterte wieder mein Innerstes beim Gedenken an damals; doch näherte ich mich nicht, sprach auch nichts, da der Bischof eine Pause machte. Dann fuhr er lauter fort: ›Ich habe auch jenen Mann seines Amtes entsetzt und ihn verurteilt, sein Joch weiter zu schleppen; doch reuet mich solches nicht, denn dies war der einzige Weg, zu hindern, daß der Arzt meiner Siechen selbst eine bösere Seuche denn die, die er bekämpfte, in meine Stadt trage.‹ 72

Ich konnte mich nicht enthalten, zu sagen: ›Ihr irret, Euer Gnaden: jener Mann wollte nicht ein Siechtum bringen, sondern eins heilen, nachdem er in vielen Leiden ein kräftig Körnlein dawider gefunden.‹

Doch der Bischof lächelte und wehrete ab: ›Es pfuschen und kurieren in dieser Zeit gar viele. Und ist immer das letzte Übel ärger denn das erste. Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Es ist nicht gut, Doktor, wenn Ihr Lanzetten und Messer, die in eines Arztes Hände gehören, in Kinderfinger gebt. Gleich also ist es auch nichts, wenn an das, was wirklich ein Gebresten ist an und in unserer heiligen Kirche, unberufene Hände herantasten. Ja, Doktor, auch ich, der alte, sterbende Bischof, gebe es zu: Gebresten sind da; aber die zankenden, streitenden, zerfahrenen Protestanten Eurer Schulen und Kanzeln sind nimmermehr die berufenen Ärzte. Auch Ihr wäret keiner gewesen, selbst wenn Euch kein Zwang gehalten hätte, denn Ihr rechnet mit den Menschen, als wären sie alle Euresgleichen.‹

Der Bischof mochte merken, daß ich ihn erstaunt ansahe, denn er lächelte und nickte: ›Ja, Doktor; ich habe in den langen Jahren viel nachgedacht über Euch und Euer Gebaren, und es ist mir oft, als hätte ich Euch in der Zeit, da ich Euch nicht sah, besser kennen gelernt, denn da Ihr fast täglich um mich waret. Und nun glaubet dem alten Mann, mit dem es zum Sterben geht: Es freuet mich, daß ich so manchen, der an unserer heiligen Kirche herumkurierte, und wäre es auch im besten Glauben gewesen, hinausgewiesen habe zum Hochstift. Ein Gärtner schneidet jeden Schoß ab, der ihm seinen Baum verunstalten will, so er gleich nicht weiß, ob der Schoß nicht später Früchte getragen hätte.‹

Ich sprach bitter: ›So will ich Euer Gnaden gern bezeugen, daß des Baumes Gestalt unter Julius von Mespelbrunn trefflich gewahrt blieb, ob ich gleich nicht weiß, wieviel Früchte ihm verloren gingen.‹

Der Bischof stützte sich schnell auf seinen Arm; er sahe mich scharf an und sprach laut, als habe er seine Krankheit vergessen: ›Mehr will ich nicht, Doktor, als daß man solches 73 vom Bischof Julius sagen soll. Es ist ein Richter, der in die Herzen siehet, der mag den guten Glauben und den ehrlichen Willen richten; ich aber, der ich nur ein Mensch bin und ein Amt habe, ein hohes Amt, ich muß richten nach den Gesetzen meines Amts. Wollte ich mehr tun oder weniger, so wäre ich ein Frechling oder ein Hundsfott. Was einer ist, das soll er ganz sein, und ich habe keinen anderen Stolz, denn den, zu heißen: ein ganzer katholischer Bischof.‹

Da der Bischof also sprach, beschlich mich ein Neid auf die Ruhe dieses Mannes, der zu sterben ging, und ich sagte: ›Wohl Euch, Herr, daß Ihr in dieser Stunde also sprechen könnt!‹

Der Fürst legte sich langsam zurück und sagte leise: ›Wenn es ans Sterben gehet, Doktor, so kann kein Mensch sagen: Ich habe das Gute getan; aber wohl dem, der sich trösten mag: Ich habe das Gute gewollt. So ergreife ich denn meines Erlösers Hand und bin sicher, er wird mich nicht hinwegstoßen. Und auch Euch, Doktor, den ich geschmäht, gekränkt und mißhandelt habe, auch Euch kann ich doch das sagen: Ich habe das Gute gewollt, als ein getreuer und eifriger Bischof.‹

Des Sterbenden Stimme war ganz leis geworden, ganz friedvoll. Ich erschauerte vor diesem wachsbleichen Greisenantlitz und stund lang schweigend am Lager. Dann sahe ich, wie ein großer, körperlicher Schmerz auf des Fürsten Antlitz aufstieg; er griff sich mit der Hand an den Magen, und mein geübtes Auge sahe an dem ganzen Bild des Kranken, welch schweres Gebresten ihn so jammervoll hinstreckte. Es ward mir allsofort klar, daß das, was ich schon vor zehn Jahren befürchtet hatte, bei dem hohen Herrn nun schrecklich eingetroffen war. Ich rief durch die Tür nach einem Wärter, und es war mir ein Greuel, daß nur der lange Rupprecht zugegen war. Doch hielt ich mich nicht auf, sondern lief eilends hinunter in den Garten hinter dem Schloß, dort einen der großen schwarzen Rettiche zu suchen, wie sie zum Glück die Jahreszeit bot. Es währte lange, bis ich im Mondlicht zurechtkam und das heilkräftige Gewächs fand. Alsdann lief ich zurück in des Bischofs Stube, und der Knecht mußte mir den Reibstein 74 bringen, daß ich den beißenden Saft gewinnen möchte, der der einzige Trank ist gegen die Gallensteine, die die gräßlichen Schmerzen aufwühlen in Magen und Gedärmen.

Es ist gewißlich wahr, daß meine Hand zitterte vor Schmerz und Jammer, wie ich dem Fürsten den Löffel mit dem Trank darreichte, denn ich wußte, daß mit diesem blassen gemarterten Greis, der ohne einen Laut des Schmerzes dalag, ein großer Mensch dahinging. Der lange Rupprecht stund an des Bettes anderer Seite, und er fragte nach einer kurzen Zeit, ob er solle die Herren vom Domkapitel herbeirufen, dieweil Se. Gnaden zu sterben gehe? Aber der Bischof winkte selbst mit der Hand ab, ob wir gleich gemeint hatten, er höre nichts von dem, was gesprochen ward. Da es die zweite Stunde schlug, ward er unruhiger. Er richtete sich halb auf und blickte umher im Gemach, alsdann sagte er vernehmlich: ›Rupprecht, geh schlafen!‹ Und dieweil der Knecht zauderte, nochmals: ›Rupprecht, geh schlafen!‹ Ich wußte nicht, wollte der Bischof mit mir allein sein, oder war es Fürsorglichkeit für den Mann, der schläfrig nahe am Bette saß. Der Knecht schlüpfte leise hinaus, dann ward es wieder stille, so stille, daß ich die Würmer im Getäfer ticken hörte und des Kranken kurze Atemzüge zu zählen begann. Gegen drei Uhr am Morgen kehrte der Bischof jäh sein Antlitz der Wand zu. Ich hörete ihn leise lachen, und dann begann er zu murmeln: ›Ja, ja, zu Wiesentheid bei Eurem Töchterlein, da ist es Euch lieber denn zu Würzburg auf dem Marienberg. Ihr könnet immer nicht glauben, daß Euer Julius ein Bischof ist!‹

Ich merkte, daß er mit seiner Mutter zu sprechen meinte, an der er mit großer, ehrfürchtiger Liebe gehangen hatte. Bald danach fing er nochmals an: ›Paßt auf, Frau Mutter: Reiter, Reiter über den Graben!‹ Er lachte ganz hell zu solchem Kinderreim, und es war meiner schmerzgequälten Seele ein Labsal, zu merken, wie des Mannes Gedanken in lichter Knabenzeit weilten. Auf einmal sahe er mich wieder an, denn ich war nahe hergetreten, da fuhr er sich mit der weißen Hand über die Stirn und sagte ganz anderen Tones: ›Ihr habt zwei mächtige Feinde: Euch selbst und Philipp Adolf von Ehrenberg, den sie jetzt zum Dechanten machen.‹ 75

Ich glaubte, der Bischof sei wieder bei sich und fragte: ›Woraus weiß Euer Gnaden solches.‹

Der Kranke lachte leise und seltsam und deutete gegen die Türe: ›Dem Bischof Julius hat er gebeichtet, daß er Eures Weibes begehrt hat, schon ehe Ihr sie hattet, und nachmals, als sie zum Sterben kam, da sie so schön war wie kein irdisch Weib. Kennt Ihr den Bischof? Er kennt Euch; aber er durfte es Euch nicht sagen.‹

Ich merkte, daß der Sterbende irre redete; aber ich konnte es nicht lassen, ihm sein unselig Geheimnis noch weiter abzuringen und ich fragte an seinem Ohr: ›Hat der Bischof den Beichtenden absolvieret?‹

Aber der Kranke hörete oder verstand mich nicht; er schlug mit der Hand auf die Decke und murmelte: ›Richter, ja; aber nicht Henker! Ehrenberg, dort geht der Bischof, dort, dort – –.‹ Es erklang noch ein leises Gemurmel, ein kurzes, schluckendes Geräusch, dann war Julius, Echter von Mespelbrunn nicht mehr. Die Turmuhr schlug die dritte Morgenstunde am 12. September des Jahres 1617. Ich stund eine lange Zeit stille am Totenlager, denn ich wußte, so erst die Herren vom Domkapitel um den geschiedenen Fürsten sich versammelten, war für den Doktor Burkhard kein Platz mehr, und doch kam es mir in jener Nacht vor, als habe ich das erste Recht auf dies weißgraue, faltige, ernste Totenantlitz. Danach, da meine Gedanken wieder und wieder die Zeit durchwandert hatten seit jenem Schloßbrand bis heute, ging ich hin, die Herren zu holen, die im Erdgeschoß in einem weiten Gemach die ganze Nacht waren versammelt gewesen. Ich sagte unter der Tür, daß der Bischof dahingegangen sei. Da gab es einen großen Tumult. Sie ließen mich barsch an, daß ich niemand gerufen, daß ich die Ärzte und das Kapitel ferngehalten habe. Ich hätte wohl sagen können, daß solches nach des Toten Wunsch gewesen sei; doch rechtfertigte ich mich nicht, denn der Zürnenden Geschrei glitt ab an dem dumpfen Schmerz in meiner Seele. Ohne Gruß ging ich heim durch die schweigende Nacht.

So sie gleich meinen toten Herrn in Pontifikalkleidung 17 Tage auf dem Schloß und danach noch zwei Tage in der 76 Schottenkirche ausstellten, ging ich doch nicht mehr, ihn zu sehen, dieweil ich in jener Stunde, da ich allein bei ihm gewesen war, Abschied genommen hatte. Bei der Einbalsamierung, die zwei Professoren vornahmen, fand man ein größer Herz, denn ein gesunder Mensch haben soll, und einen großen Stein, wie ich dies vermutet hatte, und davon die Ärzte sagten, daß er schuld gewesen sei am Tod.«

Als mein Vater bis dahin gekommen war in seiner Rede, schlug es vom Dom die sechste Morgenstunde, und über uns hörten wir den Magister hin- und hergehen. Danach kam auch jemand die Stiege eilig herunter und mein Vater sahe nach, wer es sei. Es war der bucklige Samuel, der mit seiner Laterne aus dem Haus ging. Der Hund wollte ihm schnell folgen, doch scheuchte er ihn zurück und schloß von außen zu. Mein Vater ging nun in seine Kammer und ich erhob mich vom Lager, meine Morgenarbeit zu verrichten. Während wir bei unserer Suppe saßen, fragte ich, was sich weiter nach des Bischofs Julius Tod begeben hätte? Er fuhr fort: »Die Wahl fiel auf Johann Gottfried von Aschhausen, Domprobst zu Würzburg und Bischof zu Bamberg. Unter ihm begannen die Unruhen und das Kriegsgeschrei, das jetzt allerorts tobt, und das Hochstift schickte seine Truppen nach Böhmen. Wie der Lärm in der Welt wuchs, ward es in mir stiller, und das ganze Getreibe schien mir so fremd, so klein und sinnlos. Zu Würzburg wähnte ich mich vergessen, denn ich ging nur zu Elenden und Armen, die außen wohnen, und sahe selten einen von denen, die ich zuvor gekannt, und zu Freunden, Feinden oder Neidern gehabt hatte. Ich freute mich meiner ungestörten Einsamkeit, bis nach fünf Jahren abermals das Glöcklein, so man das Henle nennt, drei Tage lang geläutet ward, kündend, daß Johann Gottfried Julius nachgefolget sei. Darauf ward der Domdechant Philipp Adolf von Ehrenberg zum Fürstbischof von Würzburg erwählt, und von da an wußte ich, Renata, daß einst kommen werde, was kommen wird; denn der fanatische Mann auf dem Marienberg haßt mich, wie man den haßt, dem man ein Unrecht angetan hat, das zeitlebens an der Seele nagt.«

Da schlug in mir die heiße Lohe auf und ich rief: »Wohlan denn, Herr Vater, Haß gegen Haß!« 77

Mein Vater sahe mich an: »Der Haß wird matt, so man einmal über den Gehaßten triumphiert hat, wie ich dazumal an deiner Mutter Sterbelager über den Priester. Aber Ehrenberg tut sein Bestes, ihn wieder anzufachen.«



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