Auguste Supper
Der schwarze Doktor
Auguste Supper

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1. Kapitel.

Als man schrieb das Jahr des Herrn 1627, huben zu Würzburg Dinge an, davon ich jetzo berichten will. Mein Vater, den sie den schwarzen Doktor nannten, dieweil er ein bräunlich Antlitz und dunkle Haare hatte, war ein einsilbiger und fast finsterer Mann von einer hageren Gestalt, die etwas vornübergebeugt war; aber nicht von des Alters Last, sondern von viel Arbeit und zuwiderem Schicksal.

Er hieß seines vollen Namens: Dr. Johann Friedrich Burkhard und war ehemals Spitalmeister an der neuen Stiftung des hochseligen Bischofs Julius Echter von Mespelbrunn gewesen. Jetzt führete er mit mir, seinem einzigen Kind, ein still Leben in einem kleinen, einsamen Häuslein am Käppelesberg, von wo aus wir den Frauenberg und die Zinnen der bischöflichen Residenz vor Augen hatten, so sich nicht der oft aufsteigende Mainnebel dazwischenschob.

Gegen Norden hatte man den Ausblick auf die Stadt, wie sie jenseits und diesseits des Mains daliegt mit ihren Türmen, Mauern und Toren, ihren Rebengeländen im Westen, Karlstadt zu, und den grünen Angern im Osten, wo hinter dem Sander Tor die Straße nach Ansbach führt.

Um unser Häuslein war ein weit Heideland. Mittendurch führte der einsame Weg.

Es war keine menschliche Wohnstätte in unseres Hauses Nähe, denn nur eine ärmliche Hütte, darin eine Katnerin hauste, ein verwittwet Weib, das statt mit seinem rechten Namen »Therese Wolfin« allenthalben nur die Frankenres genannt wurde. Sie war vor Zeiten, ehe sie den Katner ehelichte, meiner Eltern Magd gewesen und hatte nach meiner Mutter Tod mich 6 auferzogen. Dies Weib besorgte des Morgens die grobe Hantierung in unserem Hauswesen; auch brachte sie alle Tage Milch und kaufte für uns in der Stadt ein, was wir bedurften, sofern dies mein Vater auf seinen häufigen Gängen nicht selber tat.

Die Frankenres war übelhörig und fast blöd, aber von eifriger Frömmigkeit, wie sie denn auch mich manch gut Gebetlein und fromme Historie lehrte, während mein Vater derlei Dinge selten mit mir redete.

Meine Mutter habe ich nie gekannt; auch wenig von ihr gehört, es sei denn, wenn mir die Frankenres sie pries als eine ausnehmend schöne und wackere Frau.

Unfern von unserem Haus sprudelte eine Quelle, Sommer und Winter, in trockenen und in nassen Jahren. Ihr Wasser war klar wie Kristall; kalt und frisch in heißen Sommertagen, mild im eisigsten Winter. Mein Vater sagte mir einstmals, das sei, weil die Wasser tief aus der Erde Schoß aufsteigen, und ich verwunderte mich dessen.

Zuweilen nahm mich mein Vater, der allezeit eine Anzahl Kranker im Burkharder Viertel zu besuchen hatte, mit sich in die Stadt; etliche Male mußte ich einen ganzen Stoß beschriebenen Papiers in die Druckerei in der Karmelitergasse tragen.

Am Burkharder Tor, nahe an der Mauer, war ein kleiner, kümmerlicher Garten, des Torwächters Eigentum. Das Türlein an dem morschen Zaun stand immer offen, denn der Torwart hätte mit Unrecht befürchtet, daß einer mit Begehr zu stehlen in sein Eigentum dringe, dieweil mehr Unkraut darin gedieh als gut Gewächs. Schwarzgrüner Efeu rankte üppig an der Mauer, und da, wo die Steine zerbröckelt waren, wucherte Ginster.

Tor und Mauer waren dazumal nicht im besten Stand, und obgleich der Bischof oft hindurchritt, das Kriegsgeschrei auch wieder mehr die Lande erfüllete, geschah doch nichts in demselbigen Sommer.

Einstmals saß ich in des Torwarts Garten auf der hölzernen Bank, um meines Vaters zu harren. Es war ein glühheißer Tag im Frühsommer, und die Hitze lag flimmernd auf den Steinen der Mauer. Mein Vater weilte schon mehr denn eine Stunde in der Stadt. Auf der Straße vor mir und in den 7 nächsten Gassen war nicht Mensch noch Tier zu sehen. Das Efeugerank gab nur kümmerlichen Schatten, darein ich meinen Kopf, an das Gemäuer gelehnt, bettete, und es kam mir fast der Schlaf in dieser schwülen Stille. Da nahete vom Tor ein Schritt und ließ mich auffahren. Ein Mägdlein kam auf mich zu, das in der Rechten einen Stab trug und die Linke auf den Kopf geleget hatte, den nicht Tuch noch Haube deckte und auf dessen goldenes Haar die Sonne brennend herniederstach.

Ich sprang auf von der Bank, als das Mägdlein schnell herzuschritt.

Alsbald setzte sie sich an meinen Platz und barg den glühenden Kopf in das Geranke. Ihren Stab legte sie quer über den Schoß und dann drückte sie beide Hände gegen das Gesicht. So saß sie lang und ich stund und starrete sie an, indes sie meiner gar nicht acht hatte.

Mich kam plötzlich ein Jammer an um dieses Dirnlein, wie sie so dasaß, regungslos, als habe sie einen großen Schmerz. Ich trat hinzu und strich ganz sacht über ihre Knie. Allsofort ließ sie die Hände sinken, zwei große, sonderbare Augen starrten wie ins Leere, und sie sagte ganz leise: »O Mutter!« Da war es mir gar seltsam, daß sie mich Mutter nannte.

Ich trat hinweg und sagte: »Ich bin die Renata Burkhardin und warte auf den Vater.«

Das Mägdlein ließ den Kopf sinken und sprach: »Sie kommt niemalen wieder.«

Mir ward fast bange; ich lief ans Tor, zu sehen, ob der Vater noch nicht käme, doch sahe ich niemand.

Ich trat wieder näher herzu, und alsbald rief mir das Mägdlein entgegen: »Bist du es noch, Renata Burkhardin?«, worauf ich hell auflachend sagte: »Ich heiße wohl alle Tage so.«

Über der Fremden schmal Gesicht lief es blutrot; sie sagte laut und fast feierlich: »Ich bin blind, und da soll man nicht lachen.«

Mir war nicht anders, als hätte ich einen Schlag erhalten, und dieweil meine Kehle wie zugeschnürt war vor Scham und Mitleid, strich ihr nochmals wortlos über ihre Knie.

Sie wehrte hastig ab: »Oh, tu das nie wieder, so hat die Mutter gemacht, wenn sie mir zusprach, und die ist tot.« 8

Herzbrechend fing die Blinde an zu schluchzen, und dazumal habe auch ich zum erstenmal Jammer empfunden, daß ich keine Mutter hatte.

Als wir eine gute Weile geschluchzt hatten, tastete die Blinde nach meinem Arm. Sie zog mich her zu sich, fuhr mir mit prüfenden Händen langsam über Gesicht und Gestalt und fragte alsdann: »Renata, willst du mir eine Gespielin sein? Ich bin die Ursula Beckin, des Torwarts einzig Kind.«

Ich küßte sie auf den Mund, denn mein jung Herz quoll allezeit schnell über.

Danach saßen wir lange nebeneinander auf der Bank in der einsamen Gartenwildnis, und ich begehrte vieles von ihr zu wissen, insonderheit, wie sie zu ihrem Gebrechen gekommen wäre. Ursula erzählte mit ihrer leisen Stimme, daß sie noch niemalen der Sonne Licht geschaut habe, dieweil sie blind sei zur Welt kommen. Indes mir ein erschrockener Wehruf entfuhr, lächelte sie still vor sich hin, und ihre leeren Augen starrten weit offen in den glühenden Sonnenball.

»Ob ich es auch nie geschaut habe, Renata,« sprach sie, »ich weiß dafür von einem Licht und einer Sonne, dazu man der leiblichen Augen entraten mag.«

Mich kam fast eine Scheu an vor ihr, wie sie also zu mir redete, und ich vernahm noch manche Worte von ihr, die mir neu und fremd waren und anders denn das, was die Frankenres oder auch mein Vater mit mir sprach; doch merkte ich damals noch nicht, daß Ursula Beckin eine Lutheranin war; ich wär sonst wohl nicht so ruhig neben ihr sitzen geblieben, bis mein Vater kam, mich mitzunehmen.

Von demselbigen Tag an, an dem mich die Ursula gefragt hatte: »Willst du mir eine Gespielin sein?« ward mir unser Berg und mein abgeschlossen Leben zu einsam. So ich zuvor mich begnügt hatte, unter meines schweigsamen Vaters Leitung vieles zu lernen, was Mägdlein sonst nicht pflegen, nämlich des Schreibens und des Lesens Kunst und vorzüglich auch Latein – so war mir dies jetzt oft fast zuwider, und ich dachte mehr an Ursula, denn an meines Vaters Bücher.

Erst wartete ich still, bis sich Gelegenheit böte, mit dem Vater in die Stadt zu gehen, aber sie kam diesmal lange nicht. 9 Wohl hätte ich mögen in solchen glutheißen Nachmittagen dem Vater entwischen, ohne daß er dessen gewahr geworden wäre, denn er saß hinter den verschlossenen Läden und schrieb; aber so ich der zerfallenden Mauer mit dem schwarzgrünen Efeu und dem wuchernden Ginster gedachte, dazu des verwilderten Gartens und der verlassenen Straße, bangte mir, allein hinabzugehen.

Endlich fragte ich: »Herr Vater, wann gehen wir hinunter, daß ich das blinde Mägdlein wieder treffen mag?« Da sahe mich mein Vater an mit einem fast ängstlichen Blick und sprach: »Ist dir's zu wohl, Renata?« Ich verstand seine Worte nicht; scheuete mich aber, ferner in ihn zu dringen.

Es war im selbigen Sommer ein groß Geschrei in der Stadt von neuem Aufgebot für des Kaisers Heer. Denn Philipp Adolf mußte als Fürst der Liga das stattliche Regiment, das Würzburg entsendet, und das schon am weißen Berg unter Obrist Bauer mitgekämpft hatte, allezeit ergänzen. So kam um des Kriegs willen viel Jammer in die Stadt, ob er sich gleich noch in der Ferne abspielte.

Auch fiel wochenlang kein Regen im Hochstift, so daß eine große Dürre entstand; mancher schlachtete sein letzt Stück Vieh, dieweil er nicht Futter noch Streu auftreiben konnte. Die Frankenres kam oft mit verweintem Antlitz, und der Milchtopf, den sie am Morgen brachte, ward immer kleiner.

Einstmals kam das Weib und jammerte, ihre Kuh sei am Verenden und kein Futter mehr vorhanden. Da ging mein Vater hinaus an die Quelle, wo junge Kresse sprießte; er raufte eine Handvoll aus und wies sie der Alten.

Das Weib schüttelte den Kopf: »Aber, Herr, Kresse für eine Kuh!« Mein Vater sagte ärgerlich: »Es wird ihr nichts schaden. Und zur Streu nehmt Ihr das Heidekraut, das da ringsum wächst, so ist Euch und dem Vieh geholfen.«

Des andern Tags erzählte die Frankenres voll Freude, daß ihre Kuh sich erhole.

Heiß und regenlos gingen die Tage hin, also daß man des Sonnenscheins müde ward und in der Stadt allerlei bös Gerücht umging, wie solche Dürre nicht von ohngefähr komme.

Die Frankenres brachte mir alle Kunde von drunten, es 10 war jämmerlich zu hören, wie das Unholdwesen und böse Hexerei überhand nahm. Sie lehrte mich aber in jenen Tagen einen guten Spruch gegen alles Teufelswerk und hieß mich des heiligen Kreuzes Zeichen häufig brauchen; auch brachte sie mir ein Kölblein St.-Johannis-Wassers, das sie um einen halben Würzburger Gulden von einem Kapuziner gekauft hatte.

Durch solche heiligen Dinge wähnte ich mich gefeit gegen das Treiben des leidigen Teufels; ich hörete in geruhiger Sicherheit zu, wenn mir das Weib von Bränden und harter Tortur, sowie von den scheußlichen Dingen, welche die peinlich Verklagten aussagten, fast täglich erzählte; und ich habe dazumal oft Gott gedankt, daß er durch eifrige Richter dem schändlichen Treiben seiner Feinde Einhalt tue.

Die Frankenres war bald nicht mehr die einzige, die Streu sammelte auf unserer Heide. Es kamen Leute des Bischofs, denn Se. Gnaden hatten eine weitläufige Wirtschaft, und auch auf eines Bischofs Äckern und Wiesen herrschte die Dürre, also daß nicht genug Futter noch Streu wuchs.

Mein Vater setzte in diesen Tagen selten den Fuß aus unserer Tür; nur wenn die Nacht herniedersank und alles verstummt und einsam dalag, ging er zuweilen mit weiten Schritten auf und ab vor unserem Hause. Ich sahe ihn oft auf die Lichter der fernen Stadt hinunterblicken, hörete ihn wohl auch mit sich selber reden.

Einmal nahm er mich bei der Hand und sprach: »Renata, hast du heute den Langen, Dürren gesehen mit dem grauleinenen Kittel?«

»Herr Vater,« sprach ich, »ich sahe viele mit grauleinenen Kitteln.«

Er schüttelte unwillig meinen Arm: »Die du sahest, das sind des Bischofs Philipp Adolf Leute; aber hast du auch den Langen, der immer abseits stund, betrachtet?«

Da antwortete ich: »Nein, Herr Vater,« denn ich konnte mich dessen nicht entsinnen.

Er ließ meine Hand los und wendete sich um, und ich hörte ihn sagen: »Wie blöd und stumpf ist ein Kind!«

Er nannte mich damals noch oft also, ob ich schon ein langaufgeschossen Mägdlein von 17 Jahren war. 11

Am andern Tag saß ich auf unserer Schwelle und wartete auf die mit den grauleinenen Kitteln, daß ich den Langen, Dürren gewiß sehen möchte. Und er kam hinter den andern her, als sei er ihr Meister oder Aufseher. Ich betrachtete den Mann mit kindischer Neugierde, aber fand nichts an ihm, denn daß seine Augen tief im Kopfe lagen und unruhig hin und her gingen.

Am Abend sagte ich: »Herr Vater, ich habe ihn wohl gesehen; er sahe aus wie die andern!«

Mein Vater lachte kurz auf und sprach: »Und doch ist er etwas Besonderes.« Alsdann fing er wieder an zu lesen, und ich mochte nicht weiter fragen, dieweil er gar finster dreinsahe.

Nach einer kleinen Zeit warf er sein Buch schmetternd auf den Tisch, daß ich jählings zusammenfuhr, und unser Hund, eine riesige Dogge, erschrocken emporsprang. Da legte mein Vater seine Hand auf des treuen Tieres schönen Kopf und sprach zu ihm: »Du bist nur ein Hund; aber ich hätte es dir doch nicht antun sollen, daß ich dich nach jenem ›Rupprecht‹ genannt habe.«



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