Auguste Supper
Der schwarze Doktor
Auguste Supper

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Kapitel.

Es war am St.-Thomas-Tag. Der Föhn pfiff über unserem Dach dahin, Regenschauer oder ein kurz Gestöber großflockigen Schnees zogen vorüber, und dazwischen schien bleich und ohne Wärme die Sonne, bis es von neuem losbrach mit Heulen, Brausen und Wüten.

Mein Vater ging nicht hinunter in die Stadt, sondern schritt unruhig durch Stube und Kammer, wie es seine Art war, so ihn seine Gedanken besonders bewegten, und Rupprecht, der Hund, lief unverdrossen hinter ihm her.

Ich saß am Ofen und drehte die Spindel, doch tat ich es mit Unlust und ohne Eifer; ich merkte mehr auf meinen Vater und lauschte, wie er dann und wann vor sich hinredete.

Plötzlich, es mochte gegen drei Uhr sein, und der häßliche Tag neigte sich schon zu trübem Dämmer, sprang Rupprecht gegen die Tür und stellete sich davor mit wedelndem Schweif und gespitzten Ohren. Ich steckte die Spindel in den Flachs, froh des Anlasses zum Aufhören, um nachzusehen, wer draußen vorbeigehe, da ging schon die Tür auf und herein schritt Ursula.

Aber wie sahe sie aus, die sonst so säuberliche Gespielin!

Der Schmutz der Straße war ihr bis an die Schultern gespritzt, die weichen Haare hingen in zerzausten Strähnen unter der Haube hervor, und am Fürtuch, Gesicht und Wams klebte Blut.

Ich stieß einen Schrei aus, indes ich auf sie zuflog, und der Vater warf das Büchlein, das er im Umherschreiten in der Hand getragen, jählings in die Ecke.

»Ursula,« rief ich, »was ist dir widerfahren?«

Das Mägdlein stöhnte laut; ihren Stock ließ sie fallen und griff nach uns mit tastenden Händen.

Mein Vater nahm sie in die Arme, als wäre sie ein klein weinend Kind, und drückte ihren Kopf an sich. Wie die Blinde 17 dies fühlte, fing sie an zu schluchzen, so herzbrechend, daß mir ganz bange ward um ihren zarten Leib, den es schüttelte als wie von Fieber.

In meiner ungestümen Art wollte ich solchen Schmerzes Grund alsbald von ihr erfahren, doch mein Vater winkte mir fast drohend zu, also daß ich schwieg und wartete wie er.

Endlich ward sie ruhiger; sie richtete sich auf aus meines Vaters Arm und sagte: »Verzeihet, Herr, mein unvernünftig Wesen!« Mein Vater führete sie zu ihrem Platz am Ofen und indes ich den Schemel herzutrug, auf den sie ihre Füße zu stellen pflegte, fragte er, was sie also aus aller Fassung und in diesen Zustand gebracht habe.

Sie zwang sich, ihre Tränen zu schlucken und das Zucken in Gesicht und Gliedern zu meistern und begann ganz leise: »Ihr Herr, und du, Renata, kennet meinen Vater und wisset, was ihm für ein Gebrechen anhaftet.«

Ich hatte wohl von der Frankenres gehört, daß der Torwart Beck einen gehörigen Trunk liebe, aber ich unerfahren Mägdlein hatte dies nicht als ein Gebrechen erachtet, dieweil ich nie einen Berauschten gesehen.

So rief ich denn vorlaut und keck: »Ei, was fehlt ihm denn?«

Sie kehrte die lichtlosen Augen zu mir her, als wolle sie mich um etwas bitten, indes der Vater streng gebot: »Schweig still, so jemand spricht!«

Ursula fuhr fort: »Mein Vater ist wohl gut zu mir, Renata, und du sollst nicht denken, daß ich über ihn klagen will; aber wenn sie ihm zusprechen beim Trinken, daß er über sein gewöhnlich Maß hinaus kommt, so weiß er nicht mehr, was er tut und spricht, und es geschieht oft etwas, das ihn hinterher gereut.

So war er auch heute in aller Früh fortgegangen und zu Mittag nicht mehr nüchtern heimgekommen.

Schon am Schritt auf der Stiege habe ich erkannt, daß ihn sein unselig Laster wieder übermannt, und ich bin ganz ruhig an meinen Platz gesessen, wie ich dann zu tun pflege.

Zu anderen Zeiten hat mich der Vater dort unbeachtet gelassen; aber der Teufel der Trunkenheit war heut ärger denn 18 je in ihm, und so hörte ich ihn denn stracks auf mich zukommen und also anheben: ›Du sitzest auch da, wie deine Mutter immer dasaß: gar still und mit einem Duldergesicht, und derweil ist euer inner Wesen voll Widerstands und Eigensinns; das macht eure verfluchte Ketzerei.‹«

»Ihr wisset ja, Herr,« schob Ursula ein und wandte sich ganz zu meinem Vater, »daß meine Mutter, der Ihr viel Guts getan habt in ihrem langen Siechtum, em lutherisch Weib aus dem Hessenland gewesen ist.«

»Weil nun in meinem ganzen Leben meiner Mutter teurer Glaube mir Licht und Freude war, also daß ich die Nacht um mich her nur selten mit Schmerzen empfand, und weil ich gewißlich weiß, daß meiner Mutter mild und geduldig Wesen niemalen Schein und Verstellung war, so wallte in mir der Zorn auf und ich sagte: ›Besinnet Euch und lästert meine tote Mutter nicht.‹ Aber die Trunkenheit machte ihn sinnlos; auch hatte er wohl in der Schenke spöttische Worte über sein lutherisch Weib und Kind gehört; denn er geht immer in den Rebstock, hart an der Brücke, wo des Bischofs Leute verkehren.

Wie nun der Vater hörte, daß ich ihm Widerspruch tat, kam er vollends in Wut und schrie: ›Verflucht sei der Tag, da ich ein ketzerisch Weib gefreit; verflucht die Stunde, da du mir geboren! Dein leidig Gebrechen ist die Strafe, daß ich meines katholischen Glaubens vergaß in der Verliebtheit für eine lutherische Magd mit einem weißen Gesicht und besonderem Wesen. Aber ich mach' es wieder gut, und ich will unseres Herrn Bischofs Leute schon auf die Spur bringen und ihnen zeigen, wer zu Würzburg noch auf seinen Glauben hält. Und das Halbstück vom Vorjährigen ist mir so gut wie sicher, denn ich tue meine Pflicht als gut katholischer Christ; der Teufel soll mich holen, wenn ich meine Pflicht nicht tue!‹

Da begann mir das Herz zu zagen vor Grauen, denn ich wußte von meiner Mutter, wieviel die Lutherischen schon hatten leiden müssen für ihren Glauben, und ich vergaß des Vaters Trunkenheit, daß ich bat: ›O, laßt Eure Hand davon, Ihr seid doch der Stadt besoldeter Torwart, nicht der Scherge des Bischofs; es liegt kein Segen auf dem, was Ihr tun wollt.‹ 19

Aber jetzt ward der Mann sinnlos wütend; er hob seinen Stock und schlug nach mir, nach dem Gerät im Zimmer und nach der Base, die schreiend herzulief, und brüllte mehr denn er sprach: ›Wart, Dirn, ich will dir den Herrn Bischof Lügen strafen! Hat nicht Se. Gnaden gesagt, in der Ketzer Gestalt berge sich der Teufel, sie seien alle Unholde, Hexen und Hexenmeister! Das Kriegsgeschrei in den Landen, das Sterben in den Städten und der Mißwachs auf dem Feld sei deren Werk, die sich abgewendet haben von unserem allerheiligsten Glauben und schändlicher Ketzerei sich zugekehrt, die gleich ist dem Dienst des leidigen Teufels? Und Fluch müsse den treffen, der laß sei im Kampf gegen solch Gezücht! Weißt du alles besser, du arge Dirn?‹

Ich bat voll Jammers: ›O, gedenket doch, Herr Vater, daß ich Euch allezeit nach Kräften eine gute Tochter gewesen bin, wie könnet Ihr so Schreckliches reden wider meinen Glauben!‹

Aber er schüttelte mich bös an der Schulter und schrie noch viel mehr: ›Hättest du keinen katholischen Vater und trüge die Base nicht allezeit Ignatie und St.-Johannis-Wasser zu, so wärest du auch schon dem Teufel verfallen, das sagte erst heute wieder der lange Rupprecht.‹«

Als mein Vater diesen Namen hörte, schlug er mit der geballten Faust auf den Tisch und sein hager Gesicht war entstellt vor Zorn, da er sprach: »Überall der Schuft und Spion!«

Ursula aber fuhr erschöpft fort: »Mein Vater schrie noch lang und war wie ein ganzer Narr, zuletzt fiel er hin und blieb am Boden liegen. Ich aber ging davon, Herr, und eilte zu Euch, denn ich weiß nicht, wo ich bleiben soll. Auch drängte es mich, alle meine Angst und schweren Sorgen Euch zu sagen, da ich weiß, daß auch Ihr an dem verfolgten Glauben hanget.«

Ich vermeinte, Ursula sei zu Ende, und stand auf, Wasser zu holen, daß ich ihr Gesicht und Kleider säubern möchte, doch hielt sie mich fest und sprach: »Es kommt noch mehr, Renata.«

Und sie erzählte weiter: »Ich schritt in Hast den Weg bergan und war schon weit gekommen, da hörte ich jemand mir eilig folgen. Ich dachte, es wäre die Frankenres, die doch unfern wohnt; aber dann redete mich eines Mannes Stimme 20 an: ›Ei, Jungfer Beckin, was führt Euch an solchem Tag auf den Weg?‹

Ich sprach: Ich bitt' Euch, wer seid Ihr, da Ihr mich kennet!

Der Mann lachte und antwortete: ›Laßt's Euch genügen, schönste Jungfer, wenn ich sage: ich bin Euer und Eures Vaters Freund.‹ Wie er nun sagte: Eures Vaters Freund, ging es mir blitzschnell durch den Kopf, daß mein Vater niemals den Namen eines seiner Zechgenossen genannt hatte, denn nur den des langen Rupprecht, und dieweil ich am Klang der Stimme hörete, daß der Mann, der dicht neben mir schritt, groß sein mußte, war es mir sicher, daß es des Bischofs Knecht sei.

Ich ging auf die Seite und wollte eine ungute Antwort geben, da fühlte ich des Mannes Arme sich um mich schlingen, so fest, daß mein Blut stockte.«

Ursula schwieg und über ihr feines Antlitz lief es glühendrot. Als ich in großem Bangen nach ihren Händen griff, sprang mein Vater auf, und indes er sich mit beiden Armen auf den Tisch stützte, rief er: »Und dann?«

Ursula zog ihre Hände aus den meinen, legte sie ineinander wie zum Gebet und sprach ganz ruhig: »Dann habe ich, dieweil ich nicht rufen konnte vor starkem Pressen des Unmenschen, in meinem Herzen zu Gott geschrien, wie es meine Mutter mich geheißen hat in ihrer letzten Not. Da sind die Arme locker geworden und der Mann sprang davon; nur seine ekelhaften Lippen habe ich auf meinem Munde noch zuvor gespürt.«

Mein Vater wandte sich ab, Ursula aber nahm mich an der Hand und zog mich hinaus an den Quell. Dort beugte sie sich über das Wasser und wusch ihren Mund vielemal.

Denselbigen Abend und die Nacht hindurch blieb die Blinde bei uns. Wir saßen alle drei in der Stube und dachten nicht ans Schlafen, sondern redeten von dem Geschehenen.

Ich lauschte Ursulas und des Vaters Worten und es war mir ein Unding, daß ein Glaube, den diese zwei bekannten, sollte also verflucht und sündhaft sein. Auch gedachte ich, wie in den langen Jahren mein Vater ein streng, hart und arbeitsvoll Leben geführet und niemalen etwas gesagt oder getan hatte, das mir als ein schlimmer und gottloser Brauch erschienen 21 wäre, wie ich geglaubt hatte, daß es die Lutheraner, die man gemeinhin Ketzer nannte, tun müßten. Darum hatte ich bis zu jenem Gewittertag nicht anders gemeint, denn mein Vater sei meines Glaubens und nur durch viel Arbeit und weltscheuen Sinn gehindert, allezeit die kirchlichen Gebräuche so zu erfüllen, wie es eifrige Katholiken taten.

Nachdem ich lange still gesessen hatte, faßte ich mir zuletzt ein Herz und fragte: »Herr Vater, wollet Ihr mir nicht sagen, um welches Stück in ihrem Glauben man die Ketzer verdammet?«

Mein Vater sahe finster zu mir her und runzelte die Brauen; danach lachte er kurz auf: »Ei, Kind, warum man sie anderwärts verdammet, das mußt du einen Pfaffen fragen; allhier zu Würzburg geschiehet es um leidiger Hexerei und sündhaften Teufelsbündnisses willen.«

Ich merkte, daß mein Vater in bitterem Spott zu mir redete, und fragte nicht weiter.

Am Morgen sprach mein Vater das Gebet und Ursula aß mit uns die Suppe. Danach griff sie nach ihrem Stab und machte Anstalt zur Heimkehr, dieweil sie hoffte, daß ihr Vater jetzt wieder zurechtgekommen sei.

Wir traten mit ihr aus der Tür und freuten uns des Morgens, denn es war warm wie im Lenz und die Sonne kam leuchtend herfür. Als wir am Quell vorüberschritten, schien es, als sei die Kresse in der Nacht gewachsen und grüner geworden, also frisch stand sie an des Wassers Rand. Mein Vater gebot mir, etliche davon in ein Tüchlein zu sammeln, das gab er Ursula mit, als ein gar gesund und lieblich Gericht zu solcher Jahreszeit.

In den nächsten Monden kam die Blinde wieder öfter heraufgestiegen und brachte mir mancherlei Kunde, die sie von der Base vernahm. Einmal sagte sie, der Bischof habe gestattet, daß die Stadt zwei neue Keller auftue, Wein und Bier darin zu schenken, auch eine neue Badestube sei errichtet worden.

Mein Vater sprach: »Die Schenken sind gar notwendig, denn das Würzburger Stadtvolk darf dieser Zeit nicht nüchtern sein, sonst könnt ihm sein Elend einfallen.«

Neben des Torwarts Häuslein hatte sich eine Münzstätte 22 aufgetan, allwo anstatt gutem Reichsgeld Scheidemünze von geringem Gewicht geprägt wurde, und es war dies dazumal ein gemeiner Brauch allerorten.

Es ging auch ein Gerücht, die fränkische Ritterschaft habe den Bischof bei des Kaisers Majestät darüber verklagt, daß er die Lutherischen im Hochstift ungebührlich behandle und die Freiheit ihres Glaubens antaste.

Mein Vater ballte zu dieser Kunde die Faust und sprach grimmig: »So weiß die fränkische Ritterschaft nicht, daß Seine bischöfliche Gnaden ein gar duldsamer Herr sind und nur die Hexen und Hexenmeister verfolgen, was kaiserliche Majestät und alle guten Christen nimmermehr hindern dürfen.«



 << zurück weiter >>