Auguste Supper
Der schwarze Doktor
Auguste Supper

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2. Kapitel.

Im Spätsommer, als unsere Heide von vielen sammelnden Händen geplündert war, sahe ich auch Ursula wieder. An ihres Vaters, eines kleinen, bärtigen Mannes Hand kam sie heraufgestiegen von der Stadt her. Der Torwart trug ein Heutuch auf seiner Schulter, Streu zu sammeln für seine Ziegen.

Der Mann schaute mürrisch auf mich, wie ich eilends herzulief, die Blinde zu begrüßen; aber ich achtete dessen nicht, dieweil ich über des Mägdleins weiß und fein Gesicht einen warmen Strahl von Freude gehen sah, da sie meine Stimme erkannte.

»Renata Burkhardin, bist du es?« rief sie und nahm mich in Hast bei der Hand, indes ihr Vater sich bückte und seine Sichel hervorzog. Ich führte die Blinde unserem Häuslein zu, und der Mann wehrete es nicht. Mein flatternder Sinn 12 bedachte vor großer Freude nicht der Gespielin Gebrechen; ich machte mich daran, ihr alles zu zeigen, was mein eigen war. Seltsam erschien mir, daß meine Eidechs, die sonst scheu und behend davonhuschte und oft gegen mich den kleinen, blauschwarzen Rachen aufriß, auf der Blinden schmaler, weißer Hand geruhig sitzen blieb.

Auch zu der Quelle führte ich Ursula. Sie beugte ihr blasses Antlitz lang über das sprudelnde Wasser, als lausche sie dem leisen Glucksen und Gurgeln, dann tauchte sie die Hand in die klare Flut und netzte sich die Augen. Ich sah ihr zu und mochte nicht reden, denn wie sie über die lichtlosen Augen fuhr, ganz langsam und leise, erbarmte mich wieder ihr groß Elend.

Von demselbigen Tag an kam die Blinde manchesmal heraufgestiegen. Ganz allein fand sie den Weg, in der Rechten den Rohrstab, den sie tastend gebrauchte.

Ihr Vater hatte es nicht acht, denn eine Kanne Weins und ein Kartenspiel lagen ihm mehr am Herzen als sein einzig, unglücklich Kind. Die Base aber, die der Torwart nach seines Weibes Tod ins Haus genommen, hielt es für ein verdienstlicheres Werk, in ihrer Mußezeit in St. Burkhard auf den Knien zu liegen, denn der Toten blindes Kind zu behüten.

Derweil so drunten in der Stadt niemand Ursula vermißte, war sie mir Einsamen immer werter und lieber, also daß ich bald den Tag für verloren erachtete, an dem ich ihre Gestalt nicht über die Heide daherkommen sah.

Wie lichte Wärme, Ruhe und Reinheit ging es aus von der Blinden. Sie sprach schlichte Worte mit einer sanften, leisen Stimme; man mußte darauf lauschen, als fließe hohe Weisheit von ihren Lippen. Sie redete nicht von Gott oder von Glaubenssachen, und doch wußte ich gewißlich, daß sie frömmer sei denn die Frankenres, frömmer denn ich, und frömmer denn der Pater Adam, mein Beichtvater, ein ehrwürdiger Greis von den Franziskanern.

Mein Vater kam mir oftmals völlig verwandelt vor, wenn er von seiner Arbeit weg zu uns zwei Mägdlein aus der Kammer heraustrat. Als wäre ein Schleier von seinem ernsten Antlitz und seinen dunklen Augen hinweggezogen, so sah er 13 aus, und er las uns manche Stunde vor aus einem deutschen Livius oder aus alten Turnierbüchern, wenn ihn Ursula darum bat.

Mir war in jener Zeit der Kopf voll von andern Dingen, denn diese alten Bücher berichteten; aber so oft ich von den Geschichten, die zu Würzburg sich zutrugen, beginnen wollte, verstummte Ursula, und mein Vater fuhr mich einmal mit den zornigen Worten an: »Bin ich darum in der Einöd, daß ich den ganzen Quark dennoch vernehmen soll? Laß die Toten ihre Toten begraben!«

Einst als ein schwer Gewitter heraufzog, so lange Ursula bei uns in der Stube saß, konnte ich mein voll Herz nicht mehr meistern und begann den Spruch herzusagen gegen die Hexen und Unholden, den mich die Frankenres gelehret hatte, und ich sprach böse Worte gegen die Verworfenen, die den Frieden vom Hochstift nahmen. Da zog sich meines Vaters Stirn zusammen und er sah finster hinaus in das schwarze Gewölke, das dräuend herüberjagte; Ursula legte ihre weißen Hände inbrünstig ineinander, wie in angstvollem Gebet.

Ich war voll eines zornmütigen Eifers und blinden Abscheus, wie ihn der Pater Adam und die Frankenres in mir hatten großgezogen; in des Donners schmetterndem Rollen und dem jähen Zucken der Blitze sah ich nicht des allwaltenden Gottes Hand, sondern der Hexen gottverlassen, diabolisch Treiben. Ich ballte meine Faust hinaus gegen solches Toben und sprach voll Haß, der mir gar heilig erschien: »Gewiß ist es die Höckerin von der Brücke oder wieder die Amfrau, die Schickelte, von denen das ganze Unwesen herkommt, denn es sind dies zwei offenkundige Ketzerinnen.«

Da schrie Ursula auf, wie in Entsetzen, und mein Vater fragte, indes er mich heftig am Arm nahm: »Wer sagt dir solches, Unselige?«

Ich begann zu weinen vor großem Schrecken und sprach: »Ich habe hören einen Chorherren von der Kanzel sagen, daß die Ketzerei der Anfang sei von solchen Lastern!«

Mein Vater ließ meinen Arm los und trat zu der Blinden. Sein und ihr Antlitz waren wie erblichen in Jammer oder Schrecken, und er sagte leis: »Als Hexen und Unholde sind sie 14 von den Kanzeln verschrien; so werden sie denn bald im Rauch gen Himmel fahren, und du, Philipp Adolf, bist der erste Würzburger Fürstbischof, der solch legalen Weg gefunden hat, wo kein anderer zum Ziel führte.«

Ich blieb abseits in meinen Tränen und in einer schweren Beklemmung und wagte nicht, zu den Zweien hinzugehen, die stumm und bleich nebeneinanderstanden.

Danach sagte mein Vater laut und mit Härte zu mir: »Wisse, Renata, auch ich und dieses Mägdlein gehören zu der verfluchten Ketzerbrut.«

Da mußte ich mich halten am Tisch, und ich sah die Decke sich senken, und die Stube sich drehen, so war mir eines Augenblicks Länge schwindelnd zumut.

Mein Vater trat her und hob mit seiner hageren Hand meinen Kopf empor. Seine tiefen Augen waren feucht, und sein strenger Mund zuckte, als er leise frug: »Wirst du nun deinen Vater hassen, wie du's gelehrt worden bist hinter meinem Rücken?«

Ich konnte nicht anders, denn mit lautem Schluchzen mich an seinen Hals werfen.

Ursula streckte ihre Hände tastend aus und sagte: »Leb wohl, Renata, herzliebste Gespielin!«

Als ich der Blinden leise, fromme Stimme vernahm in solchem Gruß, schwand alles hinter mich. Ich wußte nur, daß ich sie nimmermehr lassen wollte, küßte ihr weiß, schön, traurig Antlitz, wie mich mein heiß Herz trieb, und rief weinend: »Komm wieder, Ursula, komm wieder!«

Von diesem Tag an trat ein Neues in mein Leben.

Mit der Frankenres verwehrte mir mein Vater viel zu reden; streng untersagte er mir, dem Pater Adam in der Beicht zu berichten, was ich an dem Gewittertag erlebt, und ich ging vom selbigen Spätsommer bis tief in den Winter hinein nicht mehr hinab in die Stadt.

Der Vater, der sonst selten mit mir gesprochen hatte von Glaubenssachen, saß nun manche Stunde neben mir und las vor aus vergilbten Schriften, die er aus seiner Lade nahm oder zu Zeiten aus der Stadt mitbrachte. Er zeigte mir die katholische Kirche als einen altehrwürdigen Bau, daran unter vielem 15 Flickwerk und Stückwerk reine Formen zu erkennen, und er sagte mir, das Flickwerk das komme von den Pfaffen. Und ich, die gemeint hatte, daß ein Ketzer nicht anders könne, denn schmähen und schänden, so er vom römisch-katholischen Glauben rede, ich hörete von meinem Vater viele Worte, die mir gegen die des Paters Adam erschienen wie ein guter, reiner Wein gegen eine wäßrige Brühe. Von seinem eigenen Glauben sprach er zu mir nicht, und es war nicht selten, daß er in eines angefangenen Satzes Mitte sich auf die Lippen biß und finster schwieg.

Zur selbigen Zeit unterließ ich auch, über der Unholden Treiben nachzudenken. Ich sahe wieder Gott den Herrn und nicht den Teufel mit seinen Knechten und Dienerinnen als den Regenten dieser Erdenwelt.

Der Winter, der auf jenen heißen und trockenen Sommer kam, war mild und nebelig. Die Stadt lag allezeit wie in einem Dunstmeer, aus dem nur die Turmspitzen hervorsahen. Es war ein ungesund und bös Jahr, Sommer wie Winter, und alltäglich hörete man die Glocke läuten, wenn sie die hinaustrugen, die der Tod hinweggerafft hatte.

Eine Seuche ging um in den Häusern, der auch Pater Adam, mein Beichtiger, erlag; der Bischof und der Magistrat wollten es lang nicht zugestehen, als werde es schlimmer, so man davon rede.

Mein Vater hatte jetzt selten Zeit für mich; er war oft im Burkharder Viertel. wo viel elende und arme Leute wohnten, bei denen zumeist die Krankheit hauste.

Wenn er heimkam mischte er seine Tränke und hieß auch mich von unserem Vorrat zubereiten für die Dürftigen. Das tat ich denn mit vielem Fleiß, daß ich über meine Einsamkeit und Verlassenheit leichter hinwegkäme; aber ich hatte des ohngeachtet oft bitteren Jammer nach Ursula, die sich nicht mehr sehen ließ.

Und es war in derselbigen Zeit, daß ich häufig darüber schmerzlich zu weinen begann, daß durch einen bösen Hader in Glaubenssachen, davon ich den Grund immer weniger verstand, aller Frieden in der Welt sollte dahin sein.

Meinen Vater habe ich oft scheu betrachtet, denn er gönnte sich kaum mehr den Schlaf vor rastloser Arbeit und Sorge. 16 und dazu ward er düsterer und verschlossener, je öfter er hinunterstieg in die Stadt.



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