Auguste Supper
Der schwarze Doktor
Auguste Supper

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11. Kapitel.

Des anderen Tages Morgen stieg grau und düster auf über der Stadt. Es trat auch ein böses Schneegestöber ein, das bis gegen den Abend währete. Der Magister war bei mir in der Stube und wir blieben beide mit müßigen Händen auf der Ofenbank sitzen, zu warten, bis es Zeit wäre, vor dem hohen geistlichen Gericht zu erscheinen; denn das Männlein war gestern nacht noch bei dem Notar selbst gewesen, und der hatte mich in der Frühe als Zeugin laden lassen. Zuweilen sprach mir der Magister zu, daß ich möchte ohne Angst sein und sonder Bangigkeit mit festem Mut vor den Herren sprechen. Aber solcher Zuspruch konnte mir das Herz nicht fester und trotziger machen, denn es zuvor schon war, und so mein Gesicht weiß aussah, so kam es doch nicht von einiger Angst. Als wir uns endlich auf den Weg machten, lag über der Stadt ein dick Schneekleid gebreitet. Es schien mir aber dies rein und weiß Gewand wie ein Hohn auf all den Schmutz, Blut und Greuel, die doch zu Würzburg aufgehäuft waren. Wir gingen die Domgasse entlang der hochfürstlichen Kanzlei zu, da stieß an der Ecke, wo die Schustergasse vom Markt her einmündet, ein gebückt Weib fast an mich an. Ich hätte des nicht acht gehabt; aber das Weib schrie auf, wie sie mich erkannte und ich merkte, daß es die Frankenres war, die auch als Zeugin mußte vors 98 Gericht. Sie packte mich mit ihren zittrigen Händen am Rock und wollte zu mir reden; aber es bewegten sich nur ihre Lippen, denn das Entsetzen würgte an ihrer Kehle. Ich stieß sie fast rauh weg, denn mir schien erbärmlich, Angst zu zeigen, wo Wut und Zorn sollten herrschen. Ich schritt voran und hinter mir kamen die zwei; ich wollte nichts hören noch reden. In der Ecke zwischen dem Dom und der Kanzlei stund ein Weib zusammengekauert und mit einer Schicht Schnee auf Achsel und Kopftuch, als sei sie seit Beginn des Gestöbers regungslos dort gestanden. So ich sie gleich nur einmal gesehen hatte, erkannte ich sie doch an ihrem jammervoll hilflosen Hinstarren. Es war das Göbel Jettle, davon mir gesagt war, daß ihr Babele, die schönste Dirne der Stadt, den Hexenrichtern verfallen sei. Da ich aufs Tor zuschritt, konnte ich den Blick nicht lassen von dem unseligen Weib also, daß ich um ein Kleines an den Stadtknecht anstieß, der ein Handrohr geschultert trug und mit gespreizten Beinen am Eingang stund. Der Mann hatte ein blau und gedunsen Gesicht und einen langen Bart, darin halbgeschmolzener Schnee hing. Der Magister trat zu ihm und sagte, was wir wollten, worauf er uns durch die Tür ließ. Weil ich zuletzt hineinging, sahe ich noch, wie das Göbel Jettle herzusprang, um mit hereinzukommen und wie der Wächter mit Lachen sein Rohr von der Schulter nahm. Danach ward uns ein großer Saal geöffnet, den das Tageslicht nur grau und trüb durchzog. Das niedere Gebälk und die kahlen Wände, dazu hinten das Kruzifix und die reglosen Gestalten der Richter in ihren Talaren machten mich zuerst erbeben, doch fühlte ich meinen Mut danach eher wachsen, denn entschwinden. Ich sahe mich um und gewahrete etliche Männer und Weiber, die ich nicht kannte, dann aber auch den langen Rupprecht, den Torwart Beck, den Vikar von St. Burkhard und der Ursula Muhme. Unter den Richtern sahe ich neben vier Jesuiten im Talar den Notar Wolfgang Schilling und den pockennarbigen Hans Bütthard, der vorne saß. Ganz hinten im Saal, wo die tiefe Nische ist, gegen Neumünster zu, sahe ich einige Männer stehen, und als danach die Tür hinter ihnen aufging und Helle hereinfiel, erkannte ich den Bischof mit einem Kapitularen und daneben Wolf 99 Dietrich von Schaumberg. Da wir an unseren Plätzen stunden, ward es ganz still im Saal; nur des Schreibers Papiere hörte ich knistern, und dann und wann schluchzete die Frankenres hinter mir. Ich stund und wartete mit klopfendem Herzen auf meinen Vater, aber er kam nicht und mein sehnlich Verlangen war umsonst. Nach einer Weile begann der Notar die lange Klageschrift zu verlesen, darin weniger von meines Vaters Schuld, denn von den Greueln der Hexerei, des Teufelsumganges und der Zauberei, wie sie die ganze Welt erfülleten, geschrieben stand. Alsdann zählete der Schreiber die Namen der Zeugen auf, zuletzt auch meinen eigenen. Ich sahe den Domherrn etwas zum Bischof sagen, worauf dieser den Notar zu sich rief, der alsbald nach kurzem Gespräch auf seinen Platz zurückging. Es ward nun der lange Rupprecht aufgerufen zum Zeugnis. Er trat vor und begann alles herzutun, was ich schon gestern von ihm vernommen hatte. Seine Stimme klang leis und fast sanft, auch sprach er langsam und oft stockend, als komme es ihn sauer an, so Belastendes zu berichten. Ich hörete dem Menschen zu mit stockendem Atem; aber da er nun auch Ursulas Erwähnung tat, als einer Verführten, die mein Vater sündhaft betöret, um Ehre, Ruhe und Seligkeit gebracht, auch mit übernatürlichen Mitteln an sich gekettet zu sträflichem Bündnis, stieg mir Ekel und Wut zum Halse, und ich rief gegen die Richter hin, man möge doch darüber die Blinde selbst vernehmen. Ich sahe, daß der Bischof jäh den Kopf nach mir wendete, und der Notar sprach streng: »Sie hat zu schweigen, bis die Reihe an sie kommt.« Danach ward der Torwart aufgerufen. Er war gänzlich betrunken und redete mühsam; also, daß man nur immer wieder verstand: »Jawohl, verführet und betrogen!« Die Richter sahen mit bösen Mienen auf, und der Notar klopfte ärgerlich mit seinem Kiel auf den Tisch; dann ließ man den Sinnlosen abführen durch einen der Stadtknechte, die an der Tür stunden und über den Schwankenden leise lachten. Es kam nun einer der Männer, die ich nicht kannte, an die Reihe. Er hatte schneeweiße Haare und ein gelblich vertrocknet Gesicht, als wie von Leder. Ich hörete ihn aufrufen als Lorenzius Kaspar Balk, Wärter am neuen Spital. Er bekundete, daß mein Vater wohl an die hundertmal 100 einen der Kranken, davor die Wärter sich fürchteten oder entsetzten, selber besorgt hatte, ohne Schaden zu nehmen; auch habe er den Wärtern oft ein Sälblein gegeben, ihre Finger damit zu streichen, wenn sie mit denen zu tun hatten, die böse Geschwüre an sich trugen, und sei danach keiner angesteckt worden. Der nächste, der Zeugnis gab, war ein starker Mensch mit einem langen, rötlichen Bart, und er sagte aus, daß er meinen Vater einstmals in später Nacht zu seinem Weibe geholt habe, dieweil ein Kind sollte zur Welt kommen. Es habe der Doktor dazumal noch in der Wallgasse gewohnt und sei bekannt gewesen bei den ärmeren Leuten als einer, der zur Hilf komme auch da, wo nicht schon die würzburgischen Kreuzer bereit lagen. So sei er auch in jener Nacht schnell mitgekommen und habe dem Kinde zum Leben verholfen; aber es sei blau gewesen im Gesicht und der Doktor habe seltsame Dinge damit gemacht, ehe es anfing zu schreien wie andere Kinder. Auch habe es zwei Zähne mit zur Welt gebracht und sei so schwer gewesen wie von Blei. Es sei im vierten Jahr gestorben, ganz schnell über Nacht, und sein selig Weib habe allezeit behauptet, daß es bei der Geburt nicht sei mit rechten Dingen zugegangen. Nach diesem Menschen ward der Magister vernommen. Er trat vor und sein welk, alt Gesicht schien mir noch runzelvoller denn sonst. Der Notar, den schon etliche Male ein böser Husten überfallen hatte, ward jetzt wieder von diesem Leiden so überkommen, daß er ganz blau aussah. Da nahm Hans Bütthard die Papiere an sich und begann den Magister zu vernehmen. »Habt Ihr, seitdem der Doktor Euer Hausgenoß ist, irgend etwas wahrgenommen, was zu der Anklage in Verbindung stehet, im Guten oder im Bösen? Hat Euch, als einem gelehrten Mann, der Malefikant insonderheit niemalen vertrauet, was er halte von der leidigen Hexerei?« Ich sahe, wie der Magister einen Augenblick vor sich hinblickte, wie in zweifelndem Erwägen, dann schauete er fest auf den Richter und sprach mit lauter Stimme: »Nein!«

Die Jesuiten schüttelten die Köpfe, und der eine sprach ärgerlich: »So erzählet, wie Ihr mit dem Malefikanten gelebet, was er getrieben und gesprochen. Verschweiget nichts, damit Ihr uns nicht in Bosheit oder Leichtfertigkeit den Kampf 101 erschweret, den wir wahrlich nicht gegen Euren Hausgenossen, sondern gegen den leidigen Teufel führen.« Da er dieses sagte, machten alle Richter zusamt dem Schreiber das Zeichen des Kreuzes, und Hans Bütthard spritzte sich etwas aus einem Kölblein ins Gesicht.

Ich hörete jetzt den Magister also beginnen: »Ich wüßte nichts, hochmögende Herren, was ich aus des Doktors stillem Leben verheimlichen müßte oder wollte. Es lag klar da vor aller Welt und hieß vom frühen Morgen bis in die späte Nacht: Arbeit und wieder Arbeit.«

Hans Bütthard rückte seinen Stuhl zurück und frug mit einem Spottlächeln: »Ei, vermöget Ihr uns vielleicht auch zu sagen, was der menschenscheue Doktor arbeitete? Ist doch seine Praxis recht jämmerlich zusammengeschmolzen, seit er dazumal auf den Käppelesberg verzog.«

Ich sahe, wie der Magister ein Zucken in seinem Gesicht, als wie von Spott zurückdrängte, indes er dem Hochmögenden antwortete: »Euer Gestrengen werden vielleicht wissen, daß die Tränke und Mixturen, so einem Arzt vonnöten sind, nicht aus der Erde quillen oder vom Himmel regnen, sondern daß es einer redlichen und mühevollen Arbeit bedarf, sie zu kochen, zu brauen und zu destillieren. Auch ist der Doktor keiner von der neuen Schule, die sich jetzt allezeit mit etlichen Latwergen und Vomitiven begnügen und um derentwillen man im Spital seit der schwarze Doktor fort ist, die Apotheken hat verkleinert und die Kommoditäten größer gebauet; sondern er ziehet aus allerlei Pflänzlein und Kräutern die Gotteskraft, die darein gelegt ist.« Der lange Rupprecht lachte auf und rief: »Bei Mondschein, wie dazumal!« Aber der Notar winkte ihm, zu schweigen.

Ich verwunderte mich, daß der Magister solch Tränkekochen und ‑brauen als meines Vaters hauptsächliche Arbeit hinstellete, da er doch viel mehr schrieb und sinnierete; auch erfüllete es mich mit einer unwilligen Ungeduld, daß das Männlein sich seine Worte ließ mühselig durch Fragen aus dem Munde ziehen, und es verzehrete mich ein brennend Verlangen, daß nunmehr ich möchte an die Reihe kommen.

Bütthard begann abermalen zu dem Magister: »Ist Euch 102 etwa einmal aufgefallen, daß bei des Doktors Mischen und Kochen ein böser Geruch sich entwickelte oder daß absonderliche Dämpfe das Haus durchzogen, oder sahet Ihr unter den Bestandteilen etwas, das Euch seltsam oder ekelhaft vorkam?«

Der Magister fing an zu husten und konnte etliche Zeit nicht reden, danach sagte er: »Ei, ja, Herr; einmal hat es bös gestunken im Haus, das war aber, als der Doktor den einzigen Brief verbrannte, den er von dem Verfasser der neuen Centgerichtsordnung zu Würzburg, dem Doktor beider Rechte Hans Bütthard, erhalten hatte. Und es sagte mir Burkhard dazumal, daß er nicht begreifen könne, wie ein einziger Brief also möchte Gestank verbreiten. Von den Bestandteilen aber, daraus der Doktor seine Tränke macht, ist mir wohl zuweilen einer als seltsam oder ekelhaft aufgefallen; aber Burkhard belehrete mich, daß alle Kreatur Gottes gut sei und nichts verwerflich, so der Mensch sie mit Dankbarkeit empfahe und benütze.«

Ich sahe, wie Bütthard dem Notar und dieser dem Schreiber etwas sagte, danach ward der Vikar von St. Burkhard aufgerufen. Das Pfäfflein trat hervor und ich spürete ein mächtig Gelüst, seinen langen Hals, der aus dem schwarzen Gewand hervorragete, zu fassen und den Menschen mit seiner Weiberstimme zu erwürgen für alles, was er mir angetan.

Einer der Jesuiten begann: »Es sind zwar die Punkte, darinnen Euer Hochwürden, Matthias Marsovius, zu zeugen vermögen, schon in der Klageschrift enthalten; allein es möchte für das hochlöbliche Gericht nicht ohne Belang sein, Euch an dieser Stelle noch einmal zu hören.«

Da fing die Stimme, die mir wie der Klang einer Säge auf einen eisernen Nagel durch Mark und Gebein ging, ganz zaghaft zu reden an: »Es mögen die hochmögenden Herren das, was ich zu sagen habe, so auffassen, als wolle ich es nicht dartun, dieweil es von sonderlicher Wichtigkeit und Belang wäre, sondern darum, daß ich mit Eid gelobet, die Wahrheit zu sagen und nicht groß noch klein geheim zu halten. Es ist mir auch erst hinterher, nachdem ich die ganze unselige Geschichte von ihrem Anfang an des öfteren in mir hin- und 103 hergeworfen und beweget, auch mein Gewissen geprüft und gefragt habe, in den Sinn gekommen, daß zwischen dem, was ich heute sagen will, und des Malefikanten Sache möchte ein innerer Zusammenhang sein.«

Ich sahe, wie Wolf Dietrich von Schaumberg sich über den Kopf fuhr, als wäre er in Ungeduld; der Notar wippte mit seinem Kiel, und der Schreiber sahe fragend herüber.

Der Vikar fuhr fort: »Als dazumal in St. Burkhard die blinde Ketzerin den Gottesdienst freventlich unterbrach und ich in des Malefikanten Augen und höhnischen Mienen zuerst seine Häresie las, die sich auch in diesem Fall wieder als die Begleiterin und vielleicht Urheberin der schrecklichsten Laster erwiesen hat, da sahe ich den Domizellaren Wolf Dietrich von Schaumberg neben des Malefikanten Tochter stehen, daß er sie ansahe mit Augen, wie es einem Geistlichen nicht zukommt. Sodann verwies mir dieser hochehrwürdige Herr meine Predigtworte also, daß ich merkete, er stehe auf der Seite der ketzerischen Blinden. Es möge das hochlöbliche geistliche Gericht glauben, daß ich solches in mich verschlossen und vergessen hätte, so ich nicht, nachdem schon der Malefikant auf meine Anklage und vielfältigen Verdachtsgründe hin, in Haft war, den Domizellaren zu nachtschlafender Zeit und in einer Vermummung an des Doktors Behausung hätte schleichen sehen, allwo er an einen Laden klopfte und danach hineingelassen ward.

So auch meinem kleinen Verstand und unzulänglichen Scharfsinn nur unvollständig gelingen kann, daraus einen Zusammenhang zwischen Sr. Hochehrwürden und dem Malefikanten zu finden, wird vielleicht doch das hochlöbliche Gericht eine Kunde, die des Wissens wert ist, aus meinem Zeugnis entnehmen.«

Wie ich den Vikar also sprechen hörte, ging alles im Saal mit mir rundum; dann aber sahe ich den Domizellaren festen Schrittes gegen die Richter vorschreiten. Alsobald legte sich meine unsinnige Angst, und mit Zuversicht sahe ich auf den hochgewachsenen Mann hin, dessen Augen zornflammend und verächtlich zugleich aus dem bleichen Angesicht auf das Pfäfflein blickten.

»Ei, Hochehrwürden,« sprach er laut und ruhig, »so Euch 104 Euer kleiner Verstand und unzulänglicher Scharfsinn auch nur einen unvollständigen Zusammenhang ahnen läßt, so wird Euch dieser kleine Verstand und unzulängliche Scharfsinn doch nicht im Stich lassen, wenn ich Euch auffordere, diesen Zusammenhang allhier darzutun.« Der Vikar reckte seinen langen Hals und sprach von oben her: »Es ist mir nicht bekannt, Hochehrwürden, daß Ihr zum hochlöblichen geistlichen Gericht gehöret, noch daß ich Euch Rede stehen müßte.« Wolf Dieter aber lachte auf und erwiderte: »Ihr habt recht, Herr. Das Redestehen ist an mir, Ihr aber begnüget Euch damit, den Leuten ordentliche Steine in den Weg zu schmeißen. Es tut jeder nach seiner Art, und nur ein Narr schilt den Maulwurf dafür, daß er im Dunkeln wühlt. Um aber Eurem kleinen Verstand und unzulänglichen Scharfsinn in seiner Not beizustehen, will ich Euch und diesem hochlöblichen Gericht offen zu wissen tun, daß ich dazumal zu des Doktors Behausung ging, nicht wissend, daß der Mann peinlich verklagt sei, und daß ich nur meiner alten, kranken Amme einen Wunsch erfüllen wollte, da sie mich bat, der Gespielin ihrer blinden Bruderstochter deren Einziehung mitzuteilen.« Der Vikar lächelte bös und erwiderte: »Brauchte es dazu der Nacht und der Vermummung?«

Da warf Wolf Dieter den Kopf zurück voll Hochmut und sprach: »Wann ich gehe, und wie ich gehe, ist meine Sache!«

Als er solches gesagt, schritt er ruhig zurück an Sr. Gnaden Seite, und der Vikar sah grüngelb aus vor Wut.

Danach ward ich aufgerufen.

Ich spürte jetzt meines heißen, jungen Bluts Klopfen bis in die Spitzen der Finger. Stolz, Zorn, Haß und der Mut der Wahrheit glüheten auf in meinem Herzen, da ich den blutsaugenden Tieren, so man geistliche Richter nennet, gegenüberstund.

Indes ich die paar Schritte vorging, blickte ich auf das Heilandsbildnis. Ich sahe die grellroten Blutstropfen niederrollen an dem hölzernen Hemde und sahe das graue, qualdurchzogene, erloschene Antlitz, als wäre es das meines Vaters. Meine Augen irreten weg und trafen auf ein gelblichfahles, starres Gesicht, dessen lodernde Augen schreckensvoll nach mir hersahen. Es war der Bischof Philipp Adolf, der dort stund, 105 und in mir das Ebenbild der Isabel Ochsenhausin, des einst begehrten Weibes, sehen mochte.

Da biß ich auf meine Zähne.

Hans Bütthard stund jetzt auf von seinem Stuhle, als ahne er, daß das Verhör nun sollte eine scharfe Wendung nehmen, und er blickte mir drohend entgegen, indes er begann: »Ihr, Renata Burkhardin, seid auf Euer eigen, dringend Begehren als Zeugin geladen in der Sache des Doktors Johann Friedrich Burkhard. Ich tue Euch zu wissen, daß es gegen allen Brauch ist, Blutsverwandte zu vernehmen; aber dieweil der Magister Lamprecht, Euer Hausgenoß, dem verpflichteten Notar Wolfgang Schilling gesagt hat, über des Malefikanten menschenscheues, abgeschlossenes Leben könne niemand Aufschluß geben, denn nur Ihr, und zudem seiet Ihr Katholikin und der leidigen Ketzerei abhold, so hat Se. Gnaden der Herr Fürstbischof befohlen, daß Ihr zur Verhandlung gezogen werdet.«

Ich nickte und erwiderte des Mannes drohenden Blick.

Danach trat Hans Bütthard zu dem Notar und nahm ihm eine Rolle aus der Hand, langsam darin blätternd, und er begann, indes er den Blick nicht zu mir erhob: »Wer hat Euch im römisch-katholischen Glauben unterwiesen?«

Ich sprach: »Mein Vater.«

»Wie hat er das gekonnt, so er doch ein Ketzer ist?«

Ich entgegnete: »Mich deucht, Herr, es möchte Euch leicht werden, so Ihr Kinder hättet, sie in der protestantischen Lehre zu unterweisen, ob Ihr gleich ein guter Katholik seid.«

Der Richter sahe rasch und lauernd zu mir her; aber in meinem Gesicht mochte er nicht zu lesen verstehen, denn er fuhr fort: »Saget näher, was hat Euch der Malefikant gelehret in Glaubenssachen?«

Da hob sich meine Brust, denn jetzt gedachte ich mancher Worte voll eines hohen und edlen Geistes, die mein Vater zu mir gesprochen und darauf ich nach blöder Kinderart dereinst kaum geachtet hatte. Ich mühete mich, meiner Stimme Festigkeit zu geben, und entgegnete: »Mein Vater hat mich gelehret, daß es frech, anmaßend und schimpflich sei, nach katholischer und lutherischer Heuchler Art von dem Gott des Himmels zu reden, 106 als seie man sieben Abende in der Woche bei ihm zu Gaste geladen und habe ihn neben sich sitzen sehen, als einen guten Freund in Kappe und Hausrock. Wenn ein Ameislein uns über den Fuß kreuche, so meine es wohl, es habe einen Berg erstiegen und des Schuhes Nestel möge es für Kluft und Fels erachten, denn des Tierleins winziges Auge und kleiner Verstand reiche nicht aus, uns in unserer ganzen Gestalt zu fassen. Menschen aber vermessen sich, Gott zu malen, als seie er dazu vor sie hingestanden, und doch vermögen menschliche Augen nicht einmal der Sonne Licht zu ertragen, noch vermag ein menschliches Hirn des Windes Bahn zu ermessen; viel weniger den zu begreifen, der Wind und Sonne erschaffen hat. Und mein Vater hat mich fürder gelehret, daß es aus solch frechem und würdelosem Denken herkomme, wenn heutzutage so viele von Gott meinen, daß er in blinde Wut geraten müsse, so das Würmlein im Staub, der Mensch, die Hände zum Beten nicht hoch genug hebe, oder das Kreuzeszeichen zu schlagen unterlasse.«

Bütthard wandte sich halb rückwärts gegen den Bischof und sprach: »Höret, Euer Gnaden, wie es dem Ketzer nicht anders möglich ist, denn daß er der heiligen Kirche Gebräuche schmähe!« Ich rief voll Zorns: »Niemalen hörete ich meinen Vater das schmähen, was seinem toten Weibe heilig war; aber er hat mich gelehret, des Kernes nicht zu vergessen über der Schale und Gott mit anderem zu dienen, denn mit leeren Gebräuchen.«

»Und die heilige Meß und Konsekration habet Ihr wohl auch als einen leeren Brauch achten gelernt?«

Ich sahe des Mannes Blick lauernd und voll Gifts an mir hangen, und allsofort war ich gewappnet: »So ich in St. Burkhard der heiligen Messe anwohnete und mein Geist erschauerte dabei als vor der Gegenwart Gottes, – saget an: war mir's dann leerer Brauch?«

Hans Bütthard schlug mit der Rolle auf den Tisch als wie im Ärger und wollte etwas reden, da kam ihm einer der Jesuiten zuvor, ein noch junger Mann, aber mit ergrauten Haaren und einem edlen, traurigen Angesicht, auf dem es lag, wie verschlossene Pein und langer Kummer. Er sahe mich an 107 und sprach mild: »Nichts Übles hat Euch Euer Vater gelehret, und doch darf man Euch nicht verhehlen, Jungfrau, daß auch die hohen und höchsten Gedanken ein armselig Ding sind gegen die Lehre vom Heil der Welt, wie die heilige römische Kirche sie darbietet. Nicht auf unser Grübeln sind wir angewiesen, sondern auf alle heiligen Offenbarungen Gottes von Anbeginn der Welt an.«

Als der Jesuit also sprach mit seiner leisen Stimme, mußte ich ihn verwundert anschauen, denn es war sein Ton und seine Art zu reden nicht wie bei andern Priestern. Ich fühlte etwas warm und zuversichtlich durch meine gequälte Seele gehen und ich entgegnete: »Nicht die Offenbarungen allein sind heilig, darauf der Rost der Jahrhunderte liegt, sondern der ewige Gott lebet und offenbaret sich heute noch und mein Vater lehrete mich, darauf zu merken, und mehr und besseres kann kein Mensch, denn allezeit von ganzem Herzen suchen. Und Jesus Christus preiset nicht die Satten selig, sondern die, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. Und ihnen verheißet er, daß sie dereinst sollen satt werden.«

Hans Bütthard hob seine Hand wie zur Abwehr und sagte hart: »Ihr schweifet ab, Jungfer! Saget kurz, was hat Euch Euer Vater gelehret, daß Ihr als katholische Christin glauben müßt?«

Da schaute ich dem unwürdigen Mann fest in sein pockennarbig Gesicht und rief laut: »Mein Vater sagt: Glauben könne man nicht müssen, das sei unsinnig, unsinnig! Oder kann man zu einem Menschen sagen: Du mußt malen wie der Grünewald oder in Stein hauen wie der Michael Kern? Locken und einladen soll man zum Glauben, das allein ist brüderlich, ist priesterlich, ist christlich; aber drohen darf man nicht, nicht knechten und nicht hetzen. Tut doch unser Glaube Gott nicht not, nur uns. Uns ist er Stütze, uns ist er Halt; Gott aber ist allezeit Gott.«

Mir flog es wie heiße Glut von Seele und Lippen, denn die hartblickenden Männer vor mir, die sich Glaubensrichter nannten und zu Würzburg wüteten wie die hungrigen Teufel, sie reizten mich auf, und es war in mir, als schlage Stahl und Stein zusammen, daß die Funken sprüheten. 108 Als der Richter und der Notar mich noch verwundert anstarrten, trat der Bischof selbst hervor an den Tisch und langte nach den Akten. Seine scheuen Augen streiften über mich hin und er begann kalt: »Euer Mundwerk ist gut, Zeugin; aber es tut uns nicht not, Dinge zu hören, die nicht hierhergehören.«

Ich konnte nicht an mich halten, sondern rief heftig: »Verzeihet, Euer Gnaden, aber ich bin um allerlei Lehren meines Vaters gefragt worden und gedachte nicht mehr zu sagen, denn die Antwort auf jene Frage.«

Der Bischof sprach streng: »Saget nun, was hält Euer Vater von der leidigen Hexerei?«

Ich merkte die Falle und antwortete: »Mein Vater siehet wohl da und dorten Feinde Gottes ihr Wesen treiben; aber er erachtet es als einen Schimpf gegen den Höchsten, zu wähnen, menschliche Gerichte müßten den Scheiterhaufen entzünden, Gott zu erlösen von seinen Feinden und seine Kreatur zu schützen gegen übermächtige Widersacher. Die Feinde Gottes seien gerichtet in ihrer Feindschaft, so wie der verhungern muß, der die Speise hasset und fliehet.«

Der Bischof sagte etwas gegen Bütthard hin, und dieser fuhr fort: »Ihr habt gehöret, wessen die vorherigen Zeugen den Malefikanten beschuldigten. Haltet Ihr davon, daß die Vernommenen töricht oder böswillig bezeuget haben? Was vermöget Ihr dagegen zu sagen?«

Ich mußte dieser Frage fast lachen und deutete auf den langen Rupprecht, der kein Auge von mir ließ: »Dort für Sr. Gnaden Knecht kann ich bürgen, daß sein Zeugnis ein wohlüberlegtes war; denn ich habe ihn gestern schon dasselbe dem Torwart Beck sorglich vorsagen hören, als der trunkene Mann nicht wußte, wessen er den schwarzen Doktor beschuldigen sollte. Und fraget doch die anderen, ob nicht auch sie Unterweisung empfangen haben von dem Langen, der ein brauchbarer Spion und leiser Schleicher ist und meines Vaters bitterlicher Feind.«

Als ich dies zornig hervorstieß, fühlete ich des Magisters Finger warnend mein Schultertuch berühren; aber ich kehrete mich nicht daran, sondern sprach voll Grimms weiter: »Mein einfältig Ohr vernahm aus dem meisten, was diese gezeuget 109 haben, nur das, daß Euer elendiglicher Malefikant allezeit und unverdrossen geholfen hat, wo einer Hilfe von ihm heischete; aber Sr. Gnaden und eines hochlöblichen Gerichtes Weisheit siehet darin Teufelswerk und böse Hexerei. Es ist jetzund eine verkehrte Zeit, denn das Gute in der Welt schaffen die Hexenmeister: aber wo Jammer und entsetzlich Elend zum Himmel schreiet, haben die geistlichen Herren und Richter die Hand im Spiel.«

Da kam der Bischof weit vor gegen mich, und er sprach mit einer fast heiseren Stimme: »Aus Euch redet die Ketzerin, denn ob Ihr gleich Eurer toten Mutter gleichet wie ein Ei dem anderen, habet Ihr doch nicht ihren frommen, katholischen Sinn.«

Mir stieg das Blut vollends zu Kopfe, weil dieser Mann meiner Mutter Erwähnung tat; ich trat schnell weiter vor, daß ich sein fahles Gesicht fast hätte greifen mögen, und entgegnete hastig, aber leise und nur für ihn: »Auch für der Isabel Ochsenhausin frommen, katholischen Sinn waren Eure Worte nicht die rechten damals, als es zum Sterben ging.«

Des Bischofs Augen wurden starr, wie in Entsetzen: er hob die Akten gegen mich; aber ich trat ihm noch näher, es hatte mich gepackt wie eine Erleuchtung, daß ich alles vor mir sahe, was an jenem Tag neben meiner Wiege sich zugetragen. »Wisset Ihr noch,« raunte ich ihm zu, »wie die langen Haare über die Kissen fielen und das sterbende Weib Euch flehend ansah, daß Ihr solltet ein einzig priesterlich Wort sprechen, der Trostlosen den Frieden zu geben für ihren Hingang? Wisset Ihr, wie Ihr sie statt dessen quältet mit Euren Augen voll sündhaften Verlangens, mit Eurem heißen, unseligen: ›Isabel, ich lieb Euch!‹ Danach, da sie Euch wegstieß mit letzter Kraft in Ekel und Verachtung, da fluchtet Ihr dem Weibe und fluchtet dem Ketzer und vermaßet Euch, sie zu scheiden von ihrem Gott und ihrer Seele Seligkeit. So Teufelei im Spiele war, daß meine Mutter ohne die Sakramente starb, – Ihr waret der Teufel, – und so Hexenwerk die Verscheidende in des Ketzers Arme trieb, – Ihr waret der Hexenmeister!«

Da trat der Bischof von mir zurück und wankte; seine Züge verzerrten sich, und ich sahe das Entsetzen in seinen 110 Augen, denn er wähnte die alte Schuld begraben mit dem Bischof Julius.

Die Richter schauten auf mich mit drohenden Blicken, sie hatten meine Worte nicht verstanden; aber sie sahen den Hochmögenden seine kalte Ruhe verlieren.

Hans Bütthard riß dem Schreiber das Blatt weg, wie in jähem Zorn, und er rief laut zu mir her: »Werdet Ihr nun endlich zur Sache kommen, Zeugin? Es hat Euch der Ketzer doch irgend etwas lehren und sagen müssen über unsern allerheiligsten Glauben!«

Da brach es aus mir hervor: »Herr, Ihr sagt es! Und wahrlich, so ich meinen Vater nicht zum Lehrer gehabt hätte, – der ganze Glaube wäre mir zuletzt wie elend Menschenmachwerk und Flickwerk erschienen: er aber hat mich zurückgeführt auf den diamantenen Grund, den nichts zerstört, und meinen katholischen Glauben dank ich einem evangelischen Mann!«

Der Pockennarbige hob seine Rechte und rief: »Schweigt! Wer nicht katholisch getauft ist, kann sich nimmermehr evangelisch nennen, denn nur unser allerheiligster Glaube ist der Glaube des Evangeliums, nur unsere Kirche hat die Schlüssel des Himmels. Et haec est victoria, quae vincit mundum, fides nostra!« –

Er sprach wie in Verzückung, und mir grauete vor diesem Menschen. Der Bischof aber schritt mit erblaßtem Gesicht am Richtertisch vorüber und ich sahe ihn etwas zu den Jesuiten sagen, dann ging er aus dem Saal, gefolgt von Wolf Dieter. Ich stund und blickte ihnen nach, und mein ungestümer Mut, der den Zorn des Richters verachtet hatte, er schrumpfte plötzlich zusammen, daß ich nichts mehr denken konnte als in großer Bangigkeit das eine: »Was wird der Domherr halten von meinen ungezügelten Worten?« Still trat ich zurück und zog mein Tuch um die Schultern, denn mich fror mit einemmal, und ich wurde nicht wieder aufgerufen, sondern war bald danach mit dem Magister unter den wirbelnden Flocken auf dem Heimweg. 111



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