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Pflanzenpsychologie.

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Zwei Frühlinge, zwei Sommer, zwei Herbste bin ich im botanischen Garten von Lund umhergewandert; vom ersten Versuch des Schneeglöckchens, mit seiner eigenen Lebenswärme die Kältemischung der Schneewehe zu bekämpfen, bis zu dem der Zeitlose, mit ihren an blaugefrorene Hände erinnernden Blüten die Barfröste des Herbstes zu schmelzen. Dieser Garten hat mich mehr als andere gelehrt, weil beinahe jede Ordnung hier fehlt; wenigstens scheint die Abwesenheit von System und Klassifizierung diesem eingehegten Lustgarten den Charakter eines Stückes Natur bewahrt zu haben, wo die Pflanzen auch etwas von ihrer Persönlichkeit, ihren Launen, Neigungen und Liebhabereien haben behalten dürfen.

Die auf Steingrund gedeihen, dürfen zusammenwohnen ohne Rücksicht auf Klasse, Ordnung, Familie; die Wasser lieben, dürfen sich beim Bach oder Teich treffen; die die Sonne verehren, bekommen freies Land, und die Freunde des Dunkels haben Schatten erhalten. Es gibt nicht nur Freiheit, sondern auch Schönheit und, was mehr ist, Barmherzigkeit in diesem Paradies, wo die stummen, geduldigen, leidenden Freunde stehen müssen, still, in Regen und Wind, in Hitze und Kälte, ihr Schicksal abzuwarten, ihre Geburt, ihr Wachstum und ihren Tod – hier jedoch auf eine für jeden am wenigsten unangenehme Art.

Niemals habe ich in lebendem Bilde Jussieus bekannten Satz bestätigt gesehen: daß die Pflanzen sich nicht in einer Kette entwickelt haben, sondern daß das Ganze ein Netz ist. Und bisher sind ja auch alle Systeme gestrandet, von Linnés bis De Candolles; Linnés zuerst von allen. Nimm zum Beispiel Blüten einer Gurkenpflanze; man findet fünf Staubfäden und bringt das Kraut unter Pentandria. Aber bei näherer Betrachtung sind von vier Staubfäden zwei und zwei zusammengewachsen – das ist diadelphisch – unglücklicherweise ist der fünfte Staubfaden frei, und damit ist die Pflanze unmöglich in das System zu bringen – würde unmöglich sein, wenn sie nicht männliche und weibliche Blüten getrennt hätte, aber auf demselben Stande, weshalb die Gurke zu Monoecia gezählt wird. Ebenso: Valeriana officinalis, die zu Triandria gehört, hat eine Schwester Valeriana dioica, die monoecisch oder zweihäusig ist.

Das Ganze stimmt nur ungefähr; eine Pflanze ist überall ein wenig zu Hause, und ist durchaus nicht so klassenbewußt, wie die Systematiker glauben. Dasselbe ist der Fall in den sogenannten natürlichen Systemen, die auf »wesentliche« Charaktere gegründet sind, obgleich niemand den Begriff unwesentlich hat definieren können. So führt die Botanik der schwedischen Staatslehranstalten die Pflanze Alpenveilchen (Cyclamen Europaeum) unter den Dikotyledonen und der Familie Primulaceae an. Nun ist jedoch mit Cyclamen der eigentümliche Fall, daß es ohne Keimblatt ausschlägt, und daß die zuerst entwickelte Wurzelscheibe direkt ein Laubblatt treibt. Diese Wurzelscheibe scheint also als Prothallium der Kryptogamen zu fungieren, und die Pflanze könnte eine Symbiose von einem Kryptogam und einem Phanerogam genannt werden, so ungereimt es auch klingen mag.

Eine große scheinbare Unordnung scheint zu herrschen, aber ein unendlicher Zusammenhang, und da wir aus Ähnlichkeiten schließen, nicht aus Unähnlichkeiten, so will ich auf eine Reihe Ähnlichkeiten aufmerksam machen, die die Spuren eines ununterbrochenen Zusammenhanges in der universellen Unordnung zeigen.

Es gibt eine kleine liebenswürdige Erscheinung in der Pflanzenwelt, die Pyrola heißt. Die hat ihren Namen von der Ähnlichkeit der Laubblätter mit den Blättern des Birnbaums erhalten. Wie wesentlich auch Laubblätter für den Bestand und das Erkennen einer Pflanze sind, so müssen wir sie doch für unwesentlich und äußerlich in der Systematik halten. Gehen wir also zu einem inneren Kennzeichen, einem, das nicht physisch ist, sondern wirklich unphysisch wie der Geruch, der ja das allerinnerste oder die chemische Zusammensetzung angibt. Pyrola uniflora riecht wirklich wie die feinste Kaneelbirne. Bedeutet das etwas?

Die, für die es nichts bedeutet, weise ich zurück zum physikalischen Niveau, und betrachte die Blütenteile beider Pflanzen. Sowohl Pyrola wie Pyrus (communis) haben ihre Blütenteile auf die Zahl fünf gebaut. Die Kelche sind fünfteilig, die Kronen fünfteilig, die Stempel haben fünf Narben, die Fruchtknoten fünf Räume. Die Staubfäden bei Pyrola sind fünf mal zwei, bei Pyrus fünf mal vier, also fünfzählig. Das sind doch wesentliche Ähnlichkeiten, nicht wahr?

Nun fügt es sich noch, daß Pyrus in unseren Tagen unter die Familie Rosaceen oder Rosenähnliche gehört. Der alte Prälinnéaner Tournefort muß ein Auge gehabt haben für die Ähnlichkeit der Pyrola mit der Rose (und folglich mit der Birne), denn er bringt die Pyrola zu denselben Rosaceen!

Daß die Frucht der Pyrola eine Birne simuliert, und daß die ganze Haltung der Pyrola (besonders der rotundifolia) pyramidenförmig ist wie die des Birnbaums, ist etwas, das nur für das Künstlerauge Wert besitzt. Aber es sollten ja Ähnlichkeiten gesucht werden von zwei entfernten Sphären, einem kleinen Waldkraut (Kraut, obgleich es einen Baumstamm und immergrünes Laub hat!) und einem großen Obstbaum. Und als Verwerfung der Methode pflegt man gegen mich anzuführen: »Ähnlichkeiten finden sich überall, wenn man nur sucht.« Aber das ist eben meine Meinung auch, und ich weiß nicht, wie man uneinig sein kann, wo man einig ist.

Ich will jetzt zwei Vorstellungen einander nähern, die noch entfernter sind, nur zum Versuch. Wer mit dem Auge des Künstlers eine lange grüne Schlauchgurke betrachtet, die auf schlechtem, freiem Land gewachsen ist, hat wohl bemerkt, wie die Frucht einer gewissen Kaktuspflanze gleicht. Die Gurke ist grün wie der fragliche Kaktus, gerillt wie der Kaktus, und kriegt Warzen mit Haaren darauf, wie der Kaktus. Kann eine Frucht einem ganzen Gewächs gleichen? Ja, sie kann wohl, da sie es tatsächlich tut! Aber der Zusammenhang? Wenn der Zoologe alle Glieder zwischen der Schildkröte und dem Schwimmvogel aufweist, will ich mich für verpflichtet halten, alle Übergänge zwischen einer Gurke und einem Kaktus anzugeben. Während ich auf den Zoologen warte, will ich mich mit einigen Andeutungen eines existierenden Zusammenhanges begnügen.

Nach dem System von Fries gehören sowohl Kukurbitazeen wie Kakteen zur siebenten Klasse Fauciflorae; sie stehen unmittelbar nebeneinander, so daß die Gurkenpflanzen die Familiennummer 54 und die Kaktuspflanzen 55 haben. Damit haben wir die beiden bereits ein tüchtiges Stück genähert. Ferner: der Kaktus gehört nach Linné zu Icosandria, und, bemerkt S. Almquist in seinem Lehrbuch, bei den Gurkenpflanzen ist der Blütenboden schalenförmig ausgebreitet wie bei der Klasse Icosandria (wohin der Kaktus gehört). Füge ich hinzu, daß die Gurke jetzt für eine Beerenfrucht angesehen wird, und daß die junge Kaktusfrucht, auch eine Beere, einem jungen Kürbis gleicht, so wird der Abstand wieder ein Stück vermindert. Aber das schlimmste Stück bleibt noch übrig, die Gurke war ja eine Frucht, und das Kaktusfleisch ist keine Frucht, auch kein Blatt, sondern die Bekleidung des Stammes, denn der Stamm in einem Kaktus ist oft holzartig mit Jahresringen. Für einen Goethe jedoch, der glaubte, daß Blüte und Frucht nur Verwandlungen des Blattes sind, und das Blatt ein verwandelter Stamm, würde also der Übergang vom Stamm (des Kaktus) zur Frucht (der Gurke) nicht ungereimt sein.

Für den, der Zeit hat, alle Glieder in der morphologischen Kettenrechnung aufzustellen, die hier erforderlich sind, bitte ich daran erinnern zu dürfen, daß die Euphorbien (die mexikanischen) mit ihren kaktus- und gurkenähnlichen Stämmen, und die Sedumarten mit ihren kaktusähnlichen Stämmen und gurkenähnlichen Blättern (vergleiche Sedum acre) in die Analogiekette (oder das Analogienetz) aufgenommen werden müssen. Und damit genug für diesmal!

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Wenn man von der echten Kastanie spricht, verbittet man sich gewöhnlich jede Verwechselung mit der Roßkastanie, die ein »ganz andrer« Baum sei, die einer »ganz andern« Klasse und einer »ganz andern« Familie angehöre. Daß die Früchte, die doch der Endzweck des Baumes sind, einander vollständig gleichen, das ist nichts Wesentliches für den Botaniker. Was die Natur vereinigt hat, scheidet der Botaniker, und bei flüchtigem Betrachten scheint wirklich die echte Kastanie mit ihren zweihäusigen unbedeutenden Blütenkätzchen und ihren ganzen ungefingerten Blättern eine ganz andre zu sein als die Roßkastanie mit ihren leuchtenden Blütenspitzen und siebenfingrigen Blättern.

Viele Jahre ist mein Gedanke abgeschreckt worden, diese Verwandte einander zu nähern, bis ich eines Tages die Natur als Maler makroskopisch zu betrachten begann. Ich hatte bei Promenaden am Genfer und Vierwaldstätter See die eigentümliche Art der echten Kastanie bemerkt, am untern Teil des Stammes in Zweige auszuschlagen und, bei einem gewissen Alter, gleichsam müde, diese Zweige zum Ruhen auf den Boden zu legen. Dieser rein persönliche Charakterzug setzte mich instand, im Winter die echte Kastanie zu erkennen, wo ihr das Laub fehlt.

Die Jahre vergingen: ich befand mich in Paris, wo ich den Luxembourggarten zu meiner Morgenpromenade gewählt hatte. Drei Sommer ging ich da, und konnte meine Bäume ziemlich auswendig. Eines Abends im Barwinter entdeckte ich hinten im Englischen Garten einen entlaubten alten Baum, der mit dem Ellbogen auf dem Boden lag und in dem ich eine echte Kastanie erkannte; und ich war erstaunt, daß ich einen solchen Baum nicht in meinem Garten bemerkt hatte. Als ich mich dem Baum näherte, sah ich zu seinen Füßen welke Blätter der Roßkastanie, und auf einem Zweige saß noch eine Frucht als materieller Beweis. Dieser rein individuelle Zug öffnete meine Augen für eine existierende Verwandtschaft zwischen den beiden Bäumen. Es war, wie wenn im Leben ein Mensch durch eine Gebärde seine Verwandtschaft mit einem andern verrät. »Die Ellbogen auf dem Boden«, diese Gebärde gab mir den Wink und ich behielt sie im Gedächtnis.

Die Jahre vergingen und das Alter näherte sich. Das Auge begann seine Schärfe für Details zu verlieren, sah aber statt dessen Zusammenhänge. Ich ging eines Sommers in den Park von Lund; sah aus einem Gebüsch den Schuß einer jungen echten Kastanie, eine siebenfingrige Hand, hervorstrecken, genau mit derselben Geste wie die Roßkastanie, deren Blätter sie simulierte. Bei näherer Betrachtung fand ich, daß am Ende des Zweiges die Blätter zusammengerückt waren und eine Rosette bildeten, nicht ungleich den Blättern der Roßkastanie. Daß die Blätter der Rosette dieses Mal sieben waren, muß man wohl für einen Zufall halten, wenn er auch besonders glücklich für mich war.

Als ich gleich darauf, im selben unvergeßlichen Lund, am Bahnhof die Roßkastanie traf, die Pavia genannt wird (glaube ich!), und fand, daß bei dieser Art die Blattzipfel die umgekehrte Ei-Keil-Form von Äskulus verlassen und die lanzettgleiche, gesägte von Castanea angenommen hatten, da war ich von der Verwandtschaft der beiden Bäume überzeugt, trotzdem der eine sieben (sechs und acht) Staubfäden hat und zu Heptandria gerechnet wird, der andere bis zu zwanzig Staubfäden und zu Monoecia gehört.

Kehre ich zurück zum Botanischen Garten von Lund! Gleich links hinter der Pforte steht ein Gehölz echter Kastanien, die sich zu Riesenbüschen entwickelt haben. Das lanzettgleiche, gesägte, schöne Laub bildete lange meine Freude und ich konstatierte mit Vergnügen, daß die Büsche dieselben Gebärden mit den Zweigen machten wie mein alter Baum im Luxembourggarten. Aber dann wurde es Herbst und siehe da: meine Kastanien trugen Eicheln! Was war das?

Das Namenschild, das ich früher nicht bemerkt hatte, klärte mich über den Betrug auf. Die Pflanze hieß nämlich Quercus castanaeifolia, das ist Eiche mit kastaniengleichen Blättern. Daß eine Eiche ihre Verwandtschaft mit der Kastanie durch die Form der Blätter zeigte, das war ja zu erwarten, aber daß der Habitus der Kastanie, ihre Art zu sein, das, was man mit einem Wort nicht aussprechen oder definieren kann, umging, das deutet auf die Gegenwart von etwas Persönlichen – das ist das Wort! – das mit dem verglichen werden könnte, was man beim Menschen Charakterzug nennt.

Diese Charakterzüge verraten immer, wo sie sich offenbaren, den inneren latenten Zusammenhang, wie entfernt er auch sein mag. So simuliert die moderne Blattpflanze Philodendrum die Alge Laminaria; das Kryptogam Marsilia gleicht einer vierblättrigen Oxalis, und die Früchte beider erinnern an die Schnecke Cyprea. Ophioglossum sucht mit Erfolg einem Arum oder einer Calla zu gleichen. Myrrhis odorata schlägt ihre ersten Blüten wie ein Farn aus. Das knospende Nadellaub der Lärche weckt die Vorstellung von einer Salisburia oder einem Adianthum. Der Wallnußbaum schlägt wie eine Erbsenpflanze, Acacia, aus. Die »Kicherbeere« des Wachholders ist eine morphologische Veränderung, die der Blüte von Thuja oder dem zweiten »Blatt« von Lycopodium gleicht. Die Buche schlägt aus wie die Linde. Die Dolde von Valeriana gleicht der des Holunders, und beide Pflanzen haben große Ähnlichkeit. Euphorbia Peplus imitiert Chrysosplenium. Wenn die Blätter der Erbsenpflanze platzen, simulieren sie Erbsenblüten, später auch die Erbsenschote. Die Umbellate Eryngium maritimum imitiert eine Distel, worauf jeder Anfänger hineingefallen ist.

Besonders bei den Alpenpflanzen und Meeresalgen kann man diese Doppelgängerei spüren. So hat Campanula Thyreoidea sich in den ganzen Habitus von Verbascum montanum gekleidet, daß man geneigt wäre, diese beiden für gegenseitige Kreuzungen zu nehmen. Ranunculus Pyrenaeus hat das Blatt von Plantago alpina. Polygala Chamaebuxus gleicht Buxus. Daphne Cneorum hat das Blatt einer Euphorbie. Linaria alpina besitzt die Blüte von Cypripedrium calceolus. Geranium Acontifolium zeigt die Blätter von Aconitum usw. Von den Meeresalgen gleicht der Blasentang einem Kaktus, aber partiell auch einer Cycas. Delesseria sanguinea besitzt das Blatt der echten Kastanie. Polysiphonia Byssoides und Dasya Coccinea simulieren Heide. Griffithsia kann für ein Gras passieren, Halopithys gibt sich den Anschein, ein Kiefernbusch zu sein, der sich bei einer Überschwemmung vereinfacht und angepaßt hat. Chylocladia ovalis spielt Euphorbia; Corallina officinalis ist nacktes Fichtenreis, wie Gelidium; Lomentaria articulata hat sich in eine Mistel verkleidet; Delesseria sinuosa läßt die Verwandtschaft mit der Eiche durchscheinen; usw. in Unendlichkeit.

Was bedeutet dies mit den Meeresalgen? Sind sie bloße Skizzen, die die Mutter Meer für das kommende Geschlecht einer höhern Organisation entworfen hat? Oder sind sie bloß Schatten, Schemen von höhern Pflanzenformen, denen es bei einer universellen Ertränkung geglückt ist, im Meer das Leben zu behalten, indem sie sich vereinfachten?

Ich will jetzt einen Schritt zurückgehen und Anknüpfung suchen an die eigentümlichen Manöver der echten Kastanie, die Blätter der Roßkastanie zu simulieren; durch einen Kunstgriff, der an die Fingerfertigkeit des Zauberers erinnert. Es geschah im letzten Winter (1899/1900), daß ich einen gepreßten Zweig der Felsenbirke sah, den ich für ein Trifolium nahm. Er hatte nämlich am Endsproß die Blätter zu drei und drei gruppiert, so daß sie einem Klee glichen. Ich schlug Trifolium in einer illustrierten Botanik auf und fand Trifolium campestre der Felsenbirke täuschend ähnlich, auch in Hinsicht auf die Blütenstellung, die bei genannter Kleeart dem Kätzchen (oder Zapfen) der Birke gleicht.

Woher nun dieses Streben der Felsenbirke zur Dreizahl, wo die Pflanze vier Staubfäden und einen Fruchtknoten mit zwei Räumen hat? Ein Blick auf das weibliche Kätzchen der gewöhnlichen Birke offenbart einen Teil des Geheimnisses; das Kätzchen hat nämlich Schuppen, die dreiteilig sind, dreifingrig wie das Blatt von Trifolium. Das wäre ja ein rein morphologisches Phänomen, aber es war ja etwas Unerklärtes (Occultes!) das wir suchten.

Bei einer Wanderung in der Natur einige Zeit später, als ich den Winterhabitus der Bäume beobachtete, merkte ich, daß eine junge Birke im Endsproß ihre noch steifen Kätzchen in Gruppen von drei und drei vorschob, ganz wie die Felsenbirke, die kein dreifingriges Blatt hat, durch einen einfachen Hokuspokus so tut, als hätte sie es! Was bedeutet das? – Weiß nicht! Ist es ein bewußtes Schelmenstück oder nur der Ausdruck einer immanenten Energie mit unbewußter aber klarer Absicht?

Genug, alles fließt ineinander über, und in der Natur gibt es keine reinen Gegensätze. Der Mensch hat Nadelbaum von Laubbaum unterschieden, und der Botaniker hat die Pflanzen in Angiospermen und Gymnospermen eingeteilt. Dadurch ist zum Beispiel die Birke in Gegensatz zur Fichte gekommen, obgleich sie einander so nahe stehen und vielleicht darum gegenseitig Gesellschaft suchen, wie die Kiefer die Erle sucht. Die Erle in Wintertracht hat den ausgebreiteten Habitus der Kiefer, und weitere Ähnlichkeiten können ausgeführt werden als ein geeignetes Übungsproblem.

Wenn man »oberflächlich« eine junge entlaubte Birke betrachtet, sieht man, daß sie die Pyramidenform sucht wie die Fichte, daß ihre Zweige das Bestreben haben, einen Kranz zu bilden wie die Fichte. Wenn die Fichte alt wird, hängen ihre Äste herunter wie die Zweige der alten (Hänge-) Birke. Reißt man von der weißen Rinde einer Birke etwas ab, so zeigt sich eine schwarze Borke, die der dunklen der Fichte nicht ungleich ist. Die Birke führt in gewissen Gefäßen Zucker und die Fichte führt Harz, aber im Frühling ist das Birkenlaub harzig, und die Bienen, die von den Fichten Harz holen (wenigstens in Österreich), verwandeln wohl das Harz in Zucker. (Die Fichte führt im Kambiumgewebe ein Glukosid (Zuckerart), genannt Koniferin; dieses wird weiterhin ein Terpertin und dann ein Harz). Wenn man die weiße Rinde verbrennt, bekommt man den schwarzen Kienruß, der schwarz wie der Teer der verbrannten Fichtenwurzel ist.

All das wird von den Botanikern unwesentliche Ähnlichkeiten genannt; laßt uns also einige wesentliche anschauen. Beide Bäume haben die Blüten in Kätzchen, die schließlich Zapfen werden; und beider Staubfädenzahl ist vier oder das Vierfache (die Fichte acht). Beide haben männliche und weibliche Kätzchen getrennt, aber auf demselben Stand. Dies ist kolossal wesentlich! Dann aber bleibt noch übrig, daß die Birke zu den Agiospermen gerechnet wird, obgleich sie ein Gymnosperm wie die Fichte ist, einer von den vielen Widersprüchen des Lebens, die die wissenschaftliche Botanik noch nicht gelöst hat!

Der letzte Einwand: ein Laubbaum kann doch nicht einem Nadelbaum gleichen! – Doch! Denn die Birke von Ornäs hat bereits ihre Blätter so tief gesägt, daß sie auf der Grenze zur Nadel stehen.

Wenn wir jetzt mit einem Satz des Euclid schließen würden, der so lautet: die mit einem und demselben gleich sind, sind untereinander gleich – so könnten wir beweisen, daß die Fichte in gewissen Beziehungen einem Klee gleich ist. Denn die Fichte ist, in gewissen Beziehungen, wesentlichen und unwesentlichen, einer Birke gleich; und eine Birke ist einem Klee gleich, also ist die Fichte in gewissen Beziehungen einem Klee gleich.

So unendlich ist der Zusammenhang in der scheinbaren großen Unordnung!

1900.

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