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Indigo und Kupferstich.

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Seit einem Jahr gehe ich fast jeden Morgen auf den Kirchhof Montparnasse. Gleich anfangs bemerkte ich bei feuchtem Wetter, wenn ich wieder bei mir eingetreten war, einen unangenehmen Geschmack von Grünspan im Munde, der zwei Stunden anhielt. Da ich diesen Grünspangeschmack nicht hatte, wenn ich meinen Besuch auf dem Kirchhof aussetzte, schloß ich, daß er durch die Ausdünstungen der Toten hervorgerufen würde. Und da schwache Vergiftungssymptome wie durch Kupfersalz sich zeigten, fragte ich mich, ob dies wirklich Kupfer sei. Auch brachte ich eines Morgens eine Flasche Ammoniak mit, um zu sehen, ob ich die blaue charakteristische Färbung der Kupfersalzlösungen erhielte, doch sie trat nicht in Erscheinung. Ich nahm dann essigsaures Bleisalz mit und erhielt im Zeitraum einer halben Stunde eine schwache Quantität Schwefelblei und ein wenig Karbonat.

Ein altes Lehrbuch der Giftlehre und gerichtlichen Medizin war mir kurz vorher in die Hand gefallen, und ich hatte von der epochemachenden Rolle Raspails in einem berühmten Giftmordprozeß gelesen, wo er vor der Gefahr, Vertrauen zu den chemischen Analysen zu haben, warnte; die beständen sehr oft nur aus den Synthesen, die die Tätigkeit der Reagentien hervorrufen. Im Laufe der Diskussion konstatierte man, daß sich Kupfer im menschlichen Körper zeigen könne, ohne daß dieses Metall dort durch Zufall oder zu einem verbrecherischen Zweck eingeführt worden sei. Orfila, der berühmteste Giftlehrer der Epoche, formulierte schließlich die Sache so: Der menschliche Körper, speziell die Leber, enthält immer Kupfer, und dies Metall kann freigemacht werden, indem man den Körperteil in destilliertem Wasser kochen läßt. Das Kupfer dagegen, das in den Körper eingeführt worden ist, mit oder ohne Absicht, kann nicht direkt durch das Wasser freigemacht werden; man muß erst den Körperteil, um den es sich handelt, verbrennen, und dann die Asche mit einer starken Säure behandeln.

Was bedeutet dies sonst, als daß das Kupfer, als Metall, sich mindestens unter zwei Verkleidungen zeigen kann; daß es sich im Körper formt, und daß es durch Verbrennung gewonnen wird. Im 18. Jahrhundert dachten Lémery und andere dasselbe vom Eisen, das man immer in der Asche der Pflanzen findet, aber fast nie in der Pflanze selbst. Ehe ich mit einem längeren Exkurs fortfahre, lege ich darauf Gewicht, im Gedächtnis des Lesers die folgenden Punkte zu fixieren: Kupfer, blaue Farbe, tote Körper, speziell die Leber.

Ich hatte auf meinem Arbeitstisch ein Stück bengalisches Indigo. Der Indigo ist, wie jeder weiß, blau, doch wenn man ihn mit dem Nagel ritzt, erhält man einen Strich, der wie Kupfer glänzt. Es war mir nie die Idee gekommen, eine Beziehung zwischen dem Kupfer und diesem Strich des Indigo aufzustellen, der blau war wie die blauesten Salze des Kupfers, denn man trifft den metallischen Glanz nicht nur bei den Fischen, sondern auch bei den Federn der Vögel (und noch anderswo). Doch mein Zimmer war feucht, und eines schönen Tages bemerkte ich, daß der Kupferstrich auf meinem Stück Indigo sich mit Grünspan bedeckt hatte. Ich glaubte indessen noch nicht, daß es Kupfer sei, obgleich das Phänomen einen tiefen Eindruck auf mich gemacht hatte. Doch am anderen Morgen, als ich vor einem Pachthof vorbeiging, sah ich einen Pfau, der sein Rad schlug. Durch seinen entsetzlichen Schrei angehalten, betrachtete ich das Schauspiel, das sicherlich schön ist. Ich bemerkte zuerst die Ellipsen und die kaustische Kurve der Schwanzfedern, welche mich von neuem an die unerhörte Macht der Sonne denken ließen, die in den warmen Ländern fähig ist, Horn und Kiesel zu emaillieren. Dann … ein Blitz erleuchtete meinen Geist, und ich sah auf der Schwanzfeder das tiefindigoblaue Auge, und ich sah den Kupferglanz der Fahne, die das blaue Auge einrahmte. Ich war überzeugt, daß eine Beziehung zwischen dem Kupfer und dem Indigo und den blauen Salzen des Kupfers existiert.

Nach Hause gekommen, prüfte ich mein wunderbares Stück Indigo, und ich konstatierte, daß es einen lehmgrauen Bruch hatte, der an den Mergel erinnerte, auf welchem der Schwefel in Sizilien »wächst.« Ich strich mit dem Nagel über die graue Oberfläche, und siehe da, ich erhielt einen Strich von dem weißen metallischen Glänze des Eisens. Da sagte ich mir: wenn jenes Kupfer ist und sich mit Grünspan bedeckt, so ist dies vielleicht Eisen und muß rosten. Und in der Tat, in Berührung mit der Feuchtigkeit gebracht, bedeckte sich der Strich mit Rost. Doch weder der Grünspan noch der Rost gaben erwünschte Reaktionen vor dem Lötrohr, auch nicht auf feuchtem Wege, was sie auch nicht in einer organischen Verbindung tun würden, da man durch die gewöhnlichen Reagentien weder das Blei in den Äthyl-, noch das Eisen in den Cyanverbindungen wiederfindet. Das Kupfer und das Eisen finden sich, aber nicht unter ihrer gewöhnlichen Form; im Embryozustand vielleicht blitzen sie auf, zersetzen sich, treten in neue Verbindungen ein, um gleich darauf zu verschwinden.

Was ist denn der Indigo? Er ist das Chlorophyll gewisser Pflanzen, deren Blätter, hauptsächlich von Isatis und Nerium, ins Blaugrün übergehen. Doch das Chlorophyll soll nach der neuen Chemie sehr verwandt mit dem Gallengrün und dem Gallenrot sein, zwei der hauptsächlichen Farbstoffe der Galle, die in der Leber präpariert werden. Und alle Lebern enthielten Kupfer, konstitutives Kupfer. Man sehe also, wie Leber, Indigo und Kupfer durch das Chlorophyll verbunden sind.

Doch wie jetzt mit den Toten des Montparnasse den Grünspangeschmack in Beziehung bringen, welchen ich im Munde gehabt hatte? Man kann Indigo aus Blut und Urin extrahieren, er ist ein Zersetzungs- oder Endprodukt stickstoffhaltiger Verbindungen. Und verbrannter Indigo verbreitet einen widerlichen Geruch, der seinen Namen einem Körper verdankt, der Skatol genannt wird; ein Wort, das dieselbe griechische Wurzel hat wie Eschatologie, die Lehre von den letzten Dingen. Nun enthalten aber die letzten Absonderungen des menschlichen Körpers Skatol! Ist es klar genug?

Doch der Eisenstrich? – Es gibt einen anderen blauen Farbstoff, das Berlinerblau, das ebenfalls Kupferstriche zeigt, die an der Luft grün werden. Das Berlinerblau wird aus Blut und Eisen gezogen. Und Eisen ist im Blut, in der Leber, im Chlorophyll; überall, sagt man. Das Molekül des Berlinerblau wiegt das Doppelte von dem des Indigo, und das Molekül des Indigo hat das doppelte Gewicht des Kaliumpermanganat. Aber Kaliumpermanganat kann, wenn man sein geringstes Atomgewicht nimmt, ebensoviel wiegen wie Jod. Wenn ich Indigo verflüchtige, indem ich ihn einem gelinden Feuer aussetze, setzt er rote Kristalle ab, die zum Verwechseln dem Kaliumpermanganat gleichen. Wenn ich Indigo in einem offenen Tiegel verbrenne, verbreitet er einen violetten Purpurrauch, der in unglaublicher Weise dem des Jod gleicht. Wenn ich Jod und Stärke zerreibe, erhalte ich eine blaue Farbe, welche dem Indigo gleicht und eine Beziehung im Molekulargewicht besitzt, die eine Verwandtschaft anzeigt. Wenn ich Schwefelsäure über Kaliumpermanganat gieße und das Ganze erhitze, habe ich violette Dämpfe, die ein Anfänger für Joddämpfe nehmen würde, da die Analyse diese Dämpfe als Kennzeichen des Jod angibt, besonders wenn der Körper mit Kaliumbisulfat erhitzt ist. (Bemerken wir hier die Bildung des Kaliumbisulfat durch Schwefelsäure und das Kalium im Kaliumpermanganat.)

Ist das denn so außerordentlich? Nein, durchaus nicht, denn der Indigo, welcher schon in der organischen Chemie als aus mehreren Stoffen bestehend bekannt war, unter anderen aus Harz und Gummi, hat mir durch das Lötrohr, in der Boraxperle, folgende Reaktionen gegeben: Titan, Wolfram, Cer, Blei, Antimon, Molybdän, Uran, Mangan und Eisen. Das Lötrohr ist ein bequemes Instrument und würde sich sehr weit entwickeln können, doch es ist etwas in schlechten Geruch gekommen. Die Spektralanalyse, die, mit Recht oder Unrecht, eine bessere Reputation genießt, hat für den Indigo und den Malachit (kohlensaures Kupferoxyd) Absorptionsspektren ergeben, die fast identisch sind. Das beweist mindestens eine Verwandtschaft!

In meinen Laboratoriumsnotizen finde ich folgende Details: Ich habe Indigo verflüchtigt, die Kristalle in siedender Schwefelsäure gelöst und das Ganze mit Wasser verdünnt; Ammoniak hinzugefügt und die blaue Färbung erhalten; dies ist Reaktion auf Kupfer und ist es gewesen seit Berzelius und Thénard. Ich hatte in einem Tiegel Kupferspäne, Schwefel und Salpetersäure zusammengeschmolzen; die Schmelzung glich dem Indigo, war blau mit den Brüchen eines Kupferrots; während der ganzen Zeit ein Geruch nach Skatol. Roscoe und Schorlemmer führen bei Kupfersulfid an, daß man es in der Natur in Form von sechseckigen dunkelblauen Kristallen findet und es Kupferindigo nennt. Chevallier sagt in seinem »Diktionär der Veränderungen und Verfälschungen«, der Indigo sei verfälscht, unter anderem durch Jodstärke und Berlinerblau (siehe weiter oben); das beweist, daß man seit lange schon durch die Ähnlichkeit frappiert gewesen war.

Da ist die Einheit der Materie an den Tag gebracht, eine Lehre, die von allen modernen Weisen seit Darwin anerkannt ist, vor deren Konsequenzen aber gewisse zurückgewichen sind. Berzelius glaubte wenigstens an die Transmutation der Kohle in Kiesel, nach dem was er selbst bekannte. Paracyan in Weißglut verhornte sich, setzte Stickstoff ab und ließ als Rest eine schwarze Masse zurück, welche nicht mehr Kohle war, sondern Kiesel. Brown machte das Experiment und Berzelius fügt hinzu: Die Metamorphose der Kohle in das Radikal der Kieselsäure ist bisher keinem Chemiker geglückt.

Berzelius war demnach Alchimist.

1895.

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