August Strindberg<
Inferno
August Strindberg<

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XV

Trübsale

Interniert in der kleinen Musenstadt, ohne Hoffnung herauszukommen, liefere ich die furchtbare Schlacht gegen meinen größten Feind, mich selbst.

Alle Morgen, wenn ich auf dem Wall unter den Platanen spazieren gehe, erinnert mich das große, rote Irrenhaus an die Gefahr, der ich entgangen bin, und an das, was mir bei einem etwaigen Rückfall bevorsteht. Swedenborg hat mich, indem er mich über die Natur der Schrecken des letzten Jahres aufklärte, von den Elektrikern, Schwarzkünstlern, Zauberern, der Eifersucht der Goldmacher und dem Wahnsinn erlöst. Er hat mir den einzigen Weg zum Heile gezeigt: die Dämonen in ihrer Höhle, in mir selber aufzusuchen und sie dort durch ... Reue zu töten. Balzac, der Adjutant des Propheten, hat mich in Seraphita gelehrt, daß »der Gewissensbiß eine Schwäche ist, die der Wiederholung des Fehlers nichts in den Weg stellt, und die Reue die einzige Kraft, die den Menschen alles beenden läßt.«

Also bereuen! Aber heißt das nicht die Vorsehung mißbilligen, die mich zu ihrer Geißel auserwählt hat; heißt das nicht zu den Mächten sagen: Ihr habt mein Schicksal schlecht geleitet; ihr habt mich geschaffen mit der Berufung, zu strafen, Götzenbilder zu stürzen, zur Empörung aufzureizen, und dann entzieht ihr mir euren Schutz und verleugnet mich auf eine lächerliche Weise. Zu Kreuze kriechen und Buße tun!

Sonderbarer circulus vitiosus, den ich in meinem zwanzigsten Jahre voraussah, als ich mein Drama »Meister Olaf« schrieb, das die Tragödie meines Lebens geworden ist. Wozu dreißig Jahre hindurch ein geplagtes Dasein führen, um endlich das erfahrungsgemäß zu erkennen, was man schon damals vorausgeahnt? Jung war ich aufrichtig fromm, und ihr habt mich zum Freidenker gemacht. Aus dem Freidenker habt ihr mich zum Atheisten gemacht, aus dem Atheisten zum Gottesfürchtigen. Von humanitären Ideen begeistert, bin ich ein Herold des Sozialismus gewesen. Fünf Jahre später habt ihr den Sozialismus ad absurdum geführt. Alles was ich prophezeit habe, habt ihr für nichtig erklärt! Und angenommen, ich werde wieder religiös, so bin ich sicher, daß ihr in zehn Jahren auch die Religion widerlegt habt.

Ei, was die Götter doch mit uns Sterblichen Spaß und Spiel haben! Und darum können auch wir bewußten Spötter in den gequältesten Augenblicken unseres Lebens so lachen!

Wie mögt ihr wollen, daß man dasjenige ernst nimmt, was nichts ist als ein ungeheurer schlechter Spaß?

 

Jesus Christus, der Heiland, für wen war er Heiland? Betrachtet die christlichsten aller Christen, unsere skandinavischen Pietisten, diese bleichen, ärmlichen, eingeschüchterten Menschen, die nicht lächeln können, mit ihren Mienen von Besessenen.

Sie scheinen den bösen Geist im Herzen zu tragen, beachtet nur, wie all ihre Führer im Gefängnis wie Übeltäter geendigt haben. Warum hat sie ihr Herr dem Feind überliefert?

Ist die Religion eine Züchtigung und Christus ein Rachegeist?

Alle alten Götter sind in der ihrer Herrschaft folgenden Epoche zu Dämonen verwandelt worden. Die Olympier sind Dämonen geworden, Odin, Thor der Teufel in Person; Prometheus-Luzifer, der Lichtbringer, ist zum Satan herabgewürdigt. Ward – Gott verzeihe mir – Christus auch in einen Dämon verwandelt? Weil er ein Mörder der Vernunft, des Fleisches, der Schönheit, der Freude, der reinsten menschlichen Gefühle geworden ist. Der Mörder der Tugenden Freimut, Tapferkeit, Liebe, Ruhmfreude, Barmherzigkeit.

 

Die Sonne scheint, das tägliche Leben geht seinen Gang, der geschäftige Lärm des Tages ermuntert die Lebensgeister. Dann erhebt sich der Mut der Empörung, und man stürmt mit herausfordernden Zweifeln den Himmel.

Wenn aber Nacht, Stille und Einsamkeit herabsinken, zerstiebt der Stolz, das Herz klopft, und die Brust krampft sich zusammen. Dann springt ihr aus dem Fenster in die Dornenhecke und bittet fußfällig den Arzt, euch zu helfen und sucht einen Gefährten, der mit euch zusammen schlafe.

Tretet allein wieder in euer Zimmer, und ihr werdet jemanden da finden; er ist unsichtbar, aber ihr fühlt die Gegenwart dieses Unsichtbaren. Geht dann hinüber ins Irrenhaus und fragt den Irrenarzt, so wird er euch etwas über Neurasthenie, Paranoia, angina pectoris und dergleichen vorfabeln, aber euch niemals heilen! Wohin also wollt ihr gehen, ihr alle, die ihr in euerer Schlaflosigkeit Straße um Straße durchirrt, den Tagesanbruch heranzuharren?

 

Die Mühle des Weltalls, die Mühle Gottes sind zwei geflügelte Worte geworden. Habt ihr jenes Brausen in euren Ohren gehabt, das dem Rauschen einer Wassermühle gleicht? Habt ihr in der Einsamkeit der Nacht oder selbst am hellen Tage beobachtet, wie die Erinnerungen des vergangenen Lebens sich rühren und einzeln, paarweise wieder auferstehen? Alle eure Fehler, Verbrechen und Torheiten jagen euch das Blut bis in die Ohren hinauf. Schweiß auf die Stirn und Schauder über den Rücken hinab. Ihr lebt das gelebte Leben noch einmal von der Geburt an bis auf den gegenwärtigen Tag; ihr leidet noch einmal all die erlittenen Leiden; ihr leert noch einmal alle Kelche, die ihr so oft bis zur Neige getrunken; ihr kreuziget euch euer Skelett, wenn kein Fleisch mehr da ist, es zu ertöten; ihr verbrennt euch eure Seele, wenn euer Herz schon eingeäschert ist.

Ihr kennt das!

Das ist die Mühle des Herrn, die langsam mahlt aber fein – und grausam. Ihr seid zu Staub gemahlen und glaubt euch am Ende. Aber nein, – man bringt euch abermals zur Mühle! Seid glücklich! Das ist die Hölle auf Erden, wie sie Luther erkannt hat, der es noch als eine besondere Gnade schätzt, auf dieser Seite des Himmels zermahlen zu werden.

Seid glücklich und dankbar!

 

Was tun? Sich demütigen!

Aber demütigt euch vor Menschen, und ihr werdet ihren Hochmut erwecken; denn alle werden sich, gleichviel wie groß ihre Ruchlosigkeit sei, für besser halten als ihr!

Also vor Gott sich demütigen! Aber ist es nicht schimpflich, den Höchsten zu einem Plantagenbesitzer, der über Sklaven herrscht, erniedrigen zu wollen?

Betet! Wie? Sich das Recht anmaßen, Willen und Urteil des Ewigen durch Schmeichelei und Kriecherei zu beugen!

Ich suche Gott und finde den Teufel! Das ist mein Schicksal.

Ich habe Buße getan und mich gebessert.

Ich werde Temperenzler und komme gegen neun Uhr abends nüchtern nach Hause, um Milch zu trinken. Das Zimmer ist von tausend Dämonen erfüllt, die mich unter der Decke ersticken wollen und aus dem Bette reißen. Komme ich aber um Mitternacht und betrunken, so schlafe ich ein wie ein Engel und wache auf, stark wie ein junger Gott und bereit, zu arbeiten wie ein Galeerensträfling.

Ich meide das weibliche Geschlecht, und ungesunde Träume plagen mich zur Nacht.

Ich gewöhne mich, nur Gutes von meinen Freunden zu denken, vertraue ihnen meine Geheimnisse, mein Geld an und werde verraten. Lehne ich mich gegen eine Verräterei auf, so bin stets ich es, der bestraft wird.

Ich versuche, die Menschen in Bausch und Bogen zu lieben, ich stelle mich blind gegen ihre Fehler und lasse mit einer Langmut ohne Grenzen ihre Niederträchtigkeiten und Verleumdungen über mich ergehen; und eines schönen Tages finde ich mich als ihren Mitschuldigen. Sobald ich mich von einer Gesellschaft zurückziehe, die ich für schlecht halte, fallen mich sofort die Dämonen der Einsamkeit an, und während ich bessere Freunde suche, komme ich den schlimmsten auf die Spur. Ja, mich selbst finde ich, nachdem ich meine bösen Neigungen besiegt habe und durch die Einsamkeit zu einem gewissen Grade von Herzensfrieden gekommen bin, in einer Selbstzufriedenheit befangen, die mich hoch über meinen Nächsten erhebt. Und das ist die Todsünde, dieser Eigendünkel, der sich auf der Stelle rächt.

Wie erklärt man die Tatsache, daß jede Lehrzeit in der Tugend ein neues Laster zur Folge hat?

Swedenborg löst den Knoten auf, indem er aussagt, daß die Laster eines Menschen ihm auf höheren Befehl für seine Sünden auferlegte Strafen seien. So werden die Machtgierigen zur sodomitischen Hölle verdammt. Angenommen, die Theorie sei wahr, so müssen wir unsere Laster ertragen, und uns der sie begleitenden Gewissensbisse wie einer Zahlung am Schalter einer Kasse erfreuen. Also: die Tugend suchen, gleicht einer Flucht aus dem Gefängnis und seinen Strafen. Das ist, was Luther in Artikel XXXIX gegen die römische Bulle sagen will, wenn er verkündet, daß »die Seelen im Fegefeuer beständig sündigen, weil sie den Frieden suchen und den Qualen ausweichen.«

Ebenso in Artikel XXXIV: »Die Türken bekämpfen, ist nichts anderes, als gegen Gott sich auflehnen, der uns durch die Türken um unserer Sünden willen züchtigt.«

Es ist also klar, daß »alle unsere guten Werke Todsünden sind« und daß »die Welt vor Gott sündhaft sein muß und wissen soll, daß niemand zur Rechtfertigung kommt, denn durch Gnade.«

Leiden wir also, ohne eine einzige wahre Lebensfreude zu erhoffen; denn, meine Brüder, wir sind in der Hölle.

Und klagen wir nicht den Herrn an, wenn wir unsere kleinen, unschuldigen Kinder leiden sehen. Niemand weiß warum, aber die göttliche Gerechtigkeit läßt uns erraten, daß es um vor ihrer Geburt von ihnen begangener Sünden willen geschehe. Freuen wir uns unserer Foltern, als ob es ebensoviel bezahlte Schulden seien, und halten wir es für eine Barmherzigkeit, daß wir die ursprünglichen Ursachen unserer Strafen nicht kennen.


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