August Strindberg<
Inferno
August Strindberg<

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Auszüge aus dem Tagebuch eines Verdammten

Oktober, November 1896.

Der Brahmane erfüllt seine Pflicht gegen das Leben, indem er ein Kind erzeugt; dann geht er in die Wüste, sich der Einsamkeit und Entsagung zu weihen.

 

Meine Mutter: Was hast du in deinem früheren Menschsein getan, daß dich das Geschick so schlecht behandelt?

Ich: Rate! Erinnere dich eines Mannes, der zuerst mit der Frau eines andern verheiratet war, wie ich, und von der er sich trennt, um eine Österreicherin zu heiraten, wie ich! Dann raubt man ihm seine kleine Österreicherin, wie man mir die meine entrissen hat, und beider einziges Kind wird am Böhmerwalde, wie mein Kind, festgehalten. Erinnerst du dich des Helden meines Romans »Am offenen Meer,« der auf einer Insel mitten im Meer elend zu Grunde geht ...

Meine Mutter: Genug! genug!

Ich: Du weißt nicht, daß die Mutter meines Vaters Neipperg hieß ...

Meine Mutter: Schweig, Unglücklicher!

Ich: ... und daß meine kleine Christine dem größten Menschenschlächter des Jahrhunderts auf ein Haar gleicht; sieh sie nur an, die Despotin, die Menschenbändigerin mit ihren zweieinhalb Jahren...

Meine Mutter: Du bist toll!

Ich: Ja! – Und was mögt ihr andern Weiber früher gesündigt haben, da euer Los noch härter als das unsrige ist? Siehst du, mit wieviel Recht ich das Weib unsern bösen Dämon genannt habe! Jedem nach seinem Verdienst!

Meine Mutter: Ja, Weib zu sein ist doppelte Hölle!

Ich: ... so ist auch das Weib doppelter Teufel. Was die Wiederfleischwerdung anbetrifft, so ist sie eine christliche Lehre, die nur vom Klerus beseitigt worden ist. Jesus Christus behauptet, daß Johannes der Täufer der wieder Mensch gewordene Elias war. Ist das eine Autorität oder nicht?

Meine Mutter: Doch, aber die römische Kirche verbietet das Forschen im Geheimen.

Ich: Und die Geheimwissenschaft erlaubt es, sobald Wissenschaft überhaupt erlaubt ist.

 

Die Geister der Zwietracht wüten, und ungeachtet unserer vollkommenen Kenntnis ihres Spieles und unserer gegenseitigen Unschuld hinterlassen die sich wiederholenden Mißverständnisse einen bitteren Nachgeschmack.

Zum Überfluß argwöhnen die beiden Schwestern nach der geheimnisvollen Krankheit der Mutter, mein böser Wille sei daran schuld, und können im Hinblick auf mein Interesse, meine Trennung von meiner Frau aufgehoben zu sehen, die ziemlich richtige Idee nicht unterdrücken, daß der Tod der Alten mir Freude machen würde. Das Dasein allein dieses Wunsches macht mich hassenswert, und ich wage nicht mehr, nach dem Befinden der Großmutter zu fragen, weil ich als Heuchler behandelt zu werden fürchte.

Die Situation ist gespannt, und meine beiden alten Freundinnen erschöpfen sich in endlosen Diskussionen über meine Person, meinen Charakter, meine Gefühle und die Aufrichtigkeit meiner Liebe zu meiner Kleinen. Einmal hält man mich für einen Heiligen, und die Risse in meinen Händen sind Wundmale. Und wirklich gleichen die Zeichen in der Handfläche großen Nagellöchern. Um aber jeden Anspruch auf Heiligkeit zu entfernen, bezeichne ich mich als den guten Schacher, der vom Kreuz gestiegen und auf der Pilgerschaft nach dem Paradies begriffen ist.

Ein andermal will man mich damit enträtseln, daß man mich für Robert den Teufel hält. Damals vereinigte sich verschiedenes, um mich eine Steinigung von selten der Bevölkerung befürchten zu lassen. Hier die nackte Tatsache. Meine kleine Christine hat eine außerordentliche Furcht vor dem Schornsteinfeger. Eines Abends fängt sie beim Essen plötzlich zu schreien an, zeigt mit dem Finger auf jemand Unsichtbaren hinter meinem Stuhl und ruft: »Der Schornsteinfeger!«

Meine Mutter, die an das Hellsehen der Kinder und Tiere glaubt, wird bleich; und ich gerate in Furcht, um so mehr, als ich meine Mutter das Zeichen des Kreuzes über den Kopf des Kindes machen sehe. Der Rest ist eine Totenstille, die mich nicht mehr froh werden läßt.

 

Der Herbst mit seinen Stürmen, Regengüssen und finsteren Nächten ist gekommen. Im Dorfe und im Armenhause mehrt sich die Zahl der Kranken, Sterbenden und Toten. In der Nacht hört man die Schelle des Chorknaben, welcher der Hostie vorangeht. Den Tag über läuten die Totenglocken der Kirche, und ein Leichenzug folgt dem andern. Tod und Leben sind ein einziges Grauen. Und meine nächtlichen Anfälle beginnen wieder. Man läßt für mich beten, man spart nicht mit Rosenkränzen, und der Weihkessel in meinem Schlafzimmer ist vom Pfarrer selbst mit Weihwasser gefüllt.

»Die Hand des Herrn ruht schwer auf dir!« – mit diesen Worten zermalmt mich meine Mutter.

Aber langsam richte ich mich wieder auf. Meine geistige Elastizität und ein eingewurzelter Skeptizismus befreien mich wieder von diesen schwarzen Gedanken, und nach dem Lesen gewisser okkultistischer Schriften sehe ich mich von Elementargeistern, Inkuben und Lamien verfolgt, die mich alle an der Durchführung meines großen alchimistischen Werkes hindern wollen. Durch die Eingeweihten belehrt, verschaffe ich mir einen dalmatinischen Dolch und stelle mir vor, gegen die bösen Geister nun trefflich bewaffnet zu sein.

Im Dorfs stirbt ein Schuhmacher, ein Atheist und Gotteslästerer. Er war Besitzer einer Dohle, die jetzt, sich selbst überlassen, auf dem Dach eines Nachbars haust. Bei der Totenwache entdeckt man plötzlich die Dohle im Zimmer, ohne daß die Anwesenden sich ihre Gegenwart erklären können. Am Tage des Begräbnisses begleitet der schwarze Vogel den Leichenzug und setzt sich auf dem Kirchhof vor der Zeremonie auf den Sargdeckel. Jeden Morgen folgt mir dieses Tier längs des Weges, was mich wegen des Aberglaubens der Bevölkerung beunruhigt. Eines Tages, und das sollte ihr letzter sein, begleitet mich die Dohle unter greulichen Schreien, ja sogar Schimpfworten, die ihr der Gotteslästerer beigebracht hatte, durch die Straßen des Dorfes. Da kommen zwei Vögelchen, ein Rotkehlchen und eine gelbe Bachstelze und verfolgen die Dohle von Dach zu Dach. Die Dohle rettet sich aus dem Dorfe hinaus und setzt sich auf den Schornstein einer Hütte. In demselben Augenblick springt ein schwarzes Kaninchen vor dem Hause auf und verschwindet im Grase. Einige Tage nachher hören wir vom Tode der Dohle. Sie war von den Gassenjungen erschlagen worden, die sie wegen ihres Hanges zu stehlen nicht leiden mochten.

 

Den Tag über arbeite ich in meinem Häuschen. Aber es scheint, daß die Mächte mir seit einiger Zeit nicht mehr wohlwollen. Bei meinem Eintritt finde ich oft die Luft stickig, wie vergiftet, und muß Türe und Fenster öffnen. In einen dicken Mantel gehüllt und eine Pelzmütze auf dem Kopfe, sitze ich am Tisch und schreibe, und kämpfe gegen die sogenannten elektrischen Anfälle, die mir die Brust beengen und mich in den Rücken stechen. Oft scheint es mir, daß jemand hinter meinem Stuhle stehe. Dann steche ich mit dem Dolch hinter mich und bilde mir ein, mit einem Feinde zu kämpfen. So geht es bis fünf Uhr abends. Wenn ich länger sitzen bleibe, wird der Kampf schrecklich, bis ich endlich, völlig erschöpft, meine Laterne anstecke und zu meiner Mutter und meinem Kinde gehe. Ein einziges Mal herrscht schon zwischen zwei und drei Uhr in meinem Zimmer solch eine dicke und erstickende Luft. Aber ich setze den Kampf bis sechs Uhr fort, um noch einen Artikel über Chemie zu beenden. Auf einem Blumenstrauß sitzt ein schwarz und gelb – also in den österreichischen Farben – geflecktes Marienkäferchen Es klettert, tastet und sucht nach einem Abstieg. Endlich läßt es sich auf mein Papier fallen und breitet die Flügel gerade wie der Hahn auf der Kirche Notre-Dame des Champs in Paris aus, dann kriecht es das Manuskript entlang und meine rechte Hand hinauf. Es sieht mich an und stiegt dann nach dem Fenster; der Kompaß auf dem Tische zeigt nach Norden.

Wohlan, sage ich mir, nach Norden also! aber erst, wann es mir belieben wird; bis zu einer neuen Aufforderung bleibe ich noch, wo ich bin.

Es schlägt sechs Uhr, und es wird unmöglich, in diesem spukenden Hause zu bleiben. Unbekannte Gewalten heben mich vom Stuhl und ich muß die Bude schließen.

 

Es ist Allerseelen, gegen drei Uhr nachmittags, die Sonne leuchtet, die Luft ist klar. Die Bewohner ziehen in Prozession unter Vorantritt des Klerus, der Bannerträger und der Musik nach dem Friedhof, um die Toten zu begrüßen. Die Glocken fangen an zu läuten. Da, ohne ein Vorzeichen, ohne daß sich auch nur eine Wolke als Vorbote auf dem blaßblauen Himmel gezeigt hätte, bricht ein Sturm los. Das Fahnentuch klatscht gegen die Stangen, die Festgewänder der Männer und Frauen sind ein Spiel des Windes, Staubwolken erheben sich in Wirbeln, die Bäume biegen sich... Es ist ein wahres Wunder.

 

Ich fürchte mich vor der nächsten Nacht, und meine Mutter weiß davon. Sie hat mir ein Amulett gegeben, damit ich es um den Hals trage. Es ist eine Madonna und ein Kreuz aus heiligem Holz, das zu einem Balken einer mehr als tausendjährigen Kirche gehört. Ich nehme es als ein kostbares und aus gutem Herzen angebotenes Geschenk an, aber ein Rest der Religion meiner Väter verbietet mir, es um den Hals zu hängen.

Es ist etwa acht Uhr, und wir essen zu Abend; die Lampe brennt, eine unheilvolle Ruhe herrscht in unserem kleinen Kreise. Draußen ist es finster, die Bäume schweigen; also auch dort herrscht Ruhe. Da dringt ein Windstoß, ein einziger nur, durch die Ritzen der Fenster, – gleich dem Brummen einer Maultrommel. Dann ist es vorbei.

Meine Mutter wirft mir einen entsetzten Blick zu und preßt das Kind in ihre Arme.

In einer Sekunde begreife ich, was mir dieser Blick sagen sollte: Weiche von uns, Verdammter, und ziehe die rächenden Dämonen nicht auf Unschuldige herab!

Alles stürzt ein; das einzige Glück, das mir bleibt, bei meiner Tochter zu weilen, wird mir entzogen, und unter dem düsteren Schweigen des Abends sage ich in Gedanken der Welt ade.

Nach dem Abendessen ziehe ich mich in das rosa – jetzt schwarze – Zimmer zurück und bereite mich, da ich mich bedroht fühle, auf einen nächtlichen Kampf vor. Mit wem? Ich weiß es nicht, aber ich fordere den Unsichtbaren, sei es der Teufel oder der Ewige, heraus und will mit ihm ringen wie Jakob mit Gott.

Man klopft an der Türe! Es ist meine Mutter, die eine schlimme Nacht für mich ahnt und mich auf dem Diwan im Salon zu schlafen einlädt.

»Die Gegenwart des Kindes wird dich retten!«

Ich danke und versichere ihr, daß keine Gefahr vorhanden sei, und daß mich nichts erschrecken könne, solange mein Gewissen rein sei.

Mit einem Lächeln wünscht sie mir gute Nacht.

Ich ziehe den Schlachtmantel und die Stiefel wieder an und setze die Mütze auf, fest entschlossen, so angekleidet mich niederzulegen, bereit, wie ein tapferer Krieger zu sterben, der den Tod herausfordert, nachdem er das Leben verachtet hat. Gegen elf Uhr fängt die Luft in dem Zimmer an, dick zu werden, und eine tödliche Angst bemächtigt sich meines mutigen Herzens. Ich mache die Fenster auf. Ein Luftzug droht die Lampe auszulöschen. Ich schließe wieder. Die Lampe fängt zu singen, zu seufzen, zu wimmern an; dann wieder Stille.

Ein Dorfhund heult. Nach dem Volksglauben zeigt dies den Tod eines Menschen an.

Ich sehe zum Fenster hinaus, nur der Große Bär ist sichtbar. Unten im Armenhause brennt ein Licht, eine Alte sitzt über ihre Arbeit gebückt, als wartete sie auf ihre Erlösung; vielleicht fürchtet sie den Schlaf mit seinen Träumen.

Ermüdet lege ich mich wieder aufs Bett und versuche zu schlafen. Alsbald erneuert sich das alte Spiel. Ein elektrischer Strom sucht mein Herz, die Lungen hören auf zu arbeiten, ich muß mich erheben, oder ich sterbe. Ich setze mich auf einen Stuhl, bin aber zu erschöpft, um lesen zu können, und verharre so eine halbe Stunde lang, stumpfsinnig abwartend.

Dann entschließe ich mich, bis Tagesanbruch spazieren zu gehen. Ich verlasse das Haus. Die Nacht ist finster, und das Dorf schläft; aber die Hunde schlafen nicht, und beim Anschlag des ersten umringt mich die ganze Bande: Ihre gähnenden Rachen und leuchtenden Augen zwingen mich zum Rückzug.

Als ich die Zimmertür öffne und eintrete, scheint es mir, als sei die Stube von feindlichen Lebewesen erfüllt, und das so sehr, daß ich meine, mich durch ihre Menge hindurchdrängen zu müssen, als ich mein Bett erreichen will. Resigniert und zu sterben entschlossen, werfe ich mich auf mein Lager. Aber im letzten Augenblick, als der unsichtbare Geier mich unter seinen Flügeln ersticken will, reißt mich jemand in die Höhe, und die Jagd der Furien geht ihren Weg. Besiegt, zu Boden geschmettert, zurückgeschlagen, verlasse ich das Schlachtfeld eines ungleichen Kampfes und weiche den Unsichtbaren.

Ich klopfe an die Salontüre auf der andern Seite des Korridors. Meine Mutter, noch im Gebet wach, öffnet mir.

Der Ausdruck ihres Gesichts in dem Augenblick, da sie mich erblickt, flößt mir vor mir selbst ein tiefes Entsetzen ein.

»Du wünschest, mein Kind?«

»Ich wünsche den Tod und dann, verbrannt zu werden, oder besser, verbrennt mich lebendig!«

Kein einziges Wort. Sie hat mich verstanden, und Mitleid und religiöse Barmherzigkeit besiegen ihr Entsetzen, so daß sie mir mit eigener Hand das Kanapee zurechtmacht. Dann zieht sie sich in ihr Zimmer, wo sie mit dem Kinde schläft, zurück. Durch einen Zufall – immer dieser satanische Zufall! – steht das Kanapee gegenüber dem Fenster, und derselbe Zufall hat gewollt, daß keine Vorhänge da sind, so daß mich die schwarze Fensteröffnung, die in die dunkle Nacht hinausgeht, angähnt. Zum Überfluß muß es auch noch gerade das Fenster sein, durch welches der Windstoß heute beim Abendessen gepfiffen hat.

Zu Ende mit meinen Kräften, sinke ich aufs Lager. Ich verfluche diesen allgegenwärtigen, unvermeidlichen Zufall, der mich in der offenkundigen Absicht verfolgt, mich verfolgungswahnsinnig zu machen.

Fünf Minuten habe ich Ruhe, während sich meine Augen auf das schwarze Quadrat heften, da gleitet mir das unsichtbare Gespenst über den Leib, und ich stehe auf. Mitten im Zimmer bleibe ich stehen, wie eine Statue, stundenlang ... ich weiß nicht mehr... zu Stein verwandelt, schlafe ich oder nicht.

Wer gibt mir die Kraft zu leiden? Wer verweigert mir den Tod und überliefert mich den Qualen?

Ist er es, der Herr über Leben und Tod, dem ich Ärgernis gegeben habe, als ich unter dem Einfluß der Broschüre »La jour de mourir« Versuche zu sterben machte, und so mich schon für reif zum ewigen Leben hielt?

Bin ich der für seinen Hochmut zu den Ängsten des Tartarus verdammte Phlegyas, oder Prometheus, der, weil er das Geheimnis der Mächte den Sterblichen enthüllt hatte, durch den Geier gezüchtigt ward?

(Indem ich dieses schreibe, erinnere ich mich der Szene im Leiden Christi, wo die Soldaten ihm ins Gesicht speien, die einen ihm Backenstreiche geben und die andern ihn mit Ruten schlagen und zu ihm sprechen: Christe, sage uns doch, wer ist's, der dich schlug?

Mögen sich meine Jugendgefährten an jene Stockholmer Orgie zurückerinnern, wo der Verfasser dieses Buches die Rolle des Soldaten spielte.) ...

Wer ist's, der dich schlug? Frage ohne Antwort, Zweifel, Ungewißheit, Geheimnis, – da habt ihr meine Hölle!

Daß er sich enthüllte, daß ich mit ihm kämpfen, ihm Trotz bieten könnte! Aber das gerade vermeidet er, damit er mich mit Wahnsinn schlagen, damit er mich durch das böse Gewissen geißeln kann, das mich überall Feinde suchen läßt. Feinde, das heißt die von meinem bösen Wollen Verletzten. Und zwar schlägt jedesmal, wenn ich einem neuen Feind auf die Spur komme, mein Gewissen.

 

Als mich am andern Morgen nach einigen Stunden Schlaf das Geplauder meiner kleinen Christine aufweckt, ist alles vergessen, und ich gebe mich meinen gewöhnlichen Arbeiten hin, die auch Erfolg haben. Alles, was ich schreibe, wird alsbald auch gedruckt, ein Beweis, daß meine Sinne und mein Verstand unversehrt sind.

Unterdessen verbreiten die Zeitungen das Gerücht, daß ein amerikanischer Gelehrter eine Methode, Silber in Gold zu verwandeln, erfunden habe, was mich von dem Verdacht, ein Schwarzkünstler, ein Narr oder ein Schwindler zu sein, rettet. Mein theosophischer Freund, der mich bis jetzt unterstützt hat, bietet mir die Hand, mich für seine Sekte zu gewinnen.

Indem er mir die Geheimlehre der Frau Blawatsky sendet, verbirgt er seine Unruhe schlecht, wie meine Meinung darüber ausfallen würde; auch ich bin in Verlegenheit, da ich mutmaße, daß unsere freundschaftlichen Beziehungen von eben dieser meiner Antwort abhängen. Diese Geheimlehre ist eine Usurpation aller sogenannten okkultistischen Theorien, ein Ragout aller alten und neuen wissenschaftlichen Ketzereien, insoweit nichtig und wertlos, als die Dame selbst einfältige und anmaßende Meinungen vorbringt, interessant durch Zitate wenig bekannter Schriftsteller, abscheulich durch bewußten oder unbewußten Betrug, durch das Dasein der Mahatmas betreffende Märchen. Es ist die Arbeit eines Mannweibes, das, den Rekord des Mannes zu schlagen, es darauf anlegte, Wissenschaft, Religion und Philosophie zu stürzen und eine Isispriesterin auf den Altar des Gekreuzigten zu erheben.

Mit aller Zurückhaltung und Schonung, die man einem Freunde schuldet, lasse ich ihn wissen, daß der kollektivistische Gott, Karma, mir nicht gefällt, und daß ich unmöglich zu einer Partei halten könne, die einen persönlichen Gott leugnet, der allein meine religiösen Bedürfnisse zu befriedigen vermag.

Es ist ein Glaubensbekenntnis, das man von mir verlangt, und obgleich ich überzeugt bin, daß mein Wort einen Bruch und damit die Einstellung meiner Unterstützungen nach sich ziehen wird, spreche ich es doch frei aus.

Da verwandelt sich der treue Freund mit seinem ausgezeichneten Herzen in einen Rachegeist. Er schleudert mir eine Exkommunikation entgegen, droht mir mit okkultistischen Mächten, schüchtert mich durch Unterstellung einer tadelnswerten Natur ein und donnert wie ein heidnischer Opferpriester. Endlich lädt er mich vor ein okkultistisches Gericht und schwört mir, daß ich den 13. November nie vergessen solle. Meine Lage ist peinlich, ich habe einen Freund verloren und bin dem Elend nahe. Durch einen teuflischen Zufall ereignet sich mitten in unserem brieflichen Kriege noch folgendes: Die Initiation bringt einen Aufsatz von mir, der das gegenwärtige astronomische System kritisiert. Einige Tage nach der Veröffentlichung stirbt Tisseraud, der Chef des Pariser Observatoriums. In einem Anfalle fröhlicher Laune stelle ich diese beiden Tatsachen zusammen und erinnere mich außerdem daran, daß Pasteur am Tage nach der Ausgabe von Sylva Sylvarum gestorben ist. Mein Freund, der Theosoph, versteht keinen Scherz, und da er leichtgläubig wie kein anderer ist, ja vielleicht selbst eingeweihter in die schwarze Magie als ich, läßt er nachdrücklich durchblicken, daß er mich für einen Hexenmeister halte.

Man stelle sich mein Entsetzen vor, als nach dem letzten Briefe unserer Korrespondenz der berühmteste schwedische Astronom an einem Schlaganfall stirbt. Ich ängstigte mich, und mit Recht. Der Hexerei bezichtigt zu werden, ist ein Hauptprozeß, und »selbst nach seinem Tode wird man der Strafe nicht entgehen«.

Schrecken ohne Ende! Im Laufe eines Monats sterben nacheinander fünf mehr oder weniger bekannte Astronomen.

Ich fürchte einen Fanatiker, dem ich die Grausamkeit eines Druiden zutraue, und mit ihr jene Macht der hindostanischen Zauberer, aus der Ferne zu töten.

Eine neue Hölle von Ängsten! Und von diesem Tage an vergesse ich die Dämonen und richte alle meine Gedanken auf die unheilvollen Ränke der Theosophen und ihrer Magier, jener vermutlichen, mit unglaublichen Kräften begabten Hindus. Jetzt fühle ich mich zum Tode verdammt; und ich verwahre versiegelt meine Papiere, in denen ich für den Fall eines plötzlichen Todes die Mörder angegeben habe. Dann warte ich.

 

Zehn Kilometer weiter im Osten liegt an der Donau die kleine Bezirkshauptstadt Grein. Dort, erzählt man mir, habe sich Ende November, mitten im Winter, ein Fremder aus Zanzibar als Tourist niedergelassen. Dies genügt, alle Zweifel und schwarzen Gedanken eines Kranken aufzuwecken. Ich lasse Erkundigungen über den Fremden einziehen, ob er wirklich Afrikaner, woher er gekommen sei, was er beabsichtige.

Man erfährt nichts, ein geheimnisvoller Schleier umhüllt den Unbekannten, der Tag und Nacht wie ein Gespenst vor meiner geängstigten Seele steht. Mein bester Trost ist immer noch das Alte Testament, und ich rufe des Ewigen Schutz und Rache wider meine Feinde an.

Die Psalmen Davids sprechen am tiefsten meine Seele aus, und der alte Javeh ist mein Gott. Besonders der sechsundachtzigste Psalm hat sich meinem Geiste eingeprägt, und ich zögere nicht, ihn zu wiederholen:

»Gott, es setzen sich die Stolzen wider mich und der Haufe der Tyrannen steht mir nach meiner Seele, und haben dich nicht vor Augen.

Tue ein Zeichen an mir, daß mir's wohlgehe, daß es sehen, die mich hassen und sich schämen müssen, daß du mir beistehst, Herr, und tröstest mich.«

Dies ist das Zeichen, das ich anrufe, und merket wohl auf, Leser, wie mein Gebet erhört werden wird.


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