August Strindberg<
Inferno
August Strindberg<

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII

Die entfesselte Hölle

Mittlerweile verbreitet eine Nummer des Evènement, um die richtigen Ideen über die Natur meiner Krankheit vollends zu verwirren, folgende Notiz:

»Der unglückliche Strindberg, der seinen Weiberhaß nach Paris mitbrachte, wurde unverzüglich wieder zur Flucht genötigt. Und seitdem verstummen seinesgleichen bestürzt vor dem Banner der Frauen. Sie möchten nicht des Orpheus Schicksal erleiden, dem die thrazischen Bacchantinnen den Kopf abrissen« ...

So hat man mir also tatsächlich in der Rue de la Clef eine Falle gestellt, und die krankhaften Erscheinungen, deren Symptome sich heute noch äußern, sind Folgen jenes Mordversuches. Oh, diese Weiber! Gewiß, mein Artikel über die feministischen Bilder meines dänischen Freundes hat ihnen nicht gefallen. Endlich doch eine Tatsache, eine greifbare Wirklichkeit, die mich von meinen entsetzlichen Zweifeln an der Gesundheit meines Geistes erlöst.

Ich eile mit der guten Nachricht zu meiner Mutter: »Da sieh, daß ich kein Narr bin!«

»Nein, du bist nicht geistesgestört, nur krank, und der Arzt wird dir körperliche Übungen anraten, zum Beispiel Holz hacken« ...

»Hilft das auch gegen die Frauen oder nicht?«

Der übereilte Einwurf entfernt uns voneinander. Ich habe vergessen, daß eine Heilige immer eine Frau bleibt, das heißt des Mannes Feind.

 

Alles ist vergessen, die Russen, die Rothschilds, die Schwarzkünstler, die Theosophen und der Ewige selbst. Ich bin das unschuldige Opfer, Hiob ohne Fehl, Orpheus, den die Weiber töten wollten, ihn, den Verfasser von Sylva Sylvarum, den Erneuerer der toten Naturwissenschaft. Verirrt in einem Wald von Zweifeln, lasse ich den neugeborenen Gedanken von einem übernatürlichen Eingreifen der Mächte in geistiger Absicht fallen und vergesse über der nackten Tatsache eines Attentats, nach seinem ursprünglichen Urheber zu fragen.

Brennend vor Begierde, mich zu rächen, mache ich mich daran, der Pariser Polizeipräfektur und den Pariser Zeitungen Anzeige zu erstatten, als ein wohlgelenkter Umschwung dem verdrießlichen Drama ein Ende macht, das beinahe in eine Posse ausgelaufen wäre.

Eines graugelben Wintertages, nach dem Mittagessen um ein Uhr, besteht meine kleine Christine darauf, mir in mein Häuschen zu folgen, wo ich gewöhnlich mein Mittagsschläfchen halte.

Ich kann ihr nicht widerstehen und füge mich denn ihren Bitten.

Oben angelangt, verlangt meine Christine Feder und Papier; dann befiehlt sie Bilderbücher, und ich muß dabeibleiben, erklären und zeichnen.

»Nicht schlafen, Papa!«

Obwohl müde und erschöpft, gehorche ich doch meinem Kinde, ich weiß selbst nicht warum, aber es liegt ein Ausdruck in seiner Stimme, dem ich nicht widerstehen kann.

Draußen vor der Türe spielt ein Drehorgelmann einen Walzer. Ich mache der Kleinen den Vorschlag, mit dem Kindermädchen, das sie begleitet hat, zu tanzen. Durch die Musik angezogen, kommen die Nachbarskinder herbei, der Spielmann wird in die Küche eingeladen und auf meinem Flur ein Ball improvisiert.

Das währt eine Stunde, und meine Traurigkeit schwindet.

Um mich zu zerstreuen und den Schlaf zu verscheuchen, nehme ich die Bibel, mein Orakel, und schlage sie aufs Geratewohl auf. Und ich lese:

»Der Geist aber des Herrn wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn machte ihn sehr unruhig. Da sprachen die Knechte Sauls zu ihm: Siehe, ein böser Geist von Gott macht dich sehr unruhig. Unser Herr sage seinen Knechten, die vor ihm stehen, daß sie einen Mann suchen, der auf der Harfe wohl spielen könne, auf daß, wenn der böse Geist Gottes über dich kommt, er mit seiner Hand spiele, daß es besser mit dir werde.«

Der böse Geist, das ist gewiß der, den ich immer mutmaße.

Während die Kinder so spielen, ist meine Schwiegermutter gekommen, um die Kleine zu holen, und als sie den Ball sieht, bleibt sie erstaunt stehen.

Und sie erzählt mir, daß gerade zu dieser Stunde drunten im Dorfe eine Dame aus bester Familie von einem Wahnsinnsanfall ergriffen worden sei.

»Was fehlt ihr?«

»Sie tanzt, die Alte tanzt unermüdlich, dabei hat sie sich als Braut gekleidet und hält sich für Bürgers Leonore.«

»Sie tanzt? Und dann!«

»Weint sie, voll Furcht vor dem Tod, der sie fortholen wolle.«

Was das Schreckliche dieser Lage erhöht, ist, daß die Dame dasselbe Haus, in dem ich jetzt wohne, bewohnt hat, und daß ihr Gatte da gestorben ist, wo jetzt der Kinderball seinen Lärm vollführt.

Erklärt mir das, Ärzte, Psychiater, Psychologen, oder gebt den Bankrott der Wissenschaft zu!

 

Mein Töchterchen hat den Bösen beschworen, und der durch ihre Unschuld ausgetriebene Geist ist in eine alte Frau gefahren, die sich eine Freidenkerin zu sein brüstete.

Der Totentanz dauert die ganze Nacht. Die Dame wird von Freundinnen überwacht, die sie vor den Angriffen des Todes beschützen sollen; sie nennt es »Tod«, weil sie nicht an die Existenz von Dämonen glaubt. Manchmal jedoch behauptet sie, daß ihr verstorbener Mann sie quäle.

 

Meine Abreise ist aufgeschoben, aber um nach so vielen schlaflosen Nächten wieder zu Kräften zu kommen, ziehe ich in die Wohnung meiner Tante auf der andern Seite der Straße.

Ich verlasse also das rosa Zimmer.

Welcher Zufall, daß die Stockholmer Folterkammer in der guten alten Zeit auch Rosenkammer ( Rosenkammaren) hieß.

Endlich wieder eine Nacht in einem ruhigen Zimmer. Die Wände sind weiß gestrichen und mit Heiligenbildern übersät. Über meinem Bett hängt ein Kruzifix. Aber die Nacht darauf beginnt das Spiel der Geister von neuem.

Ich zünde die Kerzen an, um die Zeit mit Lesen totzuschlagen. Eine unheimliche Ruhe herrscht, in der ich mein Herz klopfen höre. Da durchzuckt mich ein schwaches Geräusch wie ein elektrischer Funke.

Was ist das?

Ein großes Stück Stearin ist von der Kerze zur Erde getropft. Nichts weiter, aber bei uns gilt das als Todesvorzeichen! Meinethalben! Nach einer Viertelstunde Lesen will ich mein Taschentuch unter dem Kopfkissen hervornehmen. Es ist nicht da, und als ich es suche, finde ich es auf dem Fußboden. Ich bücke mich, es aufzuheben. Mir fällt etwas auf den Kopf, und als ich es mit den Fingern aus den Haaren loslöse, ist es wieder ein Stück Stearin.

Anstatt zu erschrecken, kann ich mich nicht enthalten zu lächeln, eine solche Eulenspiegelei scheint mir das Ganze.

Lächeln beim Tode! Wie wäre das möglich, wenn nicht das Leben an und für sich lächerlich wäre! So viel Lärm um so wenig! Vielleicht verbirgt sich sogar auf dem Grunde unserer Seele ein schattenhaftes Bewußtsein, daß alles hier unten nur Verstellung, Grimasse, eitler Schein ist, und all unser Leiden ein Spaß für Götter.

 

Hoch über den Hügel, auf dem das Schloß erbaut ist, erhebt sich ein Berg, der mit seiner Aussicht auf die höllische Landschaft alle andern beherrscht. Der Weg dahin führt durch einen wohl tausendjährigen Eichenhain, welcher der Sage nach ein Druidenhain war, da die Mistel dort auf den Linden- und Apfelbäumen üppig wuchert. Oberhalb dieses Waldes steigt der Weg steil durch Tannenholz empor.

Mehrere Male schon habe ich den Gipfel zu erreichen versucht, aber immer trieb mich etwas Unvorhergesehenes zurück. Bald war es ein Reh, welches die Stille durch einen unerwarteten Sprung unterbrach, bald ein Hase, der keinem gewöhnlichen Hasen glich, bald eine Elster mit ihrem betäubenden Geschrei. Am letzten Morgen, dem Tage vor meiner Abreise, drang ich endlich trotz aller Hindernisse durch den dunklen, melancholischen Tannenwald bis zum Gipfel empor. Von dort bot sich mir eine prachtvolle Aussicht auf das Donautal und die steirischen Alpen. Ich atme zum ersten Male auf, nun ich dem düsteren Taltrichter da unten endlich einmal entronnen bin. Die Sonne erhellt die Gegend mit ihrem unendlichen Horizont, und die weißen Kämme der Alpen vermählen sich mit den Wolken. Es ist schön wie im Himmel! Ist die Erde Himmel und Hölle zugleich, gibt es keine andern Stätten der Strafe und Belohnung? Vielleicht! Ja, sicherlich, denn wenn ich mich der schönsten Augenblicke meines Lebens erinnere, dünken sie mir himmlisch, ebenso wie mir die schlimmen als höllisch erscheinen.

Hat mir die Zukunft noch Stunden oder Minuten jenes Glückes vorbehalten, das sich nur durch Sorgen und ein halbwegs reines Gewissen erkaufen läßt?

Ich fühle wenig Lust, in das Tal der Schmerzen wieder hinabzusteigen und gehe auf dem Plateau, die Schönheit der Erde bewundernd, hin und her. Der Gipfelfelsen selbst ist von der Natur wie eine ägyptische Sphinx gebildet. Auf dem Riesenkopfe liegt ein Haufen Steine, daraus ein Stock mit einem weißen Stück Leinwand als Fahne aufragt.

Ohne mich um die Bedeutung dieser Zurüstung weiter zu kümmern, lasse ich mich von dem einzigen unwiderstehlichen Gedanken beherrschen: die Fahne fortzunehmen.

Mit Todesverachtung nehme ich den steilen Abhang und erobere die Fahne. Im selben Augenblick ertönt unerwartet von der Donau unten ein Brautmarsch, von triumphierenden Stimmen gesungen, empor. Es ist ein Hochzeitszug, ich kann ihn nicht sehen, aber die bei solchen Gelegenheiten üblichen Flintenschüsse stellen es außer Zweifel.

Kind genug und genugsam unglücklich, um die gewöhnlichsten und natürlichsten Vorgänge poetisch umzugestalten, nehme ich dies als ein gutes Zeichen an.

Und mit Bedauern und langsamen Schrittes steige ich wieder in das Tal der Schmerzen, des Todes, der Schlaflosigkeit und der Dämonen hinab, wo meine kleine Beatrice mich mit der versprochenen Mistel erwartet, dem grünen Zweig, mitten im Schnee, mit goldener Sichel schneiden müßte.

 

Schon lange hatte die Großmutter den Wunsch ausgesprochen, mich zu sehen, sei es nun, um eine Versöhnung herbeizuführen, sei es aus okkultistischen Gründen, da sie eine Hellseherin und Visionärin ist. Unter verschiedenen Vorwänden hatte ich den Besuch aufgeschoben; nun aber, da meine Abreise entschieden, nötigt mich meine Mutter, die alte Frau zu besuchen und ihr Lebewohl zu sagen, wahrscheinlich das letzte diesseits des Grabes.

Am sechsundzwanzigsten November, einem kalten und klaren Tage, treten meine Mutter, das Kind und ich die Pilgerschaft nach der Donau an, wo der Stammsitz der Familie liegt.

Wir steigen im Gasthaus ab, und während meine Schwiegermutter ihrer Mutter meinen Besuch anmeldet, durchstreife ich die Wiesen und Wälder, die ich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen habe. Die Erinnerungen überwältigen mich, und in alles flicht sich das Bild meiner Frau. Und alles liegt durch den Reif des Herbstes verwüstet; keine Blume mehr, kein grüner Grashalm, wo wir beide alle Blumen des Lenzes, des Sommers, des Herbstes gepflückt!

Nach dem Mittagessen werde ich zu der Alten geführt, welche die Dependance der Villa bewohnt, das Häuschen, in dem mein Kind geboren wurde. Die Zusammenkunft ist, den Umständen angemessen, ohne Herzlichkeit; man scheint die Szene vom verlorenen Sohn zu erwarten; aber ich habe keine Lust dazu, diesen Wunsch zu erfüllen.

Ich beschränke mich darauf, in Erinnerungen an ein verlorenes Paradies zu schwelgen. Sie und ich haben das Getäfel der Türen und Fenster zu Ehren der Ankunft der kleinen Christine auf dieser Welt gestrichen. Die Rosen und die Waldreben, welche die Fassade schmücken, sind von meiner eigenen Hand gepflanzt. Der Fußweg, der den Garten durchquert, ist von mir ausgehackt. Aber der Nußbaum, den ich am Morgen nach der Geburt Christinens gepflanzt, ist verschwunden. Der »Lebensbaum«, wie er getauft wurde, ist tot.

Zwei Jahre, zwei Ewigkeiten, sind verrollt seit den Abschiedsgrüßen zwischen ihr am Ufer und mir auf dem Schiffe, auf dem ich nach Linz fuhr, um von dort nach Paris zu reisen.

Wer hat den Bruch verschuldet? Ich; denn ich habe meine und ihre Liebe gemordet. Ade mein weißes Haus, ade Dornach, du Dornau und Rosenau. Ade Donau! Ich sage mir zum Troste: Ihr wart nur ein Traum, kurz wie ein Sommer, weit süßer als alle Wirklichkeit, ... und ich bedauere diesen Traum nicht.

 

Die Nacht kommt. Meine Schwiegermutter und mein Kind haben auf meine Bitten ihr Nachtlager im Gasthause genommen, um mich gegen die Angriffe des Todes zu schützen, die sich durch den sechsten Sinn, der sich unter dem Einfluß sechsmonatlicher Verfolgungsqualen entwickelt hat, bei mir angemeldet haben.

Um 10 Uhr abends fängt ein Windstoß meine Türe, die nach dem Flur führt, zu rütteln an. Ich befestige sie mit Holzkeilen. Es nützt nichts; sie zittert weiter.

Die Fenster klirren, der Ofen heult wie ein Hund, das ganze Haus bäumt sich wie ein Schiff.

Ich kann nicht schlafen. Bald stöhnt die Mutter, bald weint die Kleine.

Am andern Morgen ist meine Schwiegermutter von Schlaflosigkeit und anderem, das sie mir verbirgt, erschöpft und sagt zu mir:

»Reise ab, mein Kind, ich habe genug von diesem Höllengeruch!«

Und ich reise ab, nach Norden, ein ruheloser Pilger, ins feindliche Feuer einer neuen Bußstation.


 << zurück weiter >>