August Strindberg<
Inferno
August Strindberg<

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XIII

Pilgerschaft und Buße

Es gibt in Schweden 90 Städte, und zu derjenigen, die ich am meisten hasse, haben mich die Mächte verdammt.

Zuerst besuche ich die Ärzte.

Der erste spricht von Neurasthenie, der zweite von Angina pectoris, der dritte von Paranoia, einer Geisteskrankheit, der vierte von Emphysem ...

Dies genügt mir, um vor einer Internierung in einem Irrenhause sicher zu sein.

Indessen bin ich, um mir Subsistenzmittel zu schaffen, gezwungen, für eine Zeitung Artikel zu schreiben. Stets, wenn ich mich an den Tisch setze, um zu schreiben, ist die Hölle entfesselt. Nun bringt mich eine neue Entdeckung um den Verstand. Sobald ich in ein Hotel eingezogen bin, bricht ein Höllenlärm, gleich dem in der Rue de la Grande Chaumière in Paris, los; ich vernehme schlürfende Schritte und Rücken von Möbeln. Ich wechsele das Zimmer, ich gehe in ein anderes Hotel, auch dort ist der Lärm über meinem Kopfe. Ich besuche die Restaurants, aber sobald ich im Speisesaal sitze, fängt auch dort der Lärm an. Wohlgemerkt, stets, wenn ich die Anwesenden frage, ob sie dasselbe Geräusch wie ich hören, bejaht man es mir und gibt mir die entsprechende Beschreibung.

Also ist es keine Halluzination des Gehörs; überall Intrigen, sage ich mir.

Aber als ich eines Tages zufällig in eine Schusterwerkstatt trete, fängt das Geräusch in demselben Augenblick an. Also doch keine Intrige! Es ist der Teufel selber! Verjagt von Hotel zu Hotel und überall von elektrischen Drähten bis an mein Bett verfolgt, überall von elektrischen Strömen angegriffen, die mich vom Stuhl oder aus dem Bett heben, bereite ich in aller Ordnung einen Selbstmord vor.

Es herrscht das entsetzlichste Wetter, und in meiner Traurigkeit suche ich mich durch Zechereien mit Freunden zu zerstreuen.

Eines verzweifelten Tages nach einem Bacchanal habe ich das erste Frühstück in meinem Zimmer beendet. Das Geschirrtablett bleibt auf dem Tische stehen, und ich drehe mich nach dem Tische, auf dem das Eßgeschirr steht, um. Ein kurzes Geräusch erregt meine Aufmerksamkeit, und ich sehe, daß ein Messer zur Erde gefallen ist. Ich hebe es auf und lege es so hin, daß das Unglück nicht noch einmal geschehen kann. Das Messer bewegt sich und fällt.

Also Elektrizität!

Am selben Morgen schreibe ich einen Brief an meine Schwiegermutter und beklage mich über das schlechte Wetter und das Leben im allgemeinen. Bei dem Satz: »Die Erde ist schmutzig, das Meer ist schmutzig, und der Himmel läßt Kot regnen« ... stellt euch meine Überraschung vor, als ich sehe, wie ein klarer Wassertropfen auf das Papier fällt.

Keine Elektrizität! Ein Wunder!

Des Abends, als ich noch am Tische arbeite, erschreckt mich ein Geräusch vom Waschtische her. Ich sehe hin, und siehe da, eine Wachsleinwand, die ich bei morgendlichen Waschungen brauche, ist herabgefallen. Um die Sache genau zu kontrollieren, hänge ich die Leinwand so, daß ein Herunterfallen unmöglich ist.

Sie fällt noch einmal!

Was ist das?

Jetzt nehmen meine Gedanken ihren Lauf zu den Okkultisten und ihrem geheimen Können. Ich verlasse die Stadt, den Beschuldigungsbrief in der Tasche, und begebe mich nach Lund, wo alte Freunde, Ärzte, Irrenärzte, selbst Theosophen wohnen, auf deren Beistand ich rechne.

 

Warum und wie bin ich dazu gekommen, mich in dieser kleinen Universitätsstadt niederzulassen, diesem Verbannungs- und Bußort für die Studenten von Upsala, wenn sie zuviel auf Kosten ihres Geldbeutels und ihrer Gesundheit gelebt haben? Ist hier mein Kanossa, wo ich meine überspannten Meinungen vor derselben Jugend zurückziehen muß, die mich einmal zwischen 1880 und 1890 zu ihrem Bannerträger machte? Ich kenne meine Lage sehr genau und weiß wohl, daß ich von den meisten Professoren als Verführer der Jugend exkommuniziert bin und die Väter und Mütter mich wie den Bösen selber fürchten.

Überdies habe ich mir hier noch persönliche Feinde zugezogen und habe hier Schulden gemacht unter Umständen, die auf meinen Charakter ein schlechtes Licht werfen; es wohnt hier die Schwägerin Popoffskys mit ihrem Mann, und diese beiden, die eine einflußreiche Stellung in der Gesellschaft einnehmen, sind imstande, mir gewichtige Feinde zu schaffen. Ich habe hier sogar Verwandte, die mich verleugnet, und Freunde, die mich im Stiche gelassen haben, um meine Feinde zu werden. Mit einem Wort, es ist der schlechtgewählteste Platz für einen ruhigen Aufenthalt; es ist die Hölle, aber mit meisterhafter Logik und göttlichem Scharfsinn zusammengesetzt. Hier muß ich den Kelch leeren und die Jugend mit den erzürnten Mächten wieder verbünden.

Durch einen, übrigens malerischen, Zufall, kaufe ich einen modernen Mantel mit Pelerine und Kapuze von flohbrauner Farbe und dem Aussehen einer Franziskanerkutte. Im Büßerkleid also kehre ich nach einer sechsjährigen Verbannung wieder nach Schweden zurück.

Gegen 1885 bildete sich in Lund eine Studentenverbindung, »Die alten Jungen« genannt, deren literarische, wissenschaftliche und soziale Interessen sich durch die Parole Radikalismus aussprechen ließen. Ihr Programm schloß sich den modernen Ideen an, wurde zuerst sozialistisch, dann nihilistisch, um mit dem Ideal allgemeiner Auflösung und einem fin de siècle-Anstrich von Satanismus und Décadence zu endigen. Der Häuptling jener Partei, der gewaltigste ihrer Paladine, ein Freund von mir, den ich seit drei Jahren nicht mehr gesehen habe, sucht mich auf.

Wie ich in eine Franziskanerkutte, aber eine von grauer Farbe, gekleidet, gealtert, mager, mit jämmerlicher Miene, erzählt er mir allein durch seine Physiognomie seine Geschichte.

»Du auch?«

»Ja! Die Sache ist aus!«

Auf meine Einladung, ein Glas Wein zu trinken, entpuppt er sich als Temperenzler, der keinen Wein trinkt.

»Und die ›alten‹ Jungen?«

»Gestorben, gepurzelt, Bourgeois; einregistriert in die verdammte gute Gesellschaft.«

»Kanossa?«

»Kanossa auf der ganzen Linie.«

»So hat mich also die Vorsehung selbst hierher geführt!«

»Vorsehung! das ist das rechte Wort!«

»Sind die Mächte in Lund anerkannt?«

»Die Mächte bereiten ihre Rückkehr vor.«

»Schläft man nachts in Schonen?«

»Nicht viel, jedermann beklagt sich über Alpdrücken, Brust- und Herzbeklemmungen.«

»Wie bin ich da am Platze; denn das ist auch gerade mein Fall!«

 

Wir haben uns einige Stunden über die wunderbaren gegenwärtigen Zeiten unterhalten, und mein Freund hat mir außerordentliche Dinge erzählt, die sich hier und da ereignet haben. Zum Schlusse überschlägt er die Stimmung der heutigen Jugend, die etwas Neues erwartet.

»Man wünscht eine Religion; eine Aussöhnung mit den Mächten (das ist das Wort), wieder eine Annäherung an die Welt des Unsichtbaren. Die naturalistische große, fruchtbare Epoche hat ihre Zeit gehabt. Man kann nichts gegen sie sagen, nichts bedauern, denn die Mächte haben gewollt, daß wir sie durchmachen. Es war eine experimentelle Epoche, deren negative Resultate die Eitelkeit gewisser in Prüfung gezogener Theorien bewiesen haben! Ein Gott, bis auf weiteres unbekannt, scheint sich zu entwickeln, zu wachsen und sich von Zeit zu Zeit zu offenbaren. Inzwischen läßt er die Welt, so scheint es, gehen, wie der Landmann, der Unkraut und Weizen bis zur Ernte wachsen läßt. Jede Offenbarung zeigt ihn von neuen Gedanken beseelt und läßt in seiner Regierung praktisch neugewonnene Verbesserungen zum Ausdruck gelangen.

Die Religion wird also wiederkehren, aber unter neuen Gesichtspunkten, denn ein Kompromiß mit den alten Religionen scheint unmöglich. Nicht eine Epoche der Reaktion erwartet uns, auch nicht eine Rückkehr zu abgelebten Idealen, vielmehr ein Fortschritt zum Neuen.

»Zu welchem Neuen? Warten wir ab!«

Am Ende unseres Gesprächs entflieht mir eine Frage, wie ein Pfeil, der zum Himmel fährt.

»Kennst du Swedenborg?«

»Nein, aber meine Mutter besitzt seine Werke, und es ist ihr sogar etwas Wunderbares begegnet ...«

Vom Atheismus zu Swedenborg ist nur ein Schritt!

Ich bitte ihn, mir Swedenborgs Werke zu leihen, und mein Freund, der Saul der jungen Propheten, bringt mir die Arcana Coelestia. Außerdem stellt er mir einen jungen Mann vor, ein von den Mächten begnadetes Wunderkind, der mir ein den meinigen nur allzu analoges Abenteuer seines Lebens erzählt, und als wir zuletzt unsere Prüfungen vergleichen, wird es Licht in uns; denn wir sehen uns beide durch Swedenborg erlöst.

Ich danke der Vorsehung, die mich in diese kleine, verachtete Stadt geschickt hat, daß der Büßende endlich gerettet werde.


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