Rudolph Stratz
Arme Thea!
Rudolph Stratz

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XVI.

Welch seltsamer Anblick: die Linden, die sie langsam hinaufschritten, waren fast völlig menschenleer! Wie ausgestorben lag die breite Prunkstraße im fahlen Morgenschimmer da. Man mußte schon genau zusehen, um da und dort vor einem Juwelierladen eine pelzvermummte Gestalt im Halbschlaf kauernd oder in weiter Ferne die Helmspitze eines gähnenden Schutzmanns zu schauen. Und Totenstille ringsumher. Unheimlich hallten ihre Schritte an den hohen, schweigenden Häuserfronten wider, daß sie den Kopf scheu zur Seite wandten und über die graue Straßenfläche hinstarrten, aus deren Nebel sich die buntbeklexten Litfaßsäulen so grotesk abzeichneten.

Es war wirklich unheimlich, auf dieser lautlosen, reglosen Straße dahinzuwandern und nichts zu hören als das monotone Klappen seiner Stiefelabsätze und den eigenen, schweren Atem, nichts zu sehen als still ragende Mauern, still sich wölbende Bäume und leere Bänke darunter.

Gott sei Dank . . . da kamen ihnen ein paar Menschen entgegen. Sie atmeten förmlich auf.

Zwei Studenten, magere, bebrillte Rauhbeine, die sich offenbar als junge Wüstlinge vorkamen, weil sie sich die Nacht in irgendeinem Café um die Ohren geschlagen hatten und nun stolz und verkatert zugleich ihrer Bude zustrebten.

Und dann lange wieder niemand. Sie waren schon fast am Opernhaus, als wieder ein Passant auftauchte, ein jüngerer, fröstelnd in seinen kurzen Sportpaletot gehüllter Herr, der eilfertig, nur einmal rasch nach einem fernen Hause zurückblickend, dahinschritt. Ein nachdenkliches Lächeln lag auf seinem hübschen, müden Gesicht, während er sich den Kragen des Ueberziehers hochklappte. Er schien, mehr als die Studenten vorhin, Grund zu haben, mit den Ereignissen dieser Nacht zufrieden zu sein.

Erst auf der Kaiser-Wilhelm-Brücke hörten sie dann wieder rasche Schritte sich nähern. Ein kleiner, dürftig aussehender Mensch mit einem Musterköfferchen in der Hand. Er trabte eilfertig, auf seine Uhr sehend – wahrscheinlich, um den Zug nicht zu versäumen. Der mußte also schon wieder an sein Tagwerk, wo die vor ihm schläfrig nach Hause trotteten . . . um fünf Uhr morgens an sein Tagwerk . . . und seltsam: er sah dabei ganz vergnügt aus!

Unwillkürlich blieben sie stehen und schauten dem im Laufschritt die leeren Linden dahinstürmenden Kleinen nach. »Dummer Kerl . . .« murmelte Georg finster . . . »Gott weiß, für wen der sich nun wieder abschuftet! . . . wird wohl auch so ein Heinlein sein, der um zehn Uhr mittags aus den Federn kriecht . . .«

»Heinlein steht heute wohl überhaupt nicht auf!« meinte Thea nachdenklich. Sie starrte auf die Spree hinunter, die träge unter der Brückenwölbung dahinkroch. Welch ein abscheuliches Wasser! . . . tiefschwarz, da in öligen Spiegeln schimmernd, dort vom Unrat der Straße überstäubt, Orangenschalen, Holzstücke, Zeitungsfetzen, eine tote Katze langsam in der schleichenden Flut mittreibend . . . . . Ein ekelndes Grausen überfiel sie und sie hob die Augen rasch in die Höhe.

Da spannte sich, mit dem Steigen des Tages in immer tieferem und tieferem Blau aufleuchtend, der reine Sommerhimmel. Die ersten Strahlen der Frühsonne übergossen die weiten Zinnen des düsteren, altersgrauen Hohenzollernschlosses mit lichtem Rot und eine freundliche, belebende Wärme zitterte von ihr hernieder auf die einsamen Straßen unten und die beiden einsamen Menschen.

»Gott sei Dank . . . endlich die Sonne . . .« der Freund berührte Thea leicht am Arm. »Komm' . . . wir wollen weitergehen!«

Ihre Stimme klang schwankend. »Weißt du denn eigentlich den Weg, Georg?«

»Wir wollen doch nur irgendwohin ins Freie . . .« sagte der Herrenreiter . . . ». . . aus Berlin heraus . . . und ich erinnere mich: in der Nähe von Karlshorst ist ein Anlegeplatz für Dampfer. Also dort gibt es jedenfalls Seen und Wälder und ein kleines Wirtshaus – was wir eben suchen . . .«

Sie wies mit der Hand vor sich in die Ferne. »Und das liegt dort im Osten?«

Er nickte. »Gerade der Sonne entgegen! Da können wir schließlich nicht fehlen! . . . aber wahrscheinlich ist es ein weiter Weg. Es ist besser . . . ich suche irgendwo einen Wagen aufzutreiben!«

». . . nein . . . nein, tu das nicht . . .« sprach sie hastig . . . ». . . wir wollen zusammen gehen . . . das ist schöner . . .«

». . . der Sonne entgegen . . . sagst du . . .« hub sie nach kurzer Pause wieder an, während sie beide über die Brücke dahingingen . . . ». . . ist das nicht seltsam, Georg . . . daß man der Sonne entgegengeht, wenn man doch gerade von ihr Abschied nehmen will . . .?«

Er erwiderte nichts.

Und plötzlich fielen ihr seine Worte von vorhin ein: »Wir haben ja noch einen ganzen langen Tag Zeit, es uns zu überlegen!«

Jawohl . . . den ganzen herrlichen Sommertag hatte man vor sich. Das war doch eigentlich sehr beruhigend. Da stand man doch nicht so unmittelbar vor diesem Entschluß. Er lag noch in weiter Ferne.

Und inzwischen veränderte die Sonne die Dinge ringsumher, die in der Nacht so traurig und drohend ausgeschaut, und vergoldete sie, daß sie ein ganz anderes Aussehen gewannen. Da wurde vielleicht überhaupt alles anders! Da fand man doch noch vielleicht einen Ausweg, oder es kam einem eine Erkenntnis, an die man gar nicht gedacht!

»Ich bin gespannt, was wir heute noch erleben!« sagte Thea und schritt rascher an Georgs Arme in das Zentrum von Berlin.

* * *

»Was ist das eigentlich für eine Gegend?« fragte sie nach einer Weile und deutete auf die Häuser der Kaiser-Wilhelmstraße.

Georg machte ein zweifelndes Gesicht . . . ». . . ich kenne sie nicht . . .« meinte er . . . ». . . für gewöhnlich hört einem ja mit den Linden und dem Schloß die Welt auf! Es wird wohl so ein Geschäftsviertel sein . . .«

». . . wo die arbeitenden Leute wohnen?«

»Ja . . . ich glaube . . . in die Stadtteile kommen wir jetzt allmählich hinein. Die liegen, wenn ich mich recht erinnere, im Norden und Osten von Berlin . . .«

Und in der Tat . . . schon zeigten sich da und dort vereinzelte Gestalten, die mit fröstelnd hochgezogenen Schultern und in den Taschen vergrabenen Händen das klappernde Blechgeschirr unter dem Arm, ohne viel rechts und links zu sehen, ihren Werkstätten zustrebten.

». . . schau die armen Teufel« sagte Thea . . . ». . . die haben's besser als wir! Die könnte man beneiden! . . . Sie können arbeiten . . .«

. . . ». . . und wollen arbeiten!« ergänzte Georg finster . . . ». . . wir wollen ja nicht arbeiten! . . . wir sind ja zu zimperlich dazu. Wir ekeln uns . . . nicht vor der Arbeit selbst . . . aber vor dem Schweiß und dem Schmutz und dem Lärm . . . wir sind so die rechten Treibhauspflanzen aus dem Salon, die zu nichts Ernsthaftem taugen . . .«

Sie blieben unschlüssig stehen. Die Straße war zu Ende, die Richtung nach Osten durch Häuserreihen versperrt. Man mußte rechts oder links ausbiegen.

Also rechts! Hinein in das Gassengewirr, aus dem immer mannigfaltiger und lauter das Durcheinander des erwachenden Lebens klang. Das Rasseln von Fuhrwerken, das Pfeifen der Bäckerjungen, das Kläffen der Ziehhunde, die schweren Tritte der zur Arbeit gehenden Männer schlugen an ihr Ohr, während sie immer tiefer in die engen, winkligen Quartiere eindrangen.

Das waren nicht mehr die schnurgeraden, wohlgepflegten Straßenlinien des Westens! Hier drängten sich die Gassen ineinander und durcheinander, in seltsamen Windungen, wie sich einer jeden gerade das beste Fortkommen bot. Und aus ihren verwetterten, schmutzigen Häusern quoll es immer dichter hervor und flutete in dunklen Strömen aus den Türen der Mietskasernen über die Bürgersteige dahin, Massen von Armen, von Mühsamen und Beladenen, die, als etwas Selbstverständliches, heute von neuem, zum hundertsten und tausendsten Mal den Kampf mit ihrer Erbfeindin, der grauen Not, begannen. Stumpfe Ergebung lag auf den meisten Gesichtern und müde Ruhe. Sie hatten so oft schon diesen Kampf durchgekämpft, so oft schon nach schwerem Tagewerk die Feierabendglocke läuten hören, sie hatten so oft schon gedarbt und gehungert und sich doch durchgeschlagen . . . sie würden auch heute durchkommen und morgen und die nächsten Jahre.

»Wir wollen rascher gehen!« sagte Thea beklommen . . . ». . . die Leute sehen uns alle so an . . . ich weiß nicht . . .«

Freilich . . . um diese Stunde ein gigerlhaft gekleideter Sportsman und eine elegante junge Dame in den Gassen Altberlins . . . das fiel auf. Neugierige Blicke, umgedrehte Köpfe . . . da ein roher Witz aus einer Gruppe kalkbespritzter, in ihren Holzschuhen klappernder Maurer . . . ein wieherndes Gelächter . . . sie verstanden den gemeinen Berliner Jargon nicht . . . aber sie machten, daß sie weiter kamen.

Wäre man nur erst heraus! Aber das nahm kein Ende! Immer neue Straßen und Plätze und Gäßchen und immer neue Mengen von dunklen, zum Fronwerk pilgernden Gestalten.

Sie wußten die Richtung gar nicht mehr. »Das ist wie in einem Irrgarten!« klagte Thea . . . ». . . wir wollen hinaus ins Grüne und unter blauen Himmel . . . und dies graue Arbeiterviertel mit seinem Rauch und Lärm läßt uns nicht los! Wir sind wie gefangen in diesem Gewirr von häßlichen Häusern!«

Georg drehte mit ihr um. »Wir wollen uns nach links wenden!« riet er . . . ». . . dann müssen wir die Richtung wiederbekommen.«

Sie eilten durch immer neue Gassen dahin, in denen sich Laden um Laden öffnete, in denen man fegte und kehrte, emsig die Geschäftsräume scheuerte und alles zurechtmachte für den kommenden langen Tag. Wie zwei Flüchtlinge erschienen sie sich selbst in ihrer scheuen Hast, wie zwei ratlose Menschen, die nicht mehr wußten, wo aus diesem emsigen Wirren und Treiben heraus der Weg zum süßen Nichtstun, zu dem geheimnisvollen Nichts führte.

Hier kümmerte sich keiner um das Nichts, hier dachte keiner daran, wehmütig dem Dasein Adieu zu sagen! Hier lebte man und rang zäh und grimmig um sein bißchen Leben. In gewaltigem Donnern und Dröhnen umhallte jetzt, auf der großen Verkehrsader, in die sie ihre Flucht getrieben, der Berliner Arbeitstag das verstörte Paar. Klingelnde Pferdebahnwagen, menschenwimmelnde Omnibusse, schwer knarrendes Fuhrwerk und leichte Handwagen auf dem Fahrdamm, ein Getümmel und Gehaste von tätigen Menschen auf den Bürgersteigen daneben, ein Fluten und Brausen, das betäubend auf ihre übermüdeten Sinne wirkte.

Auch die Häuser hatten sich belebt. Es klangen die Schellen an den Ladentüren und aus den Höfen der Lärm des Handwerks. Da fiel durch die schmutzigen Fenster der Kartonnagefabrik der Sonnenschein auf lange Reihen junger Mädchen, die mit vorgebeugtem Oberkörper an den Tischen hantierten, dort zeichneten sich durch die Scheiben des Kontors die schreibenden und rechnenden Gestalten und im Nebenraum der diktierend auf und nieder schreitende Fabrikdirektor ab.

Und die Fabriken selbst begannen, noch mit gähnend klaffenden Toren, zu brummen und zu stampfen. Es kam Leben in die kleinste Werkstatt wie in die mächtigen Maschinensäle. Wie sich da die Räder drehten und die Riemen glitten und in schwarzen Wolken der Dampf dem Schornstein entstieg, so hallte dort der Hammerschlag in das Pfeifen und Schrillen des Hobels und sprühten die Essen, und gewaltig, sich tausendfach mischend und immer stärker anschwellend klang es im Lärm der Arbeit über das Meer der Giebel und Dächer empor: »Unser täglich Brot gib uns heute!«

Berlin war erwacht. Wie ein Riese reckte es seine Glieder und machte sich in lachender Jugendkraft an einen neuen Tag. Ein Abglanz dieser frohen Schaffenslust schien im Licht des Sommermorgens alles umher zu vergolden, die im Grollen der Dampfkessel, dem rastlosen Pochen des Handwerks zitternden Häuser, die langen, einförmigen und doch so belebten Straßen und die Menschen selbst, graues Volk in grauem Gewande, das in immer neuen Wogen, in Tausenden und Zehntausenden das einsame Paar umbrandete. »Wir alle leben!« schien es aus diesen farblosen, eilfertig sich dahinwälzenden Wellen zu mahnen . . . »wir alle leiden und trotzen doch dem Geschick! Ein Feigling, wer beiseite geht, solange sich noch seine Faust ballen und sein Mund noch das Geheimnis aussprechen kann, das große Geheimnis: Ich will!«

Ich will! . . . das Zauberwort, vor dem das Schicksal selbst sich beugt – vor dem die Sorge selbst mählich ihre grauen Schleier zusammenrafft und unhörbar aus dem Zimmer gleitet . . . vor dem die grimme Not zähnefletschend und knurrend wie ein böses Raubtier beiseite schleicht . . .

Und weiter und weiter schritten sie. Sie bogen in Nebengassen und kehrten zurück und schlugen einen andern Weg ein, und nirgends nahm Berlin ein Ende und nirgends erlahmte sein rastloser Pulsschlag!

Da blieben sie endlich stehen und sahen sich stumm an.

Wie seltsam! Sie suchten den Tod und gerieten immer tiefer in die Welt der Arbeit hinein! Und kamen sich klein und lächerlich vor, zwei schlaffe Müßiggänger zwischen unzähligen Menschen, die unverzagt mit Kopf und Händen für sich und die Ihren stritten.

»Bitte die Herrschaften weiterzugehen!« sagte neben ihnen ein Schutzmann . . . »Sie hindern den Verkehr!«

Sie traten beiseite, in ein stilleres Nebengäßchen. Natürlich . . . sie waren hier ein Hindernis, eine Last! Leute, die Maulaffen feil haben und sich gegenseitig ihr Leid klagen, die konnte man hier nicht brauchen.

Das Gäßchen mündete auf die Spree.

Finster und träge schlich das Wasser dahin und auf seinem erblindeten Spiegel, in seinen trüben Fluten schwamm der Kehricht, der wertlose Abfall der Weltstadt.

Vielleicht gehörten auch Menschen zu diesem Abfall und trieben unsichtbar unter der Oberfläche vorüber. Sollte man sich zu ihnen gesellen, den entsetzlichen, sich langsam auflösenden Körpern . . . oder zu dem unverzagten Geschlecht, das da um sie her im Sonnenscheine streitet und lärmt, im Abenddämmern lacht und liebt . . .?

Wieder sahen sie sich an, und es fiel ihnen wie Schuppen von den Augen.

»Thea . . . du dummes, kleines Mädchen!« sagte Georg vorwurfsvoll und legte den Arm um sie . . . ». . . merkst du nun, was du für Unheil angestiftet hast? Ganz wirblig hast du mich im Kopf gemacht, daß ein Kerl wie ich auf so eine Idee kommen konnt'! . . . ist ja Unsinn . . . kompletter Unsinn . . .«

». . . ja . . . das kann schon sein, Georg . . .« Thea schaute aus großen Augen zu ihm auf . . . »wenn man alle die vielen Menschen sieht, denen es so schlecht geht und die doch nicht verzweifeln . . .«

». . . und wir dagegen, denen es so gut geht! . . . denn erstens lieben wir uns . . . und zweitens sind wir jung, gesund und stark . . . wir sollten . . . oh, Thea, Thea . . . es bleibt dabei: du bist ein dummes, kleines Mädchen und wirst in Zukunft überhaupt nicht gefragt! Sondern du tust einfach, was ich will, und gehst mit mir! Und mußt dich mit dem Aennchen von Tharau trösten . . . weißt du . . . wo's im Volkslied heißt: ›. . . ich will dir folgen durch Länder und Meer! – Eisen und Kerker und feindliches Heer . . .‹

»Ach, Georg . . . ich folgte dir gerne!« Thea schüttelte traurig den blassen Kopf . . . ». . . aber wir können ja nicht aus Berlin heraus!«

»Und ob wir können!« Georg faßte mit energischem Griff ihre Hand . . . »natürlich können wir! Jetzt weiß ich's! . . . komm' mit!«

»Wohin denn?«

»In die Jägerstraße! Dort lebt ein vortrefflicher alter Herr, der mir mit Vergnügen das Reisegeld nach Amerika gibt. Und da es ohnedies seit acht Tagen der dringende Wunsch sämtlicher Zeitgenossen ist, mich bis auf weiteres jenseits des großen Wassers zu wissen, so willfahren wir dem allgemeinen Verlangen! Thea . . . mach' dich auf die Seekrankheit gefaßt. – und Sie, Kutscher . . .« . . . er winkte einer Droschke . . . ». . . zeigen Sie einmal, daß Sie Ehrgeiz besitzen, und befördern Sie uns in der denkbar kürzesten Zeit nach Berlin W. zurück!«

* * *

Wohl eine Stunde hatten die Kommis des Bankhauses Zeit, die junge Dame zu beobachten, die auf der anderen Seite der Straße, den Kopf zu Boden gerichtet, mit zusammengepreßten Lippen wartend auf und nieder schritt. Dann kam Georg zurück.

Sie eilte ihm entgegen. »Wie ist's!« rief sie bang.

»Gott!« sprach Georg, leichtsinnig und verwegen lächelnd . . .». . .  ich sag' dir ja: mit dem alten Herrn kann man reden. Anfangs ließ er mich ziemlich lange warten und empfing mich mit hochgezogenen Augenbrauen . . . weißt du . . . so eine stumme Frage: ›Wirklich schon auf, Herr Textor? . . . Am zehn Uhr morgens? Und was wünschen Sie wieder von mir?‹ Na . . . ich ließ mich nun nicht verblüffen . . .«

». . . das glaub' ich!« seufzte Thea.

». . . sondern erzählte ihm so zur Einleitung einiges, wie mir's die Woche über gegangen und so weiter. Da auf einmal unterbricht er mich . . . du . . . und weißt du, was der unverschämte alte Herr mir da sagt: ›;Sie machen heute einen bedeutend günstigeren Eindruck auf mich, Herr Textor, als vor acht Tagen« . . .

». . . ja . . . auf mich auch!« meinte Thea.

». . . damals«, fährt er fort . . . ». . . sahen Sie – entschuldigen Sie meine Offenheit – einem etwas deprimierten Windhund ähnlicher als einem ernsthaften Menschen, heute bemerke ich an Ihnen mit Vergnügen Energie und Arbeitslust! Woher kommt das?« . . . na . . . und da« . . . der kleine Sportsman machte ein tiefsinniges Gesicht . . . »da dacht' ich bei mir: »Offen muß der Mensch gegen seine Wohltäter sein!« und sagte: »Herr Geheimrat . . . das kommt von der Liebe! . . . die hat einen andern Menschen aus mir gemacht und wird mich hoffentlich in Zukunft noch mehr bessern!«

». . . und da hast du ihm alles erzählt . . . das zwischen uns? fragte Thea entsetzt . . . ». . . Dann muß er ja ganz böse geworden sein!«

»Nee . . . gar nicht!« Georg lachte vergnügt . . . Eine Weile überlegte er, und dann meinte er: ». . . an sich ist Ihr Heiratsprojekt natürlich ein Unsinn, Herr Textor! Aber ich bilde mir andererseits ein, ein bißchen Menschenkenntnis zu besitzen, und die sagt mir in diesem Fall das Gegenteil. Es steckt noch ein tüchtiger Kern in Ihnen, und daß der sich entwickelt, das mögen gerade Sie am ersten erreichen, wenn Sie ernst und wirklich lieben. Denn das ist das beste, was einem Mann geschehen kann, und holt das Beste aus ihm heraus. Ich hab' es selbst an mir erfahren!« . . .

»Gott sei Dank!« flüsterte Thea.

Ihr Freund klopfte sich vergnügt auf die Brusttasche. »Die Billette krieg' ich erst heute abend! Aber hier hab' ich Briefe . . . Empfehlungsbriefe an Yankees, die im wilden Westen Eisenbahnen bauen und große Territorien besitzen. »Ich habe meinen Geschäftsfreunden geschrieben«, sagte der komische, alte Herr zu mir, »daß Sie ein Mensch sind, den man zwischen vier Wänden rein zu gar nichts gebrauchen kann, sondern unter freiem Himmel und zu Pferde. Dort gibt es derlei Beschäftigungen, wo der Kulturmensch mit der Wildnis kämpft und mit Zähigkeit und frischem Mut weiter kommt als mit allem Stubenwissen . . . und wo ein Mann auch ohne Anfangskapital zu Wohlstand kommen kann . . .« . . . na . . . ich seh' uns schon als Millionenprotzen auf unsere alten Tage nach Deutschland zurückkehren . . .« schloß Georg hoffnungsvoll . . . ». . . denn das tun wir natürlich und bis dahin werden sie wohl dem armen, seligen Textor seine Sünden verziehen haben! Aber vorläufig heißt's: »go on!« In fünf Tagen schiffen wir uns in Hamburg ein!«

»In fünf Tagen?«

Er verstand ihren Blick. »Thea!« sprach er . . . ». . . ich muß es wiederholen: du bist heute nicht so klug wie sonst! Sonst wüßtest du, daß wir beide unsere Legitimationspapiere mit uns führen, und daß, wenn wir damit nach Hamburg kommen, recht oft ein komfortabler Dampfer nach Amerika fährt. Wenn wir aber an England vorbeifahren wollen – Du, dann machen wir erst eine kleine Tour nach London und nach – Gretna Green. Wer da eintrifft, wird auf Wunsch schon am nächsten Tage getraut. Das tun wir – und fahren dann mit dem nächsten Schiff glückselig weiter in die neue Heimat. Was meinst du, Thea: werden wir glücklich sein?«

»Ja«, sagte Thea.

»Das glaub' ich auch!« sprach der kleine Sportsman erfreut . . . »und ich werde arbeiten wie ein Neger da drüben für dich und mich. Ein bißchen wüst wird's ja zu Anfang sein in dem wilden Westen. Einerlei. Ich scheue mich jetzt vor nichts!«

Er war tief ernst geworden.

». . . und was etwa auch drüben roh häßlich sein wird in meinem Beruf und unserm Dasein, das, Thea, muß die Liebe adeln! . . . die Liebe fürs Leben!«

»Denn ein langes Leben liegt noch vor uns.«

». . . Und wenn es köstlich wird, so wird es Müh' und Arbeit sein! . . .«

 

Ende!

 


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