Rudolph Stratz
Arme Thea!
Rudolph Stratz

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XIII.

Es klirrte langsam die steile Treppe des Hauses in der Mauerstraße empor . . . es stieg ins erste Stockwerk, von da ins zweite und kam unschlüssig, wie suchend, wieder auf den unteren Stiegenabsatz zurück.

Undeutlich hörte das Georg in seinen Träumen. Er war, auf dem Stuhle sitzend, eingeschlafen. Sein Kopf ruhte auf der Kante des Tisches. Das ausgebrannte Licht stand davor. Er hätte seiner auch nicht mehr bedurft. Denn längst war es draußen heller Tag, und drang das ferne Brausen der Weltstadt in das Zimmer.

Was dies Klirren nur bedeuten mochte? . . . Es vermengte sich mit den bunten Bildern seines Schlummers . . . War denn der polakische Bursche verrückt, daß er in aller Gottesfrühe seinen Säbel umschnallte, wenn er in den Stall zum Futtern ging? Donnerwetter ja . . . und Hertha lahmte ja gestern abend! Der kleine Groom, der im Stalle schlief, hatte es ihm gemeldet! . . . Wen sollt' er da heute beim Felddienst reiten? Vielleicht »Comteß?« . . . der Steepler ging schlecht vor dem Zug . . . er machte da Sprünge wie ein Geißbock . . . na gerade . . . das war amüsant! . . . Aber Zeit war's zum Felddienst . . . zum Donnerwetter . . . wo blieb denn der Bursche, der Himmelhund, mit Stiefeln und Attila? . . .

Er fuhr auf und sah verstört in der Redaktion des »Paprika« herum.

Wie kam er denn hierher? Ach so . . . richtig . . . mit einem Schlag stand ihm plötzlich wieder alles im Kopfe da. Und doch empfand er, während er sich gähnend die Augen rieb, immer noch einen leisen Zweifel, was denn nun eigentlich die Wirklichkeit sei – das, was da um ihn war . . . oder die Erinnerung an die Vergangenheit . . .

Ach nein. Die war versunken, die war für ihn ein Märchenland geworden, das er nur noch nachts im Traume sah. Aber da . . . er schaute erstaunt auf . . . da an der Tür stand ja noch eine Gestalt aus dem verschwundenen Reich der Waffen, die hochgewachsene Gestalt eines Infanterie-Offiziers.

Es war schon ein älterer Herr, ein Major oder so etwas, mit ernstem, gefurchtem Gesicht. Zu dem keck aufgedrehten Schnurrbart wollte das an den Schläfen leichtergraute Haar, zu der strammen Haltung der müde Ausdruck der Augen nicht recht passen. Einer von denen, die, den Schatten des blauen Briefs über dem Haupte, sich mit Gewalt jung zu geben suchen, um nicht der »Verjüngung« zum Opfer zu fallen. Solcher waren viele in der Armee! Georg kannte sie wohl.

Der Fremde sah sich im Zimmer um und wiegte ein paarmal bedächtig den verwetterten Kopf, als wolle er sagen: »Also so schaut's hier aus! Na, das dacht' ich mir!« Dann machte er eine leichte Verbeugung gegen den sich erhebenden Sportsman. »Bin ich hier recht bei dem Herrn Baron Hoffäcker? . . . Ja? . . . Dann kann ich ihn wohl sprechen?«

»Nein!« erwiderte der kleine Herrenreiter, noch ganz vom Schlafe verwirrt . . . ». . . das können Sie nicht mehr!«

»Warum nicht?«

»Ja . . . weil er tot ist. Gestern mittag hat ihn der Schlag gerührt!«

»Der Schlag ge . . .« Der andere trat betroffen zurück. Ein seltsamer Ausdruck spielte über seine hartgeschnittenen Züge . . . Wie Zorn sah es aus . . . und wie Befriedigung zugleich! . . . Also tot! . . . Der alte Industrieritter tot, der zum zähneknirschenden Ingrimm seiner Geschlechtsverwandten das uralte Wappenschild der Freiherren von Hoffäcker mit unauslöschlicher Schmach bedeckt hatte! Aber fast sofort gewann die Selbstbeherrschung des preußischen Offiziers wieder die Oberhand.

»Ich bin sein Vetter . . .« sagte er langsam . . . »Major von Hoffäcker . . .«

»Textor!« Georg verbeugte sich.

»Sehr angenehm! Sie waren mit dem . . . Verstorbenen bekannt?«

»Ich war in letzter Zeit hier mit ihm zusammen geschäftlich tätig . . .«

»So?« In der trockenen Stimme des Majors lag durchaus keine besondere Hochachtung über diese Nachricht . . . »dann kennen Sie also das Vorleben meines Vetters . . . und werden es begreiflich finden, daß ich mir eine gewisse Zurückhaltung in der Trauer um einen Mann auferlege, durch den ich meinen Namen in allen Zeitungen in Verbindung mit Wechselfälschung und Gefängnis las!«

»O gewiß, Herr Major?«

»Und wo befindet sich die Leiche?«

»In dem großen Krankenhaus in der Lützowstraße!«

»Danke! . . . Hat er – ich frage der Ordnung wegen – etwas hinterlassen?«

»Schulden!«

Das wunderte den Major offenbar nicht sehr. »Ich werde einen Rechtsanwalt mit der Prüfung und Bezahlung dieser Schulden betrauen . . .« sagte er . . . »und selbstverständlich auch alle weiteren Kosten tragen . . .«

»Ich wüßte auch kaum, wer es sonst tun sollte!« Georg schaute melancholisch in dem öden Gemach umher . . . »meine Finanzen sind äußerst schwach . . . und hier, in den Räumen des alten Herrn blieb der Gerichtsvollzieher schon beinahe über Nacht . . .«

»Und nun sagen Sie . . .« Der andere trat auf ihn zu und dämpfte mühsam die Erregung seiner Stimme . . . »wo ist seine Tochter? Ihretwegen reiste ich her . . .«

»Da nebenan!«

»Was . . . hier . . . in der Wohnung?« Ein mißtrauischer Blick glitt an Georgs stutzerhaft gekleideter Gestalt hernieder.

»Ja. Aber sie schläft noch. Und ich find . . . es ist grausam, sie früher zu wecken, als es unbedingt nötig ist!«

Der Major überlegte einen Augenblick. »Sie haben recht, Herr Dr. Textor!« sagte er dann kurz . . . »ich werde jetzt gehen und vorerst das andere alles erledigen . . .«

»Sehr wohl!« Georg öffnete ihm die Tür . . . »aber Doktor bin ich nicht!«

»O . . . pardon! . . . ich dachte . . . ein Redakteur . . .«

»Ich bin auch kein Redakteur,« sagte der Sportsman kaltblütig, »sondern ein vor wenigen Tagen mit schlichtem Abschied entlassener Husarenleutnant!«

»Oh . . .« Ein Zug des Widerwillens erschien auf dem Gesicht des stehenbleibenden Majors. »Eine nette Gesellschaft«, konnte man da deutlich lesen. Aber er bezwang sich. »Also auf Wiedersehen, Herr Textor!« sprach er mit gleichbleibender Höflichkeit, legte zwei Finger an die Mütze und stieg die Treppe hinab.

* * *

Und wenn er wiederkam?

Eine furchtbare Angst erfaßte Georg, als er allein war. Wenn jener wiederkam, dann nahm er Thea mit sich. Das war ja ganz klar. Das war ja seine Pflicht.

Oder er versuchte es wenigstens, sie mitzunehmen. Und dieser straffe Feldsoldat machte durchaus nicht den Eindruck, als würde er es an der nötigen Energie fehlen lassen.

Andererseits . . . er, Georg Textor, hatte kein Recht, sie zu beeinflussen! Er durfte nicht verlangen, daß sie ihr Leben an das Schicksal eines Mannes knüpfen sollte, der ihr vorläufig noch nichts als ein leeres Portemonnaie und einen ehrlosen Namen bot!

Wenn sie es doch tat, so mußte das eben ihr eigener, ihr ganz freier Entschluß sein.

Und wenn sie es nicht tat . . . wenn sie den gewiß sehr verständigen, gewiß sehr eindringlichen Vorstellungen des Majors folgte . . .?

Es wurde Georg Textor immer schwerer ums Herz. Er wußte nur zu gut: dann war es aus mit ihm! dann riß sein Anker im Leben! Gott mochte dann wissen, wohin er trieb, wo er zerschellte.

Er lief ruhelos durchs Zimmer, eine Stunde und eine zweite. Fast ohne zu wissen, was er tat, machte er, so gut es ging, etwas Toilette und schluckte den dünnen Kaffee, den ihm die Schustersfrau brachte.

Und dann schritt er wieder hin und her, den hageren Kopf zu Boden gesenkt, die Hände in den Taschen, und wartete, bis wieder das gespenstige Säbelklirren auf der Treppe ertönen und die Stunde der Entscheidung kommen würde . . .

* * *

Da klopfte es endlich, und der Major trat ein. Georg bot ihm schweigend einen Stuhl. Der Anblick des alten Offiziers war ihm eine Erlösung, so sehr er den Mann haßte, der ihm sein Liebstes, sein Einziges auf Erden wegnehmen, wollte. Denn nun mußte doch wenigstens dieser marternde Zweifel ein Ende finden.

»Ich habe alles besorgt . . .« sagte sein Feind aus Posen . . . »bitte, sich also finanziell in keiner Weise zu bemühen, Herr Textor. Oder haben Sie etwa gar Ihrerseits noch Forderungen? Nein? Danke sehr! Die Beisetzung findet schon heute abend statt. Um meiner Nichte willen werde ich ihr beiwohnen und gleich darauf mit ihr abreisen. Und jetzt . . .« . . . sein Blick ging suchend durch die Wohnung . . . »würde ich sie allerdings gerne bald sprechen!«

Da öffnete sich drüben leise eine Türe.

»Bist du da, Georg?« tönte es, sanft und etwas angstvoll über den Flur.

»Jawohl, Thea!« Seine Stimme klang stark und er sah dabei dem Major gelassen ins Gesicht, das sich langsam in finsterem Zorne rötete.

Jetzt schien ihm manches klar zu werden. Aber er schwieg. Die beiden Männer maßen sich mit stummen, feindseligen Blicken, bis Thea eintrat und beim Anblick ihres Onkels erschrocken stehenblieb.

Sie hatte sich verändert in dieser Nacht . . . war Georgs erster Gedanke. Die lachende Kindlichkeit war aus ihren Zügen geschwunden. Der Schmerz hatte sie zum Weibe gemacht. Sie war ernster, gereifter und eben darum um vieles schöner, wie sie so blaß und hochaufgerichtet an der Türe stand.

Der Major trat auf sie zu und faßte ihre Hände.

»Wir wollen nicht von der Vergangenheit sprechen, Thea!« sagte er ernst . . . ». . . auch in Zukunft sollst du bei uns in Posen nie mehr ein Wort darüber hören. Denn du hast schwer genug für alles gebüßt. Das einzige, was ich verlange und erwarte, das ist, daß du noch heute mit mir in deine Heimat zurückfährst! . . . nicht wahr, Thea?«

Sie schaute zu ihm auf und schüttelte den Kopf, daß die dunklen Locken flogen. »Nein, lieber Onkel! Das kann ich nicht!«

»Und warum nicht?« Er suchte unwillkürlich mit den Augen Georg, der reglos am Tische lehnte.

Sie folgte seinem Blicke. »Du hast doch gehört, daß ich zu ihm »du« gesagt hab'!«

»Ja . . . und das . . . das soll etwa heißen . . .«

»Das soll heißen, daß wir beide . . . er und ich . . . beisammen bleiben und Mann und Frau werden! Das haben wir gestern ausgemacht!«

»Und wovon werdet ihr leben . . . als Mann und Frau?«

»Das wissen wir noch nicht!«

»Und wenn ihr nichts zu leben findet?«

»Dann werden wir eben hungern!« sagte Thea gleichmütig.

»Das hält man nicht so lange aus, als du glaubst . . .«

»Dann verhungern wir eben! Aber beisammen bleiben wir . . .«

Der Major griff sich verstört an die Stirne. »Du bist von Sinnen, Thea!«

»Dann sterben wir eben! . . . Eines mit dem andern . . .« Thea sah ihm ruhig ins Gesicht . . . ». . . begreifst du's denn nicht, Onkel? ob wir leben oder sterben, sind wir beide eins und tragen alles zusammen, was da kommt! Und was man zusammen trägt, das wird schon nicht so schrecklich sein . . .«

Der Major wandte sich an Georg.

»Haben Sie denn gar kein Gefühl der Verantwortung mehr im Leibe, Herr Textor?«

»O doch!« sagte der kleine Sportsman . . . ». . . Eben jetzt fang' ich, zum erstenmal in meinem Leben, an, dies Gefühl zu bekommen und befinde mich sehr wohl dabei!«

»Dann müßten Sie doch erkennen, daß es Ihre Pflicht ist, ein Mädchen freizugeben, für das Sie in keiner Weise . . .«

»Nein!« sprach Georg ehrlich . . . ». . . das können Sie nicht verlangen! Sehen Sie: jetzt bin ich ein halbverlorener Mensch. Von Thea hängt es ab, ob ich ganz zugrunde gehen oder was Rechtes werden soll. Das werd' ich nämlich, wenn sie bei mir bleibt! darauf dürfen Sie sich verlassen!«

Der andere warf ihm einen grimmigen Blick zu. »Sie scheinen meine Nichte in den paar Tagen verhext zu haben,« sagte er finster, . . . »daß sie einen Mann wie Sie . . .« Er brach ab und wandte sich zu Thea. ». . . Bedenke, Thea . . .« sprach er leise und eindringlich . . . ». . . wer außer uns noch in der Heimat auf dich wartet!«

»Grüße den Hauptmann Klein recht herzlich von mir!« sagte Thea . . . ». . . er ist ein guter Mensch . . . und sag' ihm: Es wäre recht so! denn ich hätte doch nie für ihn getaugt und für euch alle nicht und eure Verhältnisse nicht. Ich bin nun einmal eine Zigeunerin und es treibt mich hinaus in die weite Welt . . . und da hab' ich meinen guten Kameraden zur Seite, der mit mir geht und mich beschützt . . .«

». . . und wenn du dich wunderst, daß das zwischen uns beiden so rasch gekommen ist, und meinst, es wäre Hexerei . . . lieber Onkel . . . du lebst doch soviel länger als ich auf der Welt und hast gewiß schon lange erkannt, was ich erst in diesen Tagen eingesehen hab' . . . daß das Schicksal ja so unendlich viel stärker und mächtiger ist als die Menschen! Das spielt mit uns und trennt uns, ob wir wollen oder nicht, und führt die zusammen, die zueinander gehören. So hat es uns beide zusammengebracht, den da und mich, und uns aneinander geschlossen mit eisernen Klammem, daß wir nicht voneinander lassen können im Leben und im Tod! Das ist alles und ist ganz einfach! So . . . und nun erzähle das den Leuten in Posen und fahre eben in Gottes Namen ohne mich dorthin zurück. Es geht nun einmal nicht anders . . .!«

»Das wollen wir erst mal sehen!« sagte der Major, nahm seine Mütze und schritt ohne Abschied hinaus.

* * *

Aber der Rechtsanwalt, den er zum zweitenmal aufsuchte, konnte ihm nicht helfen.

»Die Dame ist, wie Sie berichten, beinahe 22 Jahre . . .« sagte er achselzuckend . . . ». . . also großjährig . . . sie war als Gast in Ihrem Hause . . . es liegt also kein Vertrag über Leistungen vor, der sie zur Rückkehr verpflichtet . . . die Eltern sind tot . . . es fällt also die Formalität des ehrerbietigen Ansuchens fort . . . ja . . . juristisch ist da gar nichts zu machen!«

Der Major kehrte in sein Hotel zurück und rüstete sich zur Abreise. Jetzt dem Begräbnis beizuwohnen, daran dachte er nicht. Es war nicht recht, einen Verstorbenen zu hassen – er wußte es – und er haßte ihn doch mit der ganzen Empörung des Edelmanns und Offiziers, der eine Zeit lang Tag für Tag in den sozialdemokratischen, ihm anonym zugesandten Blättern unter der Spitzmarke: »Wieder ein Edelster der Nation!« oder »Etwas vom Rückgrat des Staates« den Namen seines Vetters, des Wechselfälschers Freiherrn von Hoffäcker, gelesen hatte.

Aber erst am späten Nachmittag ging der nächste Zug nach dem Osten und eine Stunde vorher faßte ihn der Zweifel.

Wenn er es noch einmal versuchte?

Er nahm eine Droschke und fuhr in die Mauerstraße. Dort war Thea vor kurzem von der Kapelle des Krankenhauses zurückgekehrt und hatte den eilig beschafften Traueranzug angelegt. Nun hatte sie den neuerstandenen dunklen Filzhut ihres Freundes auf dem Knie und nähte einen Streifen schwarzen Krepp darum.

Beim Anblick des Majors lächelte sie traurig. Sie wußte, was für eine Ueberwindung dem strengen, alten Soldaten diese abermalige, letzte Bitte bedeutete.

In der Tür stehen bleibend, sah er sie stumm an. Und sie hielt seinen Blick ruhig aus und schüttelte stumm den Kopf.

Da ging er.

Georg zog ihre Hand an seine Lippen und preßte einen langen, inbrünstigen Kuß darauf. Dann sah er nach der Uhr.

»Es ist Zeit,« sprach er leise, . . . »wir müssen uns fertig machen!«

Er griff nach seinem Hut und half ihr, die krampfhaft zu beben begann, den langen, rückwärts niederwallenden Trauerschleier anzulegen.

Dann stiegen sie Hand in Hand die Treppe hinab, um dem alten Herrn die letzte Ehre zu erweisen.



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