Rudolph Stratz
Arme Thea!
Rudolph Stratz

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IX.

»Na . . . nun können wir also anfangen . . .« sagte Georg, spitzte einen Bleistift und warf über den großen Redaktionstisch herüber einen zweifelnden Blick auf den Freiherrn, der, würdevoll in einen alten Schlafrock gewickelt, den Fez schief auf dem Kopf, ausgetretene Pantoffeln an den Füßen, in dem Lehnstuhl thronte.

Eine verrückte Situation – das hatte sich der kleine Sportsman schon gedacht, während er zeitig sein Frühstück im Hotel einnahm. Es kam ihm ganz komisch vor, daß er in diesem vornehmen, teppichbelegten und spiegelglänzenden Raum sich dazu stärken sollte, das Witzblatt »Paprika« herauszugeben!

Eigentlich mußte man doch dazu Journalist sein! Er begriff das nicht.

Schon dreimal hatte er, da der alte Herr beharrlich schwieg und verdrießlich in seiner Kaffeetasse rührte, den tiefsinnigen Satz: »Es herrschte gestern trübes Wetter in Karlshorst und war der Besuch daher mäßig« niedergeschrieben und kam sich dabei ziemlich töricht vor.

Endlich schien sich Herr von Hoffäcker zu ermannen. Er blies eine Rauchwolke in die Luft und stieß einen schweren Seufzer aus.

»Ja . . . da sitzen wir nun, mein lieber Textor . . .« sprach er wehmütig . . . ». . . zwei arme Strohmänner! . . . Strohmänner . . .« wiederholte er nach einer Pause und qualmte immer heftiger.

»Wieso Strohmänner?« fragte Georg verblüfft.

Der Alte kam nicht dazu, ihm zu antworten. Es klopfte, und ein halbwüchsiger Junge trat ein.

». . . 'n scheenen Gruß ooch von meiner Tante!« sagte er.

Der Freiherr sah ihn zerstreut an. »Wer ist denn deine Tante?« Dabei machte er schon eine Bewegung in die Westentasche, um ihm ein Totalisator-Ticket auszuhändigen.

Der Bengel lachte verschmitzt.

»Na . . . die Frau Dubberke, wat doch bisher Ihre Haushälterin war. Nu is sie doch jestern, weil sie von ihrem Mann nischt wissen will, zu uns jezogen, . . . Schneidermeister Pfeiffer in der Kanonierstraße.«

»Schön!« entschied der alte Herr . . . ». . . Gruß! Sie soll nur dort bis auf weiteres bleiben!«

Der Junge widersprach. »Det paßt ihr nich . . . läßt sie Ihnen sagen . . . weil sie doch ihre eigene Wirtschaft bei Ihnen hätt' . . . und das hätt' sie nicht um Ihnen verdient, läßt sie Ihnen sagen . . .«

»Das soll sie mir schreiben!« brummte der Freiherr, immer verlegener werdend . . . ». . . statt daß sie mir da 'nen jungen Menschen auf den Hals schickt . . .«

»Sie meint: Wenn sie schreibt, kriegt sie keine Antwort! Und Antwort will sie haben . . . heute vormittag noch. Ihr wär's jleich . . . läßt sie sagen . . . sie risse sich nich mehr drum, noch länger bei Ihnen Hungerpoten zu saugen, wenn man ihr so kommt . . . Und sie könne auf der Stelle zu 'nem Doktor in der Brunnenstraße, der nich plötzlich Töchters . . . oder sonst was . . . zu Besuch bekäme . . .«

»Genug jetzt!« fuhr der alte Herr auf. Aber sofort mäßigte er wieder wie erschrocken seine Stimme.

»Gehe nur, mein, Sohn«, sprach er väterlich . . . ». . . und sage, ich käme selbst im Laufe des Vormittags zu ihr 'ran, und sie solle doch ja bis dahin nichts weiter unternehmen . . . sondern ruhig abwarten . . .«

». . . Sagen will ich's . . .« meinte der Bengel . . . ». . . aber ob sie's tut! . . .«

Damit schob er sich zur Tür hinaus, und eine unbehagliche Stille trat ein. Nur aus der Küche hörte man über den Flur das leise Klappern und Stühlerücken, mit dem Thea, halblaut ein Lied trällernd, herumhantierte.

Ihr Vater warf einen scharfen Blick nach dieser Richtung, räusperte sich und knipste, hilflos das graue Haupt hin und her wiegend, die Spitze einer neuen Import-Zigarre ab. »Die hab' ich gestern geschenkt bekommen,« murmelte er, auf das Bündel weisend . . . ». . . ich muß sie aufrauchen, ehe der Bandit mit den blauen Siegeln wiederkommt . . .«

Georg ging darauf nicht ein.

»Sie sagten vorhin: Strohmänner . . .« Er schaute den Alten forschend an . . . ». . . wieso sollen wir Strohmänner sein . . .?«

»Ich bin's . . .« seufzte der andere . . . »wozu wollen wir uns denn hier 'ne Komödie vorspielen?  . . . ich sitze eben da und schreibe meinen Namen . . . meinen schönen, alten Namen unter das Schandblatt! . . . na . . . und Sie . . . Gott . . . es ist ja möglich, daß Sie bei irgend 'nem Theatermädchen oder Winkelbuchmacher mal irgend 'ne Kleinigkeit erfahren, aber die Hauptsache ist: Wir brauchen hier in der Redaktion einen rüstigen, verwegenen Kerl . . . einen jungen Menschen, der zur Not kunstgerecht boxen kann. Denn das hab' ich dem Heinlein gleich gesagt: »Ich bin ein alter Mann! Ich bin hilflos, wenn uns die Leute mit Reitpeitschen und Bullenbeißern oder gar mit Revolvern auf die Bude rücken«

Georg Textor ließ den Bleistift sinken und starrte den anderen mit offenem Munde an.

». . . und sie werden kommen . . .,« fuhr der bekümmert fort . . . ». . . sie müssen kommen, wenn die nächste Nummer heraus ist. Bisher sind doch nur die drei ersten Nummern erschienen. Die waren harmlos. Die hab' ich gemacht . . . so aus alten französischen Zeitungen . . . wissen Sie . . . aber jetzt kommt zum erstenmal der Briefkasten . . .«

»Der Briefkasten?«

Herr von Hoffäcker seufzte und reichte ihm ein mit flüchtigen Zügen bekritzeltes Blatt Papier.

»Solche Wische schickt mir der Halunke jeden Tag . . .« sagte er kläglich . . . ». . . schreiben Sie's nachher ab, daß ich es verbrennen kann. Das muß ich immer noch am selben Tag tun.«

»Und das gibt den Briefkasten?«

»Der Briefkasten wird diesmal ungeheuer groß! Es sind schon mindestens dreißig Antworten der Redaktion darin . . . an erdichtete Leser natürlich. Ein großer Teil davon mag ganz unverfänglich sein. Aber dazwischen stecken die gefährlichen . . . die Fußangeln . . . wissen Sie . . . ich kann sie selbst nicht von den andern unterscheiden . . . so geschickt sind sie abgefaßt . . . nur dem verständlich, um den es sich handelt . . . und daß es sich wohl um einen zahlungsfähigen Menschen handelt, das denke ich mir so! Ich weiß es nicht. Das geht alles hinter meinem Rücken vor. Ich kann nichts tun, als die Wische drucken lassen und mit meinem Namen decken . . . mit dem Namen Hoffäcker, und ein Hoffäcker hat einst unter Barbarossas Augen zwei Sarazenen mit einem Hieb gefällt . . .«

»Und von wem kommen die Wische?«

Der alte Herr neigte trübe das Haupt: »Ich weiß es nicht. Sie kommen mit der Post, und ich erkenne sie an der Schrift, die übrigens auch, wie Sie sehen, raffiniert verstellt ist. Diese Schrift wandert dann sofort in den Ofen – darauf habe ich mein Ehrenwort gegeben . . . und sehen Sie, wie die Menschen sind . . . Heinlein, der Halunke, der mich ins Unglück gestürzt hat, glaubt doch noch an mein Ehrenwort! . . .«

»Also schreibt der die Zettel?«

Herr von Hoffäcker sah sich um. »Ich glaube nicht,« flüsterte er geheimnisvoll . . . ». . . wenn ich meinem Gefühl folgen darf, ist es ein gewisser Grunäus!«

Grunäus! Georg sah den großen, wohlbeleibten Mann vor sich, mit dem bärtigen Faungesicht und dem bösen Lächeln um die wulstigen Lippen.

»Schließlich bleibt sich's ja auch gleich!« fuhr der alte Herr fort . . . ». . . gibt es ein Unglück, so hält sich die Polizei nur an uns. Die Ausrede, wir hätten die Notizen anonym zugeschickt bekommen und verbrannt, können wir nicht beweisen. Grunäus erklärt, er wisse überhaupt nichts von der Existenz des »Paprika«, Heinlein kann den Beweis antreten, daß er sich um das Blatt gar nicht kümmert, sondern mir nur aus Gutmütigkeit, weil ich durch ihn verkracht bin, ein paar hundert Mark gegeben hat, um mir eine Existenz zu gründen – und daß er in gleicher Absicht Sie hier angestellt hat. Und wer nun gar bei den Opfern das Geld einkassiert – natürlich ohne das Blatt auch nur zu erwähnen . . . Er kommt rein zufällig am selben Morgen, wo die Nummer dem Betreffenden unter Streifband zugegangen ist, und bittet um eine Unterstützung . . . als verarmter Edelmann oder dergleichen . . . ja . . . wer das besorgt, das weiß ich nun gar nicht. Jedenfalls einer, den sie auch an der Strippe haben . . . der Herr von Lenski oder so wer. Faßt man den, so tut er sehr verwundert: »Gibt es wirklich ein solches Blatt in Berlin? Das ist ja schändlich!«

Also ein richtiges Revolverblatt! Georg saß ganz starr da.

»Ich habe solche Angst vor der nächsten Nummer!« klagte der greise Freiherr weiter . . . ». . . Es sind ja nur dunkle Andeutungen . . . aber natürlich . . . wenn die Leute nicht reagieren, wird es von Woche zu Woche ärger werden. Und wir fallen dabei schließlich ganz gewiß herein . . .«

»Das wäre ja wirklich reizend!« murmelte Georg verstört und wickelte sich eine Zigarette.

»Vorderhand müssen wir's abwarten . . .« Herr von Hoffäcker seufzte schwer auf . . . ». . . was tut man nicht alles, um nicht Hungers zu sterben! Und jetzt, wo das Kind da ist . . . also schreiben Sie jetzt mal da die Notiz über den ›Zentralbauverein‹ und die da . . . über den Vorfall in der Querallee des Tiergartens ab . . . und ich übersetze da was aus dem »Gil-Blas Illustré« . . . 's ist ja ganz gleich, was außer dem ›Briefkasten‹ in das Blatt kommt, wenn es eben nur ganz gehörig gepfeffert ist . . .«

»Guten Morgen!« ertönte eine helle Stimme.

Thea trat ins Zimmer und drückte Georg wie einem guten Freund fest die Hand. Sie sah frisch und munter aus. Die vorgebundene weiße Schürze und die etwas aufgestreiften Aermel kleideten sie vorzüglich.

»Ich hab' die Frau Kautz fast gar nicht gebraucht, Papa!« sagte sie und schüttelte fröhlich die Locken . . . ». . . selbst ist der Mann und das Mädchen! . . . Die Zimmer sind besorgt . . . die Küche in Ordnung, in der Maschine brennt das Feuer . . . und ich kann dir nur sagen, daß es fabelhaft amüsant ist, so herumzuwirtschaften!«

»Ja . . . tue das!« Der alte Herr war sehr verlegen . . . »Wirtschafte du nur zu!«

Sie lachte hell auf, schlüpfte über den Flur und kehrte mit einem Rohrstuhl in der Hand zurück.

»Ich bin ja fertig!« rief sie und schob den Stuhl an den großen Tisch heran . . . ». . . jetzt geht es hier los!«

»Ja . . . was denn, Thea . . . um Gottes willen?«

»Ich werde doch nicht müßig sitzen, wenn ihr hier arbeitet!« sagte sie erstaunt . . . ». . . die Hände in den Schoß legen . . . das fehlte noch! . . . »Jetzt wird für den Heinlein geschuftet!« . . . hat Herr Textor gestern selbst gesagt . . . und ich helfe mit!«

Dabei sah sie triumphierend auf die beiden Männer, die ganz verdutzt dasaßen.

»Ich helfe mit an der Zeitung!« wiederholte sie und klatschte ungeduldig in die Hände . . . ». . . rasch . . . gebt mir was zu tun!«

Ihr Vater wandte den greisen Kopf zur Seite: »Davon verstehst du ja nichts, mein gutes Kind . . . das sind Dinge, die . . .«

»Oh, Papa!« unterbrach sie ihn empört . . . ». . . nützlich machen kann ich mich ganz gewiß . . . da . . . zum Beispiel . . .« sie wandte sich an Textor . . . ». . . so gut wie Sie kann ich das doch auch abschreiben! Das ist doch wahrlich keine Kunst . . .«

Und ihm den Zettel aus der Hand nehmend, las sie halblaut: »Herrn Doktor Sch., Charlottenburg. Sie fragen nach Hypothekenschiebungen des Zentralbauvereins, die in letzter Zeit im Grundstückverkehr viel von sich reden machten? Es gibt keine Baugesellschaft obigen Namens in Berlin. Sollten Ihre so präzisen und eingehenden Angaben auf eine andere Gesellschaft ähnlichen Namens passen, so würden wir es selbstverständlich für unsere Pflicht erachten, der unsauberen Angelegenheit näher zu treten. Besten Gruß . . .«

Thea setzte sich und rüstete sich eifrig zum Abschreiben, als ihr Freund die Hand auf das Papier legte und es leise wegzog. »Lassen Sie das!« murmelte er verstört . . . ». . . das ist eine Sache . . . das wird nicht so einfach abgeschrieben. Es kommen noch einige Zusätze hinzu . . . ein paar geschäftliche Bemerkungen, die Sie nicht abfassen können! . . .«

»So?« Thea wandte sich zu ihrem Vater. »Und du, Papa? . . . ich glaube gar, du übersetzt aus dem Französischen! . . . Na . . . weißt du . . . das kann ich auch . . . vielleicht sogar besser . . . das hat man mir wahrhaftig im Pensionat eingedrillt, wo wir eine Woche um die andere überhaupt nur französisch schwatzen durften . . . also gib nur her . . . das mach' ich dir fein!«

Sie streckte den Arm aus, um die Zeitung zu nehmen, die der alte Herr hastig zusammenballte und in den Papierkorb warf.

»Das ist nichts für dich, Thea!« Er beugte sich mit rotem Kopf über den Rand des Papierkorbs . . . ». . . das darfst du nicht lesen!«

Sie machte große Augen: »Ihr macht eine Zeitung, die ich nicht lesen darf?«

»Nein . . . Thea . . . das ist nichts für junge Mädchen!«

Sie schwieg eine Weile.

»Und so etwas schreibst du?« fragte sie dann ernst. »Und Sie, Herr Textor?«

Georg senkte stumm den Blick auf den Tisch. Der alte Herr aber bemühte sich, eine möglichst unbefangene und gewichtige Miene aufzusetzen.

»Es gibt eine Menge an sich ganz achtbare und einwandfreie Dinge, mein Kind . . .« sprach er . . . »die aber nur für gereifte Menschen und nicht für halbe Kinder wie du bestimmt sind!«

»Und dazu gehört auch das Blatt ›Paprika‹?« forschte Thea.

Ihr Vater nickte. Etwas zu antworten wagte er nicht, und ebensowenig, sein Gegenüber anzusehen.

»Nun . . .« . . . Thea lehnte sich resigniert in den Stuhl zurück . . . ». . . dann seh' ich euch eben zu! Daß ich allein da drüben sitz' und auf den häßlichen Hof hinausschaue, das könnt ihr nicht verlangen. Ich werde ganz still sein und euch gar nicht stören!«

». . . Aber so fangt doch an!« ermunterte sie nach einer ungeduldigen Pause wieder. »Ihr tut ja gerade, als ob ihr euch vor mir geniert! . . . Was wird denn Herr Heinlein sagen, wenn er mittags kommt und sieht, daß ihr gar nichts vor euch gebracht habt?«

Der alte Herr seufzte tief auf, beugte sich über das Pariser Kokottenblatt, das er wieder aus dem Korbe geholt, und begann in großen, zitterigen Zügen, lautlos die Lippen bewegend, zu schreiben.

Auch Georg griff nach dem Bleistift. Aber er hielt ihn finster und reglos in der Hand, und die Notiz an den Doktor Sch. in Charlottenburg gedieh nicht weiter.

Derlei zu schreiben, während diese träumerischen Kinderaugen vertrauensvoll auf ihm ruhten . . . nein . . . es war unmöglich. Er schob den Bogen zur Seite und starrte mit einem Gefühl bitterer Beschämung ins Leere.

Und da trafen sich seine Blicke mit denen des alten Freiherrn. Auch der hatte nach den ersten Worten zu schreiben aufgehört. Ein verzweifeltes Lächeln spielte um seinen Mund.

Ein schweres Stillschweigen brütete über den drei Menschen.

»Ja . . . was habt ihr denn nur?« wunderte sich Thea . . . ». . . bin ich euch denn wirklich so zur Last?«

Georg faßte einen Entschluß. Er stand jäh auf und stieß den Stuhl zurück.

»Das geht nicht!« sprach er kurz und rauh zu den andern . . . ». . . Das ist eine Schmach! . . . das ist nichts für mich . . . und für Sie auch nicht!«

Auch der Freiherr hatte sich erhoben und neigte trübe das greise Haupt.

Thea begriff davon nichts. Sie war sitzen geblieben und schaute auf die beiden verstörten Männer . . . ». . . Was habt ihr denn nur?« fragte sie leise.

»O . . . nichts Besonderes!« erwiderte Georg gleichmütig . . . ». . . wir sind nur im Zweifel über einige Artikel in dem Blatt und wollen warten, bis Herr Heinlein um zwölf Uhr kommt! Dann können wir mit ihm darüber reden! Bis dahin,« . . . er sah auf die Uhr . . . ». . . könnte ich mir gerade meine Sachen aus dem teuren Hotel holen lassen und mir hier irgendwo ein möbliertes Zimmer in der Nachbarschaft mieten?«

»Tun Sie das, Textor!« pflichtete ihm der alte Herr eifrig bei und trottete in das Nebenzimmer, um Rock und Weste anzuziehen und den grauen Zylinder auszubürsten . . . ». . . und ich . . . ich gehe inzwischen . . .« er stockte und Georg dachte unwillkürlich, welchen Vorwand er nun nehmen würde, um den angesagten Versöhnungsbesuch bei seiner Haushälterin in der Kanonierstraße zu bemänteln . . . ». . . ich gehe zu meinen Kunden hier herum und bringe ihnen die Totalisator-Tickets, auf die sie verloren haben. Als Zeichen, daß es bei mir reell zugeht! Ich mach es nicht wie die andern, die gar nicht für die Pferde ihrer Kunden setzen, sondern auf eigene Gefahr am Totalisator spielen. Da kann man böse abschneiden, wenn dann mal ein Außenseiter, den man für einen Kunden hätte belegen sollen, den anderen die Eisen zeigt. Woher dann das Geld nehmen und nicht stehlen . . .?«

». . . Und was mache ich, wenn ihr beide fortgeht?« unterbrach Thea betrübt das Geschwätz des alten Herrn.

Ihr Vater tätschelte sie sanft auf die Schulter. »Ein Stündchen nur, mein Goldkind . . . dann sind wir beide wieder bei dir! . . . Wir könnten uns ja unterwegs treffen, Textor . . . was meinen Sie . . . in der American-Bar an der Passage. Da hört man um die Zeit immer was Neues vom Turf . . .«

»Jawohl!« Georg nahm seinen Hut . . . ». . . also auf Wiedersehen, Fräulein Thea!«

»Auf Wiedersehen.« Sie sah ihm traurig ins Gesicht und umfaßte mit ihren beiden schmalen Händen seine Rechte . . . ». . . ich hab' eigentlich Angst, hier allein in der Wohnung zu bleiben!«

»Hoho!« Der alte Herr lachte etwas gezwungen, während er die verfänglichen Papiere vom Tisch weg in ein Schubfach schloß . . . ». . . Dir passiert nichts! . . . Sei nur ein tapferes, kleines Mädchen! . . . Kommen Sie, Textor!«

Und beide stiegen die Treppe hinab.

* * *

»Schau! . . . schau!« Herr Heinlein blieb ganz überrascht stehen, und ein Lächeln angenehmer Enttäuschung überzog sein glattes Gesicht.

Er war absichtlich beinahe eine halbe Stunde früher, als er dem Freiherrn in Aussicht gestellt, in das Geschäftszimmer des »Paprika« gekommen, um den alten Gauner einmal gründlich in seiner Nebenbeschäftigung als Wettagent zu ertappen, und hatte zu dem Zwecke auch, ohne anzuklopfen, vorsichtig die Türe aufgedrückt.

Und nun war der Redaktionsraum leer. Die beiden Herren Gottweißwohin verschwunden. Und dort drinnen im Nebenzimmer saß allein die junge Dame von gestern und schaute sehnsüchtig, als ob sie auf etwas wartete, durch die Scheiben.

Alle Achtung! Soviel Delikatesse und Entgegenkommen hätte er dem ehrwürdigen Herrn von Hoffäcker gar nicht zugetraut! Er hatte sich auf einen schweren Kampf gefaßt gemacht, auf allerhand Skandale und Szenen . . . und statt dessen versteht ihn der Alte schon beim leisesten, eigentlich ganz unmerkbaren Wink, nimmt Hut und Stock und überläßt es seiner Tochter, den einflußreichen Gast zu empfangen . . .

Und wie geschickt die Kleine sich anstellt, als ob sie ihn nicht sähe. Herr Heinlein lachte bei sich und trat in rosigster Laune quer durch das Zimmer auf Thea zu, die bei dem Knarren seiner Stiefel erschreckt emporfuhr. Die Verlegenheit von gestern war bei ihm sofort geschwunden. Wenn die Dinge so lagen, so fühlte er ja den altvertrauten Grund unter den Füßen.

». . . Guten Morgen, mein gnädigstes Fräulein . . . welch angenehme Ueberraschung . . . hätte ich geahnt, Sie hier allein zu treffen . . . nicht einmal eine Rose kann ich Ihnen zum Morgengruß überreichen! . . .«

Ein Schatten des Unmuts war über Theas feine Züge geglitten. Aber man durfte Herrn Heinlein, den Brotherrn, nicht reizen.

»Bitte, wollen Sie Platz nehmen!« sagte sie liebenswürdig . . . ». . . mein Vater erwartete Sie, glaub' ich, erst in einer Stunde . . . und darum gingen er und Herr Textor . . .«

Herr Heinlein setzte sich und lachte vergnügt . . . ». . . ich kann's erwarten, mein Fräulein . . . wegen mir können die Herren noch 'nen halben Tag ausbleiben, das heißt« . . . er blinzelte zu ihr hinauf . . . ». . . wenn Sie mir inzwischen Gesellschaft leisten.«

Thea war stehen geblieben und wandte sich jetzt von ihm ab. Der rundliche, kleine Herr flößte ihr durchaus keine Angst, aber ein Gefühl des Widerwillens ein. Und wie kam er dazu, sie einfach »mein Fräulein« zu nennen?

»Erlauben Sie?« Herr Heinlein zündete sich eine Zigarre an und begann eifrig zu rauchen. Etwas unbehaglich war es ihm doch ein paar Sekunden zumut, als er Theas Augen jetzt wieder so ernst und kühl auf sich gerichtet sah.

Ach was . . . die glaubte eben, das müsse zum Anfang so sein! Sie hatte sich eben! Das tun die meisten! Ein Esel, wer die Gelegenheit nicht ausnützt.

»Wollen Sie sich nicht zu mir setzen?« fragte Herr Heinlein freundlich, mit den kleinen Augen zwinkernd . . . ». . . nehmen Sie sich meiner doch ein bißchen an! Sehen Sie, da sitz' ich, ein armer Junggeselle, der in 'ner halben Stunde zur Börse muß, um sich dort von schlechten Menschen ausbeuteln zu lassen . . . den ganzen Tag muß ich mich plagen . . . und habe keinen Menschen, der mich tröstet oder gern hat . . .«

»Das glaub' ich schon!« dachte Thea. Aber sie verschwieg ihre Empfindungen, seufzte unhörbar und nahm ihm gegenüber am Tisch Platz.

»Na . . . also!« rief der Besucher erfreut . . . ». . . nur munter! . . . ich fresse Sie nicht. Ich bin ein guter Kerl . . . ganz Berlin kennt mich dafür! . . . Wenn man mich 'n bißchen lieb hat, dann bin ich ein Mensch wie'n Kind . . . dann kann man mit mir machen, was man will. Namentlich die Damen! . . . Glauben Sie's oder glauben Sie's nicht?« fragte er und neigte vertraulich den Kopf zu ihr herüber.

Sie schwieg. Was war das für ein unangenehmer Geselle!

Der aber schien nichts von dem Eindruck zu merken, den er hervorbrachte. »Versuchen Sie's mal!« fuhr er leise fort . . . ». . . ob Sie mich nicht um den Finger wickeln können . . . Wahrhaftig . . . ich glaub', Sie können's . . . Sie haben so was . . . so . . . so Apartes . . . na . . . mit einem Wort: Sie brauchen nur zu befehlen und ich gehorche!«

»Danke!« Thea stand, den Stuhl zurückstoßend, auf und trat ein paar Schritte zum Fenster.

Der Gast wiegte sich wohlgefällig auf seinem Sessel hin und her.

»Brillant!« lobte er . . . ». . . wie Sie da eben aufstanden . . . stolz wie eine Prinzessin! Ich glaube, Sie haben Talent zum Theater!« Er sprang wie von einer plötzlichen Idee erfaßt empor und näherte sich ihr . . . ». . . Wollen Sie zur Bühne gehen?« fragte er vertraulich . . . ». . . ich bring' Sie durch . . . ich habe meine Verbindungen überall . . . Sie machen Karriere . . . mein Wort darauf . . . ich weiß schon, was Sie sagen wollen . . . Talent oder nicht! . . . ist ganz Nebensache! . . . wer so schön ist wie Sie . . .«

»Wollen Sie jetzt einen anderen Gesprächsstoff wählen . . .« unterbrach sie ihn mit zornbebender Stimme . . .

Aber Herr Heinlein blieb fest: »Und die Reklame!« träumte er . . . ». . . die großartige Reklame ganz umsonst! . . . Fräulein Thea! . . .« – wahrhaftig! . . . er sagte Fräulein Thea! . . . sie wagte kaum ihren Ohren zu trauen – ». . . denken Sie nur: eine junge Dame von uraltem Adel, die sich aus reinster Begeisterung die dornenvolle Künstlerlaufbahn erwählt . . . umsonst die Tränen des greisen Vaters . . . umsonst die Drohungen der ahnenstolzen Verwandten . . . sie bleibt fest und unterzeichnet den Kontrakt . . . wird gemacht . . .« er verfiel wieder in seinen Geschäftston . . . ». . . wird fein gemacht! Was meinen Sie, Fräulein Thea?«

Sie stand am Fenster und erwiderte nichts vor ratloser Wut. Am liebsten hätte sie den Kerl geohrfeigt.

Da hörte sie seine Stimme dicht neben ihrem Ohr. »Aber ein bißchen dankbar müssen Sie sein . . .« flüsterte er . . . ». . . mich ein klein bißchen lieb haben, wenn ich das alles für Sie tue! Nicht wahr, Thea . . .« er legte vorsichtig den Arm um ihre Taille . . . ». . . ein ganz bißchen lieb . . .«

Sie riß sich von ihm los und ballte wie zum Schlage die Faust. »Sie unverschämter Mensch!« stieß sie atemlos mit wutblitzenden Augen hervor.

»Nanu . . .« stotterte Herr Heinlein . . . ». . . nu aber Spaß beiseite . . . was ist denn . . .«

Da hörte er hinter sich, von der Türe her, zwei, drei elastische Sprünge und fühlte sich am Kragen zu Boden gerissen. Gleich darauf kniete ein Mensch auf ihm, preßte ihm mit der linken Hand die Gurgel zusammen und hämmerte ihm mit der Rechten blitzschnell und unaufhörlich ins Gesicht.

Während dieser Beschäftigung empfand Georg Textor das Gefühl einer wesentlichen Erleichterung. »Gott sei Dank!« dachte er . . . »jetzt komme ich doch noch dazu, den Lumpen durchzuprügeln« . . . und unverdrossen schlug er los.

Der kleine, feiste Körper unter ihm versuchte sich zwar zu wehren. Aber was vermochten seine quallenweichen Muskeln gegen den katzenzähen, sehnigen Sportsman, der auf ihm kauerte.

»Georg . . . Sie bringen ihn ja um!« schrie Thea.

»Natürlich!« Ihr Freund boxte aus Leibeskräften weiter . . . ». . . jetzt zertret' ich diese Wanze! . . . höchste Zeit . . . Er wollte ja 'nen rüstigen Totschläger auf die Redaktion! . . . Sind Sie mit mir zufrieden . . . Herr Heinlein . . . ja?«

Herrn Heinlein lief das Blut über das blaurote Gesicht. Die Aussicht, von dem wütenden Herrenreiter erwürgt zu werden, gab ihm verzweifelte Kräfte. Er benutzte eine Pause, wo jener abwehrend den Kopf gegen Thea wandte, und schnellte empor. Im nächsten Augenblick zwar hätte ihn Georg wieder gefaßt gehabt, aber Thea umklammerte von rückwärts dessen Arme. Diese Sekunde rettete Herrn Heinlein. Mit einem ungeheuren Satz gewann er die Türe und taumelte die krachenden Treppen hinab zum Toreingang, wo sein Wagen, den er bei der Ankunft, der Ueberraschung wegen, etwas abseits hatte halten lassen, seiner harrte.

Er sprang hinein. »Nach Haus!« lallte er dem verblüfften Kutscher zu, und die Equipage donnerte eilfertig durch die stille Gasse dahin.

»Nun kann er sich seine Zähne numerieren.« brummte Georg . . . ». . . Im Nasenbein knackste auch etwas . . . aber sonst . . .« er blickte die junge Dame vorwurfsvoll an . . . ». . . sonst lebt der Halunke noch und Sie, Thea, sind daran schuld.«

»Gott sei Dank, daß Sie ihn nicht umgebracht haben . . . Ihretwegen natürlich . . .« sagte Thea, vor Aufregung zitternd, ». . . mein Gott . . . wie entsetzlich sahen Sie aus in Ihrer Wut!«

Georg brachte, immer noch voll ärgerlicher Kampflust, seine Toilette wieder in Ordnung. »Ich glaube nicht, daß er mich noch länger als Redakteur des ›Paprika‹ behalten wird!« sprach er endlich tiefsinnig.

»Ja . . . ich auch nicht!« Thea lachte hell auf und er stimmte in ihre Heiterkeit ein.

»Es ist ganz gut so!« entschied er . . . ». . . das war hier eine unwürdige Geschichte, und der alte Papa verbummelte dabei völlig. Ein Segen, daß wir ihn auf die Weise mit Anstand herausgerissen und Herrn Heinlein schonend zu erkennen gegeben haben, daß wir uns zu verändern wünschen!«

»Die Empfindung hatt' ich auch gleich . . .« pflichtete ihm Thea bei . . . ». . . daß das hier für Papa nicht gut tat! Ich bin recht froh darüber! Die Frage ist nur: Was nun weiter?«

»Das wird sich finden! Vor allem müssen wir Papa die große Neuigkeit mitteilen!«

»Sie wollten ihn ja ohnedies treffen?«

Er nickte: »In der American-Bar! Vorher hatt' ich die Absicht, mir hier möblierte Zimmer anzusehen. Und dabei dacht' ich: »Jetzt sitzt die arme, kleine Thea ganz verlassen dort oben. Du springst mal rasch einen Augenblick hinauf und siehst, wie es ihr geht!« . . . Na . . . und da kam ich ja gerade recht . . . Herr Heinlein wird die nächsten Wochen vom Bett aus wuchern müssen!«

»Und Sie vom Bette aus verklagen und einsperren lassen!«

»Er wird sich hüten!« Der Sportsman öffnete ihr die Türe . . . ». . . eher bringt man ein altes Huhn ins Wasser als Herrn Heinlein freiwillig vor Gericht! Die Leute dort sind ihm viel zu neugierig und wollen immer viel mehr von seinen Subsistenzmitteln und seinem Vorleben wissen, als ihm lieb ist.«

»Nun . . . dann ist's ja gut!« Thea blieb vor dem Haustor stehen und sah fröhlich zu dem blauen Himmel hinauf . . . »Heute scheint auch die Sonne. Heute ist überhaupt alles anders!«

»Weil wir den Heinlein los sind! Der Kerl hat wie ein Alp auf uns gelastet. Jetzt fängt erst das neue Leben an!«

»Ja. Das ist gewiß schön! Aber wie wird nun das neue Leben aussehen?«

»Das weiß ich nicht!« sprach er nachdenklich,, und beide schritten mit ernsteren Gesichtern die Linden entlang.



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