Rudolph Stratz
Arme Thea!
Rudolph Stratz

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I.

Würde er sich nun totschießen oder nicht?

Heute abend stand er wohl vor der Entscheidung . . . oder morgen . . . oder übermorgen! Genau konnte man ja nicht wissen, wann aus Berlin, in seiner dort beschlossenen Fassung, das ehrengerichtliche Urteil zurückkam, das hier in der kleinen Husarengarnison die Regimentskameraden über ihn gefällt.

Er kannte dies Urteil ja nicht. Aber er mußte sich sagen: Wäre ich, statt als Angeklagter, als Richter ernst und schärpenumgürtet in der Reihe der Genossen gesessen, ich hätte »Schuldig der Verletzung der Standesehre« zu Protokoll gegeben!

Ganz natürlich schuldig der Verletzung der Standesehre! Wer Ehrenscheine verfallen läßt . . . nicht einen, sondern mehrere . . . ein halbes Dutzend wohl im Lauf der beiden letzten Jahre . . . wer sich mit Haut und Haar den Wucherern überliefert, in monatelangem, jahrelangem Verzweiflungskampf den einen Halsabschneider mit Hilfe des andern prellt, den Gauner rechts gegen den Gauner links ausspielt, bis sich endlich die ganze Meute auf ihn stürzt . . . nun, natürlich kann solch ein Mensch nicht länger den Attila tragen! Es war schwer, zu hoffen, daß man in Berlin anderer Ansicht sein würde.

»Verflucht!« Georg Textor warf die abgebrannte Zigarette weg und schritt wieder rastlos, in leisem Sporenklirren, durch das üppige Garçongemach.

Um ihn brauten die bläulichen Wolken des bessarabischen Tabaks, dessen Zigarettenstummel weithin den Smyrnateppich bedeckten. Die Wolken stiegen und sanken, sie spannen sich um die Rehgeweihe, die Waffen und Sportbilder an den Wänden und bildeten einen durchsichtigen Dunstkreis um den gelblichen Lichtkegel der Lampe, die auf dem Schreibtisch stand.

»Werd' ich mich nun totschießen oder nicht?«

Der stille Sommerabend draußen gab ihm keine Antwort. Er steckte sich eine neue Papyros an, trat vor den Spiegel und schaute gespannt hinein.

Merkwürdig . . . er sah aus wie immer. Eigentlich müßte doch in den Zügen eines Menschen, der eben mit dem Leben abrechnet, etwas Feierliches zu finden sein . . .

Keine Spur! Dasselbe bartlose verwegene Galgenvogelgesicht wie sonst!

Kein Mensch hätte geglaubt, daß es einem preußischen Offizier gehörte! Allenfalls in einigen herben, hochmütigen Linien um Mund und Nase zeigte sich etwas von jenem märkischen Typus, zu dessen Uradel er mütterlicherseits gehörte.

Aber sonst sah er am ersten einem englischen Sportsman ähnlich, mit seiner mittelgroßen, sehnigen Gestalt, dem kleinen Bartstreifen an den hageren Wangen, und der gesuchten Lässigkeit der Bewegungen.

In Deutschland findet man solche Erscheinungen selten – am ehesten noch in Hamburg, dem Sitz seines väterlichen Hauses, der großen Reederfirma Textor & Comp. Dort spiegelt sich der kühle, zähe Wagemut des Seefahrers und Spekulanten, die blasierte Ruhe des Menschen, der sich fortwährend in der Hand des Zufalls weiß, und die List des Kämpfers, der rastlos diesem Zufall die günstige Seite abzugewinnen sucht, dort spiegelt sich das alles in jungen und alten Rassegesichtern so gut wider wie auf dem Turf, zu dessen Größen er, Georg Textor, bis vor wenigen Wochen gehört.

Seit zwei Jahren war die große Firma in Hamburg liquidiert, der alte Herr selbst tot. Nun sollte er, der einzige Sohn, auch Abschied nehmen vom bunten Treiben des Rennplatzes, auf dem so oft ihm die Menge zugejauchzt, von dieser ganzen üppigen Welt, die ihn lachend und schmeichelnd wie ein schönes Weib umfing?

Seine sechsundzwanzig Jahre krampften sich dagegen auf.

Oft war er in der Rennsaison zwei-, dreimal an einem Nachmittag in den Sattel gestiegen und hatte den Tod herausgefordert, wenn er in fliegender Pace das Feld über Hecken und Gräben dahinriß und unter dem Donner der Massen in wütendem Endkampf seinen Gaul aus der Schar der anderen herauspeitschte.

Aber das war doch etwas anderes, diese Möglichkeit eines schweren Sturzes als so . . . sich selbst . . . Der Sergeant, der sich neulich oben auf dem Kasernenboden aus Liebesgram erschossen, kam ihm nicht aus dem Sinn. Wie der Kerl aussah . . . Der ganze Kopf entzwei. Blutspritzer weit über den Boden hin, das Gehirn rings an den Wänden . . .

»Verflucht!« Georg Textor sah nachdenklich in den Spiegel.

* * *

Da klopfte es. Leutnant von Heerwaldt trat ein.

Sein bester Freund im Regiment. Ein magerer hochmütiger Graf mit wenig Geld und zahllosen Ahnen, ein etwas steifer, aber grundanständiger und gutmütiger Kerl.

»Also du bist zurück, Georg?« sagte er und setzte sich.

Der kleine Sportsman nickte.

»Wo sollt' ich denn schließlich bleiben? Zu Verwandten gehen? Meinen Hamburger Onkeln und Vettern? Mit denen bin ich seit zwei Jahren fertig . . . seit sie sich beim Bankrott meines Vaters so erbärmlich benommen haben. Sie hätten ihm helfen können . . . und sie taten's nicht! Nur vertuschen . . . Alles vertuschen . . . Das wollten sie und brachten sie auch fertig . . . Die verfluchten Geldsäcke . . . Alles schön und gut: der alte Herr ist nun wirklich nach allgemeiner Meinung eines natürlichen Todes gestorben. Und unser Haus hat nicht falliert . . . pfui, wie häßlich für die Verwandten! Nein . . . es hat ja glücklich liquidiert . . . und daß dabei nicht ein roter Dreier herauskam, das geht ja nur mich an . . . den sogenannten Erben!«

»Verfluchte Chose!« sagte der Graf.

Georg ging im Zimmer auf und nieder und rauchte.

»Na . . . siehst du, Roger . . . da steht man nun eines schönen Morgens so da, wie ich vor zwei Jahren . . . und fragt sich: was nun, alter Junge? . . . Den Abschied nehmen . . . natürlich . . . ich wollt' es ja auch . . . aber ich war hier der große Kerl im Regiment . . . Der erste Rennreiter . . . galt immer noch für 'nen Reichmeier . . . denn außer dir und Hanitz wußt' es ja keiner, wie es eigentlich mit mir stand . . . und da dacht' ich mir: am Ende geht's auch so! Du hast dein bißchen Gehalt, du hast deinen Stall voll Gäule, mit denen du eine Masse Geld gewinnen kannst . . . du hast das Jeu, in dem man nur Glück zu haben braucht, um den großen Schlag zu machen . . . du hast deine Freunde, die dir im Notfall borgen . . . und schließlich machst du 'ne anständige Partie . . . kriegst im Lauf der Jahre deine Schwadron und alles wird gut!«

Der andere Husar schüttelte tiefsinnig den Kopf. »Weißt du, Kerlchen,« sagte er, »das war doch von vornherein eine recht unsichere Existenz!«

»Ach, wirklich?« Georg legte ihm die Hand auf die Schulter und ein spöttisches Lächeln kräuselte seine Lippen . . . »wirklich? . . . Merkst du das jetzt auch? . . . Denk' mal: das ist mir schon früher aufgefallen! . . . Weiß der Teufel, wie mir sofort alles quer ging . . . Meine Gäule lahmten, beim Jeu war ich der sichere Mann, meine Freunde hatten nie Geld, wenn ich welches brauchte . . . und mit dem Heiraten . . . ja . . . ich fand keine! Zu Dutzenden laufen ja die Millionen-Erbinnen nun 'mal nicht in diesem Krähwinkel umher . . . und draußen . . . auf den Rennplätzen und in Berlin . . . Gott . . . ich hätt' ja können . . . aber weißt du . . . ohne Liebe . . . nein! Mich direkt verkaufen . . . das ist ja einfach unanständig!«

Der semmelblonde Graf seufzte auf . . . »Jetzt kommen bei dir kleinem Mephisto die Grundsätze heraus, wo es zu spät ist!«

»Na ja!« Georg warf sich ihm gegenüber in den Sessel . . . »ich fing an, Schulden zu machen . . . erst einfache . . . dann, wie die Halunken schwierig wurden, Ehrenschulden . . . weil ich nicht anders konnte . . . Zum Abschiednehmen war es nun auch zu spät . . . und dann auch: wohin denn? Mit den Hamburger Verwandten, wie gesagt, ist's aus! Denen hab' ich nach dem Begräbnis meine Meinung gesagt, mit Worten, die die verwünschten Pfeffersäcke mir nie vergessen. Und die Verwandten meiner seligen Mutter? Ach, Roger, mein gutes Gräflein . . . du weißt's am besten, wieviel bei euch Männerchen auf –ow und –itz an Kleingeld zu holen ist. Ihr seid bessere Kerle als so ein gottverlassener Hamburger Lebemann wie ich! Ihr setzt euch vor euren Stammbaum, verzehrt eine Butterstulle und bildet euch ein, ihr diniertet bei Pfordte oder Hiller . . .«

Der Husar machte eine abwehrende Bewegung: »Jetzt ist doch nicht die Zeit für faule Witze!«

»Oh . . . ich werde einen Witz machen!« Das hagere Gesicht des Turfmannes nahm plötzlich den Ausdruck unheimlichen Grimmes an . . . »Ich versteh' mich zu rächen, wenn es sein muß! Ich denunziere die ganze Schwefelbande, die mich ausgeplündert hat, dem Staatsanwalt! Sie müssen ins Gefängnis: Tatbestand des Wuchers: Notlage, Leichtsinn oder Unerfahrenheit! Unerfahren bin ich ja nun nicht . . .«

»Nein!« klagte der Graf . . . »Du bist ein höllisch heller Kopf! Man könnt' sich manchmal beinahe vor dir fürchten.«

»Aber 'ne leichtsinnige Fliege bin ich!« Ein kindlich liebenswürdiges Lächeln spielte schon wieder um Georgs Lippen . . . ». . . Na, und die Notlage versteht sich von selbst . . .«

* * *

Es klirrte auf der Treppe. Der Leutnant von Hanitz kam herein.

»'n Abend, Textor!«

»'n Abend, Hähnchen!«

Der Besucher zog ein Blatt Papier heraus: »Ich wollt' dir nur gleich, da du wieder hier bist, sagen, wie ich deine Affären geordnet hab'! . . . Also an Schulden hast du bei Robrecht in Berlin noch 417 Mark, hier bei kleinen Leuten im ganzen 1512 . . . dann an das Königliche Proviantamt für Extra-Pferderationen im letzten Quartal 680 . . . dann . . .«

»Na . . . wieviel macht's im ganzen?«

»Ziemlich genau 3000 Mark!«

»Schön!« sagte Georg Textor gleichmütig . . . »diese kleinen Leute müssen zu ihrem Gelde kommen. Eher kann ich mich nicht mit gutem Gewissen totschießen.«

Der andere stutzte einen Augenblick. Dann fuhr er mit unsicherer Stimme fort:

»Nu hab' ich also Laring telegraphiert, der als Rittmeister zu uns versetzt ist. Er ist bereit, deine ganze Wohnungseinrichtung und die Wohnung selbst mit der Miete zu übernehmen – und dafür all diese kleinen Kosten zu bezahlen.«

»Und mein Trainer?« fragte Georg . . . »Wenn er nicht inzwischen durch ein glückliches Spiel des Zufalls gehängt sein sollte, macht er jedenfalls enorme Schadenersatz-Ansprüche geltend. Mein Stallbursche auch!«

»Ich habe deine drei letzten Pferde verkauft . . .« erwiderte Hanitz bedächtig . . . »die Fuchsstute an den Etatmäßigen . . . die Donna Diana nach Berlin an . . .«

»Na . . . und?«

»Na. Und das ging gerade so glatt auf. Es ist alles geregelt!«

* * *

»Und ich hab' noch sechshundert Mark in der Tasche,« sagte der kleine Sportsman nach einer Pause ». . . vielleicht irr' ich mich, aber ich glaube: Rothschild hat mehr! Kinders . . . Kinders . . . Ihr springt nett mit mir um . . . schon der alte Schiller sagt: das Opfer liegt, die Raben steigen nieder!«

Die beiden anderen Husaren antworteten nicht.

»Ja,« hub Georg nach einer Weile wieder an . . . »abgetan bin ich und mein irdisches Vermächtnis geregelt. Jetzt fragt es sich nur: Einfache Abschiedsbewilligung oder schlichter Abschied? ›Leutnant a. D.‹ oder ›früherer Leutnant‹? Im ersten Fall kann ich zum Armeerevolver M/92 greifen . . . im zweiten muß ich dies schätzbare Instrument aus seiner Lederhülse befreien. Sonst verliere ich den Rest eurer Achtung . . .«

»Gott . . . mancher geht ja auch nach Amerika!« brummte der Graf. Die Tränen standen in seinen gutmütigen, blauen Augen.

»Nach Amerika!« Georg stieß verächtlich seinen Stuhl zurück . . . »nein . . . Roger . . . das beste am Menschen ist, daß er sich wäscht! . . . Ein Land, wo ich nicht täglich mein laues Seifenbad haben kann, das existiert nicht für mich! Und ich glaube, als Kellner in New-York oder als Heizer auf einem Mississippi-Steamer würd' ich mir das schwer beschaffen können . . .«

». . . Amerika . . . ein Kerl wie ich . . . der elegantesten Hunde, die je den Rennplatz unsicher machten . . . lächerlich!« . . . Georg setzte sich wieder, und alle drei schwiegen.

* * *

Da war der Bursche! Die Sporen klirrten, wie er, strammstehend, die Hacken zusammenschlug.

»Herr Premierleutnant Köhler läßt fragen, ob er den Herrn Leutnant sprechen kann!«

Der Regiments-Adjutant!

Die jungen Männer fuhren auf. Sie wußten: den leidenschaftslosen, kühlen Streber, der da draußen, im Hausflur wartete, den trieb nicht die Freundschaft her. Er brachte eine dienstliche Nachricht.

»Ich lasse bitten!« Georg Textors sonst so scharfe Stimme klang merkwürdig belegt.

Premierleutnant Köhler trat mit schweigendem Gruße ein. Hanitz und Heerwaldt wollten sich entfernen.

»Bleibt nur da!« Der kleine Sportsman schüttelte trübe den hageren Kopf, in dem die grauen Augen unruhig funkelten – ». . . ob ihr's einen Tag früher oder später hört . . .«

Das Gesicht des Adjutanten war finster. »Ich wußte nicht, daß Sie hier sind,« sprach er zu Textor, eintönig die Worte wägend, ». . . das Schreiben des Regiments ging heute mittag an Ihre bisherige Adresse. Um Sie nicht unnötig in Ungewißheit zu lassen, schickt mich der Oberst hierher . . .«

». . .  nun . . . und . . .«

»Sie haben den schlichten Abschied erhalten!«

* * *

Der Adjutant war gegangen, kalt und förmlich, wie er kam.

Georg hatte sich schon wieder eine Zigarette angezündet und hielt sie lange prüfend gegen das Lampenlicht . . . er wußte selbst nicht, warum . . .

Die Freunde schwiegen. Auch draußen war es totenstill.

»Armer Kerl . . .« sagte Hanitz endlich leise, wie am Lager eines Schwerkranken . . . ». . . armer Kerl . . .«

Der blonde Graf nickte ihm Beifall.

»Das ist sehr hart . . .« sprach er schweratmend . . . ». . . schau, Jungchen . . . du bist ja ein böser Spötter und hast ewig deine Witze über die Vorgesetzten und den Dienst und uns . . . ja namentlich über mich gemacht . . . aber ein ganzer Kerl warst du doch . . . ein ganzer Kerl . . . schneidig im Dienst . . . ein flotter Kamerad . . . und ein Reiter . . . na . . . wir werden sobald keinen solchen wieder haben . . .«

Der Herrenreiter sprang auf und dehnte den schmächtigen, katzenzähen Leib.

»Du tust gerade, als ob ich schon tot wäre!« stieß er hervor.

». . . natürlich schießt du dich tot! . . .« konnte er in den ernst auf ihn gerichteten Freundesblicken lesen . . . ». . . da du nicht nach Amerika gehst! Du willst doch nicht etwa hier in Deutschland als ein Ehrloser weiter leben, als ein Mensch, mit dem kein Gentleman mehr den Händedruck tauscht und die Klinge kreuzt?«

»Wißt ihr, Kinder!« sagte er stehenbleibend und ein heiseres Lachen kam aus seinem Munde. ». . . Das ist ja verflucht schnell gesagt: nu schieß' dich gefälligst tot! Ihr sitzt ganz behaglich da und wißt nicht, was sich da in einem dagegen aufbäumt . . . wenigstens in einem so spannkräftigen, lebenslustigen und mit allen Hunden gehetzten Menschen wie ich! Bin ich krank? Nein! Bin ich hoffnungslos verliebt? Nein. Denn ihr wißt: ich nehm' die Weiber, wo ich sie finde – nur ernst nehm' ich sie nicht! Bin ich sonst so unglücklich, daß mir nichts mehr am Dasein liegt? Nein. Und doch soll ich mich und meinen nicht ganz unbedeutenden Verstand und meinen noch weniger unbedeutenden Willen mit einem Knall zerstören? Warum? Weil in einem Ackerstädtchen einige zwanzig Herren in buntverschnürten Röcken leben, die das für unumgänglich notwendig erachten! Ja, hört 'mal, Leute . . . mehr, wie mich aus eurer Mitte ausschließen, könnt ihr doch nicht tun. Was ich dann treibe, sollte euch doch eigentlich gleichgültig sein!«

Die beiden Leutnants tauschten einen Blick.

»Du kannst nicht erwarten, Georg,« sagte dann der Graf mit fester Stimme, »daß wir oder sonst wer im Regiment dich zu irgend einem Entschlusse treibt oder davon abhält. Das mußt du alles mit dir selbst abmachen . . . mit dir allein!«

»Aber wirst du mir auf der Straße die Hand reichen und mit mir gehen, wenn wir uns etwa in acht Tagen hier auf dem Marktplatz treffen?«

»Nein, Georg . . . das kann ich nicht und kein anderer!«

»Siehst du!« sagte der Sportsman achselzuckend, und ein bösartiges Lächeln huschte über sein blasses, bartloses Gesicht. ». . . Das ist ja eben der moralische Zwang, den ihr ausübt, um mich zum Selbstmord zu zwingen. Euren Freund und Mitmenschen. Ihr müßt als Offiziere doch fromme Christen sein! Da solltet ihr doch wissen, daß es heißt: Liebe deinen Nächsten! . . . und nicht: Drücke deinem Nächsten gefälligst den Revolver in die Hand!«

»Wenn dein Gewissen das nicht tut,« – Hanitz sprach lebhafter als sonst – ». . . wir Offiziere tun es gewiß nicht. Wir haben kein Recht und keine Verpflichtung mehr für dich!«

Und der Graf setzte trübsinnig hinzu: »Ach, Jungchen . . . was hilft das Gerede? Davon wird's nicht bessert«

* * *

»Melden Sie mich nur!« knarrte draußen eine Greisenstimme . . . »ich muß den Herrn Leutnant sprechen!«

Georg stand auf. Er sah kampflustig aus.

»Hans Joachim, mein teuerer Onkel!« sagte er . . . »jetzt könnt ihr was erleben!«

Der Generalmajor z. D. Hans Joachim von Arenstorff erschien auf der Schwelle, eine hohe, hagere Greisengestalt, das schlichte Schwarz seiner Kleidung allein von dem Bande des eisernen Kreuzes durchbrochen. Er trat langsam näher, mit flüchtigem Kopfnicken die Verbeugung der beiden jungen Offiziere erwidernd.

»Ihr bleibt!« sagte Georg zu denen – und dann zum Onkel gewandt, »willst du Platz nehmen!«

Der General blieb stehen. Sein verwittertes Gesicht mit dem eisgrauen Schnurrbart zuckte nicht. Er war einst als Oberst der Schrecken des Regiments gewesen und, wie man glaubte, mehr seiner erbarmungslosen Strenge als der mangelnden Fähigkeit wegen der Armee-Verjüngung zum Opfer gefallen. Seitdem lebte er, ein vergrämter Junggeselle, auf seinem Gütchen in der Nachbarschaft, schoß bei Tage Enten und spielte abends mit dem Dorfpfarrer seine Partie Piquet.

Er hüstelte und richtete sich straff auf.

»In der Lage, in der du dich befindest,« begann er langsam, ». . . wird es für dich vielleicht von Wert sein, die Ansicht deiner Verwandten zu hören . . . ich meine, der Verwandten deiner seligen Mutter. Mit den anderen haben wir nichts zu tun. Es war ein Zufall, daß dein Vater auf einer Rheinreise in Koblenz meine Schwester kennen lernte und sie ein Paar wurden. Und kein guter Zufall, denn der Mensch soll bei seinesgleichen bleiben . . . der Adel beim Adel . . . der Kaufmann beim Kaufmann . . . die Rassenmischung taugt nichts!«

»Verzeihung, Onkel!« sagte Georg kühl . . . »diese etwas fernliegenden Dinge . . .«

»Sie liegen dir nahe! Denn du bist eben solch ein Mischling. Wie du da stehst, siehst du einem Engländer, der sich zu Fastnacht in eine preußische Husarenjacke gesteckt hat, ähnlicher als einem wirklichen Offizier . . . ich weiß, was du sagen willst . . . du verstehst deinen Dienst so gut wie jeder andere? . . . Oh ja . . . aber auf die Gesinnung kommt es an . . .«

»Und auf das Kleingeld! Mein Unglück war, daß die Cholera in Hamburg auftauchte! Was kann ich dafür, daß dort so ein Schmutz war und in den Wasserkanten der Tang hing und die Aale plätscherten . . . was kann ich dafür, daß es in den Fleets wie im Schweinestall aussah . . . aber die Cholera war nun einmal da . . . mit ihr die große Handelskrise und mit der Handelskrise unser Bankrott . . . was hilft mir alle Gesinnung gegen solch einen niederträchtigen Bazillus?«

Der General wiegte finster das graue Haupt:

»Das Unglück war eine Prüfung für dich. Du hast sie nicht bestanden und bist der Versuchung erlegen. Eben höre ich, daß das Urteil aus Berlin eingetroffen ist . . .«

»Ja.« Der schmächtige Husar sah ihm mit spöttischem Trotze ins Gesicht . . . »ich hab' den schlichten Abschied . . .«

Der Alte zuckte, wie von einem Schmerz berührt, zusammen. »Der Oberst sagt' es mir . . .« murmelte er und sah zur Seite . . . »und nun . . . was wird nun?«

Georg suchte nach der Zigarettendose. »Meinst du nicht, Onkel . . .« sprach er beiläufig . . . »daß das zunächst meine eigene Angelegenheit ist?«

Die lange schwarze Gestalt vor ihm reckte sich noch mehr in die Höhe. Ein dunkler Arm fuhr in die Tasche des langschößigen Rockes, er kam wieder zum Vorschein, durchschnitt die Luft und legte ein Etwas in schwerem Schlage neben der Lampe auf den Tisch nieder.

Ein Revolver blinkte da in dem gelblichen Schein.

Reglos und tückisch lag die Waffe da. Aus sechs schwarzen, kleinen Schlünden stierte der Tod auf sein Opfer, gewärtig, bei leisem Fingerwink eilfertig herauszuspringen, wie der Kellner auf den Ruf des Gastes.

* * *

»Damit soll ich mich wohl totschießen?« sagte Georg und setzte sich. Ein bösartig-verwegenes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

Der General sah starr ins Leere: »Da hast du meine Meinung!«

»Und meine Meinung . . .«, der Sportsmann bog sich im Sessel vor und betonte flüsternd, zischend jedes Wort . . . »Meine Meinung ist, das nicht ich ein Verbrecher bin, sondern die, die mich mit aller Energie, die sie in ihrem bißchen Hirne haben, zu einem wirklichen törichten Verbrechen aufstacheln. Der Selbstmord ist ein ganz törichtes Verbrechen . . . Er ist wider die Natur! Es ist ganz abgeschmackt, daß ein ganz gesunder, kräftiger Mensch wie ich sich Schädel und Hirn und Augen zerschmettern soll, weil er einem elenden Wucherer ein paar tausend Mark schuldig ist. Die kann er ihm noch lange wiedergeben, wenn er erst einmal selbst ein reicher Mann geworden ist!«

»Und deine Ehre?«

»Ich hab' ja keine mehr!« sagte der gewesene Leutnant kaltblütig . . . »Ihr habt sie mir ja abgeknöpft und von eurem Standpunkt aus ganz recht gehabt. Aber damit sind wir doch auch geschieden und ich wäre schön dumm, wenn ich mich jetzt noch um das kümmern wollte, was ihr von mir denkt. Jetzt bin ich mein eigener Herr und mir scheint: man kann auch ohne eure Hochachtung essen und trinken und schlafen! Und Geld verdienen auch! Das ist nämlich für mich jetzt dringend notwendig . . .«

»Also du willst dich nicht richten?« Mit bebenden Lippen stieß der General die Worte hervor.

»Nein, mein lieber Onkel,« ein mephistophelisches Lächeln umspielte den Mund des kleinen Sportsman . . . »ganz ehrlich gesagt: es gefällt mir viel zu gut auf der Welt! Es ist zu amüsant hier. Ich will nicht weg!«

»Man ist nicht auf der Welt, um sich zu amüsieren!«

»O doch! Ihr glaubt das bloß nicht! Arbeit und Amüsement gehören zusammen!«

»Arbeit!« Der General wandte sich verächtlich zur Türe . . . »Maurergeselle wirst du drüben in Amerika!«

»Nein. Aber Millionär hier in Berlin!« Georg sprach das ganz gelassen aus . . . »noch heute Nacht fahre ich hin!«

». . . Ich hab' auf keinen Menschen mehr Rücksicht zu nehmen,« fuhr er nach einer Pause fort, in der der alte Haudegen ihn fassungslos ansah . . . »und das ist eine große Hilfe im Kampf ums Dasein! Von dem verstehst du zwar nichts, mein lieber Onkel, weil dein Diener dir am Quartalsersten pünktlich die Pension holt . . . aber ich werd' ihn kennen lernen . . . und . . . hol' mich der Teufel . . .« er stand plötzlich auf, und seine Augen sprühten . . . »hol' mich der Teufel . . . ich werd' siegen!«

». . . Wenn ich einmal mit Vieren lang fahre,« er öffnete, ruhiger werdend, dem zum Ausgang schreitenden General die Türe . . . »dann wird euch manches klar werden. Was brummst du, Onkel? Du meinst, ich werde im Zuchthaus enden? Wenn ich frivol wäre, könnte ich sagen, es genügt, das Zuchthaus zu streifen! Aber ich werde auch das vermeiden. Ich werde mich einfach an unsern alten Husarenspruch halten: ›Durch! durch!‹ Hiebe rechts, Hiebe links . . . immer weiter durchs Gewühl, bis man der Vorderste ist und freie Luft um sich hat.«

Der General wandte sich noch einmal um . . . »Für mich bist du tot!« . . . sagte er leise und drohend und stieg vorsichtig, von dem ihm leuchtenden Burschen geleitet, die knarrende Holztreppe hinab.

Georg sah auf die Uhr.

»Es ist Zeit, Kinder!« sagte er . . . »um Mitternacht geht der Zug. Ich muß mich eilen. Du, Hanitz, ordnest wohl noch, was zu machen ist. Ich schicke dir meine Adresse von Berlin. Und nun laßt's euch gut gehen, liebe Leute . . . tempelt nicht zu viel . . . heiratet lieber . . . zeugt Kinder . . . eine ganze Stube voll kleiner Heerwaldte und Hanitze . . . und schimpft nicht zu sehr, wenn im Kasino die Rede auf den seligen Textor kommt!«

Die Husaren drückten ihm schweigend zum letztenmal die Hand. Dann klirrten ihre Säbel draußen über die Treppe – Georg Textor war allein.



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