Rudolph Stratz
Arme Thea!
Rudolph Stratz

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VII.

»Kutscher . . . haben Sie mich denn recht verstanden? . . . Hindersinstraße 23?«

Der Mann nickte nur und trieb sein Pferd an.

Merkwürdig, in was für eine aristokratische Gegend der Wagen rollte! Asphalt . . . massive Herrschaftshäuser aus behauenem Stein . . . Alles still und vornehm . . .

Und besonders dies kleine Palais, vor dem die Droschke hielt. Unmöglich! Da konnte die kleine Vagabundin doch nicht wohnen.

»Fräulein Spiegel? Eine Treppe!« verkündete auf seine Frage eine unterirdische Stimme aus dem Portierfensterchen.

Also doch! Ganz verdutzt schritt er die eichengeschnitzte, teppichbelegte Treppe hinauf und zog den Klingelgriff, den ein bronzener Löwenkopf im Rachen hielt.

Es näherten sich hastig watschelnde Schritte.

»Nu kommen Sie endlich, Herr Heinlein!« klang von innen im Aufgehen der Türe eine fettige, freundliche Stimme . . . ». . . die Suppe wird ja ganz k . . .«

Die alte Dame brach erstaunt ab. Georg sah sie an. Natürlich . . . das war Mama Spiegel . . . die dicke Beschützerin der kleinen Cilli von einst . . .

Und jetzt erkannte sie ihn auch. »Herrjeses!« rief sie, machte eine Bewegung, als wollte sie sich die Hand an der Schürze abwischen, und reichte ihm dann, sich besinnend, daß sie ja ein Seidenkleid anhabe, die fleischige Rechte . . . ». . . Der Herr Leutnant Textor! . . . ja . . . wie kommen denn Sie . . .?« sie nötigte ihn in den Flur . . . ». . . spazieren Sie nur herein . . . das Kind wird eine Freude haben!«

»Störe ich das Kind auch wirklich nicht?« fragte der kleine Sportsman zweifelnd. Denn von innen erklang deutlich Stimmengewirr und Gelächter.

Mama Spiegel schmunzelte und stieß die Türe auf. »I wo! Uns macht's Spaß, viele Leute um uns zu sehen! Und so ein lustiger Herr wie Sie . . .«

Wem denn »uns?« . . . der Alten? der Cilli? . . . oder dem unbekannten Herrn Heinlein . . .? Georg kam nicht dazu, die Frage auszudenken . . .

Donnerwetter . . . war das ein Empfangszimmer! Smyrnateppiche . . . Gobelins . . . die Venus von Medici zwischen Palmen . . . mächtige Oelbilder in Goldrahmen . . . »Na, . . . Ihnen scheint's ja recht gut zu gehen, Mama Spiegel?« sagte er trocken und blieb stehen.

Mama Spiegel strahlte. »Nicht wahr, Herr Leutnant? Und alles bezahlt! . . . Ach ja . . .« sie neigte gerührt das Haupt mit den grauen Ringellöckchen . . . ». . . das tut einem wohl, wenn man soviel Freude an seinem Kind erlebt!«

»Hm . . . ja . . .« erwiderte der Herrenreiter etwas betreten, und bei sich dachte er: »Also auf die Art macht man Karriere in Berlin!«

»Wen hast du denn da, Mama?« klang eine helle Stimme von der Schwelle.

Da stand die Cilli, eine zierliche, mittelgroße Gestalt mit krausgelocktem Schelmenkopf, und lächelte, den Freund erkennend, kühl und liebenswürdig.

Sie schritt ihm schleppenrauschend mit der Würde einer Bühnenherzogin entgegen und reichte ihm die schmale Hand. »Willkommen, Herr Leutnant!« sagte sie, während er die Hand an die Lippen zog . . . »welch ein unverhofftes Vergnügen . . .«

Ganz Weltdame! So glatt und sicher, als sei sie nicht unzählige Male lachend und tollend auf seinem Schoß gesessen!

»Ich fürchte, allzu unverhofft, gnädiges Fräulein!«

Einen Augenblick spielte ein geheimnisvoll lächelndes Zucken der Erinnerung über ihr hübsches, keckes Gesicht. Dann neigte sie verbindlich das Köpfchen: »Bitte . . . treten Sie näher, Herr Leutnant! . . . meine Herrschaften . . . Herr Leutnant Textor . . . der berühmte Herrenreiter!«

Eine Anzahl Herren erhoben sich . . .

»Herr Doktor Grunäus«, fuhr Cilli mit der Sicherheit der Dame des Hauses fort und wies auf einen großen, wohlbeleibten Mann in den Vierzigern mit vollbärtigem Faungesicht und goldener Brille . . . »Herr von Lenski« – ein kleiner, magerer, schnauzbärtiger Herr – »Herr Ali Pascha . . .« ein verlebt aussehender Mensch mit einem roten Fez auf dem Kopf . . . »Baron Konstantin Silverband aus Kurland . . .«

Der Kurländer, ein knochiger, langer Geselle mit wüstem Gesicht, setzte sich wieder und schlug die Beine übereinander. »Ich habe Hunger!« erklärte er in hartklingendem Deutsch.

»Wann kommt denn Papachen endlich?« erkundigte sich der kleine Lenski aus der Ecke.

Die andern lachten.

Cilli zuckte die schmalen Schultern und ließ Georg neben sich sitzen. »Laßt mir das Papachen in Ruhe«, sagte sie. »Er muß noch Geld verdienen!«

Das schien also der Hausherr zu sein!

»Ich schlage vor, wir behandeln den Gastgeber heute zur Strafe ganz miserabel!« brummte der Doktor Grunäus.

»Aehnlich säh' es euch schon!« sprach Cilli vorwurfsvoll . . . »der kleine Pascha ist noch der einzige Anständige . . .«

Das ärgerte den dicken Brillenträger. »Heda . . . Sie verbummelter Jungtürke!« schrie er . . . »wann werden Sie denn endlich an das goldene Horn eingeheimst?«

Der schlaffe hübsche Mensch machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und schloß die Augen.

Grunäus wandte sich zu Textor. »Haben Sie nicht auch so einen Kümmeltürken im Regiment?« fragte er . . . »zwanzig hat die hohe Pforte neulich wieder, um den preußischen Kulturschliff zu gewinnen, nach Berlin geschickt. Neunzehn sind eingeschlagen . . . aber der da ist hoffnungslos verlottert . . . die Weiber . . . wissen Sie . . .«

»Hören Sie mit Ihrem Getuschel auf, Sie russisches Reptil!« sprach der kurische Edelmann langsam . . . »Sie erzählen doch nur wieder Schlechtes von irgend einem von uns!«

»Ich erzähle dem Herrn Leutnant, daß Sie vorige Woche die letzten Tannenbäume auf Ihrem Gütchen haben fällen lassen, um Ihr Lasterleben in Berlin noch einige Zeit zu fristen . . .«

Darauf erwiderte der finstere, lange Geselle nichts, sondern drehte sich nachdenklich eine Zigarette.

»Sie haben doch erst neulich den großen Schlag in Hoppegarten gemacht!« rief Lenski aufgeregt.

»Bei Ihnen, Lenski, hat Silverband gewonnen?« Der dicke Grunäus sah den hageren, gelblichen Herrn erstaunt an, . . . »ja . . . seit wann zahlen Sie denn Ihren Kunden wirklich einen großen Schlag aus?«

Der Buchmacher fuhr auf und wollte etwas Zorniges erwidern. Da legte sich Cilli ins Mittel: »Wenn Sie so sind, Grunäus!« sagte sie scharf . . . »Dann . . . bitte . . . gehen Sie lieber! . . . Die ganze Zeit sitzen Sie stumm beiseite, und kaum ist der Herr Leutnant da, so . . .« sie brach ab und beugte sich zu Georg . . . »das ist die reine Bosheit von dem Kerl!« flüsterte sie, und ihre Augen waren feucht vor Zorn . . . »kaum kommt einmal ein anständiger Mensch in meinen Salon, so ekelt er ihn weg . . . bloß aus Tücke . . . und nie direkt . . . immer so von hinten 'rum!«

»Werfen Sie ihn doch hinaus!« entschied Textor.

»Das kann ich nicht! Er hat zu viel Verbindungen . . . und kommt überall hin . . . und für die kleinen Zeitungen schreibt er. Wenn man so jemand beleidigt, dann kommen plötzlich hier und in Wien die Schmähartikel rechts und links in diese bösen kleinen Blättchen . . . man weiß nicht wie und von wem!«

»Nette Gesellschaft!« dachte der frühere Leutnant und lehnte sich zurück.

Eine peinliche Pause trat ein.

Da klingelte es draußen. Herr Heinlein, der lang Erwartete, kam!

Ein kleiner runder, beweglicher Herr zu Ende der Vierzig, eine dicke goldene Uhrkette über der blütenweißen Weste. Ein behäbiges Lächeln zog beim Anblick des Fremden über sein glattes, mit einem aufgedrehten Schnurrbärtchen geschmücktes Gesicht.

Cilli wollte vorstellen.

»Nicht nötig!« rief er und faßte mit seiner kleinen, weichen Hand die Rechte des Husaren . . . ». . . ist mir eine Freude, Herr Textor! . . . Ihr Name ist ein Programm . . . sozusagen . . . Noch voriges Jahr gewann ich auf Sie siebenfaches Geld, als Sie Alpenkönig mit einer Länge gegen den Captain Black herausritten. Sie erinnern sich? Ja . . . das war so ein rechter Außenseitertag . . .«

Er wandte sich zu den andern, sie zu begrüßen.

Wie genau ihn dieser Mann kannte! Und wie seltsam, daß er ihn, als wisse er schon alles, mit »Herr Textor« statt »Herr Leutnant« anredete.

Immerhin fühlte sich Georg geschmeichelt.

»Herr Heinlein scheint viel auf dem Rennplatz zu sein!« bemerkte er zu Grunäus.

Der strich – noch mißmutig von vorhin – den blonden Vollbart.

»Und ob!« sprach er trocken . . . ». . .  das bringt sein Geschäft so mit sich!«

»Sein Geschäft?« . . . Aber da war der behende kleine Herr wieder neben Georg.

»Reiten Sie dieser Tage . . .?« fragte er vertraulich . . . »oder haben Sie's aufgesteckt?«

Der Ex-Husar zog – verblüfft und ärgerlich zugleich – die Augenbrauen hoch . . . ». . . Wie kommen Sie darauf, Herr . . . Herr Heinlein?«

»Na . . . ich meinte nur!« erwiderte der harmlos . . . »manche der Herren ziehen sich doch auch ins Privatleben zurück. Und gerade in diesen Tagen mehr wie sonst . . .«

Kein Zweifel . . . er wußte, wie es mit Georg Textor stand. Aber das konnte doch noch nicht allgemein bekannt sein!

Der Sportsman sah dem kleinen Herrn ganz verblüfft nach, der jetzt in einer Ecke mit Lenski verhandelte.

»Das ist komisch,« sagte er zu Grunäus . . . ». . . ich habe keine Ahnung, wer Herr Heinlein ist . . . und der tut so, als ob er mich von Kindsbeinen an kennte.«

Der Dicke konnte seine Bosheit nicht unterdrücken, das sah man ihm an.

»Es gibt eine sehr einfache Erklärung dafür,« sprach er . . . ». . . ich habe nicht das Vergnügen, über Ihre persönlichen Verhältnisse unterrichtet zu sein. Aber es soll ja zuweilen vorkommen, daß Husarenleutnants Schulden machen . . .«

»Na . . . und?«

»Nun . . . haben Sie noch nie einen Geldmann gesehen?« Herr Grunäus lächelte spöttisch . . . ». . . dann schauen Sie sich Herrn Heinlein recht genau an!«

Der Sportsman schüttelte den Kopf. »Ich kenne die Hunde,« murmelte er grimmig . . . ». . . die sehen anders aus . . .«

Grunäus faltete mitleidig die Hände. Ein Lächeln lief über sein bärtiges Faungesicht.

»Sie sind noch naiv, Herr Leutnant!« sprach er langsam . . . »Sie meinen, ein Mann wie Heinlein reist selbst in der Welt herum, um sich von, Husarenoffizieren etwas querschreiben zu lassen! Er ist doch nur der Hintermann, der nur bei ganz großen Geschäften, wo er keinem andern einen Nutzen gönnt, einmal hervortritt. Sonst bleibt sein Name im Dunkeln. Er hat seine Strohmänner, die ihn ums Totschlagen nicht verraten, auch wenn sie, wie das gelegentlich wohl vorkommt, hereinschliddern. Wenn Sie irgendeinem Mann in der Mittel- oder Blücherstraße Ihr Autogramm auf einem Streifen Papier dediziert haben, dann trinken Sie jetzt bei Tische ordentlich von dem alten Bordeaux! Damit schädigen Sie Ihren wahren Gläubiger!«

»Darf ich bitten, Herr Leutnant?« Cilli trat mit anmutig erhobenem Arm, um sich von ihm zu Tische führen zu lassen, auf ihn zu, und man ging in das Speisezimmer, wo ein korrekter Diener und ein sauberes Hausmädchen, der Gäste harrend, am Kredenztisch standen.

* * *

»Auch nach Ihnen, wie nach jeder verkrachten Existenz, wird die Halbwelt ihre Fänge ausstrecken!« die Worte des alten Bankherrn kamen Georg beim Tafeln in den Sinn.

Ja, wahrhaftig . . . da war er mitten drin.

Diese Menschen, die um den geschmackvoll arrangierten, von Silberzeug strahlenden Tisch saßen, benahmen sich tadellos. Wehe, wer hier das Brot geschnitten, den Fisch mit dem Messer gestochen hätte.

Sie waren alle gut und modisch gekleidet. Sie sprachen – mit Ausnahme der unmöglichen Mama Spiegel – halblaut, und was sie sagten, war auch nicht anders, als man es sonst wohl hörte . . . Kulissengeschwätz, Turfgesimpel, Börsengezänke und dergleichen.

Und doch war es eine ganze Skala zweifelhafter Existenzen – von der in ihrer Art naiven Cilli und dem auf Pump lebenden kurischen Baron bis herab zu diesem unheimlichen Heinlein, der in rosigster Laune scherzend und lachend den Ton angab und gar nicht auf den Gedanken zu kommen schien, daß ihn einer der Anwesenden nach Grunäus' Rezept schlecht behandeln könne.

Im Gegenteil . . . sie hatten Furcht vor ihm! Der dicke blonde Brillenträger auch! Das merkte Georg an dem Eifer, mit dem jener seine Bosheit von vorhin wieder gut zu machen und Cilli zu versöhnen suchte.

Jawohl. Das war die Halbwelt.

Der einzige, möglicherweise anständige Mensch im Zimmer war der junge, geräuschlos seines Amtes waltende Diener, den Heinlein auf dem Kutschbock mitgebracht.

Offenbar ein früherer Offiziersbursche. »Ich möchte wohl wissen, was der Kerl von den Leuten denkt, denen er stumm die Platten serviert!« ging es Georg durch den Kopf, und es war ihm nicht sehr behaglich dabei zumute.

* * *

Das Mahl war beendet. Der Champagner perlte. Cilli braute geschäftig den Kaffee und goß ihren Hausfreunden die wunderlichsten Likörmischungen in die Gläser. Sie war ungeduldig. »Ich weiß gar nicht, wo Lulu bleibt!« klagte sie.

Mama Spiegel, die einen puterroten Kopf hatte, tröstete sie: »Wird schon kommen, Kind!«

»Da ist sie!« schrie Cilli, als draußen die Klingel klang, und riß die Türe auf . . . ». . . 'rin, mein Puttchen!«

Ein hübsches junges Mädchen, beinahe noch ein Backfisch, fegte wie ein Wirbelwind herein. »Uff, Kinder!« rief sie und warf Hut, Handschuhe und Jackett irgendwohin zur Seite . . . ». . . Tag, Papa Heinlein . . . mein Herr . . .« sie verbeugte: sich würdevoll gegen Georg . . . und dann wieder zu den andern: ». . . so 'ne Nachmittagsvorstellung . . . diese Vereine . . . na . . . nun ist's überstanden . . . und gemimt hab' ich . . . einfach schneidig!«

»Wieviel Worte?« erkundigte sich Grunäus.

Sie überlegte. »Elf! . . . aber fein! . . . du, Cilli . . .« . . . ihr Gesicht wurde traurig . . . ». . . wenn du mir nicht was Schönes zu essen aufgehoben hast . . . dann fang' ich an zu weinen . . .«

»Du kriegst ein kaltes Rebhuhn, Goldchen!« tröstete sie Cilli . . . ». . . und unterdes backen wir dir was Süßes! . . . und Trauben kriegt Lulu auch, wenn sie lieb ist . . .«

»Danke schön!« Die beiden Mädchen küßten sich so leidenschaftlich, als hätten sie sich seit Wochen nicht gesehen. Die Herren lachten und protestierten. Es herrschte ein ziemliches Getümmel im Zimmer, durch das Lenski durchdringend den Gigerlmarsch pfiff.

Georg sah erstaunt auf Lulu und Cilli. Er wußte noch nicht, daß solche leidenschaftliche Bühnen-Freundschaften in Berlin häufig seien. Da fühlte er sich in dem Lärm am Arm berührt.

Herr Heinlein stand neben ihm.

»Kommen Sie mal da herein, Herr Textor!« sagte er halblaut und vertraulich, auf das Nebenzimmer deutend . . . »da können wir ungestört ein paar Worte miteinander reden . . .«

Und da saßen sie auch schon nebeneinander auf dem Diwan in dem halbdämmerigen Raum, in den vom Speisegemach her Kerzenglanz, Lärm und Gelächter drang. Georg wußte selbst nicht, wie er dazu kam, diesem aufdringlichen und so seltsam gönnerhaften Menschen zu folgen. Der Kerl war ihm unheimlich. Aber vielleicht eben darum fühlte er sich ihm gegenüber so willenlos.

»Na . . . was werden Sie nu eigentlich beginnen, Herr Textor!« Der andere zündete sich bedächtig eine Zigarre an.

Georg raffte seinen ganzen Hochmut zusammen.

»Sagen Sie mal, Verehrtester!« erwiderte er in dem näselnden Kavalleristenton des Kasinos . . . ». . . Sie scheinen sich ja sehr für meine Angelegenheiten zu interessieren!«

»Weil ich Ihnen einen Vorschlag machen will! . . . Sie haben den Abschied bekommen . . . oder bekommen ihn dieser Tage . . . aber reden Sie doch nicht! . . . Ihr Name steht in allen Zeitungen mit unter der schwarzen Liste von Hannover . . . da frag' ich Sie also still und vertraulich: Was nun?«

Der Sportsman bemühte sich, ein möglichst gleichgültiges Gesicht zu machen. »Zunächst«, sagte er und streifte die Asche von seiner Zigarette . . . ». . . werde ich den Staatsanwalt auf einige dunkle Ehrenmänner aufmerksam machen, die leider das Schicksal des alten ehrlichen Seemann noch nicht teilen, sondern noch frei herumlaufen!«

»Tun Sie das nicht!« Herr Heinlein legte vertraulich seine Hand, die klein und glatt war wie die einer Frau, auf den Arm des Husaren . . . ». . . zu verdienen gibt's da nichts, sondern nur Zeit und Mühe zu verlieren . . . und was haben Ihnen die armen Teufel getan? Den wirklichen Geldmann kriegen Sie ja doch nicht zu fassen!«

Der kleine Herrenreiter drehte sich rasch zu ihm und sah ihm scharf ins Auge. »Kennen Sie ihn etwa?« fragte er leise und drohend.

Herr Heinlein lächelte gutmütig. »Bin ich 'n Gedankenleser? Aber nu' zum Geschäft! . . . Da sehen Sie mal« . . . er reichte dem andern ein Zeitungsblatt herüber. Es schien, soweit Georg in der Dämmerung erkennen konnte, ein illustriertes Witzblatt zu sein. Die Buchstaben: »Paprika« glänzten fettgedruckt darüber.

»Das hab' ich gegründet,« sprach der rundliche kleine Herr . . . ». . . so in der Art vom Gil-Blas illustré . . . wissen Sie . . . so etwas fehlt uns . . . was ordentlich Pikantes, das in allen Barbiersalons und den Wiener Cafés aufliegt und in breitem Streifband ins Haus geschickt wird. Dann kommen auch die Annoncen . . . Sie wissen schon . . . und 's ist ein Haufen Geld zu machen! Aber vorderhand geht's ganz flau damit . . .«

»Das wundert mich nicht!« meinte der Sportsman trocken.

»Und warum geht's flau?« fuhr der andere eifrig fort . . . ». . . weil der Redakteur nichts taugt. Du lieber Gott . . . ja . . . der Mann tut's billig . . . aber 's ist auch danach . . . da brauch' ich einen fixen Menschen . . . sehen Sie . . . einen eleganten Kerl, der immer unterwegs ist . . . jetzt sitzt er draußen in Hoppegarten und läßt sich bei 'nem Glase Punsch von irgendeinem grünen Reitburschen die Stallgeheimnisse ausschwatzen, und da ist er schon wieder im Boudoir des Fräulein Lulu oder der Cilli drinnen oder so einer . . . und interviewt sie, wie sie als Künstlerin über das Heiraten, die Puffärmel, die moderne Richtung und den Kuß auf der Bühne denkt . . . hastenichtgesehen, ist unser Mann schon wieder weiter. Im Foyer des Reichstags fällt er einen Abgeordneten mit gespitztem Bleistift an: »Herr Doktor . . . wie steht's mit den neuesten Enthüllungen des ›Vorwärts‹?« . . . und gleich darauf ist er wieder im Spezialitäten-Theater . . . kleine Vormittagsprobe vor geladenem Publikum mit kaltem Büfett und 'ner Reklamenotiz hinterher . . . sehen Sie . . . das ist ein Leben . . . das wär' was für Sie . . .!«

»Für mich?«

»Freilich . . . Sie sind jung . . . mit der ganzen Lebewelt vertraut . . . Es kommt mir auf 50 . . . 75 Taler im Monat nicht an, wenn Sie sich gut hineinarbeiten! Sie können's! Hingegen . . . der Baron . . . ich meine den Mann, der die Sache jetzt fingert . . . ja . . . lieber Himmel . . . außer dem feudalen Namen ist es eben nichts mit ihm! Ein alter, unbehilflicher Herr . . . faßt alles nur mit den Fingerspitzen an . . . und dann . . . wissen Sie . . . ich bin ja nicht prüde . . . das Blatt soll ja Klatsch bringen . . . Hofklatsch . . . Kulissenklatsch . . . Stadtklatsch . . . allen Klatsch . . . und alles eben ordentlich mit Paprika . . . Der Name ist gut . . . meine Erfindung . . . aber wenn da der Redakteur schon ein Jahr in stiller Zurückgezogenheit zugebracht hat . . . das schadet doch ein bißchen beim Publikum. Ein Jahr hat der alte Baron nämlich gesessen. Wie er – noch als ganz feudaler Kammerherr, was er natürlich längst nicht mehr ist – 'mal einen Wechsel zu unterschreiben hatte, da dachte er plötzlich, er heiße nicht mehr Freiherr von Hoffäcker, sondern . . .«

Georg fuhr auf . . . ». . . Hoffäcker . . . sagen Sie . . .?«

»Ja! . . . Feiner Name! . . . Nicht? Und was nun das Schlimmste ist: der alte Herr und sein Fläschchen sind immer beisammen. Manchmal ist er 'nen halben und ganzen Tag überhaupt nicht zu sprechen! Nu frag' ich Sie selbst . . .«

»Hat er eine Tochter?«

»Ja. Ich glaube. Aber nicht hier. Irgendwo in der Provinz bei Verwandten . . .«

Arme Thea! Jetzt wurde Georg die Szene gestern früh im Eisenbahncoupé klar, und er begriff, warum der knöcherne Regierungsrat das junge Mädchen so traurig angesehen und so seltsam sein »arme Thea!« gesagt hatte . . .

»Es tut mir leid, meine Herren . . .« Cilli trat, die hübsche Lulu am Arm wie eine Puppe mit sich schleifend, in das Zimmer . . . »aber ich muß Adieu sagen. Die Kunst ruft. In einer Stunde muß ich vor einem Dutzend Onkels aus der Provinz und einem Schock Freibilletts an diesem schönen Sommerabend den Prinzen Orlofsky aus der »Fledermaus« verzapfen. Kommen Sie vielleicht auch ins Theater, Herr Leutnant?«

»Für heute, gnädiges Fräulein, muß ich um Urlaub bitten!« Der Ex-Husar erhob sich, küßte den beiden Mädchen und Mama Spiegel, die ihm mechanisch ein fettiges »Kommen Se bald wieder!« mit auf den Weg gab, in tadelloser Höflichkeit die Hand, verbeugte sich vor den Catilinariern im Speiseraum und stieg mit wirrem Kopf die Treppe hinunter.

Heinlein war ihm gefolgt.

»Soll ich Sie 'ne Strecke mitnehmen?« fragte er, auf sein Coupé deutend, und setzte, da Georg verneinte, heiteren Tones hinzu: »Also überlegen Sie sich den Fall . . . zum Donnerwetter . . . Mann . . . so billig wie Brombeeren sind die Brotstellen hier in Berlin nicht. Das werden Sie später schon noch zu Ihrem Schaden erkennen lernen!«

»Sie sollen den Baron ja nicht verdrängen!« rief er ihm noch aus dem Wagen zu . . . ». . . Sie sollen mit ihm zusammen arbeiten! . . . Sagen Sie mir morgen nachmittag auf dem Rennen in Karlshorst Bescheid! . . . Mahlzeit, Herr Textor!«

Die Pferde zogen an und entführten den heiteren, kleinen Herrn. Weithin klang das Donnern der Hufe durch die stille Straße, und zeichneten sich die majestätischen Gestalten des Kutschers und des Dieners von dem grauen Abendhimmel ab.

* * *

Er sollte mit dem Baron zusammen arbeiten! . . . Georg schlenderte in tiefem Sinnen durch den Tiergarten dahin. Dann würde er auch Thea wiedersehen! . . . Jeden Tag wahrscheinlich!

Und was war damit gewonnen?

Gewiß. Sie tat ihm leid. Aber um des armen Mädels willen konnte er doch nicht eine solche Beschäftigung übernehmen, in die Dienste eines Mannes treten, dem er wahrscheinlich einen großen Teil seines Unglücks verdankte.

Aber andererseits . . . Es gibt ein Sprichwort: »Halte, was du hast!« Und hier in Berlin etwas zu haben –, die Erkenntnis dämmerte seinem Kleinmut immer mehr auf –, das war ein schwereres Stück Arbeit, als sich ein lebenslustiger Husarenleutnant träumen läßt.

Und Thea . . . er ärgerte sich über seine Gedanken . . . immer wieder Thea! Aber wie unglücklich mußte jetzt die arme Kleine sein, wie bitterlich enttäuscht, die heute morgen so übermütig und stolz auf ihrer Flucht nach Berlin ihm gegenübergesessen hatte.

Jetzt wußte sie wohl schon die ganze Wahrheit oder erfuhr sie in den nächsten Stunden.

Und dann . . . dann stand sie ratlos und verzweifelt da. Was sollte so ein armes kleines Mädchen denn machen? Sie konnte in Berlin zugrunde gehen, sie mußte zugrunde gehen, wenn man ihr nicht half.

»Wenn ich diese Stellung annehme . . .« entschied Georg bei sich . . . ». . . dann geschieht es nur um dieser kleinen, lieben Thea willen. Die werd' ich denn doch vor Heinlein und Konsorten retten!«

Dabei mußte er selbst trotz seines Trübsinns beinahe lachen. Er hatte es nötig . . . er, dem selbst das Wasser schon bis zur Kehle ging, sich auch noch um andere Menschen zu kümmern!

In der Zeit seines Glücks hatte er das auch nie getan, sondern gleichgültig, als eleganter Lebemann, mit ebensolchen Genossen die Dinge an sich vorübergehen lassen. Sentimentalität, leidenschaftliche Aufwallungen, unbestimmte Sehnsucht und melancholische Nächstenliebe verboten sich in diesem Kreise kühler Gigerln von selbst. Denn sie machten lächerlich.

Ja, gewiß . . . er hatte als ein recht kalter, verderbter Bengel in den Tag hinein gelebt . . . Georg Textor sah das seufzend ein. Aber wie kam er jetzt dazu, für andere zu empfinden? . . . Jetzt, wo Not und Sorge auf ihm lasteten und ihn eigentlich doppelt egoistisch machen mußten?

Statt dessen ein melancholischer Drang, sich an andere anzuschließen, anderen Gutes zu tun!

Der kleine Sportsman begriff das nicht. Er wußte nur, daß das blasse, träumerische Gesicht, von dem er diesen Morgen im Getümmel des Bahnhofs Abschied genommen, ihm durchaus nicht den gewohnten und flüchtigen Sinnenkitzel erregte, sondern eine tiefe, mitleidige Zärtlichkeit, in der er sich selbst als ein weit besserer und anständigerer Mensch vorkam . . .

»Merkwürdig!« dachte er bei sich . . . »aber wenn das die erste Wirkung der Not ist, daß man andere Menschen lieb bekommt und ihnen helfen will, dann kann ja noch manches gut werden!«



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