Rudolph Stratz
Arme Thea!
Rudolph Stratz

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II.

Jetzt erst erfaßte ihn, plötzlich und überwältigend, die Verzweiflung.

Er schaute im Zimmer umher, wie um sich zu überzeugen, daß ihn niemand belausche. Dann warf er sich jählings auf den türkischen Diwan neben sich nieder. Das Gesicht nach unten blieb er da lautlos liegen. Nur der Körper zuckte wie im Krämpfe und die Hände krallten sich von Zeit zu Zeit wütend in dem schweren, golddurchwirkten Stoffe fest.

Endlich richtete er sich wieder auf. Er war totenbleich geworden. Tränen standen in seinen Augen. In ratloser Wut, in dumpfem, ödem Grimme stierte er vor sich hin, als suche er jemanden, an dem er sich für all sein Leid und Unglück rächen könne.

Einerlei wen! Jetzt haßte er die ganze Menschheit. Sie hatten sich ja alle zusammen verschworen, ihn unglücklich zu machen: die Verwandten, die den Ruin des Vaters nicht hinderten, die schmierigen plumpen Geldmänner, in deren Wucherhände er geriet, die Kameraden, die ihn kaltblütig aus ihren Reihen stießen . . . fort mit Schaden! . . . hinaus in die Welt! . . . schau, wo du unterkommst . . . ja selbst die Freunde, in deren stummen Blicken er so deutlich die Bitte las, ihnen doch den kleinen Gefallen zu tun und sich totzuschießen!

Er lachte höhnisch auf. Bittere Wehmut löste sich aus seinem verzweifelten Trotze aus.

Nun war sie zerstört, die bunte Welt. In Trümmern lag alles vor ihm da. Und wie scheidendes Abendrot glimmte darüber die Vergangenheit. Braune und blonde Köpfchen nickten ihm aus dem Nebel verflossener Jahre, das fröhliche Summen des Rennplatzes schlug an sein Ohr, Hundegekläff und Hifthornklänge, die sehnsüchtig wiegenden Walzer des Ballsaals, Freundesstimmen im Lärm des Kasinos und im Geplauder auf einsamem Morgenritt . . . das alles erklang wie aus schwindender Weite und löste sich auf in ein graues Nichts . . .

Vorbei . . . vorbei . . . auf Nimmerwiedersehen!

Und nun?

Der Husar stand fröstelnd auf. Vor den Freunden hatte er es leicht gefunden, mit waghalsigen Zukunftsbildern zu spielen! . . . Aber jetzt . . . so allein . . . und draußen die stille, stille Nacht . . .

Das schlimmste war eben: Er kannte ja das Leben gar nicht, in das ihn das Schicksal trieb! Seine Klugheit sagte ihm das zu deutlich. Die Welt des Genusses, der rauschenden Daseinslust, jawohl . . . die war ihm vertraut, und wie ein Abglanz aller Freuden dieser Welt lag es noch jetzt über seinen blassen, leichtsinnigen Zügen.

Aber das Reich der Arbeit? In das muß man doch wohl eindringen, wenn man nichts mehr besitzt als ein dünnes Päckchen Hundertmarkscheine und einen ehrlosen Namen . . .

Dann hätte er freilich auch nach Amerika gehen und Trambahnkutscher unter spuckenden Yankees oder Koupletsänger in einer Music-Hall werden können!

Nein, das ging nicht. Aber wo sollte er bleiben? Ausgestoßen aus der Welt der Ritter und der Handelsherren – und doch so unendlich fern von all dem niederen Volk der Arbeiter und Krämer . . .

»Natürlich arbeitet ein vernünftiger Mensch nicht selbst!« dachte Georg Textor bei sich . . . ». . .  andere müssen das für einen tun! Das ist ja gerade der Witz, sie dazu zu bringen!«

Aber wie!

In Berlin mußte das doch irgendwie zu machen sein! Die Frage war nur, wo man Berlin an der richtigen Stelle anpackte? Er kannte ja nur seine glänzende Außenseite, die Rennplätze, ein paar Weinstuben Unter den Linden, ein halbes Dutzend Possenbühnen, Tingel-Tangel und Balllokale. Hier hatte er nirgends Geld verdienen sehen – es sei denn, daß man am Totalisator einmal gewann. Das mußte also an anderen Orten geschehen. Er hatte eine dumpfe Vorstellung, daß man vielleicht an der Börse operieren könne . . . oder ein großes Geschäft in Häusergrundstücken machen . . . oder irgendeine Erfindung verwerten . . . oder sonst was . . .

Aber wenn er sich auch nie um die Angelegenheiten seines Vaters, des verschlossenen alten Patriziers, gekümmert hatte, so viel wußte er doch, daß es bei allen großen Spekulationen zum ersten hieß: »Tu' Geld in deinen Beutel!« Hat man Geld, so müssen die andern für einen arbeiten, ob sie wollen oder nicht.

Und er hatte sechshundert Mark! Oder mit anderen Worten nichts! Da mußte er wohl selbst für fremde Menschen zu schuften beginnen!

Wenn ihm das passierte? . . . wenn er, der elegante Lebemann, tiefer und tiefer in der schmutzigen Welt der Lohnarbeit versank? . . . Ihm schauderte.

Auf dem Tisch lag der Revolver. Die schwarzen Mündungen blinzelten ihm schläfrig zu.

Wenn er es nun doch täte? Anständiger war es ja!

Aber da regte sich in ihm wieder der Trotz. »Totschießen kann man sich immer noch!« sagte er laut, wie um einen quälenden Gedanken zu verscheuchen.

Dann trat er zur Türe, um nach dem Burschen zu klingeln und an die Bahn zu gehen.

Die Sporen klirrten leise auf dem Teppich. Er blieb stehen und stieß ein wildes Lachen aus.

Die Uniform! das hatte er ja vergessen . . . die Uniform war ihm ja von jetzt ab versagt! Morgen schon konnte er, wenn er als Offizier verkleidet auf der Straße erschien, mit dem Strafgesetz in Konflikt kommen. Der verschnürte Blaurock, die Bärenmütze mit dem Kalpak, der klirrende Säbel, den Hunderte von einfachen Bauernburschen und Tagelöhnern drüben in der Kaserne trugen und zur Urlaubszeit voll Stolz im Heimatsdorfe prunken ließen, das alles war ihm, dem vornehmen Mann, von jetzt ab ein unerreichbares Ehrenkleid!

Also fort mit Schaden! In die Ecke mit dem Säbel . . . aufs Sofa den Attila, irgendwo unters Bett die zierlichen gelbgeströmten Schaftstiefeln, daß nur endlich einmal dies verwünschte tückische Sporenklirren aufhört . . . fort damit . . . fort! . . .

Bequemer saßen ja der hechtgraue Bummelanzug und die leichten Lackstiefeletten und freier atmete man unter der rot- und weißgestreiften Hemdbrust. Georg Textor wurde ruhiger, während er sich vor dem Spiegel die buntseidene Krawatte knüpfte und den blaubebänderten Strohhut zurechtrückte. Da hatten sich nun die letzten Stücke seines bisherigen Daseins, glänzende greifbare Stücke, von ihm gelöst. Nun stand er ganz frei da, als ein Mann, der nichts mehr auf der Welt zu verlieren und alles zu gewinnen hat!

Das ist ein guter Standpunkt. Da braucht man nicht zu verzweifeln. Zum erstenmal lächelte er wieder verwegen vor sich hin und rief den Burschen.

»Packe den Koffer!« befahl er . . . ». . . alles Zivil, was ich heute von der Reise mitgebracht hab', hinein! Sonst nichts! In einer halben Stunde bist du damit am Bahnhof! Ich geh' voraus! Ab!«

Er lachte, als er dem Burschen nachsah. Das war sein letzter Befehl gewesen.

Nun noch den seidengefütterten Sommerpaletot über den Arm . . . eine Zigarette angezündet . . . und los!

Die knarrende Holztreppe des alten Bürgerhauses hinunter und hinaus auf die Straße!

Dröhnend schlug das Haustor hinter ihm zu. Vor ihm lag die finstere, nur in der Ferne von ein paar unsicher glitzernden Lichtpunkten belebte Gasse. Einen Augenblick blieb er noch wie traumverloren stehen. Dann wanderte er, den Kopf zurückwerfend und mit dem Spazierstöckchen wippend, getrost in das ungewisse Dunkel hinaus.



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