Karl Storck
Mozart – Sein Leben und Schaffen
Karl Storck

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15. Zum frühen Ende

Am 11. März 1828 sagte Goethe zu Eckermann: »überhaupt werden Sie finden, daß im mittleren Leben eines Menschen häufig eine Wendung eintritt, und daß, wie ihn in seiner Jugend alles begünstigte und alles ihm glückte, nun mit einemmal alles ganz anders wird, und ein Anfall und ein Mißgeschick sich auf das andere häuft. – Wissen Sie aber, wie ich es mir denke? – Der Mensch muß wieder ruiniert werden! Jeder außerordentliche Mensch hat eine gewisse Sendung, die er zu vollführen berufen ist. Hat er sie vollbracht, so ist er auf Erden in dieser Gestalt nicht weiter vonnöten, und die Vorsehung verwendet ihn wieder zu etwas anderem. Da aber hienieden alles auf natürlichem Wege geschieht, so stellen ihm die Dämonen ein Bein nach dem anderen, bis er zuletzt unterliegt. So ging es Napoleon und vielen anderen; Mozart starb in seinem sechsunddreißigsten Jahre, Raffael im gleichen Alter, Byron nur um weniges älter. Alle aber hatten ihre Mission auf das vollkommenste erfüllt, und es war wohl Zeit, daß sie gingen, damit auch anderen Leuten in dieser auf eine lange Dauer berechneten Welt noch etwas zu tun übrigbliebe.« Man könnte Goethes Worten vielleicht noch hinzufügen, daß diese großen Menschen auch ohne die äußere Veranlassung vieler Krankheit ein Gefühl in sich tragen, daß ihrem Leben ein frühes Ziel gesetzt sei. Wir sehen sie eifriger als sonst bemüht, das äußere Leben zu bezwingen; die Sorglosigkeit, der sie früher wohl gar manchen Erfolg verdankten, schwindet; vor allen Dingen aber drängt es sie zu verdoppelter Arbeit, als gelte es dem Leben noch möglichst viel abzuringen.

Im übrigen könnte man wohl denken, daß Goethe durch Mozarts Lebensschicksal zu seiner Auffassung gebracht worden ist. Wir haben bei der Betrachtung seines Lebensganges gesehen, wie ihm mit wachsender Meisterschaft das äußere Leben immer schwerer wurde, nachdem seine Kindheit sich unter so günstigen Verhältnissen entwickelt hatte. Leicht begriffen wir es dann, daß er sich immer wieder sagte: schlimmer könne es nun nicht mehr kommen, es müsse wieder die Wendung zum Guten eintreten. In der Tat stand sie vor der Tür, als ihm die Dämonen ein Bein setzten und ihn zu jenem Fall brachten, von dem es kein Aufstehen mehr gibt. Zuvor aber verdüsterten sich noch seine äußeren Lebensumstände.

Josephs Nachfolger, Kaiser Leopold II., war kein Freund der Musik. Da es nicht anging, die ihr bestimmten Einrichtungen aufzuheben, so wollte er sie wenigstens ganz zur Hofveranstaltung umwandeln. Bezeichnend ist, daß er an die Neueinrichtung der Opera seria dachte, und in dem neuen Hoftheater, dessen Bau er plante, die Logen zum Kartenspiel einrichten lassen wollte. Seine Gegensätzlichkeit zu seinem Vorgänger mußten vor allem jene erfahren, die Josephs Gunst genossen hatten. Der Intendant Rosenberg, Kapellmeister Salieri, der Hofdichter da Ponte und einige begünstigte Opernmitglieder wurden in Ungnaden entlassen, wenn sie es nicht vorzogen, schon vorher ihren Abschied einzureichen. Es wirkt als tragikomische Ironie, daß auch Mozart von Leopold unter die Günstlinge Josephs II. gerechnet wurde und deshalb von vornherein seiner Ungnade verfiel. So wurde sein Gesuch um die zweite Kapellmeisterstelle und den Klavierunterricht der Prinzen trotz der Befürwortung van Swietens einfach zu den Akten gelegt. Mit offenbarer Geringschätzung wurde er beim Besuch des Königspaares von Neapel behandelt, das der Vermählung zweier Töchter mit österreichischen Erzherzögen beiwohnte. Er war eigentlich der einzige hervorragende Musiker Wiens, der nicht zu den Festlichkeiten zugezogen war. Mozart litt um so schwerer unter diesen erneuten Zurücksetzungen, als seine Frau seit dem Frühjahr 1790 dauernd kränkelte und möglichst früh Baden besuchte, wo auch er selber der Billigkeit wegen Wohnung nahm. Die steten Sorgen, denen auch Freund Puchberg nicht nachdrücklich abhelfen konnte, lähmten seine ganze Natur, so daß er im August selbst erkrankte und überhaupt in diesem Jahre weniger geschaffen hat, als in irgend einem anderen. Er wollte aber nichts unversucht lassen, seine Lage zu bessern, und so entschloß er sich zu einer neuen

Kunstreise nach Frankfurt,

wo am 9. Oktober 1790 Leopolds Kaiserkrönung erfolgte. Mozart mochte hoffen, bei dem großen Zusammenstrom von Menschen eine günstige Gelegenheit zu Konzerten zu haben. Auch bei dieser Gelegenheit erfuhr er noch die Ungnade des Kaisers, der ihm nicht gestattete, sich seinem Gefolge anzuschließen, so daß Mozart auf eigene Kosten die Reise unternehmen mußte. Das Silberzeug wurde verpfändet, und in Gesellschaft seines Schwagers, des Violinspielers Hofer, den er aus Mitleid mitnahm, weil er auch für ihn eine gute Gelegenheit zum Heraustreten erwartete, machte er sich am 28. September auf den Weg.

Von dieser Reise haben wir wieder zahlreiche Briefe Mozarts an seine Frau, die in Verbindung mit den noch zahlreicheren Schreiben vom Sommer des nächsten Jahres an die auch da wieder in Baden zur Kur Weilende einen tiefen Einblick in seinen damaligen Gemütszustand gewähren. Bei aller äußeren, sofort in die Augen springenden Verschiedenheit der beiden Männer werde ich durch den Briefwechsel Mozarts mit seiner Frau stets an Richard Wagners Verhältnis zu seiner Minna erinnert. Beide Meister sehen wir bei schwerster äußerer Lebensnot in der gleichen Besorgnis für ihre kränkliche Frau. Es ist, als litten sie unter dieser Ungunst der Verhältnisse hauptsächlich, weil das ihnen verbundene Wesen dadurch nicht alle Bequemlichkeiten des Lebens genieße. Bei beiden haben wir dieselbe Zärtlichkeit des leicht sinnlich gefärbten Liebesausdruckes. Bei beiden die ängstliche Besorgnis und das freudige Empor ihrer schwungvollen Natur bei jedem günstigen Anzeichen, bei jedem guten Worte. Beide aber gleichen sich auch noch in einem anderen: Sie verlangen vom Leben nichts als die Möglichkeit zur Arbeit. »Nun bin ich fest entschlossen, meine Sachen hier so gut als möglich zu machen, und freue mich dann herzlich zu Dir. – Welch herrliches Leben wollen wir führen, ich will arbeiten – so arbeiten –« ruft Mozart am 29. September. Trotz der vielen Ungemütlichkeiten daheim fühlen beide sich nur wohl im eigenen Hause. Beide auch vermögen nur zu schaffen, wenn sie von der drückenden Sorge um den Alltag befreit sind, und so handelt es sich für beide darum, jemanden zu finden, der ihnen durch ein größeres Darlehen die freie Bewegung verschafft, damit sie jene Werke schaffen können, an deren späterem Gewinn sich diese Nothelfer dann schadlos halten mochten.

Von dem finanziellen Genie, mit dem Wagner sich immer wieder aus allen Nöten herauszuhelfen wußte, besaß Mozart allerdings nichts. So war es ihm auch nicht gelungen, mit Hilfe seiner Freunde ein ausreichendes Darlehen aufzubringen, und er scheint zu Wucherern die Zuflucht genommen zu haben, die ihm auf das Konto des Verlegers Hoffmeister zweitausend Gulden vorstrecken sollten, »die Hälfte in bar und den Rest in Tuch«. Er machte sich über die Schuld bei Hoffmeister weniger Sorgen, weil er diese durch Kompositionen abtragen konnte. Dieser Plan, über den fast alle Briefe von der Frankfurter Reise Andeutungen enthalten, scheint aber ebensowenig zustande gekommen zu sein wie ein anderes geheimnisvolles Geschäft, das im nächsten Sommer im Briefwechsel der Ehegatten einen breiten Raum beansprucht. Geschäftlich gelang jetzt überhaupt nichts mehr. Auch die Reise nach Frankfurt war nur ein unnützes Opfer. Freilich wurde er verehrt und man wollte ihn überall haben, aber »es ist alles Prahlerei, was man von den Reichsstädten macht – berühmt, bewundert und geliebt bin ich hier gewiß, übrigens sind die Leute aber hier noch mehr Pfennigfuchser als in Wien«. (8. Oktober.) In der Tat ist auch seine Akademie am 15. Oktober »von seiten der Ehre herrlich, aber in betreff des Geldes mager« ausgefallen. Aber Offenbach, Mainz, Mannheim und München, wo er mit den alten Freunden einige schöne Tage verlebte, ist er langsam zur Heimat zurückgereist, wo er gegen Mitte November ankam. Hier stand ihm bald der Abschied von Haydn bevor, den Salomon unter glänzenden Bedingungen nach London holte. Auch mit Mozart schloß der Londoner Konzertunternehmer einen Vertrag, daß er nach Haydns Rückkehr nach London kommen solle. Der Tod hat das verhindert.

Wir treten nun in Mozarts letztes Lebensjahr. In diesem hat er eine Tätigkeit entfaltet wie nie zuvor. Vom Dezember 1790 ab, in dem er in seinem Verzeichnis das Quintett in D-dur anmerkt, bis Mitte Juni 1791 finden wir aufgezählt: drei Stücke für ein Orgelwerk in einer Uhr, das Klavierkonzert B-dur, drei deutsche Lieder, eine große Zahl von Tänzen für die Redoutenbälle, eine Baßarie, Klaviervariationen über das Lied »Ein Weib ist das herrlichste Ding«, das Quintett in Es-dur, Arbeiten für eine Oper von Sarti, ein Adagio für Harmonika, Violoncello und Blasinstrument, und das Ave verum corpus. Dieser wunderschöne kurze Chorsatz, gleich ausgezeichnet durch den Ausdruck kindlicher Hingabe und wundervollen Klang, entstand am 17. Juni in Baden für den dortigen Chorleiter Stoll als eine Art Gegenleistung für die vielen kleinen Gefälligkeiten, die er dem Mozartischen Ehepaare erwies. Denn auch in diesem Sommer mußte Frau Konstanze die Bäder in Baden benutzen, da sie bei vorgerückter Schwangerschaft sehr litt. Für Mozart entstand dadurch ein unruhiges Hin und Her zwischen Baden und Wien; die geordnete Häuslichkeit fehlte ihm sehr. Erst am 11. Juli konnte er die Seinigen wieder nach Wien holen, wo am 26. sein Sohn Wolfgang Amadeus geboren wurde.

In den Briefen dieses Sommers an die Frau kehren häufig Bemerkungen wieder über die Oper, an der er arbeite, es begegnet uns öfter der Name Schikaneder. Mozart arbeitete seit dem März mit diesem Schikaneder gemeinsam an einer neuen deutschen Oper, der »Zauberflöte«.

Emanuel Schikaneder (1751 – 1812)

wirkt selber wie eine tolle Phantasiegestalt E.T.A. Hoffmanns. Aus denkbar armen Verhältnissen stammend, hatte er von den Knabenjahren an als herumziehender Musikant sich durchgeschlagen, kam als Jüngling zu einem wandernden Schmierentheater, arbeitete sich hier bald herauf, so daß er Direktor wurde, und hat weithin von seinen Taten reden gemacht. Erfinderische Klugheit und barbarische Geschmacklosigkeit verbrauen sich in seinen Werken zu einer Theatralik, der die Wirkung aufs breite Publikum oberstes Gesetz ist. Unter den Mitteln, diese Wirkung zu erreichen, stehen neben dramaturgischen Genieblitzen wahnwitzige Ausgeburten eines mit den niedrigen Instinkten der Menge rechnenden Gehirns. Vor zehn Jahren bereits hatte Schikaneder Mozarts Lebensweg gekreuzt, als er mit einer wandernden Truppe in Salzburg Vorstellungen gab und den jungen Musiker aufforderte, ihm zu dem Geblerschen Schauspiele »Thamos König in Ägypten« die Musik zu schreiben (S. 263 f.). Nach weiten Wanderfahrten, auf denen er den Wechsel des Glücks mannigfach erfahren hatte, kam er Anfang 1789 nach Wien, wo er vom 1. April ab mit seiner Frau die Direktion des Theaters im »Freihause auf der Wieden« übernahm.

In Wien war, wie wir erfahren haben, nach dem raschen Aufblühen des deutschen Singspiels die italienische Oper wieder zu unumschränkter Herrschaft gelangt. Das Volk aber verlangte wenigstens nach einem deutschen Schauspiel, und so hatte seit 1781 im Leopoldstädtischen Theater Karl Marinelli eine sehr erfolgreiche Tätigkeit begonnen. Neben Kasperliaden, in denen die alte Hanswurstkomödie weitergebildet wurde, standen große Ausstattungsstücke, die mit den hoch gesteigerten Leistungen der damaligen Theatermaschinerie arbeiteten, außerdem Zauber- und Märchenwerke. Die Theaterdichter Hensler und Perinet griffen jeden Stoff auf, der sich irgendwo bot, und wußten mit Phantastik und echtem Volkshumor auch die abgebrauchtesten Verwicklungen immer wieder zu neuer Wirkung zu bringen. Seit 1786 wurden sie vom Kapellmeister Wenzel Müller aufs erfolgreichste unterstützt. Dieser traf mit seiner leichten, sinnfälligen Musik den breiten Volksgeschmack, und es entwickelte sich hier eine echt wienerische Volksdramatik.

Schikaneder nahm nun die Konkurrenz gegen das Leopoldstädtische Theater auf, gewann mit seinen phantastischen Ritterstücken und zahlreichen Lustspielen und Possen bald großen Anhang und warf sich nun auch auf das Gebiet der Märchen- und Zauberoper. Er hat in Wien, das wollen wir vorwegnehmen, zeitweilig ungeheure Erfolge gewonnen, die er durch immer phantastischere Ausstattungen noch zu steigern suchte, ist auf der anderen Seite bald zu einer von der Kritik fast sprichwörtlich verhöhnten Gestalt geworden und schließlich finanziell zusammengebrochen, so daß er in der Armut starb, aus der er hervorgegangen war.

Heute lebt Schikaneders Name durch seine Verbindung mit Mozarts Zauberflöte. Andererseits hat gerade diese Verbindung seinen Namen allzusehr mit Schmach belastet. Der Text der Zauberflöte sollte ein Plagiat sein, an Mozart sollte er durch schweren Betrug und gewissenlose Ausnutzung sich versündigt haben. In einem gewissen Sinne bleibt das letztere wahr. Sicher hat Schikaneder den bereits kränkelnden Mann zur Arbeit gehetzt, und die Mittel, die er anwandte, Mozart bei Schaffenslaune zu halten – überlustige Gesellschaft mit nicht immer zweifelsfreien Leuten und üppige Gelage – haben nicht nur den Verfall der Gesundheit Mozarts beschleunigt, sondern am meisten dazu beigetragen, daß die verleumderischen Gerüchte über Mozarts üblen Lebenswandel so lange sich zu halten vermochten. Daß Schikaneder selbst ein Lebemann, ja ein Wüstling war, ist kaum zu bestreiten, aber die schwersten Vorwürfe, die man gegen seine Verbindung mit Mozart erhoben hat, bestehen zu Anrecht. Das hat Dr. Egon von Komorzynski in seiner außerordentlich fleißigen Studie »Emanuel Schikaneder, ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Theaters« (Berlin 1891) unwiderleglich nachgewiesen. Durch seine eingehende Beschäftigung mit Schikaneders Werken und Aufführungen ist der genannte Gelehrte auch zu einer anderen literaturgeschichtlichen Einschätzung des viel Geschmähten gelangt. »Schikaneder erscheint als ein unentbehrlicher Faktor für die Entwicklung des Wiener Volkstheaters. Die populäre Wiener Dramatik, die sich aus den extemporierten Stücken Kurz-Bernardons und seiner Genossen entwickelte, und deren erster Vertreter Hafner gewesen ist, hat durch Schikaneder eine erhebliche Weiterentwicklung erfahren. Seine Dramen haben mehr noch als jene seiner Konkurrenten Hensler und Perinet die spätere Produktion beeinflußt; seine Zauberopern sowohl als auch seine Volksstücke bilden eine wichtige Vorstufe für Raimunds herrliche Dichtungen, und auch Grillparzer, dessen Schaffen in der Wiener Volksdramatik wurzelt, lehnt sich mehrfach an Schikaneder an. Allein Schikaneders Einfluß überschritt die lokalen Grenzen weit. Seine Vorliebe für prächtige Massenszenen und für dekorativen Prunk machte ihn den Zeitgenossen zum typischen Vertreter des Ausstattungsstücks, und so kommt es, daß wir die Anlehnung an ihn bis hinauf zu Goethes zweitem Teil des ›Faust‹ verfolgen können. Durch die ›Zauberflöte‹ endlich ist Schikaneder – freilich ohne sein Verdienst – für die weitere Entwicklung der deutschen Oper höchst bedeutend geworden. Zu dieser literarischen Nachwirkung kommen ferner die Verdienste, die sich Schikaneder um das Wiener Theaterwesen, durch welches das übrige Deutschland sehr beeinflußt wurde, erworben hat. Er hat in seinem kleinen Freihaustheater die deutsche Oper gepflegt und gefördert, während im Hoftheater stolz und breit die Italiener residierten, und er hat durch die Begründung des Theaters an der Wien im Jahre 1801 der Hauptstadt eine für die damalige Zeit an Vollkommenheit einzige Bühne geschenkt.« (A. a. O. S. VII.)

Die Freundschaft mit Mozart wurde bald nach Schikaneders Eintreffen in Wien erneuert. Beide gehörten der gleichen Freimaurerloge »Zur gekrönten Hoffnung im Orient« an. Mozarts Schwägerin, Frau Hofer, wurde Sängerin bei Schikaneder, und Mozart hatte schon 1790 eine Arie für den in diesem Theater aufgeführten »Stein der Weisen« komponiert. Die Entstehungsgeschichte der

Zauberflöte

wurde in den bisherigen Mozartwerken folgendermaßen erzählt: Schikaneder habe sich Anfang 1791 durch den großen Aufwand für einige Ausstattungsstücke in arger Klemme befunden und habe Mozart am 7. März inständig gebeten, ihm wieder aufzuhelfen. Er habe einen vorzüglichen Stoff zu einer glänzenden Zauberoper in dem Märchen »Lulu oder die Zauberflöte« des dritten Bandes von Wielands »Dschinnistan« gefunden. Natürlich muß auch hier die Weibergeschichte, die in keinem Abschnitt von Mozarts Leben fehlen darf, mithelfen. Was Mozarts stets wache Liebe zur Oper und stete Hilfsbereitschaft nicht vermochten, sei durch die Fürbitte der schönen Schauspielerin Gerl vollendet worden. Er habe zugesagt: »Wenn wir ein Malheur haben, so kann ich nichts dazu, denn eine Zauberoper habe ich noch nicht komponiert.« Schikaneder habe ihn gleich beim Worte genommen, und um der fleißigen Arbeit sicherer zu sein, ihm den kleinen Gartenpavillon dicht beim Theater eingeräumt. Es war dadurch auch die Möglichkeit eines steten Zusammenarbeitens geboten, wobei Schikaneder vor allen Dingen auf rechte Volkstümlichkeit einzelner Lieder gedrungen habe. Sein Einfluß bei den einzelnen Melodien wird da verschiedenartig angegeben. Wir wissen ja von früher, daß Mozart gern auf Wünsche der Ausführenden einging und dank seiner einzigartigen Formbeherrschung imstande war, auch für recht merkwürdige Wünsche einen künstlerischen Ausdruck zu finden. Außerdem sei Schikaneder bemüht gewesen, durch häufige Geselligkeit Mozart munter und bei Laune zu halten. – Das war auch doppelt nötig, da, wie wir aus dem Briefwechsel wissen, Mozart in dieser Zeit durch die Abwesenheit seiner kranken Frau in Baden sich recht trübe gefühlt hat. Aber dieselben Briefe bestätigen auch, daß die Aufmunterung nicht so weit gelang, ihn auch nur einen Augenblick zum Vergessen seiner Frau zu bringen. Vielmehr wuchs offenbar gerade in dem vielfachen Trubel seine Sehnsucht nach der ruhigen Häuslichkeit.

Man sei in der ersten Arbeit, die sich getreu dem Märchen anschloß, bis zum Finale des ersten Aktes gekommen, als auf Marinellis Konkurrenztheater eine Dramatisierung desselben Märchens unter dem Titel »Caspar der Fagottist oder die Zauberzither« mit Musik des schnellfertigen Wenzel Müller erschienen sei und großen Zulauf gefunden habe. Dadurch sei Schikaneder gezwungen worden, seinem eigenen Werke eine andere Wendung zu geben. Er habe nun den Schluß ins Ernsthafte gewendet und die Gebräuche der Freimaurerei zu Hilfe genommen, um eine höhere Sensation zu bewirken. Dafür habe Schikaneder einen »Entwurf« seines Schauspielers Gieseke benutzt, den er beim Erfolg des Werkes als seine eigene Schöpfung ausgab. Gieseke habe darüber geschwiegen, weil er gefürchtet habe, des freimaurerischen Inhalts willen verfolgt zu werden.

Dieser letzte Grund ist von vornherein nicht stichhaltig, denn so gut wie Gieseke mußten doch auch Mozart und Schikaneder die Verfolgung fürchten. Aber auch der andere Grund für die Änderung hält nicht Stich, da es gar nichts Ungewöhnliches war, daß die beiden Konkurrenztheater dieselben Stücke brachten, weil sie sich so ja dann auch eher wechselseitig überbieten konnten. Da außerdem die ganze Erzählung mit Gieseke nur auf einer mündlich überlieferten Behauptung dieses in seinen übrigen Werken keineswegs bedeutenden Dichters beruht, braucht man sich daran auch nicht zu halten. Mir scheint, daß es Komorzynski vollkommen gelungen ist, die bis dahin recht dunkle Angelegenheit des Zauberflötentextes zu erklären. Ich benutze seine Darstellungen im folgenden und verbinde sie gleich mit der Inhaltsangabe des Werkes.

Vorauszuschicken sind einige einschlägige Bemerkungen aus der Wiener Theatergeschichte. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts hatte sich, anknüpfend an die Tätigkeit Stranitzkys und seiner Nachfolger, in Wien eine volkstümliche Dramatik entwickelt, in der man dem Schaubedürfnis der Menge möglichst entgegenkam. In diesen Maschinenkomödien, in denen nur einige Arien von vornherein feststanden, der Dialog aber zumeist extemporiert wurde, behandelte man gern exotische und zauberhafte Stoffe. Der Gang der Handlung war immer der, daß ein Held bei fremden Völkern oder im Reiche eines Zauberers gräßliche Abenteuer erlebte; die Hauptperson aber war eigentlich der Hanswurst, Bernardon genannt, der den Helden auf seinen Fahrten begleitete. 1781 war, wie schon erwähnt, mit Marinellis Gründung des Leopoldstädtischen Theaters der Hanswurst unter dem Namen Kasperl wieder aufgelebt. Mit ihm bearbeitete man die früheren Hanswurstiaden neu und übernahm als Form des Ganzen die des gewöhnlichen deutschen Singspiels, also Dialog mit eingestreuten Gesangstücken. Stofflich entwickelten sich hauptsächlich zwei Gruppen, die man als exotische Prunkoper und als Zauberoper bezeichnen kann. In der ersten fehlt das Zauberelement. Hier wird ein Europäer in ferne Lande geführt und gewinnt dort die Liebe einer Eingeborenen. In der Regel sind es die Priester, die die Liebenden strafen wollen. Dennoch triumphiert auf irgendwelchen Wegen das Liebespaar. Diese Gattung Opern bot zwei Arten großer Schaustellung in der exotischen Landschaft und den großen Tempelszenen. In der Zauberoper waltete die Phantasie des Maschinisten noch uneingeschränkter. Hier erringt der Held, der irgendwie selber mit Zaubergaben ausgestattet ist, die von Zauberern gefangen gehaltene Geliebte. Die Entwicklung der Zauberkräfte bot zu großem Aufwand und allerlei unterhaltenden Bühneneffekten reiche Gelegenheit. Auch die italienische Oper hatte seit etwa 1750 die Märchenwelt in ihren Kreis gezogen und die Gelegenheit zu großer Prachtentfaltung ausgenutzt.

Das Leopoldstädtische Theater hatte mit diesen Stücken großen Erfolg. Es ist leicht begreiflich, daß der geschäftskundige Schikaneder hier einsetzte. So führte er denn auch bereits im September 1790 seine erste Zauberoper auf: »Der Stein der Weisen.« Die Stoffquelle hatte er in Wielands Märchensammlung »Dschinnistan« gefunden. Schon diese Oper enthält eine Feuer- und eine Wasserprobe. Es gab darin einen bösen und einen guten Genius, ein unschuldiges, zärtliches Liebespaar, dem eine Masse Hindernisse sich entgegentürmen, einen lustigen Naturmenschen mit einem entsprechenden Weibchen. Schikaneder entfaltete auch hier sein Geschick, alles mögliche, was sich irgendwo bewährt hatte, noch in das Werk hineinzuziehen. Wir haben schon erwähnt, daß Mozart bereits bei diesem Werke mit Schikaneder in neuer Verbindung erscheint, indem er eine Musiknummer als Einlage dafür komponiert hatte.

Es ist kaum möglich, daß schlechte äußere Verhältnisse Schikaneder bewogen haben können, Mozart eine Zauberoper vorzuschlagen, denn er hatte bis dahin sehr gute Geschäfte gemacht. Vielmehr wird es gerade der Erfolg des »Steins der Weisen« gewesen sein, der ihn ermunterte, eine Zauberoper mit noch viel größerer Prachtentfaltung zu schaffen. Außerdem bot die dreibändige, in den Jahren 1786–1789 erschienene Sammlung »Dschinnistan« eine Fülle von Stoff. Der Grundcharakter zahlreicher dieser Märchen liegt darin, daß ein Liebespaar durch zeitweiliges Entsagen und Verzichten zu um so dauernderem Genusse gelangt. Ein Jüngling verliebt sich gewöhnlich durch den Anblick eines Bildes, einer Statue in das darin dargestellte Weib und begibt sich auf die Suche nach ihr. Die Geisterwelt teilt sich in gute und schlechte Geister; die ersteren stehen dem Jüngling bei, die anderen legen ihm allerlei Gefahren in den Weg. Es ist dann nicht eigentlich der Mut, der dem Liebhaber zum Siege verhilft, sondern seine Beharrlichkeit und Treue. Schon in diesen Märchen tritt als operngemäß hervor: einerseits die Pracht der geschilderten Geisterwelt oder des Orients, andererseits der durchaus lyrische Ausdruck der Empfindungen des Liebespaares.

Schikaneder, dem seines Logenbruders Mozart schlechte Verhältnisse nicht verborgen sein konnten, mochte sich sagen, daß er in diesem für die Musik eine Zugkraft besitze, die der des Komponisten seines Konkurrenztheaters, jenes Wenzel Müller, wohl die Stange halten könne, und machte daraufhin Mozart den Vorschlag zu einer derartigen Arbeit. Schikaneder machte es dabei wie die anderen Dichter und nahm das »Gute«, wo er es auch fand. Der bei ihm beschäftigte Schauspieler Karl Ludwig Gieseke hatte eine Zauberoper »Oberen, König der Elfen« geschaffen, die er vermutlich zu Anfang des Jahres 1791 Schikaneder eingereicht hat. Jedenfalls ist sie am 28. Juli mit Musik von Wranitzky in Szene gegangen. Dieses Stück behandelte roh die Oberon-Sage, die damals durch Wielands Dichtung in aller Munde war. Der junge Ritter hat von Oberon das Zauberhorn erhalten, das ihn vor allen Gefahren schützt. Mit seiner Hilfe entführt er die holde Amande aus der Macht des Sultans. Auch sein Knappe Scherasmin findet im fremden Lande in Fatme eine ihm entsprechende drollige Geliebte. Damit verband nun Schikaneder das Märchen »Lulu«. Hier kommt Lulu, der Sohn des Königs von Korasan, auf einer Jagd in die Nähe eines alten Zauberschlosses, das von der strahlenden Fee bewohnt wird. Diese erscheint plötzlich dem Jüngling in vollem Glanze und verspricht ihm hohen Lohn, wenn er nach ihren Befehlen handeln wolle. Sie enthüllt ihm, daß ein böser Zauberer ihr den vergoldeten Feuerstrahl entwendet habe, dem alle Geister der Welt gehorchen müssen, so daß jeder damit geschlagene Funke zu einem dienstbaren Geiste werde. Nur ein Jüngling, dessen reines Herz die Macht der Liebe noch nicht empfunden habe, könne den Talisman durch List wiedergewinnen. Es sei Lulus Aufgabe. Sie verspricht ihm als Belohnung ihre schöne Tochter Sidi, die in desselben Zauberers Gewalt sei und nur dank ihrer Herzensreinheit die Kraft besitze, den ungestümen Werbungen desselben standzuhalten. Die Fee gibt Lulu, der sich zu dem Abenteuer bereit erklärt, eine Flöte, die jedes Hörers Herz unwiderstehlich gewinnt, und einen Ring, durch dessen Umdrehen der Träger jede beliebige Gestalt annehmen kann. Wirft er ihn aber weg, so wird die Fee selber zur Hilfe erscheinen. So ausgerüstet, gelingt es Lulu, in der Gestalt eines Greises in die Felsenburg des Zauberers zu gelangen. Er gewinnt hier die Liebe des Mädchens, schläfert bei einem Gastmahl den Zauberer ein, bemächtigt sich des Feuerstrahles und wird mit dessen Hilfe und schließlich unter dem Beistand der herbeigerufenen Fee Sieger im Kampfe mit den Gewalten, die der wiedererwachte Zauberer ihm entgegenstellt. Der Zauberer wird in einen Uhu verwandelt, seine Felsenburg zerstört.

Auf der Grundlage dieses Märchens baute Schikaneder den Stoff seiner Zauberoper. Wie ganz natürlich, suchte er das Ganze möglichst zu bereichern, wozu ihm auch die Sammlung »Dschinnistan« selber manches an die Hand gab. Die Veränderung der Namen ist dabei das geringste. Wichtig scheint mir nur, daß für die strahlende Fee aus einem anderen Märchen die Bezeichnung als »nächtliche, sternflammende Königin der Nacht, die auf ihrem goldenen Throne sitzt, undurchdringlich verschleiert, umgeben von ihren fackeltragenden Damen«, gewählt wurde. Der böse Zauberer, der ihr gleichzeitig mit ihrem mächtigen Sonnenkreis die Tochter geraubt hat, wird hier zu einem lüsternen Mohren Monostatos. Der Held erhält, wie im Oberon, einen lustigen Begleiter und wird durch ein Bildnis für die geraubte Schöne in Flammen gesetzt. Auch die drei weisen Knaben, die ihn auf der Reise begleiten, finden sich in anderen Märchen. Die Zauberflöte entsprach dann gewissermaßen Oberons Horn, und auch der Knappe bekam ein Zaubermittel, das Glockenspiel. Der Inhalt des ersten Entwurfs wird also folgende Gestalt gehabt haben: Der zauberkräftige Mohr Monostatos hat der sternflammenden Königin der Nacht Tochter und Kleinod geraubt. Die Königin begeistert den Prinzen Tamino zur Rettung ihrer Tochter, deren Bildnis ihn zur Liebe entstammt, gibt ihm die Zauberflöte, dem ihn begleitenden Vogelfänger – auch dieser hat in den Wiener Hanswurstiaden eine lange Ahnenreihe – ein Glockenspiel. Die Entführung der Tochter wird durch den Mohren mit seinen Sklaven vereitelt, die Vereinigung der Liebenden aber doch durch die Hilfe der Zauberinstrumente erreicht. Der Zauberer sucht nun durch seine Mächte das Liebespaar zu bekämpfen, das alle Prüfungen überwindet und schließlich mit Hilfe der herbeigeeilten Königin der Nacht den Zauberer vernichtet.

Mozart hat seine Oper im Juli 1791 als im wesentlichen vollendet in sein Verzeichnis eingetragen. Jenes Stück des konkurrierenden Leopoldstädtischen Theaters, »Caspar der Fagottist«, das sich als eine in der Handlung fast sklavische Bearbeitung des Lulu-Märchens darstellt, ist am 8. Juni aufgeführt worden. Es liegt also eine sehr kurze Zeit zwischen dieser Aufführung und der Vollendung der Oper in ihrer endgültigen Gestalt. Es ist schon bemerkt worden, daß die Gleichheit des Stoffes kein Hindernis für die Vollendung des Werkes zu sein brauchte, denn schließlich waren alle diese Zauberopern nach einem Schema gearbeitet und unterschieden sich im wesentlichen nur durch die Namen und die Art der Abenteuer. Die letzteren aber sind doch wesentlich Sache des Maschinisten und hätten keine tief eingreifende Veränderung des Ganzen herbeizuführen brauchen. Es mag sein, daß die Aufführung der Oper im Konkurrenztheater den letzten Anstoß zur Umarbeitung gegeben hat, vor allen Dingen bei Schikaneder. Wir werden im einzelnen wohl niemals darüber Auskunft erhalten, was die Freunde bei ihrer in täglichem Verkehr betriebenen Arbeit endgültig zur Änderung veranlaßt hat. Aber wenn wir bedenken, wie Mozart seinerzeit den Stoff der »Entführung aus dem Serail« dramatisch beeinflußte, wie er in »Figaros Hochzeit« sich als hervorragender Dramatiker erwies, wie er im »Don Juan« das tiefe Problem erfaßte, so ist doch ganz sicher, daß er sich hier, wo ihm ein Freund den Stoff anbot, wo keinerlei höfische Rücksichten mitwirkten, noch mehr das Recht der Kritik an dem Stoff, der Gegenvorschläge für die Arbeit gewahrt hat. Und wenn wir nun bedenken, wie Mozarts gesamte Tätigkeit seinen Operntexten gegenüber immer eine Vertiefung des Problems herbeigeführt hatte, so liegt doch der Gedanke nicht fern, daß er auch in diesem Fall von vornherein danach getrachtet hat, diesem reichlich einfältigen und abgedroschenen Zauberopernstoffe tiefere Seiten abzugewinnen. Ich sehe mit voller Überzeugung als treibende Kraft in der Umänderung des Ganzen Mozart, dessen Wünsche und Drängen gegenüber Schikaneder dann durch die Tatsache unterstützt wurden, daß das Konkurrenztheater in der Bearbeitung des Märchens zuvorgekommen war.

Es ist nun nicht schwer, aus der ganzen Stoffwelt, in der sie sich bewegten, die Keime herauszuschälen, aus denen das neue Werk geworden ist. Manchmal sind es ja Kleinigkeiten, die den Ausschlag geben. Es ist bereits oben gesagt, daß in diesen Opern sehr oft die Geister sich in zwei Welten scheiden, in die gute und die böse. Nun gehört die Fee im Lulumärchen zu den guten Geistern, aber – vermutlich durch den glänzenden Namen gepackt – hatte Schikaneder sie Königin der Nacht genannt, also als die Beherrscherin des dunklen Reiches. Da lag doch der Gedanke nahe, diesem Reiche der Nacht das Reich des Lichtes gegenüberzustellen. Es war im Jahre vorher in Wien am Leopoldstädtischen Theater unter großem Beifall »Das Sonnenfest der Brahminen« gegeben worden, zu dem Kotzebues Schauspiel »Die Sonnenjungfrau« den Stoff gegeben hat. Hier hatte sich ein junger Engländer in ein Indianermädchen verliebt, war mit ihr von den Priestern gefangengenommen worden, soll geopfert werden und wird schließlich durch einen Zufall gerettet. Natürlich fehlt die komische Person nicht; es ist hier ein Gärtner mit seinem lustigen Weibchen. Aber der Erfolg des Werkes hatte natürlich auf der glänzenden Entfaltung der Tempelszenen und Priesteraufzüge beruht. Und nun wollen wir uns erinnern, daß Mozart zehn Jahre zuvor für Schikaneder die Musik zu »König Thamos« geschrieben hatte. Wir haben früher ausgeführt, welch gewaltige Chöre Mozart in diesem Werke angebracht hat. Vergegenwärtigen wir uns kurz den Inhalt dieses Dramas, so finden wir darin zunächst als Schauplatz den Sonnentempel Heliopolis. In der Gestalt des Oberpriesters Sethos verbirgt sich der vorzeiten vertriebene König Menes. Im Tempel waltet die Jungfrau Tarsis. Sorgsam behütet der Oberpriester ihre Liebe. Ist sie doch, ohne es zu wissen, seine Tochter. Ihre Liebe aber gilt Thamos, dem Sohne jenes Empörers, der einst Menes (also Sethos) vom Throne vertrieben hat. Thamos soll nach seines Vaters Tode König werden. Aber sein Vertrauter Pheron, der selber Tharsis liebt und mit ihrer Hand den Königsthron gewinnen möchte, zettelt eine Verschwörung gegen Thamos an, wozu ihm Mirza, die Vorsteherin der Tempeljungfrauen, ein ränkesüchtiges, böses Weib, beisteht. Im Sonnentempel, als Thamos feierlich zum König bestätigt wird, soll die Verschwörung zum Ausbruch kommen. Aber der Oberpriester enthüllt rechtzeitig die Pläne, gibt sich als den einst vertriebenen König kund und vereint die Liebenden. Die böse Mirza ersticht sich selbst, Pheron wird von einem Blitze vernichtet.

Man sehe dieses Schauspiel, das doch den beiden Freunden, die einst an ihm gemeinsam gearbeitet hatten, ein vertrauter Gesprächsgegenstand sein mußte, an, und man wird eine Fülle von Keimen für die neue Handlung der »Zauberflöte« erkennen. Im Oberpriester und König steckt die Gestalt Sarastros. Wie Sethos hält dieser die Hand über das reine junge Weib (Tharsis = Pamina). Der Bösewicht Pheron giert nach der Hand des Weibes wie Monostatos. Vor allem aber bot das Werk die gewaltigen Tempelszenen und die große Entfaltung von Chören, in denen sich Mozart als Meister erwiesen hatte. Grund genug für Schikaneder, sich dieses Hilfsmittel für sein Werk zu sichern. Es bliebe dann nur zu erklären, weshalb Sarastro das Mädchen seiner Mutter entrissen hat. Natürlich mußte jetzt diese Mutter aus der guten Fee eine böse werden. Der Hohepriester des Lichttempels hat der Königin der Nacht ihre Tochter entführt, um diese vor den verderblichen Einflüssen der Mutter zu schützen. In dem Jüngling, der nach der Tochter auszieht, muß gleichzeitig das Verlangen nach Licht herrschen.

Wenn wir alle diese stofflichen Bestandteile zusammenhalten und bedenken, daß Mozart und Schikaneder eifrige Freimaurer waren, so wären schon genug Anlässe vorhanden, die die beiden auf den Gedanken bringen konnten, die freimaurerischen Gebräuche mit der Oper zu verbinden. Denn die Handlung war nun zu einer Aufnahme in einen Tempel mit seinen Mysterien geworden; dieser Tempel lag in Ägypten, von wo die Freimaurer ihre Zeremonien herleiteten. Nun kommt aber hinzu, daß die Quelle des Schauspiels »Thamos« – ein französischer Freimaurer-Roman »Sethos« von Terrasson (1731 erschienen, 1777 in deutscher Übersetzung) – sicher in der Bibliothek der Loge war. In ihm wird im dritten und vierten Buche erzählt, wie ein ägyptischer Priester in die Mysterien der Isis eingeführt wird. Er muß eine Feuer-, eine Wasserprobe und eine Probe mit einem rollenden Rad bestehen, dann folgen Fasten und Stillschweigen. An vielen Stellen enthält die Oper wörtliche Entlehnungen aus dem Roman, während dessen Handlung selbst keinen weiteren Einfluß übte. Da aber nach der damaligen Meinung die Mysterien der Ägypter mit denen der Freimaurerei sich deckten, war die ganze Entwicklung gegeben. Sarastro mußte nun das Oberhaupt der »Eingeweihten« werden; Tamino und sein Begleiter Papageno, nachher Tamino und seine Geliebte Pamina, mußten als Neulinge die Reise durch die Elemente machen, ehe sie in das Reich des Lichtes und der Wahrheit aufgenommen wurden. Es mußte aber gerade in dieser Zeit einem eifrigen Maurer noch besonders wertvoll sein, den Sieg der Maurerei über die Mächte der Finsternis darzustellen. Denn Leopold II. hatte scharfe Maßregeln gegen die Freimaurerei erlassen, Mozart aber hatte gewiß keinen Grund, dem Kaiser Leopold persönlich besonders gut gesinnt zu sein. Außerdem, was konnte ihm näherliegen, als den Sieg des »reinen Menschentums« zu verkünden. Endlich mußte auch dem Geschäftsmann Schikaneder einleuchten, daß die gerade durch die neuen Erlasse ein allgemeines Gesprächschema bildende Freimaurerei vom Theater aus eine besondere Zugkraft ausüben mußte. Für Mozart aber war sie Herzenssache. So fanden sich denn beide gern zusammen, den ganzen Hintergrund maurerisch auszugestalten, und der Redeweise wie den Zeremonien das Gepräge der Loge aufzudrücken.

Es ist nicht zu leugnen, daß wir Heutigen den Bruch im Werke immer schmerzhaft empfinden. Wir schenken zunächst unser Mitgefühl der Königin der Nacht, und die Musik unterstützt das noch, da für unsern Geschmack alle Koloratur in sich etwas Heiteres, Fröhliches hat. Aber jeder, der sich in den Zustand der beiden Freunde versetzt, wird es leicht begreifen, daß sie sich jene Gründe vorrückten, die sie berechtigten, am bereits Gearbeiteten möglichst wenig zu ändern. Und diese Gründe lagen nah. Wenn die nunmehr zur bösen Fee gewordene Königin der Nacht einen reinen Jüngling gewinnen will, um ihren Gegner zu töten und die von jenem bewachte Tochter in ihre Gewalt zurückzubringen, so muß sie dem Jüngling gegenüber schauspielern. Dieser muß dann später die Erklärung erhalten, daß er betrogen worden. Dazu dienten die drei Genien. Die Freunde konnten in dieser Auffassung durch die Tatsache unterstützt werden, daß ja auch der Freimaurerei alles Böse nachgesagt wurde, und es für diese einen um so höheren Triumph bedeuten mußte, wenn einer, der zur Bekämpfung dieser Welt auszog, nachher den Eintritt in dieselbe als höchstes Glück erkennen mußte. Freilich wäre es gut gewesen, wenn sie wenigstens die Gestalt des Monostatos gestrichen hätten, denn wie er in diese Lichtwelt hineingekommen, kann man sich nicht erklären.

Nach alledem hatte der Inhalt der »Zauberflöte« folgende Gestalt gewonnen. Der Prinz Tamino hat sich auf der Jagd in eine Felsengegend verirrt und wird von einer riesenhaften Schlange verfolgt. Außerstande, das Untier zu bekämpfen, ruft er um Hilfe und bricht in Erwartung des Todes ohnmächtig zusammen. Seinem Hilferufe sind drei schwarzgekleidete Damen gefolgt, die das Untier töten. Die Freude über ihren Sieg wird um so größer, als sie die Schönheit des von ihnen geretteten Jünglings bewundern. Sie beschließen, ihrer Fürstin Mitteilung zu machen und trennen sich nach einer halb eifersüchtigen, halb neckischen Szene nur widerwillig von dem schönen Schläfer. Als Tamino erwacht, sieht er einen merkwürdigen Menschen herantanzen, der ganz mit Federn bewachsen ist und ein riesiges Vogelbauer trägt. Es ist Papageno, der dem erstaunten Tamino verkündet, daß er sich im Reiche der Königin der Nacht befinde. Er ist ein guter Kerl, für den des Lebens höchstes Ziel neben reichlichem und gutem Essen und Trinken ein hübsches Weibchen darstellt; aber gern steckt er auch den Ruhm eines Helden ein und nimmt Taminos Dank für die Rettung von der Schlange würdevoll entgegen. Er wird aber rasch für seine Lüge bestraft. Die drei Damen nahen wieder, Papageno wohlbekannt, da er für das Schloß der Königin die Vögel liefert. Sie überreichen ihm aber als Entgelt für die Vögel diesmal statt des Weines Wasser, statt Brot einen Stein und hängen ihm außerdem ein Schloß vor den allzu schwatzhaften Mund. Nun beschränkt sich Papagenos Sprache auf ein »Hm«, für Schikaneder ein bereits erprobtes Wirkungsmittelchen, da er im »Stein der Weisen« einen dahin hatte verzaubern lassen, daß er bloß noch Miau singen konnte. Tamino aber überreichen sie das kleine Bildnis eines Mädchens. »Bezaubernd schön«, entflammt es den Jüngling zur Liebe. Da erscheint ihm die Königin der Nacht. Sie teilt ihm mit, daß dieses Mädchen Pamina sei, ihre Tochter, die ihr ein böser, mächtiger Dämon entrissen hat. Wenn er das Mädchen erlöst, soll dessen Hand seine Belohnung sein. Tamino ist entschlossen zur Tat, da nahen die Damen wieder und überreichen ihm eine Flöte, mit der er der Menschen Leidenschaft verwandeln kann. Papageno soll ihn begleiten. Nur ungern versteht er sich zu diesem Unternehmen, obwohl ihm die Damen ein zauberkräftiges Glockenspiel übergeben und seinen Mund von dem verhaßten Schloß befreien. Am den Weg brauchen sie nicht besorgt zu sein, denn »drei Knäbchen, schön, jung, hold und weise, umschweben euch auf eurer Reise«. – Auf der verwandelten Bühne zeigt uns die nächste Szene in einem reichen Gemache Pamina, die Tochter der Königin der Nacht, aufs heftigste gequält von den Liebesanträgen des häßlichen Mohren Monostatos. Da erscheint Papageno, vor dessen fremdartiger Erscheinung der Mohr zurückweicht. Papageno erkennt in der ohnmächtigen Pamina das Urbild des Bildnisses, nach dem sie suchen, und verkündet ihr, daß der sie heftig liebende Tamino zu ihrer Befreiung nahe. Beide wollen die Gelegenheit der Abwesenheit Sarastros auf einer Jagd zur Flucht benutzen.

Bis hier hatte Schikaneder das Lulumärchen beibehalten und unter starker Anlehnung an Giesekes »Oberon« bearbeitet. Hier liegt dann der Bruch in der Handlung und in den Charakteren, über den nicht hinwegzuhelfen ist. Aber eine wesentliche Verbesserung ließe sich doch anbringen, wenn man die drei Knaben jetzt zum erstenmal auftreten ließe, denn die schlimmste Verwicklung wird dadurch hervorgerufen, daß diese drei Genien zu Anfang im Dienste der Königin der Nacht zu stehen scheinen und nun sich als Helfer Sarastros entpuppen. Würde man im ersten Teil auf die Frage Taminos nach dem Weg zu dem Schlosse irgend eine weniger bestimmte Antwort einfügen, etwa, daß die Königin der Nacht dafür sorgen werde, so könnte es an dieser Stelle nicht überraschen, wenn der weise Sarastro, durch seine Geister von dem Nahen eines reinen Jünglings benachrichtigt, diesem seine Diener entgegenschickt, um ihn den rechten Weg zu führen. Es wäre dann auch ganz natürlich, daß Tamino in diesem Augenblicke die notwendige Aufklärung darüber erhielte, daß er sich über den Charakter der Königin der Nacht in einer Täuschung befindet. Denn die Bühne verwandelt sich jetzt wieder in einen Hain, in dem wir Tamino mit den drei Knaben gewahren, die ihn hierher gebracht haben. Wir fühlen es aus der Musik heraus, daß wir auf heiligem Boden stehen. Das bezeugen auch die drei Tempel in diesem Haine: der im Hintergrunde ist der Weisheit, der links der Natur, der rechts der Vernunft geweiht. Tamino ist seltsam ergriffen, im Reiche eines bösen Zauberers solch weihevolle Stätte zu sehen, aber die Knaben verweigern ihm jede Auskunft und verschwinden mit der Mahnung: »Sei standhaft, duldsam und verschwiegen!« Da er seiner guten Absicht und der Reinheit seiner Gesinnung sich bewußt ist, sucht er erst rechts und dann links den Eingang in den Tempel. Aus beiden dröhnt ein gewaltiges »Zurück!« Aus des dritten Tempels Pforte aber tritt ihm ein Priester entgegen, der ihm kündet, daß Sarastro kein Tyrann, kein böser Zauberer, sondern der Hort edler Weisheit sei. Tamino habe sich täuschen lassen, als er darin einem Weibe Glauben schenkte. Alles werde ihm klar werden, »sobald ihn der Freundschaft Hand ins Heiligtum zum ew'gen Band führt«. Unsichtbare Stimmen vergewissern ihn noch, daß Pamina lebe, daß sein Auge das Licht bald oder niemals finden werde. Da hört er die Stimme seines Papageno. Er will ihm entgegeneilen und lockt ihn mit der Flöte, verfehlt aber den Weg, so daß nun Papageno mit Pamina allein den Platz betritt. Da stürzt Monostatos mit den Sklaven den Fliehenden nach. In höchster Not greift Papageno nach seinem Glockenspiel, dessen Töne alle in rasendes Tanzen versetzen. Nun wären die Flüchtlinge gerettet, verkündeten nicht gewaltige Posaunenklänge das Nahen Sarastros. Pamina sinkt dem Gewaltigen zu Füßen und gibt als Grund ihrer Flucht die Liebesanträge seines Mohren an. Sarastro durchschaut ihr Herz besser, aber er läßt weder ihre andere Liebe noch die Berufung auf die Mutter gelten. Er hält es für notwendig, selbst ihr Herz zu lenken, darum bleibt er dabei: »Zur Liebe kann ich dich nicht zwingen, doch gebe ich dir die Freiheit nicht.« In diesem Augenblick schleppt Monostatos Tamino herbei, den er im Hain gefangen, erhält aber zu seiner schmerzlichen Überraschung statt der erhofften Belohnung eine Tracht Prügel. Tamino und Pamina sinken sich auf den ersten Blick in die Arme. Sarastro beschließt, die beiden Fremdlinge der Prüfung zu unterziehen, ob sie des hohen Glückes würdig seien. Tamino und Papageno werden also mit Tüchern verhüllt und in den Prüfungstempel eingeführt. Ohne daß es ausdrücklich gesagt ist, ahnen wir, was später deutlich verkündet wird, daß die Erlangung der wahren Weisheit und der Hand Paminas für Tamino der Lohn der gut bestandenen Prüfung sein wird. Damit schließt der erste Akt. Der zweite ist nun ganz in Freimaurerzeremoniell gekleidet und kann in seinen Wechselreden nur dem »Eingeweihten« voll klar sein. Es sind denn auch zahlreiche Deutungsversuche vorhanden, die sicher in die recht phrasenhaften Worte Schikaneders viel zu viel hineingeheimnißt haben. Aber Mozarts Musik ist von einer so wunderbaren Weihe und Milde, von einem so völlig gefangennehmenden Dunkel der Stimmung, daß der Nichteingeweihte vielleicht den höchsten Genuß erhält, indem ihm das Gefühl immer stärker wird, daß hier heilige, entscheidende Vorgänge von tiefster Bedeutung sich abspielen. Er gewinnt die Einstellung zu den Vorgängen, die Berthold Auerbach wünscht: »Auf dieser Höhe muß alle Handlung, die vor uns sich darstellt, nur noch allegorisch sein, und das Kindliche, ja das Kindische des Textes ist nur naturnotwendig. Nur überreizte und überhetzte Menschen können das langweilig und geschmacklos nennen.«

Sarastro enthüllt zunächst im Palmenhaine seinen versammelten Priestern die Pläne, die ihn von Anfang an geleitet haben. Aus hoher Bestimmung heraus sei dem edlen Jüngling Tamino Pamina zum Weibe bestimmt. Andererseits sei es seine Pflicht gewesen, diesen edlen Menschen für den Tempel der Erkenntnis zu gewinnen. So habe er Pamina ihrer verderberischen Mutter, der Schutzherrin aller Finsternis und des Aberglaubens, geraubt und habe sie in seinen Tempel genommen, da er nur auf diese Weise Tamino hierher bringen konnte. Er gibt der Hoffnung Ausdruck, daß das Paar die Prüfungen bestehen und des Eintritts in den Tempel des Lichts sich würdig erweisen werde. – Eine Reihe von Szenen führt uns diese Prüfung vor, die Tamino mit Hilfe seiner Zauberflöte, gestärkt durch seine reinen Absichten, zuletzt in Gemeinschaft mit Pamina besteht. Denn der ganz erdenhafte Papageno kommt nicht so weit. Er erhält aber wenigstens ein ihm entsprechendes Weibchen, Papagena, mit der er in seiner Art glücklich werden wird. Das junge Paar aber wird reif zum Eintritt in den Tempel des Lichts und zum reinen Genusse seines Glückes. –

Die Arbeit an der Zauberflöte, die Mozart Mitte Juli in den Umrissen vollendet hatte, wurde vollständig unterbrochen durch die Mitte August unternommene eilige Schöpfung der Festoper » La Clemenza di Tito«. Wir haben schon gehört, mit welcher Mühe der kränkelnde Meister sich diese gewaltige Arbeitsleistung abgewann, wie der geringe Erfolg seinen ungünstigen Zustand noch verschlimmerte. Als er gegen Mitte September nach Wien zurückkehrte, galt es die angestrengteste Tätigkeit, um die Zauberflöte am 30. September 1791 herauszubringen. Mozart dirigierte diese Aufführung selbst, »aus Hochachtung für ein geladenes und verehrungswürdiges Publikum und aus Freundschaft gegen den Verfasser des Stückes«, wie der Theaterzettel besagt. Der Erfolg entsprach zu Mozarts schmerzlichster Überraschung zunächst nicht den Erwartungen, nahm aber von Tag zu Tag zu, so daß bereits die Briefe, die Mozart zu Anfang Oktober an seine wieder in Baden weilende Frau schrieb, sehr zuversichtlich lauten: »Was mich aber am meisten freut, ist der stille Beifall! Man sieht recht, wie sehr und immer mehr diese Oper steigt.« (7. Oktober.) Das Publikum mußte sich eben erst an diese neue Welt gewöhnen; viele wollten zunächst nur das prunkvolle Ausstattungsstück sehen und konnten vor allen Dingen den Ernst des zweiten Aktes nicht begreifen. Aber die Gewöhnung geschah rasch; selbst die in Wien ansässigen Italiener konnten sich der Bewunderung dieses Werkes nicht verschließen. Mozart berichtet, wie Salieri eingestand, das sei ein Werk, »würdig, bei der größten Festivität, vor dem größten Monarchen aufzuführen – er würde sie gewiß sehr oft sehen, denn er hätte noch kein schöneres und angenehmeres Spektakel gesehen ... Von der Sinfonie (d. i. Ouvertüre) bis zum letzten Chor war kein Stück, welches ihm nicht ein Bravo oder Bello ablockte«.

Schikaneder betrieb den Erfolg durch rasche Wiederholungen und erreichte, daß die Zauberflöte eine bis dahin unerhörte Zugkraft ausübte, wurde sie doch im Oktober 24 mal aufgeführt. Und wenig mehr als ein Jahr später konnte Schikaneder die 100. Aufführung ankündigen. Diesen Erfolg hat freilich Mozart nicht mehr erlebt. Schikaneder ist oft beschuldigt worden, Mozart übervorteilt zu haben. Er habe ein Vermögen erworben, während der eigentliche Schöpfer leer ausging. Es ist heute schwer festzustellen, wie weit diese Vorwürfe berechtigt sind. Wir wissen ja auch von den früheren Opern, daß der Komponist in der Regel mit einer einmaligen Honorierung abgefunden wurde. Daß Schikaneder vor allem durch den Verkauf der Partitur noch außerhalb sehr viel verdient habe, trifft wenigstens für die erste Zeit nicht zu, denn die Oper verbreitete sich zunächst nicht rasch. In Prag freilich wurde sie bereits ein Jahr später aufgeführt. Im Jahre darauf folgte Frankfurt, in Berlin kam sie am 12. Mai 1794 in glänzendster Ausstattung mit einem so riesigen Erfolg zur Aufführung, daß dadurch das Übergewicht der deutschen Oper über die italienische entschieden wurde. Das Werk war nun so volkstümlich, daß man überall die Musik hören wollte, was sich am besten in einigen Eigentümlichkeiten ausspricht, so wenn die italienische Operngesellschaft in Dresden diese urdeutsche »Zauberflöte« 1794 in italienischer Bearbeitung vorführte, die sich bis 1818 halten konnte, wo endlich K. M. von Weber dem Anfug ein Ende machte.

In Deutschland verdammte man Schikaneders Text fast allgemein und entschied sich zumeist für eine Bearbeitung von Goethes späterem Schwager Vulpius, der versucht hatte, die Handlung »vernünftiger« zu machen. Für die Dichtung ist dabei nichts gewonnen worden. Goethe selber erkannte auch die Werte der Dichtung an, die zwar »voller Unwahrscheinlichkeiten und Spässe sei, die nicht jeder zurechtzulegen und zu würdigen wisse; aber man müsse doch auf alle Fälle dem Autor zugestehen, daß er im hohen Grad die Kunst verstanden habe, durch Kontraste zu wirken und große theatralische Effekte herbeizuführen«. So hat er denn auch seinen von Mozarts Musik genährten Traum einer Fortsetzung der Zauberfiöte ganz aus Schikaneders Dichtung herauswachsen lassen. Auch Schopenhauer und Segel haben günstig über die Zauberflöte geurteilt. Ganz ungeheuer war die allgemeine Wirkung des Werkes. Schikaneder selber hat in seinen folgenden Werken eigentlich immer wieder an die Zauberfiöte angeknüpft. In Wien wurde aber ganz allgemein, wie es in einem Berichte vom Jahre 1793 heißt, »auf den Theatern gezaubert. So hat man z. V. die Zauberflöte, den Zauberring, den Zauberpfeil, den Zauberspiegel, die Zauberkrone und andere dergleichen elende Zaubereien mehr, bei deren Ansehen und Anhören sich einem das Inwendige umkehren möchte«. Grillparzer hat sich früh an der Zauberflöte begeistert und nachhaltige Beeinflussung von ihr erfahren. Ganz durchdrungen von ihr ist Raimunds Schaffen. Am besten hat D. F. Strauß die Frage über Schikaneders Verdienste beantwortet:

Was schikanieret ihr den Schikaneder?
Der Käfer sei er, sprechet ihr mit Hohn,
Der auf des Adlers Schweife sich zum Thron
Jovis emporschwang, nicht mit eigner Feder.

Das Paar ist ungleich, das empfindet jeder:
Sterblich das Wort, unsterblich jeder Ton;
Doch zog nicht einst im Schlaf ein Erdensohn
Aus ihren Gleisen Lunas Silberräder?

Ist Eos mit Trithonos nicht vereint?
Ihn trifft kein Tod, ob auch sein Alter wächst.
Er ruht, ein Greis, im Arm der Ewigschönen.

Doch in der Göttin Rosenglut erscheint
Er selber jung – wie Schikaneders Text
Sich ewig neu verklärt in Mozarts Tönen.

Ja! um die Macht dieser Musik Mozarts!

Richard Wagner faßte sein Urteil in folgende Sätze zusammen: »Der Deutsche kann die Erscheinung dieses Werkes nicht erschöpfend genug würdigen. Bis dahin hatte die deutsche Oper so gut wie gar nicht existiert; mit diesem Werke war sie erschaffen. Der Dichter des Sujets, ein spekulierender Wiener Theaterdirektor, beabsichtigte gerade nichts weiter, als ein recht großes Singspiel zutage zu bringen. Dadurch ward dem Werke von vornherein die populärste Außenseite zugesichert; ein phantastisches Märchen lag zugrunde, wunderliche märchenhafte Erscheinungen und eine tüchtige komische Beimischung mußten zur Ausstattung dienen. Was aber baute Mozart auf dieser wunderlich abenteuerlichen Basis auf! Welcher göttliche Zauber weht vom populärsten Liede bis zum erhabensten Hymnus in diesem Werke! Welche Vielseitigkeit, welche Mannigfaltigkeit! Die Quintessenz aller edelsten Blüten der Kunst scheint hier zu einer einzigen Blume vereint und verschmolzen zu sein. Welch ungezwungene und zugleich edle Popularität in jeder Melodie, von der einfachsten zur gewaltigsten! – In der Tat, das Genie tat hier fast einen zu großen Riesenschritt, denn indem es die deutsche Oper erschuf, stellte es zugleich das vollendetste Meisterstück derselben hin, das unmöglich übertroffen, ja dessen Genre nicht einmal erweitert und fortgesetzt werden konnte.«

Mit drei feierlichen Akkorden erweckt die Ouvertüre die Vorstellung der heiligen Welt, in die wir schauen dürfen. Nur dem unermüdlich Strebenden ist der Eintritt in sie möglich. Das bezeugt das Thema des Allegrosatzes, dessen Fugierung durch alle Stimmen die lebhafte Betätigung aller Kräfte kündet. Im Nebensatze schmiegt ein Weib dem strebenden Manne sich an, weicher als er, aber ebenso unermüdlich. Und abermals drei Akkorde, dreimal wiederholt. Der Eintritt ist schwer, es gilt die Prüfungen zu überwinden. Außerordentlich streng ist die Führung der Stimmen, nur allmählich ebnet sich der Weg. Es wird heiterer, und mit triumphierendem Jauchzen halten wir Einzug in die Sonnenwelt des Lichts.

In seiner überzeugten Hingabe an die Maurerei, der Beglückung, die er in der Zugehörigkeit zu ihr empfand, war es Mozart ein leicht begreifliches Bedürfnis, auch in seiner Musik den Eingeweihten mehr zu sagen, als das durch die Schönheit der Musik befriedigte Gemüt des nicht maurerischen Hörers vernimmt. Diese drei Akkorde, die in der Priesterversammlung des zweiten Aktes und danach öfter wiederkehren, entsprechen auch im Rhythmus dem Anklopfen des Aufnahme in die Loge Begehrenden. Im übrigen spielt die heilige Dreizahl eine ganz einzigartige Rolle. Die drei Damen, die drei Genien, Sarastro selbst, als Obmann der Eingeweihten und als einfacher Mensch, treten je dreimal auf. Dreimaliger Donner verkündet das Erscheinen der Königin; die Zahl der Eingeweihten ist gleich 3x6. Der Tempel der Weisheit hat drei Türen; dreimal muß Tamino bei jeder von ihr den Eingang versuchen. Die drei charakteristischen Instrumente: Zauberflöte, das Glockenspiel und Papagenos Panflöte ertönen in je drei Szenen. So sicher ein derartiges Kunstmittel auch für den Nichteingeweihlen ganz unbewußt eine gewisse Wirkung ausübt, so hat sich Mozart natürlich doch nicht mit Äußerlichkeiten begnügt, um die tiefe Symbolik, mit der er dieses Werk unendlich weit über Text und Handlung hinaus anfüllte, wirken zu lassen. Er wollte vor allen Dingen den Eindruck einer geheimnisvollen Feierlichkeit erwecken. Das ganze Orchester dient diesem Gedanken. Und gerade, weil es in allen jenen Abschnitten, die nichts mit dem Maurerischen zu tun haben, sondern den allgemein menschlichen Empfindungen Ausdruck geben, so einfach und durchsichtig, ja anspruchslos gehalten ist, wirkt der ganz veränderte Charakter in allen Augenblicken der Feierlichkeit um so bedeutsamer: »Hier kommen ungewöhnliche Mittel, wie Posaunen und Bassetthörner, zur Anwendung, durch verschiedene Mischungen wird ein fremdartiges Klangwesen hervorgerufen, das bei den reichsten Nuancierungen und der feinsten Abstufung von ernster Wehmut bis zum leuchtenden Glanz doch den Grundton des Feierlichen und Erhabenen festhält und den Zuhörer in eine dem gewöhnlichen Treiben entrückte Sphäre bannt. Hier sind nicht allein ungeahnte Kräfte des Orchesters in Wirksamkeit gesetzt, sondern die Macht desselben, durch das Kolorit zu charakterisieren, zuerst im großen zur Geltung gebracht, und die Zauberflöte ist der Ausgangspunkt für alles, was die neuere, nach dieser Seite hin so erfindungsreiche Musik geleistet hat.« (Jahn II, 649.)

Sicher hat auch Mozart in dieser Oper die strengen Musikformen so bevorzugt, um den Ernst des Werkes zu vertiefen. Im übrigen aber leuchtet auch sein unbegrenzter Reichtum gerade in der Mannigfaltigkeit der Abstufungen hervor, in denen diese feierlichmystische Stimmung sich ausspricht. Das Auftreten der drei Knaben hat etwas Verklärtes. Sie kommen aus der Welt des Lichts; aber leise angeschlagene Akkorde von Posaunen, gedämpften Trompeten und Pauken bezeugen zugleich, daß diese Lichtwelt voll Ernstes ist. Am höchsten steigert sich der feierliche Klang in allen Sarastroszenen. Tragen die großen Ensembles bei seinem erstmaligen Eintritt und bei der glücklichen Vollendung des Ganzen mehr den allgemeinen Charakter einer stolzen und erhabenen Festlichkeit, so sind die Szenen, in denen er mit den Eingeweihten allein verhandelt, von einer merkwürdigen Gedämpftheit. Aber allem Licht liegt ein geheimnisvolles Dämmern, aus dem das Gebet an Isis und Osiris in sanfter Linie hervorleuchtet. So sind auch die Priesterchöre. Tritt Sarastro nicht in seiner priesterlichen Würde, sondern als Mensch auf, so ist sein ganzes Wesen durchleuchtet von jener edlen Menschlichkeit und reifen Güte, die Mozarts Lebensideal bildete. Wie stark die Gewalt dieser feierlichen Stimmung ist, mag man am besten daraus ermessen, daß der gesamte Eindruck, großen, tief eingreifenden Geschehnissen beizuwohnen, dadurch nicht abgeschwächt wird, daß eigentlich die meisten Personen nicht selbständig handeln, sondern mehr von äußeren Bedingungen geleitet werden. Auch Tamino und Pamina werden durch duldendes Heldentum zum Siege geführt. Wenn sich trotzdem nicht der Charakter des Oratoriums einstellt, so ist das einerseits dem wunderbar lebendigen Ausdruck jedes einzelnen Gefühls in jedweder Lage, andererseits dieser allgemeinen Einstimmung aufs Bedeutende und Große zu danken. Hinzu kommt freilich, daß Taminos erste Aussprache seiner Liebe in jenem einzigartig schön gezeichneten Gesänge »Dies Bildnis ist bezaubernd schön« uns ein für allemal überzeugt, daß dieser Jüngling ein Mann und zur Tat entschlossen ist. Daß sich ihm später die Erfüllung seiner Liebe mit der Verwirklichung eines rein geistigen Ideals verbindet und er in geistigen und seelischen Prüfungen, nicht aber durch eigentlich heldenhaftes Handeln zu seinem Ziele gelangt, ist einer der kerndeutschen Züge dieses Werkes, den D. F. Strauß in einer Parallele mit Lessings »Nathan« scharf hervorgehoben hat. Hier wie dort offenbare sich »ein zur Klarheit und zum Frieden mit sich hindurchgerungener, in sich vollendeter Geist, an den, weil er jede innere Trübung überwunden hat, auch keine Störung von außen mehr ernstlich heranreicht«.

Reicher ist die Charakterentwicklung Paminas, die zu Beginn als harmloses Mädchen auftritt, aber sich der Größe ihrer Natur im Augenblick der Gefahr bewußt wird, als sie mit herrlichem Wahrheitsmute Sarastro gegenübertritt und nun bei dem ihr unverständlichen Verhalten des Geliebten während der Prüfungen alle Leiden des getäuschten, liebenden Frauenherzens durchmachen muß, bevor auch ihr die Gewißheit wird, daß es durch diese Prüfungen hindurch zum Heile gehe. Der Wirkung der Feierlichkeit und dem allgemeinen Eingestimmtsein auf das Hohe und Gute hat an sich nur genutzt, was vom streng dramatischen Sinne eher als Mangel festzustellen wäre: die Welt der Nacht und der Bosheit ist nicht düster genug gekennzeichnet. Daß Mozarts Kunst diese düsteren Klänge nicht versagt gewesen wären, beweisen Einzelheiten zur Genüge. Er hat aber den gewaltigen Ausdruck der Rache, den er in der zweiten Arie der Königin der Nacht, in der sie ihrer Tochter die Rache an Sarastro befiehlt, gefunden hat, selber dadurch abgeschwächt, daß er die dramatisch wuchtigen Stellen durch lange Koloraturen unterbrochen hat. Gewiß werden nur wenige Hörer mit Meinardus in diesen den treffendsten Ausdruck »des Überschäumens eigensinnigen Trotzes eines keifenden und kreischenden Zornmutes in Grenzen schöner Form« finden, woran freilich zum guten Teil unsere gesamte Einstimmung gegen die Koloratur schuld sein mag. Ich glaube aber auch so, daß Mozart hier mehr »der geläufigen Gurgel seiner Schwägerin zuliebe« geschrieben hat, was ihm um so leichter fallen mußte, als zunächst diese Königin der Nacht ja nicht als das böse Wesen gedacht war. Im allgemeinen aber ist es doch auch aus der gesamten Einstimmung des Werkes erklärlich, wenn die Welt, die nicht bis zur Reinheit und Edelmenschlichkeit der von Sarastro verkörperten Gemeinschaft zu gelangen vermag, mit einem gewissen Mitleid oder doch überlegen behandelt wird. Das zeigt sich vor allem bei den drei Damen, denen Mozart sogar eine Wielandsche Koketterie verliehen hat. Des Monostatos geifernde Wut und geile Sinnlichkeit, wie sie sich zumal in seiner Arie »Alles fühlt der Liebe Freuden« ausspricht, führt aber dann schon mehr in jenes Gebiet der leichten Übertreibung, die eher komisch wirkt. – Und so sind wir denn bei Papageno angelangt, diesem köstlichen Naturmenschen, der durch und durch ein guter Kerl, aber auch nicht in einer Faser seines Wesens zu einer idealistischen Auffassung des Lebens fähig ist. Und gerade ihm geht es eigentlich am allerbesten. Er erreicht am schnellsten alles, was er vom Leben will. Wenn Beethoven die Zauberflöte für Mozarts größtes Werk erklärte, weil er sich erst hier als deutschen Meister erweise, so gilt das nicht nur von der Musik, sondern auch von den Gestalten. Tamino und Pamina sind das deutsche Liebespaar: füreinander geboren, unverbrüchlich aneinander festhaltend, in aller Liebesseligkeit dem Idealen zugeneigt. Deutsch ist auch Sarastro. Nein musikalisch genommen in der Opernliteratur eine neue Gestalt. Niemals hatte die Baßstimme sich solcher großen und ihr doch durchaus gemäßen Aufgabe gegenüber gesehen wie hier, wo die reife Lebenserfahrung, die höchste durch das Leben errungene Güte ihren Ausdruck findet. Dieser Mann ist ein »Meister«, wie Wagners Hans Sachs einer ist: abgeklärt, ruhig und doch tatkräftig, der nicht gleichgültig der Entwicklung anderer zusieht, sondern sie zum Guten lenkt, indem er diesen anderen Menschen zur Erkenntnis ihres Berufes zum Guten verhilft. Und auch Papageno ist echt deutsch. Er hat nichts mehr vom Kasperl an sich, noch viel weniger von einem italienischen Harlekin. Ein braver, lustiger, guter Kerl, der seine Schwächen weitmacht durch die Gutmütigkeit und Treue seiner Natur, und jene Selbstgenügsamkeit verkörpert, die in der kleinsten Stätte einen Himmel sieht, sofern sie nur »gepaart« bewohnt wird. So ist die Zauberflöte als Ganzes in allen ihren Teilen ein urdeutsches Werk, das sich tief hineingesungen hat in das Herz des deutschen Volkes, das aber auch diesem Deutschtum in der Kunst von der Opernbühne aus seine selbständige Stellung verschafft hat in der ganzen Welt.


Wir treten aus dem heiligen Tempel schöner Menschlichkeit, in den uns die Zauberflöte geführt, in die heiligeren Hallen des Todes. Wir besitzen einen kleinen Brief von Mozart, der, italienisch geschrieben, wahrscheinlich an da Ponte gerichtet ist, von dem wir wissen, daß er Mozart dafür zu gewinnen suchte, mit ihm nach London zu gehen. Der Brief lautet: »Ich werde Ihrem Rate gern folgen, aber wie es machen? Mein Kopf ist verwirrt, ich sammle mich mit Mühe und kann von meinem Blick das Bild dieses Anbekannten nicht wegbringen. Ich sehe ihn fortwährend, er bittet, er drängt mich und verlangt mit Ungeduld das Werk. Ich fahre fort zu arbeiten, weil das Komponieren mich weniger erschöpft als die Muße. Sonst habe ich nichts mehr zu fürchten. Ich merke an dem, wie ich mich fühle, daß die Stunde schlägt. Ich bin im Bereich des Todes. Ich bin zu Ende gekommen, ehe ich mich meines Talents gefreut habe. Das Leben war dennoch so schön! Die Bahn öffnete sich unter so glücklichen Auspizien. Aber man kann sein Geschick nicht ändern. Keiner bestimmt seine Tage. Man muß sich ergeben, es geschieht, wie die Vorsehung will. Ich beende jetzt meinen Grabgesang, ihn darf ich nicht unvollendet lassen.«

Der Brief muß aus den Novembertagen des Jahres 1791 stammen; da war es Mozart zur Gewißheit geworden, daß er im Bereich des Todes weile, und sein ganzes Streben galt der Vollendung seines Grabgesanges, des

Requiems.

Es war im Juli gewesen, als Mozart auf merkwürdige Weise den Auftrag erhielt, ein Requiem zu schaffen. Ein langer, hagerer, grau gekleideter Mann, den er nicht kannte, überbrachte ihm den Brief eines unbekannten Schreibers, der mit den Ausdrücken der höchsten Bewunderung für Mozarts Schaffen die Frage verband, um welches Honorar er eine Seelenmesse zu schreiben übernehmen wolle, und wie bald er diese vollenden könnte. Mozart war dieser Auftrag hochwillkommen. Er hatte einige Monate vorher dem Magistrat ein Gesuch eingereicht, in dem er sich erbat, dem Kapellmeister Hoffmann vom Stephansdome einstweilen unentgeltlich beigeordnet zu werden, um so den Beweis erbringen zu können, daß er durch seine »auch im Kirchenstil ausgebildeten Kenntnisse« der Nachfolgerschaft dieses hochbetagten und oft kränklichen Mannes würdig sei. Der Magistrat hatte ihm am 9. Mai dieses Gesuch bewilligt mit dem Rechte der Nachfolgerschaft in der gut bezahlten Stelle. So bot sich ihm in diesem Auftrage die Gelegenheit, sein gegenwärtiges Können in der Kirchenmusik zu erweisen, wozu unter Kaiser Josephs Negierung wenig Verlockung bestand, da er die Kunstmusik aus der Kirche verbannt hatte. Auch in dieser Hinsicht war Leopold Gegner seines Vorgängers. Auf das Zureden seiner Frau erklärte sich also Mozart bereit, den Auftrag gegen ein Honorar von fünfzig Dukaten zu übernehmen, ohne aber die Zeit der Vollendung genau bestimmen zu können. Wenige Tage darauf erschien der Bote wieder, erlegte den bedungenen Preis mit dem Versprechen einer Zulage für die vollendete Arbeit. Der Meister möge ganz nach Stimmung schaffen, sich aber keine Mühe geben, den Namen des Bestellers zu erfahren, da das doch vergeblich sein würde. Mozart hatte sich kaum in den Gedanken dieser Arbeit eingelebt, als er den Auftrag zur Festoper für Prag erhielt. Aber in dem Augenblicke, als er mit seiner Frau in den Reisewagen steigen wollte, stand der graue Bote da und fragte ihn, wie es denn um das Requiem siehe. Mozart konnte den Aufschub sehr gut begründen, auch habe er kein Mittel gehabt, den ihm unbekannten Besteller zu benachrichtigen, versprach aber, nach der Rückkehr aus Prag mit allen Kräften an die Arbeit zu gehen. Er hielt Wort. Unmittelbar nachdem die Zauberflöte aufgeführt war, warf er sich mit allen Kräften auf die neue Aufgabe, wie bereits die Briefe an die in Baden weilende Frau bezeugen. Kurz nach Mitte Oktober kam übrigens Konstanze wieder nach Wien zurück. Der oben angeführte kleine Brief Mozarts beweist, daß der graue Bote noch öfter bei ihm erschien.

Das Geheimnisvolle und Rätselhafte an dieser Geschichte des Requiems ist im Laufe der Zeit aufgeklärt worden. Der graue Bote war der Verwalter des Grafen Franz von Walsegg. Dieser, ein leidlicher Musikant und begeisterter Musikliebhaber, hatte den Ehrgeiz, in seiner näheren Umgebung für einen Komponisten zu gelten. So bestellte er sich bei tüchtigen Meistern gegen gute Bezahlung Kompositionen, die er dann sorgsam abschrieb und als eigne Schöpfungen von seiner Hauskapelle spielen ließ.

Das ist also alles andere, als mystisch-feierlich. Auf Mozart aber mußte die geheimnisvolle Einkleidung des Ganzen um so stärker wirken, als ihn die Beschäftigung mit der Zauberflöte in eine dem Wunderbaren geneigte Stimmung versetzt hatte; als er jetzt, wo er endlich an die Schöpfung des Requiems gehen konnte, immer deutlicher fühlte, daß das Unwohlsein, das ihn schon seit Wochen schwächte, viel ernster war, als alle glauben mochten, und ihn bereits in den Bereich des Todes geführt hatte. Da war es ihm innere Notwendigkeit, dieses Werk zu vollenden. Anstatt sich zu schonen, verdoppelte er seine Arbeit. Die Folgen blieben nicht aus. Mit steigendem körperlichen Unbehagen verdüsterte sich seine Stimmung. Umsonst versuchte die Gattin, den Schwermütigen zu erheitern: lustige Gesellschaft hatte ihn ja niemals für sein inneres Schaffen »zerstreuen« können, geschweige denn jetzt. Und die Natur, die er so sehr liebte, konnte in ihrem trüben Herbsteln auch nur seine Stimmung noch verdüstern. So drang ihm auf einer Spazierfahrt mit der Frau zum erstenmal das Wort über die Lippen, daß er das Requiem für sich schreibe: »Ich fühle mich zu sehr, mit mir dauert es nicht mehr lange; gewiß, man hat mir Gift gegeben – ich kann mich von diesem Gedanken nicht losmachen.« Die tief erschreckte Gattin zog den berühmten Arzt Dr. Closset zu Rate und nahm im Einverständnis mit diesem dem Gatten die Partitur des Requiems weg, da sie mit Recht davon überzeugt war, daß diese Arbeit ihn noch in seiner düsteren Stimmung bestärke. In der Tat erholte sich Mozart etwas. Er komponierte für ein Logenfest eine von Schikaneder gedichtete Kantate und konnte diese am 15. November selbst dirigieren. Die gute Aufführung weckte seinen Lebensmut; der Gedanke an die Vergiftung erschien ihm jetzt selber als Ausfluß seines krankhaften Zustandes, und so willfahrte man unbedenklich seinem Wunsche, sich wieder dem Requiem zu widmen. Aber die Besserung hielt nur wenige Tage an. Es muß zwei, drei Tage nach jener Aufführung gewesen sein, als Mozart in das Bierhaus »Zur silbernen Schlange« kam, dessen Verwalter Deiner für ihn mancherlei Geschäfte treu besorgte. Das Glas Wein, das er sich bestellte, trank er nicht aus, ließ sich auch von Deiner nicht aufheitern. Es sei »ausmusiziert«, meinte er, bestellte aber den Mann auf den nächsten Tag, um Holz zu besorgen, da ihm in der herbstlichen Witterung eigentümlich kalt war. Als Deiner am nächsten Tag kam, lag Mozart zu Bett. Er hat es von da ab nicht mehr verlassen, fünfzehn Tage lang. Indessen blieb er immer bei Besinnung. Der Zustand verschlimmerte sich bedenklich, daß seine Glieder anschwollen und unbeweglich wurden. Heftiges Erbrechen kam dazu.

Noch nicht sechsunddreißig Jahre zählte der Mann, der hier mit klarem Bewußtsein dem Tode entgegenging. Es war kein leichtes Sterben für einen Gatten und Vater, der seine Angehörigen so innig liebte und sie in größter Armut zurücklassen mußte. Er hätte erst recht bitter darüber werden können, weil jetzt die Zukunft sich ihm in so hellem Lichte zeigte. Der steigende Erfolg der Zauberflöte, mußte seine Wirkung tun, die Anwartschaft auf eine gut besoldete Stellung hatte er in der Tasche. Und jetzt zum erstenmal erschienen auch Edle, die als Pflicht erkannten, dieses wunderbare Genie so von aller Lebenssorge zu befreien, daß es nur dem freien Schaffen seiner Werke sich hingeben konnte. Ungarische Adlige hatten sich verpflichtet, ihm jährlich tausend Gulden gegen die kleine Gegenleistung einiger für sie geschaffener Kompositionen anzuweisen. Noch höher war der Betrag, den unter der gleichen Bedingung ein Kreis von Amsterdamer Musikfreunden ihm anbot. – Dennoch wahrte dieser Sterbende, dessen Charakter man so oft verkleinert hat, den man zu würdigen glaubte, wenn man sagte, er sei als Mensch bis ans Ende ein Kind geblieben, eine wahrhaft sokratische Haltung. Seine Kunst verließ ihn nicht. Die Uhr in der Hand verfolgte er in Gedanken in den Abendstunden die Aufführungen seiner Zauberflöte und summte die Stellen der Musik mit, die nun gerade im Theater nach seiner Berechnung ertönen mußten. Vor ihm lag die Partitur des Requiems. Mit seinem Schüler F. Süßmayr ging er noch am Todestage die nach seiner Art nur in den Singstimmen skizzierten unfertigen Teile des Werkes durch. Was vollendet war, brachte er zum Erklingen, wobei er selbst die Altstimme sang. Es war am Tage vor dem Tode des Nachmittags um zwei Uhr, als sie zum letztenmal so miteinander sangen. Bei jenem »Lacrimosa«, das heute noch den Hörer zu Tränen rührt, vermochte sich Mozart nicht mehr zu halten. Die Sicherheit, sein Werk nicht vollenden zu können, übermannte ihn zu heftigem Weinen.

In welchem Zustande Mozart seinen Schwanengesang hat hinterlassen müssen, wird trotz aller Forschung niemals genau festzustellen sein. Wir wissen, daß er die beiden ersten Sätze, Requiem und Kyrie, in vollständiger Partitur niedergeschrieben hat. Das » Dies irae« war in der Partitur ganz entworfen, die Singstimmen vollständig ausgeschrieben, für die Orchestration alles Besondere so weit angedeutet, daß die Besprechungen, die er mit Süßmayr hielt, diesen wohl instand setzten, hier genau Mozarts Willen auszuführen. Noch vor dem Dies irae hatte er die beiden Sätze des Offertoriums, Domine Jesu Christe und Hostias, in vollständigem Partiturentwurf beendigt. Nach Süßmayrs Angaben hat dieser Sanctus, Benedictus und Agnus Dei ganz neu verfertigt. Wenn das wahr ist, so ist es Süßmayr in diesem einen Falle gelungen, nicht nur Mozarts Handschrift bis zur Täuschung nachzuahmen, sondern einmal in seinem Leben auch etwas zu komponieren, was Mozarts würdig war. Wahrscheinlich hatte Mozart in seiner Art viel mehr bereits geschaffen, als er niedergeschrieben hatte und hatte davon Süßmayr vorgespielt.

Wie dem auch sei, das Requiem gehört zu den herrlichsten Werken religiöser Tonkunst, die wir besitzen. Man hat aus der starken Beeinflussung durch Händel, die dieses Werk auch in der Anlehnung einiger Motive an Händelsche Themata zeigt, zuweilen den Schluß gezogen, daß Mozart vielleicht eine ähnliche Entwicklung genommen hätte wie zuvor Händel, der auch jahrzehntelang ganz in der Opernkomposition aufgegangen war und sich zum Schlusse in religiösen Oratorien das ihm eigenste Betätigungsfeld schuf. Wenn wir es nicht aus der Biographie wüßten, so würde es uns dieses Requiem bestätigen, daß Mozart immer eine tief religiöse Natur gewesen ist. In sein Verhältnis zur Kirche ist jedenfalls niemals etwas Feindliches eingetreten. Seine Schwägerin Sophie hat uns berichtet, daß es ihr nur schwer gelang, am Sterbetage Mozarts einen Geistlichen zu einem Besuche bei demselben zu bereden. Das ist begreiflich, wenn man bedenkt, daß damals in den kirchlichen Kreisen wieder die strenge Gegnerschaft gegen die Freimaurerei aufgelebt war, in der bereits 1738 Clemens XII. über alle Mitglieder der Freimaurerei die Exkommunikation verhängt hatte. Trotzdem muß das doch auch jetzt nicht so streng gehandhabt worden sein, wie Mozarts kirchliches Begräbnis und seine kurz zuvor erfolgte Ernennung zum künftigen Domorganisten beweist. Aber wie dem auch sei, Mozart selbst muß sich dieses Widerspruches nicht bewußt gewesen sein, sonst hätte er sich auch kaum um jenen Kapellmeisterposten beworben, der es mit sich gebracht hätte, daß ein großer Teil seiner künftigen Arbeit der Kirchenmusik gegolten hätte. Er ist ein wahrhaft gottgläubiger Mensch geblieben, und die Art, wie sich in dem zu einem großen Satze verbundenen Requiem und Kyrie aus dem tiefen Schuldbewußtsein des Menschen die verzweifelte Anrufung der Gnade Gottes entwickelt und die volle Zuversicht zu erlösenden Güte Gottes sich ausspricht, bezeugt, daß seine religiösen Empfindungen mit den Grundformen der christlich-katholischen Auffassung nirgendwo in Widerspruch standen. Die allgemeine Zeiteinstimmung tut hier viel, und Mozarts Zeitalter hatte in kirchlichen Dingen wenigstens den einen großen Vorzug, daß es nicht das Trennende und Ausscheidende betonte, sondern durch eine gewisse Weitherzigkeit auch jenen die Zugehörigkeit zur Kirche zu keiner Gewissensfrage machte, die auf eigenem Wege ihr Verhältnis zu Gott zu gewinnen suchten. Und man möchte in Mozarts Requiem ein Gleiches ausgesprochen sehen. Mir jedenfalls ist kein zweites Beispiel dafür bekannt, daß in streng gewahrten Formen ein so ganz persönliches Fühlen sich ausspricht wie hier.

Mozarts eigenes Sterben bezeugt die ruhige Sicherheit, mit der er der Ewigkeit entgegenging. Sein liebevolles Gemüt verleugnete sich auch im Anblick des Todes nicht. Der Schwägerin Sophie, die ihn, wie alle Tage, zu besuchen kam, nahm er das Versprechen ab, daß sie in der Nacht wiederkomme, weil sie ihn sterben sehen müsse. Er ließ sich den Gedanken nicht ausreden: »Ich habe ja schon den Totengeschmack auf der Zunge, und wer wird dann meiner lieben Konstanze beistehen, wenn Sie nicht hier blieben?« Seiner Frau aber gab er noch den Auftrag, sie solle den Musiker Albrechtsberger von seinem nahen Ende benachrichtigen, denn diesem gebühre jene Stellung am Dome, die ihm zugesichert war. So hat er, dem nie einer von ihnen geholfen hatte, noch in den letzten Stunden an das Fortkommen eines Kunstgenossen gedacht.

Draußen heulte der Sturm einer wilden Winternacht, spät abends noch kam der Arzt aus dem Theater. Er erkannte die Hoffnungslosigkeit des Zustandes, und die Eisumschläge, die er dem Kranken aufs Haupt legen ließ, raubten diesem das Bewußtsein. Fünfundfünfzig Minuten nach Mitternacht ist er (am 5. Dezember) gestorben.

Die Leiche wurde durch den braven Deiner in ein Totenbruderschaftsgewand von schwarzem Tuch gekleidet. Die Bahre stellte man ins Arbeitszimmer nah ans Klavier. Ganze Scharen von Menschen huldigten am Tage in aufrichtiger Trauer dem Wenigen, was an diesem großen Manne sterblich gewesen war. Konstanzes Schmerz war so verzweifelt, daß man um ihr Leben fürchtete und sie zu Bekannten brachte; van Swieten übernahm die Sorge für das Begräbnis. Der Millionär scheint nicht auf den Gedanken gekommen zu sein, daß er die Kosten für eine würdige Bestattung übernehmen könnte, und richtete mit Rücksicht auf die dürftigen Verhältnisse der Familie alles so billig wie möglich ein. Ganze elfeinhalb Gulden sind für Begräbniskosten bezahlt worden. Am 6. Dezember nachmittags drei Uhr wurde die Leiche in der Kreuzkapelle bei St. Stephan eingesegnet. Dem heftigen Schneetreiben hielten nur wenige Freunde stand, und als der Sturm zunahm, kehrten auch diese am Stubentor um. So stand kein einziger an der Gruft, als man die Leiche hinabsenkte.

Da man kein eigenes Grab angekauft hatte, wurde der Sarg in der allgemeinen Grube beigesetzt, die gewöhnlich fünfzehn bis zwanzig Särge aufnahm und alle zehn Jahre neu ausgegraben und neu besetzt wurde. Als Konstanze nach ihrer Krankheit endlich den Kirchhof aufsuchen konnte, war ein neuer Totengräber da, der ihr das Grab ihres Gatten nicht anzugeben wußte. Alles Suchen war vergebens. Man hat später viel Mühe aufgewendet, um das im Augenblick Versäumte gutzumachen. Im Mozarteum zu Salzburg wird heute ein Schädel Mozarts gezeigt; eine ziemlich verwickelte Überlieferungsgeschichte hält die Legende aufrecht, daß er echt sei.

Mir scheint es fast wie ein Symbol, daß wir nichts von den irdischen Resten Mozarts besitzen. Als Lichtgenius war er zur Erde niedergestiegen, – man soll nach Goethes Mahnung nicht erforschen wollen, woher und wie sie zu uns kommen – im Lichte entschwand er wieder, nachdem er uns das Beste gegeben, was uns werden kann: reine Schönheit der Kunst und edles Menschentum.


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