Karl Storck
Mozart – Sein Leben und Schaffen
Karl Storck

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9. Zurück ins Joch

So überstürzt die Abreise von Paris unternommen wurde, so überraschend lange hat es gewährt, bis Wolfgang in Salzburg eintraf. Dreieinhalb Monate hat die Heimreise gedauert, und wenn Wolfgang von der ersten Station, Nancy, am 1. Oktober 1778 nach Hause schrieb: »Ich habe keine ruhige Stunde, bis ich nicht wieder alles sehe, was ich liebe«, so hat er nachher alles aufgeboten, um möglichst spät an diesen Ort zu kommen, den er wirklich haßte. »Liebster Vater, ich versichere Sie, daß wenn es mir nicht um das Vergnügen wäre. Sie bald zu umarmen, ich gewiß nicht nach Salzburg käme; denn diesen löblichen und wahren schönen Trieb ausgenommen, tue ich wahrhaftig die größte Narrheit von der Welt... Nur Sie, liebster Vater, nur Sie können mir die Bitterkeiten von Salzburg versüßen, und Sie werden es auch tun, ich bin dessen versichert. Doch muß ich Ihnen frei gestehen, daß ich mit leichterem Herzen in Salzburg anlangen würde, wenn ich nicht wüßte, daß ich allda in Diensten bin; nur dieser Gedanke ist mir unerträglich.« (Am 15. Okt. aus Straßburg.)

Zu dieser erneuten scharfen Ablehnung Salzburgs trug seine Überzeugung bei, daß es ihm doch noch gelungen wäre, sich in Paris durchzusetzen, wenn er noch einige Zeit dort ausgehalten hätte; aber vielleicht mehr noch die Nachricht, daß seine geliebte Weberin inzwischen nach München übergesiedelt war. Mit tausend Gulden Gehalt war sie für die Oper gewonnen, und auch ihrem Vater waren sechshundert bewilligt worden. So hatten sich die Verhältnisse der Familie Weber sehr gebessert, und wenn Wolfgang auch keinen Augenblick daran dachte, daß dadurch sein Verhältnis zur Familie getrübt werden könnte, so war es doch nun andererseits gewiß, daß Aloysia nicht nach Salzburg kommen würde, wodurch ihre Vereinigung in weite Ferne gerückt war. Jedenfalls versuchte Wolfgang von jetzt ab mit noch erhöhtem Eifer, sich anderswo eine Stellung zu verschaffen und dem Erzbischof »eine Nase zu drehen«.

Dabei hatte er in seinen Unternehmungen auch jetzt kein Glück. Drei Konzerte in Straßburg, »wo es sehr pauvre zuging«, brachten ihm nur wenige Louisdor Einnahme, so daß er sogar zur Weiterreise Geld aufnehmen mußte. Hatte die Fahrt von Paris nach Straßburg durch die Sparsamkeit Grimms, der für ihn eine ungünstige Fahrgelegenheit gewählt hatte, überlang gedauert, so hielten ihn nun äußere Umstände noch lange in Straßburg fest, so daß er erst am 3. November wegkam. Und zwar wählte er nun den Umweg über Mannheim, wo er am 6. November eintraf. Hier waren die Freunde, Frau Cannabich, in deren Hause er wohnte, voran, außerordentlich erfreut über sein Kommen. Es war ein »rechtes Geriß« um ihn, und er frohlockte: »Wie ich Mannheim liebe, so liebt auch Mannheim mich.« Der Vater aber war aufs höchste entrüstet über diese neue, nach seiner Ansicht ganz zwecklose Verzögerung der Heimkehr.

Es ist wirklich merkwürdig mit dieser Reise Mozarts. Für sein äußeres Gedeihen mißlang alles, was er angriff; für seine innere Entwicklung erfuhr er Förderung, auch wo man keine solche erwarten mochte. So auch mit diesem Aufenthalt in Mannheim. Der Vater behielt ja recht, wenn er alle die schönen Aussichten, von denen ihm sein Sohn immer wieder berichtete, als wertlos dartat. Aber dieser zweite Aufenthalt in Mannheim wurde für den Dramatiker Mozart ebenso bedeutsam, wie es der erste für den Sinfoniker geworden war.

Mannheim war jetzt ziemlich verödet; der Hof war nach München übergesiedelt, und es war ein leerer Trost, wenn man sich, wie Wolfgang berichtete, einredete, daß dem Kurfürsten die Münchener zu grob seien und er bald wieder nach Mannheim zurückkehren würde. Aber tüchtige Männer waren darauf bedacht, dem Orte mit eigenen Kräften über den Verlust hinwegzuhelfen. Der Kanzler Heribert v. Dalberg versuchte, die nun schon lange gehegten und überall gescheiterten Pläne eines deutschen Nationaltheaters in Mannheim zu verwirklichen. Zur Höhe ist Mannheim ja erst ein Jahr später gelangt, als die bedeutendsten Kräfte des Gothaischen Theaters, unter ihnen Iffland, hingezogen wurden; 1782 ging dann hier das strahlende Gestirn Schillers auf. Aber schon jetzt war die treffliche Seylersche Theatergesellschaft da und auch der Gedanke einer deutschen Nationaloper war nicht aufgegeben. Es lag nahe, Mozart für diese zu gewinnen. Vorher aber wurde ihm noch eine andere Aufgabe gestellt. Am 12. November schreibt er dem Vater: »Nun kommt etwas. Ich kann hier vielleicht 40 Louisdor gewinnen! Freilich muß ich sechs Wochen hier bleiben oder längstens zwei Monate. Die Seylersche Truppe ist hier, die Ihnen schon par renommée bekannt sein wird. Herr v. Dalberg ist Direktor davon. Dieser läßt mich nicht fort, bis ich ihm nicht ein Duodrama komponiert habe, und in der Tat habe ich mich gar nicht lange besonnen, denn diese Art Drama zu schreiben habe ich mir immer gewünscht. Ich weiß nicht, habe ich Ihnen, wie ich das erstemal hier war, etwas von dieser Art Stücke geschrieben? Ich habe damals hier ein solch Stück zweimal mit dem größten Vergnügen aufführen gesehen; in der Tat, mich hat noch niemals etwas so surpreniert! Denn ich bildete mir immer ein, so was würde Keinen Effekt machen. Sie wissen wohl, daß da nicht gesungen, sondern deklamiert wird und die Musik wie ein obligiertes Rezitativ ist. Bisweilen wird auch unter der Musik gesprochen, welches alsdann die herrlichste Wirkung tut. Was ich gesehen, war »Medea« von Benda. Er hat noch eine gemacht, »Ariadne auf Naxos«, beide wahrhaftig vortrefflich. Sie wissen, daß Benda unter den lutherischen Kapellmeistern immer mein Liebling war. Ich liebe diese zwei Werke so, daß ich sie bei mir führe. Nun stellen Sie sich meine Freude vor, daß ich das, was ich mir gewünscht, zu machen habe! Wissen Sie, was meine Meinung wäre? Man solle die meisten Rezitative auf solche Art in der Oper traktieren und nur bisweilen, wenn die Worte gut in der Musik auszudrücken sind, das Rezitativ singen.«

Das Duodrama, von dem hier die Rede ist, ist eine unter den zahlreichen Bezeichnungen, die für jene neue Gattung eines Dramas mit Instrumentalbegleitung in Aufnahme gekommen waren, die wir der Einfachheit halber mit dem heute allgemein üblichen Namen des Melodramas bezeichnen wollen. Es führte den Titel »Semiramis« und stammte aus der Feder von Wolfgangs Gönner, dem Freiherrn v. Gemmingen. Dalberg selber hatte noch größere Pläne mit Wolfgang vor; er wollte seine Oper »Cora« von dem jungen Künstler komponiert sehen. Die Verhandlungen müssen in der Tat ziemlich weit gediehen sein, wie ein eingehendes Schreiben Wolfgangs an Dalberg dartut.

Er sollte aber die Entscheidung nicht abwarten dürfen, denn inzwischen kam ein sehr empörter Brief seines Vaters, in dem es hieß: »Beim Empfang dieses wirst du abreisen.« Der Vater führte unwiderlegbare Gründe für seine Meinung ins Feld. Es sei jetzt gar nicht gut, in bayrische Dienste zu treten, da die Aussichten für die Zukunft zu unsicher seien. »Zwei Sachen sind, die Dir den Kopf vollmachen und Dich in aller vernünftigen Überlegung hindern. Die erste und Hauptursache ist die Liebe zu Mlle. Weber, der ich ganz und gar nicht entgegen bin; ich war's damals nicht, als ihr Vater arm war, warum sollte ich's nun jetzt sein, da sie Dein Glück und nicht Du ihr Glück machen kannst?« Aber gerade, wenn er in Salzburg sei, werde beider Angelegenheit am besten gefördert werden können. Die zweite Ursache sei Wolfgangs Widerwillen gegen das Antreten seines Dienstes in Salzburg. Aber gerade dieser werde »die einzige sichere Gelegenheit sein, wiederum nach Italien zu kommen, welches mir mehr im Kopf steckt als alles das übrige. Und diese Antretung ist ohnabänderlich notwendig, wenn Du anders nicht den allerverdammlichsten und boshaftesten Gedanken hast, Deinen für Dich so besorgten Vater in Schande und Spott zu setzen; Deinen Vater, der seinen Kindern alle Stunden seines Lebens geopfert, um Kredit und Ehre zu bringen, da ich nicht imstande bin, eine Schuld, die sich in allem auf 1000 fl. beläuft, zu bezahlen, wenn Du nicht durch die hier richtige Einnahme Deines Gehalts die Abzahlung erleichterst; wo ich dann sicher alle Jahre über 400 fl. abzahlen und noch dabei mit Euch beiden herrlich leben kann. – Ich will, wenn Gott will, noch ein paar Jahre leben, meine Schulden zahlen – und dann magst Du, wenn Du Lust hast, mit dem Kopf an die Mauer laufen; – doch nein! Du hast ein gutes Herz! Du hast keine Bosheit, Du bist nur flüchtig, – es wird schon kommen!«

Da gab es nun keinen Widerstand mehr. Freilich, auf dem schnellsten Wege kam er doch nicht nach Hause, sondern benutzte die Gelegenheit, im Wagen des Reichsprälaten v. Kaisersheim die Fahrt mitmachen zu können, was dann wieder Umwege und neuen Aufenthalt mit sich brachte. Der Abschied von Mannheim, das er erst im letzten Lebensjahre wenig glücklich wiedersehen sollte, ist ihm, wie er selber schreibt, »schmerzlicher gefallen als jemals etwas anderes«. Dalbergs Opernplan war ja damit begraben; das Melodrama aber gab er nicht auf. »Ich schreibe nun«, heißt es am 3. Dezember, »dem Herrn v. Gemmingen und mir selbst zuliebe den ersten Akt der deklamierten Oper (die ich hätte schreiben sollen) umsonst, nehme es mit mir und mache es dann zu Hause aus. Sehen Sie, so groß ist meine Begierde zu dieser Art Komposition.« Zwei Wochen später erklärte er dem Vater die Gattung näher. »Was die Monodrama oder Duodrama betrifft, so ist eine Stimme zum Singen gar nicht notwendige indem keine Note darin gesungen wird, es wird nur geredet; mit einem Wort, es ist eine Rezitation mit Instrumenten, nur daß der Akteur seine Worte spricht und nicht singt. Wenn Sie es nur einmal am Klavier hören werden, so wird es Ihnen schon gefallen; hören Sie es aber einmal in der Exekution, so werden Sie ganz hingerissen, da stehe ich Ihnen gut dafür; allein einen guten Akteur oder gute Aktrice erfordert es.«

So traf er am Weihnachtstage 1778 in München ein. Die Festtage sollten für ihn eine traurige Zeit werden. Wolfgang war im Weberschen Hause abgestiegen. Wäre er selbstsüchtiger gewesen, so hätte er wohl den Glückswandel in den Verhältnissen dieser Familie zum großen Teil auf seine Rechnung schreiben müssen. Als Schülerin machte Aloysia Weber ihrem Lehrmeister die größte Ehre; als Weib verriet sie ihn. Sie schien den jungen Menschen, für den sie noch einige Monate vorher, als die übrigens falsche Nachricht von seiner schweren Erkrankung in Paris nach Mannheim gelangte, täglich geweint und gebetet hatte, nicht mehr zu kennen. Wolfgang war zu stolz, seine Enttäuschung zu zeigen, setzte sich ans Klavier und spielte das Liedchen: »Ich lass' das Mädel gern, das mich nicht will.« Auch die große Arie » Popoli di Tessalia« (die Worte sind aus Glucks »Alceste« entnommen), die er bereits in Paris für Aloysia geschaffen und ihr als Brautgeschenk zugedacht hatte, überreichte er ihr – nun als Abschiedsgabe.

Mochte er so bei Webers seine Fassung bewahren, so war er doch durch diesen Schicksalsschlag völlig gebrochen. Diese Münchener Tage müssen eine verzweifelte Zeit für ihn gewesen sein, wie der erkennt, der zwischen den Zeilen seiner Briefe zu lesen versteht. In heftigen Weinkrämpfen löste sich die Hochspannung seiner Nerven. Es ist da ein Brief an den Vater, in dem eigentlich nichts steht, als daß er vor Weinen nicht zu schreiben vermag. Und der Flötist Becke, der alte Freund der Familie, schrieb dem Vater, daß ihn der Jüngling »selbst fast kleinmütig mache, indem er ihn seit einer Stunde kaum aus den Tränen bringen konnte«. »Er hat das allerbeste Herz! Nie habe ich ein Kind gesehen, das mehr Empfindung und Liebe für seinen Vater hegt ... Sein Herz ist so rein, so kindlich, so aufrichtig ... Nur mündlich muß man ihn hören, und wer würde ihm nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen als dem besten Charakter, als dem redlichsten und eifrigsten Menschen.«

Der Vater hatte den Bogen zu scharf gespannt. Wolfgang und seine Freunde, Cannabich und Raaff voran, »arbeiteten mit Händen und Füßen«, um ihm in München eine Stellung zu beschaffen. Der Vater dagegen beharrte in schroffster Form auf der sofortigen Heimkehr nach Salzburg. Da mochte in Wolfgang wohl auch noch die Befürchtung auftauchen, daß er zu Hause schwere Vorwürfe wegen des völligen Mißlingens seiner Reise zu gewärtigen habe. Darüber beruhigte ihn der Vater, worauf ihm Wolfgang am 8. Januar 1779 antwortete: »Ich versichere Sie, mein liebster Vater, daß ich mich nun ganz zu Ihnen (aber nicht zu Salzburg) freue, weil ich nun durch Ihr Letztes versichert worden bin, daß Sie mich besser kennen als vorhin! Es war einmal keine andere Ursache an der langen Verzögerung, nach Haus zu reisen, an der Betrübnis – die ich endlich, weil ich meinem Freund Becke mein ganzes Herz entdeckte, nicht mehr bergen konnte –, als dieser Zweifel. Was könnte ich denn sonst für eine Ursach' haben? Ich weiß mich nichts schuldig, daß ich von Ihnen Vorwürfe zu befürchten hätte; ich habe keinen Fehler (denn ich nenne Fehler das, welches einem christlichen und ehrlichen Mann nicht ansteht) begangen. Mit einem Wort, ich freue mich und verspreche mir schon im voraus die angenehmsten und glücklichsten Tage – aber nur in Ihrer und meiner liebsten Schwester Gesellschaft. Ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, daß ich Salzburg und die Einwohner (ich rede von gebornen Salzburgern) nicht leiden kann – mir ist ihre Sprache, ihre Lebensart ganz unerträglich.«

Bald folgte er diesem Briefe selber nach. In Salzburg wurde er mit offenen Armen empfangen. Zu Hause war alles festlich vorbereitet, zahlreiche Freunde, die seine Rückkehr als einen Triumph ansahen, bewiesen ihm durch Gefälligkeiten ihre gute Gesinnung; der Vater hatte sogar das lustige Bäschen von Augsburg verschrieben, damit es dem Heimkehrenden über die erste schmerzliche Zeit hinweghelfen möchte. Denn das war dem klugen Vater doch nicht verborgen geblieben, daß es einen schweren Kampf gegolten hatte, den Sohn in die alten Verhältnisse zurückzubekommen.

Es war eine andere Zeit als die heutige, eine Zeit, in der die unbedingte Autorität des Vaters über seine Kinder gerade in tüchtigen Familien noch unangezweifelt zu Recht bestand. Und so mochte Vater Mozart den heimkehrenden Sohn in dem Gefühle umarmen, seine Pflicht auch zum Besten des Sohnes getan zu haben. In Wirklichkeit dürfen wir uns nicht verhehlen, daß hier vielleicht der tragischste Konflikt in Wolfgang Mozarts Lebensgange liegt. Es war ein dreiundzwanzigjähriger Jüngling, ein fertiger Künstler, der hier in seinem äußeren Lebensverhalten wie ein Kind gegängelt wurde. Der Vater hatte ihn ja keinen Schritt allein tun lassen! Bevor etwas geschah, mußten ihm Berichte gegeben, für alles Getane Rechenschaft geleistet werden. Gewiß, Mozart hatte äußerlich kein Glück gehabt auf dieser Reise, aber andererseits war ihm doch auch nirgendwo recht Zeit gelassen, um abzuwarten. In jedem Fall war die Gelegenheit versäumt, bei der sich Mozart Weltgewandtheit und eine durch Kampf und Irrtum gehärtete Selbständigkeit der äußeren Lebensführung hätte erwerben können. Sein Herz war viel zu weich, sein Charakter viel zu liebevoll, als daß er sich dem Vater gegenüber vertrutzen konnte. Aber da ihm so alle Selbstbestimmung genommen wurde, da er so und so oft wider seine bessere Erkenntnis hatte handeln müssen und dafür nun doch am Ende weiter nichts hatte als einen verhaßten Dienst an einem verhaßten Orte, entwickelte sich in ihm eine Art von Fatalismus gegenüber dem äußeren Leben, den er nie mehr überwunden hat. Auch die schwere Wunde, die die Liebe seinem Herzen geschlagen hat, ist niemals mehr ganz verharscht. Er hatte stets eine starke Empfänglichkeit für weibliche Schönheit und mag bei den freien Sitten der damaligen Zeit sehr leicht im Verkehr mit Frauen Worte gefunden haben, die sich heute gewichtiger anhören, als sie gemeint waren. Die volle Leidenschaft der Liebe hat er nur für Aloysia empfunden. Es hat auch innere Gründe, daß er später die Schwester derselben als Gattin heimführte. Gewiß hat er seine Konstanze aufrichtig geliebt. Aber noch am 16. Mai 1781 hat Wolfgang dem Vater geschrieben: »Bei der Langin« (Aloysia heiratete später einen Schauspieler Lange) »war ich ein Narr, das ist wahr; aber was ist man nicht, wenn man verliebt ist! Ich liebte sie aber in der Tat und fühle, daß sie mir noch nicht gleichgültig ist – ein Glück für mich, daß ihr Mann ein eifersüchtiger Narr ist und sie nirgends hinläßt und ich sie also selten zu sehen bekomme.« Diese Briefstelle verrät deutlich genug, daß die wahre Leidenschaft jener Aloysia gegolten hat, die selber in unglücklicher Ehe ihren Treubruch büßte. Denn die Liebe zu Aloysia war bei ihm aufs engste verwachsen mit der Leidenschaft für die Kunst. Und das war und blieb die Kraft, der allein Wolfgang sich restlos hinzugeben vermochte.

Die Kunst war ihm auch jetzt in Salzburg die beste Trösterin. Als Konzertmeister, Hof- und Domorganist mit 400 Gulden Gehalt stand er jetzt im Register des bischöflichen Personals. Der Erzbischof war ihm natürlich dadurch, daß er gezwungen worden war, den Jüngling, der ihm so stolz aufgekündigt hatte, wieder einzustellen, nicht freundlicher gesinnt. Und die Verzögerung der Rückkehr hatte ihn sicher auch nicht günstiger gestimmt. Vom Publikum schreibt Mozart später (26. Mai 1781): »Wenn ich in Salzburg spiele oder von meiner Komposition was aufgeführt wird, so ist's, als wenn lauter Tische und Sessel die Zuhörer wären.« An anderer Stelle sagt er sogar, daß es ihm in Salzburg Mühe gekostet habe, zu arbeiten, daß er sich oftmals fast nicht dazu habe entschließen können, »weil sein Gemüt nicht vergnügt war«. Sein Gesamturteil liegt in dem Satze (8. April 178l): »Wenn man seine jungen Jahre so in einem Bettelort in Untätigkeit verschlenzt, ist es traurig genug und auch Verlust.«

Nun, von »Untätigkeit« kann angesichts der großen Zahl von Arbeiten, die in dieser Zeit geschaffen wurden, nicht die Rede sein. Zugegeben, daß man in der Tat den meisten Arbeiten dieser Zeit anmerkt, daß Mozart sich nicht mit voller Lust in ihnen ausleben konnte, so wächst nur um so mehr unsere Hochachtung vor dem Pflichteifer des jungen Menschen, dem die Arbeit durch die Erziehung seines Vaters und eigenes Schaffensbedürfnis zur Notwendigkeit geworden war. Und wenn wir nun so vom weitentfernten Standpunkt der geschichtlichen Betrachtung der Gesamtentwicklung des Künstlers Mozart aus die Geschehnisse betrachten, so müssen wir auch hier wiederum sagen, daß dieser Künstlerentwicklung zum Heil ausgeschlagen ist, was so traurig für den Menschen war. Diese Ruhezeit in Salzburg, bei der er keine Gelegenheit zu großzügiger Betätigung fand, war aufs beste geeignet, die zahlreichen Eindrücke der Reise zu verarbeiten.

Besonders frisch lebte in ihm ein Eindruck, der ihn so stark gepackt hatte, wie kaum ein anderer – das beweisen seine Briefe –, der auch sicher für ihn von viel höherer Bedeutung geworden ist, als man gewöhnlich annimmt: das Melodrama. Man ist allzu leicht geneigt, Mozarts Begeisterung für diese Kunstgattung als Episode, als vorübergehende Geschmacksverirrung abzutun, weil seine großen Werke so wenig offensichtliche Beziehungen zu dieser Kunstgattung zeigen. Ich glaube, daß die innere Bedeutung des hier Erlebten dafür um so größer war. Darum und weil die Ansichten in dieser Frage überhaupt wenig geklärt erscheinen, halte ich es für angebracht, an dieser Stelle

das Problem des Melodramas

näher zu untersuchen. Als Melodrama bezeichnen wir heute jene Mischgattung, in der Musik und gesprochene Dichtung zu einem Kunstwerke zusammenwirken. Die Art der Verbindung ist verschieden und geht von einem gänzlich getrennten Nacheinander, wobei also die Musik die Dichtung unterbricht, bis zu einem völligen Zusammenarbeiten, bei dem wir ein einheitlich sinfonisch komponiertes Tonstück erhalten, zu dem die Worte gesprochen werden. Trotzdem diese Gattung schier von Anfang an den heftigsten Widerspruch der Ästhetiker erfahren hat, trotzdem gewiß niemand über das Zwiespältige derselben vollkommen Herr wird, hat sie nicht nur immer wieder Komponisten verlockt, sondern übt auch auf den Zuhörer einen merkwürdigen Reiz aus, der vielleicht gerade in der Zwiespältigkeit beruht. Denn durch den steten Wechsel kommt es doch so, daß das gesprochene Wort mehr die Verstandeskräfte aufruft, die Musik ganz in Sinnlichkeit übergeht. Der Hörer, der aus dem dichterischen Worte heraus klaren Inhalt erhält und sich eine Vorstellung der sinnlichen Erscheinung desselben macht, verfolgt mit besonders lebhaftem Interesse die Art, wie die so ganz andere Kunst der Musik diese Versinnlichung auf ihrem Gebiete vollzieht. Es ist eine Mischung, die niemals zur höheren Einheit verschmelzen kann, aber ebenso sicher durch dieses Nebeneinander einen gewissen Reiz ausüben muß. Auf anderem Gebiete haben wir als Parallele etwa die illustrierten Ausgaben von Dichterwerken. Auch dieses Nebeneinander der Dichtung und der bildenden Kunst muß im Grunde immer unkünstlerisch bleiben, weil hier der bildende Künstler seine Versinnlichung des aus der Dichtung empfangenen Vorganges uns aufdrängt, wie im Melodrama der Musiker. Auch wenn beide an sich genommen noch so künstlerisch Wertvolles bieten, so liegt doch hier eine Zusammenkoppelung vor, die niemals zu jener Einheit werden kann, wie sie etwa die Aufführung eines Dramas auch dann bringt, wenn die körperliche Erscheinung der betreffenden Schauspieler nicht so sich mit der Idealvorstellung, die wir uns von den betreffenden Personen und Charakteren machen, deckt, wie der bildende Künstler sie erreichen kann. Darin, daß sich diese beiden Künste in diesem Nebeneinander nicht organisch verbinden können, liegt das ästhetisch Minderwertige. Aber ebenso unzweifelhaft ist ein Reiz gerade in dem Hin- und Hergezogenwerden, in dem steten Gegeneinanderspiel von Geist und Empfindung, von verstandesmäßiger Vorstellung und sinnlichem Empfangen.

Gewiß gibt diese Tatsache uns eigentlich doch zunächst nur die Erklärung für die Beliebtheit dieses Nebeneinanders von Künsten beim Publikum, nicht bei dem Künstler selber, bei dem man eher denken möchte, daß ihn diese zweifellos vorhandene Zwiespältigkeit der Gesamterscheinung stören müsse. In der Tat haben die Künstler diese Gattungen kaum jemals als ganz vollwertig angesehen; viele von ihnen haben sie sogar schroff verurteilt. Aber ebensowenig ist anderseits zu leugnen, daß die Gattungen immer eine große Anziehungskraft ausübten. Die Reihe der bildenden Künstler von echtem Können, die auf dem Gebiet sogenannter »literarischer« Malerei oder Zeichnung tätig gewesen sind, ist von unübersehbarer Länge. Erst recht, wenn wir jene mit hineinziehen, deren Werke nicht gerade als Buch vorliegen, aber so bekannte, in Dichtungen behandelte Vorgänge und Personen vorführen, daß der Beschauer aus sich selber gewissermaßen den Buchinhalt hinzubringt. Nun ist zweifellos in dem Augenblick, wo – wir wollen der Einfachheit wegen das gewohnte Wort brauchen – die Klassiker-Illustration losgelöst vom Buch als besonderes Blatt oder Gemälde vor uns hintritt, ein günstigeres Verhältnis geschaffen, insofern das Nebeneinander zugunsten eines Ineinander abgeschwächt ist. Wenn ich mir z. B. eine Mappe mit Bildern zu Goethes »Faust« ansehe, so haben diese Bilder nicht mehr mit dem Wortlaut, mit der einzelnen Szene in Wettbewerb zu treten, sondern mit jenem mehr allgemeinen geistigen Inhalt, jener bereits zur Sinnlichkeit gewordenen Vorstellung, die ich vom Ganzen in mir trage. Beim Nebeneinanderwirken von Dichtung und Musik finden wir als Parallele zu diesem Zustand die Programmusik, wo auch nicht mehr das einzelne seine Charakterisierung erfährt, sondern die Gesamtvorstellung von einem Dichterwerke. Es ist bekannt, daß diese Programmusik genau so für die Musiker aller Zeiten eine Verlockung darbot wie das Bild mit literarischem (oder geschichtlichem ) Inhalt für den Maler, und zwar auch für jene, die in ihrer Kunst dahin vorgedrungen waren, wo diese aus ureigenen Mitteln, ohne alles Nebeneinander, urschöpferisch ein Gleiches erreicht. So hat Beethoven, der ursprünglichste Dichter in Tönen, auch dieses Nachdichten geübt, und der Beethoven auf seinem Gebiete urverwandte Dichter in Farben, Böcklin, hat auch gelegentlich sich in der farbigen Nachdichtung von bereits gestalteten Vorgängen gefallen.

Der tiefste Grund dieser Erscheinung ist sicher ein mehr geistiger. Wir sind hier im Gebiete des bewußten Kunstschaffens, haben hier im eigentlichsten Sinne des Wortes formale Kunst. Denn die Einstellung des Künstlers dabei ist die, etwas, was bereits irgendwo zur sinnlichen Formgestaltung gekommen ist, mit den sinnlichen Mitteln einer andern Kunst nochmals zu gestalten. Dieses »bereits zur Gestalt Gewordensein« ist der springende Punkt und kennzeichnet den wahren Künstler. Hierin unterscheidet sich z. B. der nachdichtende Maler vom handwerksmäßigen Illustrator. Der nachdichtende Maler schafft aus dem Ganzen des Werkes, der Illustrator hängt sklavisch an dem einen Vorgang. Man denke daran, wie z. B. in manchen illustrierten Romanen unter das Bild die zwei bis drei Sätze gestellt werden, die dieser Zeichner zu illustrieren vorgibt. Wenn dagegen Beethoven in seiner Pastoralsinfonie ein Gewitter darstellt, so will er nicht den möglichst realen Eindruck eines wirklichen Gewittervorganges erzielen, sondern in uns das Erlebnis eines Gewitters wachrufen. Beethoven tritt also nicht in Wettbewerb neben die Natur, sondern in Wettbewerb mit jenem bereits gestalteten Erlebnisse in uns selbst. Das ist der große Unterschied. Genau so, wie Böcklin, wenn er uns seinen »Rasenden Roland« zeigt, nicht in Wettbewerb tritt mit den zwei bis drei Stanzen Ariosts, die diesen Vorgang schildern, sondern mit dem Bilde, das in uns die Ariostlektüre hinterlassen hat.

Wir müssen hier einen ganz klaren Standort gewinnen. Es gibt zwei große Richtungen im künstlerischen Schaffen. Die eine ist, daß der Künstler die Erscheinungen der Welt sich so zu eigen macht, daß er ihnen in der Welt des Scheins eine Form zu geben vermag, die ein Bild der wirklichen Erscheinung so vor uns erstehen läßt, daß wir davon sinnlich, geistig und seelisch ergötzt werden. Diese Richtung der Kunst ist immer formal im weitesten Sinne des Wortes. Das Problem liegt immer darin, eine Formgebung für ein Vorhandenes zu finden. Dieses Verhältnis zeigt sich uns am klarsten in der bildenden Kunst. Man denke vor allem an die Landschaft. Aber auch die Dichtung braucht nichts anderes zu sein. Eine altitalienische Novelle ist nichts anderes als die Erzählung eines Vorganges und trägt ihren erhöhten Reiz gegenüber dem Vorgang selbst in der Form. Schwieriger liegt der Fall in der Musik, weil für sie das unmittelbare Vorbild in der Welt nicht vorhanden ist. Dafür empfinden wir dann um so stärker, daß das Künstlerische dieser Art Musik im Spiel in einer Form beruht. Mit dem gegebenen Material einiger Töne (Thema) eine für sich stehende, in ihrer Eigenart festgelegte Form zu bilden, zu füllen, das ist die Aufgabe dieser Musik. Diese ganze Kunstrichtung ist nicht ein Schöpfen im höchsten Sinne.

Als ursprünglichste, unvermischte Tätigkeit des Künstlers erkennen wir das »Dichten«. Das ist das gottverwandte Schöpfen eines Gebildes. Dieses Schöpfen ist ein innerlicher Vorgang. Damit diese Schöpfertätigkeit für die Welt fruchtbar werde, muß sie in Erscheinung treten, muß sie Gestalt bekommen. Der Schöpfer Gott schöpft innerlich nach seinem Ebenbilde – denn man kann ja nur ureigenstes, also nur sein Ebenbild geben – den Menschen. Damit dieser in Erscheinung trete, muß er ihn gestalten. Dieses von dem gestaltlosen Wesen Gott nach seinem Ebenbilde geschaffene Werk »Mensch« wird von diesem Gott gestaltet im Material der Erde. Die schöpferische Kraft des Genies ist dieses Göttliche. Irgend ein Etwas des ureigensten Besitzes dieses Genies wird von ihm vermöge dieser in ihm liegenden schöpferischen Kraft so fest und gewaltig erfaßt, daß es sich von ihm ablösen kann, daß er es aus sich hinausstoßen kann in die Welt. Für diese Schöpfung, diese Dichtung sucht und findet er ein Mitteilungsmittel. Es gab Genies, die dichteten in Taten; das künstlerische Genie dichtet in Worten, in Tönen, in Farben. Man kann nicht verkennen, daß diese Art der künstlerischen Tätigkeit das Höchste ist. Denn es bedeutet absolut genommen Vermehrung der Welt, Erschaffung eines vorher für diese Welt nicht lebendig gewordenen Wertes.

Eine Vorstufe dieses Dichtens aus dem eigenen Selbst heraus ist das Dichten nach dem bereits in der Welt Vorhandenen. Ob es hier als Kunstwerk, als Geschehnis oder sonstwie vorhanden ist, das ist dagegen gleichgültig. Es ist für den Maler vollkommen einerlei, ob er einen Wilhelm Tell nach Schillers Dichtung oder nach Tschudis Chronik malen will, oder ob er überhaupt nur von der Sage hört, der er Gestalt geben will. Bei dieser künstlerischen Tätigkeit fehlt das ursprüngliche Erleben-müssen. Es ist bereits da. Man nehme irgend eine mythische Gestalt. Die eigentlichste dichterische Tätigkeit wurde hier in dem Augenblicke geleistet, als z. B. irgend eine Naturerscheinung zu einer Gestalt symbolisiert wurde. Diese Tätigkeit kann nun kein Künstler mehr vollbringen. Er hat hier immer eine Art Nacherlebens. Seine rein schöpferische Tätigkeit dabei wird sich natürlich in dem Maße beteiligen können, als jene Gestalt nicht fest umrissen ist. Der bildende Künstler, der einen Wotan vor uns hinstellt, braucht diesen Wotan nicht mehr zu dichten; er braucht bloß nach dem Ausdruck dieses Gedichteten in seiner Kunst zu suchen. Für das äußere Schaffen hat er also genau soviel zu tun wie der ursprüngliche Dichter in Farben. Aber er hat diese ursprüngliche Dichterkraft, das ist Schöpferkraft, nicht unbedingt nötig, um ein solches Werk vollbringen zu können. Was aber hier z. B. der bildende Künstler oder der Musiker gegenüber einem dichterisch behandelten Stoffe tun kann oder tun muß, ist die Erhöhung von zahllosen Einzelheiten zur Einheit. Es gibt hundert Sagen von Wotan, hundert ganz verschiedene Situationen, in denen er steht. Der bildende Künstler hat die Aufgabe, eine Gestalt zu schaffen, der wir diese hundert verschiedenen Einzelzustände glauben. Goethe führt uns seinen »Faust« in hundert Beziehungen zur Welt vor, um am Ende seiner Dichtung die Quintessenz des Faustischen ziehen zu können. Der Musiker, der an den Fauststoff geht, kann uns diese zahllosen Erscheinungen aus der Welt nicht geben. Aber er kann uns dieses Faustische an sich als Ergebnis seines Erlebens der Goethischen Dichtung in unendlich höherem Maße fühlen lassen als irgend eine Wortdichtung. Wir sehen hier, wie nahe Dichten und Nachdichten in Tönen bzw. in Farben einander zu kommen vermögen.

Als eine Vorstufe nun dieses Nachdichtens in Tönen, das seinerseits im Ergebnis dem Dichten nahezu gleichwertig werden kann, möchte ich das Melodrama bezeichnen, das damit auf derselben Stufe stände, wie oft die Klassiker-Illustration. Man halte sich zum leichteren Verständnis zunächst an die letztere, und setze den Fall – er läßt sich übrigens aus der Geschichte der Künstler oft belegen –, es habe ein Künstler, der diesen Namen verdient, Goethes »Faust« illustriert. Er hätte damit für die zahlreichen zum Bilde verlockenden Situationen und Stimmungen dieser Dichtung ebensoviele Gestaltungen gegeben, von denen jede möglichst den einzelnen Augenblick erschöpfen mußte, ohne Rücksicht auf das, was vorher und nachher geschieht. Er hätte auf diese Weise den Faust auf die stärkste Weise »in Stücken« erlebt. Es ist nun ein schier notwendiger Vorgang, daß im Künstler diese zahlreichen Stücke sich zu einem Ganzen vereinigen. Aus dem Faust in hundert Situationen wird sich ihm der Faust entwickeln. Nur die Tatsache, daß der echte Künstler diese letzte Tätigkeit, wie überhaupt das Erleben der sämtlichen Einzelsituationen bereits durchgemacht hat, bevor er ans Zeichnen geht, daß er also seinen Fausttypus bereits in die erste Zeichnung hineinstellt, bringt es mit sich, daß man über diese Reihenfolge des inneren Schaffens im unklaren sein kann. Trotzdem haben wir in der Praxis immer noch hundertfältig den Fall, daß Künstler, die irgend eine Dichtung illustriert haben, oft jahrelang später in einem großen Bilde irgend einen Moment der Dichtung zu gestalten suchen, der für sie der Brennpunkt des Ganzen ist, und zwar hauptsächlich nach der Richtung hin, daß hierin sich das Wesen der betreffenden Gestalt offenbare.

An dieser Stelle muß sich uns auch die große Bedeutung des Melodramas offenbaren.

Halten wir uns zunächst an die Erscheinung des Melodramas, wie wir ihr heute begegnen. Wenn ein echter Musiker eine Dichtung ergreift, um ein Melodrama zu schaffen, so tut er es aus dem gleichen Empfinden heraus, wie ein echter bildender Künstler eine Dichtung illustriert. Diesen reizt, daß die in der Dichtung auftretenden Gestalten und die darin vorkommenden Situationen so stark bildhaft sind, daß die bildende Kunst in ihrer Vorführung sich eigenmächtig betätigen kann. Der Musiker wählt für ein Melodrama Dichtungen, deren Empfindungsgehalt, deren seelisches Leben so stark ist, daß die Musik hier reichlich Gelegenheit zur Betätigung hat, und zwar über das Wort hinaus, das nicht imstande ist, die gegebenen seelischen Zustände völlig auszuschöpfen, sie lebendig genug zu vermitteln. Die Musik weiß also, daß sie die suggestive Kraft dieses Kunstwerkes auf den Empfänger durch ihre Mitwirkung erhöhen kann. Der »Nachdichter« tritt nun so an die Dichtung heran, daß er jede Gelegenheit, die diese ihm für Musik bietet, ausnutzt. Als stärkste dieser Gelegenheiten stellen sich von vornherein dar: zunächst die Einführung in die Stimmung der Dichtung, das Vorbereiten der ganzen seelischen Atmosphäre, aus der heraus die Dichtung erwächst; dann jene Unterbrechungen der Darstellung des Seelischen, die in jeder Dichtung vorkommen, die eine weitere Zeitspanne seelischer Zustände umfaßt, die uns infolgedessen den Wechsel dieser seelischen Stimmung bzw. den Wandel derselben mitzuteilen strebt. In einer solchen Dichtung sind Pausen. Man denke an alle großen Monologe in Dramen. Es sind Pausen, die durch Gesten, unter Umständen auch bloß durch Stillschweigen ausgefüllt werden. In diesen Pausen liegt jenes innere Überlegen, jenes Verarbeiten der vielleicht widerstreitenden Gefühle, wodurch jener weitere Punkt des seelischen Zustandes erreicht wird, den nun wieder das Wort ausspricht. Hier sieht sich die Musik vor dem ihr ureigensten Gebiete als Seelensprache; nämlich von dem Kunde zu geben, was im Innern dieses Menschen vorgeht. Sie findet auch während der Rede dazu noch vielfache Gelegenheit, indem sie das Widereinander und Nebeneinander der verschiedenen Empfindungsgänge veranschaulichen kann. Es offenbart sich hier also eine außerordentliche Fülle musikalischer Gelegenheiten, und zwar für die Musik als Offenbarung seelischen Lebens. Hinzu kommen endlich viele äußere Gelegenheiten, wichtiges äußeres Geschehen, was das bloße Wort nur schwach anzudeuten vermag. Wir haben so viele Gedichte z. B., in denen sich eine lyrische Stimmung, etwa der Schwermut oder des Entsetzens, dadurch im Menschen auslöst, daß draußen die Natur entsprechend belebt ist. Dieses Geschehen in der Außenwelt, das so wichtig ist für die Entwicklung des inneren Geschehens und Empfindens, vermag die Dichtung kaum anzudeuten, jedenfalls nur sehr schwach uns miterleben zu lassen. Hier besitzt die Musik die außerordentliche Fähigkeit, dieses Naturleben künstlerisch vorzuführen, was um so fruchtbarer ist, weil das Draußen gleichzeitig mit der Wirkung aufs Innere vorgeführt werden kann. Nehmen wir das häufige Beispiel der Wirkung einer Sturmnacht auf das Menschenherz. Der Dichter kann nur den Ausweg finden, daß er zunächst in einigen Versen die furchtbare Sturmnacht draußen schildert, worauf sich das gepreßte Herz des Beobachters Luft macht, und so immer abwechselnd. Wenn dagegen dieser Sturm musikalisch ausgedrückt wird, so braucht uns das Wort gar nichts von dem Sturm zu sagen, sondern kann um so stärker das persönliche Miterleben desselben aussprechen. Und so in zahlreichen ähnlichen Fällen, die keineswegs bloß im Naturleben zu liegen brauchen, sondern irgend ein gleichzeitiges Geschehen in der Umwelt überhaupt betreffen können.

Man erkennt aus dem Angeführten, daß die Gelegenheiten für Musik beim Melodrama in ganz außerordentlichem Maße aufs seelische Leben Bezug haben. Daß die Melodramatiker sehr oft einem groben Unfug verfallen sind und die Dichtung geradezu veräußerlicht haben, indem sie z. B. ganz nebensächliche Geräusche nachahmten, überhaupt einer ganz äußerlichen Tonmalerei verfallen sind, ändert nichts an der Tatsache, daß das Melodrama im wesentlichen von der Musik die Ausführung der in der Wortdichtung zu kurz kommenden seelischen Zustände erheischt.

Hier offenbart sich auch die außerordentliche Bedeutung dieser Gattung für die Musik an sich. Die Musik erhält hier nämlich die sie gestaltenden Gesetze nicht von fertigen musikalischen Formen, sondern vom inneren seelischen und damit musikalischen Inhalt seiner Dichtung. Nehmen wir nun den Fall an, daß eine solche Dichtung außerordentlich reich an seelischer Entwicklung ist, daß sie überhaupt ein Seelendrama gibt, so wird die Musik fast dauernd aufgerufen werden. Es kann in diesem Seelendrama keine »Nummern« geben, es sei denn, daß etwa die seelische Entwickelung dahin führt, daß der Betreffende ein Lied singt, also nur aus urdramatischen Gesetzen. So bedeutet dieses Melodrama den Bruch mit der gesamten vorangehenden Entwicklung der Oper und stellt eine Verbindung von Musik mit dem Drama dar, bei der die Musik ausschließlich dramatischen Gesehen folgt. Edgar Istel sagt in seiner »Entstehung des deutschen Melodramas« (Seite 15) bei der Besprechung von Vendas »Ariadne« mit Recht: »Ein Schritt nur – nämlich vom gesprochenen Wort zum gesungenen – und Venda wäre der Schöpfer des modernen Musikdramas geworden.« Allerdings erst dann des Dramas, wenn er einen Stoff zu behandeln gehabt hätte, der mehrere Menschen in einer Begebenheit so gegeneinandergestellt hätte, daß die Entwicklung des Ganzen bei diesen Menschen durch seelische Kräfte bedingt worden wäre. Dazu bekam die Musik aber erst die Mittel durch die Beethovensche Sinfonie.

Aber – und hier liegt ein bedeutsamer, meines Wissens noch nicht beobachteter Punkt vor – auch für die Entwicklung dieser Beethovenschen Sinfonie ist das Melodrama von höchster geistiger Bedeutung geworden. Ich wage nicht zu behaupten, musiktechnischer: denn es fehlen hier die geraden Bindeglieder. Aber wenn wir bedenken, daß Beethovens Lehrer, Christian Gottlob Neefe, einer der wichtigsten Vertreter des Melodramas war, andererseits daran denken, daß auch Beethoven in melodramatischer Art schaffte, so zeigt sich hier nicht nur ein innerer geistiger Zusammenhang, sondern auch wenigstens eine Linie zur äußeren Verbindung.

Richard Wagner hat als den Angelpunkt der Entwicklung der Beethovenschen Sinfonie erkannt, daß sie in ihren verschiedenen Sätzen nicht mehr seelische Zustände ausspricht, sondern eine seelische Entwicklung vorführt. Das ist das, was Beethoven unter seinem »Dichten in Tönen« verstand. Nun, diese Entwicklung seelischer Zustände durch Musik ist in viel offensichtlicherer Weise als selbst in der Oper Glucks im Melodrama vorbereitet. Daß da zahlreiche Wechselwirkungen sind, daß gerade die Oper Glucks auch stark auf das Melodrama eingewirkt hat, ist zweifellos. Aber gerade durch die gedrungene Kürze des Melodramas, durch den starken Wechsel seelischer Zustände innerhalb desselben, und vor allen Dingen dadurch, daß dieses ganze Seelenleben in der Brust eines einzelnen Menschen sich vollzog, fast befreit von allem äußeren Geschehen, trat diese Entwicklung seelischen Lebens in einer Weise in den Vordergrund, wie die Oper sie niemals hatte zeigen können. – Man denke sich folgenden Fall: so genau ist er natürlich nie vorgekommen, weil die hier vorgetragene Loslösung der Musik von der Dichtung niemals praktisch vollzogen worden ist; aber innerhalb der Beteiligung der Musik am Melodrama ist diese Entwicklung wohl zu beobachten –: Wir haben eine Dichtung, die so stark im Wechsel an seelischen Affekten ist, daß die Musik ständig zur Mitwirkung aufgerufen werden muß, so daß schließlich, wie das ja tatsächlich auch schon bei Melodramen der ersten Zeit der Fall ist, die Musik fast niemals aussetzt. Es kommt dann dahin, daß die Musik, rein für sich betrachtet, eine große seelische Entwicklung, die eben von dieser Dichtung vorgetragen wird, mit ihren Mitteln uns vorführt. Wenn es, wie Istel mit Recht sagt, bei Vendas »Ariadne« nur dessen bedurfte, daß die Worte gesungen wurden statt gesprochen, um eine echte musikdramatische Szene vorzuführen, so bedurfte es andererseits nur des vollkommenen Weglassens der Worte und einer rein sinfonisch-musikalischen Verbindung der jetzt alle Seelenaffekte ausdeutenden Musikteile, und es entstand eine sinfonische Dichtung. In einem der neuesten Melodramen, Max Schillings »Hexenlied«, haben wir einen Fall. Hier könnte die Dichtung in der Tat wegfallen, und wir hätten in der Musik allein eine sinfonische Dichtung, die nicht erläuterungsbedürftiger wäre als zahlreiche andere, die ohne Text in der Welt stehen.

Ich sagte oben, daß der hier geschilderte Fall niemals wirklich vorgekommen ist, daß aber die Art der Entwicklung der Musik im Melodrama ähnliches vorbereitet. Das wird eine kurze Darlegung der geschichtlichen Entwicklung des Melodramas beweisen. Zuvor noch ein Wort über den Umfang der Aufgaben, die sich das Melodrama gestellt hat.

Es ist zu Beginn dieser Ausführungen gesagt worden, daß die Zwiespältigkeit zwischen dem gesprochenen Wort und der Musik niemals völlig zu überwinden ist. Ich will also keineswegs den Versuch machen, im Gegensatz zur allgemeinen Ansicht dem Melodrama als Kunstgattung eine besondere Ehrenstellung zu gewinnen. Sicher ruht seine größte Bedeutung in den Werten, die es für die Entwicklung von Drama und Sinfonie, überhaupt für die Entwicklung der Musik als Ausdruck seelischen Lebens gehabt hat. Aber wir stehen vor der Tatsache, daß ein so instinktiv sicher treffendes Genie wie Mozart sein höchstes Gefallen an der Gattung ausgesprochen hat; daß ein Goethe nach anfänglicher Verspottung im »Triumph der Empfindsamkeit« lange über die Hochblüte der Gattung hinaus (noch 1815) ihr besondere Werte und eine schöne Kunstwirkung zuerkannte; sehen Beethoven in »Fidelio« und »Egmont« zu diesem Mittel greifen; verdanken eine der großartigsten Szenen Marschners in »Hans Heiling« diesem Kunstmittel; haben vorher das Beispiel, daß der doch auch ästhetisch stark veranlagte K. M. von Weber eine Reform der Gattung versuchte; sehen seither eine große Zahl hervorragender Musiker sich in ihr betätigen. Diese Tatsachen wiegen doch mindestens ebenso schwer, wie die Arteile aller Ästhetiker, und beweisen, daß, trotzdem jener Zwiespalt nicht verkannt werden kann, auch die Gattung als solche Werte haben muß.

Es bleibt die Frage nach der Stellung des Melodramas innerhalb der zahlreichen künstlerischen Betätigungsarten.

Ich möchte wieder auf die Illustration zurückgreifen. Aus der Klassikerillustration, bei der einfach Bilder in den Text oder als Einschaltblätter zwischen Textseiten gelegt wurden, hat sich die moderne Buchillustration entwickelt, bei der der Zeichner zum Raumkünstler wird, insofern er nicht mehr Bilder für sich komponiert, sondern die aufgeschlagene Buchseite als den Raum ansieht, den er künstlerisch zu gestalten hat. Für diese Buchillustration – Walter Crane hat uns am stärksten in diese Auffassung eingeführt – wird auch die Buchstabentype ein Teil des Gesamtbildes. Die Art der Illustration geht hier von der einfachsten Linienumrahmung bis zum Vollbilde, je nach Art und Gelegenheit, die der Künstler findet. Auf diese Weise entsteht eine Kunstart, die »angewandte« Kunst bleibt, aber innerhalb dieses Dienens für einen Zweck reichliche Gelegenheit zur Betätigung der eigenen Phantasiekraft gibt und außerdem mit dem von der anderen Kunst Geleisteten zu einem Gesamteindrucke sich verbindet.

Ich sehe etwas Ähnliches im Melodrama und erkläre mir daraus die oben angeführten Tatsachen. Das Melodrama ist ein Stück angewandter Kunst. Es ist weniger Selbstzweck, als daß es einem anderen Zweck dient. Und zwar ist dieser Zweck nicht, wie man zunächst annehmen möchte, die Dichtung, sondern die Deklamation. Auch die Mimik ist eine große Kunst, die zu einem erstklassigen Werte werden kann. Die schauspielerische Leistung an sich kann zu einer Kunstoffenbarung werden, auch wenn das Drama, in dem der Schauspieler auftritt, nicht den höchsten dichterischen Anforderungen entspricht. Es ist aber unleugbar, daß diese schauspielerische Leistung als solche durch ihre in sich beruhende Vollkommenheit höchsten Genuß vermitteln kann. Wie wir also bei der Illustration als künstlerisches Endergebnis das als Kunstwerk wirkende Buch erhalten, so hier eine schauspielerische Glanzleistung. Wir haben, wenn wir die zeitgenössischen Zeugnisse über den Eindruck nachprüfen, den ihnen die Melodramen – vor allem jene Bendas – machten, fast immer den Fall, daß die betreffenden Beurteiler sich über die ästhetischen Schwächen der Gattung klar sind, aber alle Bedenken zurücktreten lassen, aus Dank für den hohen künstlerischen Genuß, den ihnen ein großer Darsteller durch das Vorleben eines solchen Melodramas verschaffte.

Es ist ganz klar, daß nach dieser Richtung hin das heutige Melodrama eine Abschwächung bedeutet, weil es auf die Schauspielleistung verzichtet und nur den Deklamator aufruft. Da wird allerdings dann vor allen Dingen der Zwiespalt zwischen dem ruhig dastehenden Sprecher und der reich entfalteten Instrumentalmusik immer klaffender. Wenn dagegen zu dieser Musik die mimische Leistung kommt, ist das Verhältnis ein ganz besonderes. Die Musik ist dann nicht mehr lediglich Unterbrechung einer Deklamation, sondern höchster Ausdruck der Mimik, und mit dieser verbindet sich doch Musik aufs innigste. Es bleibt zuzugeben, daß das bloß gesprochene Wort sich mit der Musik niemals organisch verbinden kann. Aber wir begreifen jetzt doch das hohe Gefallen, das das Melodrama zu einer Zeit auszulösen vermochte, als das wahre Musikdrama noch nicht gefunden war. Denn das wird man doch nicht leugnen können, zumal es die geschichtlichen Tatsachen auf jeder Seite beweisen, daß in diesem Gesamtorganismus der Oper vom dramatischen Standpunkte aus die Vorführung rein musikalischer Formen wie Koloraturen und Arien ebenso unwahr und unorganisch, weil der inneren Wahrheit widersprechend, wirken können wie das gesprochene Wort. Der Begründer der Gattung ist Jean Jacques Rousseau, der ja nicht nur als Dichter und Philosoph, sondern auch als Musikästhetiker hervorragte und auch für Komposition bedeutende Veranlagung besaß. Er hatte dem in Frankreich längst tobenden Streit um die Vorzüge der italienischen und französischen Oper (vgl. das vorangehende Kapitel) die Spitze gegeben durch seinen 1753 erschienenen »Brief über die französische Musik«, in dem er behauptet hatte, daß die französische Sprache zur Vertonung ungeeignet, daß italienisch die einzige Musiksprache sei. Immerhin kannte Rousseau den französischen Nationalstolz und andererseits doch auch wohl das Recht jeder Nation auf eine ihr eigene Kunst zu genau, um nicht auf einen Ausweg zu sinnen, auf dem man zu einem dem französischen Wesen zusagenden Kunstwerk gelangen könne, in dem Sprache und Musik vereinigt waren. Er fand ihn dadurch, daß er an die Stelle des Miteinanders von Sprache und Musik das Nacheinander setzte. Er ging von der Tatsache aus, daß gerade in der dramatischen Leidenschaftlichkeit der Schauspieler nicht alles sagen könne, daß er vieles durch Gebärden ausdrücken müsse, ja geradezu zu Pausen verurteilt sei, in denen sich bei völligem Schweigen innerlich die wichtigsten seelischen Entwicklungen vollziehen. Hier sollte nun nach seiner Meinung die Musik einsetzen. Wie in einer echt dramatischen Oper die Musik niemals etwas ausdrücken dürfe, was nicht aus der Seele der betreffenden Person herausflösse, so bleibe ihr auch dann eine große Aufgabe zu erfüllen, wenn diese Person nicht singe, sondern spreche. Rousseau dichtete aus dieser Überzeugung heraus 1762 seine lyrische Szene »Pygmalion«, die mit einer von ihm vielfach beeinflußten Musik Coignets 1770 in einem Lyoner Privatkreise und 1775 in Paris öffentlich aufgeführt wurde. Sie fand großen Beifall und viele Nachahmung. Es ist Edgar Istel in seiner Studie »Rousseau als Komponist seiner lyrischen Szene Pygmalion« (Leipzig 1901) gelungen, nachzuweisen, daß auch Rousseau selbst eine Musik zu seiner Dichtung geschaffen hat.

Für uns ist hier wichtig, daß Rousseau die Gleichzeitigkeit von Sprache und Musik im Melodrama aufs stärkste verurteilte; daß er selber die Musik nur in den Pausen der Rede eintreten ließ, wo sie die Pantomimik des Schauspielers unterstützen und das von der Dichtung als eine Reihe von Zuständen vorgeführte seelische Erlebnis zu einer einheitlichen Entwicklung zusammenschließen sollte. So zeigt sein Melodrama nur eine größere Zahl von verhältnismäßig umfangreichen instrumentalen Zwischensätzen, und Rousseau sah es als ein Mittelding zwischen der gewöhnlichen Wortdeklamation und der echten Oper an, als einen Notbehelf, zu dem die nach seinem Vorurteil »unmusikalische« französische Sprache zwang. Er selbst ist später, um das hier einzufügen, durch Gluck überzeugt worden, daß auch die französische Sprache sich echter musikdramatischer Musikbehandlung füge.

Ist so von Rousseau der erste Anstoß zum Melodrama ausgegangen, so vollzog sich dessen charakteristische Entwicklung in Deutschland. Hierher war bereits 1771 Rousseaus Dichtung gelangt. Ob mit Coignets Musik, bleibt gleichgültig, da man sich um diese nicht kümmerte, sondern für die Aufführungen in Wien (Februar 1772) eine Musik von Apselmayr, in Weimar (Mai 1772) eine solche von dem bekannten Opernkomponisten Anton Schweitzer neu schreiben ließ. Beide Vertonungen sind verloren gegangen, so daß wir über die Art derselben gar nichts wissen. Die nächsten Schritte geschahen von Schauspielern, die erkannten, daß derartige melodramatische Stoffe ihnen Gelegenheit zu einer sonst in solcher Zusammengedrängtheit nie gebotenen Entfaltung des gesamten Registers ihrer deklamatorischen und pantomimischen Fähigkeiten boten. In dieser Absicht schuf I. I. Ch. Brandes für seine Frau, die glänzende Schauspielerin Esther Charlotte, geborene Koch, eine Szene »Ariadne«, um deren Komposition er den oben genannten Schweitzer anging. Der hatte sich an die Arbeit gemacht, wurde aber vom Weimarer Hofe mit der Komposition der eben erschienenen Wielandschen »Alceste« beauftragt, für die er nun die Musik der »Ariadne«, soweit sie vollendet war, verwendete, während er diese Szene ganz fallen ließ. Die Bewegung war so ins Stocken geraten. Da mußte 1774 die Weimarer Schauspielertruppe wegen des Theaterbrandes nach Gotha übersiedeln, dessen Theaterkapellmeister Georg Venda (1722–1795) durch die Dichtung von Brandes so gepackt wurde, daß er sie sofort komponierte. So ging am 27. Januar 1775 »Ariadne« am Gothaer Theater mit Frau Brandes und der Musik von Georg Venda zum erstenmal in Szene. Ein Vierteljahr später folgte desselben Komponisten »Medea«, die er für die bedeutende Rivalin der Brandes, die berühmte Heroine Sophie Seyler, geschrieben hatte. Benda, ein Musiker von ganz hervorragender Erfindungskraft und schärfstem dramatischen Charakterisierungsvermögen, ist der Begründer des Melodramas in unserem Sinne.

Wir brauchen hier die Weiterentwicklung des Melodramas nicht zu verfolgen. Die Werke Bendas machten einen ungeheuren Eindruck, dem sich trotz aller ästhetischen Bedenken in den nächsten Jahren alle Welt beugte. Und wenn die Gattung auch bald an Bedeutung für das Musikleben einbüßte, so ist sie doch von dieser Zeit ab niemals ganz aufgegeben worden. Man hat das Melodrama aber nicht nur als selbständige Form aufgegriffen, sondern es auch in die Oper hinüberzunehmen versucht. In der Hinsicht spielt es in Beethovens »Fidelio«, in Marschners »Hans Heiling« eine bedeutende Rolle. An diese Art der Verwendung hat vor allem auch Mozart gedacht.

Wir haben aus den bei der biographischen Erzählung angeführten Briefstellen ersehen, wie sehr Mozart von den Melodramen Bendas gepackt worden war, während er Rousseaus »Pygmalion« in Paris nicht gehört zu haben scheint. Das wäre dann wahrscheinlich auf den Einfluß Grimms zurückzuführen, der ein Feind Rousseaus war. Leider ist das Melodrama »Semiramis«, das Mozart nach Gemmingens Dichtung geschaffen hat, »bis auf einige Stimmen der Ouvertüre verloren gegangen« (Nottebohm). Wir wissen auch nichts Näheres von der Art dieses Werkes, als daß Mozarts Witwe 1799 an Breitkopf & Härtel von einem Werke schreibt, das ihr bisher unbekannt gewesen sei. »Stadler – (ein musikalischer Freund Mozarts, selber fruchtbarer Kirchenkomponist und bedeutsam hervorgetreten im Streit um die Echtheit des Mozartschen Requiems. D. V.) – fand alles so vortrefflich, daß er mir abriet, einzelne Stücke herzugeben. Es ist eine Oper und ein Melodrama, beides zugleich.« Aus dieser Schlußbemerkung könnte man schließen, daß Mozart vielleicht einzelne Stücke der Dichtung für Gesang komponiert habe. Man kann sich nur schwer vorstellen, daß, wenn wirklich ganz lyrische Stellen in der Dichtung enthalten waren, Mozart der gesanglichen Vertonung derselben sollte widerstanden haben. Jedenfalls wäre diese Art der Entwicklung des Melodramas dann das logische Seitenstück zu der Verwendung desselben, die ihm als besonders fruchtbar vorschwebte, wenn er meinte, »man sollte die meisten Rezitative auf solche Art in der Opera traktieren«. Man nehme dazu gleich die Fortsetzung des Satzes: »Und nur bisweilen, wenn die Wörter gut in der Musik auszudrücken sind, das Rezitativ singen.«

Es offenbart sich an dieser Stelle deutlich jene Einstellung Mozarts gegenüber dem Textworte, die auch sehr stark aus den Verhandlungen hervorgeht, die er z. B. beim »Idomeneo« mit seinem Textdichter gepflogen hat. Es störte ihn das an sich unmusikalische Wort sogar schon, wenn es technisch schlecht zu singen war. Noch mehr aber widerstrebte es ihm, innerlich unmusikalische Worte und Sätze singen zu lassen. Andererseits mochte er auch am nur gesprochenen Dialog Anstoß nehmen. Es sind da gerade in dieser Zeit nach dem Pariser Aufenthalte, wo er so vielerlei Anregungen in musikdramatischer Hinsicht empfangen hatte, allerlei Ansätze in Mozarts dramatischem Wollen zu bemerken, die später keine Fortführung gefunden haben. Er war eben eine ganz andere Natur als etwa Gluck: nicht zur Überlegung über Kunstdinge angetan, sondern von einem wunderbaren Instinkte geleitet. Aber es ist selbstverständlich, daß das Nebeneinander des ausdrucksvollen Gluckschen Rezitativs, des gerade in der französischen Nationaloper so durchaus trockene Deklamation verbliebenen Seccorezitativs und des gesprochenen Dialogs (bei Gretry) ihn zum Nachdenken reizen mußte. Gegen das Seccorezitativ hatte er die ausgesprochene Abneigung des überreichen Musikers, dem eine solche Fülle von Melodik ununterbrochen zuströmte, daß ihn diese an sich doch unmusikalische Deklamation nicht befriedigen konnte. Auf der anderen Seite empfand er zu wahr, um Unmusikalisches in ein reicheres musikalisches Gewand einzuzwängen. Der nur gesprochene Dialog aber zerreißt so sehr die ganze musikalische Anlage, wirkt in dem schroffen Aufeinander von gewöhnlicher Rede und hoch entwickelten Musikformen so uneinheitlich, daß wir es leicht begreifen können, wenn er nun im Melodrama einen Ausweg sah. Wir wollen bedenken, daß es sich hier um das Bendasche Melodrama handelt, bei dem bereits die Musik durchgeführt war. Mozart mochte hier ein Mittel sehen, durch Ausnutzung des im Untergrund des Empfindens oder in den Erscheinungen der Welt liegenden Musikalischen eine ununterbrochene Musiklinie schaffen zu können, aus der bei reicherer musikalischer Wortaussprache das begleitete Rezitativ erwuchs, während als höchste Steigerung die großen musikalischen Formen sich entfalten konnten. Es sind hier Keime vorhanden, die bei vollem Ausreifen etwas dem Musikdrama Verwandtes ergeben konnten. Um dieses letztere als vollauf gerechtfertigte Form erstehen zu lassen, bedurfte es der Dichtermusiker-Natur Wagners, die vermöge ihrer Anlage einen Stoff ergriff, der überall musikalisch war. Mozart lebte lange vor dieser Zeit, in Jahren, wo die deutsche dramatische Dichtung doch überhaupt erst langsam ihre Entwickelung begann. So mochte er die Art der Operntextdichtung, wie sie nun einmal vorhanden war, als unumgänglich ansehen. Seinerseits sann er nun darauf, wie er den Widerstreit lösen sollte, der zwischen dem Verlangen der Musik als einer das ganze Werk umfassenden Geschlossenheit und der Unmöglichkeit, durchaus unmusikalische Teile der betreffenden Dichtung wirklich wahrhaft zu vertonen, überwinden konnte.

So scheint mir diese Übernahme des Melodramas in die Oper keineswegs so undankbar zu sein, wie sie den meisten Ästhetikern vorkommt. Beim Melodrama in der Kerkerszene von Beethovens »Fidelio« habe ich das Gefühl, daß die Beklommenheit im Empfinden Leonores und die handwerksmäßige Gelassenheit Roccos sich weder rezitativisch noch durch Gesang so ergreifend hätten ausdrücken lassen wie in dieser melodramatischen Behandlung. Und noch lehrreicher scheint mir nach der Richtung das Melodrama im zweiten Akte von Marschners »Hans Helling« zu sein. Hier haben wir von vornherein die sinfonische Schilderung der wilden Sturmnacht im Orchester, die durchgeführt ist; dazu mit außerordentlicher Wahrheitskraft das Vor-sich-Hinsprechen der verängstigten Mutter. Ebenso wahr ist es, daß in dieser Gemütserregung sich ihr eine Melodie einstellt, die sie zunächst wortlos vor sich hinsummt, bis dann endlich in der höchsten Spannung das Lied als auslösende Kraft eintritt. Diese drei verschiedenen Stadien in der Mitteilungsform derselben Person schließen sich logisch zusammen und verwachsen mit der ebenso wahrhaft durchgeführten Orchestermusik zu echt dramatischer Einheit. Wir haben eine ähnliche Szene in Goethes »Faust«, wo sich auch bei Gretchen aus dem durch die Begegnung mit Faust aufgeregten und verwirrten Gemütszustande das »Lied vom König in Thule« einstellt.

Daß Mozart später diese Art aufgegeben hat, braucht keineswegs auf eine Erkenntnis von der Minderwertigkeit dieser Gattung zurückzugehen, sondern wird eher den mehr äußeren Grund haben, daß die Art der ihm gestellten Aufgaben ihn nicht zu dieser Behandlungsweise anreizte. Ich stimme Otto Jahn gern darin bei, daß das Melodrama nicht ein »organisierendes Prinzip« für die Oper sein kann; aber bei Mozart ist im Gegensatz zu den alten Florentinern oder zu Gluck auch das Rezitativ nicht das organisierende Prinzip, sondern nur Verbindung der rein musikalischen Höhepunkte der Oper, weshalb er sogar in der »Zauberflöte« mit dem gesprochenen Dialog auskam. Andererseits darf man nun das, was Mozart bei der Übernahme des Melodramas in die Oper vorschwebte, nicht nach dem einen Versuch beurteilen, der uns in einem Werke vorliegt, an dem er sicher überhaupt nicht mit voller Lust gearbeitet hat. Denn daß er bei der zweiaktigen Oper »Zaide« nicht mit ganzem Herzen dabei war, geht aus der Tatsache, daß er sie nicht vollendete, ebenso hervor wie aus der Leichtigkeit, mit der er später ihre Musik preisgab. Das Buch, das ihm der als Mensch gewiß vortreffliche Schachtner geschaffen hatte, ist nach Inhalt und Form ein ganz trauriges Machwerk, dessen hahnebüchener Charakteristik gegenüber sich Mozart zumeist mit einer auch mehr äußerlich korrekten Formgebung geholfen hat. Man denkt da an Wagners Wort, daß ihn beim Dramatiker Mozart nichts so sehr erfreue, als daß er zum »Titus« nicht eine ebenso schöne Musik habe schaffen können, wie zur »Zauberflöte«. Aber immerhin, gerade für die Verwendung des Melodramas, wie sie ihm vorschwebte, ist sehr bezeichnend, wie er die zahlreichen eingeschobenen Musikteilchen durch die rhythmische Zusammenstellung und harmonische Fortschreitung zu einem Ganzen zu vereinigen strebte.

In wertvolleren Früchten zeigt sich die Einwirkung des Melodramas in einer anderen dramatischen Arbeit, die Wolfgang schon 1773 begonnen hatte, jetzt aber wieder aufnahm und zu Ende führte, in den Zwischenakten zu dem heroischen Drama »Thamos, König in Ägypten« von Freiherrn Tob. Phl. v. Sebler. Wahrscheinlich hat Mozart diese Arbeit für die Wandertruppe des damals in Salzburg tätigen Schikaneder, mit dem er später in so enge Verbindung geraten sollte, geschaffen. Er hat zu dem Drama fünf Instrumentalsätze geschrieben, von denen vier zwischen die verschiedenen Aufzüge gehören, während der letzte das Stück beschließt. Diese Zwischensätze schließen sich immer an die Schlußszene des gespielten Aktes an und versuchen die darin maßgebenden Empfindungen musikalisch auszudrücken. Die Originalpartitur zeigt, von des Vaters Hand geschrieben, Mozarts Absichten in Worte gefaßt, z. V.: »Der erste Aufzug schließt mit dem gewonnenen Entschluß zwischen Pheron und Mirza, den Pheron auf den Thron zu setzen.« Am deutlichsten zeigt sich hier die melodramatische Art beim dritten Zwischenspiel, wo die Musik nicht nur die letzte Szene nachlebt, sondern auch die erste des folgenden Aktes vorbereitet. Jahn urteilt: »Unverkennbar hat Mozart sich, angeregt durch das Melodrama, mit Behagen an die Aufgabe gemacht, durch die Instrumentalmusik im Detail zu charakterisieren, und doch überwiegt bei ihm fast überall das Moment der musikalischen Gestaltung. Die Eindrücke, welche ihm das Drama gibt, werden für ihn nur Impulse, die einzelnen Motive eines nach musikalischen Normen gegliederten Satzes schärfer zu betonen und miteinander in Kontrast zu setzen.« (I. Seite 624.) Ich meine, man könnte ein derartiges Urteil über jede echte sinfonische Dichtung schreiben; mehr will ja auch diese nicht. Das ist jenes Dichten in Tönen, das Gluck für seine Opern wollte, das Beethoven in seiner Sinfonie dann vollbrachte. Die Tatsache, daß es auch Mozart hier bei reiner Instrumentalmusik, die ihren inneren Gehalt aus einer dramatischen Dichtung gewonnen hatte, zuerst gelang, derartig in Tönen zu dichten, bezeugt aufs neue, daß der Weg zum echten Musikdrama über diese, eine innere Entwicklung gebende Sinfonie führte.

Musikalisch ganz hervorragend sind einige Chöre, die Mozart zu diesem Drama »Thamos« geschaffen hat. Sie sind allgemein bekannt mit den später untergeschobenen lateinischen bzw. deutschen Texten: »1. Splendente te, Deus, discussa tristis est nox«; deutsch: »Preis dir, Gottheit, durch alle Himmel tönt dein Ruhm !« 2. »Gottheit, dir sei Preis und Ehre!« 3. » Ne pulvis et cinis superbe te gelas«; deutsch: »Ob fürchterlich tobend sich Stürme erheben.« Diese glänzenden, in freier Bewegung entwickelten pathetischen Chöre haben das Urteil über Mozart als Kirchenkomponist sehr stark beeinflußt und zum Vorwurf der Theatralik seiner Musik viel beigetragen. Zu Unrecht natürlich, wenn wir so erfahren, daß diese Chöre tatsächlich fürs Theater bestimmt waren. Der Empfindung einer allgemein religiösen Erhebung, dem Gefühl glänzender Feierlichkeit und begeisterter Hingabe geben sie überzeugenden Ausdruck, so daß nur dringend zu wünschen wäre, daß der bislang noch immer benutzte deutsche Text durch einen besseren ersetzt würde. Denn im jetzigen gehen die Worte vielfach gegen die Musik, was Mozart in jener Zeit schon, wo er es bei anderen Komponisten antraf, heftig tadelte. Allerdings sprengten diese Chöre auch den ihnen im Drama Geblers angewiesenen Raum; sie mußten ihre ganze Umgebung erdrücken. Mozart hatte eben hier die Gelegenheit wahrgenommen, einmal aus dem Vollen zu schaffen. Er hatte nicht umsonst schon früher die Chorkomposition als seine Stärke bezeichnet und sich auf Paris besonders deshalb gefreut, weil er für die dortigen großen Chöre schaffen zu können hoffte.

Im allgemeinen mußte er nach den größeren Verhältnissen in Paris und vor allem in Mannheim die Beschränktheit der Mittel in Salzburg doppelt schmerzlich empfinden. Sein Dienst brachte es mit sich, daß er auch jetzt wieder viel für die Kirche schuf: Vespern zumal, auch einzelne Messen. Das früher gewonnene Gesamturteil gilt auch hier, auch insofern, daß jedenfalls in diesen Werken einzelne Teile, wie auch etliche selbständige Bruchstücke den Beweis erbringen, daß Mozart nach einem eigenartigen, strengeren Kirchenstil verlangte, diesen sicher auch verwirklicht hätte, wenn er in den äußeren Verhältnissen auch nur die geringste Anregung dazu gefunden hätte. So aber mußte er sich damit begnügen, innerhalb der eng gezogenen Grenzen durch die eigenartige Verteilung der Orchesterstimmen, durch den ganzen Charakter der Instrumentation, für die er seine Mannheimer Erfahrungen verwertete, rein musikalisch möglichst viel zu erreichen. Das gilt auch für die reinen Instrumentalwerke, die er in dieser Zeit schuf. Es ist vor allem die selbständige Führung der Bläserstimmen, die gegen früher absticht. Freilich reichten auch hier die Salzburger Mittel nicht aus, fehlten ihm doch sogar die geliebten Klarinetten.

Nimmt man zu dieser beträchtlichen Zahl von Kompositionen hinzu, daß ihm der praktische Kapellmeister- und Organistendienst doch eine Masse von Arbeit brachte, daß es der Aufwendung größter Energie bedurfte, um die vertrödelten Salzburger Musikantenkreise zu höheren technischen Leistungen zu erziehen – das Augsburger Bäschen hat später oft über Mozarts Leidenschaftlichkeit beim Dirigieren ihre Spässe gemacht –, so wird man zugestehen müssen, daß auch diese Zeit die stets lebendige Fruchtbarkeit und den immer wachen Fleiß Wolfgangs bestätigt.

Aber wirklich wohl konnte ihm auch künstlerisch in dieser Beschränkung, die er jetzt stets als Beschränktheit empfand, nicht sein. Wie mochte er darum aufjauchzen, als ihm der Auftrag wurde, zum Karneval 1781 die Opera seria für München zu schreiben. Nach eindreiviertel Jahren konnte er seine Vaterstadt verlassen, in die er nur mit Widerwillen gekommen, die ihm inzwischen nicht lieber geworden war. Im November 1780 fuhr er nach München, um an Ort und Stelle sein Werk zu vollenden. Es sollte der Abschied für immer sein.


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