Karl Storck
Mozart – Sein Leben und Schaffen
Karl Storck

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13. Zwischen den Opern

»Sie wissen«, schrieb Mozart am 31. Juli 1778 von Paris aus an den Vater, »daß ich sozusagen in der Musik stecke, daß ich den ganzen Tag damit umgehe, daß ich gern spekuliere, studiere, überlege.« Das hätte Mozart zeitlebens von sich sagen können; es gilt auch für die ersten Jahre seiner Ehe, die man sonst häufig als die unfruchtbarsten seines Lebens bezeichnen hört. Diese Auffassung ist scheinbar durch die Tatsache gerechtfertigt, daß in der Tat aus den Jahren 1782-86 verhältnismäßig wenige bedeutende Werke vorliegen. Zahlreiche Pläne für Opern, weitgehende Skizzen für zwei nachher nicht ausgeführte komische Opern, eine lange Reihe kleinerer Sachen, daneben doch auch etliche umfangreichere Kammermusikwerke, die in diese Jahre fallen, bezeugen, daß auch von den Verkündern dieser Meinung das Urteil nur nach dem Maßstab des sonst so unvergleichlich reichen Schaffens Mozarts gefällt wurde. Aber auch in dieser Einschränkung dürfen wir diese Meinung nicht einfach übernehmen. Mozarts Frau urteilte da viel richtiger, wenn sie sagte: »Die große Arbeitsamkeit in den letzten Jahren seines Lebens bestand darin, daß er mehr niederschrieb, eigentlich arbeitete er von jeher im Kopf immer gleich. Sein Geist war immer in Bewegung, er komponierte sozusagen immer.« (Nissen, S. 694.)

Ich habe in der Einführung zu diesem Buch die merkwürdige Schaffensweise Mozarts ausführlich gekennzeichnet. Bei keinem anderen Künstler kann man so deutlich Goethes Auffassung genialer Schöpfertätigkeit bestätigt finden: die Zweiteilung des künstlerischen Produzierens in das eigentliche, sich innen vollziehende Schaffen und in die Mitteilung an die Welt. Ich möchte jenen Darlegungen hier zunächst hinzufügen, daß das oft berufene wunderbar schnelle Hervorbringen von bedeutsamen Werken, wie etwa der Ouvertüre zu »Don Juan«, das in der Lebensgeschichte Mozarts so ausführlich erwähnt wird, seine Erklärung dadurch erhält, daß es sich in solchen Fällen nur um ein Niederschreiben eines innerlich bereits vollständig fertigen Werkes handelte; hinzufügen auch, daß sich aus dieser Erkenntnis jene Beurteilung Mozarts als einen säumigen, lässigen Arbeiters, die auch sein Vater teilte, von selber verbessert, insofern diese Leute eben nur das äußerlich fruchtbar werdende Arbeiten ansahen, nicht die ungeheure Arbeitsleistung, in der sich dieser Mensch innerlich vollkommen verzehrte. Gewiß sieht trotzdem die Schnelligkeit der Arbeitsweise Mozarts einzig da, sie wurde nur durch ein fabelhaftes Gedächtnis, das ihm alles einmal innerlich Geschaffene stets zur beliebigen Verwendung in jedem Augenblicke bereithielt, ermöglicht; endlich war er auch imstande, der Muse zu befehlen und ohne alle Vorbereitung Kompositionen wohl künstlicher Form, aber einfacheren Gehalts gewissermaßen aus dem Ärmel zu schütteln. Auf der anderen Seite steht dann der sorgfältige Arbeiter Mozart, der es an eindringlichen Skizzen nicht fehlen ließ, von dem wir für viele der großen Werke kleine Blätter besitzen, auf denen er vor allem feinere polyphone Stimmführungen sich erst gewissermaßen ins unreine schrieb, bevor er sie in die Partitur einstellte, so daß er nicht ohne Grund von sich sagen durfte: »Überhaupt irrt man, wenn man denkt, daß mir meine Kunst leicht geworden ist. Ich versichere Sie, niemand hat so viel Mühe auf das Studium der Komposition verwendet als ich.«

Aber die Eigenart des künstlerischen Schaffens Mozarts hat über die mehr äußeren Begleiterscheinungen hinaus die für uns sehr schmerzliche Bedeutung, daß wir nur einen Bruchteil seines inneren Schaffens erhalten haben. Das ist nun wohl bei jedem großen Künstler der Fall; aber doch bei keinem von denen, die überhaupt Könner waren, in solchem Maße wie bei Mozart, trotzdem ihm die Formgebung in unvergleichlicher Weise leicht war; oder auch gerade deshalb. Dieses vollständige Fertigmachen seiner Werke im Innern, so daß sie für ihn fortan nicht mehr in jenem mehr chaotischen Zustande des stets in Bewegung sich befindenden Planes, sondern bereits geformt waren, brachte es notwendigerweise mit sich, daß für ihn selber die Niederschrift dieser Werke überflüssig war. Und je fruchtbarer sein Genie war, je ununterbrochener er Neues schuf, um so mehr mußte es ihm geradezu eine Qual bedeuten, wenn er durch die doch letzterdings handwerksmäßige Niederschrift von Werken für viele Stunden in Anspruch genommen wurde, wo es eigentlich seinen Geist innerlich zu neuem Schaffen drängte. Ohne die außerordentlich strenge Erziehung seines Vaters, der dafür gesorgt hat, daß auch die sichtbare, technische Arbeit seinem Sohne zum eisernen Hemde der Gewohnheit geworden war, würden wir an Mozart wahrscheinlich ein Ähnliches erlebt haben, wie an Lionardo da Vinci, bei dem vor lauter Produktivität die vollkommene Ausgestaltung des innerlich Erschauten fast nie zustande gekommen ist. Aber in abgeschwächter Form findet sich auch bei Mozart das Seitenstück zu diesem Falle: Mozart bedarf des äußeren Anlasses, der Anregung von außen zur Niederschrift seiner Werke.

Man könnte einwerfen, daß im Wesen des künstlerischen Genies auch der Zwang zur sozialen Mitteilung liege; daß dieser Zwang, der Welt mitzuteilen, was innerlich geschaffen ist, schließlich gerade den Unterschied des wahrhaften Künstlers vom bloßen Phantasiemenschen ausmache. Denn geschaffen ist am Ende doch nur das, was wir von uns losgelöst haben; Schaffen heißt lebendige Werte erzeugen, beim Künstler Werke, die durch sich leben, also außerhalb von ihm stehen müssen. Gewiß! aber Mozart hat ja auch der Welt alles mitgeteilt, er hat ja alles aus sich heraus projiziert, von sich losgetrennt, was er geschaffen hat. Bloß ist nicht alles niedergeschrieben. Hier zeigt sich wieder einmal die Eigenstellung der Musik; hier erklärt sich uns die wunderbare Wirkung der Mozartischen Improvisation. Die Zeitgenossen sind sich alle einig darüber, daß sein Improvisieren einen Gipfel dessen bedeutete, was die Welt in Musik erleben kann. Da haben wir den Bericht des Chormeisters Ambros Riedel, der noch als Achtzigjähriger (1851) in seinen »Erinnerungen« davon schwärmt, daß er als Jüngling Mozart phantasieren gehört habe. »Den kühnen Flug seiner Phantasie bis zu den höchsten Regionen und wieder in die Tiefen des Abgrunds konnte auch der erfahrenste Meister in der Musik nicht genug bewundern und anstaunen. Noch jetzt höre ich diese himmlischen, unermeßlichen Harmonien in mir ertönen und gehe mit der vollsten Überzeugung zu Grabe, daß es nur einen Mozart gegeben hat.« Über das Konzert, das Mozart im Januar 1787 in Prag gab, berichtet Stiepanek: »Zum Schluß der Akademie phantasierte Mozart auf dem Pianoforte eine gute halbe Stunde und steigerte dadurch den Enthusiasmus der entzückten Böhmen aufs höchste, so daß er durch den stürmischen Beifall, welchen man ihm zollte, sich gezwungen sah, nochmals an das Klavier sich zu setzen. Der Strom dieser neuen Phantasie wirkte noch gewaltiger und hatte zur Folge, daß er von den entbrannten Zuhörern zum drittenmal bestürmt wurde. Mozart erschien, und innige Zufriedenheit über die allgemeine enthusiastische Anerkennung seiner Kunstleistungen strahlte aus seinem Antlitz. Er begann zum drittenmal mit gesteigerter Begeisterung, leistete, was noch nie gehört worden war, als auf einmal aus der herrschenden Todesstille eine laute Stimme im Parterre rief: Aus Figaro! worauf Mozart in das Motiv der Lieblingsarie Non più andrai einleitete, ein Dutzend der interessantesten und künstlichsten Variationen aus dem Stegreif hören ließ und unter dem rauschendsten Jubel diese merkwürdige Produktion endigte.« (Nissen S. 517.) Und Niemetschek, der so tief in Mozarts Wesen eingedrungen ist wie wenige seiner späteren Biographen, sagte als Greis zu Alois Fuchs: »Dürfte ich mir noch eine Erdenfreude von Gott erbitten, so wäre es die, Mozart noch einmal auf dem Klavier phantasieren zu hören; wer ihn nicht gehört, hat nicht die entfernteste Ahnung, was er da zu leisten imstande war.« Und derselbe Niemetschek berichtet uns: »Auch in seinen Mannesjahren brachte er halbe Nächte am Klavier zu; dies waren eigentlich die Schöpferstunden seiner himmlischen Gesänge. Bei der schweigenden Ruhe der Nacht, wo kein Gegenstand die Sinne fesselt, entglühte seine Einbildungskraft zu der regsten Tätigkeit und entfaltete den ganzen Reichtum der Töne, welchen die Natur in seinen Geist gelegt hatte. Hier war Mozart ganz Empfindung und Wohllaut, hier flossen von seinen Fingern die wunderbarsten Harmonien! Wer Mozart in solchen Stunden hörte, der nur kannte die Tiefe, den ganzen Umfang seines musikalischen Genies: frei und unabhängig von jeder Rücksicht durfte da sein Geist mit kühnem Fluge sich in die höchsten Regionen der Kunst schwingen.« (S. 83.)

Dieses Phantasieren aber war keineswegs etwa Vorbereitung für das nachherige Schaffen. Mozart hat dauernd die Zeit des Niederschreibens sorgfältig von diesem Phantasieren getrennt und hat bekanntlich bei der Niederschrift niemals das Klavier zuhilfe genommen, sondern schrieb, wie seine Frau sagt: »Noten wie Briefe und probierte einen Satz erst, wenn er vollendet war.« Was Mozart in solchen Improvisationen und Phantasien mitgeteilt hat, das war für ihn Schaffen; das war auch sinnlich lebendig geworden. Nur bringt es die Eigentümlichkeit der Musik mit sich, daß es mit dem einmaligen Spiel, mit diesem einmaligen Geschaffenwerden vorbei war, da die technische Niederschrift, das Aufbewahrungsmittel für künftige Zeiten, fehlte. Man stelle sich vor, daß ein Schallempfänger für Grammophone neben Mozarts Klavier gestanden hätte, – wir besäßen eine unendliche Fülle von Klavierwerken von ihm. Also liegt es lediglich an einem äußeren Umstande, daß wir sie nicht besitzen. Das ist um so betrübender, als wir nun, wenigstens soweit die Klavierkompositionen in Betracht kommen, sicher nicht das Beste dessen haben, was Mozart geschaffen hat. Allenfalls stehen seine Konzerte auf der Höhe, obwohl er auch bei diesen sich ganz genau nach dem Anlaß richtete, bei dem er sie vortrug. Für die meisten anderen Klavierkompositionen aber war dieser äußere Anlaß so, daß er darin mehr Leichtes, Gefälliges geben wollte, als Großes. Gerade weil Mozarts Innenleben von allem Problematischen frei war oder doch dieses sehr leicht zur Harmonie überwand, hatte er nicht gleich einem Beethoven das Bedürfnis, sein innerstes Erleben nun gewissermaßen im Zustande des Kampfes vor uns zu stellen. Die Macht des Anlasses war so bedeutend, daß er auch weitgeführte Kompositionen liegen ließ, wenn er in ihrer Niederschrift irgendwie unterbrochen worden war. Was haben wir an wertvollen Anfängen und auch bereits weit fortgeführten Bruchstücken von Mozart! Und das Merkwürdige: er hat diese herrliche Fülle von Motiven, von Themen keineswegs später verwertet; er hat nicht etwa wie der gewiß auch fruchtbare Händel sich in solchen Bruchstücken gewissermaßen eine Vorratskammer für minder produktive Zeiten angelegt. Sobald er nachher wieder zur Niederschrift kam, war auch das Neue da. Er steckte ja in der Musik! Darin liegt auch die ungeheure Bedeutung der Oper für Mozart, die für ihn nicht nur der großartigste Anlaß zum Musizieren war, sondern auch eine ungeheure Bereicherung der Empfindungswelt bedeutete, weil er hier aus Gefühl und Empfinden anderer Menschen aus Situationen heraus, die er nicht selber erlebt hatte, gestalten konnte. Die Oper war also eine Vergrößerung seiner Schöpferwelt. Darin liegt der Grundunterschied von Wagner, der in der Oper auch sich selbst gab, während Mozart objektiver Weltspiegler ist des außer ihm Stehenden. –

Nach diesen Darlegungen begreift man, daß die Mehrzahl der Werke Mozarts in einem besonderen Sinne Gelegenheitskompositionen sind. Wenn Goethe sein Schaffen als Gelegenheitsdichtung bezeichnete, so verstand er es dahin, daß die dichterische Fähigkeit in ihm gewissermaßen immer wach lag und es nur eines Anstoßes bedurfte, um sie zur Betätigung zu reizen. Dieser Anstoß war bei ihm zumeist persönliches, inneres Erleben. Daher Goethe vor allem Lyriker ist. Auch Mozart steckte immer in der Musik. Er war immer schöpfungsfähig und immer schaffensbereit. Aber Mozart ist vor allem Dramatiker. Ich halte ihn für die dramatischeste Natur unter allen deutschen Künstlern. Darum war er auch in diesem außerordentlichen Maße Gesellschaftsmensch. Wenn er einen Kreis von Menschen um sich hatte und merkte, daß darunter einer oder einige waren, die mitzugehen bereit waren, dann setzte sich seine Phantasie zur Mitteilung in Bewegung und er begann zu improvisieren. Gewiß sind alle diese Improvisationen im wesentlichen subjektiv-lyrisches Sichausleben. Aber man braucht zum Vergleich nur etwa an Schumanns Klaviermusik zu denken, um sofort klar zu fühlen, daß Mozart nicht Stimmungslyriker in dem Sinne war. Wenn er phantasierte, so geschah es mit wunderbarer Ausgestaltung der Formen. Liebte er doch gerade in solchen Fällen besonders die Variation. Damit stimmt überein, daß die äußeren Lebenszustände und die daraus hervorwachsenden Lebensstimmungen in Mozarts Schaffen gar nicht zum Ausdruck kommen. Das waren völlig getrennte Welten. Er hat in trübseligsten Zeiten die heiterste Musik geschrieben. Ihm war die Kunst eine Welt für sich. Seine Kunst wird reifer, wird ernster mit der Zeit und der Fülle der Erlebnisse, im wahrsten Sinne des Wortes tiefer. Aber in seinen sämtlichen Werken bekommen wir keinen Schlüssel zum Erleben und Leben des Menschen, der sie geschaffen hat. Das ist wie bei Shakespeare. Wäre es nach Mozarts innersten Herzenswünschen gegangen, so hätten wir auch von ihm nur dramatische Musik. Neben alledem hätte er doch sich selber in jenen stillen Stunden der Nacht, die er am liebsten am Flügel zubrachte, frei musiziert. Frei vom Leben wahrscheinlich, – bis er sich so harmonisch und abgeklärt fühlte, daß er auch andern Eintritt gewähren konnte ins Reich der Kunst, wie es ihm vorschwebte.

Das Schicksal hat ihm und uns diese Arbeit nach persönlichen Wünschen nicht gegönnt. Dank seiner unvergleichlichen Fruchtbarkeit mußten auch die Zeiten zwischen den Opern mit Schaffen ausgefüllt werden. Aber dazu, daß er nun dieses Schaffen zu überkommbaren Werken gestaltete, bedurfte es eines ähnlichen in der Umwelt liegenden Anlasses, wie ihn eben die Oper bot. Es mußte irgendeiner ein Musikstück verlangen. Dieser eine konnte auch er selber sein, indem er mit Musik vor die Gesellschaft treten, d. h. ein Konzert geben wollte. In ihm wogt wie unterirdisches Gewässer ein ewig sprudelnder Quell von Musik. Aber diese Quelle muß angebohrt werden, damit sie ans Licht tritt; dann schießt sie in das Bett, das ihr gegraben ist: sei es das ungeheuer breite Strombett einer Sinfonie, sei es zum stolzen Fluß eines Konzertes oder auch nur ein kleines Bächlein. Das ist sicher ganz einzig dastehend, daß ein so mit Musik angefüllter Mensch immer das schafft, was andere brauchen, was eine Gelegenheit verlangt. Es ist das nur bei einem so unvergleichlichen Reichtum möglich, bei dem gar nicht daran zu denken ist, daß er sich einmal ausschöpfe. Es ist auch nur in Musik möglich. Und hier eben darum, weil der Musiker im eigenen Spiel für sich selber schaffen kann und damit jenem Quell innerer Musik immer den nötigen Abfluß vermittelt. Darin, daß Mozart, bei dem wir nun ganz genau wissen, daß, was er schuf, sich ihm innerlich vollkommen fertig gestaltete, trotzdem ein so starkes Bedürfnis zum einsamen Klavierspiel besaß, offenbart sich diese Art der Musikernatur ganz deutlich. Er spielte nicht Klavier, um sich für sein Schaffen in Stimmung zu bringen, um die Form zu suchen, den Ausdruck zu finden für das, was er schaffen wollte, sondern dieses stundenlange Klavierspielen – man konnte ihn nur schwer vom Instrument wegbringen, wenn er erst daran war – war gewissermaßen das Ventil für sein mit Musik überfülltes Innere. Aber damit war dann eben das subjektive Bedürfnis gestillt. Danach brauchte er an der Fülle seines Inneren nicht mehr zu ersticken. Danach war er frei! Frei für jenes überlegene Schaffen des Herrschers, für jenes göttliche Thronen über allem, was Stoff heißt, so daß er nun in jedem Augenblicke das schaffen kann, was für diesen Augenblick für die gegebenen Verhältnisse, seien sie groß oder klein, das Richtige ist. Daß es ihm lieber ist, wenn diese Verhältnisse groß sind, daß es ihm bei seinem unendlichen Reichtum wertvoller ist, wenn er möglichst viel geben, wenn er verschwenden kann, ist selbstverständlich. Aber die Enge bringt ihm keine Not, und die Kleinheit behindert ihn nicht in der Liebe für dieses Werk, nicht an der Vollendung im Kleinen. Es ist an sich nicht weniger vollkommen, was er für ein Musikwerk in einer Uhr geschaffen hat, als wenn er eine Sinfonie in Auftrag bekommt. Dazu fehlt jede Parallele in der Geschichte der Kunst, hier liegt die Einzigartigkeit Mozarts; hier der Grund, weshalb ein Goethe in Mozart die Verkörperung des Genies sah. Wir erleben es sonst immer von Künstlern, daß sie Arbeiten, die ihnen in Auftrag gegeben werden, als Zwang empfinden. Bei Mozart war das nicht der Fall. Ihm war jeder Auftrag erwünschte Gelegenheit, sich zu betätigen. Gewiß kommt es vor, daß eine in Auftrag gegebene Arbeit nicht vorwärtsschreitet, weil sie ihm unbequem ist. Das sind aber immer Unbequemlichkeiten von außen, nicht von innen. Diese Unbequemlichkeiten liegen im Mangel der Mitteilungsmittel oder in der Unschönheit derselben nach Mozarts subjektivem Empfinden. Das ist ein großer Unterschied. Als Nötigung seines Innern hat er einen Auftrag nie empfunden. Beethoven meinte von sich, er hätte einen »Don Juan« nicht komponieren können. Es hat immer Leute gegeben, die Mozart einen Vorwurf daraus machten, daß er Texte wie »Figaros Hochzeit« oder » Cosi fan tutte« komponiert habe, wegen der »Frivolität«, die in ihnen liege. Es ist genau so, als ob man Shakespeare einen Vorwurf daraus machen wollte, daß er einen Richard III., einen Othello mit solcher Liebe gestaltet hat. Als ob die Natur ihre schöpferische Gewalt in der giftigen Schlange nicht genau so wunderbar zu offenbaren vermöchte, wie im herrlichsten Gebilde eines »guten« Geschöpfes. Man bedenke des weitern, welch großartiger Lyriker Shakespeare ist, wenn er für eine seiner Personen, oder sagen wir besser, aus einer seiner Personen heraus ein Lied schaffen kann. Ich-Lyriker ist er nie. Genau so Mozart. Dieser wunderbare Melodienmensch, bei dem sich die größten Musikgebilde liedmäßig gestalten, hat nichts von jenem Bedürfnis Schuberts, der Lied um Lied singt, unbekümmert, ob es verklinge, unbekümmert darum, wer es singt; der eben singen muß, dem das Lied, das aus der Kehle dringt, reichlich Lohn ist; genauer, für den der Lohn darin liegt, daß das Lied ihm aus der Kehle gedrungen ist. Mozarts schönste und volkstümlichste Lieder stehn bezeichnenderweise in seinen Opern. In seinen Instrumentalsachen stehen hundert Stücke, denen sich Liedtexte unterlegen ließen. Eigentliche

Lieder

hat er nur vierunddreißig geschaffen. Sie sind in längeren Zwischenräumen, dann aber meist gruppenweise entstanden. Es bedurfte eben auch hier des äußeren Anstoßes. So entstehen neun der Lieder im Jahre 1787, wo er am meisten im Jacquinschen Hause verkehrte. Für die damalige geistige Kultur ist bezeichnend, daß Mozart, der auf der Höhe der gesellschaftlichen Bildung seiner Zeit stand, der überdies in vielen kleinen Zügen literarischen Geschmack bekundete, nur ein einziges Lied von Goethe komponiert hat; daß die Mehrzahl der übrigen Texte jener vorgoethischen Lyrik angehören, die auf uns Heutige entweder spielerig und albern oder steif und geschmacklos wirkt. Dabei hat Mozart sein ganzes Leben doch als Zeitgenosse Goethes verbringen dürfen. Gerade, weil es bei ihm nur eines äußeren Anstoßes bedurfte, um ihn zur Komposition zu veranlassen, betätigen seine Lieder die Tatsache, daß noch Ende der achtziger Jahre die immerhin zwanzigjährige Tätigkeit unserer großen Literaturgenies noch wenig Einfluß auf den literarischen Geschmack gewonnen hatte. Im übrigen spielte in Wien das Lied jetzt überhaupt noch keine große Rolle. Es hatte sich in Nord- und Mitteldeutschland zum guten Teil in engster Verbindung mit dem Singspiel entwickelt. In Wien hat dieses Singspiel ja gleich wieder der italienischen Oper weichen müssen, und so waren hier auch bei der häuslichen Musikunterhaltung italienische Arien und Kanzonetten viel beliebter als deutsche Lieder. Daß übrigens in Norddeutschland das musikalische Lied sich früher entwickelt hatte, dankten wir ja auch weniger den eigenen Kräften als der Tatsache, daß hier die französische Chanson dank dem überwiegenden Kultureinfluß Frankreichs von jeher gesellschaftlich beliebt gewesen war.

Im übrigen wurde Mozart auch bei Liedtexten durch das einzelne Wort und die Formgebung überhaupt nicht leicht gestört, wenn das Gedicht aus einem wirklich dichterischen Untergrunde erwachsen war. Dann versenkte er sich in diesen und ließ aus ihm heraus, genau wie in seinen Opern, ein durchaus wahr empfundenes Gebilde erstehen. Unter Umständen kommt es dann vor, daß die Musik zwar gegen das einzelne Wort verstößt, niemals aber gegen den Sinn des Ganzen. Und darin beruht ihre Wahrheit. So offenbart sich auch in seinen Liedern seine urdramatische Natur, und das Goethische »Veilchen« ist ihm geradezu zu einer dramatischen Szene geworden. Aber auch andere Lieder gehören hierher. In Weißes »Zauberer« haben wir das Mädchen, das zuerst der Liebe sich bewußt wird; voll tiefsten Schmerzes ist das »Lied von der Trennung«; ein prachtvolles Überströmen tiefster Herzensgefühle bringt die »Abendempfindung«; voll bebender Leidenschaft ist die Lage erfaßt, »als Louise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte«; und »Die Alte« von Hagedorn muß nach des Komponisten Vorschrift »ein bißchen aus der Nase singen«, so deutlich sieht er die Person, die Situation, aus der ein Lied erblüht. Gerade deshalb sind auch ihm die ersten wahren Kinderlieder gelungen ohne Mätzchen, ohne Geistreichelei, sondern echt kindlich, wie er selber Kinder sah und liebte. Fast ebenso zahlreich wie die Lieder sind die einzelnen Arien, die Mozart zumeist für befreundete Künstler in diesen Wiener Jahren schrieb. Es ist, wie Jahn sagt, keine darunter, »welche nicht ein künstlerisches Interesse darbietet, eine ganze Reihe aber zählt zu den Werken ersten Ranges in dieser Gattung«. Sie waren zumeist für Mozarts Freunde oder Bekannte unter den Sängern geschaffen und wurden auch mit Vorliebe in Opern eingelegt, so daß er den Werken anderer auf diese Weise oft genug Erfolge verschafft hat.

Italienisch, wie diese Arien, sind einige reizvolle Kanzonetten für zwei Soprane und Baßstimme, zumeist wohl auch für das Haus Jacquin entstanden. Gerade

mehrstimmige Gesänge

erwuchsen häufig aus Gelegenheiten des Alltags, zumal sie eine besonders beliebte Unterhaltung waren. Da fühlte sich der Gesellschaftsmensch Mozart besonders wohl. Zuweilen kennen wir auch hier den äußeren Anlaß des Entstehens, wie beim bekannten »Bandl-Terzett«. Mozart hatte seiner Frau ein neues Band geschenkt, das diese, als sie mit Jacquin eine Spazierfahrt machen wollte, nicht finden konnte. Sie rief ihrem Mann zu: »Liebes Mandl, wo ist's Bandl?«, worauf alle drei suchten. Jacquin fand es, wollte es aber nicht hergeben, was ihm um so leichter fiel, als er dank seiner Körperlänge das Fundstück weit aus dem Bereich der Arme des kleinen Mozartschen Ehepaares halten konnte. Schließlich fuhr ihm aber der Haushund zwischen die Beine, und so mußte er kapitulieren. Es bedurfte natürlich nur eines Wortes zu Mozart, daß dieses Geschehnis Stoff zu einem komischen Terzett biete, um ihn zur Komposition zu reizen. Den Text machte er sich für solche Fälle dann selber zurecht, und seine alte Lust zur albernen oder auch recht derben Komik lebte sich in diesen Texten ungezügelt aus. Das bezeugen vor allem die Kanons, von denen wir einundzwanzig aus seiner Feder besitzen. Ihre Texte sind vielfach so, daß man sie in den Neuausgaben durch andere ersetzt hat, wodurch dann freilich die komische Wirkung zum großen Teil verloren ging; denn diese beruht natürlich meistens auf dem Zusammenprall der gewöhnlichen sprachlichen Ausdrucksweise mit der überkunstvollen Form. Liegt doch gerade in der rechnerischen Genauigkeit, in der zwangvollen Gesetzmäßigkeit der Kanonform auch wieder der Grund ihrer Wirkung aufs breite Volk, vorausgesetzt, daß von einer Qual der Schularbeit nichts gefühlt wird. So hat ja auch der ernste Beethoven mit innigem Behagen manch derbkomischen Kanon geschaffen. Für Mozarts wunderbare Formbeherrschung bot sich gerade hier eine Gelegenheit zu überlegenem Spiel. Ein Beispiel wenigstens sei für die Art, wie manche dieser Stücke entstanden sind, nach Rochlitz' Erzählung gegeben: Mozart speiste den Abend, ehe er von Leipzig nach Berlin reiste, von wo er nach einigen Tagen zurückzukommen dachte, beim Kantor Doles, in dessen Haus er viel und gern verkehrt hatte, und war sehr heiter. Die Wirte, welche der Abschied traurig machte, baten ihn um eine Zeile von seiner Hand zum Andenken; er machte sich lustig über ihr »Pimpeln« und wollte lieber schlafen als schreiben. Endlich ließ er sich doch ein Stückchen Notenpapier geben, riß es in zwei Hälften, setzte sich und schrieb – nicht länger als höchstens 5 bis 6 Minuten. Dann gab er dem Vater die eine, dem Sohn die andere Hälfte. Auf dem einen Blättchen stand ein dreistimmiger Kanon in langen Noten, ohne Worte, als man ihn sang, klang er herrlich, sehr wehmütig. Auf dem zweiten Blättchen war ebenfalls ein dreistimmiger Kanon ohne Worte, aber in Achteln, sehr drollig. Als man nun bemerkte, daß beide zusammengesungen werden könnten, schrieb Mozart erst den Text, unter den einen: »Lebet wohl, wir sehn uns wieder!« unter den anderen: »Heult noch gar wie alte Weiber«. So wurden sie nochmals gesungen. Leider ist dieser Doppelkanon nicht erhalten!

Daß der Mozartische Humor nicht des Wortes brauchte, sondern sich auch rein musikalisch auszuleben wußte, beweist die »Bauernsinfonie« für Streichinstrumente und zwei Hörner. Wir haben kaum eine komischere Karikatur über ungeschickte Spieler und unfähige Komponisten, als diese Kette köstlichster Einfälle, mit denen die fast immer falsch spielenden, falsch einsetzenden, mit Behagen gerade die äußerlichsten Virtuosenmätzchen nachahmenden Spieler verspottet werden. Während sie jedermann verständlich sind, wird nur der Fachmann die bewundernswert geistvolle Art voll auskosten, wie jene Komponisten verhöhnt werden, die keine eigenen Gedanken haben und nun irgendwo gehörte Modulationen und Themen mühsam schulgerecht verarbeiten und dabei in kleinen Abänderungen den Schein persönlicher Eigenart zu erbringen suchen.

Auch seine Zugehörigkeit zum Freimaurerorden veranlaßte ihn zu mannigfachen Kompositionen. Es sind da zunächst einige einfachere Gesellschaftslieder, dann mehrere Kantaten, unter denen die kleine Freimaurerkantate, am 15. November 1791 komponiert, die letzte Arbeit ist, die Mozart vollendet hat. Zu seinen allerschönsten Werken gehört die im Juli 1785 komponierte »Maurerische Trauermusik«, eigenartig in der Zusammensetzung des Orchesters, das ganz auf den Ausdruck des Feierlichen und Ernsten eingestimmt ist, prachtvoll im Widerstreit jener für Mozart so charakteristischen männlichen Gelassenheit gegen die Leidenschaft des Schmerzes.

Gelegenheitskunst im weitesten Sinne ist auch Mozarts

Klaviermusik.

Die künstlerisch vornehmste Gelegenheit, die sich hier ihm darbot, war sein eigenes Spiel vor der Öffentlichkeit, und so sind auch Mozarts Klavierkonzerte in jedem Betracht das bedeutendste, was er auf diesem Gebiet geschaffen hat. Er hat ihrer in Wien siebzehn geschrieben, davon fallen vierzehn in die Jahre 1783-86, wo er viel in Konzerten gespielt hat. Wie künstlerisch überlegt sein Schaffen war, bezeugen mehrere Briefstellen. Die drei ersten dieser Wiener Konzerte schuf er in der Absicht, sie gleich durch den Druck unters Publikum zu bringen. Über sie berichtet er dem Vater (28. Dezember 1782): »Die Konzerte sind das Mittelding zwischen zu schwer und zu leicht, sind sehr brillant, angenehm in die Ohren, natürlich, ohne in das Leere zu fallen; hie und da können auch Kenner allein Satisfaktion erhalten, doch so, daß die Nichtkenner damit zufrieden sein müssen, ohne zu wissen warum.« Die meisten Konzerte aber hielt sich Mozart gern für sich selbst zurück, und hier scheute er dann keine Schwierigkeiten des damals üblichen Klaviersatzes. Es muß ja alles historisch betrachtet werden. Heute gelten diese Konzerte für leicht, womöglich sogar leicht an Gehalt. Freilich, sich auffällig tiefsinnig zu gebärden, war Mozarts Sache nicht und, wie es bei so vielen der Jüngeren üblich ist, mit einer Masse von Problemen und Grübeleien den Hörer zu quälen, ohne ihm die Lösung zu bringen, lag ihm, der gerade in seinen Kunstwerken immer als harmonischer Mensch vor die Welt tritt, noch ferner. Gerade seine Klavierkonzerte sind vor allen Dingen Empfindungsmusik, Aussprache eines blühenden Gemütslebens, dem tiefer Ernst, ja Schmerz ebenso vertraut ist wie fröhlichste Lustigkeit; doch tritt gerade alles schwere Erleben in gefaßter Ruhe vor uns hin. Es ist ein Schaffen nach dem Sturm. Man kann Mozart als den Schöpfer der modernen Form des Klavierkonzertes bezeichnen. Gewiß ist das Konzert ja eigentlich nichts anderes als eine erweiterte Sonate; aber gerade das Maß dieser Erweiterung festzustellen, war von entscheidender Bedeutung. Denn im Konzerte ist die Virtuosität des Solisten wesentlich berechtigt, andererseits tritt er im Zusammenwirken mit dem Orchester hervor. Der harmonische Ausgleich zwischen Solist und Orchester ist bei keinem anderen Komponisten so vollkommen erreicht wie bei Mozart. Zunächst in der Verteilung des thematischen Materials. Es kommt nur ganz selten vor, daß einer der beiden Faktoren ein Motiv für sich allein erhält. Aber ebenso selten haben sie beide gleichen Anteil an einem Motiv; vielmehr ist hier ein prächtiges Widereinanderspielen, so daß das Orchester ausführlich behandelt, was das Klavier kurz dartut, und umgekehrt. So ist in dieser Hinsicht bei Mozart die glückliche Mitte gewahrt. Das Orchester wird nicht unwesentlich, wie etwa bei Chopin; ebensowenig kann man sich das Klavier irgendwo wegdenken, wie doch öfter bei Brahms. Wunderbar bewährt sich in diesen Konzerten Mozarts Fähigkeit, die Instrumente singen zu lassen. Man hat sich oft darüber gewundert, daß gerade er, dessen Gehör so unvergleichlich fein war, für das klanglich so wenig begabte Klavier dauernd die große Vorliebe besaß. Aber gerade diese Konzerte, in denen er das Klavier im Widerstreit mit den ihre ganze Farbenpracht entwickelnden Saiten- und Blasinstrumenten vorführt, zeigen, wie er es verstand, diese klangliche Minderwertigkeit als Sonderart zu behandeln und damit ihr ganz eigentümliche Reize abzugewinnen. Es ist immer wieder staunenswert, wie bei Mozart sich der scharfe technische Geist bewährt. Denn das ist es doch, wenn er es wagt, etwa nach einem vom Orchester ausgeführten Ritornell, das das Ohr des Hörers mit Klang vollkommen gesättigt hat, das Klavier als Erzeuger eines ganz dünnen Klanges auftreten zu lassen: sei es in spielenden Passagengängen, sei es auch dadurch, daß es ganz einfach eine getragene Melodie spielt, die es doch niemals so singen kann wie die Geige oder Klarinette. Man denke etwa an das Andante im C-dur-Konzert, wo eine ganz einfache Klavierstimme, die weder klanglich noch technisch irgendwie hervorragt, mit dem seine volle Fähigkeit entfaltenden Orchester verbunden ist. Und trotzdem besteht das Klavier hier als selbständige Kraft, gerade dank dem Verzicht auf alles sinnliche Vermögen. Es ist wie ein Triumph des Geistes, der tiefsten Empfindung über alle sinnliche Schönheit. Schönheit bleibt dann doch das Ziel des Ganzen. Beethoven verdeutschte Konzert als Wettkampf, und seiner Natur gemäß lag der Nachdruck auf dem Worte Kampf, Widerstreit. Wir erleben es bei ihm, wie sich langsam jenes Verhältnis entwickelt, das nun freilich vom geistig-seelischer Standpunkte das denkbar Höchste für das Klavierkonzert ist, daß hier das Klavier gewissermaßen den Einzelmenschen darstellt in seinem Verhältnis zu der vom Orchester vertretenen Welt: Mikrokosmos gegen Makrokosmos. Wie der Mensch in sich ein Bild der Welt ist, bloß eben Einzelwesen gegenüber der unendlichen Mannigfaltigkeit der Gesamtheit, so trägt auch das Klavier in sich die ganze Welt der Töne wie das Orchester, nur in der Einfarbigkeit des Einzelwesens. Auch bei Mozart ist das Klavierkonzert ein Wettstreit. Aber nicht ein Widereinanderstreiten von Klavier und Orchester, sondern das gemeinsame Eifern beider zur Erzeugung der Schönheit. Beide haben das gleiche Ziel und vereinen ihr Bestes, um es zu erreichen.

Nicht so bedeutend sind als Gesamtheit Mozarts Klaviersonaten. Manche derselben sind für Schüler komponiert und wollen nicht mehr sein als anmutige Klavierstücke. Mozart fand die Sonatenform ausgebildet vor. Phil. Emanuel Bach, – den er selbst als den Vater bezeichnete, während er und Haydn die Buben seien – und Scarlatti hatten das Wichtigste getan; Haydn hatte die Arbeit weitergeführt. Das Mozart Eigentümliche liegt hier in der Bildung der Themen. Er hat die Entwicklung aus der streng polyphonen Verarbeitung eines Themas zur harmonischen Melodiebildung zu Ende geführt. So wurde das Gesangliche zum Grundelement auch seiner instrumentalen Kunst. Nicht daß er Kunstformen des Gesanges aufs Klavier übertragen hätte; aber er ließ eben die Instrumente ihrer persönlichen Eigenart entsprechend singen. Damit hängt aufs engste zusammen, daß ihm nun die Durcharbeitung eines einmal aufgestellten Motivs weniger wichtig ist; das liegt auch im Wesen des Gesanglichen, wo es uns dann eher nach einer neuen Melodie verlangt. Da Mozart über eine unerschöpfliche Fülle musikalischer Erfindung gebot, wird er gerade in dieser Hinsicht leicht zum Verschwender. Wir sind ja glücklich darüber, wenn er unsere Empfindung an solchen Rosenketten schöner Motive dorthin leitet, wo er sie haben will. Die Zeitgenossen waren das noch nicht gewohnt; und so meinte auch Dittersdorf: »Mozart ist unstreitig eins der größten Originalgenies, und ich habe bisher noch keinen Komponisten gekannt, der einen so erstaunlichen Reichtum von Gedanken besitzt. Ich wünschte, er wäre nicht so verschwenderisch damit. Er läßt den Zuhörer nicht zu Atem kommen; denn kaum will man einem schönen Gedanken nachsinnen, so steht schon wieder ein anderer herrlicher da, der den vorigen verdrängt, und das geht immer in einem so fort, so daß man am Ende keine dieser Schönheiten im Gedächtnis aufbewahren kann.«

Es war Beethoven, der später beide Elemente vereinigte und so die Klaviersonate zur Höhe führte. Wir brauchen nur an die C-moll-Fantasie und Sonate zu erinnern, um zu zeigen, daß auch Mozarts Sonaten auf der Leiter hoch hinauf führen, die Beethoven dann zu Ende gestiegen ist. Nehmen wir die F-dur, so sehen wir, wie gesteigerte Kontrapunktik das Gewebe der Melodien wieder verdichtet, wie ohne Zwang doch ein strenges Ganzes aus den frei dahinschreitenden einzelnen Stimmen gefügt wird. Und wer sollte nicht viele der anderen Sonaten dauernd lieben: die sinnliche B-dur, die von Leidenschaft durchbebte A-moll, die köstliche D-dur, dann die C-dur mit der Fülle ihrer Melodien, die schier die Unterlegung von Worten gebieten; endlich den bunten Variationenstrauß der A-dur. Aus den anderen Werken kämen dann noch das kleine Rondo in A-moll, das Adagio in H-moll, die kleine E-dur-Gigue, die Ouvertüre mit Fuge im Stil Händels hinzu; auf der anderen Seite die vierhändigen Sonaten in F-dur und G-dur, die F-moll-Fantasie und die Sonate für zwei Klaviere in D-dur. Auch das vierhändige Spiel hat sich für Mozart ganz natürlich aus dem Leben heraus entwickelt, und so hat auch kaum ein Zweiter das Spiel der Hände so glücklich zum Vergnügen der Ausführenden zu gestalten gewußt, wie er. Mozart steht an der Spitze einer großen Klavierentwicklung, der sogenannten Wiener Schule. Er war ein so wunderbarer Meister der Form, daß seine Werke späteren Geschlechtern als Schulbeispiele immer wieder vorgerückt worden sind. Jene Wiener Schule hat ja gewiß eine edle Virtuosität gepflegt, aber doch gerade das Geistige zu sehr verflachen lassen und die schöne Empfindung in zu verdünnten Aufgüssen uns immer wieder vorgesetzt. Das alles trägt dazu bei, daß uns Mozarts Klavierwerke nicht in solchem Maße lebendige Werte sind, wie sie es sein könnten. Auch in unseren Konzertsälen kehren sie nicht oft wieder. Übrigens gehören sie mit Ausnahme der ausgesprochenen Konzerte da auch gar nicht hin. Aber man muß Mozart gegenüber zu der gleichen Erfahrung kommen wie bei jenen klassischen Dichtungen mit deren Lektüre wir in der Schule geplagt werden. Als reife Männer müssen wir zu diesen Werken zurückkehren, und da wird gerade seine wunderbare Harmonie uns beglücken: diese köstliche Schönheit, diese echt männliche Frohlaune, diese sichere Gediegenheit einer ernsten Lebensführung, dieses ganz natürliche Verweilen in einer durchaus bewußt gestalteten Welt der Kunst.

Die Werke, in denen das Klavier mit anderen Instrumenten zusammenwirkt, mögen uns zu Mozarts

Kammermusik

überleiten. Im damaligen Wien erfuhr die Kammermusik ausgiebige Pflege, und zwar, ihrem eigentlichen Berufe entsprechend, als gesellschaftliches Musizieren in engen Räumen. In den Liebhaberkreisen war das Musizieren viel mannigfaltiger als heute. Während das Klavierspiel vorzugsweise von den Damen gepflegt wurde, beeiferte sich die Herrenwelt um alle möglichen Instrumente, so daß eine mannigfache Zusammensetzung von Instrumenten auch außerhalb der eigentlichen musikalischen Berufskreise möglich war. Andererseits darf man auch nicht glauben, daß die Kammermusik vorzugsweise in den Händen der »Liebhaber« gewesen wäre; vielmehr war es Sitte der vornehmen Häuser, Berufsmusiker bei sich Kammermusik spielen zu lassen. Auch Mozart hat dieser prächtigen Musikgattung, in der wie in keiner anderen das fröhliche, gesellige Musizieren sich ausleben kann, bei der andererseits die Zusammenstellung mehrerer irgendwie durch Geist und Klang verwandter Instrumente eine im Klavier niemals erreichbare Fülle harmonischer und polyphoner Ausdrucksmittel ermöglicht, eine ausgiebige Pflege zuteil werden lassen. Die einfachste Zusammensetzung ist die von Klavier und Violine. Vor Mozart war man gewohnt, bei solchen Sonaten die Violinstimme als etwas untergeordnetes, als Begleitstimme aufzufassen. Mozart hat mit dieser Sitte gebrochen und in seinen Violinsonaten, wie eine damalige Kritik sagt, »das Akkompagnement der Violine mit der Klavierpartie so künstlich verbunden, daß beide Instrumente in beständiger Aufmerksamkeit erhalten werden, so daß diese Sonaten einen ebenso fertigen Violin- als Klavierspieler erfordern.« Fünf Terzette für Klavier, Violine und Violincello schließen sich an, unter denen das in E-dur besonders hervorragt. Eigenartig durch die Zusammenstellung wirkt das Trio für Klavier, Klarinette und Bratsche, wobei die letztere so ausgiebig behandelt ist, daß wir schon darin die Vorliebe Mozarts für dieses Instrument erkennen. Ebenfalls ganz eigenartig in der Klangwirkung ist das Quintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, das sich Mozart 1784 für eine Akademie schrieb und in einem Briefe an den Vater für das beste erklärte, was er noch in seinem Leben geschrieben habe. Die Blasinstrumente entwickeln die ganze Fülle ihrer sinnlichen Schönheit, gegen die das Klavier natürlich nicht aufkommen kann, weshalb es seine Sonderfähigkeit der raschen Beweglichkeit betont. Zwei Quartette für Klavier, Violine, Viola und Violincello zeigen eine bedeutende Steigerung in der Behandlung der Motive und an gedanklichem Gehalt. Sie sind voll leidenschaftlicher Stimmung, so daß sie die Zeitgenossen durch die Heftigkeit und Strenge des Ausdrucks stutzig machten.

Es ist ja überhaupt unser Kunstempfinden auf keinem Gebiete, auch in rein sinnlicher Hinsicht, in so steter Entwicklung begriffen wie bei der Musik. Das Ohr scheint sich verhältnismäßig leicht an gewisse Klangverbindungen zu gewöhnen, so daß es nach kurzer Zeit als sinnlich schön empfindet, was es zunächst schroff ablehnte. Wir stehen heute vor einem Rätsel, wenn wir hören, daß zeitgenössische Kritiker Mozarts Kammermusik »zu stark gewürzt« fanden, daß der Fürst Grassalcovicz wütend die Stimmen eines Mozartschen Quartetts zerriß, als ihn die Musiker davon überzeugten, daß wirklich geschrieben stehe, was ihm vollkommen falsch klang; daß man aus Italien dem Verleger die Stimmen zurückschickte, weil sie »zu fehlerhaft« gestochen seien. Das ist nun freilich längst vorbei. Dafür ist das heutige Empfinden Mozart gegenüber zu sehr dahin gelangt, bei ihm lediglich Streben nach sinnlicher Schönheit zu suchen. Man übersieht die Fülle von Kraft, tiefem Ernst, die Rücksichtslosigkeit des Ausdrucks dessen, was ihn beseelte. Schwerer noch freilich, als diese sinnliche Aufnahme der Mozartischen Musik, wurde den Zeitgenossen die geistige. Unser ganzes heutiges Musikempfinden ist, soweit Instrumentalmusik in Betracht kommt, geschult an Beethoven, dem großen Dichter in Tönen. Da ist es dann begreiflich, daß bei Mozart vor allem die Klarheit, die Durchsichtigkeit auffällt, was aber keineswegs auf Mangel an Tiefe, sondern auf der Einfachheit der Probleme beruht. Es ist hier nichts von verwickelten Empfindungen. Sie sind von elementarer Kraft, darum nicht weniger tief und wahr. Aber gerade Mozarts Kammermusik zeigt, wie sehr Beethoven auf seinen Schultern steht, zumal wenn wir bedenken, daß auch Haydn durchaus nicht nur Vorgänger Mozarts ist, sondern dank seinem langen Leben die Fülle von Anregungen verwerten konnte, die ihm sein viel jüngerer Freund brachte. Allerdings jener Typus der Kammermusik, an den wir bei diesem Worte heute vor allem denken, das Streichquartett, war die Schöpfung Haydns, und wieviel Mozart dafür dem alten Meister zu danken hatte, hat niemand schöner ausgesprochen als er selbst, indem er ihm seine sechs ersten in Wien geschaffenen Quartette in dankbarer Verehrung zu Füßen legte. Diese Werke hat Mozart, ohne andere äußere Veranlassung als allenfalls den Wetteifer mit Haydn, zwischen dem Dezember 1782 und dem Januar 1785 geschaffen und jedes für sich hat einen eigenen Charakter, als ob es dem Meister darauf angekommen wäre, die Mannigfaltigkeit dieser Kunstgattung zu zeigen. Ernst, voll männlicher Entschlossenheit, ist das erste in D-dur; ergreifend, durch den Ausdruck schmerzvoller Wehmut, das zweite in D-moll. Das dritte in E-dur ist frei von Leidenschaft, voll abgeklärter Ruhe. Heiter und lebensfreudig, spielender Anmut nicht abgeneigt, sind das vierte und fünfte in B-dur und A-dur. Das letzte in C-dur ist das bedeutendste, im Andante von schier überirdischen Abgeklärtheit, die um so wunderbarer uns umfängt, als in diesem Falle Mozart uns fühlen läßt, daß seine harmonische Schönheit erkämpft ist. Denn eingeleitet wird dieses Quartett durch ein in schroffer Härte aufeinanderprallendes Dur und Moll desselben Motivs, womit die Elemente zerrissenen Schmerzes und freudvoller Heiterkeit gewissermaßen als Eckpfeiler der Entwicklung hingestellt werden, die wir nunmehr erleben. Mehrfach kehrt dieser Zusammenprall im Werke wieder, bis endlich die Seele zu jenen Höhen gelangt, auf denen kein Hindernis mehr die Aussicht trübt in die klare Unendlichkeit eines durchsonnten Alls. Das Urteil der Zeit aber traf wohl der Stuttgarter Hofmusikus Schaul, wenn er ausrief: »Welch ein Unterschied ist zwischen einem Mozart und einem Boccherini! Jener führt uns zwischen schroffen Felsen in einen stachligen, nur sparsam mit Blumen bestreuten Wald; dieser hingegen in lachende Gegenden, mit blumigen Auen, klaren rieselnden Bächen, dichten Hainen bedeckt.« Die Zeit liebte diese fruchtbare idyllische Landschaft, und so haben auch Mozarts Quartette keinen äußeren Erfolg gefunden. Er hat dann nur noch durch den preußischen König Friedrich Wilhelm II. die Anregung zu lebhafterer Quartettkomposition erhalten und dabei dem Auftraggeber zuliebe das Violoncello sehr begünstigt.

Hervorragend sind die Quintette, bei denen Mozart im Gegensatz zu Boccherini, der diese Gattung ja besonders gepflegt hat, nicht das Violincello, sondern die Bratsche verdoppelt hat, zweifellos zugunsten der Klangwirkung im ganzen, wie im besonderen der Verteilung der einzelnen Instrumente zu sich ablösenden Gruppen. Hier steht jenes G-moll-Quintett, für dessen geistige Stimmung man den Leitspruch »Durch Nacht zum Licht« wählen könnte, der sonst vor allem für Beethoven charakteristisch erscheint. Der erste Satz ist ganz in Schmerz getaucht, der so gegen sich selber wütet, daß ein ohnmächtiges Zusammenbrechen die Folge ist. Im Menuett springt dann die Tatkraft zum Kampfe dazwischen, durch die der ganze Mensch aufgerüttelt wird, so daß im Trio dieses Satzes einer jener wunderbaren Lichtblicke, wie sie Mozart häufiger bietet, im unvermittelten Nacheinander desselben Motivs in Moll und Dur erscheinen kann, die mit einem Mal die gesamte Stimmung so wandeln, wie wenn durch gewitterschwangere Wolkenmauern urplötzlich die Sonne hervortritt. Wohl klagt das Adagio nochmals in tiefster Trauer; aber der sie empfindet, ist nicht mehr Beute des Schmerzes, sondern ringt sich mit allen Kräften der Seele sieghaft aus ihm empor, daß er nicht bloß zur Ruhe gelangt, sondern zu stolzem Glücksgefühl jauchzender Lust. Wunderbar tief ist hier, wie das zweite Thema dieses freudigen Satzes anklingt an das schmerzliche des ersten, als wollte der Schöpfer uns nachfühlen lassen, daß beide unendlich weit auseinanderliegenden Empfindungen derselben Brust entstammen. –

Es ist das Zeichen echter Musikkultur, wenn die Musik das gesamte Leben umfaßt, wenn sie überall aus diesem Leben herauswächst. So führt uns auch Mozarts Instrumentalmusik aus dem Hause über die Straße in den Konzertsaal. Auch er hat mehrfach für die Gattung der Harmoniemusik geschrieben, bei der mehrere Blasinstrumente sich zum Musizieren im Freien, vor allen Dingen auch für Ständchen, vereinigten. Gerade die Befreiung der Blasinstrumente ist des Instrumentalkomponisten Mozart besonderes Verdienst. Haydn hat erst durch ihn diese Kunst gelernt, in die Mozart durch die Bekanntschaft mit den hervorragendsten Orchestern der damaligen Zeit fast von selber hineingewachsen war. Mannheim, Paris, München hatte er kennen gelernt, jetzt standen die vorzüglichen Wiener Kräfte zur Verfügung. Neben vielen Privatkapellen besaß die Stadt in den zwei kaiserlichen Orchestern hervorragende Künstlergenossenschaften. Diese Orchester waren damals nicht groß. Der Streichkörper bestand durchweg aus zweiundzwanzig Stimmen, je sechs erste und zweite Violinen, vier Bratschen und je drei Violincelli und Bässe. Die Bläser waren fast immer einfach besetzt. Aber gerade diese Durchsichtigkeit des Klangkörpers mußte Mozarts seinem Klangempfinden eine stete Anregung bieten. Seine

Sinfonien

zeigen die immer wachsende Herrschaft über diese Instrumentalmittel und in steigendem Maße die Beseelung ihrer Sinnlichkeit, also die Verwendung derselben als Ausdrucksmittel des Seelischen.

Auch Kunstformen wachsen nur allmählich zur Vollkommenheit heran. Die zahlreichen Entdeckungen, die die geschichtliche Musikwissenschaft gerade in den letzten Jahren durch eindringliches Studium des 17. und 18. Jahrhunderts gemacht hat, haben erwiesen, daß auch jene Gestaltung der Sinfonieform, wie sie in Haydns Werken vor uns hintritt, langsam herangereift ist. Trotzdem bleibt Haydn der Ruhm, daß er der Sinfonie ihr neues Haus errichtet hat. Wir lieben auch heute noch Haydn, seine Fröhlichkeit muß jeden erquicken. Aber seine Musik allein vermag den heutigen Menschen nicht mehr zu erfüllen; unser seelisches Leben bekommt nicht genug. Der Weg führt in der Sinfonie von Haydn über Mozart zu Beethoven. Mit dem letzteren erleben wir den seltenen Glücksfall, daß zwei auseinanderstrebende Richtungen von einem gewaltigen Geiste zusammengefaßt und als Einheit weitergeführt werden. Denn bei aller gegenseitigen Liebe und Verehrung, bei dem vielen, was sie voneinander lernten, gehen Haydn und Mozart in ihren Sinfonien gerade im Wichtigsten auseinander. Haydn war die eigentliche Kantabilität versagt. Mozart hat jene motivischen Gedankenentwicklungen, die Haydns größtes Verdienst ausmachen, nur in einzelnen Fällen übernommen. Freilich war Mozarts Entwicklung nicht abgeschlossen, als der Tod ihm die Feder aus der Hand nahm, und gerade seine Sinfonien zeigen ein so gewaltiges Emporsteigen, daß man manchmal Beethoven nur als die logische Fortführung von Mozarts eigenem Beginnen betrachten möchte. Die Kantabilität ist das, was Mozart in die Sinfonie brachte. »Es sind die Ecksätze der Sinfonie, die Allegri, an denen Mozart eine Reform vollzog. Sie erstreckte sich nicht wie die Haydns auf die Entwicklung, Durchführung und Ausnützung der Themen, sondern sie betraf die Themen selbst. In sie führte er ein Element ein, welches die Zeitgenossen als ein »kantabiles« bezeichnen. Was das heißen soll, versteht man sehr leicht, wenn man das Hauptthema im ersten Satz der bekannten D-dur-Sinfonie Mozarts (Nr. 38 der neuen Gesamtausgabe von Breitkopf & Härtel) oder das entsprechende in seiner Es-dur-Sinfonie (Nr. 39 ebendaselbst) mit irgend einem ersten Allegrothema des letzten Haydns vergleicht. Hier immer rasche, vorwärtseilende Rhythmen, muntere, zuweilen leidenschaftliche Themen; immer bestimmte und fertige Äußerungen einer aktiven, positiv kräftigen Stimmung. Dort, bei Mozart: verweilende, sich ausbreitende Motive, in denen eine schwere Empfindung nach Ausdruck ringt, das Pathos eines vollen Herzens, welches die Formen des menschlichen Gesangs bald fest ergreift, bald nur für einen kurzen Moment zu streifen scheint. Diese, im höheren, im Schillerschen Sinne sentimentalen Elemente des Seelenlebens waren der älteren Instrumentalmusik selbstverständlich nicht fremd; aber sie wurden dort in der Regel für sich gehegt und blieben vorzugsweise auf die langsamen Sätze beschränkt; in den lebhafteren erhielten sie höchstens Nebenplätze. Nach der Meinung vieler machte sich daher Mozart einer Stilvermischung schuldig, indem er jene sentimentalen Elemente in die Hauptthemen und an andere wichtige Stellen der Allegri hineinzog, und noch der verdiente Nägeli nannte den Meister wegen jener Kantabilität, durch die ein Beethoven mit vorbereitet wurde, einen ›unreinen Instrumentalkomponisten‹. Richard Wagner meint etwas ähnliches wie der hochverdiente Gelehrte Hermann Kretzschmar, dessen Ausführungen wir eben anführten, wenn er sagt: »Mozart hauchte seinen Instrumenten den sehnsuchtsvollen Atem der menschlichen Stimme ein, der sein Genius mit weit vorwaltender Liebe sich zuneigte. Den unversiegbaren Strom reicher Harmonie leitete er in das Herz der Melodie, gleichsam in rastloser Sorge ihr, der nur von Instrumenten vorgetragenen, ersatzweise die Gefühlstiefe und Inbrunst zu geben, wie sie der natürlichen menschlichen Stimme als unerschöpflicher Quell des Ausdrucks im Innersten des Herzens zugrunde liegt. – So erhob er die Gesangsausdrucksfähigkeit des Instrumentalen zu der Höhe, daß sie die ganze Tiefe unendlicher Herzenssehnsucht in sich zu fassen vermochte.«

Köchels musterhaftes »chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Mozarts« zählt neunundvierzig Sinfonien auf. Die große Gesamtausgabe bringt ihrer siebenundvierzig. Durch Jahrzehnte lagen davon nur elf im Druck vor. Bei dem außerordentlichen Ruhm und der stets wachsenden Beliebtheit, die Mozart bald nach seinem Tode zuteil wurde, wäre es verwunderlich, wenn man sich wirklich Bedeutendes so lange hätte entgehen lassen. In der Tat hat die große Mehrzahl dieser Sinfonien nur biographisches Interesse. Gewiß fehlen auch diesen Durchschnittsarbeiten niemals hübsche Einfälle und schöne Einzelheiten, aber für die Kenntnis des großen Mozart haben sie keine Bedeutung. Es sind übrigens meistens keine Sinfonien in unserem Sinne, sondern wahren den Charakter der italienischen Ouvertüre nach Form und Inhalt, der meist allgemein rauschende Festesfreude anstrebt. Andere wieder gleichen mehr Serenaten mit wechselnder Zahl der Sätze. Einzelne dieser Jugendarbeiten zeigen allerdings auch bereits die Aufnahme des Menuetts und damit die von Haydn endgültig festgelegte viersätzige Form.

Wirklich bedeutend »trat Mozart erst von dem Gebiete der von ihm bereits zu ungeahnter Ausdrucksfähigkeit erweiterten dramatischen Musik aus in die Sinfonie ein; denn jene wenigen sinfonischen Werke, deren eigentümlicher Wert sie bis auf unsere Tage lebensvoll erhalten hat, verdanken sich erst der Periode seines Schaffens, in welcher er sein wahres Genie bereits als Opernkomponist entfaltet hatte. Dem Komponisten des »Figaro« und »Don Juan« bot das Gerüste des Sinfoniesatzes nur Beengung der gestaltungsfrohen Beweglichkeit an, welcher die leidenschaftlich wechselnden Situationen jener dramatischen Entwürfe einen so willigen Spielraum gewährt hatten. Betrachten wir seine Kunst als Sinfoniker näher, so gewahren wir, daß er hier fast nur durch die Schönheit seiner Themen, in deren Verwendung und Neugestaltung aber nur als geübter Kontrapunktist sich auszeichnet; für die Belebung der Bindeglieder fehlte ihm hier die gewohnte Anregung.« Erheischt auch der Schlußsatz dieses Urteils Richard Wagners eine gewisse Einschränkung, so wird es doch im wesentlichen bestätigt durch die Tatsache, daß Mozart gerade in seinen letzten Sinfonien weniger Entwicklung eines Gefühls zum anderen anstrebt, als das völlige Auskosten, das Ausleben einer Empfindung nach allen Richtungen hin.

Von der ersten der in Wien komponierten sieben Sinfonien, auf die wir uns hier beschränken können, haben wir bereits gehört (S. 365). Es ist jene Sinfonie in D-dur (Ges.-A Nr. 35), die Mozart auf des Vaters Wunsch für eine Festlichkeit im Salzburger Hause Haffner im Gedränge der Arbeit und Erlebnisse nach der Aufführung seiner »Entführung« im Sommer 1782 innerhalb vierzehn Tagen schrieb. Damals hatte sie mehr Serenatencharakter getragen und war sechssätzig, so daß Mozart, als er sie im März 1783 in Wien aufführen wollte, zwei Sätze entfernte und Blasinstrumente hinzufügte. Er hatte allen Anlaß, über die Güte der eiligen Arbeit, die er ganz vergessen hatte, erstaunt zu sein. Der gedankliche Gehalt wahrt ja den mehr allgemeinen Charakter lauter Festesfreude; aber der erste Satz mit seinem weit ausholenden Thema zeigt bedeutende kontrapunktische Arbeit. Im Andante regt sich mannigfaches Leben. Die Zeit der Entstehung offenbart sich im Schlußsatz, dessen Hauptthema Verwandtschaft mit Osmins »Ha, wie will ich triumphieren« zeigt. Ebenso eilig wie diese Haffnersinfonie sind im November 1783 auf der Rückreise von dem Besuch, den er mit seiner Konstanze in Salzburg gemacht hatte, zu Linz zwei Sinfonien in C-dur und G-dur (Nr. 36 und 37) entstanden. Nicht gerade bedeutende, aber sehr frische und erfreuliche Arbeiten, die bezeugen, wie eindringlich sich Mozart inzwischen mit Haydns Sinfonien beschäftigt hatte.

Zwischen diesen Sinfonien und der nächsten in D-dur (Nr. 38) liegen drei Jahre. In der Form zeigen die vier Sinfonien, die er nur noch schaffen durfte, insofern eine Annäherung an Haydn, als er für die Durchführung in beiden Ecksätzen nicht mehr neues Material einstellt, sondern die Gedanken und Motive aus dem ersten Teile des Satzes entwickelt. Freilich benutzt er dabei weniger die Hauptthemen, sondern verwertet Nebenmotive. Im übrigen weicht gerade diese D-dur-Sinfonie von der Haydnschen Form dadurch stark ab, daß sie bloß dreisätzig ist. Es bezeugt das aufs neue Mozarts geistiges Verhältnis zur Form: denn die Einfügung eines Menuetts wäre in der strengen, tatkräftigen, man möchte am liebsten sagen heroischen Stimmung dieser Sinfonie innerlich unwahr gewesen. Sicher zeigt gerade dieses Werk am meisten Verwandtschaft mit der Beethovenschen Art der sinfonischen Entwicklung eines Geistigen, indem auch hier vorgeführt wird, wie gegen düstere Einflüsse der Weg zum Licht erkämpft wird. Aber nicht nur hat Mozart den letzten Satz, der nun eigentlich die Klärung bringen sollte, merkwürdig abfallen lassen, sondern auch dann, daß die einzelnen Sätze im Charakter ihrer Motive sich eng aneinanderschließen, kündigt sich die bereits oben erwähnte Eigenart an, die ihr Ziel in der völligen Erschöpfung eines elementaren Seelenzustandes sieht. Diese Sinfonie ist wohl der klarste Ausdruck von Mozarts Auffassung seines Pflichtverhältnisses zur Welt. Gegen all die Düsternis der ersten Sätze erfolgt nicht ein stolzer Aufschwung zur Höhe. Das ist natürlich, wie bereits Ambros hervorgehoben hat, »keine Folge der Unfähigkeit zu einem Fluge in höhere Regionen, sondern einer edlen, maßvollen Ausgeglichenheit aller Kräfte«. Die Regsamkeit und Rührigkeit, die in diesem Satz herrschen, bekunden gewissermaßen den Sinn zur Arbeit, in der sich die Erlösung gegen den Alltag findet. Wie sich dann gegen Schluß allmählich ein halb humoristischer Ausdruck beimischt, möchte man fast als überlegenes Lächeln, als heitere Gleichgültigkeit gegen den äußeren Erfolg dieser Arbeit deuten.

Wieder vergingen anderthalb Jahre, dann schuf Mozart zwischen dem 20. Juni und dem 10. August 1788 seine drei letzten und bedeutendsten Sinfonien in Es-dur, G-moll und C-dur (Nr. 39–42). Ihr rasches, schier gleichzeitiges Entstehen deutet auf einen inneren Zusammenhang. Die ungeheure Verschiedenheit im Stimmungsgehalt spricht nicht gegen diesen, sondern dafür. Sie wirken als das große, geistig-seelische Lebensbekenntnis Mozarts. Von einer schier unvergleichlichen Fähigkeit zur Freude, zur Schönheitsseligkeit die eine, voll tiefsten Leides, voll jenes Schmerzes, der aus Liebe und Mitgefühl die Leiden der Welt auf sich nehmen muß und unter ihnen versinkt, die zweite. Die dritte gibt dann jenes Unvergleichliche, wozu Mozart sich emporgerungen hat: die abgeklärte Harmonie des Seins. – Der Es-dur hat man den Namen »Schwanengesang« gegeben, vielleicht weil in ihr am unvermischtesten und eindringlichsten jene heitere Sinnlichkeit zum Ausdruck kommt, die man oft als das wesentlich Mozartische bezeichnet hat. Mit einem Orchester von blühender, saftiger Klangfarbe, die durch den satten Wohllaut der in ihrer ganzen Ausdruckskraft verwendeten Blasinstrumente den Grundton erhält, setzt das Stück mit jener prächtigen Festlichkeit ein, die einen immer an die Herkunft Mozarts aus einer katholischen Bischofsstadt denken läßt. Das Werk ist nicht übermütig, sondern voll männlicher Gesetztheit, im starken Bewußtsein der Kraft und der Sicherheit des ruhigen Genießens des Glückes. Wenn hier geschwärmt wird, ist es mehr ein Erinnern an vergangene Tage mit dem dunkeln Unterton eben dieses Vergangenseins. Freilich, seliger kann auch kein Jüngling sein, als hier die Klarinette im Trio des Menuetts singt. Dann kommt ein Finale, schwelgend in Humor. Leuchtende Augen schauen das komische Getriebe der Menschen, ein Lächeln erst, ein Lachen dann, schallendes Gelächter zum Schluß. Eine Stunde jener Freudigkeit, in der alles Gehaben und Getue in der Welt uns nur von der heiteren Seite nahekommt, so daß wir selbst über den Griesgram und Polterer lachen müssen, gerade weil er nicht lustig sein kann; ebenso wie hier die Bässe ganze Oktaven hinaufpoltern müssen, um fröhlich mit den Fröhlichen zu tun.

Genau einen Monat nach dieser Sinfonie schrieb Mozart das Schlußdatum auf die G-moll, die wohl der leidenschaftlichste Schmerzensausbruch ist, den unsere Musikliteratur besitzt. In G-moll stehen ja überhaupt die tragischen Bekenntnisse der Seele Mozarts; auch das Klavierquartett und das Quintett. Aber so ohnmächtig gegen den Schmerz, so ganz in ihm zerwühlt wie hier, ist doch kein anderes Werk. Es fängt noch verhältnismäßig anmutig an, aber schon der Nachsatz des Hauptthemas zeugt von innerer Erregung. Das zweite Thema vertieft den Eindruck. Wohl bäumt sich der Mensch kräftig auf, aber immer wieder wird er zurückgeschlagen. Und – da für Mozart sonst das Hereinbringen neuen thematischen Materials charakteristisch ist, wird dieser Zug doppelt wertvoll – die Phantasie kommt von den ersten düsteren Motiven nicht los. Andante und Menuett bringen die erneuten Versuche, gegen diesen Schmerz Meister zu werden. Ein Trio mahnt wie mit süßen Kinderstimmen an eine lichte Vergangenheit. Aber zu wirklicher Klarheit vermag es auch nicht zu helfen; nur zu einer Lustigkeit, die den Schmerz betäuben will, zu einer Art von Galgenhumor, der mit tollen Einfällen in einer schier verzweifelten Lustigkeit das Finale zu Ende bringt.

Und abermals vierzehn Tage, da war die letzte Sinfonie in C-dur vollendet. Selten noch bestand ein Name mehr zu recht, als die Bezeichnung dieses Werkes als »Jupitersinfonie«. Die göttliche Heiterkeit kann nicht die unberührte Lustigkeit des unerfahrenen des kindlichen Gemütes sein. Wie der Gott thront über den Welten, so muß diese Freude thronen über Welterfahrung, über Welterlebnis. Das ist erkämpftes Glück; um so sicherer und fester ist sein Besitz. Alle Werte des Lebens hat man sich sorgsam gesammelt. In die laute Festesfreude, mit der auch diese Sinfonie anhebt, schmiegt sich gleich ein gemütvoller, heimlicher Klang ein, ihm folgt naive Fröhlichkeit, – als sollte uns gesagt werden, daß es die kleinen Freuden des Lebens wahrzunehmen gilt, wenn wir wirklich glücklich werden wollen. Wohl naht im Andante einmal dräuend ein düsteres Schicksal, aber es geht vorüber. Allerdings äußert sich jetzt die Freude noch weniger laut; sie wird noch mehr zum Befriedigtsein: Ruhe. Und so trägt auch das Menuett den Charakter sinniger Beschaulichkeit. Gekrönt wird das Werk durch den prachtvollen Schlußsatz. Ein Meisterstück kontrapunktisch-polyphoner Arbeit. Alle Kräfte der Tüchtigkeit, der Freudigkeit, der zielbewußten Ruhe einen sich hier. Ein harmonischer Geist steht über ihnen und schaltet mit ihnen, daß keine sich vordränge, keine das Gleichmaß zerstöre, daß sie alle zusammenwirken zu einem großen Ziel. Ich muß bei diesem Satze immer an den Olympier denken, der in der Zeit, als dieses Werk entstand, noch einmal in sich den wilden Widerstreit der zahllos in ihm angehäuften Kräfte durchmachen mußte und fern in Italien auf klassischem Boden sich menschlich zu der Ruhe fand, daß er nachher im kleinen Weimar auf einer Höhe thronen konnte, die über die ganze Erde hinausragte. Er, Goethe, hat uns das Wort gegeben: in demselben Augenblick, in dem wir uns bedingt fühlen, werden wir frei. Man könnte es als Motto über diese Sinfonie schreiben, als Motto für ihren geistigen Gehalt, aber auch für ihre Form, in der der glücklichste Formbeherrscher, den es je gegeben hat, sich den Bedingungen der strengsten Form in der Musik fügt, und doch ungehemmt durch sie, nein – frei geworden durch ihre Kraft und ihren Reichtum, das tiefste Geheimnis seiner olympisch-heiteren Lebensweisheit offenbart.


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