Karl Storck
Mozart – Sein Leben und Schaffen
Karl Storck

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4. Italienische Reisen

Italien – das ist die deutsche Sehnsucht nach Schönheit. Es ist dem deutschen Volk schwerer als jedem anderen gemacht worden, den Ausspruch seines großen Dichters: »Ernst ist das Leben, heiter sei die Kunst« zur Wahrheit zu machen. Damit wir eine Kunst erhielten, die wirklich Leben bedeutete, mußte sie ernst werden. In den Erbärmlichkeiten des sozialen und der Kümmerlichkeit des politischen Lebens, wie es über uns bald nach der Reformation im Geleit endloser Kriege hereingebrochen war, wurde die Kunst das einzige Gebiet, in das die Größe des Erlebens sich flüchten konnte. Es hat lange gedauert, bis die Kunst dieser Aufgabe gewachsen war. Es waren zuerst Musiker, denen ihre Kunst zu diesem Mittel großen Erlebens wurde; aber weder Heinrich Schütz noch Joh. Seb. Bach wurden von ihrem Volke verstanden, und Händel mußte ins Ausland gehen. Sie wurden vergessen über jenen, denen die Kunst handwerkliche Geschicklichkeit war, später über jenen, denen sie ein »Vergnügen des Verstandes und Witzes« bedeutete. Danach ist unsere Kunst zur Problemkunst geworden, zum Mittel, jene Fragen des Menschenlebens zu ergründen, die sich selbst dem philosophischen Tiefblick verschließen. Selbst die Musik hat diesen Weg einschlagen müssen, und Beethoven verkündigte: »Musik ist höhere Offenbarung, als alle Weisheit und Philosophie.«

So ist unsere Kunst, wenigstens soweit sie auf Größe Anspruch machen kann, bis in unsere Tage hinein meistens ernster gewesen, als das Leben. Die einzige strahlende Ausnahme bildet Mozart. Bei ihm war das Leben, das äußere Erleben, meistens nicht nur ernst, sondern traurig, aber seine Kunst ist voll himmlischer Heiterkeit. Himmlisch ist diese Heiterkeit, weil sie eine Verklärung des Irdischen in sich schließt, weil sie nicht auf Leichtsinn und genußsüchtiger Oberflächlichkeit, sondern auf der Tiefe eines frohen Empfindens, auf der Überwindungskraft einer freudigen Seele beruht.

Italien wurde für uns Deutsche zum Land der Schönheit. Es ist ja doch auch unsere Natur – in der Gestaltung des Landes, im scharfen Wechsel seiner Jahreszeiten, im wilden Gegensatz zwischen Hochgebirge und Ebene, in der harten Arbeit mit dem Boden, – die auch für unser künstlerisches Erleben das Gefühl der Gegensätzlichkeit in der Welt großgezogen hat. Die Überwindung dieser Gegensätze, das Hindurchdringen zu dem höheren Standpunkt, der die Auffassung des Ganzen als Einheit ermöglicht, erheischt Kampf und Arbeit. Aber es lebt in jedem Menschen die Sehnsucht nach klarer Schönheit und nach sicherem, heiterem Genuß. Italien wurde für uns Deutsche dieses Paradies.

Wir haben es uns selbst dazu gemacht, nicht nur in der Phantasie, in der es uns zur Sonne wurde, nach der wir im Heimweh der nordischen Nacht verlangen, sondern auch durch die Tat. In keinem Lande, in keiner Kunst können wir die segensreiche Wirkung germanischen Blutes so beobachten, wie bei Italien. Von früher vorchristlicher Zeit an waren aus der »Scheide der Völker«, wie Jordanis den Norden nannte, zu den dunklen Südeuropäern Stämme der Latiner, Etrusker, Ambrer blutauffrischend und blutstärkend gekommen. Wieder waren es dann in der Völkerwanderung Germanen, die, indem sie das altrömische Reich zermorschten, dem Lande jene Kräfte zuführten, die es ermöglichten, daß aus den Ruinen neues Leben erblühte. Durch das ganze Mittelalter dauerte diese Zufuhr deutscher Kräfte. Die Forschung erweist immer sicherer, daß deutsches Blut in den Adern jener Männer floß, die die großen Umwälzungen im geistigen und künstlerischen Leben Italiens herbeiführten, von Dante, dem Enkel des Goten Aliger, an bis zu den Meistern der Hochrenaissance. Daher wohl auch unser inniges Verhältnis zur ganzen italienischen Renaissancebewegung, eine Liebe, die wir sonst zu romanischem Wesen nicht finden. Der Sieg des Individualismus gegenüber der Regel, der den Kern der Renaissancebewegung ausmacht, ist ja auch urgermanisches Streben.

Es ist, als ob wir in Italien die Schönheit uns schaffen könnten, die durch die Notwendigkeit des Kampfes in der Heimat zu erreichen uns unmöglich wird. Man denke an die Art, wie der auf germanischem Boden entwickelte kontrapunktische Stil, den auch in Italien selbst vorwiegend niederländische Meister gepflegt hatten, schließlich durch Palästrina die Ausgestaltung zur höchsten Schönheit und durchsichtigen Klarheit erfuhr. Man bedenke, daß ein Goethe nach Italien mußte, um die Abklärung zu erreichen, die er anstrebte; daß der urgermanische Böcklin erst in Italien die Gebilde seiner neuschöpfenden Phantasie, die er im nordischen Kampf der Elemente erschaut hatte, zu gestalten vermochte.

Und nun die neue Musik. Die begleitete Monodie war ihre eigentliche Errungenschaft; sie barg die Möglichkeit der freien musikalischen Aussprache eines persönlichen Empfindens. Rein musikalisch betrachtet bedeutet das den Sieg des melodischen Prinzips in der Musik, eine Kraft des Gestaltens, die sich zuvor nirgendwo so mächtig erwiesen hatte, wie in den Volksliedern der germanischen Völker. Es waren erst die eigentlichen Südländer, die Neapolitaner, die aus der Oper eine rein formale Virtuosenkunst, ein technisches Schönheitsspiel gemacht hatten. In Norditalien, bei Claudio Monteverdi, bei den Venetianern war die Oper charakteristische Verkündigung seelischen Erlebens gewesen. Der in der Form der italienischen Oper die höchste seelische Kraft zum Ausdruck brachte, war ein Deutscher: Händel. Aber bei ihm, wie bei so manchen anderen Deutschen, den die Italiener als caro maestra feierten (Hasse, Graun, Naumann, Gluck) kam dieser deutsche Charakter wider Willen zum Vorschein. Erst Mozart erreichte hier, was Goethe für die Dichtung, was Böcklin in der bildenden Kunst verwirklichten: bewußt deutsches Empfinden in höchster Vollendung auszusprechen durch bewußte Verwendung der im Süden zur sonnigen Schönheit vollendeten Formengebung. Bei Mozart tritt diese Entwicklung nicht so deutlich hervor, weil bei ihm von einer Sturm- und Drangperiode nichts zu merken ist. Aber man muß in Mozarts Briefen verfolgen, wie in ihm menschlich und künstlerisch das Deutschbewußtsein immer klarer und stärker wird. Außerdem bedenke man, wie er erst das deutsche Singspiel »Die Entführung aus dem Serail« und seine unitalienische Instrumentalmusik schuf, bevor er wieder, durch die äußeren Verhältnisse gezwungen, »italienische Opern« gestaltete. Aber warum empfanden die Italiener »Figaros Hochzeit« und »Don Juan« als gegnerische Musik? Sie fühlten also offenbar, daß hier eine deutsche Künstlerkraft gestaltet hat. In der Tat hat gerade Mozart den Einfluß des wirklich Italienischen auf die deutsche Musik endgültig gebrochen, indem er die sinnliche Schönheit der Form aus deutschem Geiste gewann, genau wie Goethes »Iphigenie« und »Tasso« den Bann des klassischen Altertums dadurch brachen, daß hier die klare Schönheit der Antike als natürlicher Ausdruck deutschen Empfindens gewonnen war. –

Immerhin, es bleibt als große Bedeutung Italiens für die deutsche Kunst bestehen, daß deutsche Künstler hier die höchste Schönheitsgestaltung fanden. Und das ist ein Verdienst Italiens und der Italiener. Denn wie man auch über die eigentlich schöpferische Kraft Italiens denken mag, eins muß man ihm lassen. Es hat zu verschiedenen Zeiten verstanden, die Kultur der Kunstempfänglichkeit zu einer Höhe zu steigern, wie sie sonst nur das klassische Griechenland gekannt hat. Dieses Kunst-Genießen-Können ist aber vom Kunstschaffen keineswegs so weit entfernt, wie man oft annimmt, jedenfalls ist eine genußfähige Welt der günstigste Boden für ein frohes künstlerisches Schaffen. Wie eine solche wahrhaft künstlerische Volkskultur zur Renaissancezeit für die bildenden Künste bestand, so im 18. Jahrhundert für die Musik. »Die Musik war in Italien nicht nur eine allgemein verbreitete und beliebte Kunst, sondern sie galt als die Kunst überhaupt. Alle Stände teilten die unersättliche Lust, überall, in der Kirche, im Theater, im Hause und auf der Gasse Musik zu hören; allgemein waren der angeborene feine Sinn für künstlerische Ausführung, durch verständige Übung gebildet, und der leidenschaftliche Enthusiasmus für alles Vortreffliche. So hatte sich in Italien eine nationale Tradition in der Produktion wie im Urteil gebildet, ein musikalisches Klima, in welchem zu leben dem Künstler leicht wurde. Er sah dort einen bestimmten Weg zu der Gunst des Publikums gewiesen, das ihn durch Aufmerksamkeit und Verständnis zu immer neuen Anstrengungen anspornte und für jedes Gelingen durch lebhaften Beifall belohnte« (Jahn, »Mozart«, 4. Aufl., I, S. 118).

Kirche und Oper waren die beiden Stätten, an denen die Kunst vorzüglich gepflegt wurde. Die eigentliche Hausmusik hat dagegen in Italien niemals eine hohe Bedeutung erlangt; auch das Musizieren in privaten Kreisen trug einen gesellschaftlichen und damit öffentlichen Charakter. Es liegt in der Natur einer solchen Kunst, daß das Formale das Übergewicht gewinnt. Darin liegt das, was den »Kenner« so entzückt, worüber am besten sich sprechen läßt; es ist das, was die Öffentlichkeit vor allem zu genießen vermag; es ist das, was die helle Heiterkeit des Genusses begünstigt. Für die Musik bedeutet diese einseitige Kultur der Form Virtuosentum. Ebenso ist leicht einzusehen, daß eine solche Kunst allmählich dem Formalismus und damit der Erstarrung verfallen muß, daß ihre Wurzeln nicht tief genug gehen, um ein langes Leben zu gewährleisten. Das alles wüßten wir jetzt aus der Geschichte der italienischen Musik, auch wenn wir es nicht aus ihrem Wesen erschließen könnten. Aber das darf uns nicht blind dagegen machen, daß es in der Geschichte der Musik am besten der italienischen Oper gelungen ist, in weitesten Kreisen, gewissermaßen in einem ganzen Volk eine musikalische Atmosphäre zu erzielen. In künstlerischer Hinsicht aber ist zu bedenken, daß an sich das Ideal der altitalienischen Gesangskunst einen Ewigkeitswert darstellt. Die vollkommene Beherrschung der menschlichen Stimme nach jeder Richtung – Bildung, Färbung, Gewandtheit des Tones – bleibt für alle Zeiten das Ideal des Gesangs. Denn erst durch diese vollkommene Beherrschung der Stimme als Instrument wird sie in den Stand gesetzt, ein vollkommenes Ausdruckswerkzeug zu sein. Wenn nun auch fast die ganze italienische Musik in steigendem Maße in die unkünstlerische Richtung verfiel, daß die Stimmbeherrschung aus einem Mittel zum Zweck zum Zwecke selbst erhoben wurde, so blieb doch immer die Möglichkeit einer echt künstlerischen Verwendung dieser hohen Formenkunst, die vielleicht nur durch die italienische Einseitigkeit so herrlich hatte entwickelt werden können. Hatte schon Händel es verstanden, in dieser italienischen Formenschönheit dem Ausdruck gerecht zu werden, so bedeutet die Verwirklichung dieses Ideals das eigentlich Mozartische.

Die deutschen Musiker waren schon lange gewohnt, nach Italien zu gehen. Schon zur Zeit des musikalischen Mittelalters, das ja weit später zu uns herüberragt, als die Geschichte sonst das Mittelalter abzugrenzen pflegt, also in der Periode der kontrapunktischen Polyphonie, haben viele deutsche Musiker den Weg nach dem Süden gefunden. Wie ein Pflichtgang erschien dieser, als um 1600 der neue Musikstil der begleiteten Einstimmigkeit sich entwickelte. Joh. Seb. Bach ist vielleicht der einzige unter den Großen, der nicht nach Italien gekommen ist. Er hat sich aber daheim mit der italienischen Musik nicht nur genau bekanntgemacht, sondern auch im eigenen Schaffen mit ihr auseinandergesetzt. Händel und Gluck sind von den Italienern durch lange Jahre zu den Ihren gezählt worden, und wenn sie später aus deutscher seelischer Kraft den Weg zu einer neuen eigenen Kunst gesucht und gefunden haben, so haben sich andere bedeutende Deutsche, wie Hasse und Naumann, bis an ihr Lebensende mit Stolz dessen gefreut, daß man sie für italienische Musiker hielt. Nicht dadurch, daß man nachher andere Wege ging, war diese Übermacht der italienischen Musik zu überwinden, sondern dadurch, daß man ihren Weg bis ans Ende ging, daß man es dann aber vermochte, sie selbst so aus der eigenen Kraft zu bereichern, daß ein Neues entstand. Mozart hat diesen Sieg für die deutsche Kunst errungen, er, der wie kein zweiter Deutscher die italienische Musik sich zu eigen gemacht hat. –

Unter diesen Verhältnissen ist es leicht begreiflich, daß Vater Mozart so früh als möglich an eine Reise nach Italien dachte. Die idealen und praktischen Zwecke seiner Kunsterziehung konnten so am besten in Erfüllung gehen. Die ersteren, weil der Knabe auf diese Weise wirklich einen Blick in große künstlerische Verhältnisse bekam, und weil er die damals maßgebende Musikrichtung in ihrer Heimat am besten kennen lernen konnte; andererseits war der Erfolg in Italien das beste Mittel zu Ruhm und angesehener Stellung in der eigenen Heimat. Da in Italien das Gesangsvirtuosentum obenan stand, hatte Leopold Mozart vor Jahren seine zu Instrumentalvirtuosen gebildeten Kinder lieber zuerst nach Frankreich und England geführt, deren Stärke in der Instrumentalmusik lag. Jetzt aber hatte Wolfgang in Wien sich als Komponist für die Oper und für die Kirche bewährt, so stand ihm denn der Weg zum Erfolg auch in Italien offen. Daß er dagegen auf einen großen Geldgewinn nicht zu rechnen habe, wußte der Vater im voraus, denn die Konzerte wurden in Italien fast ausnahmslos ohne Eintrittsgeld gegeben, und der Künstler konnte also höchstens durch ein Geschenk der Konzertveranstalter entschädigt werden. Dafür erfuhren Vater und Sohn in Italien eine so freundlich dargebotene Gastfreundschaft, daß der klug rechnende Leopold Mozart bald seiner Frau nach Hause melden konnte, daß er, wenn er auch keine Reichtümer sammle, doch immer ein wenig mehr als das Notwendige habe und vollauf zufrieden sein könne, wenn er den Hauptzweck seiner Reise im Auge behalte. Denn dieser ideale Erzieher dachte ja bei all diesen Kunstreisen zuerst an den Vorteil, den sie für die Weiterentwicklung seines genialen Kindes bringen konnten. Die Ausbildung des ihm anvertrauten Talentes blieb immer der Hauptgesichtspunkt, unter dem er handelte. Er hatte erkannt, daß für dieses Genie kein Ziel zu hoch gegriffen sei. Er wußte aber oder fühlte es mit seinem väterlich liebenden Herzen, daß es dafür zu sorgen galt, alle Überhitzung und Überhetzung zu vermeiden. Er versuchte deshalb immer, soweit es anging, auch auf der Reise für den Knaben eine häusliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Vor allem wußte er zu vermeiden, daß das geistige Leben und die künstlerische Arbeit in Unordnung kamen, daß ein Zuviel mit völliger Vernachlässigung abwechselte, wozu die Gefahr ja nahelag. Der Knabe machte ihm allerdings die Erziehertätigkeit sehr leicht. Bei der innigen Liebe und der nicht auf Furcht, sondern nur auf Vertrauen beruhenden Verehrung, die er für den Vater hegte, fügte er sich willig allen Anordnungen desselben. Dann war der Knabe ja von der Natur so sehr beglückt, er war so ganz Künstlernatur, daß ihm das Treiben der Menschen und der Welt keinen starken Eindruck hinterließ. Die Ehrenbezeugungen und Schmeicheleien, die ihm im Übermaß zuteil wurden, scheinen gar keinen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Er bleibt bei allem ein richtiges Kind und manchmal ein rechter Kindskopf.

Mit der italienischen Reise setzen die Briefe Wolfgang Mozarts ein. Sie sind zumeist an die Schwester gerichtet und bezeugen nicht nur die innige Liebe zu ihr und zur Mutter, sondern auch die rechte Freude an kindischem Getue. Die Natur hatte ihm auch kluge Augen gegeben. Wenn er zeitlebens nicht gelernt hat, die Welt und die Menschen so zu nehmen, daß er seinen Nutzen dabei fand, so lag das keineswegs an der Unfähigkeit, Menschen zu beobachten. Er hatte vielmehr ein sehr scharfes Auge für das Charakteristische im Tun und Lassen eines jeden und einen ausgezeichneten Blick für alle Schwäche und innere Hohlheit. Die Art, wie er z.B. die italienischen Sangesgrößen schildert, ist voll köstlichen Humors und dabei von höchster Schlagfertigkeit und Deutlichkeit. Gerade diese Mozart eigene Spottlust, sein Mutterwitz haben ihn davor geschützt, daß er in die Lächerlichkeiten der erstarrten italienischen Oper verfiel. Jetzt als Knabe hat er zwar die Operntexte, die man ihm gab, genommen, wie sie waren; aber noch in sehr jungen Jünglingsjahren hat er nachher einen Blick für die künstlerische Wahrhaftigkeit, für die Situation auf der Bühne bewährt, und hat die ihm dargebotenen Dichtungen so scharf nach dieser Richtung hin beurteilt, wie kein einziger der berühmten Vertreter der italienischen opera seria.

Es ist ja ganz sicher, daß diese großen Reisen, das häufige öffentliche Auftreten und nachher die zahlreichen Kompositionen auch eine körperliche Arbeitsleistung bedingten, die über das Alter und die Kräfte des nicht kräftigen Knaben hinausgingen. In seinen Briefen sagt er so oft, wie schläfrig er sei, Italien sei ein Schlafland; später muß er so oft mitteilen, daß ihm die Finger weh tun vom Notenschreiben. Aber es wäre unrecht, wollte man daraus dem Vater auch nur den geringsten Vorwurf machen. Ebenso wie es allzu äußerlich ist, Mozarts frühen Tod etwa mit einer Überanstrengung in der Kindheit in Zusammenhang zu bringen. Es ist ganz sicher, daß die genialen Kräfte des Kindes in ihrer Betätigung nicht zu hemmen waren. Eine Erziehung, die weniger klug und sorgfältig gewesen wäre, hätte sicher die schöne, harmonische Entwicklung dieser Kräfte beeinträchtigt, sie hätte aber niemals das Schalten derselben behindert, es wäre durch Zurückhalten und Ablenken von dem großen Ziel höchstens ein unnützes Verwenden der Kraft, eine Vergeudung entstanden; so ist es erreicht worden, daß die künstlerische Entwicklung Mozarts die natürlichste und ungestörteste und harmonischste ist, von der die Kunstgeschichte überhaupt zu berichten hat. Es gibt hier keinen Riß, ein Steinchen fügt sich an das andere, nichts ist gewaltsam, alles scheint von selbst zu kommen. Es ist ferner durch diese wundervolle Art der Erziehung erreicht, daß alles, was von außen an den Knaben herantrat, auf seine künstlerische Entwicklung keinen störenden Einfluß ausübte.

Es gibt vielleicht in der ganzen Kunstgeschichte kein zweites Beispiel, daß man einem Menschen gegenüber so stark das Gefühl des Nebeneinanders von Seele und Körper hat, wie bei Mozart. Ja noch weiter, ein Nebeneinander des künstlerischen und des mehr verstandesmäßig geistigen Lebens. Es hat ja gerade auf musikalischem Gebiet oftmals Künstler gegeben, deren geistige Fähigkeiten recht beschränkt waren. Für eine bestimmte Sängergattung ist das Beiwort »dumm« fast zum ständigen Begleitwort geworden. Gewiß bezieht sich dieses Mißverhältnis zwischen geistiger und künstlerischer Befähigung zumeist auf reproduzierende Künstler; aber auch den Komponisten kann man vielfach den Vorwurf machen, daß sie für alles andere geistige Leben außer ihrer Kunst teilnahmslos waren. Diese Teilnahmlosigkeit ist allerdings noch lange keine Dummheit und erklärt sich beim Musiker leichter als bei anderen Künstlern, weil diese Kunst das gesamte Nervensystem, das ganze Gefühlsleben in außerordentlichem Maße in Anspruch nimmt, daneben aber auch eine hohe handwerkliche Geschicklichkeit verlangt, beim Komponisten überdies auch ein beträchtliches Wissen in der Beherrschung der Theorie voraussetzt.

Mozarts geistige Interessen waren nun keineswegs einseitig auf Musik gerichtet. Er war später, wenn auch nicht ein studierter, so doch ein allseitig gebildeter Mann, der an allen Fragen, die ihm das Leben entgegenbrachte, lebhaften Anteil nahm. Er war auch keineswegs durch seine Kunst von der Welt abgeschlossen. Es ist nichts von verrückter Genialität an ihm; er ist zeitlebens ein heiterer Gesellschafter gewesen und hat sich überall schon durch seine gesellschaftlichen und rein menschlichen Eigenschaften beliebt gemacht. Man hat so das Gefühl, und die Worte seines Schwagers Lange, die wir früher zitierten, bestätigen es, daß er absichtlich sein künstlerisches Leben vor der Welt verschloß, daß es ihm also auch gelang, diese Tätigkeit zu verheimlichen. Nun stehen wir aber bei Mozart einer Fülle von Werken gegenüber, deren rein technische und handwerkliche Niederschrift fast die Arbeit eines sehr fleißigen Kopisten darstellt. Es ist an dieser Erscheinung eben alles wunderbar. Und das Wunderbarste bleibt zweifellos, um auf unseren Ausgangspunkt zurückzukommen, die Tatsache, daß seine unvergleichliche künstlerische Frühreife, seine sonst nie wiederkehrende Produktivität an sich betrachtet ganz natürlich wirkten. Das einzige, was einen bei alledem kopfscheu machen könnte, ist der frühe Tod Mozarts. Wenn man aber sein ganzes Leben, nicht nur hinsichtlich des künstlerischen Schaffens, sondern auch als Erleben, nicht nach der Länge, sondern nach der Fülle mißt, so hat er viel gelebt. Es würde ja auch den einfachsten physiologischen Grundbegriffen widersprechen, daß eine so durch und durch gesunde und harmonische Kunst aus einem in seiner natürlichen Entwicklung gestörten oder verkümmerten Gesamtwesen entsprossen wäre. Mit allen diesen Ausführungen bestrebe ich mich keineswegs, die Erscheinung Mozarts restlos zu erklären – Wunder darf man überhaupt nicht erklären, sondern muß man glauben –, ich will damit nur der Auffassung entgegentreten, als stehe Morzarts kurzes Leben in geradem Verhältnis mit seiner Kunstentwicklung.


Am 12. Dezember 1769 verließ der Vater mit seinem nunmehr fast vierzehnjährigen Sohne Salzburg. Mutter und Tochter blieben dieses Mal zu Hause. Die Berichte des Vaters, die sich zum großen Teil erhalten haben und im Mozartmuseum aufbewahrt werden, geben die beste Schilderung der Reiseerlebnisse. Die Beziehungen zwischen dem österreichischen Adel, dem Mozart von Wien aus ja bereits gut bekannt war, und den vornehmsten Kreisen Italiens waren so innige, daß sie auf eine gute Aufnahme rechnen durften. Immerhin, daß diese so warmherzig und begeistert sein würde, konnten sie gerade nach den letzten, weniger günstigen Erfahrungen in Wien doch nicht erwarten. Hatten sie in Innsbruck in der vornehmen Gesellschaft einen großen Erfolg gehabt, so äußerte sich bereits in Roveredo die leidenschaftliche Teilnahme des ganzen Volkes an diesem musikalischen Ereignis. Wolfgang hatte zuerst vor dem Adel im Hause des Barons Todeschi ein Konzert veranstaltet; es hatte sich dann das Gerücht verbreitet, daß er tags darauf in der Hauptkirche die Orgel spielen würde, und da war die Kirche so angefüllt, daß zwei starke Männer ihm einen Weg auf den Chor bahnen mußten, wo sie dann wieder eine Viertelstunde brauchten, um an die Orgel zu kommen. Noch ärger war der Andrang in Verona. Hier war zuvor in zahlreichen Privatkonzerten Wolfgang auch bereits als Komponist stark hervorgetreten. Die Zeitungen rühmten und zahlreiche Gedichte priesen das Wundergenie.

Die nächste Station war Mantua. Das Programm des Konzerts, das er am 16. Januar hier in der Philharmonischen Gesellschaft gab, ist erhalten und bezeugt, welch starke Leistungen Mozart bei diesen Gelegenheiten bot. Unter den 14 Nummern des Programms ist Wolfgang an 9 beteiligt gewesen. Eine Symphonie seiner Komposition eröffnete und beschloß das Konzert. Die meisten übrigen Nummern stellten sein wunderbares Improvisationstalent auf die Probe, wobei ihm die Themen zu Sonaten und Fugen, erst während des Konzerts gegeben wurden. Dabei bot sich ihm die Gelegenheit, als Klavierspieler, Violinist und Sänger aufzutreten. Nach der Art dieser Leistungen begreifen wir es, daß er alsbald als ein »Wunderwerk der Natur gepriesen« wurde, das geboren worden sei, um die erfahrensten Meister der Kunst zu beschämen. Wir wollen bedenken, daß diese Improvisationen nicht nur eine außerordentliche Produktionskraft, sondern vor allem auch eine volle Beherrschung der musikalischen Formen voraussetzten, also nicht nur das Angeborene, sondern auch das Erlernte.

Noch im Januar gelangten sie nach Mailand, wo der erste längere Aufenthalt gemacht wurde. Das Kloster der Augustiner bot ihnen eine schöne Wohnung und wetteiferte in der Gastfreundschaft mit den vornehmsten Familien der Stadt. Beim Adel war der Generalgouverneur Graf Firmian, ein hochgebildeter und echt musikalischer Mann, ihr eifrigster Gönner. Er verschaffte bei einer großen Gesellschaft dem Knaben die Gelegenheit, zu zeigen, daß er zur Schöpfung ernster dramatischer Musik vollauf befähigt sei. Die drei Arien, in denen Wolfgang die verschiedenen Seiten des damaligen Kunstgesangs ausgiebig bedachte, hatten auch solchen Erfolg, daß er für die nächste Stagione die Scrittura erhielt, also für die nächste Theatersaison eine Oper in Auftrag bekam. Man versprach ihm dazu die hervorragendsten Sänger und ein Honorar von 100 Florentiner Goldgulden. Das war ein herrlicher Erfolg, der beiden noch dadurch angenehmer wurde, daß man das Textbuch nachschicken wollte und die Bedingungen so stellte, daß die Rezitative im Oktober nach Mailand eingeschickt werden sollten, der Komponist aber erst mit Anfang November dort sein mußte, um dann in Gegenwart der Sänger die Oper zu vollenden und für die auf den 26. Dezember angesetzte Erstaufführung einzustudieren. So war ihnen die Möglichkeit geboten, ihren Reiseplan durch Italien ungestört auszuführen mit der schönen Zuversicht, ihre Reise durch eine glänzende äußere Veranstaltung im besten künstlerischen Sinne krönen zu können. Im März führte dann die Reise über Lodi, wo Mozart sein erstes Quartett komponierte, und Parma nach Bologna, wo sie im Hause des Grafen Pallavicini die herzlichste Aufnahme fanden.

Wie vorher in Mailand der bedeutendste Vertreter der italienischen Intrumentalmusik, der greise Giambattista Sammartini (1704–1774), der einst der Lehrer Glucks gewesen, das überragende Genie des Knaben gepriesen hatte, so hier in Bologna der Padre Giambattista Martini (1705–1784), der angesehenste Kirchenkomponist der Zeit, vor allem aber berühmt als vortrefflichster Kenner des polyphonen Stils und bedeutender Musikgelehrter. Der junge Mozart hat von seinem Unterricht reichlichen Gewinn gehabt, denn der immer freundliche Franziskaner war dem lieben Knaben besonders zugetan. Wie sehr Wolfgang bemüht war, seine musikalischen Kenntnisse zu bereichern, wie es aber auch andererseits der Vater einzurichten verstand, daß er auf der Reise stets Zeit und Gelegenheit zu ruhiger Arbeit hatte, beweist die Art, wie er sich in Florenz aus den streng kontrapunktischen Arbeiten des Marquis de Ligniville eine ganze Reihe von Sätzen abschrieb, wie er sich außerdem in der schweren Kunst des Kanons übte. Der Padre Martini hatte ihm in Bologna die vollendeten Teile seiner gelehrten Musikgeschichte geschenkt, und der Knabe hat sich sofort darin versucht, die Kunststücke, zu denen Beispiele dort mitgeteilt waren, selber nachzumachen. Nach kurzem Aufenthalt in Florenz, wo Wolfgang mit dem gleichaltrigen, aber früh der Kunst wieder entrissenen Engländer Thomas Linley innige Freundschaft schloß, langten sie am Mittwoch in der Karwoche in Rom an. Sie hatten gerade noch Zeit, in der Sixtinischen Kapelle das »Miserere« von Allegri zu hören, wobei Wolfgang die oft besprochene glänzende Probe seines Gehörs und seines Gedächtnisses ablegte. Domenico Allegris »Miserere« wurde immer am Mittwoch und Freitag der Karwoche gesungen. Es wechselt in vier- und fünfstimmigen Chorsätzen ab und wird von einem neunstimmigen Chor beschlossen. Die Aufführung galt als eine Musterleistung der Kapelle, deren Mitglied Allegri von 1629 ab gewesen war. »Du weißt,« schreibt Leopold seiner Frau, »daß das hiesige berühmte ›Miserere‹ so hoch geachtet ist, daß den Musicis der Kapelle unter der Exkommunikation verboten ist, eine Stimme davon aus der Kapelle wegzutragen, zu kopieren oder jemanden zu geben. Allein wir haben es schon. Wolfgang hat es schon aufgeschrieben, und wir würden es in diesem Briefe nach Salzburg geschickt haben, wenn nicht unsere Gegenwart, es zu machen (d. h. zur Aufführung), notwendig wäre. Die Art der Produktion muß mehr dabei tun als die Komposition selbst. Wir wollen es auch nicht in andere Hände lassen, dieses Geheimnis ut non incurramus mediate vel immediate in censuram ecclesiae.« Bei der Wiederholung am Freitag ergänzte Wolfgang in das im Hut verborgene Manuskript die wenigen Stellen, die ihm nicht treu im Gedächtnis geblieben waren. Des Knaben Unternehmen war aber doch ruchbar geworden, und bei einer in größerem musikalischem Kreise vorgenommenen Vergleichung ergab sich die genaue Übereinstimmung, was natürlich ein gewaltiges Staunen hervorrief. Die Leistung Mozarts wird dadurch nicht weniger bewundernswert, als natürlich die Geheimhaltung der Komposition keineswegs eine so ängstliche war, vielmehr ziemlich feststeht, daß der Papst selbst verschiedene Abschriften an befreundete Höfe abgegeben hat. Dagegen hat der alte Mozart richtig erkannt, daß die wunderbare Wirkung der Komposition »mehr auf der Produktion« beruhte. Es nimmt keineswegs eine Sonderstellung innerhalb der großen kontrapunktischen Literatur ein, und es haben seither schon viele, die das »Miserere« an anderer Stelle hörten, dieselbe Enttäuschung erlebt wie der alte Metastasio, der in seinen Briefen erzählt, daß eine Aufführung des »Miserere« von guten Sängern in Wien ihn völlig kalt gelassen habe, während er dadurch in der Sixtinischen Kapelle in Ekstase versetzt worden war. Wir erleben eben bei aller Kunst die Bedeutung der Einheit des Stils, zu der auch die gesamte Umgebung, in der ein Kunstwerk vorgeführt wird, und die Einstimmung der Zuhörer gehört.

Nach den kirchlichen Festen drängten sich für Mozarts die Festlichkeiten in den vornehmen Häusern. Die Bewunderung für die Leistungen des Knaben wuchs, je weiter sie nach Süden kamen. »Aber«, konnte Vater Leopold hinzufügen, »der Wolfgang bleibt mit seiner Wissenschaft auch nicht stehen, sondern wächst von Tage zu Tage, daß die größten Meister und Kenner nicht Worte genug finden können, ihre Bewunderung an den Tag zu legen.« Am 8. Mai brachen sie von Rom auf nach Neapel, wo sie bis Mitte Juni blieben. Der Hof, an den sie von Wien aus warm empfohlen waren, hegte zwar kein größeres Interesse für Musik, bereitete aber den Fremden eine liebenswürdige Aufnahme, worauf dann die vornehme Gesellschaft in Gunstbezeugungen wetteiferte. Das öffentliche Konzert am 28. Mai war glänzend besucht und brachte großen Gewinn. Aber die Gewandtheit von Wolfgangs linker Hand war man so erstaunt, das man auf den Gedanken kam, er habe einen Zauber im Fingerring, so daß er ihn abziehen mußte.

Die herrliche Natur Neapels, überhaupt Italiens, hat natürlich ihren Eindruck auf die Mozarts nicht verfehlt. Manche Stelle in den Briefen des Vaters belegt das. Dagegen deuten in Wolfgangs Briefen nur knappe Worte auf solche Empfindungen. Das muß erwähnt werden, weil es leicht falsch gedeutet werden könnte. Auch in den späteren Briefen Mozarts findet sich kaum ein Wort der Schilderung, und man könnte meinen, daß der Künstler keinen Blick für alles das Schöne hatte, was seinen Augen sich bot. Das wäre ein Irrtum. Für die spätere Zeit wissen wir aus zahlreichen sonstigen Zeugnissen von Mozarts Liebe zur Natur, von der Förderung, die sein Schaffen durch das Weilen in schöner Landschaft erfuhr. Aber Mozart spricht und schreibt überhaupt von seinen persönlichen Erlebnissen nur so viel, als die daheim wissen müssen. Seine liebevolle Natur denkt immer nur an andere. So zeigen auch die Brieflein aus Italien in geradezu rührender Weise, wie Wolfgang inmitten der tausend Zerstreuungen die wärmste Teilnahme auch für das kleinste Geschehen daheim bewahrt. Man darf als sicher annehmen, daß der Aufenthalt in Italien durch die klare Linienführung dieser Natur, ihre Sonnigkeit, die günstige Wirkung auf Mozarts Kunstgefühl noch vertiefte, die das schöne Salzburg schon auf das Kind geübt hatte. Der Vater ließ aber auch keine Gelegenheit vorübergehen, die Kunstschätze der verschiedenen Städte seinem Sohne zu zeigen, auch nach Vermögen Kupferstiche zu sammeln, die dann zu Hause reichen Stoff für die Unterhaltung der Winterabende abgaben. Aber, auch für das Volksleben und für die gesamten volkswirtschaftlichen Verhältnisse hatte er ein offenes Auge. In musikalischer Hinsicht genossen sie vor allem die Aufführungen der komischen Oper und der großen Oper in San Carlo, wo sie Zeuge wurden, daß Iomellis an deutscher musikalischer Arbeit bereicherte Kunst seinen Landsleuten, die ihn früher so sehr gefeiert hatten, kein Gefallen abgewinnen konnte. Wolfgang stimmte den Italienern ziemlich bei, er fand die Musik schön, »aber zu gescheut und zu altväterisch für das Theater«.

Ende Juni fuhren sie nach Rom zurück, wobei der Vater bei einem Wagenunfall recht erheblich verletzt wurde. Jetzt verlieh der Papst dem Knaben dieselbe Auszeichnung, die zwanzig Jahre zuvor Gluck zuteil geworden war, nämlich das Ordenskreuz vom goldenen Sporn, womit der Rittertitel verknüpft war. Im Gegensatz zum »Ritter« Gluck hat Wolfgang später auf diese Auszeichnung kein besonderes Gewicht gelegt. Wertvoller war ihm die Auszeichnung, die ihm danach in Bologna zuteil wurde, wo sie am 20. Juli wieder anlangten und aufs neue der reichen Gastfreundschaft des Hauses Pallavicini sich erfreuten. Nicht nur daß der Padre Martini, dessen Umgang sie jetzt reichlich genossen, ein glänzendes Zeugnis ausstellte, auch die Philharmonische Akademie nahm ihn nach vorschriftsmäßig abgehaltener Prüfung unter ihre Mitglieder als Compositore auf, und das war eine wirksame, allgemein hoch anerkannte Auszeichnung.

Nun mußten sie aber an die große Aufgabe denken, die des jungen Kavaliers in Mailand harrte. Am 18. Oktober kamen sie hier an, und es galt eine beträchtliche Arbeitsleistung, wenn die ihm überwiesene opera seria in drei Akten »Mitridate re di Ponto« (Dichtung von Cigna-Santi) rechtzeitig fertig werden sollte.

Jetzt, wo der Knabe nicht mehr als flüchtig durchreisendes Wunderkind dastand, sondern als ein ernst um die Teilnahme des Publikums sich bewerbender und eine soziale Stellung im Leben anstrebender Musiker, wiederholten sich auch in Italien die Kabalen und Intrigen der Neider. Aber der Vater wehrte sich, nach Kräften für seinen Sohn, der seinerseits sich mit großem Geschick bemühte, soweit es irgend ging, allen Wünschen der Künstler entgegenzukommen. Es hat etwas Rührendes, zu sehen, wie das hohe Verantwortungsgefühl, das Wolfgang in künstlerischen Dingen von Kind an beseelte, hier mit der Größe der Aufgabe so wächst, daß seine ganze Natur ernster wird. Seine Briefe legen davon Zeugnis ab. Der Vater verstand ihn aber ja so gut, daß er jegliches Mittel wußte, das Schwierigkeiten beseitigen, vor Überanstrengung schützen und anregend wirken konnte. So mahnt er die Freunde in Salzburg, seinem Knaben doch recht spaßhafte und lustige Briefe zu schreiben. Mozart ist auch da sein ganzes Leben lang derselbe geblieben; in seinen Briefen kehren oft die Stellen wieder, daß er um Verschonung von unangenehmen Dingen bittet, weil er komponiere und deshalb ein heiteres Gemüt brauche. Auch das ist bezeichnend für seine Kunst. Und es ist jedenfalls das höchste Zeugnis für die Spannkraft seiner Natur, daß er dann doch auch in den widerwärtigsten Verhältnissen leicht den Schwung hinauf fand in das paradiesische Gefilde eines sonnigen Empfindens.

Schließlich wurden alle Hemmnisse siegreich überwunden. Die Proben konnten noch rechtzeitig beginnen, die Sangeskräfte, wenn es auch nicht die ursprünglich vorgesehenen waren, bewährten sich als vorzüglich. Obwohl der Primo uomo erst am 1. Dezember in Mailand eingetroffen war, konnte die erste Probe mit vollem Orchester doch bereits am 17. Dezember stattfinden. Damit war das günstige Schicksal der Oper entschieden. Freudig schrieb der Vater nach Hause:

»Bevor die erste Probe mit dem kleinen Orchester gemacht wurde, hat es nicht an Leuten gefehlt, welche mit satirischer Zunge die Musik schon zum Voraus als etwas Junges und Elendes ausgeschrien und sozusagen prophezeit, da sie behaupteten, daß es unmöglich wäre, daß ein so junger Knabe, und noch dazu ein deutscher, eine italienische Oper schreiben könnte, und daß er, ob sie ihn gleich als einen großen Virtuosen erkannten, doch das zum Theater nötige chiaro ed oscuro unmöglich verstehen und einsehen könnte. Alle diese Leute sind nun von dem Abend der ersten kleinen Probe an verstummt und reden nicht eine Silbe mehr. Der Kopist ist ganz voll Vergnügen, welches in Italien eine gute Vorbedeutung ist, indem, wenn die Musik gut ausfällt, der Kopist manchmal durch Verschickung und Verkaufung der Arien mehr Geld gewinnt, als der Kapellmeister für die Komposition hat. Die Sängerinnen und Sänger sind sehr zufrieden und völlig vergnügt, absonderlich die Primadonna und Primouomo wegen des Duetts voller Freude.«

Der Erfolg der am 26. Dezember unter Mozarts Leitung stattfindenden ersten Aufführung übertraf aber dennoch alle Erwartungen. Und am 5. Januar 1771 konnte Leopold Mozart seiner Frau schreiben:

»Die Oper unseres Sohns geht mit allgemeinem Beifall fort und, wie die Italiener sagen, ist dalle stelle. Nun sind wir seit der dritten Aufführung bald im Parterre bald in den Logen Zuhörer und Zuseher, wo jedermann mit dem Sgr. Maestro zu reden und ihn in der Nähe zu sehen begierig ist. Denn der Maestro ist nur verbunden, drei Abend die Oper im Orchester zu dirigieren, wo beim zweiten Klavier der Maestro Lampugnani akkompagniert, welcher, da der Wolfgang nicht mehr spielt, nun das erste, der Maestro Melchior Chiesa aber, das zweite Klavier spielt. Wenn man mir vor ungefähr fünfzehn oder achtzehn Jahren, da Lampugnani in England und Melchior Chiesa in Italien so vieles geschrieben und ich ihre Opernarien und Sinfonien gesehen, damals gesagt hätte, diese Männer werden der Musik deines Sohnes dienen, und wenn er vom Klavier weggeht hinsitzen und seine Musik akkompagnieren müssen, so würde ich einen solchen als einen Narren ins Narrenhaus verwiesen haben. Wir sehen also, was die Allmacht Gottes mit uns Menschen macht, wenn wir seine Talente, die er uns gnädigst mitteilt, nicht vergraben.«

Kräftiger noch als die zwanzig Aufführungen vor vollbesetztem Hause, die das Werk nacheinander fand, bestätigt diesen Erfolg die Tatsache, daß mit dem Cavaliere filarmonico, wie man ihn im Volke nannte, für die übernächste Stagione eine neue Oper vereinbart wurde, für die das Honorar auf 130 Goldgulden erhöht wurde.

Nachdem sie sich in Vergnügungen mancherlei Art, unter denen ein Abstecher nach Venedig an erster Stelle stand, von der anstrengenden Tätigkeit erholt hatten, machten sie sich am 12. März auf die Heimreise und kamen am 28. März 1771 wieder in Salzburg an. Mit besonderer Freude vernehmen wir, daß auch die Salzburger Bekannten fanden, daß Wolfgang, wenn er auch reifer und an Erfahrung bereichert zurückkam, doch der kindliche, bescheidene und unschuldige Knabe geblieben war, als der er die Heimat verlassen hatte.

In Salzburg begrüßte sie gleich eine neue große Auszeichnung. Der italienische Erfolg hatte bereits auf Deutschland gewirkt. Im Auftrage der Kaiserin Maria Theresia wurde Wolfgang beauftragt, zur Vermählung des Erzherzogs Ferdinand mit der Prinzessin Maria Riccarda Beatrice, einer Prinzessin von Modena, eine theatralische »Serenata« zu komponieren. Da diese Vermählung bereits im Oktober des Jahres 1771 stattfinden sollte, konnten die Mozarts auf keinen langen Aufenthalt in der Heimat rechnen. Immerhin reichte die Zeit aus, daß sich Mozart zum erstenmal verlieben konnte. Es war natürlich eine harmlose, kindische Spielerei, wie die vielfachen geheimnisvollen Andeutungen in den Briefen an die Schwester von der nächsten Reise bezeugen.

In Salzburg hatte Mozart als Konzertmeister, um seiner amtlichen Stellung zu genügen – freilich war diese ohne Gehalt –, nur einige Kompositionen für die Kirche und eine Sinfonie geschaffen. Dann ging es am 13. August wieder nach Mailand, wo die Vermählung stattfinden sollte. Der Termin war auf den 15. Oktober festgelegt. Da das Textbuch zur Serenata erst am Anfang September in die Hände Mozarts gelangte, begreifen wir, daß Wolfgang in den Briefen nach Hause sich darüber beklagt, daß ihm die Finger vom Schreiben weh tun. Aber »ober unser ist ein Violinist,« heißt's in dem Briefe vom 24. August, »unter unser auch einer, neben unser ein Singmeister, der Lektionen gibt, in dem letzten Zimmer gegen unser ist ein Oboist, das ist lustig zum Komponieren.« Diese Bemerkung über die musikalische Nachbarschaft, die manchen wohl zur Verzweiflung gebracht haben würde, ist keineswegs ironisch gemeint; sie zeugt nur wieder dafür, daß Mozarts eigentliches Lebenselement, die Luft, in der er am leichtesten atmete, Musik war. Da das Verhältnis zu den Sängern das denkbar beste war, ging die Arbeit glatt vonstatten und wurde rechtzeitig fertig. Bei dieser Gelegenheit stand Mozart als Rivale neben Hasse, dem berühmtesten damaligen Vertreter der italienischen Oper, der die Festoper (Metastasios »Ruggiero«) komponierte, und neidlos erkannte der Greis an: »Dieser Jüngling wird uns alle vergessen machen.« Der Beifall, den Wolfgangs Serenata »Ascanio in AIba« bei der Erstaufführung am 17. fand, bestätigte Hasses Voraussage, und der Vater konnte nach Hause berichten: »Mir ist leid, die Serenata hat die Opera von Hasse so niedergeschlagen, daß ich es nicht beschreiben kann.« Zum Erfolg kam diesmal ein reiches Geschenk.

Es ist übrigens recht lehrreich, zu erfahren, wie es um dieses kaiserliche Wohlwollen, für das Wolfgang sich durchs ganze Leben zu Dank verpflichtet fühlte, in Wirklichkeit bestellt war. Erzherzog Ferdinand war auf den Gedanken gekommen, den jungen Komponisten in seine Dienste zu nehmen, wodurch er die höchsten Wünsche des Vaters Mozart erfüllt hätte. Auf die Anfrage bei der Kaiserin Maria Theresia gab diese ihrem Sohne in einem französischen Briefe folgenden Bescheid: »Sie bitten von mir, daß Sie den jungen Salzburger in Ihren Dienst nehmen dürfen. Ich weiß nicht als was, da ich nicht glaube, daß Sie einen Komponisten oder unnütze Leute nötig haben. Allerdings, wenn Ihnen das dennoch Vergnügen macht, will ich kein Hindernis sein. Was ich sage, ist, daß Sie sich nicht mit unnützen Leuten beschweren und niemals Titel an solche Leute, als ständen sie in Ihren Diensten. Das macht den Dienst verächtlich, wenn diese Leute dann wie Bettler in der Welt herumreisen; übrigens hat er eine große Familie.« (12. Dezember 1771. Arneth, Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde I, S. 92.) So wissen wir doch, warum der junge Mozart überall umsonst nach einem Dienste suchte. Es war eben viel leichter, dem als Künstler gefeierten Genie einige freundliche Worte ins Gesicht zu sagen, als ihm in Taten wahrhaft wohlwollend sich zu bezeigen.

Als die beiden Mozarts Mitte Dezember wieder in Salzburg ankamen, lag der Erzbischof Sigismund im Sterben († 16. Dez. 1771). Zu seinem Nachfolger wurde 1772 Hieronymus Graf von Colloredo, der bisherige Bischof von Gurk, gewählt. An den Festlichkeiten, die ihm natürlich trotz der allgemeinen Abneigung, der seine Wahl bei den Salzburgern begegnete, in großer Zahl dargeboten wurden, wirkte Wolfgang in hervorragender Weise mit durch die Komposition der Begrüßungsoper »Il sogno di Scipione«, einer allerdings für eine ganz andere Gelegenheit geschaffenen Huldigungsoper, die im Anfang Mai 1772 aufgeführt wurde. Man kann an der Musik merken, daß Mozarts die Neuernennung nicht sympathischer begrüßten als alle Mitbürger, denn sie ist wohl die äußerlichste, die Wolfgang jemals geschaffen hat. Er hat damit den Mann begrüßt, der am schwersten auf seinem Leben gelastet hat, den einzigen, den dieser liebevolle Mensch gehaßt hat. Der Groll gegen die Ernennung des in seinem ganzen Wesen unsympathischen, wenn auch klugen Mannes mochte bei den Mozarts noch schroffer sein, weil seine Wahl nur durch den freiwilligen Verzicht des Grafen Zell, Bischofs von Chiemsee, zustande gekommen war, der seinerseits zu den wohlwollendsten Gönnern des jungen Künstlers gehörte.

Einstweilen merkte aber wenigstens der Knabe noch nichts von dem Gewölk, das sich über ihm zusammenzog. Nachdem er sich von der Krankheit, die ihn im Januar befallen hatte, völlig erholt hatte, schuf er lustig darauf los: Kirchenmusik, ein halbes Dutzend Sinfonien, mehrere Quartette und Divertimenti, Arbeiten, die wahrscheinlich durch allerlei Salzburger Gelegenheiten hervorgerufen wurden. Dann begaben sie sich am 24. Oktober wiederum auf die Reise nach Mailand, um rechtzeitig für die neue Oper zur Stelle zu sein.

Leopold Mozart reiste diesmal nicht so freudig wie bisher und empfand auch nicht die gleiche Freude an den Erfolgen, die seinem Knaben wiederum reichlich zuteil wurden. Daran war weniger ein Übelbefinden schuld, das ihn häufiger quälte, als Sorge um die Zukunft seines Sohnes. Der kluge Mann sah voraus, daß unter dem neuen Brotherrn schwere Tage kommen würden, und er wollte wenigstens seinen Sohn aus der abhängigen Lage in Salzburg befreien. Sein Bestreben ging dahin, für Wolfgang eine angemessene Stellung an irgend einem Hofe zu suchen. Der Vater hat damit keinen Erfolg gehabt, trotzdem der Knabe so lebhafte Bewunderung und seine in wenigen Wochen komponierte Oper »Lucio Silla« wiederum einen großartigen Erfolg gewann. Wolfgang, der ja klein von Gestalt war, mochte doch wohl den verschiedenen Höfen zu wenig repräsentabel oder auch zu jung sein. Jedenfalls hat er ja auch später, als er freilich bei seinen Bemühungen die Hilfe des lebensklugen Vaters entbehrte, in dieser Hinsicht niemals Erfolg gehabt. Bezeichnend für den Widerwillen, den Leopold Mozart gegen die Salzburger Verhältnisse jetzt empfand – man muß das besonders hervorheben, weil er später gegenüber seinem Sohne immer der Mahner zur Geduld war – ist, daß er die Heimreise solange wie möglich hinausschob. Erst als es höchste Zeit war, um noch zum Jahrestag der Wahl des Erzbischofs in Salzburg zu sein, Anfang März, brachen sie von Mailand auf.

Wenn sich auch keine dokumentarischen Nachweise dafür finden, daß Mozart mit neuen Aufträgen für Italien bedacht worden ist, so sind ihm solche doch zweifellos zuteil geworden. Daß sie nicht zur Ausführung kamen, lag nur am Erzbischof, der von nun ab den Mozarts die größten Schwierigkeiten in den Weg legte und ihnen die Gelegenheiten, sich auswärts zu zeigen, nach Vermögen beschnitt. Wolfgang selbst ist nun nicht mehr nach Italien gekommen. Vier Jahre später, als er zum ersten Male das verhaßte Joch des salzburgischen Dienstes abgeschüttelt hatte, in München und vor allem nachher in Mannheim, als ihn die Liebe zu Aloysia Weber auf alle möglichen Mittel, zur Selbständigkeit zu kommen, denken ließ, trat ihm der Gedanke, in Italien sein Glück zu versuchen, nochmals lebhafter vor die Seele; dann noch, als er in Paris einen so unfreundlichen Boden fand. Später nicht mehr. Das ist vielleicht das beredteste Zeichen für seine innere Weiterentwicklung. Wir können in seinen Briefen verfolgen, wie ein stolzes Bewußtsein auf sein inneres Deutschtum in ihm gegenüber den Franzosen, aber auch den Italienern immer stärker wird. Seine Kunst drückt das freilich noch viel beredter aus, und es ist bezeichnend, daß in Wien seine heftigsten Gegner die Vertreter der italienischen Oper waren, zu deren verheißungsvollsten Meistern man ihn ein Jahrzehnt zuvor in Italien stolz gerechnet hatte.


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