Karl Storck
Mozart – Sein Leben und Schaffen
Karl Storck

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14. Die italienischen Opern

Le Nozze di Figaro – Don Giovanni – Cosi fan tutte – Titus

Keinem Volke haben sich für die Bildung einer nationalen Kunstkultur solche Schwierigkeiten entgegengestellt wie dem deutschen. Die Entwicklung ist bei uns auch hier einen dem üblichen entgegengesetzten Weg gegangen; im allgemeinen vollzog sie sich so, daß ein Volk staatlich und politisch seine nationale Kraftbetätigung ablegte und dann eine seinem Volkstum entsprechende Kunst als Frucht und Schmuck erhielt. So ist es dann geradezu selbstverständlich, daß diese nationale Kultur von dem betreffenden Volke mit allen Kräften unterstützt und als die ihm zukommende aufgenommen wird. Das alles schließt Freude und Bewunderung für fremde Kulturerzeugnisse nicht aus, aber entweder wird dieses Fremde als Fremdkörper behandelt – man fühlt sich stark genug, sich den Luxus auch dieses Lebensschmuckes leisten zu können – oder man sucht aus diesem Fremden das, und nur das, für sein eigenes Volkstum zu gewinnen, was diesem wertvoll ist. In der Geschichte aller Kulturvölker aber ist es ein unerhörter Fall, daß diese ihr eigenes Volkstum völlig preisgaben, um eine fremde Kultur zu pflegen. Nur Deutschland macht hier eine Ausnahme. Man kann nicht einmal auf das Beispiel Rußlands hinweisen, wo Peter der Große mit absolutistischer Macht die Kultur des Westens seinem Volke aufzuzwingen suchte. Denn da war eben keine eigene Kultur vorhanden; allenfalls bietet das Japan der Gegenwart ein abgeschwächtes Beispiel für die Art, fremden Besitz auf Kosten der eigenen Entwickelung zu übernehmen. Hier allerdings doch um des glänzenden Zieles willen, als Weltvolk sich betätigen zu können, und überdies auch nur in der Form der Hinzunahme des Fremden ohne Verkümmerung des Eigenen.

Ganz gewiß bedarf die Weltentwicklung nicht nur der einzelnen Universalmenschen, sondern auch der Universalvölker. – Ebenso gewiß kann die Vorbedingung zu dieser Universalität, nämlich die Aufnahme aller wertvollen fremden Kräfte, nur von einem Volke erfüllt werden, das zu einer Überschätzung des Fremden neigt. Wir sehen es bei den Franzosen, bei den Italienern, daß die außerordentlich hohe Meinung von der eigenen Kultur doch die Fähigkeit für das Verständnis und vor allen Dingen für die Aufnahme einer anderen abschwächt; und gewiß fühlt auch hier die Inzucht auf die Dauer zu einer Abschwächung, zur Unfruchtbarkeit. Aber sicher ist, daß nur die einzelnen zur Höhe der Universalität gelangen, daß für die Masse des Volkes diese willige Aufnahme alles Fremden fast immer zum Fluche der Internationalität, der Nationallosigkeit führt. Es muß aber immer wieder betont werden, daß auch die größte Kunstbetätigung der einzelnen noch nicht Kultur eines Volkes ausmacht. Dazu gehört, daß das Volk in seiner Gesamtheit wirklich Kunst besitzt, sie zu genießen vermag, daß also für das Kunstschaffen der Großen eine empfangsfähige Gemeinde vorhanden ist. An der Größe dieser Gemeinde hat man einen Gradmesser der Kultur. Universalität kann nur entstehen, wo ein starker nationaler Grundstock vorhanden ist, der einen gesunden Nährboden abgibt, aus dem heraus ein volklicher Charakter sich entwickeln kann. Da Universalität nicht dann beruht, daß der Kulturbesitz der verschiedenen Nationen nebeneinander steht, sondern darin, daß eine außerordentlich starke Kraft vorhanden ist, die das den verschiedenen Nationalbesitzen Entnommene zu einer neuen, über allen thronenden Einheit vereinigen kann, so vermag nur eine starke persönliche Sonderkraft diese Arbeit zu leisten. So sind die universalen Künstler, die Deutschland hervorgebracht hat, urdeutsche Naturen, während eine lange Reihe deutscher Künstler ganz in fremden Nationalkünsten untergetaucht sind, weil ihnen dies Rückgrat der eigenen Volkskraft fehlte.

Daß es dahin gekommen ist, beruht auf den äußeren Erlebnissen unseres Volkes. Wir brauchen darauf nicht näher einzugehen. Der Dreißigjährige Krieg hat die deutsche Nation als Staat zertrümmert; was nachher entstand, war die Karikatur eines Volksstaates. Absolutistisch geknechtete Völker nehmen die Kunst, die ihnen von den Herrschenden geboten wird. Die Herrschenden in Deutschland haben sich, als die Kunst des eigenen Volkes mit diesem vernichtet war, die Kunst vom Auslande geholt, waren ausländisch gebildet und haben an diesem geistigen und künstlerischen Besitze, der ihnen fertig und leicht zugänglich überwiesen wurde, festgehalten, selbst wenn sie als Staatsmänner alle Kräfte an die Neugestaltung eines deutschen Staates setzten. Friedrich II. wie Joseph II. waren einseitige Verehrer fremdländischer Kunst. So ist die deutsche Kunst gegen das Verhalten der deutschen Fürsten und des deutschen Volkes erkämpft worden von den einzelnen. Es ist leicht verständlich, daß in diesem Kampfe jene Künstler am erfolgreichsten sein mußten, die die Fähigkeit der Universalität in sich trugen, die imstande waren, die nun einmal herrschende Fremdkultur sich so zu eigen zu machen, daß ihr eigenes Schaffen die Werte des fremden nicht vermissen ließ. Nur so, nur wenn nichts wirklich Wertvolles preisgegeben zu werden brauchte, wenn die aus dem eigenen Volkstum geborene Kunst alle Vorzüge der fremden auch aufwies, konnte diese verdrängt werden. So hat in der Dichtung keiner mehr für das Nationale gewirkt als Goethe, in der Musik keiner mehr als Mozart.

Bei Mozart mag diese Behauptung zunächst verblüffen. Wir stehen vor der Tatsache, daß einige seiner herrlichsten Werke in italienischer Sprache geschrieben sind. Aber gerade durch diese italienischen Opern Mozarts ist die italienische Oper aus Deutschland verdrängt, die Herrschaft der italienischen Musiksinnlichkeit gebrochen worden; nach Mozart, dank ihm, war die Bahn frei für deutsche Musik. Ein Bach war wirkungslos vorbeigegangen; Händel war ins Ausland gezogen; Gluck hatte sein urdeutsches Wollen in Frankreich ins Leben gesetzt und hatte im Grunde nur den französischen Nationalbesitz vermehrt; Haydn ist erst nach Mozart zur Geltung gelangt. Dieser selbst konnte es noch erleben, mit seiner deutschen Oper »Zauberflöte« den Siegeszug des deutschen Musikdramas zu eröffnen.

Es ist zuzugeben, daß, wenn wir heute »Figaros Hochzeit« und »Don Juan« in deutscher Sprache aufführen, nicht der volle Reiz dieser Wunderwerke sich offenbart, obwohl der Verlust bei weitem nicht so schlimm ist, wie häufig hingestellt wird, vor allem nicht so schwer zu sein brauchte, wenn man eifriger um eine würdige Übersetzung bemüht wäre. Aber auch von den Anhängern der italienischen Aufführung wird keiner behaupten wollen, daß wir diese Werke nicht als deutsch empfinden, als deutsch freilich in jener Art, wie wir Goethes Iphigenie als Landsmännin begrüßen: die deutsche Seele im fremden Körper. Richard Wagner sagt: »So sehen wir denn, daß es doch ein Deutscher war, der die italienische Schule in der Oper zum vollkommensten Ideal erhob und sie, auf diese Art zur Universalität erweitert, seinen Landsleuten zuführte.« Aber gerade diese Universalität hebt die italienischen Meisterwerke Mozarts ganz aus dem Bereich der italienischen Oper hinaus. Die eigentliche italienische Oper ist immer italienisch, ist außerhalb Italiens überall fremd, ist in dieser Fremde Sinnesgenuß, aber nirgendwo Herzenssache. Mozarts Opern sind in italienischer Sprache geschrieben, aber ihr Wesen ist nicht italienisch. Zugegeben, daß der Zuschnitt der Textbücher vielfach die Formgebung beeinflußt hat, daß die Melodiebildung anders ist als in Mozarts deutschen Opern. Das alles ist Form. Und auch diese Form ist nicht mehr italienisch, sondern universal; alles Italienische an ihr ist durch Zufall vorhanden, ist von außen hineingekommen. Mozarts dramatische Eigenart, daß er eigentlich nie aus den Worten heraus komponierte, sondern aus dem Charakter der Personen und der gesamten Lage, die doch beide mit der Sprache an sich nichts zu tun haben, begünstigte diese Sonderstellung, die übrigens immer instinktiv empfunden wurde.

Das bezeugt am besten das Verhalten der Italiener und ihrer Anhänger ihm gegenüber. Daß diese Italiener Gegner Mozarts waren, solange er deutsche Opern schrieb, ist leicht begreiflich. Da kämpften sie für ihre Kunst gegen die andersartige deutsche. Als aber Mozart sich nun auch wieder der italienischen Oper zuwandte, hätten sie gegen ihn doch keine andere Gegnerschaft hegen können als dieselbe Theaterintrige und Kabale, die sie auch unter sich spielen ließen. Denn das muß man den Italienern doch lassen, daß sie die deutschen, russischen, spanischen, tschechischen Komponisten, die sich in der italienischen Oper betätigten, immer mit offenen Armen aufgenommen haben. Auch noch nach Mozarts Zeit. Es müssen also innere Gründe sein, wenn alle diese italienischen Komponisten und Sänger sich auch gegen Mozarts italienische Opern verschworen. Ging es doch auch dem deutschen Kaiser Joseph II. nicht anders. Auch er fand in diesen italienischen Opern nicht italienische Musik. Und es geht den Italienern bis auf den heutigen Tag mit Mozart so. Sie verhalten sich im Grunde seiner Opernmusik gegenüber ablehnender, als der in deutschem Gewande vor sie hintretenden eines Weber, ja eines Richard Wagner. Und das ist leicht begreiflich. Gerade weil das Äußere in den Opern Mozarts italienisch ist, empfinden sie den Widerstreit mit dem innern Gehalt, fühlen sie, daß in diesem italienischen Körper eine deutsche Seele lebt. Das ist ja auch aus inneren Gründen nicht anders möglich. Das Grundwesen der Mozartischen Natur ist deutsch. Wenn er sich also auslebt – und wir dürfen sicher sein, daß er seiner Natur in »Figaros Hochzeit« und »Don Juan« keinerlei Zwang angetan hat – so mußte etwas Deutsches entstehen. Allerdings nicht etwas nur Deutsches, nicht etwas Deutsch-Volkstümliches, sondern eben etwas Universales.

Es bedeutet ein Hintanhalten der Entwicklung des Deutsch-Volkstümlichen in der Oper, daß Mozart nicht mehr Werke in der Art der »Zauberflöte« geschaffen hat – daran hinderte ihn sein früher Tod –; aber sicher bedeutete es keine Schädigung in der Entwicklung zur deutschen Musik, daß er in der Vollkraft seines Könnens noch einige Werke in italienischer Sprache geschaffen hat. Kein deutscher Dichter hat der außerordentlichen Beliebtheit der französischen Contes und Fabliaux in der vornehmen deutschen Gesellschaft so Eintrag getan, keiner hat das eingewurzelte Vorurteil, dem z. B. Friedrich der Große so scharfen Ausdruck gab, daß die deutsche Sprache unfähig sei zur Grazie, zum Esprit, so zerstört wie Wieland. Doch nur dadurch, daß in seinen Verserzählungen dieser starke Einschuß französischer Art steckt. Genau so ist es mit Mozart. Es mußte einer kommen, der die Italiener auf dem ihnen ureigensten Gebiete der Schönheitslinie der Melodie, der ausgelassenen Munterkeit, der in unbekümmerter Heiterkeit sich austollenden Sinnlichkeit übertraf, bevor jene Deutschen bekehrt werden konnten, die bis dahin ausschließlich in der italienischen Oper die Erfüllung ihrer Wünsche gefunden hatten. Nachdem sie aber durch diese in italienischer Gewandung vor sie hintretenden Opern zum Anhören einer im Wesen deutschen Musik gewonnen waren, da wirkte das Deutsche in ihnen auf sie ein und gewann sie dann allmählich für deutsche Kunst. Ich weiß sehr gut, daß auch Jahrzehnte später italienische Opern in Deutschland Triumphe gefeiert haben. Das wird niemals anders sein. Ganz abgesehen davon, daß die rein sinnliche Schönheit in der Kunst immer ihre Wirkung tun wird, kam immer hinzu, daß die höchste gesangstechnische Kunst von diesen Italienern getragen wurde. Aber nach Mozart, und erst nach ihm, ist es doch nicht mehr gelungen, der deutschen Oper die Gefolgschaft des geistigen Deutschlands zu rauben. Und diese Gefolgschaft wird sicher mit dem Wachsen der deutsch-volkstümlichen Kultur zunehmen, wobei wir immer bedenken wollen, daß wir als Kulturvolk noch sehr jung sind.

Sehen wir so diese Geschehnisse, denen wir uns jetzt zuwenden, vom Standpunkte der Gesamtentwicklung aus an, so ändert das nichts an dem Bedauern darüber, daß die Zustände im damaligen Deutschland unnationale waren; daß das deutsche Volkstum noch so wenig zur Geltung kam; daß ein Komponist, der berufen war, Herrliches aus diesem Volksgeiste heraus zu schaffen, nicht leichter dazu gelangte. Aber die Freude an diesen italienischen Opern Mozarts brauchen wir uns aus nationalen Gründen nicht im geringsten verkürzen zu lassen. Ja im Hinblick auf ihre Wirkung in der gesamten Entwicklung können wir ihnen gegenüber dasselbe, etwas banal klingende Wort anwenden, das man im Leben des einzelnen so oft bei der nachträglichen Betrachtung von anfänglich ungünstig erscheinenden Geschehnissen gebraucht: »Es ist gut, daß es so gekommen ist.«


»Es ist, als wenn sie, da die deutsche Oper ohnedies nach Ostern stirbt, sie noch vor der Zeit umbringen wollten, und das tun selbst Deutsche, pfui Teufel!« – Empört klagt es Mozart seinem Vater in einem Briefe vom 5. Februar 1783. Es war in der Tat traurig, richtiger erbärmlich, daß der herrliche und nachhaltige Erfolg der »Entführung aus dem Serail« das Bestehen der Wiener deutschen Oper nicht gesichert hatte. Was an Musikern um Mozart herum war, war allerdings nicht imstande, verwöhntere Ansprüche zu befriedigen. Ihm selbst trug man zwar auch eine Oper an: »Welches ist die beste Nation?« Das Buch war aber so elend, daß Mozart seine Musik nicht daran verschwenden wollte. Im übrigen scheint Stephanie aus persönlicher Machtgier allerlei Intrigen angezettelt und diese dann immer für sich ausgenutzt zu haben, so daß schließlich Verärgerung bei den leitenden Personen Platz griff, worauf es nicht schwer fallen konnte, den Kaiser, dessen Liebe niemals der deutschen Oper gegolten hatte, zu der Neueinrichtung einer italienischen zu bestimmen. Und da standen natürlich auch wieder große Mittel zur Verfügung. Der Intendant Graf Rosenberg wurde beauftragt, ein tüchtiges Ensemble für eine Opera buffa zusammenzustellen. Man mag es noch als Glück betrachten, daß man sich auf diese beschränkte, denn sie ist immerhin des gesundere Zweig der italienischen Oper. Die guten Kräfte der deutschen Oper sollten sich dann wieder der italienischen zuwenden., Nur den herrlichen Bassisten Fischer ließ man unbegreiflicherweise ziehen. Ende April 1783 wurde die italienische Oper in Wien wieder eröffnet mit Salieris neubearbeiteter Oper «La scuola dei Gelosi«, die, mit vortrefflichen Kräften aufgeführt, einen großen Erfolg gewann. Deutsche Opern tauchten nun zunächst nur gelegentlich als Benefizvorstellungen auf. Doch hatte sich, wie es scheint, beim Volke das Bedürfnis nach einer solchen so festgesetzt, daß man wieder an die Neueinrichtung dachte, und 1785 das vom Hofe übernommene Kärntnertor-Theater für deutsche Opern einrichtete. Die Hoffnungen, die von den Freunden vaterländischer Kunst vielfach daran geknüpft wurden, mochte Mozart allerdings nicht teilen, wie aus einem Briefe vom 21. März 1785 hervorgeht, in dem er dem Mannheimer Professor Anton Klein den Antrag, eine von ihm gedichtete deutsche Oper »Rudolph von Habsburg« zu komponieren, im Grunde bereits ablehnte: »Nachrichten, die zukünftige deutsche Singbühne betreffend, kann ich Ihnen noch dermalen keine geben, da es dermalen noch (das Bauen in dem dazu bestimmten Kärntnertor-Theater ausgenommen) sehr stille hergeht. – Sie soll mit Anfang Oktober eröffnet werden. Ich meinesteils verspreche ihr nicht viel Glück. – Nach den bereits gemachten Anstalten sucht man in der Tat mehr die bereits vielleicht nur auf einige Zeit gefallene deutsche Oper gänzlich zu stürzen, als ihr wieder emporzuhelfen und sie zu erhalten. Meine Schwägerin Lange nur allein darf zum deutschen Singspiele. – Die Cavalieri, Adamberger, Teyber, lauter Deutsche, worauf Deutschland stolz sein darf, müssen beim welschen Theater bleiben – müssen gegen ihre eigenen Landsleute kämpfen! – – Die deutschen Sänger und Sängerinnen dermalen sind leicht zu zählen! – Und sollte es auch wirklich so gute als die benannten, ja auch noch bessere geben, daran ich doch sehr zweifle, so scheint mir die hiesige Theaterdirektion zu ökonomisch und zu wenig patriotisch zu denken, um mit schwerem Gelde Fremde kommen zu lassen, die sie hier am Orte besser – wenigstens gleich gut – und umsonst hat. – Denn die welsche Truppe braucht ihrer nicht – was die Anzahl betrifft; sie kann für sich alleine spielen. – Die Idee dermalen ist, sich bei der deutschen Oper mit Akteurs und Aktricen zu behelfen, die nur zur Not singen; – zum größten Unglück sind die Direkteurs des Theaters sowohl als des Orchesters beibehalten worden, welche sowohl durch ihre Allwissenheit und Untätigkeit das meiste dazu beigetragen haben, ihr eigenes Werk fallen zu machen. Wäre nur ein einziger Patriot mit am Brette – es sollte ein anderes Gesicht bekommen! – Doch da würde vielleicht das so schön aufkeimende Nationaltheater zur Blüte gedeihen, und das wäre ja ein ewiger Schandfleck für Deutschland, wenn wir Deutsche einmal mit Ernst anfingen, deutsch zu denken – deutsch zu handeln – deutsch zu reden und gar deutsch – zu singen!!!« Mozart hatte nur zu recht. Dittersdorfs niedliches Talent vermochte allein ein Theater nicht zu halten. Mozart aber, der einzig Berufene, wurde, trotzdem seine »Entführung« dauernd sehr erfolgreich im Spielplan dieser deutschen Oper sich behauptete, nicht mit der Komposition eines neuen Werkes betraut, so daß sie denn auch im März 1788 an Entkräftung einging. Dabei scheint der Kaiser im Grunde sich klar darüber gewesen zu sein, daß für Mozart eine solche Aufgabe paßte. Denn als er bei einer Hoffestlichkeit in Schönbrunn eine dramatische Vorstellung veranstaltete, bei der das deutsche Schauspiel, die deutsche und die italienische Oper tätig sein sollten, wurde Mozart mit der Komposition des deutschen Werkes beauftragt. Freilich war dieses von Stephanie d. J. rasch hingeworfene Gelegenheitsstück » Der Schauspieldirektor« sehr schwächlich gegenüber dem witzigen italienischen Lustspiel Castis » Prima la musica e poi le parole«, zu dem Salieri die Musik schuf. Es war also auch hier, als ob die Deutschen selber sich bemühten, die deutsche Kunst gegenüber der fremden in Nachteil zu setzen. Die Handlung des

» Schauspieldirektors«

ist ganz roh gezimmert. Ein Schauspieler Frank hat die Erlaubnis erhalten, eine Bühne zu eröffnen und sieht sich vor der Notwendigkeit, schnell eine Gesellschaft zusammenzustellen. Allerlei Schauspieler, und danach auch Opernsänger, bieten ihm ihre Dienste an, indem sie in einzelnen Szenen ihr Können vorführen. Bei dieser ersten Aufführung wurde eine gewisse Teilnahme für den Inhalt durch Anspielungen auf die damaligen Wiener Theaterzustände gewonnen. Mozart hatte die Aufgabe, für die sich anbietenden Sängerinnen und Sänger die Arien zu schaffen. Da beide Sängerinnen sich für dasselbe Fach bewerben, mußten die ihnen übertragenen Arien auch ähnlich gestaltet sein. Ist es schon sehr hübsch, wie Mozart im gleichgespannten Rahmen in den Einzelheiten ganz verschieden ist und den Gegensatz der Stimmen und der Gesangsweise scharf herausarbeitet, so ergibt sich eine ganz prächtige Szene, als die beiden Sängerinnen aneinandergeraten, da der Direktor sich nicht entschließen kann. Wie sie beide einherstürmen mit ihrer Versicherung: »Ich bin die beste Sängerin«, und der Tenorist die Erregten zu begütigen sucht, wird zu einem sehr humorvollen und doch nirgendwo karikierenden Terzett. Eine Ouvertüre und ein Schluß-Vaudeville rahmten das Ganze ein. Hauptsächlich um des Terzettes willen hat man immer wieder den Versuch gemacht, dieses Gelegenheitsstück für unseren heutigen Bühnenspielplan zu retten. Dabei hat sich leider am meisten die 1845 entstandene Bearbeitung von L. Schneider eingeführt, die Mozart selber auf die Bühne bringt, in der Zeit, als er für Schikaneder die »Zauberflöte« schrieb. Nicht nur die läppische Art, mit der die Schaffensweise Mozarts hier vorgeführt wird, fordert Widerspruch heraus, sondern vor allen Dingen die üble menschliche Rolle, die dem Meister hier zugemutet wird. An sich soll uns jeder Versuch, Mozartische Musik auf die Bühne zu bringen, willkommen sein; und gerade der lose Rahmen im Schauspieldirektor gewährt die Möglichkeit, noch viele andere Stücke Mozarts einzuschieben. Dann aber darf es natürlich nur in einer Weise geschehen, die der Gestalt Mozarts gerecht wird. Das kann man der neuen Bearbeitung von R. Genée »Der Kapellmeister« nachrühmen, wo die Szene in die Zeit von Mozarts Berliner Aufenthalt verlegt ist. –

Die Hochzeit des Figaro

Die Italiener machten alle Anstrengungen, um den gefährdeten Posten Wien für ihre Oper zu retten. Nach zeitgenössischen Berichten war 1783 die Wiener Opera buffa »weit besser zusammengesetzt und trieb ihre echten Kunstspässe weit ernstlicher und ganzer als irgendeine Truppe der Art in Italien«. So fiel ihr die Gunst des Publikums in einem solchen Maße zu, daß nicht nur, wie Schröder klagt, »die welsche Oper großen Zulauf hatte und das deutsche Schauspiel leer blieb«, sondern auch Mozarts alte Liebe für die italienische Oper sich wieder lebhaft regte. Aber seine dramatischen Ansprüche waren mit der menschlichen Reife sehr gewachsen. Wie er dem Vater schreibt, hat er über hundert italienische Opernbüchlein durchgesehen, ohne sich für eines wirklich begeistern zu können. Und da er dem Versprechen des neuen Hofdichters Lorenzo da Ponte, der ihm ein solches liefern wollte, nicht recht traute, erhoffte er sich vom Salzburger Textdichter seines »Idomeneo« Hilfe. Varesco war denn auch bereit und schrieb ihm eine dreiaktige Oper » L'oca del Cairo« (Die Gans aus Kairo). Mozart hatte sich während des Besuches in Salzburg sofort an die Komposition gemacht; bei der weiteren Arbeit stiegen aber seine Bedenken so, daß er das Werk fallen ließ, trotzdem er schon einige sehr wertvolle Stücke dazu komponiert hatte. Nicht länger hielt seine Freude an einem zweiten Werke vor: » Lo Sposo deluso« (»Der gefoppte Bräutigam«), von dem wir auch einige Skizzen und ausgearbeitete Nummern haben.

Während sich so der deutsche Meister umsonst plagte, hatten die Italiener solche Erfolge, daß er immer mehr ins Hintertreffen geriet. Paësiello (1741-1816) war auf der Rückreise von Petersburg, wo er seit 1776 Kapellmeister Katharinas II. gewesen war und mit seiner 1780 komponierten Oper »Der Barbier von Sevilla« einen ungeheuren Erfolg errungen hatte, nach Wien gekommen, wo er von dem für ihn begeisterten Kaiser sofort den Auftrag zu einer Oper erhielt. Casti schrieb ihm den Text und der » Re Theodoro« hatte einen rauschenden Erfolg. Dagegen vermochte allerdings Salieris » Il ricco d'un giorno« gar keinen Erfolg zu gewinnen. Und das wurde auf Umwegen ein Glück für Mozart. Auf Salieris Veranlassung nämlich war Lorenzo da Ponte (1749-1838) – er war nicht Priester, trotzdem er auf den Theaterzetteln immer Abbate heißt –, der seines etwas abenteuerreichen Lebens wegen in der venetianischen Heimat unmöglich geworden war, in Wien als Theaterdichter angestellt worden. Als solcher hatte er zunächst für Salieri den Text zu der oben genannten Oper geschrieben. Als diese nun keinen Beifall gewann, schwor sich der entrüstete Salieri, keine Zeile mehr von diesem Hofpoeten zu komponieren, wandte sich auch gleich an Casti, mit dessen » La grotta di Trofonio« er auch im Oktober 1785 großes Glück machte. Nach diesen beiden Erfolgen seines Nebenbuhlers sah Lorenzo da Ponte seine Stellung gefährdet. Es mußte ihm alles daran liegen, sich mit tüchtigen Komponisten zu verbinden. Der eine war der Spanier Vincent Martin (1754-1810), dem mit dem » Finto cieco« im Januar 1786 auch ein guter Schlag gelang. Doch hatte da Ponte mehr Zutrauen zu Mozart, dem er schon 1783 ein Textbuch in Aussicht gestellt hatte. Die Verbindung wurde durch den Mozart befreundeten Baron Wezlar wieder hergestellt, der sich sogar den Besorgnissen Mozarts gegenüber, eine Oper von ihm würde wohl überhaupt nicht auf die Bühne gelassen werden, verpflichtete, die Aufführung an anderer Stelle durchzusetzen und den Textdichter von sich aus zu entlohnen. Als so seine Bedenken besiegt waren, schlug Mozart des Beaumarchais Lustspiel » Le mariage de Figaro«, das seines Inhalts und seiner merkwürdigen Schicksale wegen allgemeiner Gesprächsstoff war, zur Oper vor. Allerdings waren da nun große Bedenken zu überwinden, denn der Kaiser hatte die Aufführung des Lustspiels seiner Anstößigkeit wegen verboten. Doch übernahm es da Ponte, den Kaiser zu gewinnen. Sie fingen zunächst heimlich die Arbeit an, vermutlich im Herbst 1785. Als Mozart dann eine Reihe von Stücken geschaffen hatte, wußte es da Ponte so einzurichten, daß der Kaiser davon erfuhr und sich, nachdem ihm der Dichter versichert hatte, daß alle Anstößigkeiten beseitigt seien, die Musik vorspielen ließ. Diese machte einen so großen Eindruck auf ihn, daß er nun die Vollendung der Oper und deren möglichst baldige Aufführung befahl.

Die italienische Gesellschaft muß vor Mozart eine rechte Angst gehabt haben, denn es wurde alles mögliche an Intrigen aufgeboten, um die Aufführung zu hintertreiben. Andererseits mögen auch die Berichte über die Intrigen wieder übertrieben sein. Jedenfalls berichtete Kelly, der in dieser ersten Aufführung die Rolle des Basilio und Curzio sang, in seinen »Erinnerungen«, daß die Aufführung der Oper die beste gewesen sei, deren er sich überhaupt erinnern könne. »Alle ersten Darsteller hatten den Vorteil, durch den Komponisten selbst unterwiesen zu werden, der seine Ansichten und seine Begeisterung auf sie übertrug. Nie werde ich sein kleines, belebtes Antlitz vergessen, wie es leuchtete, erglühend vom Feuer des Genius – es ist nicht möglich das zu beschreiben, sowenig als Sonnenstrahlen zu malen. Ich erinnere mich, wie Mozart im roten Pelz und Tressenhut bei der ersten Generalprobe auf der Bühne stand und das Tempo angab. Benucci sang Figaros Arie Non più andrai mit der größten Lebendigkeit und aller Kraft seiner Stimme. Ich stand dicht neben Mozart, der sotto voce wiederholt rief: bravo, bravo Benucci! und als die schöne Stelle kam: Cherubino, alla vittoria, alla gloria militar! welche Benucci mit Stentorstimme sang, war die Wirkung auf alle, die Sänger auf der Bühne wie die Musiker im Orchester, eine wahrhaft elektrische. Ganz außer sich vor Entzücken rief alles bravo! bravo maestro! viva! viva grande Mozart! Im Orchester konnten sie kein Ende finden mit Klatschen, und die Geiger klopften mit dem Bogen auf die Notenpulte. Der kleine Mann sprach in wiederholten Verbeugungen seinen Dank für den enthusiastischen Beifall aus, der ihm auf so außerordentliche Weise ausgedrückt wurde.«

Die Aufnahme beim Publikum, als die Oper am 1. Mai 1786 gegeben wurde, bestätigt diesen Bericht. Denn »nie hat man einen glänzenderen Triumph gefeiert, als Mozart mit seinen » Nozze di Figaro«, sagt derselbe Kelly. Das volle Haus war so begeistert, daß die meisten Nummern der Oper wiederholt werden mußten, so daß diese die doppelte Zeit brauchte. Auch bei den folgenden Ausführungen hielt diese Begeisterung an. Jetzt aber setzten die Intrigen der Neider und Gegner mit aller Gewalt ein. Man erreichte es, daß der Kaiser das da capo-Rufen verbot, weil die Sänger zu sehr angestrengt würden. Man legte die Aufführungen ganz weit auseinander, so daß trotz des ungeheuren Erfolges im ersten Jahre nur neun Vorstellungen zustande kamen und die Begeisterung sich nicht recht festsetzen konnte; außerdem erreichte man dadurch, daß wieder ein Italiener mit einer neuen Oper kam, und zwar Martins » Cosa rara«, und im Jahr darauf desselben Komponisten » Arbore di Diana«. Beide gewannen großen Erfolg und bewirkten mit ihren sinnfälligen Melodien, daß Mozarts herrliches Werk trotz aller Erfolge in den Jahren 1787 und 1788 überhaupt in Wien nicht gegeben wurde und erst Ende August 1789 hier wieder auf die Bühne kam. So hatte abermals die oberflächliche Gefälligkeit und der leichte Sinnengenuß über edle Schönheit und echten Humor einen allerdings nur vorübergehenden Sieg erfochten. Heute weiß kein Mensch mehr etwas von diesen einst so bejubelten Werken des gewandten Spaniers, während Mozarts »Figaro« in unverwelkter Jugendfrische unser aller Herzen und Ohren erfreut. » Figaros Hochzeit« ist auch in textlicher Hinsicht eines der merkwürdigsten und wertvollsten Werke der gesamten Opernliteratur. Es war bis dahin eigentlich nur mit Paësiellos »Barbier von Sevilla« gelungen, ein wertvolles literarisches Werk so unverstümmelt zum Operntexte umzugestalten. Diese Dichtung aber ist gewissermaßen das Vorspiel zu »Figaros Hochzeit« und wird von letzterer an geistiger und auch rein literarischer Bedeutung weit übertroffen. Beide stammen vom gleichen französischen Dichter Pierre Augustin Caron de Beaumarchais. Dieser adlige Schluß ist erst etwa dreißig Jahre nach der am 24. Januar 1732 erfolgten Geburt dem Namen des kleinen Uhrmachersohnes aus Paris angehängt worden. Von ihm selber natürlich, und er hatte die nicht eben lauteren Mittel seiner Zeit gewählt, um sich so in jene Gesellschaftskreise hinaufzuschmuggeln, die er literarisch so scharf zu geißeln wußte. Dieser Beaumarchais ist eine der merkwürdigsten Erscheinungen der französischen Literaturgeschichte. Dichterisch und musikalisch begabt, ein sehr kluger Kopf, waren ihm alle Mittel recht, vorwärts zu kommen und Aufsehen zu erregen. Er ist einer der frühesten Reklamehelden der Literaturgeschichte, der stets die öffentliche Meinung mit sich zu beschäftigen wußte, und auch aus jenen Zufällen seines Lebens, die man als unglückliche bezeichnen müßte, Kapital zu schlagen wußte. Es ist ja auch auffällig genug, daß er bereits als Vierzigjähriger mit »Memoiren« vor der Öffentlichkeit erschien. Ein merkwürdig gemischter Charakter, geißelt er mit ehrlicher Entrüstung alle jene Schäden der Gesellschaft, durch deren Benutzung er im praktischen Leben vorwärts zu kommen verstand. Gleichzeitig erreichte er es dadurch, alle seine Gegner mit der scharfen Waffe seiner Satire zu züchtigen. Den durch die »Memoiren« (1774) gegründeten literarischen Ruf befestigte sein zwei Jahre darauf aufgeführtes Lustspiel » Le barbier de Séville«, das er selber zuerst als eine Art Operette geschrieben hatte, mit zahlreichen Gesangseinlagen, für die er die Musik nach spanischen Motiven – er hatte sie sich in Spanien selbst, wo er den Verführer seiner Schwester, Clavijo, gezüchtigt halte (vgl. Goethes Schauspiel) gesammelt – bearbeitet hatte. Bereits ein Jahr nach der erfolgreichen Aufführung des Lustspiels schuf Paësiello im getreuen Anschluß daran seine meisterhafte komische Oper, die erst 1816 durch Rossinis Meisterwerk aus der allgemeinen Gunst verdrängt wurde (das Entstehungsjahr von Paësiellos Oper ist sehr verschieden angegeben; ich folge hier den Darlegungen R. Genées in den »Mitteilungen der Mozart-Gemeinde«, II, Heft 11). 1781 ließ Beaumarchais als Fortsetzung jenes ersten Stückes » Le mariage de Figaro« folgen, das aber erst nach langen Kämpfen, die die Teilnahme des Publikums zur Leidenschaft steigerten, am 27. April 1784 im Théatre français aufgeführt werden konnte und einen ganz gewaltigen Erfolg errang.

Nach einem vorzüglichen Bericht über das Werk, den der uns aus Mozarts Pariser Zeit so wohlbekannte Baron Grimm in seiner » Correspondence litéraire« veröffentlichte, muß dieser Erfolg »vorzüglich der Konzeption des Werkes selbst beigemessen werden, einer Konzeption, die ebenso toll und ausgelassen als neu und originell ist. Es ist ein Imbroglio, dessen leicht aufzugreifender Faden eine Menge ebenso drolliger als unvorhergesehener Situationen herbeiführt, den Knoten der Intrige unaufhörlich künstlich zusammenzieht und am Ende zu einer zugleich klaren, sinnreichen, komischen und natürlichen Entwicklung führt.« Dieser Bericht eines Zeitgenossen, der in seiner Vielgewandtheit Verständnis für die verschiedensten geistigen Strömungen und alle gesellschaftlichen Schichten des französischen Volkes hatte, ist besonders wichtig, weil er die Stellungnahme der damaligen Gesellschaft zu dem Werke sicher treuer wiedergibt, als spätere literaturgeschichtliche Betrachtungen. Wir sehen hier, daß also auch in dieser französischen Gesellschaft der eigentliche Wert des Beaumarchaisschen Lustspiels in der Handlung gesehen wurde, in jenem Geschehen, das der Untertitel des Werkes ankündigte: »Ein toller Tag.« So erklärt es sich auch leicht, daß die gesamte Gesellschaft an diesem Stücke ein so großes Gefallen fand, was doch kaum der Fall gewesen wäre, wenn die Leute sich wirklich schwer getroffen gefühlt hätten.

Dem steht nun das lange Verbot der Aufführung gegenüber. Grimm meint, man müsse gestehen, daß das Werk im ganzen ja nicht zu der strengsten Gattung gehöre; es sei ein keck hingeworfenes Gemälde der Sitten der damaligen Gesellschaft. Sicher habe Beaumarchais, als er diese »schon verderbten oder der Verderbnis nahen Personen zusammenbrachte und mit einer Schar von Gimpeln oder Schelmen umgab«, nicht die Absicht gehabt, ein wesentlich moralisches Stück zu schreiben. »Aber es waren keinenfalls jene etwas gewagten Situationen und einige weniger sittenlose als drollige Züge, die so lange die Vorstellung verzögert haben. Vielmehr lag der Grund dazu darin, daß der Verfasser sich die schneidendsten Sarkasmen gegen alle diejenigen erlaubte, die das Unglück gehabt haben, sich sein Mißfallen zuzuziehen. Er hat seinem Figaro die meisten Begebenheiten in den Mund gelegt, die seinem eigenen Lebensgang eine so eigenartige Berühmtheit verliehen haben. Er behandelt mit einer bisher beispiellosen Keckheit die Großen, ihre Sitten, ihre Allwissenheit und Niederträchtigkeit; er wagt es, frei von der Leber weg über Minister, Bastille, Preßfreiheit, Polizei, ja über die Zensur zu sprechen. So etwas zu wagen, und mit Erfolg zu wagen, war nur Beaumarchais vorbehalten.« (Grimm a. a. O.) Um die Art dieser Keckheit zu kennzeichnen, sei wenigstens eine Stelle aus dem berühmten Frondeur-Monolog Figaros im 5. Akte hier angeführt: »Nein, Herr Graf, Ihr sollt Susanne nicht haben – Ihr sollt sie nicht haben. Weil Ihr ein großer Herr seid, haltet Ihr euch für einen großen Geist! – Adel, Vermögen, Rang, Würden, alles das macht Sie stolz! Was habt Ihr so viel Gutes getan? Ihr gabt euch die Mühe, geboren zu werden, weiter nichts! Im übrigen seid Ihr ein ganz gewöhnlicher Mensch! Während ich, zum Wetter, verloren in der dunkeln Menge, mehr Kenntnisse und Berechnung gebrauchen mußte, bloß um zu bestehen, als man seit hundert Jahren gebraucht hat, um ganz Spanien zu regieren! und Ihr wollt mit mir eine Lanze brechen?« (Nach Köslings Übersetzung.)

Alles in allem könnten diese Worte in einem Briefe Mozarts an seinen Vater aus der Zeit seines Streites mit dem Erzbischof stehen. »Das Herz adelt den Menschen« hat auch er damals hinausgerufen und war fest entschlossen, sich vom Grafen Arco Genugtuung zu verschaffen durch körperliche Züchtigung. Wir erinnern uns dabei an das Entsetzen des Vaters, der vor einem solchen Gedanken als freventlich zurückschreckte. Das waren verschiedene Zeitalter. Der Figaro steht mitten darin. Denn Figaro schimpft, aber nimmt den Kampf nicht immer auf: er wendet die Klugheit an als Waffe, nicht das offene Recht, und so hat auch Mozarts Vater überhaupt nur mit Klugheit gekämpft. Dem Ingrimm, den auch er oft genug fühlte, ließ er nur innerhalb der sicheren vier Wände Luft. Aber Wolfgang weist schon auf die Zeit hin, die auf Menschen rechte pochte, wo nicht mehr die überlegene Klugheit siegen sollte, sondern eben das Recht. Insofern hatte Napoleon I. durchaus recht, wenn er von Beaumarchais' Lustspiel sagte: »C'était la révolution en marche.« Aber das wurde eben nach der Revolution gesagt; da spürte man alle jene Stimmungen in der Vergangenheit, die bereits das künftige Geschehen ankündigten.

Beaumarchais selber aber wollte kein Revolutionär sein. Grimm wußte das sehr genau und sah in diesen Ausfällen vor allen Dingen die persönliche Rache, die ein gescheiter Kopf an seinen zahlreichen Gegnern nahm. Darum hat auch die Gesellschaft, die sich von diesen Peitschenhieben eigentlich getroffen fühlen mußte, sich bei diesem Stück so kostbar unterhalten, daß die Hofgesellschaft es selber für sich aufführte, wobei Marie Antoinette die Gräfin spielte. Es ist dasselbe Verhältnis, wie es unsere heutige Gesellschaft gegenüber den Karikaturblättern hat. Statt zu fühlen, daß man selber von diesen Geißelhieben mit getroffen wird, freut man sich darüber, daß der oder jener in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeit ein Sieb versetzt wird, und lacht darüber, da man sich selbst in Sicherheit wähnt, wenn es nur mit Lustigkeit und Witz geschieht. So wurde auch Beaumarchais selber von der wirklichen Revolution überrascht und hat kein rechtes Verhältnis zu ihr gefunden. Es war ihm eigentlich das Arbeitsfeld abgegraben, als die Zustände beseitigt waren, von denen er lebte, indem er Witze darüber riß.

Das bezeugt am besten seine dritte Figarokomödie »La mère coupable ou le nouveau Tartuffe«, ein plumpes Intrigenstück, in dem ein heuchlerischer Streber mit der Sand der unehelichen Tochter des Grafen in den Besitz der Reichtümer desselben zu kommen trachtet. Der Intrigant gründet seinen Plan darauf, daß der Sohn des Grafen in Wirklichkeit die Frucht eines Fehltrittes der Gräfin mit Cherubin ist. Das Ehepaar Figaro und Susanne weiß auch diesen Plan zu durchkreuzen.

Ich habe von diesem wenig bekannten, auch literarisch recht belanglosen dritten Lustspiel Beaumarchais nur gesprochen, weil schon aus dieser dürftigen Inhaltsangabe hervorgeht, wie die Herabminderung der Charaktere der auftretenden Personen weitere Fortschritte gemacht hat. Wenn darin eine Absicht liegt, so müßte man hier zuerst die wirkliche Satire Beaumarchais sehen. Man erinnere sich an die Personen im »Barbier von Sevilla«, wie sie uns heute aus Rossinis köstlicher Oper bekannt sind. Da ist Graf Almaviva ein prächtiger Liebhaber, der es von vornherein gegenüber Dr. Bartolos Mündel, Rosine, ehrlich meint. Der Graf steht dann über seiner Zeit, daß er eine Bürgerliche zu heiraten gedenkt und gar nichts von der Meinung vornehmer Herren zeigt, die bürgerliche Welt als freies Jagdrevier ihrer Gelüste zu betrachten. Figaro ist schon hier der lustige, fröhliche Bursch, dem im allgemeinen das Feld für die Betätigung seiner Klugheit und Verschlagenheit gar nicht weit genug sein kann, der allerdings in diesem Falle nur deshalb dem Grafen seine Hilfe leiht, weil er dessen ehrliche Absicht kennt, und andererseits so erreicht, daß dem geizigen alten Dr. Bartolo die Braut weggefischt wird. In »Figaros Hochzeit« ist der Graf ein ganz anderer. Wohl hat er bei seiner Vermählung mit Rosine im Überschwang seiner Liebe das »alte schändliche Herrenrecht« (Jus primae noctis) aufgehoben. Aber nachdem der erste Liebesrausch verflogen, ist er durchaus nicht mehr gesonnen, auf diese Rechte zu verzichten. Er ist Lüstling und Wüstling, wohlverstanden, wir sprechen immer von den Gestalten bei Beaumarchais. Rosine ist als Gräfin gesetzter geworden und leidet schwer unter des Gatten Vernachlässigung, ist aber, um Grimms Ausdruck zu brauchen, »zärtlicher und reizbarer, als unsere Sitten es den Weibern, besonders den verheirateten, gestatten«. Es bedarf schon der kräftigen Aufmunterung durch Figaro und Susanne, daß die Rosine von ehedem wieder einmal lebendig wird, um sich zu einem lustigen Intrigenspiel zu verstehen, das ihr den Gatten wiedergeben soll. Gerade das dritte Stück Beaumarchais zeigt, daß er in dieser Gräfin keineswegs jene reine Gestalt gesehen hat, wie sie in unserer Vorstellung durch Mozart lebt. Denn bei diesem kommen wir doch keinen Augenblick auf den Gedanken, daß sie für Cherubin ein anderes Gefühl hegt, als das der überlegenen fraulichen Güte für einen hübschen Jungen. Im Mittelstücke steht in vollem Glänze da: Figaro, seines Wertes bewußt, aber auch ein tüchtiger und ehrlicher Mensch vor allem in seiner Liebe zu Susanne. Nicht einmal diese Gestalt hat Beaumarchais ganz auf der Höhe gelassen, und da er sicher in ihr sich selber gezeichnet hat, dürfen wir ein vielleicht unfreiwilliges, Vielleicht doch auch bewußtes wehmütiges Eingeständnis des Dichters über sein eigenes Herabsinken darin sehen, wenn der Figaro des letzten Stückes ein etwas bequemer und auch schwerfälliger Philister geworden ist. Der Graf aber hat sich zu einem unverständigen Tyrannen, die Gräfin zur kopfhängerischen Trauerweide weiterentwickelt.

Es war nach dem Zeugnis da Pontes, der nicht der Mann dazu war, seine Verdienste zu schmälern, Mozarts Plan, das damals seit einem Jahr bekannte Lustspiel Beaumarchais als Oper zu bearbeiten. Man kann nicht verkennen, daß Mozart von der Gesamttendenz des französischen Lustspiels gepackt werden mußte. Er teilte mit Figaro die Überzeugung, daß es die eigene Tüchtigkeit sein müsse, die den Menschen im Leben vorwärts bringt, nicht aber Vorrechte der Geburt, nicht Begünstigung irgendwelcher Art. Gerade weil Mozart überall Hemmungen fand, zu der Stellung zu gelangen, zu der ihn seine Tüchtigkeit befähigte, mußte ihm die Bekämpfung dieser verlotterten Verhältnisse am Herzen liegen. Auch gegen die Kritik, die Figaro an den öffentlichen Zuständen übte, wird er wenig einzuwenden gehabt haben. Den Haß gegen Zwischenträger, gegen bestechliche Obrigkeit fühlt ja jeder anständige Charakter. Ich möchte nun keineswegs aus Mozart so etwas wie einen Revolutionär machen. In Beaumarchais Lustspiel lebt ja nicht der große Geist der Revolution, sondern der der Satire an den minderwertigen Erscheinungen des Bestehenden. Das ist ein großer Unterschied.

Die Teilnahme, die das Lustspiel des Franzosen dem Menschen Mozart einflößen mußte, übertrug sich auf den Dramatiker. Und hier empfand Mozart sicher genau dasselbe wie Grimm. Der dramatische Wert des Stückes lag in der köstlichen Handlung, aus der sich ganz natürlich eine Fülle unterhaltsamer Verwicklungen ergeben, die sich unaufhaltsam abspielen. Mozarts Scharfblick erkannte, daß dieses kostbare Intrigenspiel vollkommen unabhängig bestand von jenen hundert einzelnen Bemerkungen politisch-satirischer Art, mit denen der Dialog Beaumarchais gespickt war. Ohne Schaden für das Lustspiel konnte die ganze Politik gestrichen werden. Damit fiel das eigentlich Unmusikalische weg; fiel auch weg – und das war bei der Art Mozarts, der gegen äußere ungünstige Verhältnisse nicht ankämpfen mochte, sehr wichtig – der Hauptgrund, der einer Aufführung in Wien im Wege gestanden hätte. Denn was man in Wien noch unmoralisch finden konnte, lag höchstens in einigen allzu derben Anspielungen, einigen Zweideutigkeiten, die sich ebenfalls leicht beseitigen oder mildern ließen. An der gesamten Grundlage der sittlichen Verhältnisse in diesem Lustspiel Anstoß zu nehmen, wäre der damaligen Zeit niemals eingefallen. Denn diese Verhältnisse waren eben gang und gäbe. Dagegen hat man sich seither sehr oft über die Frivolität des Stoffes aufgehalten und mit Recht betont, daß die Darstellung dieser faulen Verhältnisse an moralischer Begründung durch die Beseitigung alles Politisch-Satirischen noch eingebüßt habe. Daran knüpfte man dann immer die Frage: »Wie konnte Mozart diesen Gegenstand für seine Oper wählen, das Publikum ihn beifällig aufnehmen?«

Die Antwort liegt bereits in der ganzen Zeit, die die dargestellten Verhältnisse so gewohnt war, daß man in dieser Darstellung, sofern sie nur witzig war, hauptsächlich eine Unterhaltung sah. Die Anschauungen der Zeiten wechseln – man denke an altitalienische Novellen, an altdeutsche Schwanke –, und es wäre mehr als voreilig, aus der Tatsache, daß spätere Zeiten ein höheres Feingefühl für Schicklichkeit entwickelten, das Anrecht auf eine höhere Sittlichkeit zu folgern. Wenn Zustände, die jedes Kind kennt, zum Gegenstand künstlerischer Behandlung gemacht werden, so scheidet das Was für die Beurteilung der Sittlichkeit des Stückes aus, und es kommt dann nur noch auf das Wie der Behandlung an. Da wird man Beaumarchais den Vorwurf nicht ersparen können, daß er trotz der vielen satirischen Bemerkungen mit innerem Behagen an etwas zweifelhaften Situationen festhält und auch im einzelnen manche Zweideutigkeiten im Gespräch unterlaufen läßt, die wegbleiben könnten, ohne der Wahrheit des Gesamtbildes Eintrag zu tun. Gerade die Art der Behandlung erhebt aber Mozarts Werk in eine ganz andere Sphäre. Das geschah ganz sicher ohne alle moralisierenden Absichten Mozarts, rein als Ausdruck seiner Natur. Er selber war ein sinnlich froher Mensch. Als Kind seiner Zeit dachte auch er milde über nicht ganz einwandfreie Liebes- und Eheverhältnisse und behandelte die sinnlichen Dinge des Lebens auch in den Worten nicht mit jener Zurückhaltung, die der heutige gesellschaftliche Verkehr als Anstandsregel aufstellt. Daß trotz alledem seine innere sittliche Weltauffassung edel und rein war, haben wir bereits dargelegt. Aber eine sinnliche Heiterkeit, wie sie in Goethes »römischen Elegien« zum Ausdruck kommt, entsprach auch Mozarts Natur. Und er hätte mit Goethe ohne moralische Entrüstung von den Verhältnissen der heroischen Zeit geschwärmt: »Da Götter und Göttinnen liebten, folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier.« Aber wie für Goethe trug auch für Mozart erst die Wahrheit des Empfindens die Berechtigung desselben in sich.

Mit dem Worte Empfindung haben wir die adelnde Kraft von Mozarts Kunst. Der Graf ist bei ihm kein Lüstling, der lediglich, um bösen Lüsten zu frönen, jedem Weibe nachstellt, das ihm gefällt. Er ist eine verliebte Natur, empfindet wirklich die Liebe, von der er spricht. So geht trotz allem eine gewisse Ehrlichkeit durch sein Handeln, und darum glauben wir ihm auch, wenn er zum Schluß seinem Weibe zu Füßen sinkt und sie um Verzeihung bittet. Wir haben das Gefühl, daß die Beschämung, die er nun erfahren, ihn von Irrwegen zurückbringen wird, auf die ihn seine Naturanlage geführt hat. Denn man betont ja zwar immer, daß Cherubin das verjüngte Abbild des Grafen sei, aber zu wenig, daß dieser seinerseits nur der ausgewachsene Cherubin ist. Freilich wieder der Cherubin Mozarts. Denn bei Beaumarchais ist der Page eigentlich ein früh verdorbenes Früchtchen. Bei Mozart ist er die schönste Verkörperung jener Jugendeselei, die mit dem Überschwang der neuartigen sich aufdrängenden Gefühle nicht weiß wohin. Wer sollte diesen gerade heranreifenden Jüngling nicht lieb haben, der aus Naturzwang in jedem Weibe Helena sieht?! Auch die Gräfin ist bei Mozart erhöht. Ihre Liebe gilt nur dem Gatten, und nur um diesen sich wiederzugewinnen, läßt sie sich zu dem listigen Spiel bereden, in dem sie nur mit zagendem Herzen ihre Rolle durchzuführen vermag. Ganz bestrickend sind Figaro und Susanne: Kinder des Volkes, mit offenen Augen für alle jene geschlechtlichen und sittlichen Verhältnisse aufgewachsen, die in den vornehmer sich gebenden Kreisen so sorgsam verhüllt werden. Aber gerade, weil sie als Wissende bei aller zuweilen vielleicht derben Auffassung in diesen Dingen keinen Augenblick schwanken in der persönlichen Liebe und Treue füreinander, sind diese beiden geradezu sittlich erhebende Gestalten. Auf die Nebenpersonen, auf das Gesindel drumherum, hat Mozart mit Recht wenig Licht fallen lassen. Kleine Menschen, beschränkt, auch schlecht, aber sie werden nicht karikiert. So sind sie nicht nur möglich, sondern bleiben auch erträglich; man weiß sich mit ihnen abzufinden.

Das Fehlen jeglicher Karikatur ist wohl die glänzendste Eigenschaft dieser Operndichtung. Aber noch mehr. Es fehlt jede bewußte Komik. Alle hier auftretenden Personen handeln in jedem Augenblicke durchaus gemäß ihrer Natur, und da bei der Mehrzahl dieser Menschen der Schwerpunkt ihrer Natur nicht im Verstand, sondern im Gefühl liegt, verliert das ganze Spiel den Charakter des Berechnenden, sondern wird Notwendigkeit infolge der äußeren Verhältnisse, auf Grund des Geschehens. Bloß der Intrigant Basilio ist ein Rechner, und der Richter Curzio ist ein Schuft. Aber sie haben eigentlich mit dem Ganzen wenig zu tun. Figaros Klugheit wird hier nicht, wie im »Barbier von Sevilla«, um Dinge in Bewegung gesetzt, die ihn eigentlich nichts angehen; sie ist nicht ihrer selbst wegen da und feiert darum auch nicht bewußte Triumphe. Diese Klugheit ist Notwehr, mit ihr verteidigt Figaro sein Liebstes. So ist es allen diesen Leuten, die hier auftreten, mit ihrem Empfinden und Handeln in jedem Augenblick voller Ernst. Sie sind mit ihrer ganzen Persönlichkeit bei der Sache. Es liegt in den äußeren Verhältnissen, daß, was so ernst empfunden und ernst getan wird, heiter und komisch wirkt. Und deshalb ist auch die Komik überwunden, und es erblüht die duftende Blume des Humors. Das hat sogar der Italiener Rossini gefühlt, als er bekannte, daß er und seinesgleichen zwar » opere buffe« schreiben könnten, Mozart aber ein Drama giocoso. An Stelle von Komik und Lustigkeit steht die sieghafte Fröhlichkeit des Herzens Mozarts.

Wir dürfen über der Bewunderung Mozarts seinen Textdichter da Ponte nicht vergessen, so sicher dessen Verdienst hauptsächlich darin besteht, daß er es verstand, Mozarts Wünsche und Absichten voll zu erfüllen. Aber das Textbuch zu Figaros Hochzeit stellt einen neuen Typus dar. Es ist bis auf den heutigen Tag der beste komische italienische Operntext geblieben; erst recht vom musikalischen Standpunkte aus. Da Ponte hat es verstanden, das Schauspiel so zu bearbeiten, daß die Musik aufs wesentlichste verknüpft wurde mit der Entwicklung der Handlung. Gewöhnlich ist das Verhältnis in den italienischen Opern so, daß das eigentliche Geschehen im Dialog, also musikalisch als Seccorezitativ abgemacht wird, während das musikalisch Ausgebildete in geschlossenen, rein lyrischen Nummern dazwischen eingefügt wird. Für den Gang der Handlung könnte man diese Musiknummern wegstreichen. Anders in »Figaros Hochzeit«. Hier ergeben sich alle musikalischen Formen aus der Szenenfühlung selbst, Und selbst die rein lyrischen Herzensergüsse sind in der Handlung begründet, sind ihre Höhe- und notwendigen Ruhepunkte, oder führen den Unterstrom der Empfindung weiter. – Aber der Ouvertüre könnte der Untertitel des Werkes »Ein toller Tag« als Überschrift stehen. Toll vor Lustigkeit und Übermut. Leise wallt erst die angeregte Stimmung in den Achtelläufen der Streicher auf und ab, bis sie in jauchzender Freude von den Holzbläsern hinausgejubelt wird. Es kommt zum Lärm im Durcheinander des Tutti, dann stürzt sich in zwei raschen, fanfarenartigen Takten, die ankünden mögen, daß das Durcheinander gelöst werden wird, alles wieder ins frohe Gewoge, das in die Seitensatzgruppe mündet: mit schelmischem Gefühl, wie Susanne, kichern die Geigen; überlegen, wie Figaros, klingt der Holzbläser Lachen, in den Bässen bäumt sich des Grafen Anmut auf, bis auch hier alles in froher Schönheit zusammenklingt. Es folgt kein Durchführungssatz, sondern der zweite Teil bringt eine Wiederholung des ersten, dieses Mal auch die Seitensatzgruppe in der Grundtonart, und geht in die Koda, die aus dem Übergangsmaterial zwischen Haupt- und Seitensatz den Stoff zum köstlich dahinjagenden Jubel gewinnt: ein Vorgeschmack des guten Endes der ganzen Oper.

Der Vorhang hebt sich zum ersten Akt; wir sehen ein schönes Zimmer im gräflichen Schlosse; Figaro mißt mit dem Zollstab, wo das Bett unterzubringen ist, Susanne probiert vor dem Spiegel ihren Brauthut. Musikalisch zeigt schon diese Szene Mozarts wunderbare Fähigkeit, große geschlossene Musikformen dramatisch auszunutzen. Die Orchestereinleitung bringt erst ein marschartiges Motiv, kräftig und frisch: es ist ganz deutlich der den Raum abschreitende Figaro. Gleich folgt, schmiegsam und voll weicher Sinnlichkeit im Klang der Oboen und Flöten, Susannes Melodie, dann erst treten die Singstimmen abwechselnd zur Wiederholung der Periode an. Susanne ereifert sich, daß Figaro ihren Hut nicht bewundert, bis er nach etlicher Gegenwehr ihr Motiv in der Dominante aufnimmt, wonach beide in Terzengängen in Susannens glücklicher Melodie ihrer nahen Vereinigung sich freuen, während von Figaros Anfangsmotiv der kräftige Marschrhythmus beibehalten ist. – Im anschließenden Dialog erklärt Figaro seiner Braut, daß er dieses zwischen den Räumen der Herrschaften liegende Zimmer zum Schlafgemach bestimmt habe, weil sie dann beide rasch ihrem Dienste nachkommen könnten. In heiterer Melodie malt er die Bequemlichkeit aus; aber wie wandelt sich der Charakter der Weise durch die bangen Mittelstimmen (Oboe), als Susanne ihren Befürchtungen Ausdruck leiht, daß des Grafen Großmut den unlautern Grund seiner galanten Absichten auf sie habe. Durch den Musiklehrer Basilio bestürme er sie um ihre Gunst. Schwer nur besänftigt sie Figaros nagenden Zweifel. Aber da er seiner Susanne sicher ist, gewinnt Figaros Lebenslust rasch wieder Oberwasser. »Will einst das Gräflein ein Tänzchen wagen, – ich spiel' ihm auf.« Mit List natürlich muß es geschehn, wie außer den Worten der Wandel in der Begleitung ankündigt. Aber seiner Sache ist er sicher: »Mit muntern Scherzen leit' ich die Herzen... Alles muß, so wie ich's haben will, gehn.«

Als die Jugend das Feld geräumt, tritt das Alter ein: Dr. Bartolo und seine frühere Haushälterin Marzelline, die jetzt Beschließerin im gräflichen Schlosse ist. Bartolo ist gekommen, um Marzellinen beim Grafen im Geltendmachen ihrer Heiratsansprüche an – Figaro zu unterstützen. Dieser hat von ihr einst Geld geliehen und ihr für den Fall der Nichtbezahlung die Ehe versprochen. Bartolo erhofft die Gelegenheit, sich jetzt an Figaro dafür rächen zu können, daß er ihm sein Mündel Rosine abspenstig gemacht und in des Grafen Arm geführt hat. Diese Gestalten dürfen nicht karikiert werden. Die Komik in Bartolos Rachearie liegt gerade im Widerspruch der großtuenden Musik zur inneren Ohnmacht des greisenhaften Liebhabers. Auch beim Zankduett, in das Marzelline mit der zurückkehrenden Susanne gerät, liegt der Hauptreiz in der sorgfältigen Wahrung der äußeren Höflichkeit. Natürlich hat Susanne mit ihrer Jugend hier einen leichten Sieg; wütend geht Marzelline ab. Da schlüpft der Page Cherubin herein. Der Graf hat ihn bei der Gärtnertochter Barbarina erwischt und aus dem Dienst gejagt. Susanne soll für ihn bei der Gräfin bitten. Ach, Susanne! Ach, die Gräfin! Ach, jedes weibliche Wesen! Der arme Junge weiß vor Verliebtheit nicht, was tun. »Neue Freuden, neue Schmerzen« wühlen in ihm. In wunderbarer Melodie hat Mozart diese unklare, leidenschaftliche Erregtheit, das Aufgewühltsein der ganzen Natur des Jünglings hier zum Ausdruck gebracht; alles ist Sehnen und Schmachten; die Klarinetten, die seit der Ouvertüre geschwiegen, treten hier zum ersten Male auf. – Da kommt der Graf, Cherubin schlüpft hinter den Sessel. Leidenschaftlich bestürmt der Graf Susannen mit seiner Liebe, da hört man Basilio kommen. Der Graf verbirgt sich hinter dem Sessel, Cherubin hat gerade noch Zeit, nach vorne zu kriechen und kauert sich nun auf dem Sessel zusammen, wo ihn Susanne mit Kleidern verbirgt. Der Musikmeister ist ein böser Zwischenträger und echter Intrigant. Da Susanne gegen sein Liebeswerben für den Grafen heute genau so ablehnend sich verhält, wie immer, droht er ihr. Er hat den Pagen bei ihr herumschleichen sehen, er weiß auch, wie verliebt der Page in die Gräfin ist, die er in einer Kanzone angedichtet hat. Auf Susannens entrüstete Zurückweisung hat er nur ein Achselzucken: er sage nur, was alle sagen. Da hält es der Graf hinter seinem Stuhl nicht mehr aus. Er ist ganz wild vor Wut gegen den Pagen, den Basilio gleich fortjagen soll. Mit gleißnerischer Unterwürfigkeit versichert er: »Was ich sagte von dem Pagen, war Vermutung, war nur ein Argwohn.« Susanne fällt schier in Ohnmacht vor Angst, gewinnt ihre Fassung aber gleich wieder, als die beiden Männer sie allzu zärtlich stützen und in den Sessel geleiten wollen. Von Gnade für den Pagen will der Graf aber nichts wissen. Gestern hat er ihn bei der Gärtnertochter erwischt, als er den Teppich vom Tisch hob, wie jetzt das Kleid vom Sessel – da –! der Graf ist sprachlos, den Pagen auch hier wieder zu finden; Susanne windet sich in verlegenem Ärger, voll boshaften Hohnes aber wiehert Basilio, jetzt eine Quinte höher, sein: »Was ich sagte von dem Pagen, war Vermutung, war nur ein Argwohn.« Während Susanne sich bemüht, die Anwesenheit des Pagen zu erklären, kehrt sich die Ironie der Lage gegen den Grafen, indem Figaro mit den Dörflern kommt, die ihm ein Huldigungslied als »Beschützer der Unschuld und Tugend« singen – der vierstimmige heitere Chor hat echt volkstümliches Gepräge –, da er das alte, schmähliche Herrenrecht auf die erste Nacht aufgehoben. Figaro will dadurch einen Druck auf den Grafen ausüben, der aber die Vermählung unter dem Vorwand größerer Vorbereitungen hinauszögert, weil er durch Marzellinens Einspruch bei Susanne zu seinem Ziel zu gelangen hofft. Um den Pagen, der nun zum Mitwisser seiner Bewerbungen um Susanne geworden ist, auf eine schöne Weise loszuwerden, ernennt er ihn zum Offizier unter der Bedingung, daß er sofort zum Regiment abreise. Als die andern fort sind, sucht Figaro ihm den Abschied durch eine launige Schilderung des Soldatenlebens zu erleichtern. Die Arie »Dort vergiß leises Flehn« ist in der herrlichen Linienführung der mit den einfachsten Mitteln aus dem gebrochenen C-dur-Dreiklang und dem dazu gehörigen Dominantakkord geschaffenen Melodie eine der genialsten Eingebungen Mozarts, weshalb doppelt zu bedauern ist, daß die deutsche Übersetzung so wenig das im Original meisterhaft durchgeführte Zusammengehn von Wort und Ton wahrt. In Figaros Gehirn aber entspringen schon neue Pläne, des Grafen Absichten zu durchkreuzen; vor allem darf der Page nicht auf der Stelle abreisen. –

Der zweite Akt führt in ein Zimmer der Gräfin und bringt damit einen Stimmungswechsel. Die Gräfin, die ihrem Gatten in inniger Liebe anhängt, leidet schwer unter seiner Vernachlässigung. Ihre liebesbange Schwermut kommt in der wundervoll geschwungenen Melodielinie einer kleinen Kavatine: »Heil'ge Quelle reiner Triebe« zum Ausdruck, der durch die satten Farben der mit dem Streichkörper innig verbundenen Blasinstrumente etwas schwerblütiges, lyrisch Feierliches erhält. Aber bald wird die Gräfin ihrer traurigen Stimmung entrissen. Sie müßte nicht die lustige Rosine von ehedem sein, wenn sie nicht an einem kleinen Intrigenspiel gegen den Grafen teilnähme, zumal es doch nur dem Wiedergewinn des geliebten Mannes gilt: der Herr Graf ist auf seine Frau eifersüchtig. Das sucht Figaro zu nutzen. Er hat dem Grafen durch Basilio ein Briefchen zustecken lassen, daß seine Gattin am Abend ein Stelldichein haben werde. Gleichzeitig soll ihm Susanna scheinbar eine Zusammenkunft gewähren, an ihrer Stelle aber Cherubin in Frauenkleidern ihn erwarten. Der Graf werde, von seiner Gattin überrascht, aus dem peinlichen Hereinfall seine Lehre ziehen. Figaro eilt davon, den Pagen zu holen, damit er für seine Rolle vorbereitet werde. Cherubin kommt. Mozart hat diesen Jungen in den vollen Zauber der eben erblühten Schönheit des Jünglings gekleidet. Die verliebte Stimmung Cherubins hat etwas Bestrickendes für jede Frau, die mit ihm zu tun hat, um so mehr, als er noch so jung ist, daß die Frauenlaune noch mit ihm ungefährdet spielen zu können vermeint. Wer aber sollte auch dem in Wohllaut schwelgenden Liede Cherubins widerstehen können, wenn er in seinem zwischen Pein und Lust schwankenden Seelenzustand Erlösung sucht. »Ihr, die ihr Triebe des Herzens kennt.« Gitarreartig zupfen die Geigen zur süßen Sehnsuchtsweise; die Flöte seufzt, die Oboe schwärmt, die Klarinette singt, das Fagott schmachtet dazu, und zuweilen klingt wie lockendes Träumen ein Hornruf hinein. Da sollen Frauenherzen nicht gerührt werden. Die Gräfin versinkt in verliebtes Sinnen, während Susanne den Pagen für sein Auftreten am Abend hofmeistert. Ein köstliches Spiel zwischen diesen schönen, lebensprühenden Menschen. Hab acht, Susanne! Da es die Geigen uns schon vorhersagen, kommt es dir aus dem Kerzen, wenn du bekennst: »Wenn ihn die Mädchen lieben, so wissen sie warum.« Susanne geht, ein Kleid für den Pagen zu holen, da pocht es an die verschlossene Tür: herrisch verlangt der Graf Zutritt. Rasch schlüpft der Page in das nebenliegende Kabinett, das die Gräfin verschließt. Sie vermag ihre Verlegenheit vor dem Grafen nicht ganz zu verbergen, so daß dieser seine durch den Brief geweckte Eifersucht begründet glaubt. Da poltert es im Nebenzimmer – der Page hat einen Stuhl umgeworfen –, so daß der Graf die Öffnung der Türe verlangt, die die Gräfin weigert: Susanne sei darin und kleide sich zur Hochzeit an. Ein Hin und Her, in dem der Graf durch seine strenge Ruhe das Übergewicht hat, während die aus ihrem Zimmer hereingeschlüpfte Susanne mitleidsvoll die Gräfin bedauert, – dann verläßt der Graf mit seiner Gattin das Zimmer, um eine Axt zu holen, da er die Türe gewaltsam öffnen will. In diesen Minuten läßt Susanne den Pagen aus dem Kabinett heraus, er springt durchs Fenster in den Garten hinab, Susanne selber nimmt jetzt des Pagen Platz im Zimmer ein. Das Grafenpaar kommt zurück; im letzten Augenblick gesteht die Gräfin dem darob rasenden Grafen, der Page sei im Zimmer. Mit dem Degen stürzt der Graf gegen das Zimmer, da öffnet sich die Türe, ihm entgegen tritt lächelnd – Susanne. Während der Graf ins Zimmer stürmt, um es zu durchsuchen, unterrichtet Susanne ihre Herrin von dem Vorgefallenen. So gewinnt sie nun leicht das Übergewicht gegen ihren Gatten: alles sei Verstellung gewesen, auch der Brief, den Figaro ihm zugesteckt. Schon bittet der Graf seine Gattin um Verzeihung, da kommt – diesmal zur Unzeit – Figaro. Er hat bereits die Hochzeitsgäste zusammengetrommelt. Da beginnt die neue Verwirrung. Der Graf hält Figaro den Brief vor, den er ihm zugesteckt habe; da Figaro vom Vorangegangenen nichts weiß und die Gräfin bloßzustellen fürchtet, leugnet er alles. Noch schlimmer wird's, als der halbtrunkene Gärtner Antonio mit einem zerbrochenen Blumentopf hereinkommt: ein Mensch sei aus dem Fenster gesprungen, nach seiner Meinung der Page. Der Page? Figaro springt ein, er sei es gewesen; er war bei Susanne, fürchtete die Überraschung durch den Grafen und sprang hinaus. Da gehören wohl ihm diese Papiere, die der Mann beim Springen verlor. Welche Papiere? Schon hält sie der Graf in der Hand. Die Gräfin erkennt sie – das Patent des Pagen. Wie kommt Figaro in den Besitz desselben? Wieder helfen die Frauen, die vorhin entdeckt haben, daß beim Ausfertigen des Schriftstücks das Siegel vergessen worden. Der Graf wird immer ärgerlicher, daß ihm die Fäden wieder aus der Sand gleiten, da kommt Hilfe: Marzelline naht in Begleitung Dr. Bartolos und Basilios, um ihre Ansprüche auf Figaros Hand geltend zu machen. Jetzt hat der Graf die erwünschte Handhabe zum Aufschub der Hochzeit: das Gericht soll erst den Fall untersuchen.

Dieses große Finale, das die bunten, sich jagenden Geschehnisse von dem Auftritt des gräflichen Paares vor der verschlossenen Türe bis zum Schluß zu einem musikalischen Ganzen zusammenzwingt, gehört zu den genialsten formalen Leistungen, die je einer Kunst gelungen sind. Das allmähliche Anwachsen von zwei (Graf und Gräfin) über drei (Susanne), vier (Figaro), fünf (Antonio) zu sechs, sieben, acht Stimmen (Marzelline, Bartolo, Basilio), das stete Gegenspiel der immer wechselnden Stimmengruppen bis zum gewaltigen Zusammenprall aller im Schlusse, wo zwischen den Gegnern (Susanne-Figaro-Gräfin einerseits – Marzelline-Bartolo-Basilio andrerseits) der Graf triumphierend mit seinem »Nur Ruhe!« hin- und wiedergeht, ist schon rein musikalisch schier unvergleichlich, gewinnt aber eine ganz einzigartige Stellung dadurch, daß alles Musikalisch-Formale zum ganz natürlichen Ausdruck des Dramatischen wird.

Der dritte Akt spielt im Prunksaal des Schlosses, das bereits zum Hochzeitsfest geschmückt ist. Unruhig geht der Graf auf und ab. Was er gesehen und gehört, quält ihn; freilich ernstlich an der Gräfin Treue zu zweifeln vermag er nicht. Inzwischen hat die Gräfin beschlossen, selber die Fäden der Intrige in die Hand zu nehmen und Figaro außer Spiel zu lassen. Susanne soll dem Grafen ein Stelldichein für den Abend versprechen; sie selbst will ihn dann in Susannens Kleidern empfangen, beschämen und – sich neu gewinnen. So naht jetzt Susanne dem Grafen. Ihr Blick verheißt ihm die endliche Erfüllung seiner Wünsche. Da bricht seine tiefe Sehnsucht nach dem lieben Mädchen leidenschaftlich hervor. Es ist ein feiner Zug bei Mozart, daß der Graf hier wirklich liebt und nicht bloß als »Herr« begehrt. Meisterhaft eint sich seinem schwellenden, stark ausladenden Gesange: »So atm' ich denn in vollen Zügen der Liebe süßes Glück« das verlegen daneben hertrippelnde Motiv Susannens: »Wie schwer wird mir's, zu lügen, doch will es mein Geschick.« Aber ein Hauch genügt, des Grafen Mißtrauen aufs neue zu wecken. Als Susanne ihn verläßt, flüstert sie dem vorbeigehenden Figaro zu: »Dein Prozeß ist schon gewonnen.« Der Graf hört die Worte und erfaßt ihren Sinn richtig zu seinen Ungunsten. So war also das ein Fallstrick?! Wild wallt sein Zorn empor. Gekränkter Stolz, verletzte Liebe – Rache will er nehmen an diesem Knechtsvolk, das vor seinen Augen ein Glück genießen will, das er, der Herr, entbehrt. Seine groß angelegte Arie ist in der Mischung von Qual und Rachelust das Urbild der zahlreichen »Rache«-Arien unserer Oper (Pizzarro, Kaspar, Lysiart). Alle Mittel wird er jetzt anwenden, den Bund der beiden zu zerstören. Als er davoneilen will, nahen die »Verbündeten«: Marzelline, Bartolo und der Richter Curzio mit dem »Angeklagten« Figaro. Der Richter verkündet den Urteilsspruch: Figaro muß Marzellinen entweder seine Schuld bezahlen oder sie heiraten. Als der Graf das Urteil bestätigt, erklärt Figaro gelassen: Ohne die Einwilligung seiner adligen Eltern werde er nicht heiraten. Den Erstaunten erzählt er eine Geschichte von seiner merkwürdigen Auffindung in der Nähe des Schlosses. Als er dabei ein Muttermal am Arm erwähnt, verlangt es Marzelline zu sehen und erkennt in Figaro – ihren und Bartolos Sohn. In den Armen liegen sich alle drei, verärgert stehen Graf und Richter dabei. Verärgert ist zuerst auch Susanne, die das Lösegeld für Figaro aufgetrieben hat und ihn zu ihrem Entsetzen in den Armen Marzellinens erblickt. Aber: »sieh her! meine Mutter, sie sagt es ja selbst.« Nun wollen gleichzeitig mit den Jungen die Alten ihre verspätete Hochzeit feiern.

Als alle den Saal verlassen haben, betritt ihn die Gräfin. Sie ist in Unruhe, wie der Graf Susannens Antrag aufgenommen. Schwer leidet sie unter der niedrigen Rolle, die zu spielen sie gezwungen ist durch des Gatten Schuld. »Nur zu flüchtig bist du verschwunden, freudenvolle, sel'ge Zeit.« Das heiße Flehen um Rückkehr seiner Liebe wird beschwingt durch die Hoffnung, die sie noch nicht aufgegeben hat. Diesem wunderbar elegischen Gesange reiht sich nach Susannens Eintreffen jenes Briefduett an, das im Wechselspiel der von Susanne der diktierenden Gräfin nachgesprochenen Worte den ganzen Duft der mondbeglänzten Zaubernacht zarter Liebe ausströmt. Eine Nadel verschließt den Brief; der Graf soll sie als Zeichen des Einverständnisses zurücksenden.

Inzwischen beginnt Figaros Hochzeitsfeier. Bauernmädchen nahen und überbringen der Gräfin Blumen. Eines der Mädchen wird vom Gärtner Antonio als Page Cherubin entlarvt. Des Grafen Vorwürfe verstummen schnell, als die Gärtnertochter in aller »Harmlosigkeit« ihn an die Versprechungen erinnert, die er ihr bei seinen häufigen Besuchen gemacht hat. Nun naht der Hochzeitszug. Während das Gefolge singt und tanzt, heftet der Graf Susanne den Brautschleier ins Haar. Sie steckt ihm das Briefchen zu. Er sticht sich an der Nadel, liest dann von ihrer Bedeutung, hebt die hinabgefallene wieder auf und wird freudig gestimmt durch Susannens Entgegenkommen. Figaro hat alles beobachtet, weiß aber nicht, wen diese neue Liebesgeschichte angehen mag. Beim Beginn des lustigen Festes fällt der Vorhang.

Die Nacht senkt sich auf den Schloßpark, in dem der letzte Akt spielt. Mit einer Laterne sucht Barbarina emsig die Nadel, die sie im Auftrage des Grafen an Susanne zurückbringen sollte. Ihr lautes Jammern – die Melodie malt mit übertreibender Komik das kindische Schluchzen – ruft Figaro herbei, dem sie alles ausplaudert. Nun schlägt auch in Figaros Herz die Flamme der Eifersucht auf. – Die Lösung, zu der das Ganze drängt, wird durch zwei »Pflichtarien« Marzellinens und Basilios hingehalten, die lediglich der früheren Sitte, daß jeder Solist wenigstens eine Soloarie haben mußte, ihr Dasein verdanken und heute besser wegfallen, obwohl Basilios Arie von der Eselshaut mit ihren ausgezeichnet charakterisierenden Tonmalereien im Munde eines guten Tenorbuffos starke Wirkung übt. Aber es ist von viel geschlossenerer Wirkung, wenn Figaros große Arie unmittelbar an seine Begegnung mit Barbarina anschließt. Figaro eifersüchtig, wütend und kummervoll – ein innerer Widerspruch, für uns um so komischer, als alles ja grundlos ist; so tat Mozart recht, wenn er nun das Ganze noch besonders hebt und durch kleine Züge (z. B. die Hornstellen bei »das Weitre verschweig' ich«) würzt. Figaro hat gerade noch Zeit, sich hinter den Taxushecken zu verstecken, als die Gräfin und Susanne, die die Kleider vertauscht haben, nahen. Die Gräfin zieht sich zurück, Susanne ist allein. Die folgende Szene hat dramatisch überempfindlichen Leuten viel Kopfzerbrechen gemacht. Nach dem Buch verrät Marzelline Susannen, daß Figaro ihr eifersüchtig auflauere. Susanne beschließt, den Gatten für den Mangel an Vertrauen zu strafen und singt nun eine von hingebendem Liebessehnen erfüllte Arie, die zu den beseligendsten Melodien dieses überreichen Werkes gehört. Hier erhebt sich nun der Zwiespalt. Singt Susanne diese Arie, so daß sie Figaro hören soll, so spielt sie in diesem Augenblick die Liebende; dann wäre das Ganze eine Parodie. Den Gedanken läßt die Arie nicht zu. – Ich fände es am einfachsten, man ließe die Bemerkung der Marzelline weg. Susanne ist so klug, daß sie nachher ohnehin schnell genug merkt, wie es um ihren Figaro bestellt war. Andererseits kann ihre Drohung, den Mißtrauischen zu strafen, für später gemeint sein; jedenfalls darf dieser herrliche Liebesgesang, bei dem – ein sehr feiner Zug – das Hauptthema an das Briefduett erinnert, auch nicht in einer Note parodistisch klingen.

Jetzt beginnt im Dämmern, in dem noch gerade die Umrisse der Personen zu erkennen sind, das Treiben. Die Gräfin in Susannens Kleidern ist vorgetreten. Der Page kommt zum Stelldichein mit Barbarina; da gewahrt er Susanne (die Gräfin); schnell ist er an ihrer Seite: »Warum willst du mir verwehren, was dem Grafen du gewährst?« Zornig springen der Graf und Figaro aus ihrem Versteck empor: der Graf erhält des Pagen, Susannen (Gräfin) zugedachten, Kuß; Figaro zum Ergötzen seiner hinten lauschenden Susanne die zur Antwort erteilte Ohrfeige. Nun ist der Graf mit der vermeintlichen Susanne allein. Glühend ist sein Werben, der wenig Widerstrebenden steckt er einen Ring an den Finger. Eben will er sie ins Gebüsch ziehen, da tritt ihm Figaro wie zufällig in den Weg; rasch entwischt sie in einen zur linken liegenden Pavillon, während der Graf im Dunkel verschwindet. Zu Figaro tritt nun die vermeintliche Gräfin. Wütend tut er ihr den Treubruch des Grafen kund, aber sie spielt ihre Entrüstung so schlecht, daß Figaro sein Susannchen erkennt. Nun wacht sein ganzer Übermut auf. Glühend huldigt er der »Gräfin«, bis Susanne recht handgreiflich diesem Spiel ein Ende macht. Sie nehmen es aber gleich wieder verdoppelt auf, als sie merken, daß der Graf kommt. Sobald dieser seine Gattin bei Figaro sieht, schlägt er wütend Lärm. Susanne entwischt in den Pavillon rechts, Figaro läßt sich fangen. Von allen Seiten eilen die Leute mit Fackeln herbei. Der Graf will vor ihnen allen enthüllen, wie ihn Figaro und die Gräfin betrügen. Er zerrt aus dem Pavillon zu allgemeinem Erstaunen heraus: Marzelline, Barbarina, den Pagen, endlich die vermeintliche Gräfin. Kniefällig bittet sie mit Figaro um Verzeihung. Wütend versagt sie der Graf. Da klingt's von der andern Seite: »Werd' ich vielleicht für sie Verzeihung erlangen?« Es ist in Susannens Kleidern die Gräfin. Da sinkt der Graf vor ihr aufs Knie: »O Engel, verzeih mir.« Seine Reue klingt so echt, daß nicht nur die Gräfin gern vergibt, sondern auch alle andern in der frohen Zuversicht zusammenstimmen, daß nun ungestörtes Liebesglück für alle blühen werde.

So endet dieses Spiel, in dem sich französische Grazie, italienische Schönheit und deutsches Empfinden zur unvergleichlichen Einheit zusammengeschlossen.


Dadurch, daß es seinen Neidern gelungen war, Mozart um die Früchte des ersten stürmischen Erfolges des »Figaro« in Wien zu bringen, verschlechterte sich nicht nur seine künstlerische Laune; man darf auch gerade in diese Zeit den Anfang zur Katastrophe seiner Hauswirtschaft setzen. Mit Stundengeben und der Anfertigung von allerlei Gelegenheitskompositionen mußte er sich wieder durchschlagen, so daß es leicht begreiflich ist, daß er im Herbst 1786 ernstlich daran dachte, nach England zu gehen. Wie dieser Plan am Widerspruch seines Vaters scheiterte, wurde bereits erzählt. Ein Lichtblick kam in die durch diese Erfahrung sicher noch verdüsterte Stimmung durch eine Einladung nach Prag. Hier war der »Figaro« gleich nach der Wiener Aufführung auf die Bühne gebracht worden und hatte dem dortigen Theaterleiter die Rettung aus seiner schlimmen Lage gebracht. Bei dem außerordentlichen und stetigen Erfolge, den das Werk in Prag erhielt, war es dem Mozart bereits von Salzburg aus bekannten Künstlerpaare Duschek ein Leichtes, einige vornehme Musikfreunde zu veranlassen, das Mozartische Ehepaar nach Prag zu bitten. Im Januar 1787 kamen beide nach Böhmens Hauptstadt, wo ihnen Graf J. J. Thun sein Haus zur Verfügung gestellt hatte. Es folgten einige köstliche Wochen, in denen ganz Prag wetteiferte, dem jungen Meister alle Verehrung zu erweisen, die Mozart durch zwei Konzerte womöglich noch steigerte. »Nie sah man noch das Theater so voll Menschen, nie ein stärkeres einstimmiges Entzücken, als sein göttliches Spiel erweckte. Wir wußten in der Tat nicht, was wir mehr bewundern sollten, ob die außerordentliche Komposition oder das außerordentliche Spiel, beides zusammen bewirkte einen Totaleindruck auf unsere Seelen, welcher einer süßen Bezauberung glich.« (Nimetschek.)

Man kann sich denken, wie Mozarts freudige Natur unter diesen schönen Verhältnissen auflebte. Als er in einer solchen gehobenen Stunde äußerte: für ein Publikum, das ihn so gut verstehe wie die Prager, würde er mit Freuden eine Oper schreiben, nahm ihn der Theaterdirektor glücklicherweise beim Wort und verpflichtete ihn, für den Herbst des Jahres gegen das übliche Honorar von hundert Dukaten eine Oper zu komponieren. Es wurde der

Don Giovanni.

Wir haben über die Entstehung des Werkes keine Berichte von Mozart selbst, und die vielen Legenden, die daran geknüpft find, bieten keinen Ersatz. Im allgemeinen waren auch Frühjahr und Sommer 1787 keine erfreuliche Zeit für ihn. Seine Stellung in Wien erfuhr keinerlei Besserung, und so erwähnt auch das thematische Verzeichnis, das er über seine Werke sorgfältig führte, fast nur Arbeiten, die durch gesellige Veranlassung oder den Unterricht hervorgerufen worden sind. Allerdings sind auch die beiden Streichquintette in diesem Sommer entstanden, darunter jenes düstere in G-moll. Zumeist aber wird er sich mit dem Gedanken an seinen »Don Juan« getragen haben. Niedergeschrieben wird aber nicht allzu viel davon gewesen sein, als er im September 1787 mit seiner Frau wieder nach Prag ging. Dort, im Hause »Bei drei Löwen«, wo man ihn einquartiert hatte, zumeist aber im Weingarten seines Freundes Duschek, hat er dann, angeregt durch den heiteren Verkehr lieber Freunde, angetrieben auch durch die Arbeit mit den Sängern, sein wunderbares Werk so rasch zu Ende geführt, daß am 29. Oktober 1787 die Aufführung stattfinden konnte. Es war ein glänzender Erfolg. Obwohl die Bühne nicht über erste Kräfte verfügte, hatte doch die begeisternde Anwesenheit des Schöpfers alle Mitwirkenden zu jenem völligen Aufgehen im Werke gebracht, das fast immer einen großen Gesamteindruck gewährleistet. Noch verbrachte er in Prag, wo ihm bei jeder Gelegenheit alle Welt die unzweideutigste Hochachtung bezeugte, herrliche Wochen, bevor er Mitte November nach Wien zurückkehrte. Hier aber dauerte es noch ein halbes Jahr, bis » Don Giovanni« aufgeführt wurde, und dann gefiel er nicht. Der Kaiser soll geäußert haben: »Die Oper ist göttlich, vielleicht noch schöner als Figaro, aber das ist keine Speise für die Zähne meiner Wiener.« Mozart ließ ihnen »Zeit, zu kauen«, und so befreundeten sie sich denn auch in steigendem Maße mit der allerdings ganz ungewohnten Kost. Rascher als die andern Werke hat dann der »Don Juan«, wie er meistens in den deutschen Ausgaben genannt wurde, seinen Weg über die Bühnen gemacht. Es wäre müßig, die Stimmen der zeitgenössischen Kritik hier zusammenzustellen. Sie bestätigen, daß das Werk vor allen Dingen den Eindruck der Größe und Gewalt hervorrief. Das Gefühl, daß hier etwas bis dahin noch nicht Dagewesenes geboten wurde, war allgemein, und die Kritik folgerte daraus, daß das Werk wohl niemals volkstümlich werden könnte. Darin hat sie sich freilich getäuscht. Das Volk erwies sich auch in diesem Falle, wie fast bei aller großen Kunst, verhältnismäßig leicht zugänglich. Bald gab es in Deutschland keine Bühne mehr, auf der »Don Juan« nicht dauernd eingebürgert worden wäre, und kaum ein anderes Werk wird es an den verschiedensten Orten im Laufe der Zeit zu einer so großen Aufführungszahl gebracht haben. 1805 kam » Don Giovanni« dann auch auf die Pariser Bühne. 1807 ist er in Dänemark, 1813 in Schweden, dann in Rußland, 1817 in England, 1825 in Amerika aufgeführt worden. Überall, so mannigfache Veränderungen, die immer Schädigungen bedeutet haben, sie sich dabei hat gefallen lassen müssen, hat die Oper jenen schönsten Sieg erfochten, der dauernd wächst; nur nicht in Italien. Hier hat man noch 1857 »die veraltete hyperboreische Musik« ausgepfiffen. Und wenn auch seither die Zahl der einzelnen zugenommen hat, die gleich Rossini gerade aus diesem Werke Mozarts überlegene Stellung erkannten, so hat sich doch in der allgemeinen Kühle des italienischen Volkes diesem Werke gegenüber nichts geändert. Das bestätigt nur, was wir beim »Figaro« ausführten, daß gerade die Italiener bei der Gleichheit der äußeren Form und der Sprache die unüberbrückbare innere Verschiedenheit stark empfanden.

»Dieses Stück steht ganz isoliert«, schrieb Goethe über den »Don Juan« an Schiller, als dieser ihm seine großen Hoffnungen ausgesprochen hatte, die er vom Einfluß der Oper für das Drama großen Stils hegte. Das Urteil besteht auch heute nach Richard Wagners Drama noch zu Recht. So sehr durch Richard Wagner die geistige und seelische Bedeutung des Musikdramas dahin gesteigert worden ist, daß wir es als Dichtung gewaltiger Stoffe und nicht bloß als ein In-Musik-Bringen von bereits Gedichtetem betrachten, so ist doch Mozarts »Don Juan« die einzige Oper geblieben, in der ein Problem der Weltliteratur die vollendetste Gestaltung erfahren hat.

Ein Problem der Menschheit also, das ist der »Don Juan«. Unser vor allem im ersten Erfassen tiefsinniger Probleme genialer Dietrich Grabbe hat das dramatische Gedicht »Don Juan und Faust« geschaffen und darin die Gestalten der beiden entgegengesetzten Menschen zusammengebracht: Faust die Verkörperung der geistigen Kraft, »Don Juan« die Verkörperung der sinnlichen Triebe. Beide sind, so wie wir sie heute empfinden, Erzeugnisse der Renaissance, wenn wir Nietzsches Wort übernehmen wollen, die vornehmsten Vertreter des Herrenmenschentums. Beide sind nur möglich, wenn der Mensch in seinem Dasein die Berechtigung erblickt, sich seinem Wesen gemäß ausleben zu dürfen, ohne Achtung aller jener Schranken, die die Menschheit aus sozialen, ethischen und religiösen Gründen für ihr Leben errichtet hat. Die Wurzeln beider Sagenstoffe senken sich bezeichnenderweise in eine Zeit, die von der Berechtigung dieses freien Menschentums nichts wissen wollte. Wahrscheinlich entstammen sie sogar beide der Klosterzelle. Von Mönchen, die der Welt entsagt hatten, wurden die Keime dieser Sage zur ersten Entfaltung gebracht, freilich nicht um die daraus erblühten Blumen in Schönheit zu hegen, sondern sie als Giftgewächs zu kennzeichnen und zu vernichten. Im Norden wurde der Träger des Forschergedankens zum Chiromanten und Schwarzkünstler Faust, der vom Teufel geholt wird, dem er sich in seinem verbrecherischen Wissensdurst verbündet hatte. Auch der im genußfrohen, alle Fruchtbarkeit und Saftigkeit der Erde entwickelnden Süden erstandene Sinnenmensch Don Juan wird vom Höllenrachen verschlungen, um dort ewig seine Lüste zu büßen. Da Fausts »Sünde« im Geistigen liegt, konnte für ihn auch in der Welt des Geistigen eine »Erlösung« gefunden werden. Weil es das Geistige war, was er suchte, weil er nur aus Sehnsucht nach dieser Geistigkeit fehlte, vermag ihn das Geistige zu sich aufzunehmen, nachdem die körperliche Hülle, durch die er in den Kreis der menschlichen Gesellschaft gebannt war, im Tode von ihm gefallen ist. So konnte Goethes Faust selig werden. Für Don Juan könnte in diesem Sinne eine Erlösung nur aus der Weltanschauung des Materialismus heraus gefunden werden. Ist er Verkörperung der höchsten Kraft der sinnlichen Natur: der Kraft zu zeugen; läßt er schrankenlos diese Kraft sich austoben gleich einer unwiderstehlichen Naturgewalt, so kann es in jener Weltanschauung keinen Untergang für ihn geben, die ein Seelisches nicht annimmt; der Tod bedeutet dann die Erlösung dieses Wesens, dessen Körper sich wieder auflöst in die Natur, eins wird mit jenem Elemente, das so gewaltig in ihm schaltete, daß er dort unmöglich wurde, wo Elementarkräfte unmöglich sind: in der menschlichen Gesellschaft.

Diese dichterische Lösung des Don Juan-Problems ist, soweit ich sehe, noch nicht versucht. Vielmehr bildet überall den Kern das Zerschellen dieser rein von irdischen Trieben genährten Gestalt an der Welt des Geistigen und Seelischen. Gibt es so keine Erlösung Don Juans, muß er zugrunde gehen, so braucht er aber doch nicht eigentlich besiegt zu werden. Auch diese Kraft ist ewig, so lange dauernd wenigstens, wie die Erde selber. Mozarts »Don Juan« versinkt in der Hölle, gewiß, aber er ist nicht besiegt. Sich selbst hat er nicht verleugnet. Er wird von Kräften vernichtet, die er nicht anerkennen kann, weil sie für ihn nicht da sind. In diesem Sinne wirkt es dann fast als Symbol, daß er dem Arm der irdischen Gerechtigkeit entgeht, obwohl er für sein Gewissen nur nach der Richtung hin gefehlt hat. Das Göttliche muß eingreifen, um diese Urkraft zu zerstören.

Zwischen jener Stunde, in der dem Jüngling Goethe die Idee eines Faust blitzgleich aufging, und der Vollendung des Werkes liegt eine Zeit, die fast doppelt so lang ist wie Mozarts ganzes Leben. Einige Wochen, höchstens einige Monate liegen bei Mozart zwischen dem ersten Bekanntwerden mit dem Don Juan-Stoffe und der Vollendung seines Meisterwerkes. Wir dürften uns darum nicht wundern, wenn in Mozarts Schöpfung der geistige Grundgedanke nicht so scharf zum Ausdruck gebracht ist wie in Goethes Faust, auch wenn er selber imstande oder willens gewesen wäre, sich die Dichtung zu seiner Oper selber zu schreiben. Aber ein ähnliches blitzgleiches Erfassen der Weltentiefe des bis dahin nur als interessante Episode behandelten Stoffes muß auch bei Mozart vorhanden gewesen sein. In der Dichtung ist kaum ein Zug, der uns an dieser großen Auffassung hindert, in der Musik nicht eine Note. Selbst nicht jener jetzt glücklicherweise meistens weggelassene Schluß, wo nach Don Juans Untergang jene Menschen, die den Lebenden bekämpften, noch auftreten. Denn sie können ihr Werk ja nicht vollbringen, sie haben gar nichts mehr zu tun, als nach ihrer Art glücklich zu werden, weil jene Kraft, die sie bislang daran verhinderte, ausgeschaltet ist. Zur Sache aber trägt dieses gar nichts bei. Sie sind ja nur zufällig die Opfer der Elementarmacht »Don Juan« geworden; waren sie es nicht, waren es andere. Es ist hier kein Gegenwert, keine Gegenkraft vorhanden. Man könnte sie wohl finden. Es haben andere Dichter den Gedanken benutzt – so auch E. T. A. Hoffmann in seiner genialen Phantasie über Mozarts Werk –, daß Don Juan Donna Anna liebt, und daß er in diesem Falle, wo er einmal wirklich liebt und nicht bloß sich selbstsüchtig auslebt, nicht zum Ziele gelangen kann. Hier offenbart sich eine Don Juan-Tragödie. An ihr ist Mozart vorbeigegangen. Mit jener unvergleichlichen Sicherheit seines genialen Instinktes hat er alles beiseite gelassen – wir sagen vielleicht besser, nichts von alledem aufgenommen – was irgendwie die einfache, klare Elementaranlage und ihr entsprechende gerade Entwicklung Don Juans verwickeln könnte. Eine Bereicherung der Don Juan Geschehnisse ist möglich; eine reinere Gestaltung des Begriffes Don Juan ist nicht denkbar, als Mozart gegeben hat. Wie die deutsche Faustsage an den Buchdrucker Fust, so hing sich die spanische Don Juan-Sage an den geschichtlichen Don Juan Tenorio, den Genossen des Königs Pedro des Grausamen von Castilien (1350–1369). Durch seinen wilden Lebenswandel war er zum Schrecken von Sevilla geworden. Endlich verführte er die Tochter des Gouverneurs der Stadt und stach den ihr zu Hilfe eilenden Vater nieder. Er hatte der Schandtat aber die Spitze gegeben, indem er das dem Ermordeten errichtete Denkmal verhöhnte und das Standbild zu Gaste lud. Da sei das Wunder geschehen, daß der steinerne Gast der Einladung Folge geleistet und Don Juan zur Hölle geschleudert habe. Andere wollten wissen, diese Sage sei nur von den Franziskanermönchen jenes Klosters ausgestreut worden, in dessen Kirche die Statue des ermordeten Gouverneurs aufgestellt worden war. Hierher habe man Don Juan, dem man wegen seiner Stellung bei Hofe mit den gewöhnlichen Rechtsmitteln nicht beikommen konnte, unter dem Vorwand eines verliebten Stelldicheins gelockt und ermordet.

In Sevilla, das er 1625 besuchte, soll der Madrider Ordensbruder Gabriel Tellez am Grabe des Komturs den Gedanken erhalten haben, die Don Juan-Sage dramatisch zu bearbeiten. » El Burlador de Sevilla y Convidado de Piedra«, zuerst gedruckt 1634, ist an sich keines der besten Werke des ungemein fruchtbaren Tirso de Molina, unter welchem Namen der Ordensmann in der Geschichte des spanischen Theaters an hervorragender Stelle glänzt. Seine Fehler loser Komposition und mangelhafter Durchführung der einmal aufgestellten Probleme treten schroff zutage; die glänzenden Vorzüge seines scharfen Geistes, der hinreißenden Kraft seiner Rede leuchten dagegen nicht so überzeugend wie in anderen seiner ja nur in beschränkter Zahl erhaltenen Schöpfungen. Aber an Wirkung für die Weltliteratur kann sich kein anderes Werk der so bewundernswert reichen spanischen Dramatik mit diesem messen. Muß auch nach dem Urteil des spanischen Kritikers Ramon Romanos die »strenge Moral« schweres Ärgernis an den Frauen bei Tirso de Molina nehmen, die als Muster von Schamlosigkeit und Ungebundenheit sich gebaren, und ist es auch nicht zu leugnen, daß »seine Gemälde ohne Frage die frechsten sind, die die spanische Szene geduldet«, so hat der Ordensbruder doch die Don Juan-Sage »moralisch« behandelt. Darum nennt er auch sein Werk eine Komödie, denn der Übeltäter wird ja ganz schauderhaft bestraft zur Genugtuung für alle frommen Seelen. Nicht umsonst heißt übrigens der Titel hier »Burlador«, d. i. Spötter, Verhöhner des Heiligen. Darin, daß Don Juans Lebensübermut nicht einmal vor den Toten haltmacht, daß er jene fromme Scheu verletzt, die alle Völker der Kulturgeschichte vor den Hingeschiedenen hegen, gipfelt ja auch in der Tat sein Treiben. Erst recht für den spanischen Komödienschreiber des 17. Jahrhunderts, der für das ärgste Wüstlingstreiben die Lossprechung wieder bei der Hand hat, sofern nur die erheischte Genugtuung geleistet wird. Im übrigen übt Tirso meisterhaft den Kunstgriff, den Schiller in seinem Xenion verhöhnt:

»Wollt ihr zugleich den Kindern der Welt und den Frommen gefallen?
Malet die Wollust, – nur malet den Teufel dazu!«

So werden Don Juans Liebesabenteuer in breiter Ausführlichkeit mit glühenden Farben dargestellt, und all das Ärgernis und die Verführung, die doch wohl nach geistlicher Meinung davon ausgehen müßten, durch den um so strengeren Vollzug des Strafgerichts wieder wettgemacht.

Da Tirsos Stück die Grundlage für alle späteren Arbeiten gibt, sei der Inhalt kurz erzählt. Der Schauplatz wechselt mehrfach. Die erste Szene führt uns nach Neapel. Die Herzogin Isabella hat ihrem Bräutigam, Herzog Ottavio, in einem dunklen Zimmer des königlichen Palastes eine Schäferstunde gewährt. Beim Abschied merkt sie, daß sich an seiner Statt ein anderer Mann bei ihr eingeschlichen hatte. Auf ihre Hilferufe kommt der König und läßt den Maskierten durch den herbeigeeilten spanischen Gesandten verhaften. Diesem gibt sich der Eindringling als sein Neffe Don Juan zu erkennen. Der Oheim läßt den Übeltäter entfliehen und bezeichnet dem König gegenüber den Herzog Ottavio als den mutmaßlichen Verführer Isabellens. Nun soll der spanische Gesandte den Ottavio verhaften, teilt diesem aber mit, daß bei Isabella ein Mann sich eingeschlichen habe, der sich für ihn ausgab, und beredet dadurch Ottavio, der sich für verraten hält, zur schleunigen Flucht.

Die nächste Szene spielt an der Meeresküste von Tarragona. Das Fahrzeug, das Ton Juan und seinen Diener trug, ist zerschellt. Sie retten sich schwimmend ans Ufer; den ohnmächtigen Don Juan nimmt die bislang ebenso spröde als schöne Fischerin Tisbea bei sich auf. Auch sie vermag den Liebeswerbungen des zu neuem Leben Erwachten nicht zu widerstehen, auch sie sieht sich bereits am nächsten Morgen betrogen und verlassen. Auf den von ihr entliehenen Pferden ist Don Juan mit seinem Gesellen davongejagt. Hier ist bereits vor ihm Don Ottavio angekommen und hat dem König Bericht über seinen ungeratenen Landessohn erstattet. Der König ordnet die Zwangsehe Don Juans mit der Herzogin Isabella an, während er Don Ottavio zum Gatten Donna Annas, der Tochter des Gouverneurs bestimmt. Doch hat diese Donna Anna bereits ein Liebesverhältnis mit ihrem Vetter Marques de la Mota, einem Freunde Don Juans, dem er in wüsten Liebeshändeln nicht unebenbürtig ist. So schwärmt er ihm jetzt auch gleich von seiner schönen Base vor und reizt dadurch Don Juans Abenteuergelüste. Es ist ihm ein Leichtes, von Donna Annas Zofe ein für de la Mota bestimmtes Briefchen zu erwischen, in dem dieser von seiner Geliebten zur Nacht bestellt wird. Ein roter Mantel soll das Erkennungszeichen sein. Nun leiht sich Don Juan von de la Mota den roten Mantel aus und schleicht sich selbst ins Haus des Gouverneurs. Als Donna Anna der Täuschung innewird, ruft sie um Hilfe. Ihr Vater vertritt mit gezücktem Degen Don Juan den Weg und fällt von seiner Hand. Auf seiner Flucht hat Ton Juan Zeit, seinem Freunde Mota den roten Mantel wieder zuzuwerfen, so daß dieser für den Mörder gehalten, ins Gefängnis geschleppt und zum Tode verurteilt wird. Inzwischen ist Don Juan mit seinem Diener aufs Land geflohen, wo er sich in die Hochzeit des Bauern Patrizio mit der schönen Aminta eindrängt. Rasch gewinnt er des Mädchens Herz, indem er ihr ein förmliches Eheversprechen gibt mit dem Schwur: »Wird mein Wort je im geringsten falsch befunden, so mag mich eine Leichenhand vernichten.« So fällt ihm auch dieses Weib zum Opfer. Als Don Juan wieder nach Sevilla zurückkehrt, erfährt er, daß die beiden verlassenen Geliebten, die Herzogin Isabella aus Neapel und die schöne Fischerin Tisbea, sich eingefunden haben, um seine Bestrafung zu fordern. Das macht ihm wenig Sorge, und als er auf dem inzwischen dem Komtur errichteten Denkmal die Inschrift liest: »Für erlittenen Schimpf und Spott harrt ein Edler hier auf Rache: den Verräter strafe Gott«, verleitet ihn der Übermut, die Statue am Barte zu zupfen und zu sich zum Abendessen einzuladen, damit sie dort Rache nehme. Schon bei der nächsten Mahlzeit, die Don Juan in seinem Hause einnimmt, erscheint der steinerne Gast. Schweigend sitzt er in der Runde, während die anderen um ihn herum durch verdoppelte Ausgelassenheit ihr inneres Grauen zu betäuben suchen. Als der Komtur mit Don Juan allein ist, ladet er diesen zu sich in seine Grabkapelle zum Abendessen, was Don Juan, wenn auch schaudernd, auf Ritterwort verspricht. Wieder wandelt sich die Szene. Wir sind im Palast des Königs und sehen, wie dieser das Unheil gutzumachen sucht, das Don Juan angerichtet hat. Don Juan soll – man bedenke immer, daß niemand ihn als den Mörder des Gouverneurs ansieht – um der Verdienste seines Vaters willen eine Standeserhöhung erfahren und der Herzogin Isabella sich vermählen. Der Marques de la Mota wird begnadigt und soll Donna Anna die Hand reichen. Dem Don Ottavio wird sein beabsichtigtes Duell mit Don Juan untersagt, doch wirft er sich nun als Beschützer auf für Tisbea und die eben eintreffende Aminta, die auch ihre Rechte auf Don Juan geltend zu machen sucht. Don Juan ist diese Lösung zufrieden; bevor er aber Isabella seine Hand reicht, muß er das der Statue gegebene Wort einlösen. Er tritt also in die Kirche ein, wo der Komtur ihn und den Diener, der ja immer dabei war, zum Essen nötigt. Skorpione und Schlangen sind die Gerichte, essigsaure Galle der Wein, Trauergesänge erschallen als Tafelmusik. Nach der Mahlzeit erfüllt sich das Strafgericht, das Don Juan selbst auf sich herabgerufen hat: eine Totenhand wird ihn bestrafen, umsonst verlangt Don Juan wenigstens nach einem Beichtiger; dieses Verlangen kommt zu spät. Unter der Steinhand bricht Don Juan tot zusammen und versinkt mit der Statue. – Noch einmal werden wir in den Königspalast versetzt, wo nun die gehäuften Greuel Don Juans erst recht klar werden, so daß der König trotz allem beschließt, gegen ihn die weltliche Gerechtigkeit walten zu lassen. Da kommt Don Juans Diener hereingestürzt und berichtet seines Herrn schreckliches Ende. Den Beschluß macht die Regelung der von Don Juan so schmählich gestörten Verhältnisse: Ottavio reicht Isabella die Hand, de la Mota Donna Anna, Patrizio der Aminta und die Tisbea bekommt einen Fischer, der sie seit langem liebte, zum Gatten. So viel vom spanischen Drama. Mit Recht bemerkt J. L. Klein in seiner genialen, wenn auch vollkommen verwilderten »Geschichte des Dramas« (XI, I) an dieser Stelle im Hinblick auf Mozarts Werk: »Wenn das deutsche dramatische Genie nicht in Schiller und Goethe gleich herrlich mit den höchsten dramatischen Spitzen der griechischen, englischen, spanischen, kurz, Allerweltsbühnen gipfeln sollte, so erreicht das deutsche dramatische Genie jene Höhepunkte der dramatischen Kunst in Mozart, wenn er sie nicht überragt.« Denn was ist nicht aus diesem wirren Spiel, bei dem sogar die mächtige Schlußkatastrophe durch die Teilung in zwei Gastmähler abgeschwächt wird, mit all der Häufung von Liederlichkeit, Schwächlichkeit, die dann immer wieder durch herkömmliche Schicklichkeit verdeckt wird, bei Mozart für ein einheitliches, großzügiges, das tiefste Empfinden aufwühlendes Meisterwerk geworden! Der Weg bis dahin war aber noch lang und führte über die Theater aller Kulturländer. Tirsos Drama soll schon um 1620 in Italien aufgeführt worden sein; bald folgten hier eigene Bearbeitungen. Die Italiener wieder verpflanzten das Stück nach Paris, wo vom Jahre 1657 ab verschiedene Bearbeitungen des Stoffes so großen Erfolg errangen, daß schließlich auch Molieré sich zur Aufnahme desselben entschloß. Sein »Don Juan ou le festin de pierre« (1665) versuchte, den Don Juan-Stoff in »die Höhe der Sittenkomödie« zu erheben. Moliere sah in Don Juan den Typus des rücksichtslos selbstsüchtigen Adligen seiner Zeit, dem jegliches Mittel recht ist, wenn er seine Lüste befriedigen kann. Die echte Leidenschaft, auch jene ritterliche Kühnheit, die den Spanier auszeichnet, sind hier verschwunden. Die Waffe von Molières Don Juan ist der scharfe Geist, eine zersetzende Vernünftelei. Mit Spott und Hohn setzt dieser Don Juan sich über die absichtlich gehäuften Gelegenheiten zur Reue und Buße hinweg. Man begreift, daß selbst einem Molière diese ins Wesen eingreifende Umwandlung nicht gelingen konnte. So liegt auch der Wert dieses Werkes gerade in jenen Szenen, die mit dem eigentlichen Don Juan am wenigsten zu tun haben. So, wenn er einen bettelnden Mönch abfertigt. »Was tust du hier?« fragt er ihn. »Ich bete zum Himmel für die Leute, die mir Gutes tun.« »Wenn du den ganzen Tag betest, muß es dir ja ausgezeichnet gehen.« Als der Eremit ihm versichert, daß das nicht der Fall ist, meint Don Juan, da der Himmel sich so wenig erkenntlich zeige, wolle er ihm ein Goldstück geben, falls er einmal fluche. Aber der Fromme erklärt, lieber sterben zu wollen, als so schwer sich zu versündigen. Eine andere Szene zeigt in köstlicher Art, wie Don Juan einen Kaufmann, der eine Forderung bei ihm zu erheben kommt, durch Liebenswürdigkeiten abfertigt, indem er ihn durch allerlei freundschaftliche Erkundigungen so ins Gespräch verwickelt, daß der Ärmste gar nicht seine Forderung aussprechen kann. So mißbraucht Don Juan seinen Geist wie die Feinheit der Erziehung, die ihm geworden. Diese beiden Szenen sind nach Mozarts Tod oft in sein Werk eingeschoben worden und haben sich da lange herumgetrieben, obwohl sie gar nicht hineinpaßten. Auch dem Italiener Goldoni ist der Versuch, 1736 aus Don Juan eine regelmäßige Komödie zu machen, nicht gelungen. Aus seinem Werke ist der eine Zug merkenswert, daß Donna Anna wider ihren Willen Ottavio verlobt worden ist und im Grunde Ton Juan liebt, auch gern bereit wäre, dem Mörder ihres Vaters zu verzeihen. – Auch in England kam Don Juan früh auf die Bühne.

In Deutschland wurde er seit 1716 auf den verschiedensten Theatern heimisch, und bis 1772 wurde z. B. in Wien alljährlich in der Allerseelenoktav »Das steinerne Gastmahl« – diese sprachliche Merkwürdigkeit findet sich sehr viel – improvisiert. Man kann sich vorstellen, daß unter den Händen der Schauspieler bei diesen Improvisationen die Spässe immer zahlreicher und geschmackloser wurden, während der eigentliche Grundgedanke immer mehr zurücktrat. Freilich, jener Kern der ganzen Sage, daß Don Juan in seinem Übermute das Standbild des von ihm ermordeten Gouverneurs zu Gaste läd und an seinem Übermute zugrunde geht, wurde in dieser ganzen Zeit nicht angetastet. Erst nach Mozart haben verschiedene neuere Dichter am Rahmen der Don Juan-Sage selbst etwas geändert. Doch mag man über diese neueren Abwandlungen des Stoffes die vorzügliche Studie von R. Engel »Die Don Juan-Sage auf der Bühne« (1887) vergleichen. Hier haben wir noch nach den unmittelbarsten Vorläufern von Mozarts Meisterwerk zu suchen.

Die frühere, hauptsächlich auf Schack gegründete Annahme, daß des Spaniers Antonio de Zamora (1725) »Steinerner Gast« das Vorbild des da Ponteschen Textes sei, hält einer genauen Untersuchung nicht stand; vielmehr bedeutet dieses in Einzelheiten packende Drama eigentlich noch eine Verwilderung des Ganzen gegenüber dem ursprünglichen Werke Tirso de Molinas. Nein, da Ponte hat es noch viel bequemer gehabt. Zwar brüstet er sich in seinen Erinnerungen, daß er zu gleicher Zeit es übernommen habe, für Salieri den »Tarrar«, für Martin den »Baum der Diana« und für Mozart den »Don Giovanni« zu schreiben und dem ihn darüber zur Rede stellenden Joseph II. kühn geantwortet habe: Er werde morgens für Martin schreiben, als studiere er Petrarca; abends für Salieri, der wäre sein Tasso; in der Nacht aber für Mozart, da werde es ihm sein, als lese er Dantes Hölle. In Wirklichkeit hat er für die Mozartische Dichtung nicht bei Dante sich begeistert, sondern einfach die im Karneval 1787 zu Venedig aufgeführte Oper »Il convitato di pietra«, Text von Gius. Vertati, Musik von Gius. Gazzaniga, studiert. Das war keineswegs die erste Don Juan-Oper. In Paris war bereits 1713 eine auf die Bretter gekommen; 1761 erschien das berühmte Ballett von Gluck in Wien. Auch eine Oper von Vincento Righini war hier bereits 1777 zur Darstellung gekommen.

Pflegt im allgemeinen bei der Umarbeitung von vorhandenen Dichtungen zu Operntexten eine Abschwächung des Dichterischen zu erfolgen, so mußte im vorliegenden Fall die Notwendigkeit, bei der Behandlung für Musik die buntscheckige Mannigfaltigkeit des ursprünglichen Dramas einzuschränken, ziemlich sicher zu einer schärferen Herausarbeitung der Grundlinien führen. Tiefe Vereinfachung des Geschehens schreitet denn auch in den genannten Opern immer weiter vor, und in der Oper Gazzanigas liegt die Handlung in allem Wesentlichen so, wie wir sie von der Mozartischen Oper her kennen. Es ist natürlich jetzt nicht mehr zu entscheiden, ob überhaupt erst durch diese Oper Gazzanigas da Ponte auf den Gedanken gekommen ist, Mozart gerade diesen Gegenstand vorzuschlagen, da er erkannt hatte, »daß Mozarts Genie ein vielseitiges und erhabenes Gedicht verlange«. Jedenfalls ist diese Oper sehr bald nach Wien gekommen und da Ponte und Mozart bekannt geworden. Und kann man in Mozarts Musik nur an wenigen Stellen eine leichte Beeinflussung durch Gazzaniga feststellen, so hat um so sicherer da Ponte das Vorbild ausgiebig benutzt. Wenn wir von den vielfach anderen Namen in den kleineren Rollen absehen, so zeigt der Text der Gazzanigaschen Oper fast ganz das Bild der Mozartischen. Es ist keine Ouvertüre vorhanden, vielmehr sehen wir beim Aufgehen des Vorhanges Don Juans Diener Schildwache halten vor dem Kaufe des Komturs. Da stürzt Don Giovanni mit Donna Anna heraus, die versucht, ihm die Maske abzureißen und ihren Vater zu Hilfe ruft. Es kommt zum Zweikampf, der Komtur fällt. Als Donna Anna mit ihrem Bräutigam Ottavio herbeieilt, ist der Mörder mit seinem Diener entflohen. Donna Anna verkündigt ihrem Bräutigam, daß sie sich ins Kloster zurückziehen werde, bis es ihm gelungen sei, den Mörder zu entdecken und zu bestrafen. Hier liegt nun der schwerste Mangel gegenüber dem da Ponteschen Texte, daß Donna Anna bei Gazzaniga nicht wieder auftritt. Dadurch ist dieser bei Mozart so erhabene Frauencharakter ziemlich bedeutungslos. Das ist um so schlimmer, als Gazzaniga jetzt, um doch noch drei Frauen zu haben, Don Juan ein neues Liebesverhältnis mit einer vornehmen Dame Ximena anknüpfen läßt, in dem er gestört wird durch die von ihm verlassene Elvira, die ihm aus Burgos nachgereist ist. Dasselbe Mittel, mit dem er hier Ximena über die Anklage Elviras dadurch zu beruhigen weiß, daß diese aus Liebe zu ihm verrückt sei, wendet er nachher gleichzeitig bei drei Frauen an, als er noch das Bauernmädchen (bei Mozart Zerline) ihrem Bräutigam abspenstig macht. Es folgt dann die Einladung der Statue, die hier, wie später bei da Ponte, der Diener unter dem Zwang Don Juans aussprechen muß. Im Hause Don Giovannis sitzt er heiter beim Gastmahle, als es klopft und zum Entsetzen der Diener der Komtur erscheint. Don Giovanni verspricht ihm, wiederzukommen, gibt ihm die Hand darauf, weist die Mahnung zur Buße zurück und verfällt den Höllengeistern. Nachdem die Hölle verschwunden und der Saal wieder erschienen ist, kommen Ottavio, Ximena, Elvira und Zerline und vereinigen sich, als sie das Geschehene erfahren, zu einem heiteren Schlußgesang.

Man erkennt die wesentlichen Fortschritte des Textes dieser Gazzaniga-Oper gegenüber dem alten spanischen Drama, vor allem in der Beseitigung der Szene in Neapel und des Idylls mit der Fischerin, so daß wir also hier gleich in die große entscheidende Handlung eingeführt werden. Ein Fortschritt liegt ferner darin, daß die Katastrophe mit einem Gastmahl hereinbricht. Aber so viel da Ponte diesem Vorbilde zu verdanken haben mag, das Verdienst muß man ihm lassen, daß er es doch wesentlich verbessert hat. Vor allem durch die Steigerung der Gestalt Donna Annas. Dadurch, daß sie selber die Verfolgung des Mörders betreibt, wird nicht nur die ziemlich farblose Gestalt der Ximena überflüssig, sondern auch erreicht, daß sie bei einem späteren Zusammentreffen in Don Juan den Mörder ihres Vaters erkennt, so daß nunmehr die verschiedenen Frauen aus verschiedenen Gründen die Verfolgung Don Juans übernehmen.

Im da Ponteschen Buch hat danach die auch hier der Überlieferung der Opera buffa gemäß auf zwei Akte zusammengedrängte Handlung folgenden Grundriß: Die erste Szene gleicht der der Gazzanigaschen Oper. Leporello steht Schildwache, da sein Herr, Don Juan, sich bei Donna Anna, der Tochter des Komturs, an Stelle ihres Verlobten, Ottavio, eingeschlichen hat. Donna Anna hat den Betrug rasch entdeckt, versucht aber umsonst, im Handgemenge mit dem Eindringling ihm die schützende Maske abzureißen. Auf ihr Hilferufen eilt ihr Vater herbei. Während sie selbst im Schlosse neue Hilfe sucht, erzwingt er – und das ist ein wundervoller Zug zur Veredlung Don Juans – den Zweikampf mit Don Juan, der zuerst mit einem so alten Mann nicht fechten will, und fällt. Der Mörder entflieht mit seinem Diener; an des Vaters Leiche schwört Donna Anna, die mit Ottavio herbeieilt, Rache. – Die verwandelte Bühne zeigt den Platz vor Don Juans Landschloß. Eine verschleierte Dame tritt auf. Beweglich klingt ihre Klage, daß sie den Geliebten umsonst sucht. Schon wittert Don Juan ein neues Abenteuer, gern ist er ja zur Tröstung bereit, als er in der Verschleierten Donna Elvira erkennt, die er schnöde verlassen hat. Nun überläßt er die Tröstung seinem Diener Leporello, der sie durch das Register von seines Herrn unglaublichen Liebestaten zu erreichen sucht. In ihrer hingebungsvollen Liebe so schwer betrogen, schwört auch Elvira ihrem Verführer Rache. Sie verfolgt ihn nun auf Schritt und Tritt, und so weiß sie ihn schon bei seinem nächsten Abenteuer, bei dem er Zerline, ein niedliches Bauernmädchen, ihrem Bräutigam Masetto durch sein verführerisches Wesen schon beinahe abspenstig gemacht hat, zu stören. Als sich Don Juan verärgert zurückzieht, begegnet er Ottavio und Anna, die ihn um seine Mithilfe bei der Verfolgung des Mörders des Gouverneurs bitten. Wieder kommt Elvira hinzu und erhebt ihre Beschuldigungen gegen den Treulosen, die dieser dadurch wirkungslos zu machen weiß, daß er das Brautpaar von der Unzurechnungsfähigkeit des Weibes zu überzeugen vermag. Aber plötzlich wird Donna Anna aus einem Tone seiner Stimme die Gewißheit, daß Don Juan jener Verlarvte war, der ihren Vater ermordete. Jetzt erst berichtet sie ihrem Bräutigam ihr Abenteuer in der Mordnacht, und beide vereinigen sich mit Elvira zur gemeinsamen Rache. Inzwischen hat Don Juan seine gute Laune wiedergefunden. Er muß Zerline haben und lädt das Brautpaar mit der ganzen Hochzeitsgesellschaft zu sich aufs Schloß. Drei Maskierte, die bei der Festlichkeit erscheinen, werden nach Landessitte zur Teilnahme gebeten. Auf einmal ertönt aus einem Nebenraume Zerlines Hilferuf. Die Gesellschaft eilt hin – Don Juan schleppt Leporello als Verführer herbei. Aber keiner glaubt ihm, und es wäre um ihn geschehen, wüßte er sich nicht bei dem allgemeinen Getümmel durchzuschlagen. – Es folgt der zweite Akt. Mit der Gefahr hat sich Don Juans Übermut noch gesteigert. Donna Elvira hängt ihm in leidenschaftlicher Liebe noch immer an und ist gern bereit, alle Kränkung zu verzeihen. Er aber findet jetzt viel mehr Gefallen an ihrem Kammermädchen. So tauscht er mit Leporello die Kleider, überläßt es ihm, das Stelldichein mit Elvira durchzuführen, während er sich zum Kammerkätzchen schleicht. Die anderen Gekränkten haben inzwischen ihre Verfolgung nicht aufgegeben. Masetto naht mit dem Haufen seiner Hochzeitsgäste; aber dem als Leporello verkleideten Don Juan ist es natürlich ein leichtes, die Hochzeitsgesellschaft auf eine falsche Fährte zu schicken, worauf er dann den allein zurückgebliebenen Masetto noch gründlich durchprügelt. Dafür geht es Leporello in den Kleidern Don Juans beinahe an den Kragen, als Donna Anna und Ottavio des Weges kommen. Ihr Erstaunen, als sie im Gewande des Verführers den Diener finden, ist nicht so groß wie das Entsetzen Elviras, die noch eben für ihn Fürbitte eingelegt hat, als sie sich aufs neue so schmählich betrogen sieht. So treffen sich Diener und Herr auf dem Kirchhofe. In Juans freche Spöttereien dröhnt die Geisterstimme: »Verwegener, gönne Ruhe den Entschlafenen!« Er aber wiederholt kühn Leporellos zaghafte Einladung und bittet den steinernen Komtur zu sich zu Gaste. – In Don Juans Hause ist lustige Gasterei, als Elvira eintritt, umsonst beschwört sie ihn zur Umkehr, zur Reue. Gebrochen wankt sie von dannen. Von draußen hören wir ihren furchtbaren Schrei und einen wuchtig polternden Schritt. Dröhnend schlägt es an die Tür. Keiner wagt zu öffnen. Als Don Juan es selber tut, steht der steinerne Gast vor ihm. Auch er mahnt Don Juan zur Reue. Es ist umsonst. Da brechen die Flammen der Hölle aus dem Boden hervor und verschlingen den Frevler. So ist die irdische Gerechtigkeit überflüssig geworden. Als Donna Anna und Ottavio mit Donna Elvira, Zerline und Masetto erscheinen, kann ihnen Leporello nur das entsetzliche Ende seines Herrn verkünden.

Bis auf diese letzte Szene, die völlig überflüssig ist und höchstens aus der pedantischen Erklärung, daß es sich hier doch um ein » Drama giocoso« handle, gerechtfertigt werden kann, wird man dem Text da Pontes das Zeugnis nicht versagen, daß er von allen Behandlungen des Stoffes die dramatisch straffste ist. Gewiß bringt der zweite Akt manches Episodische und schließt sich nicht so eng zusammen wie der erste; aber keine der Szenen ist in sich wertlos und alle sind vorzügliche Gelegenheiten zu Musik. Nur sollte man diese ursprüngliche Zahl der Szenen auf keinen Fall vermehren. Mozart hat sich bereit finden lassen, für Wien eine Szene nachzukomponieren, durch die das Buffo-Element der Oper vermehrt wird. Wie andere noch allerlei einschoben, haben wir bereits gehört. Das sind Zugeständnisse an den Zeitgeschmack gewesen, die Mozart sicher nicht gern gemacht hat. Aber auch die oben erwähnte Schlußszene dürfen wir als ein Zugeständnis an den Zeitgeschmack betrachten und unbedenklich streichen. Unser Empfinden für die Personen, die durch Don Juan so schwer geschädigt worden sind, ist größer, wenn wir sie nicht mehr in ihrer irdischen Kleinheit sehen, nachdem die Gewalt der himmlischen Mächte sie bereits gerächt hat. Es ist eine höhere Treue gegen den Meister, wenn man in solchen rein vom Zeitgeschmack geforderten Dingen, die mit dem Wesen des Kunstwerkes gar nichts zu tun haben, so handelt, wie es der in diesem Falle zweifellos geläuterte Geschmack unserer durch die große Dramatik der deutschen Dichter hindurchgegangenen Zeit erheischt.

Mag da Ponte das Verdienst der geschlossenen und echt dramatischen Szenenführung gehören, Mozart gebührt zweifellos jene Arbeit am Stoffe, durch die sein Werk vor allem den hohen Rang in der Weltliteratur einnimmt: die Erhöhung der Charaktere, und damit die Steigerung des Ganzen aus einer mehr örtlichen Einzelsage zum allgemein gültigen Menschheitsgedicht. Gazzanigas Oper ist wie die vorangehende Righinis ganz Buffo-Oper, und auch Mozart mag da Pontes ersten Vorschlag zunächst als einen solchen aufgefaßt haben. Aber in dieser Zeit hatte er seinen Vater, seinen jungen Freund, den Grafen Hatzfeld, durch den Tod verloren. Wie groß und überlegen er über den Tod dachte, wissen wir aus seinen Briefen. Schwer stand das äußere Leben vor ihm. An fast täglichen Heimsuchungen im kleinen und großen fehlte es nicht. Die großen Instrumentalwerke dieser Zeit bezeugen, daß er oft aus schweren seelischen Zuständen sich zur Klarheit durchringen mußte. Er hatte die innere Tragik des Lebens ausgekostet. So waren die äußeren und inneren Bedingungen des Erlebens erfüllt zur Erfassung der ganzen Tiefe und Größe des Stoffes, der bislang in ihm wesensfremden Formen versteckt lag. Da konnte » Don Giovanni« keine Opera buffa mehr werden, wohl aber ein Drama giocoso. Für Mozarts Weltanschauung stand der Glaube an die Gotteskindschaft fest. Das Walten der ewigen Gerechtigkeit hat er nie bezweifelt. Aber seiner ganzen Natur nach, in der auch die zeugende Lebenskraft – die künstlerische allerdings – mit der Macht einer Urgewalt schaltete, mußte er verständnisvolle Liebe für einen Menschen finden, der in gleicher Weise, unbekümmert um alles außer ihm Stehende, seine überlebensgroße Naturanlage auslebte. Alle großen Künstler haben eine starke Kraft der Lebensbetätigung, teilen die Verachtung aller jener Schranken und Hindernisse, die von irgendwelchen Gegenmächten gegen das Ausleben ihres eigenen Seins aufgestellt werden. Die Kunst ist für diesen ungeheuren Lebenstrieb ein Ventil, das eine Art der Betätigung ermöglicht, die der Außenwelt sich nicht als tragisch offenbart, es allerdings sehr oft für den einzelnen Künstler ist. Hier begegnet Mozart Don Juan, den freilich seine Anlage gerade auf den Gebieten sich zu betätigen zwang, auf denen er immer mit der äußeren Welt in Streit geraten mußte. So mußte ihm die Gestalt Don Juans wachsen gegenüber all den bisherigen Gestaltungen. Er durfte kein gewöhnlicher Lüstling, kein Wüstling oder Verbrecher sein. Niemals hat eine ritterlichere Gestalt die Bühne betreten, als dieser Don Juan: Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle, von Natur und durch Erziehung. Sein ganzes Wesen ist erfüllt von Liebe zum weiblichen Geschlecht. Es ist nicht lediglich Begier: es ist eben Liebe. Darin beruht seine ungeheure Macht über das Weib. Er liebt wirklich, solange seine Begierde nicht erfüllt ist, und findet darum immer das rechte Wort. Deshalb kann er auch keine Reue fühlen. Wie kläglich winselt Don Juan bei Tirso de Molina um einen Beichtiger. Wie gezwungen wirkt der Skeptizismus bei Molière, wo es überhaupt innerlich unlogisch ist, daß ein solcher Freigeist, für den die Welt des Geistigen gar nicht vorhanden ist, von einem Geiste gefällt wird. Mozarts Don Juan ist auch in seinem Schlußkampf, als seine Hand in der marmornen des Gastes erstarrt, von voller Größe. Er sieht seinen Tod nicht etwa wie der Don Juan Lenaus als eine Sühne an, wenn dieser sagt:

»Die Gläser und die Herzen, alle Zechen
Habe ich bezahlt, wenn meine Augen brechen;
Mein letzter Hauch ist Sühnung und Entgelt,
Denn er verweht sich selbst und mir die Welt.«

Für Mozarts Don Juan ist die Begegnung mit dem Geist ein Zweikampf, in dem er ritterlich zugrunde geht, weil der andere stärker ist als er. Da es ein Geist aus der Überwelt ist, ist dieses Unterliegen keine Schande für den Ritter. Von den Menschen, die in der Oper auftreten, sind alle kleiner als er – die einzige Donna Anna vielleicht ausgenommen –, trotzdem Mozart diese Umgebung wohlweislich erhöht hat. Vor allem die Frauen. Donna Anna steht bei ihm in herber Jungfräulichkeit da; daran läßt der Text keinen Zweifel, obwohl es klarer hätte herausgearbeitet werden können. Daß sie dem Bräutigam ein nächtliches Stelldichein gewährt hatte, zeigt sie noch im Banne der allgemeinen Gesellschaft, wie sie hier dargestellt ist. Aber das furchtbare Erlebnis dieser Nacht, der Tod des Vaters, hat die ganze Größe ihrer Natur wachgerufen. Nicht als Furie, – als ernst-feierliche Rachegöttin, die ihr Recht verlangt, schreitet sie durch das bunte Geschehen. Auch Donna Elvira ist ein großes Weib. Es zeugt für Don Juan, daß er ihr eine so alles überdauernde Liebe einzuflößen vermochte. Ganz Leidenschaft, hat sie sich ihm hingegeben, und kennt nur die Liebe zu ihm. Der Zwang, den er über sie ausübt, ist so groß, daß sie trotz allem ihn liebt bis zum Untergang. Die Welt bietet ihr nichts mehr nach seinem Tode. Die kleine Zerline führt uns in die tiefere Sphäre des Lebens. Aber wie in der Liebesleidenschaft Elviras eine Seite der Urgewalt der Don Juan-Natur sich uns offenbart, so in Zerline die andere der bestrickenden Liebenswürdigkeit. Sie leistet sich ein so tolles Stück, wie es sonst auch in der gewagten Komödienliteratur kaum vorkommt, wenn sie vom Hochzeitsfeste weg dem ihr bis dahin Fremden in die Arme fällt. Trotzdem gelingt es ihr, nicht nur den betrogenen Bräutigam wiederzugewinnen, auch den andren erscheint sie mehr als Opfer einer unwiderstehlichen Gewalt, denn als verachtenswertes Geschöpf. Man muß sich nur ja hüten, hier irgendwie durch karikierende Darstellung wieder herabzuziehen, was Mozart so wunderbar erhöht hat. Und leider sind gerade unsere erbärmlichen deutschen Übersetzungen dazu nur zu sehr geeignet, wie ja überhaupt diese deutsche Fassung des Textes eine arge Vergröberung und Erniedrigung gegenüber dem italienischen Original bedeutet, ganz abgesehen von den zahlreichen Schiefheiten im Sinne, durch die das wunderbare Zusammengehen von Musik und Wort an hundert Stellen zunichte gemacht wird. Auch Masetto braucht kein Tölpel zu sein, sondern ein gerader, einfacher Bursch, der mit aller sonstigen Tüchtigkeit gegen einen Don Juan nicht aufkommen kann. Unfreiwillige Karikatur dieses Don Juan ist Leporello. Aber wohl verstanden, unfreiwillige. Wäre er nicht ein pfiffiger und anstelliger Bursche, könnte ihn Don Juan als Diener nicht brauchen. Aber er ist eben nicht mehr als das. Es fehlt ihm die Größe. Und jedesmal, wenn er das dem äußeren Benehmen seines Herrn Abgesehene selber im praktischen Leben betätigen will, fällt er herein. Nicht nur, weil ihm der Urdrang fehlt, sondern auch, weil ihm alle Ritterlichkeit mangelt. Er wird von dem Gefühl der Feigheit beherrscht, die für Don Juan ein unverständlicher Begriff ist. – Etwas farblos bleibt nur Ottavio, der notwendigerweise von den Verhältnissen, an denen er ja selber nicht tätig beteiligt ist, geschoben wird. Gerade darum ist es verkehrt, ihn so weichlich darzustellen, wie es die meisten lyrischen Tenöre tun. Er ist ein tüchtiger Mann, der keine Gefahr scheut, den Mörder des Vaters seiner Braut zu entdecken.

Was Szenenführung und Charakteristik noch nicht vermochten, das vollendete Mozarts Musik.


In seiner feinsinnigen Studie über »Don Juan« bekennt Charles Gounod, daß dieses Werk ihm immer als eine Verkörperung musikalischer und dramatischer Unfehlbarkeit erschienen sei. »Dieses Werk bedeutet den Gipfel schlechthin, über den hinaus kein Weg mehr führe.« Es gibt in der ganzen Opernliteratur kein zweites Werk, das so ganz musikalische Gelegenheit ist wie dieses. Da sich bei den Absichten unseres Buches eine eindringende Analyse des Musikalischen verbietet, seien wenigstens die Empfindungen mitgeteilt, die die Ouvertüre dem Meister der französischen Oper einflößte. »Gleich mit dem Beginn der Ouvertüre führt uns Mozart mitten in das Drama, dessen Wesen diese Ouvertüre birgt. In ihrem scharfen Rhythmus stehen diese ersten gewaltigen und feierlichen Akkorde wie die erhabene und furchtbare Macht der göttlichen Gerechtigkeit da, die alles Verbrechen rächt. Nach den ersten vier Takten, die noch furchtbarer werden durch das Schweigen im zweiten und vierten, setzt eine Harmonienfolge ein, deren Unheimlichkeit wie der Anblick eines Gespenstes das Blut zu Eis erstarren läßt. Es ist dieselbe Tonfolge, die in der letzten Szene erklingt, als die steinerne Statue vor dem Mörder erscheint, der sie zu Gaste geladen, unvergleichlich ist die Ruhe, mit der die Tragödie selbst die Stufenleiter dieser Akkorde mit der Unerbittlichkeit des Verhängnisses herabschreitet, gegen das es kein Entweichen mehr gibt für diesen Reuelosen, der die Erde durch seine Verbrechen, den Himmel durch seinen Hohn herausgefordert hat. Alles in dieser furchtbaren Einleitung atmet Schrecken: der unerbittlich eintönige Rhythmus der Saiteninstrumente; dieser Totenton in den Blasinstrumenten, die, ein steinerner Riese, in Oktaven heranschreiten; die Synkopen der ersten Violinen, die (vom 11. Takte ab) die geheimsten Falten dieses verfinsterten Gewissens bloßlegen, während die zweiten Violinen wie ein Schlangenungeheuer den Schuldigen umschlingen; der starre Widerstand des Verdammten, der bis zum Ende in seiner Verstocktheit beharrt; dann diese Tonleitern, diese auf- und abwogenden Tonleitern, in denen sich die Schlünde einer sturmdurchwühlten See öffnen; über alledem feierlich drohend das Verhängnis – jede Note auf dieser Wundersaite ist voll Tragik: das Entsetzen kann nicht überboten werden. Da plötzlich springt in fieberhaftem Übermut dieses Allegro dazwischen voll taumelnder Lustigkeit, taub für die Mahnungen des Himmels, müde der Vorwürfe, aufgepeitscht von abenteuersüchtiger Kühnheit, wahnsinnig vom Genuß, rasend und unwiderstehlich wie ein Gießbach, sehnig und stichbereit wie ein Degen – so stürmt es alle Hindernisse, jagt durch die Gassen, springt auf die Balkone. Zwei rhythmische Akzente hat Mozart hier mit besonderer Vorliebe verwendet. Einmal (im 2. und 4. Takt) die Betonung der zweiten schwachen Taktteile, durch die in diese rasche Bewegung die gierige Ungeduld, das atemlose Hasten hineinkommt, mit dem Don Juan durch die schnell vergessenen, schnell erneuerten Genüsse dahinjagt. Sodann das Sforzando, durch das der erste Teil mit so nachdrücklicher Kraft betont wird, daß der Rest der musikalischen Phrase in leichtem Schwung davon aufschnellt.

Und welche Fülle packender Züge, köstlicher Einzelheiten zeigt uns diese Ouvertüre, deren immer wieder verblüffender Reichtum der Überlieferung zufolge von ihrem Schöpfer in der Arbeit einer Nacht aufgestapelt wurde! Und vor allem welche Klangfülle bei so wenig Noten, so einfachen Mitteln! Man sehe die jugendliche Ritterlichkeit in den zwei Takten, die auf die sieben ersten des Allegro folgen. Leuchtend in Farbe und Rhythmus lösen dann die Bläser den feinen, zarten und gedämpften Klang der Saiteninstrumente ab. Welche Glut dann in dieser ineinanderhakenden Stimmführung, die vom sechzehnten Takt zu jenem Creszendo überleitet, das von Leben und Schwung kocht. Wie schmeicheln in Terzen Oboen und Klarinetten (36. Takt); in kraftvollem Einklang stehen Hörner und Trompeten (47. u. 48. Takt). Welch ein Durcheinander – und doch wie klar – in diesem doppelten Kanon vom 54. Takte an. Dann die geniale Kontrapunktik (vom 102. Takte an), wo die wunderbar imitatorisch geführten Bläser sich über dem von Lust und Laune sprühenden Gewebe der Violinen erheben. Wie entzückend endlich, wie unerwartet diese plötzliche Wendung nach f, durch die die Ouvertüre mit der ersten Szene verkettet wird.« (Gounod: » Le Don Juan de M.« 3. Aufl. Paris 1890, S. 2 ff.) Wie in dieser Ouvertüre einen sich in jeder Nummer hundert Einzelheiten geistsprühender Charakteristik, unerschöpflicher Formgebung, tiefster Empfindung zur Wundereinheit sinnberückender Schönheit. – Ich kann nur mit etlichen Stichworten ein rasches Durchblättern der Partitur des jedem vertrauten Werkes begleiten. Wie der Hasenfuß Leporello trotz seines Ärgers angstvoll zwischen den Ecktönen der Quarten hin und her schlottert und beim ersten Laute ins Versteck flüchtet, von wo aus er klappernd (Achtelbewegung) vor Furcht dem Ringen zwischen Anna und Don Juan – rasche Nachahmungen der Singstimme, gegen Schluß Pausen der Atemlosigkeit – und dem ganz naturalistisch geschilderten Duell zwischen diesem und dem herbeigeeilten Gouverneur folgt. Der Todesstoß. In langsamen Triolen klagen die ersten Geigen, düster schleichen die übrigen Streicher, in drückender Erstarrung liegen die Bässe. Alles ist verhalten. Don Juan findet zuerst seine Kampfstimmung wieder; halb spöttisch, halb mitleidig sieht er den Alten hinsterben, der in mühsamer Atemnot seine letzten Worte hinhaucht; in blutloser Angst plappert Leporello sinnlose Worte. Wie sticht von der ergreifend ernsten Klage, dem feierlich erhebenden Rachegelöbnis Annas die wilde Leidenschaft Elviras ab, die vom Hintergrund aus in ganz für sich stehenden Zwischenbemerkungen Don Juans und Leporellos verhöhnt wird. Die anschließende Registerarie – im ersten Teil ausgezeichnet durch den Humor, mit dem das Orchester die großen Zahlen der Liebschaften bekichert, belacht, bestaunt – ist in der zweiten Hälfte ein Beispiel für die großartige Einheitlichkeit der Musik mit dem Texte, – freilich mit dem italienischen. Die Zierlichkeit der Blonden, die stolze Beständigkeit der Brünetten, die Sanftheit der Hellen, die Majestät der Großen, die Wuschligkeit der Kleinen – alles, alles malt dieses Orchester geschwätzig, schmeichlerisch, schmachtend, lachend, sich förmlich überschlagend vor Lust. – In eine andere musikalische Welt kommen wir mit der ländlichen Hochzeitsfeier. Aber die Harmlosigkeit weicht bald jenem sinnberückenden Zwiegesang zwischen Don Juan und Zerline, in dem des ersteren – »Reich mir die Hand, mein Leben« – in wunderbarer Mischung von ritterlicher Huldigung und sinnenglühender Werbung Zerlinens Bänglichkeit rasch besiegt, daß sie sicher dem unwiderstehlich lockenden »O komm« folgen würde, träte nicht Elvira dazwischen. Die große Rachearie Donna Annas bildet mit ihrem tragischen Pathos den gewaltigen düsteren Hintergrund, von dem das lustige Fest im Hause Don Juans doppelt hell sich abhebt. Don Juans »Champagnerlied« bildet die Vorbereitung dazu. Von Champagner ist ja im Original nicht die Rede, aber die Musik schäumt in so berauschender Lust, daß hier einmal die deutsche Übersetzung wenigstens in dem einen Vers eine Verbesserung bedeutet. Noch muß Zerline ihren Masetto versöhnen; wer könnte auch ihrem herzigen Schmeicheln und Kosen widerstehen. Nun setzt das erste Finale ein; kein Sekkorezitativ (oder Dialog) unterbricht mehr den Strom der Musik, auf deren Fluten wir an einer Reihe packender Bilder vorbeigetragen werden. Mit dämonischer Gier umstrickt Don Juan aufs neue Zerlinens Sinne, mit lachendem Schelten übertölpelt er Masetto, bis alle lustig ins Schloß ihm folgen. In unheimlichem Düster (D-moll) erscheinen die maskierten Rächer. Die Lebenskräfte steigern sich. Während das Orchester auf der Bühne mit den rhythmischen Klängen des Menuetts die Lustigen zum Tanze zwingt, lädt Leporello die Masken zur Gesellschaft ein; in feierlichem Gebete – nur Bläser begleiten die kunstvoll ineinander verschlungenen Singstimmen – erflehen sie vom Himmel Gelingen ihrer Rache. Dann betreten wir mit ihnen Don Juans Festsaal. Immer toller wird die Lust, da Zerlines Hilfeschrei, Verwirrung, Wut der Gäste über die neue Untat. Don Juans Trugstück mit Leporello findet keinen Glauben, furchtbar tost der Versammelten Wut gegen ihn an. Aber – »freie Geister zu erschüttern, g'nügen solche Blitze nicht!« Den Degen in der Hand, bahnt er sich den Weg ins Freie.

Nochmals sollen wir den ganzen Zauber der Sinnenwelt genießen. Inniger hat selbst Mozart selten gesungen als in der Klage Elviras: »O Herz, hör' auf zu schlagen«; um so frevelhafter wirkt Don Juans Spiel, der Leporello, mit dem er die Kleider getauscht, bei Elviren den Tröster spielen läßt, nachdem er sie mit dem entzückenden Ständchen in die Nacht hinabgelockt hat. Süßer sind die Freuden der Sinnlichkeit nie geschildert worden als in den Tönen, mit denen Zerline ihrem verprügelten Masetto Heilung aller Schmerzen verheißt. Dann verdüstert sich das Bild. Ottavio rüstet sich, an Don Juan Rache zu nehmen. Die übliche deutsche Übersetzung: »Tränen vom Freund getrocknet« ist eine unerträgliche Versündigung an diesem ergreifend schönen Gesange. Es folgt die gewaltige Kirchhofszene; die Monumentalität dieser Tragik hat in der Weltliteratur kaum ihresgleichen, wenn in das frivole Gespräch Don Juans mit Leporello die Geisterstimme dröhnt: »Verwegner, gönne Ruhe den Entschlafenen.« Zum ersten- und einzigen Mal in der Oper ertönen hier die Posaunen. Es ist ein Stück grausigen Humors, wenn Leporello in schlotternder Todesangst seines übermütigen Herrn Einladung dem Steinbilde übermitteln muß, dessen von einem langen Hornton gehaltenes »Ja« das Blut gefrieren macht. – Mozart ist ein solcher Meister des harmonischen Maßhaltens, andererseits so sicher seiner Stimmungskraft, daß er nochmals ein helleres Bild einschiebt in jener ganz in Wohllaut getauchten »Briefarie«, mit der Donna Anna ihren Verlobten der Liebe versichert. Danach treibt es der Katastrophe zu. Es ist sehr wirkungsvoll, daß sich das himmlische Strafgericht im gleichen Raume vollzieht, wo am Ende des ersten Aktes das irdische versagte. Wieder tafelt Don Juan, dieses Mal allein. Sein Orchester spielt ihm auf. Stücken aus Martins » Cosa rara« und Sartis » Fra due Litiganti« schließt sich in köstlicher Laune das »Dort vergiß« aus »Figaros Hochzeit« an. Plötzlich bricht die Tafelmusik ab. Elvira erscheint, den noch immer Geliebten zur Umkehr zu mahnen. Es ist umsonst. Sie geht – ein Entsetzensschrei von draußen; Leporello, der nachsehen ging, kann kaum sprechen vor Angst!: Das Schicksal naht mit dröhnenden Schritten, furchtbar pocht es an die Pforte – auch Don Juans kecker Hand entsinkt der Leuchter, als er den steinernen Gast erblickt. Im Orchester ertönen jene gewaltigen Tonfolgen, die die Ouvertüre eröffneten. Das knappe Zwiegespräch beginnt; jetzt hält der Geist Don Juans Hand, das Tempo nimmt stetig zu, in den Bässen rast es in Zweiunddreißigstelnoten die Tonleiter empor. In diesen Minuten wächst Don Juan zum Helden: »Noch nie hab' ich gezittert!« So erliegt er, stolz bis zum letzten Augenblicke, der Übermacht überirdischer Gewalten. Die Erde, deren stärkste Kräfte in ihm Gestalt gewonnen, verschlingt ihn.


Der große Erfolg, den Mozart mit »Figaros Hochzeit« und »Don Juan« in Prag davongetragen hatte, legte es den Wiener Hofkreisen doch nahe, den Komponisten irgendwie an ihre Stadt zu fesseln, »damit ein Künstler von so seltenem Genie nicht bemüßigt werde, sein Brot im Auslande zu suchen«, wie später bei der Begründung des Pensionsgesuches der Witwe Mozarts ausgeführt wird. Es bot sich dazu gute Gelegenheit, da am 15. November 1787, gerade um die Zeit, als Mozart wieder nach Wien zurückkehrte, Gluck gestorben war. Aber die kleinlichen und neidischen Naturen in der Umgebung des Kaisers mochten diesen überzeugen, daß nicht allzuviel dazu gehöre, den bislang ganz unberücksichtigt gelassenen Mozart Wien zu erhalten. So huldigte der Kaiser auch in diesem Fall wieder seiner Sparsamkeit, und anstatt Mozart zum Nachfolger Glucks zu machen, der zweitausend Gulden bezogen hatte, ernannte er ihn am 7. Dezember 1787 zum Kammermusikus mit achthundert Gulden Gehalt. Gewiß bezog auch keiner der anderen Kammermusiker mehr, aber nachhaltige Hilfe konnte dieses Gehalt jetzt Mozart nicht bringen, da er seine äußere Lebenshaltung nach dem Erfolg des Figaro auf einen größeren Zuschnitt berechnet hatte, so daß die Wohnungsmiete allein fast das ganze Gehalt verschlang. Mozart hatte zu diesem »Luxus« bei seiner damals blühenden Konzerttätigkeit ein Recht, da er natürlich nicht annehmen konnte, daß in den folgenden Jahren bei einer schier noch vermehrten Arbeitsleistung alle äußeren Unternehmungen ihm so mißlingen würden. Am schlimmsten aber empfand er, daß er nun keine seiner Stellung würdige Beschäftigung fand. Den Auftrag, für diesen Winter 1788 wie auch im folgenden Jahr und 1791 die Tänze für die Maskenbälle der k. k. Redoutensäle zu komponieren, konnte er dafür nicht ansehn. Wir haben über achtzig Tänze von Mozart: Menuette, Deutsche, Kontertänze, Ländler, die er sicher nie als etwas anderes denn als Pflichtarbeit betrachtete und lediglich von dem Standpunkt aus schrieb, daß sich gut nach ihnen tanzen lasse. Die übrigen Kompositionen des Jahres 1788 sind zumeist für den Unterricht oder andere von außen an ihn herantretenden Anlässe geschrieben. Der Sommer 1788 verzeichnet allerdings die drei großen Sinfonien.

Auch die am 7. Mai 1788 endlich vollzogene Wiener Aufführung des » Don Giovanni« änderte nichts an dieser Gesamtlage, da das Werk zunächst keinen Beifall fand. Mehr innere Befriedigung wird Mozart an einer anderen, von außen her veranlaßten Arbeit gehabt haben, indem er auf van Swietens Veranlassung einige Werke Händels bearbeitete. Es war van Swieten gelungen, einige kunstliebende Adlige zu bestimmen, für die Kosten der Aufführungen aufzukommen, so daß diese unentgeltlich vor geladener Zuhörerschaft an Nachmittagen im großen Saal der Hofbibliothek stattfanden. Mozart hat dafür »Acis und Galathea« (Nov. 1788), den »Messias« (März 1789), die »Cäcilienode« und das »Alexanderfest« (Juli 1790) bearbeitet. Die Anschauung über die Aufgabe solcher Bearbeitungen hat sich seither vollkommen verändert. Unser Denken ist heute gegenüber älterer Kunst historisch eingestellt, sicher vielfach in übertriebenem Maße. Auch hier geht die Treue im Geiste über die Treue gegen den Buchstaben. Zugegeben muß werden, daß die letztere leichter zu erreichen ist als die erstere. Denn der Grundsatz, ein älteres Werk so neu zu bearbeiten, wie der betreffende Komponist es wohl geschaffen hätte, wenn er in der Gegenwart wirkte, öffnet natürlich der persönlichen Willkür alle Tore. Andererseits ist ja auch in der Kunst das Altertümliche ein starker Stimmungswert. Van Swieten, der doch ein schier wissenschaftlicher Verehrer Händels war, schrieb in einem Fall, als Mozart eine Arie des Messias in ein Rezitativ umwandeln wollte, am 21. März 1789 diesem zustimmend: »Wer Händel so feierlich und so geschmackvoll kleiden kann, daß er einerseits auch den Modegecken gefällt und andererseits doch immer in seiner Erhabenheit sich zeigt, der hat seinen Wert gefühlt, der hat ihn verstanden, der ist zu der Quelle seines Ausdrucks gelangt und kann und wird sicher daraus schöpfen. So sehe ich dasjenige an, was Sie leisteten.« Ich glaube, wir dürfen diesem Urteil zustimmen, auch wenn wir heute bei Aufführungen Händels nicht mehr zu Bearbeitungen Mozarts greifen wollen. Sicher beweisen unter den damaligen derartigen Arbeiten die Mozarts weitaus die größte Pietät für den alten Meister. Nirgendwo will Mozart sich selbst aufdrängen, sondern alles bezeugt ein tief eindringendes Studium der älteren Werke und das Bestreben, sich in Händels Eigenart zu versenken und aus dieser heraus alle Zutaten zu gestalten.

Daß diese eindringende Beschäftigung mit alter Musik, die so ganz anders geartet war als alles, was Mozart in Wien entgegentrat, für ihn von höchstem künstlerischem Werte gewesen ist, braucht kaum erwähnt zu werden. Im übrigen war aber auch von Swieten sehr sparsam, wo es seinen eigenen Geldsäckel anging, und so wurden auch diese Arbeiten für Mozart sicher nur wenig ertragreich. Da außerdem seine Bemühungen für eigene Konzerte in Wien keinen Erfolg hatten, gewann bei ihm der Plan, sich durch eine Konzertreise außerhalb Abhilfe gegen seine schlechte Lage zu suchen, immer mehr für sich. So genügte der erste kräftige Anstoß zur Verwirklichung. Fürst Karl Lichnowsky, Mozarts Schüler und Freund, mußte als preußischer Offizier zeitweilig in Berlin sich aufhalten. Er bot Mozart im Frühjahr 1789 an, in seinem Wagen die Reise nach der preußischen Hauptstadt mitzumachen. Mozart verstand sich um so lieber dazu, als Friedrich Wilhelm II. ein aufrichtiger Musikfreund war. Die am 8. April 1789 begonnene

Reise nach Berlin

ließ sich gut an. Zwei Tage später konnte er aus Prag seiner Frau berichten, daß der Theaterdirektor »für den künftigen Herbst es fast richtig gemacht habe, für eine Oper zweihundert Dukaten und fünfzig Dukaten Reisegeld zu geben«. Der Vertrag ist später nicht zur Ausführung gekommen. In Dresden verkehrte Mozart viel im Körnerschen Hause, wo Dora Stock ein hübsches Bildnis nach ihm zeichnete. Auch bei Hofe trat er hier auf und zeigte in einem Wettstreit mit dem berühmten Klavierspieler und Organisten Häßler aus Erfurt seine Unvergleichlichkeit als Spieler. In Leipzig wurde das Haus des Thomaskantors Doles zum Mittelpunkt des Verkehrs, der an dieser alten Musikstätte ein besonders ausgiebiges Musizieren brachte. Hier lernte Mozart auch einige Motetten Bachs kennen und gab in charakteristischer Weise seiner Freude mit den Worten Ausdruck: »Das ist doch einmal etwas, woraus sich was lernen läßt.« Doles selber aber war es, wie ein Zeitgenosse berichtete, bei Mozarts Spiel, als ob sein Lehrer, der alte Johann Sebastian, wieder auferstanden sei.

Dann ging die Reise nach Berlin, wo er im letzten Drittel des April eintraf und durch Lichnowsky bald die Vorstellung beim König in Potsdam erreichte. Das Berliner Musikleben hatte internationalen Charakter im guten Sinne des Wortes, indem man sich das Wertvolle von allen Seiten zu gewinnen trachtete, dabei aber doch die nationale Kunst besonders begünstigte. Der König, selber ein guter Violoncellspieler, pflegte mit Vorliebe die Kammermusik, hielt aber auch ein gutes Orchester, dessen Leitung neben dem Franzosen Duport der vielgewandte, geistvolle, aber seiner ganzen Anlage nach doch für Mozartische Musik nicht eben günstig eingestimmte Friedrich Reichardt hatte. Im übrigen haben ihn wohl auch einige freimütige Äußerungen Mozarts über die Leistungen der Berliner Kapelle verstimmt. Denn vorsichtig zu sein, die von allen anderen gegangenen Wege zu Erfolgen auch einzuschlagen, hatte Mozart trotz aller bitteren Erfahrungen noch immer nicht gelernt, oder er verschmähte sie im sicheren Bewußtsein seines überlegenen Könnens. Ja, den oben erwähnten Duport hat er sich sogar gleich zum Feinde gemacht. Der Franzose hatte beim ersten Besuch von Mozart verlangt, daß dieser mit ihm französisch spreche, was Mozart, trotzdem er die Sprache ja vollkommen beherrschte, ablehnte. »So ein welscher Fratz,« äußerte er nach einem zeitgenössischen Berichte, »der jahrelang in deutschen Landen wäre und deutsches Brot fräße, müßte auch deutsch reden oder radebrechen, so gut oder so schlecht, als ihm das französische Maul dazu gewachsen wäre.« Beim König hatte Duport mit seinem Intrigenspiel keinen Erfolg. Friedrich Wilhelm II. erkannte offenbar vollkommen Mozarts Bedeutung und bot ihm die Stelle eines Kapellmeisters mit dem Gehalt von dreitausend Talern an. Mozart glaubte diese erste Gelegenheit, die sich ihm zu einer durchgreifenden Besserung seiner Verhältnisse bot, mit Rücksicht auf seinen Kaiser ablehnen zu müssen. Der König hielt ihm aber den Antrag für spätere Zeiten offen. Der Aufenthalt in Berlin wurde übrigens am 8. Mai nochmals durch einen Ausflug nach Leipzig unterbrochen, wo man ihn bestimmt hatte, am 12. eine Akademie zu geben, die natürlich schönen künstlerischen Erfolg hatte, aber so wenig Geld einbrachte, daß kaum die Kosten gedeckt wurden. Als Mozart nach etwa zehn Tagen wieder nach Berlin zurückkam, wurde hier die »Entführung« gegeben. Ein öffentliches Konzert veranstaltete er aber nicht. So waren hundert Friedrichsdor, die ihm Friedrich Wilhelm II. als Geschenk übermittelte, und der Auftrag, für den König Quartette, für dessen älteste Tochter sechs leichte Klaviersonaten zu schreiben, der einzige Gewinn, den er auf die am 28. Mai angetretene Rückreise mitnahm.


Als Mozart am 4. Juni 1789 wieder nach Wien kam, traf er daheim recht traurige Verhältnisse. Was er mitbrachte, reichte kaum zu, die dringendsten Auslagen zu bezahlen. Er machte sich zwar gleich an die Arbeit und schuf noch im Juni das erste der ihm in Auftrag gegebenen Quartette (D-dur), für dessen Zusendung ihn Friedrich Wilhelm in vornehmer Weise durch die Übersendung von hundert Friedrichsdor in einer goldenen Dose und ein gnädiges Handschreiben lohnte. Bald aber stellte eine schwere Erkrankung seiner Frau, die deren Überführung nach Baden nötig machte, erhöhte Ansprüche an ihn. Die Aufregung um sein geliebtes Weib, die heftige Anteilnahme an ihrem sehr schmerzhaften Leiden, die Unerquicklichkeit des Getrenntlebens machten ihn auch zum Arbeiten untüchtig und bewirkten, daß er unter der äußeren Notlage zuweilen aufs heftigste litt. Zeuge dessen sind seine Briefe an den befreundeten Logenbruder Puchberg, von denen wenigstens einer hier mitgeteilt sei:

»Den 12. Juli! O Gott! ich bin in einer Lage, die ich meinem ärgsten Feinde nicht wünsche; und wenn Sie, bester Freund und Bruder, mich verlassen, so bin ich unglücklich und unschuldigerweise samt meiner armen kranken Frau und Kind verloren. – Schon letztens, als ich bei Ihnen war, wollte ich mein Herz ausleeren – allein ich hatte das Herz nicht! – und hätte es noch nicht – und zitternd wage ich es schriftlich – würde es auch schriftlich nicht wagen – wenn ich nicht wüßte, daß Sie mich kennen, meine Umstände wissen und von meiner Unschuld, meine unglückselige, höchst traurige Lage betreffend, gänzlich überzeugt sind. O Gott! anstatt Danksagungen komme ich mit neuen Bitten! – anstatt Berichtigung mit neuem Begehren. Wenn Sie mein Herz ganz kennen, so müssen Sie meinen Schmerz hierüber ganz fühlen; daß ich durch diese unglückselige Krankheit in allem Verdienste gehemmt werde, brauche ich Ihnen wohl nicht zu wiederholen; nur das muß ich Ihnen sagen, daß ich ungeachtet meiner elenden Lage, mich doch entschloß, bei mir Subskriptions-Akademien zu geben, um doch wenigstens die dermalen so großen und häufigen Ausgaben bestreiten zu können, denn von ihrer freundschaftlichen Zuwartung war ich ganz überzeugt; aber auch dies gelinget mir nicht; mein Schicksal ist leider, aber nur in Wien, mir so widrig, daß ich auch nichts verdienen kann, wenn ich auch will; ich habe 14 Tage eine Liste herumgeschickt, doch da steht der einzige Namen Swieten! – Da es jetzt doch scheint, daß es mit meinem lieben (den 15. Juli) Weibchen von Tag zu Tage besser geht, so würde ich doch wieder arbeiten können, wenn nicht dieser Schlag, dieser harte Schlag, dazukäme; – man tröstet uns wenigstens, daß es besser gehe – obwohl sie mich gestern abends wieder ganz bestürzt und verzweifelt machte, so sehr litt sie wieder und ich – mit ihr (den 14.), aber heute nacht hat sie so gut geschlafen und befindet sich den ganzen Morgen so leicht, daß ich die beste Hoffnung habe; nun fange ich an, wieder zur Arbeit aufgelegt zu sein – aber ich sehe mich wieder auf einer anderen Seite unglücklich – freilich nur für den Augenblick! – Liebster, bester Freund und Bruder – Sie kennen meine dermaligen Umstände, Sie wissen aber auch meine Absichten ... In ein paar Monaten muß mein Schicksal in der geringen Sache auch entschieden sein, folglich können Sie, bester Freund, bei mir nichts riskieren; nun kommt es bloß auf Sie an, einziger Freund, ob Sie mir noch 500 fl. leihen wollen oder können? – ich bitte, bis meine Sache entschieden ist, Ihnen alle Monat 10 fl. zurückzuzahlen; dann (welches längstens in einigen Monaten vorbei sein muß) Ihnen die ganze Summe mit beliebigen Interessen zurückzuzahlen und mich anbei noch auf lebenslang für Ihren Schuldner erklären, welches ich auch leider ewig werde bleiben müssen, indem ich nie imstande sein werde, Ihnen für Ihre Freundschaft und Liebe genug danken zu können; – gottlob, es ist geschehen; Sie wissen nun alles, nehmen Sie nur mein Zutrauen zu Ihnen nicht übel und bedenken Sie, daß ohne Ihre Unterstützung die Ehre, die Ruhe und vielleicht das Leben Ihres Freundes und Bruders zugrunde geht; ewig Ihr verbundenster Diener, wahrer Freund und Bruder.
W. A. Mozart.

Ach Gott! – ich kann mich fast nicht entschließen, diesen Brief abzuschicken! – und doch muß ich es! – Wäre mir diese Krankheit nicht gekommen, so wäre ich nicht gezwungen, gegen meinen einzigen Freund so unverschämt zu sein; – und doch hoffe ich von Ihnen Verzeihung, da Sie das Gute und Üble meiner Lage kennen. Das Üble besteht nur in diesem Augenblick, das Gute aber ist gewiß von Dauer, wenn das augenblickliche Übel gehoben wird. – Adieu! – Verzeihen Sie mir um Gottes willen, verzeihen Sie mir nur! – und – Adieu! ...«

Mozart konnte vor allen Dingen den Gedanken nicht vertragen, daß seine kranke Frau unter der äußeren Bedrängnis leiden mußte. Er selber aber fühlte sich nur wohl, wenn er arbeiten konnte. Gerade zu dieser Arbeit aber bedurfte er, wie wir aus manchem Zeugnisse wissen, einer ruhigen, heiteren Stimmung. So erklärt sich, wenn manchmal neben einer verzweifelten Auffassung seiner Lage schier unmittelbar ganz fröhliche Auslassungen stehen, zu denen sich seine schwunghafte Natur bei jeder günstigen Wendung sofort wieder aufraffte. Im übrigen erhoffte er jetzt das baldige Ende seiner trüben Umstände. Er hatte dem Kaiser von seinem Aufenthalt in Berlin erzählt. Allerdings das ihm dort gemachte Anerbieten wirklich fruchtbar für sich zu machen, verstand er nicht. Es bedurfte nur der Frage Josephs II.: »Wie, Mozart, Sie wollen mich verlassen?« und dieser beeilte sich zu antworten: »Majestät, ich bleibe.« Bedingungen aber an sein Bleiben zu knüpfen, fiel ihm nicht ein. Dazu setzte er bei den anderen dieselbe vornehme Gesinnung voraus, die er selber hegte. Zunächst aber geschah nichts, als daß Ende August sein »Figaro« nach zweijähriger Pause wieder auf die Bühne kam und erneut großen Erfolg gewann. Da endlich erteilte ihm der Kaiser den Auftrag, eine neue Oper zu schreiben. Es war

Cosi fan tutte

ossia la scuola degli amanti: »So machen es alle, oder die Schule der Liebenden.« Im Dezember hat Mozart die Oper geschaffen, im Januar 1790 ist sie als vollendet in sein Verzeichnis eingetragen, am 26. Januar wurde sie zum ersten Male im Burgtheater, wie es scheint mit Erfolg, aufgeführt. Es fehlen uns nämlich gerade über diese Oper eingehendere zeitgenössische Berichte.

Wenn der alte Niemetschek sagt: »Es stand nicht in seiner Gewalt, den Auftrag abzulehnen, und der Text ward ihm ausdrücklich aufgetragen«, so klingt das wie eine Entschuldigung. Andere Biographen weisen auf die gedrückte Lage Mozarts hin, um zu erklären, daß er dieses Werk geschaffen hat. Richard Wagner meint: »O, wie ist mir Mozart innig lieb und verehrungswürdig, daß es ihm nicht möglich war, zu Cosi fan tutte eine Musik wie die des Figaro zu erfinden: wie schmählich hätte dieses die Musik entehren müssen!« Man kann diese allgemeinen Einstellungen einem Werke Mozarts gegenüber wohl als Verurteilung bezeichnen, die ihren Grund im wesentlichen im Textbuch hat. Da Ponte hat hier gewiß kein Meisterwerk geliefert. Auch rein technisch steht die Arbeit hinter anderen zurück. Vor allen Dingen aber nimmt man Anstoß an der »Frivolität« des Stoffes. Ein alter Lebemann reizt zwei jüngere Offiziere durch seine Behauptung, daß es wirkliche Weibertreue nicht gebe, um so mehr zu heftigem Widerspruch, als beide verlobt sind. Jeder sieht in seiner Braut – es sind Schwestern – ein unbedingt verläßlich treues Weib. Der alte Kenner geht mit ihnen eine Wette ein. Sie müssen einen Tag ihm in allem gehorchen, was er ihnen befiehlt. So kann das Spiel beginnen. Die beiden Offiziere nehmen schmerzbewegten Abschied von ihren Bräuten, da sie in den Krieg ziehen müssen. Kurz darauf führt sie der Alte ins Haus zurück in der Verkleidung von Albanesen, die nun den Sturm auf die beiden in Schmerz ganz aufgelösten Mädchen unternehmen müssen, und zwar so, daß jeder die Braut des anderen zu gewinnen trachtet. Der erste Ansturm bleibt erfolglos. Sie finden einen Bundesgenossen in der Kammerzofe, deren Lebensgrundsatz den Genuß der Stunde verkündet, da die Männer ja auch nicht besser seien. Was der Zweifel und das stürmische Liebeswerben bei den Mädchen nicht fertigbringen, erreicht nachher eine Vergiftungskomödie der unglücklichen Liebhaber. Kurz, schon am Abend unterzeichnen die beiden Mädchen, die eine freilich nach längerem Widerstreben, den Verlobungsvertrag mit den beiden neuen Bewerbern. Da kommt das Gerücht, daß die beiden Offiziere mit ihrem Regiment bereits zurückgekehrt sind. Es folgt die Entlarvung – der Alte hat seine Wette gewonnen, bei den jungen Paaren weicht die Entzweiung bald der Versöhnung.

Es fällt mir nicht ein, diesen Text vom Vorwurf der Frivolität retten zu wollen. Sieht man im Drama immer eine Abspiegelung des Lebens, so ist die ganze hier geführte Intrige gemein und doch auch höchst unwahrscheinlich. Aber das Theater kann auch nur Spiel sein, Unterhaltung. Gewiß liegt darin nicht seine höchste Aufgabe; aber eine hochgesteigerte formale Lebenskultur wird für ein solches bewußtes Spiel mit Lebenserscheinungen immer viel übrighaben. Auf eigentliche Lebenswahrheit des Ganzen kommt es dabei nicht an, sondern auf das Ergebnis, daß unter gewissen Voraussetzungen eine geistvolle oder auch nur launige Unterhaltung ersteht. Das Theater der Romanen bietet dafür Beispiele in großer Zahl. Ich persönlich gestehe gern, daß ich Mozarts » Cosi fan tutte« aufrichtig liebe. Wenn, wie es in den Aufführungen der Berliner Hofoper seit Jahr und Tag geschieht, der Nachdruck auf die Ironie gelegt wird, stellt sich bei der Zuhörerschaft das überlegene Gefühl heiteren Spielens ein, bei dem die Entrüstung über die Frivolität gar keinen Platz hat. Man ergötzt sich an einigen komischen Situationen, erfreut sich an der Art, wie die beiden Liebhaber unter recht widersprechenden inneren Gefühlen in übertriebener Weise eine Liebe heucheln müssen, die sie gar nicht empfinden, hat bei allem das Gefühl, daß die beiden Mädchen gerade durch dieses Abenteuer erst recht erfahren, was sie dem Leben und der Liebe schuldig sind. Nach meinem Gefühl ist auch rein musikalisch niemals eine feinere Karikatur auf die italienische Oper geschrieben worden als hier. Es ist nicht Karikatur als Verzerrung, sondern sie erwächst aus der inneren Unwahrheit des Ganzen. Die Form steht in stetem Widerspruch mit dem Inhalt. Daß diese Formen trotzdem schön sein können, zeigt, daß sie eigentlich zu Klischees erstarrt sind. Mozart müßte nicht Mozart sein, wenn nicht an einigen Stellen das echte Empfinden erblühte, aber der lebendigen Aufführung gegenüber, und erst bei einer solchen hat man das Recht des Urteils, weil nur in ihr das Werk so vor uns hintritt, wie es gedacht ist, entsteht dann niemals ein Zweifel, wo ein wahres Empfinden seinen Ausdruck sucht, wo das Ganze nur Spiel ist. So glaube ich kaum, daß Mozart die Schöpfung dieses Werkes lange als Nötigung empfunden hat. Es muß ihm rasch aufgegangen sein, daß er hier vor einer ganz anderen Aufgabe stand, als sie ihm bislang gestellt gewesen. So freue auch ich mich mit Wagner, daß Mozart zu Cosi fan tutte nicht eine Musik geschaffen hat wie zu Figaro, besonders aber, daß er das gar nicht versucht hat, er vielmehr hier ein bewußt geistreiches Spiel und nicht Lebensausdruck anstrebte. So scheint mir auch gerade Cosi fan tutte noch nicht die Wirkung für die Folgezeit geübt zu haben, die davon ausgehen kann. Ich glaube, daß eine wirklich künstlerische Operette gerade von diesem Werke Mozarts in formaler und geistiger Hinsicht die fruchtbarste Anregung empfangen könnte. Nach der formalen Seite für die Ausnutzung großer Formen und die leichte Führung eines durchsichtigen Orchesters; im Geistigen für die Vermeidung jeder verzerrenden Karikatur und ihren Ersatz durch vornehme, überlegene Ironie.


Vielleicht, daß Kaiser Joseph gerade aus Cosi fan tutte, das sich ja viel enger an die italienische Opera buffa anschließt, eine günstigere Meinung von Mozarts Fähigkeit zum Theaterkomponisten gewonnen hätte, als aus seinen unvergleichlichen Meisterwerken, und ihn danach häufiger mit Aufträgen bedacht hätte, wenn er nicht schon einen Monat nach der ersten Aufführung des Werkes gestorben wäre (20. Febr. 1790). Wir könnten es freilich nur schwer bedauern, wenn Mozart durch zwingende äußere Einflüsse noch öfter im Bereich der italienischen Opera buffa festgehalten worden wäre, den er selber so glücklich gesprengt hatte, so willkommen uns dieses eine Werk innerhalb der glänzenden Reihe seiner letzten Schöpfungen ist. Aber wir haben noch einen Fall, der ihn zur Dienstleistung innerhalb der italienischen Oper zwang, und hier zeigt sich die Ungunst dieser Kunstform in viel verhängnisvollerer Weise. Allerdings handelt es sich hier auch um eine opera seria, die nicht nur als Gattung uns Deutschen ferner liegt, als die opera buffa, sondern auch Mozarts Persönlichkeit ganz fremd geworden war. Der künstlerische Zusammenhang rechtfertigt es, wenn wir bereits hier

La clemenza di Tito

behandeln, obwohl wir damit dem biographischen Geschehen etwas vorgreifen.

Der Auftrag zu diesem Werke wurde Mozart Mitte August 179l von den böhmischen Ständen erteilt, die bei dieser Gelegenheit zeigten, wie hoch bei ihnen Mozarts Ansehen stand. Das Werk sollte als Festoper bei der Krönung des neuen Kaisers Leopold II. zum böhmischen Könige, am 6. September, aufgeführt werden. Abgesehen davon, daß kaum drei Wochen für die Fertigstellung zur Verfügung standen, fiel auch sonst der Auftrag in eine denkbar ungünstige Zeit. Mozart war voll von seiner Arbeit an der »Zauberflöte« und aufs tiefste gepackt durch den ihm so geheimnisvoll gewordenen Auftrag zum Requiem. Außerdem war er krank und zwang nur mit Mühe seinem Körper die außerordentliche Arbeitsleistung ab. Mozart reiste sofort nach Prag und arbeitete schon unterwegs; das im Wagen Skizzierte führte er abends im Wirtshaus aus. Er konnte dabei erst in Prag die endgültige Besetzung erfahren, für die zwei besondere Sängerinnen aus Italien verschrieben waren, und es ist bezeichnend für die Art, wie er aus der Gewohnheit der Opera seria herausgewachsen war, daß er zuerst die Liebhaberrolle einem Tenor zugedacht hatte, während sie doch aller Überlieferung gemäß einem Kastraten zufiel. Das heißt, man war jetzt menschlicher geworden; an die Stelle des Kastraten trat eine Sängerin, was aber in dramatischer Hinsicht natürlich noch eine Verschlechterung bedeutete. In achtzehn Tagen war das Werk fertig; am 6. September kam es zur Aufführung und gefiel sehr wenig. Der Beifall hat sich ja später etwas gefestigt, die Oper hat auch verhältnismäßig schnell den Rundgang über die Bühnen angetreten, aber alles in allem müssen auch wir die Oper als solche ablehnen und können nur einige Stücke daraus als musikalische Perlen für den Konzertsaal retten.

La clamenza di Tito war bereits 1734 von Metastasio gedichtet und im gleichen Jahre mit einer Komposition Caldaras zum Namenstage Karls VI. aufgeführt worden. Dem Stoffe nach eignet es sich in hohem Maße zur Fürstenhuldigung, und ist als solche denn auch mehrfach von bedeutenden Komponisten vertont worden (u. a. 1735 von Leo, 1737 von Hasse, von Iomelli, 1751 von Gluck, 1760 von Scarlatti, 1769 von Raumann). Für die neue Aufführung hatte der sächsische Hofpoet Mazzola das Buch neu bearbeitet, den Gang der Handlung von einigen Episoden befreit und die ausgedehnten Sekkorezitative vielfach durch Arien und vor allem durch Ensemblesätze ersetzt, welch letztere man nicht mehr in der Oper missen mochte. Der Inhalt ist eine Verherrlichung der sprichwörtlich gewordenen Milde des Kaisers Titus. Vitellia, des durch Kaiser Vespasian entthronten Vitellius Tochter, sinnt auf Rache, da sich ihre Hoffnung, Titus werde sie zur Gemahlin begehren, nicht erfüllt hat. Sie benutzt die Leidenschaft des für sie entbrannten Sextus, um diesen zur Ermordung des Kaisers zu bereden. Obwohl mit Titus befreundet, läßt sich Sextus zur Tat bereden. (Verwandlung.) Inzwischen hat Titus seine Geliebte Berenice aus Rom entfernt und bittet bei einem glänzenden Feste den Sextus um die Hand seiner Schwester Servilia. Betroffen schweigt dieser, da er weiß, daß sein Freund Annius Servilia liebt. Aber Annius gewinnt es über sich, dem Kaiser Servilias Vorzüge ins hellste Licht zu setzen, um dieser das glänzende Glück zu verschaffen. Doch Servilia bleibt ihrer Liebe treu, eilt zu Titus, der willig seinem Wunsche entsagt, um Annius glücklich zu sehen. Vitellias Wut aber ist durch diese Nachricht von des Kaisers Werbung um Servilia aufs höchste entfacht, so daß sie Sextus gebietet, den Mordplan sofort ins Werk zu setzen. Wie groß ist ihr Entsetzen, als sie zu spät vernimmt, daß Titus jetzt sie zur Gemahlin erkoren hat. – Nach einer neuen Verwandlung stehen wir vor dem Kapitol, das die Verschworenen in Brand gesetzt haben. In furchtbarstem Kampfe zwischen der Leidenschaft für das Weib und der Liebe für den Freund hat Sextus den Mord an Titus vollbracht. Damit schließt der erste Akt. Auch der zweite hat drei Szenen auf verschiedenen Schauplätzen. In der ersten beschwört Vitellia Sextus, zu fliehen, woran dieser durch die Verhaftung verhindert wird; gefangene Mitverschworene haben ihn als Rädelsführer genannt. Titus selbst lebt; Sextus hat einen Mann getroffen, der zufällig des Königs Mantel trug. In der zweiten versucht Titus umsonst von Sextus zu erfahren, wie er trotz ihrer Freundschaft zu dieser Tat gelangen konnte. Sextus schweigt, um Vitellias Ehre zu schonen, und so muß Titus das vom Senat gefällte Todesurteil bestätigen. Als im Amphitheater alles bereit ist, um an Sextus die Strafe zu vollziehen, gewinnt es Vitellia endlich über sich, ihre Schuld einzugestehen. Tief erschüttert steht Titus. Er überwindet aber jeden Rachegedanken und verzeiht allen.

Man kann bei allen diesen Personen kaum von Charakteren reden. Es sind Schablonen, deren Handeln und Fühlen uns kaum irgendwo Teilnahme abgewinnt. Nur in Vitellia wühlt wenigstens der starke Strom wilder Leidenschaft. Aber diese ist auch wieder so maßlos, so geradezu stereotyp, daß auch hier eine menschliche Teilnahme für sie nicht wachwerden kann, zumal der Umschwung in ihrer Gesinnung so spät eintritt, daß er nur eben dazu ausreicht, einen günstigen Schluß herbeizuführen.

Man kann es sich leicht vorstellen, daß Mozart höchstens von Einzelheiten in dieser Dichtung innerlich gepackt wurde. Dazu kamen dann die ungünstigen äußeren Umstände, von denen schon die Schnelligkeit der Arbeit Rochlitz zu seinem Urteil berechtigte: »Er sah sich gezwungen, da er kein Gott war, entweder ein ganz mittelmäßiges Werk zu liefern oder nur die Hauptsätze sehr gut, die minder interessanten ganz leichthin und bloß dem Zeitgeschmack des großen Haufens gemäß zu bearbeiten; er wählte mit Recht das letztere.« Dieses »letztere« trifft zunächst die Arien von Sextus und Vitellia. Die Unnatürlichkeit des äußeren Auftritts, daß eine in Mannskleider gesteckte Sängerin von rasender Leidenschaft für ein anderes Weib zu singen hatte, hat es wohl mit sich gebracht, daß Mozart die große Arie des Sextus mehr als ein Konzertstück und nicht eigentlich aus der gedachten Haltung der Oper heraus komponiert hat. Die Handlung gibt dann bloß mehr die allgemeine Grundlage. Auch die große Arie der Vitellia, als sie sich zum Entschluß der Aufopferung hindurchkämpft, ist mehr als Stück für sich behandelt, als solches aber von wunderbarer Schönheit. Neben diesen beiden Arien besitzt die Oper im Finale des ersten Aktes einen Teil, in dem sich auch der Dramatiker Mozart glänzend offenbart. Das begleitete Rezitativ, in dem Sextus sich in Selbstvorwürfen zerquält, leitet das Ganze bedeutsam ein. Durch das Hinzutreten von Annius, Servilia, dem Wachehauptmann Publius und Vitellia entwickelt sich nach Einzelgesängen ein Quintett, in das von fernher die wilden Rufe des Volkes (als unsichtbarer Chor) hineintönen. Nochmals ein kurzes Rezitativ des Sextus, dann endet das Ganze allem Herkommen entgegen in einem Andantesatz, der von dem Gefühl des Schmerzes, des Entsetzens über das furchtbare Verbrechen beherrscht ist. Die Solostimmen vereinigen sich hier mit dem näher herangekommenen Chore zu einem Gesamtbilde von tiefernster Schönheit. Im allgemeinen aber merkt man an jeder Stelle, daß Mozart für die Opera seria eine eigentliche Teilnahme nicht mehr aufbringen konnte, so daß ein Vergleich mit dem alten »Idomeneo« sehr zuungunsten des »Titus« ausfällt. Sogar die Ouvertüre des letzteren steht weit zurück, und die Art, wie das Orchester auf weite Stellen hin nur in der geringeren italienischen Art als Begleitungsinstrument wirkt, zeigt einen weiten Abstand gegen den unerschöpflichen Reichtum der älteren Partitur. Auch die Tatsache, daß Mozart die Sekkorezitative seinem Schüler Süßmayr überließ, findet durch die Schnelligkeit der Arbeit keine ausreichende Begründung, sondern bestätigt eine gewisse Gleichgültigkeit.

Aus alledem ergibt sich, daß man den »Titus« nicht zum Maßstab nehmen darf, wenn es gilt, Mozarts Befähigung für die Opera seria abzuschätzen. Wir stehen aber überhaupt hier, am Schlusse der Betrachtung der italienischen Opern Mozarts, vor der Frage, welche

Stellung in der italienischen Oper

ihm gebührt. Sieht man, daß von den zwanzig vollendeten dramatischen Werken, die Mozart uns hinterlassen hat, fünfzehn in italienischer Sprache geschaffen sind, so muß man äußerlich denen zustimmen, die ihn in erster Linie als »italienischen Opernkomponisten« betrachtet wissen wollen. Er stände da bei einer großen Zahl anderer deutscher Komponisten, unter denen sich auch Händel, Gluck und Mozarts Londoner Freund Christian Bach finden. Der Deutsche Hasse ist durch Jahrzehnte der anerkannte Führer der italienischen Oper gewesen, und auch zu Mozarts Lebzeiten haben manche deutsche Komponisten, man denke nur an Gottlieb Naumann, auf italienischen Bühnen ihren Platz behauptet. Ich halte trotzdem die Einstellung Mozarts in diese Reihe, obgleich sie neuerdings von dem so außerordentlich verdienstvollen Hermann Kretzschmar betont worden ist (Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 1905), für irreführend. Zunächst liegen elf von jenen fünfzehn Opern in der Zeit bis 1775, also vor Mozarts zwanzigstem Lebensjahr. Wenn man solchen Jugendarbeiten nachrühmen kann, daß sie das von anderen dargebotene technische Rüstzeug geschickt verwerten, so ist das etwas bereits ganz Außergewöhnliches; zu erwarten, daß in diesem Lebensalter jemand gar in der Dramatik, die doch Lebenserfahrung voraussetzt, irgendeine eigene persönliche Bedeutung einnehmen könnte, geht nicht an. Man kann also hier höchstens mit Kretzschmar feststellen, daß durch die äußeren Umstände Mozart der eben herrschenden Richtung in dieser italienischen Opera seria zugeführt wurde und bedauern, daß diese neuneapolitanische Schule in der Wucht des dramatischen Ausdrucks, dem Ernst des Vortrags und der gesamten Auffassung keinen Vergleich mit der älteren Opera seria aushält. Auch der »Idomeneus« liegt streng genommen noch vor Mozarts Reife zum Mann. Es ist wahr, daß Mozart damals den Kern der Opernreform Glucks nicht erfaßt hat, daß er Gluck selber nur musikalisch sich nutzbar machte. Aber diese Erkenntnis des Tiefsten in Glucks Neuerung lag auch jenseits des damaligen Geistes- und Seelenzustandes Mozarts, so frühreif dieser auch gewesen ist. Die Betonung der psychologischen Entwicklung in Glucks Werken konnte den Zeitgenossen auch nicht in dem Maße als das Wichtige erscheinen wie uns Späteren, wie denn auch alle Glucks Reformwerk hauptsächlich nach seinem Verhältnis zur Musik beurteilten. Dann aber haben wir ja bereits in früheren Ausführungen erkannt, wie ganz anders geartet Mozarts Natur war, wie diese ihn zu jenem ungeheuren Fortschritt führte, daß er die Schranken zwischen Opera seria und Opera buffa in Shakespearescher Art niederlegte. So blieben also als Leistungen des reifen Meisters nur »Figaro« und »Don Juan« zum Vergleich, und diese können aus früher dargelegten Gründen nicht als eigentliche italienische Opern gelten.

Daß Mozart imstande gewesen wäre, tragische Opern zu schaffen, kann niemand bezweifeln, der die tragischen Akzente aus Don Juan und Zauberflöte vernommen hat. Im übrigen bestreitet Kretzschmar ja auch keineswegs diese Fähigkeit Mozarts. Worauf es ihm ankommt, ist, der allgemein üblichen Darstellung entgegenzutreten, wonach Mozarts erste italienische Opern »die Tradition einer langen Entwicklung zum Abschluß gebracht hätten«. Es geschieht Mozart kein Unrecht, wenn man feststellt, daß es nicht wahr ist, daß er in der Opera seria das Höchste geleistet habe, was der italienische Stil überhaupt zuließ. Wir erkennen beim »Titus« bei aller Raschheit, mit der er geschaffen ist, vielmehr, daß Mozart aus diesem ganzen Stil herausgewachsen war. Wir dürfen sicher sein, daß, wenn es ihm das Schicksal vergönnt hätte, noch mehr tragische Opern in italienischer Sprache zu schaffen, sie ebensowenig wirklich italienisch gewesen wären, wie seine Meisteropern komischen Inhalts.

Wie wenig Mozarts »Figaro« und »Don Juan« im innersten Wesen italienisch sind, haben wir bereits zu Eingang dieses Kapitels ausgeführt. Daran ändert die Tatsache nichts, daß in hundert Einzelzügen der Melodiebildung große Ähnlichkeiten mit Italienern zutage treten. Das bringt die Gleichheit der Sprache und die Einstellung auch des größten Meisters in die Gesamtentwicklung der Kunst mit sich. Mozart ist keineswegs überall neu, und er selber hat die Meister der italienischen komischen Oper sehr hoch geschätzt. Alles das ist aber nur wenig im Vergleich zur Tatsache, daß der ganze Geist dieser Opern Mozarts ein von jenen Italienern grundverschiedener ist. Daß gerade Italien diese Meisterwerke um des »fremden Geistes« willen ablehnte, haben wir bereits betont. Als Gegengewicht gegen jene formalen Beziehungen Mozarts zu italienischen Vorbildern steht dann hier seine Einwirkung auf die späteren Italiener. Auch für diese hat Kretzschmar aus dem einzigartigen Schatze seines Wissens zahlreiche Belege beigebracht. Rein musikalisch zeigt sie sich bereits bei Cimarosa und Righini. Cherubini und Spontini bezeugen dann, daß man von Mozart vor allem den Ausdruck der edlen Gefühle, des tiefen Empfindens lernte. Bei Rossini wird das ganz offenbar, und es reicht bis in Donizettis Zeit. Sodann hat das Mozartische Orchester die Italiener stark beeinflußt, vor allen Dingen seine Verwendung der Bläser. Die von Mozart erschlossene Schönheit dieser Instrumentengruppe führt von den ersten Musikdramen Rossinis über die große Oper Meyerbeers und Spontinis bis in die Musikdramen Richard Wagners. Bei diesem, wenn auch in unendlich vergrößertem Maßstabe, erscheinen sie aus dem großen Effektmittel umgewandelt zum Ausdruck tiefsten Empfindens, so wie es bei Mozart gewesen war.


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