Karl Storck
Mozart – Sein Leben und Schaffen
Karl Storck

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3. Heimatliches Intermezzo

Kurz vor der Heimkehr hatte der Vater an Freund Hagenauer geschrieben: »Es kommt darauf an, daß ich zu Hause eine Existenz habe, die besonders für meine Kinder zweckgemäß ist. Gott (der für mich bösen Menschen allzu gütige Gott) hat meinen Kindern solche Talente gegeben, die, ohne der Schuldigkeit des Vaters zu denken, mich reizen würden, alles der guten Erziehung derselben aufzuopfern. Jeder Augenblick, den ich verliere, ist auf ewig verloren, und wenn ich jemals gewußt habe, wie kostbar die Zeit für die Jugend ist, so weiß ich es jetzt. Es ist Ihnen bekannt, daß meine Kinder zur Arbeit gewöhnt sind: sollten Sie aus Entschuldigung, daß eins oder das andere z. B. in der Wohnung und ihrer Gelegenheit sie verhindert, sich an müßige Stunden gewöhnen, so würde mein ganzes Gebäude über den Haufen fallen. Die Gewohnheit ist ein eisern Pfad (Hemd), und Sie wissen auch selbst, wieviel mein Wolfgang noch zu lernen hat. Allein, wer weiß, was man in Salzburg mit uns vor hat! Vielleicht begegnet man uns so, daß wir ganz gern unsere Wandelbündel über den Rücken nehmen. Wenigstens bringe ich dem Vaterlande, wenn Gott will, die Kinder wieder. Will man sie nicht, so habe ich keine Schuld. Doch wird man sie nicht umsonst haben.«

Es war nicht nur die Lebensklugheit, die Leopold Mozart verbot, in Salzburg die Gelegenheit, für seine Kinder etwas zu erwerben, ungenützt vorübergehen zu lassen, sondern wohl noch mehr die Überzeugung, daß in den kleinen Verhältnissen daselbst der rechte Boden für die künstlerische Entwicklung nicht vorhanden war. Dagegen konnte ihm ebensowenig verborgen bleiben, daß ein zeitweiliges Ausruhen in gefestigter Häuslichkeit für das Gedeihen der ihm anvertrauten Kinder – so faßte er ja seine Lebensaufgabe auf – nur von günstigem Einfluß sein konnte. Allerdings gehörte dazu, daß die Lebensverhältnisse daheim erträgliche waren, nicht nur in pekuniärer Hinsicht, sondern auch in den Anforderungen des Amts und in der ganzen Tonart. Gerade daß in dieser letzteren Hinsicht berechtigte Wünsche nicht erfüllt werden würden, daß es da viel zu Reibereien und peinlichen Verhältnissen kommen würde, konnte dem klugen Vater nicht verborgen bleiben. Nicht umsonst hatte er von seinen Reisen oft betont, daß er nur mit vornehmen und gebildeten Leuten zu tun habe, und er hatte da doch auch eine gesellschaftliche Behandlung erfahren, die weit von der Art abstach, wie sie in der kleinen Residenz daheim einem abhängigen Manne zuteil wurde. Er mußte vorausahnen, daß man nun zu Hause den weitgereisten Mann, der so viele Triumphe in der Fremde gefeiert hatte, in kleinlichem Neid erst recht seine Abhängigkeit würde fühlen lassen. Ebenso konnte er darauf gefaßt sein, bei der Bürgerschaft alles eher als verständnisvolle oder gar freudige Teilnahme für seinen Wundersohn zu finden. Wie sehr sich in späterer Zeit die Befürchtungen Leopold Mozarts als berechtigt erwiesen, werden wir noch hinlänglich erfahren. Es ist dahin gekommen, daß Wolfgang, der auf dieser Reise noch manchmal aus Heimweh nach der Vaterstadt in Tränen ausgebrochen war, keinen Ort auf der Welt so ingrimmig haßte, wie gerade das schöne Salzburg. Jetzt war es aber noch weit davon. Der Knabe war ja noch ein glückliches Kind, und der Vater war klug und geschickt genug, alles von ihm fernzuhalten, was ihm vorzeitig einen Blick in das gemeine Getriebe der Welt eröffnet hätte.

Beinahe ein ganzes Jahr haben sie nun ruhig in Salzburg verbracht. Des Vaters Lehrprogramm war, unter Beibehaltung der hohen Fähigkeiten im Technischen und Mechanischen, die gründliche Ausbildung in der Kompositionslehre. Er hatte des alten Fux » Gradus ad pernassum« gründlich durchstudiert und unterrichtete seinen Sohn nach diesem großen Vorbilde in den Regeln des strengen Satzes. Zunächst wollte man nun auch daheim einen Beweis davon haben, daß der kleine Wolferl, der als Klavierspieler weggegangen, inzwischen ein Komponist geworden sei. So wurde ihm für den Jahrestag der Inthronisation des Erzbischofs (21. Dez. 1766) die »Licenza« in Auftrag gegeben. Danach ließ ihn der Erzbischof eine Woche bei sich einschließen, ohne daß er jemand sehen durfte, und in dieser Abgeschlossenheit mußte er ein Oratorium komponieren. Das für die Fastenzeit 1767 bestimmte Oratorium, zu dem der Erzbischof selber den Text gegeben hatte, ist in Salzburg im Druck erschienen unter dem Titel »Die Schuldigkeit des ersten und fürnehmsten Gebotes, Mark. 12, V. 30. Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von deinem ganzen Herzen, von deiner ganzen Seele, von deinem ganzen Gemüt und aus allen deinen Kräften. In dreien Teilen zur Erwägung vorgestellt von J. A. W.« (wahrscheinlich Jak. Ant. Wimmer, nicht Joh. Ad. Wieland, wie Köchel annahm). Wolfgang fiel der erste Teil zu, die beiden andern wurden von Michael Haydn und dem Organisten Adlgasser komponiert. Der Knabe bestand mit allen Ehren neben den beiden alterprobten Komponisten. Nur die Schrift der 208 Seiten fassenden, reichlich mit Tintenklexen gezierten Partitur verrät den Knaben. Die Formen des italienischen Oratoriums, in denen das Werk gehalten ist, sind dagegen mit vollkommener Sicherheit gehandhabt. Ja man kann sogar ein bewußtes Streben nach Charakterisierung des Wortes als über die Gewohnheit hinausgehend bezeichnen. Daß die Musik an sich keine Originalität zeigt, ist ganz selbstverständlich. Aber eine Stelle, eine Tenorarie, »Manches Übel will zuweilen«, ist doch schon da, die in der schönen Führung der innigen Melodie den späteren Mozart vorahnen läßt.

Außer diesem Oratorium hat der zehnjährige Mozart vom Dezember 1766 bis Mai 1767 noch zwei größere Werke geschaffen, darunter die lateinische Schuloper » Apollo et Hyacintus«, wozu er sich auch die Grundzüge des Lateinischen angeeignet hatte. Man weiß nicht, ob man die wunderbare produktive Veranlagung oder die Arbeitsleistung des Kindes mehr bewundern soll.

Im Sommer 1767 gewann dann die Absicht einer neuen Reise nach Wien greifbare Gestalt, und der Knabe schuf sich dafür vier Klavierkonzerte. Auch diese Kompositionen erwecken an sich keine weitere Teilnahme. Aber beachtenswert ist, daß der Knabe, trotzdem er mit diesen Werken als Virtuose glänzen sollte, alles nur Virtuosenhafte, alles auf Kunststück oder äußerliches Paradieren Zielende vermied, dagegen den Nachdruck auf die gesangreiche Melodie verlegte, daß er ferner das Orchester nicht als bloße Begleitungsmaschine ansah, sondern danach strebte, es künstlerisch in den Gesamteindruck hineinzuziehen. In diesen Zügen verkündet sich der echte, große Mozart. Anfang September 1767 reiste die ganze Familie Mozart nach Wien. Die Vermählungsfeierlichkeiten einer Erzherzogin mit dem König von Neapel berechtigten zu der Hoffnung, daß der Knabe Gelegenheit haben würde, von seinen glänzenden Fortschritten Zeugnis abzulegen. Das ganze Unternehmen war aber nicht vom Glück begünstigt. In Wien, auch am kaiserlichen Hof, herrschten die Blattern, und obwohl der Vater vor denselben mit seinen Kindern nach Olmütz flüchtete, wurden auch sie davon ergriffen. Der kleine Wolfgang hatte sie so heftig, daß er neun Tage blind dalag. Beim Domdechanten von Olmütz, einem Grafen von Podstatzky, hatte die ganze Familie Aufnahme gefunden. Auch die mehreren Wochen, während derer Wolfgang nach der Genesung seine Augen schonen mußte, brachten sie in diesem gastfreundlichen Hause zu. Die Mußezeit wurde von dem Knaben benutzt, um fechten zu lernen. Auch die Kartenkunststückchen, die ihm zur Unterhaltung von einem erzbischöflichen Kaplan vorgemacht wurden, eignete er sich schnell an. Mozart hat zeitlebens eine große Vorliebe für leichte körperliche und geistige Unterhaltung gehegt. Er hat später z. B. dem Billardspiel mit größtem Eifer gehuldigt. Ebenso war er in der Gesellschaft wie auch im Briefwechsel zur Spaßmacherei immer aufgelegt. Die kindischen Wortverdrehungen und Wortspielereien, die beim Knaben als ganz natürlich erscheinen mögen, verblüffen beim Mann. Alles das erscheint geradezu als Notwehr des an die realen Bedingungen des Lebens, an die Forderungen des Körpers gebundenen Menschen wider die Übermacht der in ihm wirkenden göttlichen Schöpferkraft. Jeder, der einmal wirklich mit Anspannung aller geistigen Kräfte gearbeitet hat, kennt die erlösende Wirkung von Kartenspielen, die freilich niemals ins stumpfsinnig Mechanische gehören dürfen, sondern in der Art wie etwa auch das Billardspiel eine geistige Anstrengung ganz anderer Art erfordern, und es ist bekannt, wie gerade in solchen Zeiten die derbe Spaßhaftigkeit des Zirkusclowns auf ästhetisch sehr fein eingestimmte Gemüter wirkt. Auch Beethovens Briefe bezeugen diese Gegenarbeit des Körpers wider die übermächtige Anspannung der geistigen Kräfte. Wenn er in seinen erschütternden, durch alle Welten hinreißenden Improvisationen sein Innerstes offenbart hatte, pflegte er aufzuspringen und entsetzte mit gellendem Lachen die ergriffene Zuhörerschaft. Für ihn war das eine Befreiungstat, ein Losschütteln jener gewaltigen Urkraft, die so geheimnisvoll ist, daß sie auch den schreckt, in dem sie waltet. Was sich so in gewaltmäßiger Art beim Titanen offenbart, das gewann bei dem schönheitsseligen Mozart, der im Paradiesestraum wandeln durfte, um seine göttlichen Lieder zu erlauschen, die heitere Form des harmlos spielenden Kindes.

Als sie im Januar 1768 in Wien eintrafen, mußten sie einsehen, daß die Verhältnisse sich gegenüber ihrer letzten Besuchszeit wesentlich verändert hatten. Zwar an sich bezeugte der kaiserliche Hof den Mozarts die alte persönliche Anteilnahme. Aber die Kaiserin Maria Theresia besuchte seit dem Tode ihres Gatten weder Theater noch sonstige Musikaufführungen; der Kaiser Joseph befleißigte sich in seiner ganzen Hofhaltung größter Sparsamkeit, die nach den schweren Opfern des siebenjährigen Krieges am Platze sein mochte, aber sich doch gerade in der Knauserei gegen die Künste schwer rächte, zumal auch der Adel dem Beispiel des Hofes folgte. Denn sicher liegt hier der letzte Grund dafür, daß das Wiener Publikum in seinem Vergnügungsgeschmack tiefer stand als je. Leopold Mozart erkannte das sehr wohl, wie seine Worte zeigen: »Daß die Wiener, in genere zu reden, nicht begierig sind, Ernsthaftes und Vernünftiges zu sehen, auch wenig oder gar keinen Begriff davon haben und nichts als närrisches Zeug: Tanzen, Teufel, Gespenster, Zaubereien, Hanswurste, Lippel, Bernardons, Hexen und Erscheinungen sehen wollen, ist eine bekannte Sache, und ihre Theater beweisen es täglich. Ein Herr auch mit einem Ordensbande wird wegen einer hanswurstlichen Zote oder einfältigen Spasses mit den Händen klatschen, lachen, daß er fast aus dem Atem kommt, hingegen bei der ernsthaftesten Szene, bei der rührendsten und schönsten Aktion und bei den sinnreichsten Redensarten mit einer Dame so laut schwatzen, daß andere ehrliche Leute kein Wort verstehen.«

Obendrein bot Wolfgang Mozart ja auch für Wien nicht mehr die Sensation des Wunderkindes. Er war jetzt immerhin zwölf Jahre alt; das war natürlich etwas ganz anderes, als wenn ein sechsjähriges Kind konzertierte. Sich über die großartige künstlerische Entwicklung des Knaben klar zu werden, hätte man bei der oberflächlichen Vergnügungssucht gar nicht versucht, selbst wenn man es vermocht hätte. Zu der Gleichgültigkeit des Publikums kam aber der Neid und die ängstliche Eifersucht der Berufsgenossen. Das Wunderkind hatte man zu seiner Zeit gelten lassen, das war eine Sache für sich; jetzt aber erkannten die Fachleute in dem zwölfjährigen Knaben den Konkurrenten, und da ließen sie es auch an den erbärmlichsten Mitteln nicht fehlen, ihn vom Kampfschauplatz zu verdrängen.

Da war es doch der Kaiser, der eine Gelegenheit herbeizuführen suchte, bei der der junge Künstler sein Können zu zeigen vermochte. Er forderte Mozart auf, eine Oper zu komponieren und äußerte dabei den Wunsch, ihn selber sie dirigieren zu sehen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte dieses Verlangen des Kaisers wohl alle Tore geöffnet. Nicht so jetzt. Denn die Theater wurden nicht von einer kaiserlichen Intendanz verwaltet, sondern waren an einen Unternehmer verpachtet, für den der Hof eigentlich nur Lasten bedeutete. Der Kaiser konnte also etwas weiteres nicht tun, als dem damaligen Unternehmer Afflisio, einem Erzgauner, seinen Wunsch auszusprechen. Der alte Mozart seinerseits suchte die Sänger zu gewinnen, was bei den damaligen Verhältnissen des Opernlebens am wichtigsten war, und so schloß denn auch Afflisio mit Wolfgang den Kontrakt ab, die Oper aufzuführen und mit hundert Dukaten zu honorieren.

Da die komischen Kräfte besser waren, entschied man sich für eine komische Oper, zu der Marco Coltellini den Text schuf. Es war »La finta semplice« (»Die verstellte Einfalt«), eine komische Oper in drei Akten. Soviel Schwierigkeiten sich auch gleich ergaben, der junge Komponist ließ sich nicht beirren, und bald hatte er die Partitur von 558 Seiten beendet. Da setzte ein tolles Intrigenspiel ein. Erst berief man sich mit verletzter Würdigkeit darauf, daß es unerhört sei, einen zwölfjährigen Knaben an der Stelle dirigieren zu lassen, an der ein Gluck gestanden habe. Dann hieß es, »die Musik sei keinen blauen Teufel wert, sie sei nicht auf die Worte und wider das Metrum geschrieben, indem der Knabe nicht genug von der italienischen Sprache verstehe.« Der kampfgerüstete Vater wußte dagegen Zeugnisse Hasses und Metastasios ins Feld zu führen. Nun behauptete man, die Musik sei gar nicht vom Knaben, sondern vom Vater, die ganze Sache laufe auf Betrügerei heraus. Auch diesen Streich wehrte der Vater geschickt ab, indem er seinen Sohn bei großen öffentlichen Gesellschaften beliebige Arien improvisieren ließ. Da machten sich die Gegner an die heimtückische Minenarbeit; sie hetzten die Orchestermitglieder auf, sie intrigierten bei den Sängern, so daß schließlich auch der Impresario kopfscheu wurde und an der Möglichkeit eines Erfolgs verzweifelte. Afflisio war eine Abenteurernatur, dem nichts ferner lag, als sich für irgend ein Kunstwerk einzusetzen, und als der erboste Vater nach ständigem Hinausschieben der Aufführung endlich auf die Erfüllung des Kontraktes drang, versprach ihm der Ehrenmann zwar diese Aufführung, aber gleichzeitig gab er ihm die Zusicherung, daß er dafür sorgen würde, daß das Werk ausgepfiffen werde. Da mußte denn auch Leopold Mozart die Sache aufgeben.

Für die Mozarts bedeutete das einen schweren Schlag. Dreiviertel Jahre war nun die ganze Familie in Wien und mußte hier von ihren Ersparnissen leben, denn dem Vater war das Gehalt von Salzburg aus nicht weiter nachbezahlt worden. Er konnte es auf die Kraftprobe nicht ankommen lassen, da er sich die Stellung in der Heimat sicherhalten wollte, und mußte sich also fügen. Was ihn stärkte, war die Überzeugung, daß es seine Pflicht sei, die Welt mit dem Wundergenie seines Sohnes bekanntzumachen. Das hatte sich bei ihm bis zu einer religiösen Überzeugung verdichtet, wie aus einem Briefe an den Erzbischof hervorgeht: »Wenn ich jemals schuldig bin, die Welt dieses Wunders halber zu überzeugen, so ist es eben jetzt, da man alles, was man ein Wunder heißt, lächerlich macht und allem Wunder widerspricht. Man muß demnach überzeugen; und war es nicht eine große Freude und ein großer Sieg für mich, da ich einen Voltairianer (Grimm) mit einem Erstaunen zu mir sagen hörte: Nun habe ich einmal in meinem Leben ein Wunder gesehen; das ist das erste. Weil nun aber dieses Wunder zu sichtbarlich und folglich nicht zu widersprechen ist, so will man es unterdrücken, man will Gott die Ehre nicht lassen. Man denkt, es kommt nur noch auf einige Jahre an, alsdann verfällt es ins Natürliche und hört auf, ein Wunder Gottes zu sein. Man will es demnach den Augen der Welt entziehen; und wie würde es sichtbarer als in einer großen, volkreichen Stadt durch ein öffentliches Spektakel!«

Im übrigen war gerade das etwas pessimistische Temperament des Vaters, der sich niemals trügerischen Hoffnungen hingab, zu diesem Kampf mit Bosheit und Scheelsucht geeignet. »So muß man sich in der Welt durchraufen; hat der Mensch kein Talent, so ist er unglücklich genug, hat er Talent, so verfolgt ihn der Neid nach dem Maße seiner Geschicklichkeit. Allein mit Geduld und Standhaftigkeit muß man die Leute überzeugen, daß die Widersacher boshafte Lügner, Verleumder und neidische Kreaturen sind, die über ihren Sieg in die Faust lachen würden, wenn man sich erschrecken oder ermüden ließe.«

In dem festen Vertrauen auf das Genie seines Sohnes konnte Leopold Mozart durch diese Oper » La finta semplice« jedenfalls nur bestärkt werden. Da die Handschrift des Werkes erhalten blieb, vermochte auch die Nachwelt sich davon zu überzeugen, daß es den Vergleich mit den komischen Opern der damaligen Zeit zum wenigsten aushält. Der Text ist freilich in jeglicher Hinsicht kläglich, wie Mozart überhaupt in seinen ersten italienischen Opern in der Hinsicht kein Glück gehabt hat. Um so offenkundiger zeigt sich die feine Natur des Knaben, der sich von seiner Vorlage nirgendwo ins Gewöhnliche, ins niedrig Komische und Burleske hinabziehen ließ, sondern immer nach Feinheit strebte. Auch Versuche musikalischer Charakteristik sind zahlreich vorhanden, die Technik verrät nirgendwo die Kinderhand, das angeborene Gefühl für jeglichen Bühneneffekt beweist sich an zahllosen Stellen. Alles in allem: die Oper durfte in der Tat rein durch ihre künstlerischen Eigenschaften, ganz abgesehen davon, daß sie das Werk eines Knaben war, innerhalb der damaligen Kunstverhältnisse den Anspruch erheben, auf die Bühne zu kommen. In Einzelheiten, so in der ersten Arie des einfältigen Polidoro, erhebt sie sich weit über den Durchschnitt. Die Schönheit dieser ruhig hinströmenden Melodie, die schöne Rundung der einzelnen Teile zum Ganzen ist mozartisch im späteren, hohen Sinne des Wortes.

Als eine Art Entschädigung für den Ausfall der öffentlichen Opernvorstellung konnte man die Gelegenheit ansehen, wenigstens in einem größeren privaten Kreise die dramatische Begabung des Knaben offenkundig zu machen. Im reichen Hause des Mozarts befreundeten Dr. Meßmer – Nissen scheint recht zu haben, daß er der berühmte Magnetiseur war – wurde ein kleines, von Wolfgang komponiertes Singspiel » Bastien und Bastienne« aufgeführt. Damit trat Wolfgang, der die Gattung des »Singspiels« auf die höchste Stufe heben sollte, mit dem Beginn desselben in nächste Berührung. Denn der ihm vorliegende Text war die Übersetzung einer von Madame Favart 1573 auf den im Jahre zuvor erschienenen »Dorfwahrsager« (» Le devin du village«) Rousseaus geschaffenen Parodie. Rousseau ist durch sein Werkchen der Begründer der neuen französischen Spieloper und der Anreger des deutschen Singspiels geworden. Die Bezeichnung »Parodie« für die Arbeit der Favart bedeutet keineswegs Verspottung. Im Grunde brachte erst diese Parodie die Erfüllung von Rousseaus Ruf nach Natur. Denn hier war das Rokokoschäferspiel des Dorfwahrsagers zu einem »naturalistischen« Bauernstücklein geworden, das auch für die Theatergeschichte von Bedeutung wurde, indem hier zum erstenmal naturgetreue Bauernkostüme auf die Bühne kamen. Die bereits 1764 erschienene deutsche Übersetzung des Stückes, die Mozart vorlag, hat die französische »Parodie« in arger Verrohung wiedergegeben.

Um so reizender und bei aller Lustigkeit feiner ist Mozarts Musik, so daß das Werkchen mit einer neuen Textbearbeitung Max Kalbecks 1891 mit großem Erfolg in den Spielplan der Wiener Hofoper aufgenommen wurde. Vor allem für engere Privatfestlichkeiten sollte man dieses Singspiel im Auge behalten. Der Zwölfjährige beschämt damit fast alles, was für derartige Zwecke dargeboten wird.

Wunderbar ist die erstaunliche Produktionskraft dieses Kindes, das in einer immerhin sehr kurzen Zeit unter keineswegs günstigen äußeren Anständen zwei so große Werke trotz aller Zerstreuungen, die das Leben brachte, zu schaffen imstande war. Dann zeugt es von einem außerordentlichen künstlerischen Feingefühl, einer geradezu als Instinkt wirkenden Sicherheit in allen künstlerischen Fragen, daß es diesem Knaben gelang, Opera buffa und deutsches Singspiel nach ihrer nationalen und künstlerischen Verschiedenheit auseinanderzuhalten. Denn wie die » finta semplice« den Charakter der italienischen Opera buffa wahrte, traf Wolfgang mit »Bastien und Bastienne« die Art des deutschen Singspiels. Dieses wunderbare Stilgefühl konnte Mozart noch ein drittes Mal erweisen, als er aufgefordert wurde, zur Feier der Grundsteinlegung der neuen Waisenhauskirche am Rennwege die Messe zu schreiben. Auch sie hält sich – sei es nun, wie Jahn annimmt, die in G-Dur (Köchel Nr. 49), oder die in C-Moll (Köchel 139), wie Deiters meint – ganz in den überkommenen Formen der missa brevis bzw. wenn Deiters recht hat der missa solemnis, und wenn auch die Behandlung der Chor- und Solostimmen eine gewisse Unsicherheit verrät, so ist doch nicht zu verkennen, daß auch hier bereits beim ersten Versuch der Knabe deutlich fühlte, worauf es ankam. Am 7. Dezember 1768 wurde diese Messe unter des Knaben eigener Leitung »aufgeführt und mit der größten Richtigkeit dirigiert«, wie das »Wiener Diarium« vom 10. Christmond 1768 rühmt.

So war denn doch der Wiener Aufenthalt wenigstens noch einigermaßen erfolgreich zu Ende gegangen. Der Salzburger Erzbischof, dem die Auszeichnung seiner Künstler in der Kaiserstadt doch schmeicheln mochte, tat nach deren Rückkehr sogar ein übriges; er ließ die komische Oper in Salzburg aufführen und ernannte den nun dreizehnjährigen Knaben zum Konzertmeister, allerdings ohne Gehalt.

Das Jahr 1769 wurde nun in aller Ruhe in Salzburg verbracht. Es ist sowohl für die hohe Auffassung des Vaters, der keineswegs darauf ausging, die hervorstechenden Fähigkeiten seines Sohnes für die am meisten gewinnverheißende Opernkomposition einseitig auszubilden, wie auch für den Ernst des Sohnes bezeichnend, daß in diesem Jahre noch zwei Messen komponiert wurden. Wolfgang hatte in Wien wohl gefühlt, daß er dieses Stils noch nicht vollkommen Meister sei, und so gewann er sich im Ernst der Schularbeit die Herrschaft über ihn.


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