Karl Storck
Mozart – Sein Leben und Schaffen
Karl Storck

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1. Die Eltern und das Kind

Die Mozarts stammen aus Augsburg. Schon im 17. Jahrhundert sind sie dort als einfache, meist im Handwerkerstande und immer in bescheidenen Verhältnissen lebende Bürger nachzuweisen. Des Komponisten Großvater war Buchbinder. Als das jüngste seiner Kinder wurde Johann Georg Leopold Mozart am 14. November 1719 geboren. Wir verehren ihn heute als den Vater des größten Musikers; aber auch um seiner selbst willen verdient er als Mensch aufrichtige Verehrung und als Musiker die Beachtung des Historikers.

Wir müssen uns in die kläglichen Verhältnisse des deutschen Stadtbürgertums in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückversetzen, um richtig schätzen zu können, was es hieß, wenn einer durch eigene Kraft, ohne fremde Beihilfe sich diesen Verhältnissen zu entwinden vermochte. Das geistige Leben des deutschen Volkes war damals stumpf; noch hatte kein belebender Hauch über den einst so fruchtbaren Garten der deutschen Volkskultur geweht, der im Dreißigjährigen Kriege so schrecklich verwüstet worden war. Für die Literatur, nach der man ja gewöhnlich den Geisteszustand eines Volkes einzuschätzen gewohnt ist, braucht man nur auf die wichtigsten Jahreszahlen zu verweisen, auf das bekannte Jahr des Heils 1748, in dem Klopstocks »Messias« wie ein Messias einer neuen deutschen literarischen Kultur sein Befreiungswunder für die deutsche Seele vollbrachte. Wir Musiker freilich wollen nicht vergessen, daß vor dieser literarischen Auferstehung ein starkes Leben in Musik bereits erwacht war. Und wenn auch die beiden gewaltigen Riesen unserer Kunst, Händel und Joh. Seb. Bach, in ihrer hehren Größe nicht erkannt wurden; wenn der eine in die Fremde ziehen mußte, wie so viele Deutsche nach ihm, um Anerkennung zu finden, wenn der andere unerkannt, in seelischer Einsamkeit den unerschöpflichen Hort seiner Kunst aufhäufte, aus dem man erst ein Jahrhundert später so recht zu schöpfen begann, so war doch die Musik gerade in der trübsten Zeit die Kraft gewesen, in der wenigstens das seelische Leben und Empfinden auch der breiten Masse des Volkes eine Heimat gefunden hatte. Was die Kantoren in den evangelischen, die Organisten und Kirchensänger in katholischen Gegenden schufen und arbeiteten, war auch dem Geringsten zugänglich, und der künstlerische Lebensschmuck, den die wenig geachteten, aber meist ganz tüchtigen Stadtmusikanten ins weltliche Leben hineintrugen, war auch ein Wert, der wenigstens vor aller Verkümmerung schützte.

Denn sonst war alles elend genug. Die schwere Prüfungszeit hatte ja keineswegs bloß die dreißig Jahre des schrecklichen Krieges gedauert; diesem war schon eine lange Periode kleinerer Händel vorangegangen. Dadurch waren alle geistigen und materiellen Verhältnisse des Bürgertums so erschüttert, daß es schon viel heißen wollte, wenn man es überhaupt vermochte, wieder die äußeren Lebensbedingungen eines erträglichen Daseins zu schaffen. Konnte das allmähliche Gelingen dieser Absicht schon leicht zu einer stumpfen, engen Weltauffassung führen, der ein bescheidenes äußeres Behagen als höchstes Lebensziel erschien, so lastete auf dem ganzen Dasein aufs schwerste der jegliche Selbständigkeit unterdrückende Despotismus der Fürsten, die ihre Völker verachteten, sie ausschließlich als Steuerobjekte behandelten und ihre Gunst nur Fremdlingen oder unter den eigenen Landeskindern den charakterlosen Söldlingen der Fremdsucht zuwandten.

Im deutschen Süden und vor allem in jenen Landstrichen, die das heutige deutsche Österreich bilden, sah es im Grunde noch viel schlimmer aus, als im Norden. Allerdings, die behaglichen und auskömmlichen Verhältnisse des äußeren Lebens hatten sich hier früher eingestellt, dank der Fruchtbarkeit des Landes und seiner ergiebigeren Hilfsquellen; aber um so leichter wurde hier ein äußeres Behagen zum Lebensziel und Lebensinhalt, als der Volkscharakter die kleinen Freuden und leicht zugänglichen Genüsse ohnehin gern zu stark bewertet. Dann aber war zweifellos das stärkere geistige Leben im Norden. Allenfalls, daß die Schweizer ein gewisses Gegengewicht durchhielten. Der deutsche Süden und Österreich lagen dagegen in selbstzufriedenen Schlummer, während sich in Gewittern und Frühlingsstürmen das neuerwachte geistige Leben im Norden ankündigte. Sogar in musikalischer Hinsicht liegen für diese Zeit die starken Keime und Triebfedern der Entwicklung im nördlicheren Deutschland. Denn die katholische Kirchenmusik des Südens verfiel immer mehr demselben Welschtum, das das Theater und alle offizielle weltliche Musik beherrschte, während im Norden von der evangelischen Kirchenmusik aus auch die ganz weltliche Instrumentalmusik mit deutschem Geiste erfüllt wurde. Das literarische Leben erhielt seine starke Neubefruchtung ganz von nordischen Kräften. Klopstock, Lessing, Herder erstehen hier. Wieland, den der deutsche Süden als erste geniale Begabung vorschickt, ist bezeichnenderweise seiner ganzen Art nach unvolkstümlich und hat seinen tiefen Wert darin, daß er Vorzüge der Fremde der Heimatliteratur zuführt. Dann freilich, als erst die Kräfte des Südens geweckt sind, entsprießt dem fruchtbareren Boden auch ein üppigeres Blühen. Immerhin müssen wir bedenken, daß auch Goethe und Schiller nordwärts ihren Weg nahmen, und es ist eine glückliche Fügung, daß dieser Zug nach Norden nicht zu weit hinaufführte, daß zur deutschen Musenstadt die kleine Residenz an der Ilm, in der Mitte der deutschen Lande wurde, wo norddeutsches und süddeutsches Wesen am meisten zu einer glücklichen Harmonie verschmolzen erscheinen. Des ferneren wurden für den deutschen Norden und die Mitte des Landes Friedrichs des Großen Siege fruchtbar, deren höchster erzieherischer Wert darin lag, daß in den Männern echter Mannesgeist, Gefühl für Verantwortung und Bewußtsein des Wertes männlicher Tatkraft geweckt wurde.

Wenn wir uns mehr daran gewöhnen würden, die Kulturentwicklung unseres Volkes von zusammenfassenden Gesichtspunkten aus als die große Entwicklung seines gesamten geistigen und seelischen Lebens aufzufassen, so würde auch die eigentümliche Erscheinung längst schärfer hervorgehoben worden sein, daß für den deutschen Norden und eigentlich auch für das ganze Westdeutschland die Musik als treibende Kulturmacht hinter der Literatur zurücktritt, trotzdem in Bach und Händel eben dieses Land zwei Riesenkräfte und zwei wunderbare Genialitäten hervorgebracht hatte, die ihr ungeheures Lebenswerk geschaffen haben, bevor auch nur eine lebensfähige literarische Erscheinung entstanden war. Die Wirkung der Literatur ist aber immer auch eine stark geistige und setzt eine geistige, verstandesmäßige Veranlagung voraus. Zumal unsere deutsche Literatur hat von vornherein ein riesiges Gedankenmaterial mit verarbeitet und wurde allsogleich zum heftigen »Sturm und Drang«, der sich keineswegs bloß mit der scharfen Kritik und Aufwühlung des künstlerischen Lebens begnügte, sondern in der Kunst die schärfste Waffe sah zur geistigen Kritik der gesamten Weltauffassung, zur Revolution aller sozialen Begriffe. Gerade wenn wir erkannt haben, daß auch das größte Genie innerhalb der Leistungskraft der Volksseele ersteht, wird es schier unbegreiflich, daß eine so wunderbare Gestalt wie J. S. Bach so gut wie ohne alle Wirkung bleibt. Man halte nur dagegen, wie alle unsere großen Dichter gewirkt haben, trotzdem der Volksgeschmack das Starke in ihnen auch nicht, wenigstens nicht künstlerisch, zu erfassen vermochte; aber ihre bedeutenden Werke haben doch jene bedeutsame Folge gehabt, daß die Nachahmung derselben sich bemächtigte. Der »Messias«, »Minna von Barnhelm«, »Werther«, »Götz«, »Die Räuber«, »Kabale und Liebe« – um jedes dieser Werke schart sich eine fast unübersehbare Masse gleich eingestimmter Epigonenarbeit. Zu der Musik spüren wir von Bachs oder Händels Lebensarbeit so gut wie gar keinen seelischen oder geistigen Einfluß auf das Volk, und selbst die Künstler gewinnen davon kaum etwas, was sie nicht auch in der Vorbereitungsliteratur dieser beiden Riesen hätten finden können.

Es ist nun außerordentlich bezeichnend, daß im Gegensatz dazu der deutsche Süden, die ganzen österreichischen Lande durch die Musik ihre geistige und seelische Erweckung erfahren. Das liegt natürlich nicht bloß an den äußeren Verhältnissen, sondern vor allem auch an der Charakterveranlagung. Jene Teile unseres Volkes, die stets den Wert des Gemüts gegenüber dem verstandesmäßigen Erkennen dargetan haben, mußten von der Musik ganz anders ergriffen werden als der Norden, konnten wohl überhaupt nur auf diese Weise den Fesseln der seelischen und geistigen Enge, die so lange schwer auf Deutschland gelastet hatte, entrissen werden.

Aus der gleichen kleinbürgerlichen Volksschicht wie für den Norden die ersten wahren Dichter, erstehen dem Süden die Musiker Haydn und Mozart. Als dann der Garten wieder im Blütenflor steht, als die lange zurückgehaltenen Kräfte tausendfältig sich regen, da entwickelt sich gegenüber dem literarischen Zentrum Weimar (mit dem steten kritischen und gesellschaftlichen Rückhalt Berlin) das musikalische Zentrum Wien, das eine ebenso starke Anziehungskraft auf die musikalischen Geister des übrigen Deutschlands ausübt wie jenes auf die literarischen. Das gilt nicht nur für die Höhen unseres geistigen Kulturlebens, sondern auch für die breite Volksmasse, die allerdings weder hier noch dort mit der Entwicklung der großen Kunst Schritt zu halten vermochte. Der Ausbildung literarischer Gesellschaften und einer starken Popularliteratur im Norden entspricht für das deutsch-österreichische Gebiet eine außerordentlich hohe Pflege der Hausmusik, an der das ganze Volk, das Kaiserhaus, der Adel bis in die untersten Schichten des Bürgertums teilnahm. –

Für die Jugendzeit Leopold Mozarts, des Vaters unseres Komponisten, kann man noch nicht von einem Aufschwung des geistigen und seelischen Lebens des Volkes sprechen. Gerade das einst so glänzende Augsburg der Fugger war besonders hart mitgenommen worden, erst im Dreißigjährigen Krieg, dann 1703 durch die Plünderung der bayrischen und französischen Armee. Er selber hat für den Stumpfsinn und die Begrenztheit des heimatlichen Lebens zeitlebens ein bitteres Gefühl bewahrt, und als sein Sohn 1777 nach Augsburg reiste, schrieb er ihm: »So oft ich an Deine Reise nach Augsburg dachte, so oft fielen mir Wielands ›Abderiten‹ ein: man muß doch, was man im Lesen für pures Ideal hält, Gelegenheit haben in natura zu sehen«. Um so bezeichnender ist es, daß auch ihm die Musik die Mittel und den Weg gab, aus dem allgemeinen Elend herauszukommen. Denn wenn er auch nach Salzburg gekommen war, um Jurisprudenz zu studieren, so hatte er doch schon in Augsburg seine musikalische Begabung als Kirchensänger gründlich nach allen Seiten hin ausgebildet und sich hier, wie später in Salzburg, durch musikalische Betätigung den Lebensunterhalt verdient. Die Musik sollte auch zu seinem Lebensberuf werden. Da es ihm nicht gelungen war, eine andere Stellung zu erhalten, trat er als Kammerdiener in den Dienst des Grafen Thurn, eines salzburgischen Domherrn. Der Ruf von seinen musikalischen Fähigkeiten verbreitete sich schnell, und so wurde er 1743 vom Erzbischof als Hofmusikus in Dienst genommen. Hier stieg er allmählich zum Hofkomponisten und Konzertmeister, bis er 1762 vom Erzbischof Sigismund zum Vizekapellmeister ernannt wurde.

Schubart rühmt von Leopold Mozart, daß er die Musik in Salzburg »auf einen trefflichen Fuß gestellt habe«. Die rastlose Energie und der unermüdliche Pflichteifer, die ihm allein ja aus den heimischen Verhältnissen herausgeholfen hatten, beseelten ihn eben auch in seinem kärglich entlohnten Dienste (er bezog jährlich 504 Gulden). Seine Stellung heischte von ihm eine ziemlich ausgedehnte Kompositionstätigkeit, zumeist als Kirchenkomponist. Es haben sich hier eine ganze Reihe seiner Arbeiten erhalten, die einen wissensreichen, formgewandten und alle praktischen Bedürfnisse geschickt erfüllenden Musiker zeigen. An seiner Kirchenmusik, die sich innerhalb des besseren Durchschnitts der damaligen Musik behauptet, mag man am ehesten einen gewissen »altväterischen Zug«, den auch Schubart betonte, hervorheben, weil der doch auf einem gründlichen Studium der alten Meister des strengen Satzes beruht, außerdem in Gegensatz trat zur theatralischen Behandlung der katholischen Kirchenmusik, die immer mehr einriß. Eigenartiger sind Leopold Mozarts Klaviersonaten, die neben den Werken Phil. Em. Bachs als Vorläufer der Sonaten des großen Mozart zu gelten haben. Auch in kleineren Formen der Klaviermusik schuf er Ansprechendes. Ein derartiges Stücklein gefiel derart, daß es auf das große Hornwerk übertragen wurde und so durch Jahrzehnte täglich zweimal von der Feste Hohensalzburg in die Stadt hinabklang. Außerdem hat er eine lange Reihe von musikalischen Bedürfnissen, die sich gelegentlich einstellten, befriedigt. Neben Oratorien hat er manche theatralische Sachen geschrieben, und eine ganze Anzahl jener Gelegenheitsmusiken, die mit ihrem etwas einfältigen programmatischen Inhalt doch nicht so sehr nur als Spielerei aufgefaßt werden sollten, wie wir es nach dem riesigen Aufschwung aller Gattungen unserer Musik zu tun uns gewöhnt haben. Es tritt hier zweifellos in einfachster, oft kindischer Äußerung das deutsche Verlangen nach einer geistigen Entwicklung eines musikalischen Gedankens zutage gegenüber dem bloß auf sinnliche Wirkungen abzielenden Musizieren der Italiener, gegenüber ferner der nicht mehr verstandenen formalen Kontrapunktik der älteren Zeit. Als Beispiel für den Charakter dieser Gelegenheitsmusiken sei hier das Programm der »musikalischen Schlittenfahrt« mitgeteilt, wie es Leopold Mozart selbst am 29. Dezember 1755 in Druck gegeben hat.

Musikalische Schlittenfahrt

»Den Anfang macht eine Intrada von einem artigen Andante und prächtigen Allegro. nach diesem folget alsogleich Eine Intrada mit Trompeten und Pauken. auf dieses Kommt die Schlittenfart mit dem Schlittengeläut und allen andern Instrumenten.

Nach geendigter Schlittenfahrt hört man wie sich die Pferde schütteln. auf welches eine angenehme Abwechselung der Trompeten und Pauken mit dem Chor der Hautboisten, Waldhornisten und Fagotisten folget. Da die erstern ihren Aufzug, die zweyten aber ihren Marche wechselweise hören lassen.

Nach diesem machen die Trompeten und Pauken abermal eine Intrada und die Schlittenfart fängt sich wieder an. Nach welchem alles stille schweiget; denn die Schlittenfarts Campagnie steigt ab und begiebt sich in den Tanzsaal.

Man hört ein Adagio, welches das vor Kälte zitternde Frauenzimmer vorstellt.

Man eröffnet den Ball mit einem Menuett und Trio.

Man sucht sich durch Teutsche Tänze immer mehr zu erwärmen; es kommt endlich der Kehraus und letztlich begiebt sich die ganze Compagnie unter einer Intrada der Trompeten und Pauken auf ihre Schlitten und fahren nach Hause.«

Für diese in der Form natürlich recht bescheidene Programmmusik boten sich die Vorbilder vor allem in der französischen Klaviermusik. Aber auch die deutsche Klaviermusik hatte sich längst in derartigen Werken versucht; neuerdings wieder mehr bekannt geworden sind die 1700 erschienenen »Musikalischen Vorstellungen einiger biblischen Historien in sechs Sonaten« von Johann Kuhnau; aber auch der große Joh. Seb. Bach hatte wenigstens einmal in dem »Capriccio auf die Abreise seines geliebten Bruders« etwas ähnliches geschaffen.

Die geschichtliche Bedeutung Leopold Mozarts beruht auf seinem 1756, also im Geburtsjahr seines großen Sohnes erschienenen » Versuch einer gründlichen Violinschule«. Das war der erste gelungene Versuch einer Violinschule; sie blieb auf lange Zeit hinaus, wie die vielen Auflagen und Übersetzungen beweisen, die verbreitetste Anweisung des Violinspiels. Noch Zelter urteilt in einem Briefe an Goethe: »Seine Violinschule ist ein Werk, das sich brauchen läßt, solange die Violine eine Violine bleibt; es ist sogar gut geschrieben.« Dieses Lob der guten Schreibart ist wohl verdient und wiegt um so schwerer, als in der damaligen Zeit es sicher nur verschwindend wenige Musiker gab, die über einen so gewandten Ausdruck der deutschen Sprache verfügten, wie der stets von literarischen Interessen erfüllte Salzburger Kapellmeister. Die textlichen Ausführungen sind aber nicht nur gut geschrieben, sondern, was schließlich noch mehr wert ist, von einem edlen, echt künstlerischen Geiste erfüllt. Dieser Mann strebt nirgends nach Blendwerk. Die technische Ausbildung in dem einen Instrument steht für ihn hinter der gründlichen Ausbildung im allgemeinen. Herzhaftigkeit und männliche Empfindung verlangt er vom Spieler. Gesangsmäßigkeit sei das Ziel des Vortrags; »wer weiß denn nicht, daß die Singmusik allzeit das Augenmerk aller Instrumentisten sein soll, weil man sich in allen Stücken dem Natürlichen, soviel es immer möglich ist, nähern muß.« Geradezu verhaßt ist ihm alles äußerliche Virtuosentum; die Technik sei nur Mittel des Ausdrucks. So zeigt das ganze Werk einen gründlichen, aller Halbheit und Untüchtigkeit abholden Mann, der sich von aller nur musikalischen Weichheit fernhält und gründliche Durchbildung des gesamten geistigen Lebens, klares, vernünftiges Denken als unentbehrlich für den wahren Künstler erkannt hat. Wir erkennen, welch vorzüglicher Lehrer dieser Mann für sein geniales Kind sein mußte, um so mehr als er mit aller Hochschätzung des durch Arbeit und Studium zu Erlangenden eine geradezu rührende Ehrfurcht, eine fast heilige Scheu vor dem göttlichen Wunder der wahren Genialität verband. Das offenbart sich am beredtesten in der prachtvollen Bescheidenheit, mit der er selber das Komponieren aufgab, seitdem er bei seinem Sohn erkannt hatte, wie der wahrhaft schöpferische Geist im Menschen schaltet.

Vielleicht war es aber in dieser Zeit geistiger Schläfrigkeit und sittlicher Verlottertheit noch viel wertvoller, daß die Eigenschaften des Musikers Leopold Mozart auch den Menschen auszeichneten. Der Grundzug seines Wesens ist auch hier die unerschütterliche Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue in großen und kleinen Dingen. Das Leben hatte ihn nicht umsonst in eine so harte Schule genommen, hatte ihm aber auch nicht umsonst gezeigt, daß der Mann sein Schicksal selber schmiedet. Er ist unnachsichtlich streng in seinen Anforderungen, gegen sich noch mehr als gegen andere. Er ist abhold allem Scheinwesen und läßt sich durch äußeren Prunk niemals beirren. In dieser Zeit der Knechtseligkeit bewahrt er sich einen aufrechten Sinn, wenn er auch Lebensklugheit genug besitzt, sich äußerlich so weit den Verhältnissen zu fügen, wie es sich mit der Mannesehre verträgt. In Wirklichkeit bedeutete ihm aber vornehme Geburt und hohe Stellung an sich nichts, und er schätzte jeden nach dem ein, was er konnte. Die ruhige Kritik seines klaren, gesunden Menschenverstandes bewahrte er sich auch gegenüber den Vertretern der Kirche, trotzdem er ein kernfrommer, glaubenstreuer Katholik war; oder vielleicht gerade deshalb, denn er hätte sich sonst kaum bei den damaligen kirchlichen Verhältnissen mit seinem scharfen Verstande, der überall die Gebrechen sah, diese völlige Freiheit von allem Aberglauben und diese echte Religiosität und strenge Kirchlichkeit zu bewahren vermocht. Von Natur aus war sicher auch er Humorist und eine echte Frohnatur. Die schwere Lebensentwicklung, die vielfachen Unterdrückungen, die er hatte erfahren müssen, dann die gesamten elenden Zeitverhältnisse haben dieser ursprünglichen Anlage eine andere Richtung gegeben. Er hatte die Menschen zu sehr von ihrer schlechten Seite kennen gelernt und fand nun als Waffe dagegen einen scharfen Sarkasmus; es entwickelte sich in ihm überhaupt die Neigung zum Spott. Er hatte die Überzeugung gewonnen, daß Eigennutz und Selbstsucht die wahren Triebfedern alles menschlichen Handelns seien und erkannte es als Hauptaufgabe der Lebensklugheit, sein Benehmen danach einzurichten. In seinem Sohn hatte er dauernd genau die entgegengesetzte Natur zu bekämpfen, und man geht trotz des scheinbaren Widerspruchs nicht fehl, wenn man sagt, daß der Sohn trotzdem auch darin dem Vater verwandt war, nur daß er vom äußeren Leben in seiner Kindheit nicht in eine so schroffe Schule genommen war, daß vielmehr gerade seine vom Vater so sorgsam behüteten Kinderjahre in ihm die Meinung wachrufen konnten, die Menschen seien eitel Güte, und, was sie sagen, immer die lautere Wahrheit. Der Vater hat in seinen Briefen an den Sohn immer und immer wieder ihm die selbst mühsam gewonnene Lebensüberzeugung vorgetragen, der Sohn war auch des besten Willens voll, danach zu handeln. Wir begegnen in seinen Briefen immer wieder den Stellen, in denen er als getreues Echo diese Lebensanschauung des Vaters verkündet. Danach gehandelt hat er nie, und er ist in seinem Leben immer wieder das Opfer seiner kindlichen Vertrauensseligkeit und seiner guten Meinung von den Nebenmenschen geworden. Er ist eben in dieser Hinsicht zeitlebens ein Kind geblieben, während der Vater sehr früh ein Mann geworden war. Trotzdem beruht auch des Vaters Menschenverachtung mehr in der Theorie; in der Wirklichkeit war auch er selbst jenen, die er nicht achtete, gegenüber immer gern bereit zu wohlwollendem Rat und tatkräftiger Hilfe. Daß er sich nicht blenden ließ, hat auch sein Verhältnis zum heißgeliebten und bewunderten Sohn fruchtbar gemacht. Er hat die Schwächen seines Kindes nie verkannt oder verdeckt, sondern alles aufgeboten, aus dem genialen Jüngling auch einen pflichttreuen, zuverlässigen und tüchtigen Bürger zu erziehen.

So ersteht vor uns Leopold Mozart als edler, tüchtiger und gescheuter Mann, als gediegener Meister in seinem Beruf, als vorzüglicher Lehrer. Er ist auch ein trefflicher Gatte gewesen; der höchste Ehrentitel aber, den wir ihm geben können, ist, daß er wirklich in jeder Hinsicht und im idealsten Sinne des Wortes sich als Vater seines großen Sohnes bewährt hat. Wir haben bei Mozart den seltenen Fall, daß ein genialer Mann dem Vater viel näher steht und viel mehr verdankt, als der Mutter. Mit diesem Urteile soll keinerlei Geringschätzung der schönen Anna Maria Pertl, des Pflegekommissärs vom Stifte St. Gilgen Tochter, ausgesprochen werden, die Leopold Mozart am 21. November 1747 als sein Eheweib heimgeführt hat. Ohne geistig hervorzuragen, war sie eine kluge, und vor allem eine gute Frau. Ihrem Gatten, dem sie sich willig unterordnete, war sie in echter Herzensneigung zeitlebens treu ergeben, ihren Kindern ist sie eine liebevolle, zu jedem Opfer bereite Mutter gewesen. Die beiden Ehegatten haben im schönsten Verhältnis gelebt, sie gingen ganz auf in der Erziehung ihrer Kinder, und »das schönste Salzburger Paar«, wie man die beiden zu ihrer Hochzeitszeit gern nannte, strahlte durch das reine und brave Familienleben noch weit leuchtender aus der ganzen Umgebung der Berufs- und Standesgenossen hervor. Die Kinder haben in aller Liebe an der Mutter gehangen, zumeist Wolfgang, der von ihr die Neigung zu heiterem, gelegentlich auch vor derber Komik nicht zurückscheuendem Lebensgenuß geerbt hatte. Diese Art wird den Salzburgern oft nachgesagt, wenn auch nicht immer in der schroffen Form wie Schubart an ihnen tadelte, daß sie »äußerst zum niedrig Komischen« gestimmt sind. Aber es ist sicher, daß Leopold Mozart sich in Salzburg ziemlich vereinsamt fühlte, trotzdem er mit einer Reihe besserer Familien ausgiebigen Verkehr hatte. Er konnte eben für seinen stets auf Weiterbildung bestrebten Geist keinerlei Nahrung finden. Am wenigsten mochte er mit seinen Kunstgenossen zu tun haben, die, zumeist ohne alle tiefere Bildung, rein aufs Technische gedrillte Musikanten, außerdem aber infolge ihres liederlichen Lebenswandels um alles Ansehen gekommen waren.

Die später so unglücklichen oder doch das ganze Leben verbitternden Beziehungen zu ihrem Brotherrn haben dann das weitere dazu beigetragen, der Familie Mozart die Salzburger und Salzburg zu verleiden. Vor allem finden sich bei Wolfgang, der ja allerdings am meisten unter der Enge der Heimat zu leiden hatte, recht scharfe Aussprüche. Und doch könnte man Mozarts ganze Kunst mit seinem Geburtsort in Beziehung bringen. Die »schönstgelegene Stadt der Welt«, wie Alexander von Humboldt es nannte, wirkt Salzburg wie ein Stück italienischen Südens in deutschen Landen. Eine wunderbar weiche, aber großzügige Linienführung in der Profilierung der Landschaft vereint sich mit höchster Farbigkeit des Bildes; die Gewalt der Alpenwelt wirkt nur erhebend, nicht drückend, da sie gemildert ist in der lächelnden Fruchtbarkeit der umliegenden Felder und Weinberge. Die hohe Naturfreude, die sich Mozart zeitlebens bewahrte, die fruchtbare Anregung, die er für seine Kunst aus dem Naturgenuß gewann, lassen darauf schließen, daß auch die schöne Umgebung, in der er seine Jugend verbringen durfte, von großem Einfluß auf seine Entwicklung gewesen ist.

Von den sieben Kindern, die Mozarts beschieden waren, blieben nur zwei am Leben: die Tochter Maria Anna (geb. am 30. Juli 1751) und der als letzter am 27. Januar 1756 geborene Sohn Wolfgang, dessen vollständiger Name nach dem Kirchenbuch lautet Johannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus. Der Vater übersetzte den letzten Namen zunächst mit Gottlieb, der auch auf den frühesten Werken steht, dann trat das französische Amadee an die Stelle, darauf Amade, zuletzt Amadeus. In der Familie hieß die Tochter das Nannerl, die Koseform für den Jungen war Wolferl.

Über die früheste Kindheit Wolfgangs sind wir weit besser unterrichtet, als bei den meisten andern großen Künstlern. Die Schwester, die als Freiin v. Sonnenberg ihn lange überlebte (gest. 29. Oktober 1829), gab nach des bewunderten und geliebten Bruders Tode Friedrich Schlichtegroll in Gotha für seinen »allgemeinen Nekrolog, enthaltend Nachrichten von dem Leben merkwürdiger, in diesem Jahre verstorbener Personen«, ungebeten, was sie an Erinnerungen sorgfältig bewahrt hatte. Sie selber konnte für einen großen Teil derselben einen Brief benutzen, den der Salzburger Hoftrompeter Johann Andreas Schachtner (gest. 1795), ein warmherziger Freund des Mozartschen Hauses, ihr über die Kindheit ihres Bruders geschrieben hatte.

Die Tochter hatte ein so ausgesprochenes Talent zur Musik bewiesen, daß der Vater sehr früh ihren Unterricht am Klavier begann. Das machte auf den damals dreijährigen Knaben einen sehr starken Eindruck. »Er zeigte schon da sein außerordentliches Talent. Er unterhielt sich oft lange beim Klavier mit Zusammensuchen der Terzen, welche er dann immer anstimmte und seine Freude darüber bezeigte, diese Harmonie gefunden zu haben. Im vierten Jahre seines Lebens fing sein Vater gleichsam spielend an, ihn einige Menuetts und andere Stücke auf dem Klavier zu lehren, freie Sachen, die dem Lehrer ebenso leicht wurden als dem Lehrling. Zu einem Menuett brauchte er eine halbe Stunde, um es zu lernen und es dann mit der vollkommensten Nettigkeit und mit dem festesten Takte zu spielen. Von nun ab machte er solche Fortschritte, daß er in seinem fünften Jahre schon kleine Stücke komponierte, die er seinem Vater vorspielte und von diesem zu Papier bringen ließ.« (Schlichtegroll.) Der Vater schrieb diese Kompositionen in Mariannes Klavierbuch ein und vermerkte dabei genau das Datum des Entstehens. Dieses Klavierbuch befindet sich im Mozarteum zu Salzburg. Das früheste Stück Wolfgangs trägt die Jahreszahl 1761. Ein kleines Menuett; zur zierlichen Melodie spielt die Linke die zur Dezime gedehnte Terz als Begleitung. Die Formgebung dieser Schöpfung eines Fünfjährigen ist untadelig; nicht einmal als Kind hat Mozart formale Schwierigkeiten gekannt; schon jetzt fand er die vollgültige Ausdrucksform für das, was er sagen wollte. Bezeichnend ist auch, daß, wie der Benediktinerpater Scharl erzählt, schon des Kindes »Passion« das Phantasieren war. Es ist uns vielfach berichtet, daß das freie Phantasieren auf Klavier oder Orgel noch in späteren Zeiten Mozarts unvergleichlichste Leistung geblieben ist und die höchste Offenbarung seines Genies. Wie ernst schon das Kind Musik aufnahm, bezeugt der Vater 1778 dem Sohne in einem Brief vom 16. Februar: »Als Kind und Knabe warst Du mehr ernsthaft als kindisch, und wenn Du beim Klavier saßest oder sonst mit Musik zu tun hattest, so durfte sich niemand unterstehen, Dir den mindesten Spaß zu machen. Ja, Du warest selber in Deiner Gesichtsbildung so ernsthaft, daß viele einsichtsvolle Personen wegen dem zu früh aufkeimenden Talente und Deiner immer ernsthaften und nachdenkenden Gesichtsbildung für Dein langes Leben besorgt waren.«

Wir können im übrigen für die Schilderung dieser ersten Entwicklungszeit des Kindes nichts Besseres tun, als den durch seine Treuherzigkeit und die Unmittelbarkeit des Ausdrucks überzeugenden Brief Schachtners hier vollständig wiederzugeben.

»Hochwohledelgeborene gnädige Frau! Deroselben sehr angenehmes Schreiben traf mich nicht in Salzburg, sondern in der Hammerau an, wo ich eben bei meinem Sohne, dortigen Mitbeamten beim Oberverwesamt, auf einem Besuch war. Aus meiner sonstigen Willfährigkeit gegen jedermann und besonders gegen das Mozartsche Haus können Sie schließen, wie sehr leid mir war, daß ich nicht auf der Stelle Ihren Auftrag befriedigen konnte.

Zur Sache also!

Auf Ihre erste Frage, was Ihr seliger Herr Bruder in seiner Kindheit, NB. außer seiner Beschäftigung in der Musik, für Lieblingsspiele hatte? – auf diese Frage ist nichts zu beantworten: denn sobald er mit Musik sich abzugeben anfing, waren alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte soviel als tot, und selbst die Kindereien und Tändelspiele mußten, wenn sie für ihn interessant sein sollten, von der Musik begleitet werden. Wenn wir, er und ich, Spielzeuge zum Tändeln von einem Zimmer ins andere trugen, mußte allemal derjenige von uns, so leer ging, einen Marsch dazu singen oder geigen. Vor dieser Zeit aber, ehe er die Musik anfing, war er für jede Kinderei, die mit ein bißchen Witz gewürzt war, so empfänglich, daß er darüber Essen und Trinken und alles andere vergessen konnte. Ich ward daher ihm, weil ich, wie Sie wissen, mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, daß er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte, und wenn ich es zuweilen auch nur zum Spaß verneinte, stunden ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen.

Zweite Frage, wie er sich als Kind gegen die Großen benahm, wenn sie sein Talent und Kunst in der Musik bewunderten?

Wahrhaftig, da verriet er nichts weniger als Stolz oder Ehrsucht: denn diese hätte er nie besser befriedigen können, als wenn er Leuten, die die Musik wenig oder gar nicht verstanden, vorgespielt hätte, aber er wollte nie spielen, außer seine Zuhörer waren große Musikkenner, oder man mußte ihn wenigstens betrügen und sie dafür ausgeben.

Dritte Frage, welche wissenschaftliche Beschäftigung liebte er am meisten?

Antw. Hierinfalls ließ er sich leiten, es war ihm fast einerlei, was man ihm zu lernen gab, er wollte nur lernen und ließ die Wahl seinem innigst geliebten Papa, welches Feld er ihm zu bearbeiten auftrug. Es schien, als hätte er es verstanden, daß er in der Welt keinen Lehrmeister noch minder Erzieher wie seinen unvergeßlichen Herrn Vater hätte finden können. Was man ihm immer zu lernen gab, dem hing er so ganz an, daß er alles übrige auch sogar die Musik, auf die Seite setzte. Z. B. als er Rechnen lernte, war Tisch, Sessel, Wände, ja sogar der Fußboden voll Ziffern mit der Kreide überschrieben.

Vierte Frage, was er für Eigenschaften, Maximen, Tagesordnung, Eigenheiten, Neigung zum Guten und Bösen hatte?

Antw. Er war voll Feuer, seine Neigung hing jedem Gegenstand sehr leicht an; ich denke, daß er im Ermangelungsfalle einer so vorteilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Bösewicht hätte werden können, so empfänglich war er für jeden Reiz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht imstande war.

Einige sonderbare Wunderwürdigkeiten von seinem vier- bis fünfjährigen Alter, auf deren Wahrhaftigkeit ich schwören könnte.

Einsmal ging ich mit Herrn Papa nach dem Donnerstagsamte zu ihnen nach Hause, wir trafen den vierjährigen Wolfgangerl in der Beschäftigung mit der Feder an.

Papa: Was machst du?

Wolfg.: Ein Konzert fürs Klavier, der erste Teil ist bald fertig.

Papa: Laß sehen.

Wolfg.: Ist noch nicht fertig.

Papa: Laß sehen, das muß was Sauberes sein.

Der Papa nahm's ihm weg und zeigte mir ein Geschmiere von Noten, die meistenteils über ausgewischte Tintendolken geschrieben waren, NB. der kleine Wolfgangerl tauchte die Feder aus Unverstand allemal bis auf den Grund des Tintenfasses ein, daher mußte ihm, sobald er damit aufs Papier kam, ein Tintendolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der flachen Hand darüber hin und wischte es auseinander und schrieb wieder darauf fort, wir lachten anfänglich über dieses scheinbare Gallimathias, aber der Papa fing hernach seine Betrachtungen über die Hauptsache, über die Noten, über die Komposition an, er hing lange Zeit steif mit seiner Betrachtung an dem Blatte, endlich fielen zwei Tränen, Tränen der Bewunderung und Freude aus seinen Augen. ›Sehen Sie, Herr Schachtner,‹ sagte er, ›wie alles richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ist's nicht zu brauchen, weil es so außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen imstande wäre.‹ Der Wolfgangerl fiel ein: ›Drum ist's ein Konzert, man muß so lange exerzieren, bis man es treffen kann; sehen Sie, so muß es gehen.‹ Er spielte, konnte aber auch just so viel herausbringen, daß man erkennen konnte, wo er aus wollte. Er hatte damals den Begriff, daß Konzertspielen und Mirakelwirken einerlei sein müsse.

Noch eins.

Gnädige Frau! Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute Geige habe, die weiland Wolfgangerl wegen ihrem sanften und vollen Ton immer Buttergeige nannte. Einmal, bald nachdem sie von Wien zurückkamen (zu Anfang 1763), geigte er darauf und konnte meine Geige nicht genug loben, nach ein oder zwei Tagen kam ich wieder, ihn zu besuchen, und traf ihn, als er sich eben mit seiner eigenen Geige unterhielt, an, sogleich sprach er: ›Was macht Ihre Buttergeige?‹ geigte dann wieder in seiner Phantasie fort, endlich dachte er ein bißchen nach und sagte zu mir: ›Herr Schachtner, Ihre Geige ist um einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da, wenn Sie sie doch so gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letztemal darauf spielte.‹ Ich lachte darüber, aber Papa, der das außerordentliche Tönegefühl und Gedächtnis dieses Kindes kannte, bat mich, meine Geige zu holen und zu sehen, ob er recht hätte. Ich tat's, und richtig war's.

Einige Zeit vor diesem, die nächsten Tage, als Sie von Wien zurückkamen und Wolfgang eine kleine Geige, die er als Geschenk zu Wien kriegte, mitbrachte, kam unser ehemaliger sehr guter Geiger Herr Wenzl sel., der ein Anfänger in der Komposition war; er brachte 6 Trio mit, die er in Abwesenheit des Herrn Papa verfertigt hatte, und bat Herrn Papa um seine Erinnerung hierüber. Wir spielten diese Trio, und Papa spielte mit der Viola den Baß, der Wenzl das erste Violin, und ich sollte das zweite spielen. Wolfgangerl bat, daß er das zweite Violin spielen dürfte, der Papa aber verwies ihm seine närrische Bitte, weil er noch nicht die geringste Anweisung in der Violin hatte, und Papa glaubte, daß er nicht im mindesten zu leisten imstande wäre. Wolfgang sagte: ›Um ein zweites Violin zu spielen, braucht man es wohl nicht erst gelernt zu haben‹; und als Papa darauf bestand, daß er gleich fortgehen und uns nicht weiter beunruhigen sollte, fing Wolfgang an bitterlich zu weinen und trollte sich mit seinem Geigerl weg. Ich bat, daß man ihn mit mir möchte spielen lassen; endlich sagte Papa: ›Geig mit Herrn Schachtner, aber so stille, daß man dich nicht hört, sonst mußt du fort.‹ Das geschah, Wolfgang geigte mit mir. Bald bemerkte ich mit Erstaunen, daß ich da ganz überflüssig sei; ich legte still meine Geige weg und sah Ihren Herrn Papa an, dem bei dieser Szene die Tränen der Bewunderung und des Trostes über die Wangen rollten; und so spielte er alle sechs Trio. Als wir fertig waren, wurde Wolfgang durch unsern Beifall so kühn, daß er behauptete, auch die erste Violin spielen zu können. Wir machten zum Spaß einen Versuch und wir mußten uns fast zutode lachen, als er auch dies, wiewohl mit lauter unrechten und unregelmäßigen Applikaturen doch so spielte, daß er doch nie ganz stecken blieb.

Zum Beschluß. Von Zärtlichkeit und Feinheit seines Gehörs!

Fast bis in sein zehntes Jahr hatte er eine unbezwingliche Furcht vor der Trompete, wenn sie allein, ohne andere Musik, geblasen wurde; wenn man ihm eine Trompete nur vorhielt, war es ebensoviel, als wenn man ihm eine geladene Pistole aufs Herz setzte. Papa wollte ihm diese kindische Furcht benehmen und befahl mir einmal, trotz seines Weigerns, ihm entgegen zu blasen; aber mein Gott! hätte ich mich nicht dazu verleiten lassen. Wolfgangerl hörte kaum den schmetternden Ton, ward er bleich und begann zur Erde zu sinken, und hätte ich länger angehalten, er hätte sicher das Fraise (Krämpfe) bekommen.

Dieses ist beiläufig, womit ich auf die gestellten Fragen dienen kann, verzeihen Sie mir mein schlechtes Geschmier, ich bin geschlagen genug, daß ich's nicht besser kann. Ich bin mit geziemend schuldigster Hochschätzung und Ehrfurcht

Salzburg, den 24. April 1792.

Euer Gnaden
ergebenster Diener
Andreas Schachtner,
Hochfürstl. Hoftrompeter.«

Daß ein so hervorragender Musiker wie Leopold Mozart diese wunderbaren Anlagen des Kindes hätte übersehen können, ist natürlich ausgeschlossen. Aber es fehlt das zweite Beispiel für den geradezu heiligen Ernst, mit dem der Vater nun die Ausbildung dieser Gaben in die Hand nahm. Daß die Erziehung dieses Kindes sein wahrer Beruf sei, erfaßte er in einer tiefen Religiosität, in der sich das freudigstolze Dankempfinden des Erzeugers dieses »Wunders Gottes« mit einem schweren, Entsagung und Opfer heischenden Verantwortungsgefühl verband. Nur dem glücklichen Umstand, daß ein so seltenes Gut in eine ebenso seltene treue Hut gegeben war, danken wir die wunderbare Entfaltung Wolfgang Mozarts.


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