Stendhal
Eine Geldheirat
Stendhal

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Eine Unterhaltung zwischen elf und Mitternacht

Frau von **, die Gattin eines ehemaligen Marineministers Louis XVI. befand sich auf dem Schlosse ..., wo ich im Jahre 180... die Ferien verbrachte. Sie war immer noch schön, trotz ihrer zugegebenen achtunddreißig Jahren und manchem Unglücks, das sie während der Revolution erlitten hatte. Einem der ältesten Häuser Frankreichs angehörend, war sie im Kloster erzogen worden. Ihre vornehmen und leutseligen Manieren beseligte eine unaussprechliche Grazie. Ich habe nur bei ihr eine gewisse Art des Gehens bemerkt, die in gleicher Weise Hochachtung und Verlangen erregte. Sie war groß, wohlgebaut und fromm. Man kann sich leicht den Eindruck vorstellen, die sie auf einen Jungen von dreizehn Jahren machte: so alt war ich damals. Ohne bestimmt Angst vor ihr zu haben, sah ich sie doch immer mit einer verlangenden Unruhe an und mit diesen gewissen undeutlichen Gefühlen, die dem Beben in Angst sehr ähnlich sind.

Aus einem jener schwer zu erklärenden Zufälle begab es sich eines Abends, daß sich sieben oder acht der Damen, die auf dem Schlosse wohnten, sich gegen elf Uhr allein vor einem Kaminfeuer fanden, das weder brennend noch erloschen gerade jene Wärme ausstrahlte, welche vielleicht zu einem intimeren Plaudern geneigt macht und den Nerven etwas wie eine beruhigende wohltuende Entspannung mitteilt. Frau von ** warf einen spionierenden Blick auf die hohe Täfelung und die alten Tapisserien des weitläufigen Salons. Ihre großen schwarzen Augen blieben auf einer leidlich dunklen Ecke haften, wo ich mich hinter einer Couchette mit gedrehten Beinen auf den Boden gesetzt hatte: es war ein Feuerblick, aber sie sah mich nicht. Ich muckste mich nicht, während ich den Damen sotto voce sich Geschichten erzählen zuhörte, von denen ich nichts verstand; aber das wohlklingende einverständige Lachen, das jede Erzählung schloß, hatte meine kindliche Neugier erregt.

»An Ihnen ist die Reihe«, sagten im Chore die Schloßdamen zu Frau von **, »vorwärts erzählen Sie uns, wie ....«

Sie bewahrte vielleicht noch eine undeutliche Unruhe davon, mich neben sich spielen gesehen zu haben; sie erhob sich, als ob sie hinter das enorme Meuble gehen wollte, hinter dem ich hockte; aber eine alte Dame, ungeduldiger als die andern, griff ihre Hand. »Der Kleine ist längst schlafen, Teuerste, oder wollen Sie gar müder sein als wir ...?«

Da hustete die schöne Frau ein bißchen, und die Augen manchmal senkend erzählte sie:

»Ich war im Kloster von ... und sollte es in drei Tagen verlassen, um den Grafen von F**, meinen Gatten, zu heiraten. Mein künftiges Glück, von einigen meiner Mitschülerinnen beneidet, gab zum zwanzigsten Mal den Mutmaßungen Raum, die ich Ihnen zu nennen erspare, denn Sie kennen sie aus eigener Erfahrung.«

»Drei Mädchen meines Alters und ich, wir alle vier zusammen kaum älter als siebzig Jahre, standen am Korridor an einem Fenster, von dem aus man in den Klosterhof sah. Seit etwa einer Stunde hatten unsere jungen Hirne sich müde gedacht in Annahmen und Vermutungen, sehr verrückten und, ich versichere Ihnen, sehr unschuldigen; es war uns einfach unmöglich, uns deutlich zu machen, worin eigentlich die Ehe bestünde; meine Gedanken waren schon so schweifend geworden, daß ich überhaupt nicht mehr wußte, woran sie fixieren.

»Da ging eine Schwester zwischen dreißig und vierzig, die uns gern leiden mochte, vorbei; sie war, soweit ich mich erinnere, die Tochter eines sehr reichen Landmannes, früh ins Kloster gebracht, entweder zum Vorteile ihres Bruders oder wegen eines Abenteuers, das sie mir zu ihrer Ehre und zu ihrem Ruhme erzählte. Fräulein von Langeac, freier als jede von uns, hielt die Schwester an und setzte ihr recht maliziös die Gefahr auseinander, die für mich darin bestünde, daß ich gar nichts von den Bedingungen der menschlichen Natur wüßte.

»Die Nonne bemerkte im Hofe einen verdammten Stier, der hereingebracht wurde, und in diesem Augenblick durch den Stolz seiner Gebärde, die Macht seines völlig entwickelten Daseins die allerbeste Definition der Ehe formulierte, die man geben konnte.«

Hier rückte die Gruppe der Damen etwas zusammen, Frau von ** sprach leise, die Damen kicherten und alle Augen blitzten; aber von der Antwort der Nonne konnte ich nichts hören als zwei lateinische Worte und die waren, glaube ich, Ecce homo.

»Bei diesem Anblick,« fuhr Frau von ** unmerklich etwas lauter werdend an der süßen und klaren Stimmgabel, welche den juvenilen Konfidenzen dieser Damen den Ton gegeben hatte –, »bei diesem Anblick fehlte mir wenig zum Übel werden. Ich sah auf Fräulein de Fiennes, die ich sehr liebte, und wurde blaß, und der Schrecken, den ich seitdem empfand, an den Tag denkend, wo ich auf das Schafott mußte, ist gar nicht zu vergleichen mit dem Grausen, dessen Opfer ich beim Gedanken an meine Hochzeitsnacht wurde. Ich glaubte mich anders gemacht als die andern Frauen. Ich traute mich nicht, zu meiner Mutter zu sprechen; den Grafen sah ich mit einer neugierigen Angst an, ohne unterrichteter zu sein. Ich will Ihnen nicht das Martyrium aller meiner Gedanken erzählen; die Idee eines solchen Erleidens war so mächtig in mir, daß ich am Abend vor meiner Hochzeit eine gute Stunde den vergoldeten Türknopf ins Schlafzimmer meiner Mutter in der Hand hielt und mich nicht entschließen konnte, hineinzugehen zu ihr, sie aufzuwecken und ihr darzulegen, daß es mir meine Natur ganz unmöglich mache, andern Tages Frau zu sein.

»Kurz, man brachte mich mehr tot als lebendig in das bräutliche Schlafzimmer ....«

Hier konnte Frau von ** nicht umhin, etwas zu lächeln, und sie fügte ein bißchen mit dem Gesicht der Heiligen Nitouche hinzu:

»Aber ich sah, daß alles, was Gott getan hat, wohlgetan ist und daß die arme Schnepfe von Klosterschwester dem Mann in der Fabel glich, der Zitronen an eine Eiche hängte.« –

»Mein Herr«, unterbrach hier eine junge Dame den Erzähler obiger Geschichte, »wenn Ihre lustigen Geschichten so anfangen, wie enden sie?«

»Herr von Stendhal«, sagte die Hausfrau, »kann niemals etwas erzählen, ohne einen etwas zu lebhaften Ton hineinzumischen, was mir leid tut. Ich dachte immer, er würde sich bessern ....«

»Aber wo denn steckt das Schlimme?« fragte der Erzähler naiv. »Heute wollen Sie lachen, und Sie verbieten uns alle Quellen offener Heiterkeit, die das Entzücken unserer Vorderen waren. Nehmen Sie die Betrügereien der Frauen, die Streiche der Mönche, die etwas brenzligen Abenteuer der Verville und Rabelais weg, und wo bleibt das Lachen? Heute hat man diese alte Poetik mit der Zweideutigkeit ersetzt, – ein Fortschritt? Man traut sich heute nichts mehr. Kaum erlaubt eine anständige Frau ihrem Liebhaber, daß er ihr die gute Geschichte des Fiakerkutschers erzählt, der zu einer Dame sagt: »Voulez- vous trinquer?« Mit so schweigend libertinösen Sitten ist nichts zu machen, denn ich finde Ihre Theaterstücke und Romane weit indezenter als die Cruidität Brantomes, der weder Hinter- noch Vorgedanken hat. An dem Tage, an dem wir der Keuschheit die Sprache gegeben haben, haben die Sitten ihre Keuschheit verloren.


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